Interview mi Gigi vom Mieterladen Friedrichshain

35 Jahre selbstorganisierte Mieterberatung in Friedrichshain

Gigi gehört zu den Gründer/innen des Mieterladens in Friedrichshain und der Unabhängigen Bürgerinitiative Kliz e.V., wo sie heute noch aktiv ist.

MieterEcho: Wie ist der Mieterladen in Friedrichshain entstanden?

Gigi: Es begann im November 1989. Mit dem Mauerfall wurden die Räume des Wohnbezirksausschuss (WBA) in der Bänschstraße 79 im Friedrichshainer Nordkiez aufgegeben, und 14 Kiezaktivist/innen besetzten die Räume. Damit begann die Geschichte der ersten unabhängigen Mieterberatung Ostdeutschlands.

Mit was habt Ihr Euch damals beschäftigt?

Eine der ersten Tätigkeiten war die Vorbereitung des dritten Bürgerforums. Bei den Bürgerforen handelte es sich um von unten organisierte Beratungsrunden, die sich mit den Alltagsfragen der Bewohner/innen des Bezirks befassten. An ihnen nahmen auch Vertreter/innen des Rats des Stadtbezirks teil. Die neue Initiative bemühte sich um Antworten von den politisch Verantwortlichen und trat ihnen gegenüber unter dem Namen Unabhängige Bürgerinitiative (UBI) Friedrichshain auf. Die UBI etablierte sich schnell als ein akzeptierter Ansprechpartner zwischen Bürger/innen und Bezirksrat. Weitere Bürgerforen wurden initiiert und Probleme am Runden Tisch bürgernah behandelt. Parallel gründete sich in den Räumen der Bänschstraße die UBI Mieterladen. Sie baute mit zwei Anwälten, einer aus dem Osten und einer aus dem Westen, die erste offene Mieterberatung Ostberlins auf. 

Warum war das nötig?

Es gab Eigentümer im Ausland mit wenig Interesse an ihren DDR-Besitz, deren Häuser von der Firma Alscher notdürftig verwaltet wurden. Die Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) war für alle übrigen Häuser zuständig, also auch für jene mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen. Jede Wohnung hatte eine Nummer. Lauteten die ersten beiden Ziffern 62, bedeutete das ungeklärte Eigentumsverhältnisse. Da fast alle Wohnungen in Friedrichshain diese Nummern trugen, bedeutete das nichts Gutes für die Mieter/innen. Schnell traten die ersten selbsternannten Eigentümer/innen auf die Bühne und versuchten, bereits vor einer juristisch abgesicherten Rückübertragung Miete zu kassieren und fragwürdige Verträge abzuschließen. Die Mieter/innen waren Rechtlosigkeit und Willkür ausgesetzt. Dem konnten sie nur mit organisierter Selbsthilfe begegnen.

Wie kam es zur Kooperation zwischen Mieterladen und Berliner MieterGemeinschaft?

Nach der Wiedervereinigung durften unsere Anwält/innen aufgrund des bundesdeutschen Rechtsberatungsgesetzes nicht mehr kostenfrei beraten. Daher haben wir uns mit einer eher konservativen Mieterorganisation zusammengetan, aber nach 6 Monaten wieder getrennt, weil die Anwälte dort die sowieso begrenzten Möglichkeiten der Mieter/innen nicht ausreizten und Kanzleien auch Vermieter/innen vertreten. Dafür wollten und konnten wir ruhigen Gewissens unsere Freizeit nicht hergeben. Wir haben den Kontakt zur eher alternativen Berliner MieterGemeinschaft gesucht und offene Türen eingerannt. Die Bedingungen für Mieter/innen sind hier um einiges besser und wir fühlten uns gut aufgehoben, haben viele Jahre auch im Delegiertenrat mitgearbeitet.

Wann habt Ihr die jetzigen Räume bezogen?

Schon früh stellte sich heraus, dass die ehemaligen WBA-Räume in der Bänschstraße für die Büroarbeit nicht geeignet sind, weil sie feucht waren. 1997 konnte der Mieterladen schließlich in das Erdgeschoss der Kreutzigerstraße 23 im Friedrichshainer Südkiez umziehen. Es handelt sich dabei um das erste von der SOG e.G. (Selbstverwaltete Ostberliner Genossenschaft)gekaufte Haus. Die Miete war um einiges geringer und seit der Sanierung im Jahr 2001 hatten wir es nun warm im Winter, hell im Sommer und ganzjährig trocken. Das Angebot wurde ausgeweitet, obwohl die Zahl der Aktiven über die Jahre deutlich gesunken ist. Die Umbenennung des Vereins im Jahr 2002 in UBI KLIZ e.V. (Kommunikatives Leben in Zusammenarbeit) reflektierte die sich inzwischen etablierte Vielfalt unserer Arbeit. Doch unser Hauptaugenmerk liegt nach wie vor in der  Mieter/innen- und Sozialberatung.  

Warum spielt antifaschistische und antirassistische Arbeit im Mieterladen eine so zentrale Rolle? 

Von Anfang an war neben unserer Beratungsarbeit der Kampf  gegen die Neonazis für uns existentiell, weil wir selber davon betroffen waren. In den frühen 1990er Jahren fielen organisierte und teilweise bewaffnete Neonazis immer wieder in Friedrichshain ein, griffen linke Projekte an und jagten Menschen, die ihnen nicht passten. Ihnen musste etwas entgegengesetzt werden. Das geschah unter anderem durch den Aufbau einer antirassistischen Telefonkette, der Initiative gegen Rechts und seit 2009 durch eine unabhängige Erfassungsstelle für rechte, diskriminierende Vorfälle im Bezirk.  

Friedrichshain war in den frühen 1990er Jahren ein Zentrum der Hausbesetzungsbewegung. Welche Rolle spielte der Mieterladen dabei?

Wir waren Teil davon, weil wir ja auch unsere Räume in der Bänschstraße besetzt hatten. Als der Räumungsdruck immer stärker wurde, gründeten wir den Verein UBI Mieterladen und schlossen einen Mietvertrag ab. Dabei wurden wir von der Berliner Mietergemeinschaft unterstützt. Nach der rechtswidrigen Räumung der Häuser in der Mainzer Straße im November 1990 wurde eine Art Räumungsfeuerwehr eingerichtet, eine Telefonkette, die über Räumungsversuche informierte. Schließlich gab es damals weder Handys noch Internet. Im 1990 gegründeten Besetzerrat war der Mieterladen vermittelnd tätig, um so viele Häuser wie möglich zu legalisieren und so vor der Räumung zu bewahren. Nach dem Vorbild des Stadtteils Prenzlauer Berg gründeten wir auch in Friedrichshain das Aktionsbündnis „Wir bleiben alle“. Damit waren Besetzer/innen und Altmieter/innen gemeint. 1992 gründeten Besetzer/innen dann den Verein SOG e.V., der erfolgreich einige Häuser dem Markt entzogen hat.  

Welche weiteren politischen Aktivitäten gibt es aktuell im Mieterladen, und wie klappt die Zusammenarbeit mit Anwohner/innen und anderen aktiven Gruppen im Stadtteil?

Hier gibt es nach wie vor Treffen von Mieter/innen, wenn Ihre Wohnzimmer zu klein sind, regelmäßige Arbeitstreffen von Initiativen, wie das Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal. Immer wieder gibt es politische Ausstellungen im Mieterladen, denn wir sind wahrscheinlich auch die kleinste Galerie weit und breit. Gerade stellt Irmela Mensah-Schramm in ihrer Ausstellung „Hass vernichtet“ aktuelle Workshoparbeiten „Mit bunten Farben gegen braune Parolen“ von Kindern und Jugendlichen aus dem ganzen Bundesgebiet aus, die von Januar bis März 2024 entstanden sind. Wir arbeiten mit den Bündnissen „Zwangsräumung verhindern“, „Eigenbedarf kennt keine Kündigung“, „Padowatch“ und verschiedenen Initiativen aus dem Mietenwahnsinnbündnis zusammen. Wir sind aktiv im Begleitausschuss der Partnerschaften für Demokratie im Bezirk und auf anderen Ebenen gut vernetzt.

Welche Probleme habt Ihr im Mieterladen?

Seit rund 15 Jahren sind wir nur noch zu viert. Das ist ein echtes Problem. Wir haben es nicht geschafft, neue Leute an uns zu binden. Interessierte gibt es zwar immer wieder, wenn es aber darum geht, langfristig und zuverlässig mitzuarbeiten und das auch noch ohne irgendeine Form von Aufwandsentschädigung, sondern im wahrsten Sinne des Wortes ehrenamtlich, dann hat sich das schnell wieder erledigt. Trotzdem mischen wir noch überall mit, unterstützen bestehende Initiativen oder bringen neue mit auf den Weg. Das Netzwerk ist groß. Wir sind ein guter Multiplikator und versuchen alle Anfragen und Bitten umzusetzen.

Welches Resümee ziehst Du aus 35 Jahren Mieterladen? Im November werden wir 35 Jahre alt und blicken auf eine bewegte Geschichte zurück, die sicher auch nicht so schnell zu Ende geht. Solange die politischen und sozialen Verhältnisse so menschenfeindlich bleiben, müssen auch wir weiter machen, egal wie. So einfach ist das.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Peter Nowak.