Interview zu der Durchsuchung bei dem Freiburger Radiosender Dreyeckland

Deutschland: Juristische Fallstricke des Staatsschutzes

2017 – nach dem G20-Gipfel in Hamburg – hatte das deutsche Bundesinnenministerium die auch von Linksradikalen genutzte internet-Plattform. Die Webseite wurde daraufhin vom Netz genommen, 2020 aber ein Archiv der Webseite neu veröffentlicht. In diesem Kontext fand nun eine Durchsuchung bei dem Freiburger Radio Dreyeckland statt, weil der Sender auf seiner Webseite, das Archiv verlinkte. Radio Dreyeckland ist das älteste Freie Radio in der Bundesrepublik. Aus diesem Anlass sprach Peter Nowak mit Detlef Georgia Schulze. Schulze hatte bereits 2020 das Archiv nicht nur verlinkt, sondern sogar gespiegelt. linksunten.indymedia verboten.

Frage: Am 17. Januar wurden die Redaktionsräume und die Wohnungen zweier Redaktionsmitglieder des Freiburger Senders „Radio Dreyeckland“ durchsucht. Anlass war, dass im Sommer 2022 in einem Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland das Archiv der 2017 vom Bundesinnenministerium als „Verein“ verbotene internet-Zeitung linksunten.indymedia verlinkt wurde. Sie hatten Ihrerseits bereits 2020 das Archiv nicht nur verlinkt, sondern sogar eine Kopie des Archivs auf einer eigenen Webseite veröffentlicht1. Wie ist es Ihnen danach ergangen? Gab es auch bei Ihnen eine Durchsuchung?  …

Schulze: Nein, bei mir gab es keine Durchsuchung. Aber auch gegen mich wurde irgendwann ein Ermittlungsverfahren wegen Verstosses gegen das sog. Vereinsverbot eingeleitet, was mir aber erst im April 2022 mitgeteilt wurde. 

Frage: Wie erklären Sie sich, dass es bei Ihnen keine Durchsuchung gab? 

Schulze: Nun ja, die Staatsanwaltschaften in Berlin und Karlsruhe (die Karlsruher war für die Durchsuchung bei dem Freiburger Sender zuständig) müssen sich nicht notwendigerweise einig sein – schon gar nicht beim Vorgehen im Detail. 

Aber eine Erklärung könnte vielleicht sein, dass die Freiburger Beschuldigten anscheinend – wie ich Ihrem Artikel in der taz von Freitag entnehme2 – auf die auch ihnen zugegangene Mitteilung der Einleitung des Ermittlungsverfahrens nicht reagierten. 

Ich wurde zwar ebenfalls vorgeladen und bin ebenfalls nicht hingegangen, aber habe mit einem Brief, den ich auch öffentlich verbreitet habe, auf die Einleitung des Ermittlungsverfahrens geantwortet habe. – In dem Brief habe ich mich ausdrücklich zu der Archiv-Spiegelung, die ich auch schon 2020 öffentlich mitgeteilt hatte (auch der Berlin-Brandenburger Medienanstalt), bekannt – und die Legalität meiner „Tat“, die meines Erachtens keine Straftat ist, beansprucht. 

Frage: Und inwiefern erklärt das die Durchsuchung? 

Schulze: Ich kann zwar nicht in den Kopf des in Karlsruhe zuständigen Staatsanwaltes oder der zuständigen Staatsanwältin schauen – aber ich habe eine Vermutung: 

Vielleicht hatte die Staatsanwaltschaft Angst, dass sich rdl am Ende versucht, darauf rauszureden, der Artikel sei gar nicht authentisch, sondern die Webseite sei gehackt worden – sodass dann naheliegend wäre, dass die Staatsanwaltschaft versucht, sog. „objektive Beweismittel“ (Dateien usw.) mittels der Durchsuchung zu sichern. (Auch dies wäre allerdings etwas paranoid seitens der Staatsanwaltschaft – rdl und die Beschuldigten wissen ja schon seit Monaten von dem Ermittlungsverfahren – und haben den Artikel trotzdem nicht von ihrer Webseite gelöscht. Offensichtlich halten auch sie ihr Tun für legal.) 

Eine ganz andere Vermutung wäre: Vielleicht hoffte die Staatsanwaltschaft, aufgrund der örtlichen Nähe von rdl zu dem vermeintlichen Sitz (ebenfalls Freiburg) der früheren BetreiberInnenstruktur von linksunten.indymedia bei rdl Hinweise auf die Mitglieder der früheren BetreiberInnenstruktur finden zu können… 

Frage: Sie sagten gerade: „meine ‚Tat‘, die […] keine Straftat ist“ – das ist ziemlich selbstbewusst, angesichts dessen, dass immerhin (in Ihrem Fall) das Landeskriminalamt Berlin und (in dem Freiburger Fall) die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sehr wohl der Ansicht sind, dass es sich um eine Straftat handelt… 

Schulze: Ich denke, ich habe auch allen Grund zu Selbstbewusstsein. Denn seit 2017 gibt es immer noch keine inhaltliche Überprüfung des Verbotes durch auch nur ein einziges Gericht. Zwar hatten diejenigen, denen die Verbotsverfügung 2017 als vermeintliche „Vereinsmitglieder“ zugestellt worden war, gegen das Verbot geklagt. Aber da das Bundesverwaltungsgericht in langjähriger Rechtsprechung3 der Auffassung ist, dass gegen Vereinsverbot nur die Vereine selbst, aber nicht deren Mitglieder klagen dürfen, hat das Bundesverwaltungsgericht gar nicht erst geprüft, ob die Verbotsgründe des Artikel 9 Absatz 2 BRD-Grundgesetz im Falle von linksunten.indymedia bzw. deren früheren HerausgeberInnen-Kreises tatsächlich vorliegen. 

Alles andere, was seit 2017 in diesem Zusammenhang an gerichtlichen Beschlüssen – z.B. wegen Durchsuchungen – ergangen ist, beruht allein auf der Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums (und dem Umstand, dass diese vom Bundesverwaltungsgericht nicht unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens der Verbotsgründe überprüft worden ist). Hinzukommt, was die aktuellen Verfahren anbelangt: Die früheren BetreiberInnen sind jedenfalls mit der Tätigkeit, die zu dem Verbot führte, nicht mehr aktiv. Auf der praktischen Ebene war das Bundesministerium erfolgreich: Es ist ihm gelungen, das künftige Erscheinen eines Mediums trotz Pressefreiheit und Zensurverbot zu unterbinden – und auch noch ein gerichtliche Überprüfung zu vermeiden! 

Es ist nicht einmal klar, welche Personen 2020 das Archiv wieder zugänglich machten – also auch nicht, ob es der frühere HerausgeberInnen-Kreis gemeinsam, einzelne Leute daraus oder ganz andere Leute, die sich die Daten vor dem Verbot aus dem Netz gezogen hatten, war(en). 

Der § 85 des deutschen Strafgesetzbuches, auf dem sich Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Karlsruhe berufen, spricht von Unterstützung des „organisatorischen Zusammenhalt[s] oder [… der] weitere[n] Betätigung“ verbotener Vereinigungen. – Wie soll denn bitte sehr die Betätigung und der „organisatorische Zusammenhalt“ einer Vereinigung, die jedenfalls der Weise, auf die sich Verbotsbegründung zu stützen versuchte, gar nicht mehr aktiv ist, heute noch in strafrechtlich relevanter Weise unterstützt werden?! 

Wenn die früheren linksunten-HerausgeberInnen heute zusammen ein Bier trinken gehen, ist das legal – und wenn ich dabei wäre und die Rechnung übernehmen würde, wäre das ebenfalls legal (und keine Unterstützung einer verbotenen Vereinigung)! – Genauso war es auch legal, wenn z.B. 1961 Mitglieder eines Kreisverbandes der 1956 für verfassungswidrig erklärten KPD zusammen Kegeln gingen, aber nicht mehr im alten Sinne politisch aktiv waren.4 

Frage: Wollen Sie mich veräppeln?! Das Archiv von linksunten.indymedia ist doch weder eine Liste von Biersorten noch eine Anleitung zum Kegelsport! 

Schulze: Ja, das ist schon richtig. Aber bei dem § 85 Strafgesetzbuch geht es ja nicht um die politischen Inhalten als solches (die in den Bereich der geistigen Freiheit – des Denkens und Meines fallen), sondern um eine Unterstützung einer Vereinigung. Mit der vermeintlich oder tatsächlich besonderen Gefährlichkeit bzw. Gruppendynamik werden Vereinigungs- und Parteienverbote in der BRD gerechtfertigt.5 Die Freiheit des Denkens und Meinens – und auch der Presse – bleibt (jedenfalls: angeblich) in voller Schönheit – des deutschen Idealismus – bestehen: „Der Einzelne wird nämlich nicht betroffen, soweit er selbst bestimmte politische Ziele anstrebt und vertritt. Es wird ihm nur verwehrt, dies durch Förderung einer verfassungsfeindlichen Organisation und der ihr eigenen Wirkungsmöglichkeiten zu tun. Sein Handeln wird gefährlich durch die von der Organisation ausgehende Wirkung. […]. Hierfür reicht es nicht aus, wenn der Aussenstehende gleiche Ansichten wie die verbotene Partei vertritt. Zwar wird in der Regel die Wirkungsmöglichkeit der Organisation verstärkt werden, wenn von ihr typisch verfolgte Ziele auch von anderer Seite propagiert werden. Wenn jemand an andere mit diesen Ansichten in Schriften und Reden herantritt, kann die Haltung der Angesprochenen in einer Richtung beeinflusst werden, die es der verbotenen Organisation erleichtert, selbst Einfluss zu nehmen. Das Parteiverbot soll jedoch nur den Gefahren vorbeugen, die von der Verfolgung der Ideen in organisierter Form ausgehen. Wollte man die fast nie ganz auszuschliessende Rückwirkung auf die verbotene Organisation zum Anlass nehmen, solche Meinungsäusserungen schlechthin zu verbieten, dann würde damit in die Meinungsfreiheit des Einzelnen in einer nicht zumutbaren und auch nicht durch den Zweck des Parteiverbots gerechtfertigten Weise eingegriffen. […]. Ist nach den vorstehenden Darlegungen die Äusserung bestimmter politischer Ideen verfassungsrechtlich zulässig, so kann es nicht darauf ankommen, welcher Willensrichtung die Äusserungen entspringen, d.h. ob der Aussenstehende damit die verbotene Organisation fördern wollte oder nicht. Das Parteiverbot soll nur objektive Gefahren abwehren.“ (BVerfGE 25, 44 – 64 [56 f. = DFR-Tz. 47 – 49]; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv025044.html#057; das, was das BVerfG dort zu Parteiverboten sagt, gilt entsprechend für Vereins-/Vereinigungsverboten) 

Die vermeintlich oder tatsächlich hochgradig staatsgefährdende Vereinigung ‚BetreiberInnenkreis von linksunten.indymedia‘ (der im übrigen von dem von dem BetreiberInnenkreis betriebenen Medium zu unterscheiden ist – auch dies verkennen die Karlsruher Justizbehörden, das Landeskriminalamt Berlin und auch das Bundesinnenministerium!) existiert mit seiner von der Bundesrepublik Deutschland inkriminierten Tätigkeit nicht mehr. 

Folglich haben wir es – jedenfalls heute – nicht mehr mit einer organisierten politischen Tätigkeit, sondern nur mit zeitgeschichtlichen, geistigen Inhalten zu tun, die straflos dokumentiert werden dürfen – genauso wie bereits in den 1980er und 90er Jahren Schriften der RAF sowie Briefe von Gefangenen aus der RAF aus den 1970er Jahren legal dokumentiert werden durften – und sogar in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, die Parole „BRD verrecke – die RAF soll wieder bomben“ ausgegeben durfte, ohne mit letzterem noch eine (existierende) „terroristische“ Vereinigung zu unterstützen. 

Frage: Jetzt werden Sie doch aber sehr spitzfindig, oder? 

Schulze: Zumindest nicht spitzfindiger als der Bundesgerichtshof6, die Oberlandesgerichte insseldorf7 und Schleswig8 sowie das Bayerische Oberste Landgericht9. 

Frage: Was sagen diese Gerichte denn? 

Schulze: Nehmen wir z.B. das Bayerische Oberste Landgericht. Dieses sagte 1997: „Nach diesem klaren Gesetzeswortlaut setzt das Werben für eine terroristische Vereinigung die objektive Existenz nicht nur irgendeiner, sondern gerade einer solchen Vereinigung voraus, die nach den im Gesetz aufgeführten Merkmalen als terroristisch gekennzeichnet ist.“ (BayObLG, Beschl. v. 27. 11. 1997 zum Az. 3 St 3–97) 

Nun ist eine terroristische Vereinigung i.S.d. § 129a des deutschen StGB10 etwas anderes als eine Vereinigung i.S.v. § 85 des deutschen Strafgesetzes, aber das Verhältnis zwischen dem Werben bzw. unterstützen einerseits und der jeweiligen Vereinigung andererseits ist dasselbe: Unterstützt werden kann nur eine Vereinigung, die existiert; geworben werden kann nur für eine Vereinigung, die existiert. Noch mehr als der Werbungsakt bedarf der Unterstützungakt einer ‚Empfängerin‘ / einer Nutzniesserin – nämlich der Vereinigung, die unterstützt wird. Existiert aber diese nicht (mehr), so kann sie auch nicht (mehr) unterstützt werden. – Das ist logisch unabweisbar.

Interview: Peter Nowak

Fussnoten: 

1 Damals: http://www.links-wieder-oben-auf.net/archiv/index.html; nunmehr: https://web.archive.org/web/20200317101152/http://www.links-wieder-oben-auf.net/archiv/index.html. Siehe auch: https://web.archive.org/web/20200314005205/http://links-wieder-oben-auf.net/. 

2 „Fabian Kienert erklärte gegenüber der taz, dass er im letzten Jahr eine Vorladung der Polizei erhalten hatte, um zum Vorwurf des Verstosses gegen das Vereinsgesetz Stellung zu nehmen. Er habe den Termin nach Rücksprache mit Jurist*innen nicht wahrgenommen. ‚Ich verspürte kein Bedürfnis, mich über meine redaktionelle Arbeit mit dem Staatsschutz auszutauschen‘, erklärte Kienert.“ (https://taz.de/Razzia-bei-Freiburger-Alternativradio/!5906653/) 

3 Das Leipziger Landdogma und der wirkliche Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz, in: de.indymedia vom 30.01.2020; https://de.indymedia.org/node/62412: „Schon seit Jahrzehnten – schon zu der Zeit, als das Bundesverwaltungsgericht seinen Sitz noch nicht in Leipzig hatte (insofern ist die Artikel-Überschrift etwas ungenau) – vertritt das Bundesverwaltungsgericht das Dogma: Nur Vereine seien gegen Vereinsverbote klagebefugt“. 

4 Vgl. BGHSt 20, 287 – 292 (289): „Geht der Zusammenhalt ehemaliger Mitglieder zwar auf ihre frühere Zugehörigkeit zu der Partei usw. zurück, beruht er aber nicht mehr auf ihrem Willen, Ziele zu verfolgen, die zum Verbot geführt haben, sondern auf persönlichen Beziehungen (Freundschaften, geselliger Verkehr usw), so fehlt es am ‚organisatorischen‘ Zusammenhalt.“ („geselliger Verkehr“: z.B. kegeln, Bier trinken). 

5 Vgl. zur ‚Gefährlichkeit‘ vereinsförmiger Organisierung als Grund von Vereinsverboten und Organisationsdelikten: • in Bezug auf Art. 9 GG: „Ein gleichgesinnte Gemeinschaft ist bedrohlicher als Individualität.“ (Löwer, in: von Münch / Kunig, Grundgesetz. Bd. 1, 20126, Art. 9, RN 1; s.a. RN 48: „gesteigerte Gefährlichkeit kollektiver Verwirklichung strafbaren Tuns“.)
• in Bezug auf § 86 StGB 1997: „Ein die Pönalisierung legitimierendes Gefährdungspotential der in § 86 bestraften Verhaltensweisen folgt aus ihrem Organisationsbezug – also letztlich mittelbar aus der Gefährlichkeit der Organisation, […].“ (Becker, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2013, § 86 RN 1)
• in Bezug auf § 90a StGB 1964: Erst „organisierten Verfassungsfeinden“ kommt die „erhöhte Gefährlichkeit zu, die den Gesetzgeber zur Schaffung der Strafdrohung veranlasst hat.“ (BGHSt 20, 45 – 61 [54] – Hv. hinzugefügt). 

6 BGH, Beschl. v. 04.08.1995, Az.: StB 31/95; https://research.wolterskluwer-online.de/document/88b87273-bb83-4599-a487-8123311817f9, Tz. 10 f. – zu Schriften der RAF. 

7 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.11.1994 zum Az. VI 8/94, in: OLGSt 14, April 1996, Nr. 2 zu StGB § 129a – ebenfalls zu (denselben) Schriften der RAF. 

8 OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.1987, in: NStE 1988, H. 3, Bl. 33 (Vorderseite) – Bl. 34 (Rückseite). 

9 BayObLG, Beschl. v. 27. 11. 1997 zum Az. 3 St 3–97, in: NJW 1998, 2542 – 2544. 

10 Fassung, die zur Zeit der Tat, über die das Bayerische Oberste Landesgericht zu entscheiden hatte, galt: https://lexetius.de/StGB/129a,7.