Schweizer Querfront

Die kleine Kommunistische Partei der italienischen Schweiz hat sich als Bündnispartner die tranationalistische türkische Vatan Partisi auserkoren und betreibt auch sonst eine krude antiimperialistische Querfrontpolitik.

»Wir sind nicht sektiererisch«, betonte Massimiliano Ay Anfang Juli in einem Interview mit der linken Schweizer Zeitung Vorwärts. Der Generalsekretär der italienischsprachigen Kommunisten in der Schweiz und Tessiner Kantonsrat verteidigte damit die Bündnispolitik seiner orthodoxen Kleinstpartei, die bei vielen Schweizer Linken auf Kritik stößt. Denn die Kommunistische Partei der italienischen Schweiz hat die ultranationalistische türkische Vatan Partisi (Vaterlandspartei) im vergangenen Jahr zur befreundeten Schwester­organisation erklärt. Auf dem zehnten Parteitag der Vatan Partisi in Ankara im März dieses Jahres nahm Ay als einziger Gast aus Europa teil. In seiner Ansprache drückte er »seine tiefe Bewunderung für die Fähigkeit der Vatan Partisi aus, die Radikalität in den Ideen mit der konkreten Analyse der gege­benen Realität in der Türkei zu verbinden«.

Die Vatan Partisi hat ihre Wurzeln in der maoistischen Szene der sechziger und siebziger Jahre. Über mehrere Etappen und Namensänderungen wandelte sie sich zu einer ultranationalistischen Organisation. Bestimmend ist mittlerweile der türkische Patriotismus. Führende türkische Armeeangehörige gehören zu den aktiven Parteimitgliedern, darunter der ehemalige Oberst der Gendarmerie, Hasan Atilla Uğur, der stolz bekundet, an Massakern in den kurdischen Gebieten beteiligt ­gewesen zu sein. Auch der ehemalige türkische Verteidigungsminister Barlas Doğu ist Mitglied der Vatan Partisi. Der Parteivorsitzende Doğu Perinçek wurde 2007 wegen Leugnung des Völkermords an den Armeniern in der Schweiz zu einer Geldstrafe verurteilt, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte 2013 jedoch, ­Perinçeks Aussagen über den Genozid fielen unter das Recht auf Meinungsfreiheit und bestätigte dieses Urteil erneut 2015.

Im Gespräch mit der Zeitung Vorwärts verteidigte Ay die Kooperation mit den Ultranationalisten und bekannte sich zu einer starken, ungeteilten Türkei. »Die USA instrumentali­sieren einige ethnische Gruppen, um die Nationalstaaten zu destabilisieren und ihre Hegemonie aufzuzwingen«, meint Ay eine auch bei europäischen Rechtsextremen beliebte antiamerikanische Verschwörungstheorie.

Zu den Partnern der von Ay propagierten nichtsektiererischen Bündnispolitik gehören außerdem die libane­sische Hizbollah und die Syrische Kommunistische Partei, die dem Diktator Bashar al-Assad die Treue hält. Auch die Vatan Partisi steht zu Assad. Während der türkischen Parlamentswahlen 2015 statteten Vertreter der Partei dem Diktator einen »offiziellen Besuch der Solidarität und Freundschaft« ab. Die Jugendorganisation der Vatan Partisi, TGB, erklärte kürzlich: »Seit sechs Jahren kämpft die syrische Bevölkerung unter Führung von Bashar al-Assad gegen die imperialistischen Machenschaften der USA und des Westens.«

Wie ihre Bündnispartner haben auch die Tessiner Kommunisten mit Klassenkampf und Marxismus längst nichts mehr zu tun. Stattdessen propagieren sie nationalistische Ziele: »Unsere Partei glaubt an die friedliche Kooperation zwischen souveränen Nationen und dass sich die Schweiz den aufkommenden Staaten Asiens öffnen muss, um ihre Wirtschaft zu diversifizieren und so unabhängiger vom atlantischen Markt zu werden«, erklärte Ay im Vorwärts.

Die Bündnispolitik der Partei wird von vielen Schweizer Linken heftig ­angegriffen, etwa von der Bewegung für den Sozialismus (BfS). Die in trotzkistischer Tradition stehende Gruppe kritisiert die Querfrontpolitik und den verkürzten Antiimperialismus. »So ­unversöhnlich, wie es auf den ersten Blick aussieht, stehen sich rechteund wie linke Auffassungen in Fragen des Selbstverständnisses als aktivistische Avantgarde, des zu ›einenden Volks‹ und der Verteidigung der eigenen nationalen Souveränität allerdings gar nicht gegenüber«, so ein BfS-Mitglied zur Jungle World. Die Querfrontorien­tierung der Tessiner Kommunisten könnte in der Schweizer Linken Anlass zur Diskussion über Nationalismus und verkürzten Antiimperialismus geben.

https://jungle.world/artikel/2017/32/schweizer-querfront

Peter Nowak

In ständiger Alarmbereitschaft

Ein neuer Band beschreibt den teils zermürbenden Alltag in der ostdeutschen Autonomen Antifa. Einige Gruppen gab es schon in der DDR

»Warnung, Neonazis auch in der DDR«, lautete der Text auf einem Flugblatt, das in den Morgenstunden des 5. November 1987 in ganz Potsdam verklebt wurde. An der Rückseite des Potsdamer Filmmuseums erinnert noch heute ein schwarzer Rahmen an die Aktivitäten der Autonomen Antifabewegung in der DDR.

Fast 30 Jahre später…

„In ständiger Alarmbereitschaft“ weiterlesen

„Lernunfähig beim Umgang mit Erwerbslosen“

GESCHICHTE Bei der Sensibilität mit NS-Opfern gibt es noch viel zu tun, meint Anne Allex vom „Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute“

An den Rand gedrückt
■ Der Arbeitskreis „Margina­lisierte gestern und heute“ widmet sich der Geschichte der Entrechtung und Verfolgung von Menschen, denen das Stigma „asozial“ angeheftet wurde. www.marginalisierte.de

Anne Allex
■ arbeitet als Dozentin für So­zialrecht und hat vor zehn Jahren „Marginalisierte gestern und heute“ mitbegründet. Kürzlich hat sie den Band „Sozialrassis­tische Ver­folgung im deutschen Faschis­mus“ heraus­ gegeben, einen
Überblick über die Gedenkarbeit für als asozial oder kriminell stig­matisierte Menschen im NS.

taz: Frau Allex, wieso haben Sie als Aktivistin der Erwerbslosenbewegung, die sich gegen die Einführung von Hartz IV engagierte, vor zehn Jahren den „Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute“ mitbegründet?
Anne Allex: Erwerbslosen wurde im deutschen Faschismus grundsätzlich „Arbeitsscheue“ unterstellt. Das intendierte einen „Hang zum Verbrechen“. Ich engagiere mich auch aus persönlicher Betroffenheit. Meine Großeltern wurden im Nationalsozialismus zur Zwangsarbeit bei Osram und beim Reichsautobahnbau gezwungen.

Wo sehen Sie die Bezüge zur Gegenwart?
In der deutschen Geschichte wurde Erwerbslosen durchgehend die Schuld an ihrer Situation in die eigenen Schuhe geschoben. Schon vor 1933 führte das dazu, dass Menschen als asozial stigmatisiert und ins Arbeitshaus gesteckt wurden. Die Faschisten wollten Erwerbslose als „Minderwertige“ ausrotten. Die mörderische Politik endete 1945. Danach wurde in der BRD die Zwangsarbeit im Bundessozialhilfegesetz beschönigend „Hilfe zur Arbeit“ genannt. Seit 2005 kennen wir Zwangsarbeit nach der Definition der International Labour Organisation in Form der „1-Euro-Jobs“. Deutschland erweist sich im Umgang mit Erwerbslosen seit mehr als einem Jahrhundert als lernunfähig.
Warum fordert der Arbeitskreis Marginalisierte einen Gedenkort im ehemaligen Arbeitshaus Rummelsburg?
Die ehemaligen Rummelsburger Arbeitshäuser sind wegen ihrer heute 138-jährigen Geschichte diffamierender Ausgrenzung vorwiegend Einkommensarmer ein idealer Ort zur Dokumentation, Begegnung und für Studien- und Forschungsarbeit.

Hatten Ihre Bemühungen Erfolg?
Das Bezirksamt Lichtenberg hatte 2013 einen Wettbewerb für die Gestaltung eines Gedenkorts ausgelobt. Doch tragen wir die aktuelle Konzeption nicht mit. Unser Hauptkritikpunkt besteht darin, dass die Verfolgung als „asozial“ stigmatisierte Menschen im Nationalsozialismus und die politische Verfolgung in der DDR im selben Atemzug genannt werden. Auch die Gestaltung der drei Stelen, mit denen der als „asozial“ Verfolgten gedacht werden soll, steht unserem Anliegen einer kritischen Auseinandersetzung mit NS- Täterbegriffen diametral entgegen. Wir haben deshalb Ende 2013 den Kreis verlassen, der das Gedenkkonzept begleitet.

Haben Sie bezüglich des Gedenkorts Rummelsburg noch Forderungen an den aktuellen Berliner Senat?
Ja, in einem Polizeihaus und einem Verwaltungsgebäude des ehemaligen Arbeitshauses könnte ein Gedenkort entsprechend unserer Vorstellungen eingerichtet werden. Wir fordern den Senat auf, in diesem Sinne aktiv zu werden.


Welches Resümee ziehen Sie aus der zehnjährigen Arbeit des Arbeitskreises Marginalisierte?

Es ist ein ernüchterndes Resümee. Mangelndes Einfühlungs- vermögen in die NS-Opfer und der Unwille, sich mit NS-Postulaten auseinanderzusetzen, zeigten sich sogar bei Gedenkveranstaltungen.

Ein Beispiel?
Auf die Stolpersteine, mit denen an die NS-Opfer erinnert werden soll, schreiben Gunter Demnig und die Stolpersteinkoordi- nierungsstellen Hamburg und Berlin vermeintliche Charaktereigenschaften, die von den Na- zis unterstellt wurden. So steht auf einigen der Steine „Asozial“ oder „Gewohnheitsverbecher“.

INTERVIEW PETER NOWAK

aus: TAZ.DIE TAGESZEITUNG, DIENSTAG, 15. AUGUST 2017

Rollentausch am Dragonerareal

Studierende spielen die Akteure am wichtigen Stadtentwicklungsprojekt nach

Auf den ersten Blick schien es, als hätten sich am Sonntagnachmittag auf dem Dragonerareal in Kreuzberg potenzielle Interessenten von Eigentumswohnungen eingefunden. Eine junge Frau schwärmte in der Diktion einer Maklerin von den »600 bis 700 Wohnungen auf historischem Boden«, die dort entstehen sollten. Doch die Reaktionen der rund 40 Zuhörerinnen und Zuhörer, die lachten und applaudierten, zeigten, dass es sich um etwas anderes als eine Verkaufsveranstaltung handeln müsse.
Die junge Frau ist Architekturstudentin an der Technischen Universität Berlin und hat dort ein Seminar des Chair for Urban Design besucht. In diesem Rahmen hatten sich Studierende gemeinsam mit der Dozentin Katharina Hagg im vergangenen Semester unter dem Titel »Jargon der Stadt« mit der Frage beschäftigt: »Wer spricht wie über das Dragonerareal?« Am Sonntag stellten die jungen Akademikerinnen und Akademiker ihre Ergebnisse vor Ort vor. Eingeladen hatte sie die Initiative »Stadt von unten«, deren jahrelangen Aktivitäten es zu verdanken ist, dass auf dem Dragonerareal keine hochpreisigen Eigentumswohnungen entstehen.

Mit verteilten Rollen trugen die Studierenden vor, wie sich welche Akteure zum Dragonerareal äußern. Investoren und Makler war eine der Gruppen, die auf diese Weise zu Wort kamen. Auch die Polizei erhielt eine Stimme, ebenso wie die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), die bundeseigene Grundstücksverwertungsgesellschaft. Ziel war es, die Beziehung zwischen Individuum, Gruppe und Raum sichtbar zu machen und dadurch die eigenen Einflussmöglichkeiten zu erkennen.

Im März 2015 hatte die BImA das Gelände an Mehringdamm und Obentrautstraße für 36 Millionen Euro an den Wiener Investor Dragonerhöfe GmbH verkauft. Vor allem auf öffentlichen Druck hin wurde dann die Rückabwicklung des Verkaufs angepeilt. Der 36-Millionen-Euro-Deal ist bisher aber noch nicht rückabgewickelt worden. Im Zuge des im Mai dieses Jahres unterzeichneten Hauptstadtvertrages zwischen Berlin und dem Bund soll das knapp fünf Hektar große Gelände an das Land gehen.

Ab September sollen Stadtaktivisten nun über die Zukunft des Dragonerareals mitentscheiden. Doch vertreten sie auch alle Anwohner? Diese Frage wurde im Anschluss an die Vorführung gemeinsam mit den Studierenden diskutiert. Eine Anwohnerin fühlte sich von der akademischen Sprache, die in den Debatten vorherrsche, ausgeschlossen.

Kontrovers wurde auch über den Begriff Dragonerareal diskutiert. Dieser wurde unter anderem von der Immobilienwirtschaft verwendet, um aus der geschichtlichen Bedeutung des Ortes mehr Profit schlagen zu können. Ein Diskussionsteilnehmer erinnerte an Fakten, die bei der Geschichtsbetrachtung ausgeblendet würden. Am 11. Januar 1919 seien sieben unbewaffnete Parlamentäre, die sich während der Januarkämpfe an der Besetzung der Redaktionsräume SPD-Zeitung »Vorwärts« beteiligt hatten, auf dem Dragonerareal von Freikorpssoldaten misshandelt und dann ermordet worden. Rund 100 Jahre nach den ungesühnten Morden soll im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Dragonerareals auch über die Einrichtung eines Gedenkortes verhandelt werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1060600.rollentausch-am-dragonerareal.html

Peter Nowak

Wie viel Verantwortung trägt die Trump-Administration an der rechten Gewalt in den USA?

Die Proteste von Neonazis in Charlottesville in dem Bundesstaat Virginia sorgen in der US-Politik für große Aufregung

Die US-Bundespolizei FBI hat die Ermittlungen zu der tödlichen Auto-Attacke in der Stadt Charlottesville übernommen (siehe Trumps rechter Anhang rastet aus[1]). Der Fall werde als möglicher Verstoß gegen die Bürgerrechtsgesetze behandelt, teilte das FBI am Samstagabend mit. Als Verdächtigen hat die Polizei den 20-jährigen James Alex Fields Junior in Gewahrsam genommen. Er soll sein Auto vorsätzlich in eine Gruppe von Menschen gesteuert haben, die gegen eine Kundgebung von rechtsextremen und teils rassistischen Gruppen in Charlottesville protestiert haben. Dabei wurde eine 32 Jahre alte Frau getötet.

Mittlerweile wächst die Kritik an US-Präsident Trump, der in einem Tweet die Gewalt von „verschiedenen Seiten“ verurteilt hat. Bemerkenswert ist dabei, dass sich Politiker der Demokraten und der Republikaner gegenüber Trump so kritisch äußern[2], wie es in Deutschland nur Antifa-Gruppen tun. So betont der ultrarechte Politiker Marco Rubio, dass es sich um einen „Terrorakt“ handele[3], einen Begriff, den er sonst immer im Zusammenhang mit islamistischer Gewalt verwendet.

Der dienstälteste republikanische Senator Orrin Hatch sagte:[4] „Wir müssen das Übel beim Namen nennen. Mein Bruder hat nicht sein Leben im Kampf gegen Hitler gegeben, damit Nazi-Gedankengut hier zu Hause ohne Widerstand akzeptiert wird.“

Doch nicht alle Konservativen haben bisher auf einer solchen Firewall zur offen neonazistischen Szene bestanden.


NRA ruft zum Bürgerkrieg auf

So sorgen Videos[5] der mächtigen Waffenlobbyorganisation NRA[6] in liberalen Medien[7] für starke Kritik. Sie werfen der NRA vor, damit auf ihren Bürgerkrieg gegen Trump-Gegner vorzubereiten. In den kurzen Videos ist die bekannte Radiomoderatorin Dana Loesch in ihrer Funktion als NRA-Sprecherin zu sehen. Sie spielt eine Fernsehansagerin, die die rechte Sicht auf die aktuellen Zustände in den USA wiedergibt. Ihre Stimme klingt dringlich und soll den Ernst der Situation verdeutlichen: Über die Trump-Gegner behauptet Loesch:

Sie nutzen ihre Medien, um die wahren Nachrichten abzutöten. Sie nutzen ihre Schulen dazu, den Kindern beizubringen, dass ihr Präsident ein neuer Hitler ist. Sie setzen ihre Filmschauspieler, ihre Sänger, ihre Comedy-Shows und Preisverleihungen dazu ein, um dieselbe Leier permanent zu wiederholen.

Dana Loesch
Dann werden Fotos und Filmaufnahmen von militanten Protesten eingeblendet, die wiederum von Loesch kommentiert werden: „Und dann lassen sie ihren Ex-Präsidenten den Widerstand gutheißen.“ „Diese Demonstranten“, so Loesch weiter, „schlagen Schaufensterscheiben ein, setzen Autos in Brand, blockieren Autobahnen und Flughäfen, mobben und terrorisieren gesetzestreue Bürger“.

Wenn dann die Polizei ihren Job macht und diesen Irrsinn stoppt, „benutzen sie das als Rechtfertigung für ihre Gewalttätigkeit“. Deshalb schlussfolgert Loesch, „sei der einzige Weg, dies zu stoppen und unser Land und unsere Freiheit zu retten, gegen diese Gewalt der Lügen mit der geballten Faust der Wahrheit zu kämpfen“. Die Videos enden mit der Aufforderung: „Schließen Sie sich uns an – klicken Sie auf den Link, um uns beizutreten“ und der Parole: „Ich bin die National Rifle Association von Amerika, und ich bin der sicherste Hort der Freiheit“.

Diese Videos werden nach wie vor von der NRA gegen liberale Kritik verteidigt. Bei der NRA handelt es sich um eine Massenorganisation, zu der alle konservativen Politiker in einem guten Verhältnis stehen wollen. Dazu gehören auch Rubio und Hatch, die sich jetzt stark vom ultrarechten Rand abgrenzen.

„Der rechtsextreme Wahn ist zu einer Massenbewegung geworden – und sein höchster Repräsentant sitzt im Weißen Haus“

Warum Trump Schwierigkeiten hat, sich zumindest verbal eindeutig von diesen Kreisen wird deutlich, ist klar. Ohne sie wäre er heute nicht Präsident. Er hat es schließlich immer wieder verstanden, rechtskonservative und offen extrem rechte Inhalte zusammenzubringen und zu vernetzen.

„Faschistische Gruppen und rechtsesoterische Sekten, die in einer solchen selbstgebastelten Parallelwelt leben, gibt es schon lange. Nun aber ist der rechtsextreme Wahn zu einer Massenbewegung geworden – und sein höchster Repräsentant sitzt im Weißen Haus“, schrieb[8] der Außenpolitik-Redakteur der Jungle World schon einige Wochen vor dem rechten Aufmarsch in Virginia.

Damit ist Trump in der Rolle, die in Deutschland die AfD spielt, deren Erfolg wesentlich auch darauf beruht, rechte Konservative, Neoliberale und offene Rechtsextreme, die sich bisher aus dem Weg gegangen sind, zu vereinen. Dass es dabei um ein widersprüchliches Verhältnis geht, zeigt der beständige Streit in der AfD.

Immer geht es um die Frage, welche Teile des ultrarechten Randes für die Partei noch oder nicht mehr akzeptabel sind. Genau diese Debatte wird nun auch in den USA nach Charlottesville an Intensität zunehmen. Da sich in den USA die Rechte aber nicht in einer Partei, sondern vor allem über soziale Netzwerke organisiert, bei denen es schwieriger ist, zu kontrollieren, wer dazu gehören soll und wer nicht, dürfte der Streit darum auch in Zukunft weitergehen.

Trump wird die Frage möglichst offenlassen. Schließlich baut auf dieses Bündnis, das von der NRA bis weit in die extreme Rechte reicht, sein Wahlerfolg auf.

Querfront-Buchladen in Neukölln hatte keinen Erfolg

Auch in Deutschland gibt es für die rechte Grasroots-Bewegung Interesse. In Berlin-Neukölln versuchte der Buchladen Topics[9] die rechte Szene auch aus den USA zu Diskussionen einzuladen. In der linksliberalen Umgebung stieß er dabei nicht auf Zustimmung und schließlich musste er wegen der Abwanderung der Kunden schließen[10].

Doch konservative[11] und liberale[12] Medien verbreiteten darauf die Fake News, von angeblich intoleranten Antifaschisten, die einen nonkonformistischen Laden in den Ruin getrieben hätten.

Der behauptete Boykott von Antifagruppen aber hat nie existiert. Es sind einfach die Kunden weggeblieben, die keinen Buchladen mit rechten Ambitionen unterstützen wollten. Da hätten doch alle zufrieden sein müssen, dass zumindest in Neukölln eine Querfrontbuchhandlung noch nicht überleben kann. Daran merkt man, dass man auch hierzulande keine funktionierende Firewall gegen Rechtsaußen gibt, mögen sich jetzt auch alle über Trump und seine Bündnispartnern aufregen.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-viel-Verantwortung-traegt-die-Trump-Administration-an-der-rechten-Gewalt-in-den-USA-3798921.html

Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3798921

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Trumps-rechter-Anhang-rastet-aus-3798882.html
[2] https://www.nzz.ch/international/gewalt-bei-rassistenaufmarsch-in-charlotteville-ich-lege-die-verantwortung-fuer-vieles-was-sie-heute-in-amerika-sehen-direkt-vor-die-haustuer-des-weissen-hauses-ld.1310514
[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/charlottesville-ivanka-trump-verurteilt-rassisten-a-1162689.html
[4] https://twitter.com/senorrinhatch/status/896486793083842560?ref_src=twsrc%5Etfw&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.nzz.ch%2Finternational%2Fgewalt-bei-rassistenaufmarsch-in-charlotteville-ich-lege-die-verantwortung-fuer-vieles-was-sie-heute-in-amerika-sehen-direkt-vor-die-haustuer-des-weissen-hauses-ld.1310514
[5] https://www.facebook.com/NRA/videos/1605896562755373/?hc_ref=NEWSFEED
[6] https://home.nra.org
[7] http://www.huffingtonpost.com/entry/this-nra-recruitment-video-is-so-divisive-even-gun-owners-are-angry_us_5954e6c2e4b0da2c73217669
[8] https://jungle.world/artikel/2017/31/meine-welt-mein-praesident-meine-fakten
[9] http://www.topics-berlin.com
[10] https://jungle.world/artikel/2017/31/mit-nazis-reden
[11] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/vortrag-ueber-juliuas-evola-wenn-die-brave-hipness-gekapert-wird-15122062.html
[12] http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlin-neukoelln-buchladen-schliesst-nach-attacken-von-links/20096078.html

Energetische Sanierung zunehmend in der Kritik

Eine empirische Kurzstudie des Berliner Mietervereins bestätigt Sorgen von Mietern

Wacht auf Verdammte dieser Erde“, lautete die Parole einer Protestaktion von Mieterinitiativen und der Politsatiregruppe Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen[1] vor einigen Monaten. Damals wurde in einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen, dass immer mehr Mieter in der „energetischen Sanierung“ in erster Linie ein Instrument der Hauseigentümer sehen, die Miete zu erhöhen und Mieter zu vertreiben. Nun haben sie die Bestätigung durch eine Studie[2] des Berliner Mietervereins[3] erhalten.

Anhand von knapp 200 Modernisierungsankündigungen hat der Berliner Mieterverein in den Zeiträumen 2012 bis 2013 und 2015 bis 2016 die aufgewendeten Baukosten nach Art der Maßnahme sowie die Mietentwicklung nach der Modernisierung untersucht. Der durchschnittliche Mietenanstieg um 2,44 €/qm bzw. 186,37 € absolut im Monat bedeutet – gemessen an der durchschnittlichen ortsüblichen Vergleichsmiete im Mietspiegel 2015 – einen Anstieg von fast 42 %.

Die Nettokaltmiete steigt im Schnitt nach den Ergebnissen der Kurzstudie von 4,73 €/qm im Monat auf 7,14 €/qm im Monat. „Die Modernisierung ist aus dem Ruder gelaufen“, kritisiert der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild.

Energetische Sanierung gut für die Eigentümer – nicht für die Umwelt

Die Studie bestätigt, was viele Mieter nicht nur in Berlin[4] seit Jahren beklagen. Die energetische Sanierung ist das Einfallstor für Mieterhöhungen und für die „Schleifung des Mietrechts“. Doch die Studie gibt den Kritikern noch in einem weiteren Punkt Recht.

In den untersuchten Fällen haben sich trotz energetischer Maßnahmen im Jahr nach der Modernisierung die Heizkosten nicht verringert. Die Vermieter verlangen weiterhin die alten Vorauszahlungen, offenkundig weil sie der vermuteten Energieeinsparung und damit auch der Heizkostenersparnis nicht trauen. Nur bei einer sehr kleinen Fallzahl konnte anhand von Heizkostenabrechnungen vor und nach der Modernisierung die tatsächliche Reduktion des Energieverbrauchs ermittelt werden.

Für Kurt Jotter vom Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen sind die Befunde der Studie nicht überraschend. Er hat seit Jahren seine oft satirische Kritik an der energetischen Sanierung geäußert, die durchaus nicht immer auf Zustimmung stieß. Schließlich wird eine Maßnahme, die vorgeblich im Namen der Umwelt geschieht, gerne von Umweltverbänden und den Grünen verteidigt – auch wenn sie letztlich der Umwelt gar nicht nützt. So wirbt der BUND noch immer mit dem Slogan „Je besser die Dämmung, desto besser der Klimaschutz“[5].


Die Mieter sollen die Energiewende bezahlen

„!ch habe ja diesen ganzen neoliberalen Irrsinn mit der energetischen Sanierung schon bei seiner Entstehung miterlebt – als ich zwischenzeitlich für die Energiewende und Solar in Brandenburg Freiflächen akquiriert habe“, begründet Jotter gegenüber Telepolis seine besondere Sensibilität diesem Thema gegenüber. Das Duo Merkel/Rösler habe Agrarflächen für Solar gesperrt, die Förderungen radikal gekürzt und schließlich fast die gesamte Solarindustrie zerschlagen[6], moniert Jotter, der damals erarbeitete Provisionen in beträchtlicher Höhe verloren hat.

„Die ‚Volksenergie‘ Solar war den vier herrschenden Energie-Konzernen ein Dorn im Auge – ebenso wie ihrem neoliberalen Regierungs-Duo“, ist Jotter heute überzeugt und sieht einen Zusammenhang zu den nun in der Kritik stehenden energetischen Sanierung: „Als die Verdrängung von Solar aus dem Erneuerbaren Energie-Mix offensichtlich war, fragten Journalisten sichtlich erregt auf der Bundespressekonferenz Merkel und Rösler: Wie bitte sollt denn nun ohne Solar die Energiewende noch gelingen? Die beiden wie aus der Pistole geschossen: Das kompensieren wir mit energetischer Sanierung und dämmen in ganz Deutschland die Wände. Die Gesetze wurden dann so umgestaltet, dass dies letztlich nicht die Hausbesitzer traf, sondern nur die Mieter, die – durch diese Zwangsgesetzgebung völlig entrechtet – ganz allein die Zeche zahlen müssen. Es wurde auch noch ausgebaut zum Vielfach-Renditebringer und zur Melkkuh für die internationalen Investoren.“

Dabei sind die Mieter nach einer Kasseler Untersuchung deutschlandweit nur zu 7% an dem Co2-Ausstoß beteiligt! Wann kommen solche „Zwangsgesetze“ für die restlichen 93 % der Umweltverschmutzer? Das fragen sich auch immer mehr Mieter und auch bei Gericht gibt es erste Erfolge.

Pankower Urteil ermutigt Mieter

Sie stützen sich dabei auf eine Gerichtsentscheid, das als Pankower Urteil[7] bei kritischen Mieterinitiativen Beachtung gefunden hat. Anfang 2015 sprach eine Amtsrichterin in Deutschland einer Mietpartei erstmals gleiches Recht zu, wie es auch für Hauseigentümer gilt: das Recht auf Wirtschaftlichkeit bei energetischen Modernisierungsmaßnahmen[8].

Die Beklagten haben […] nicht die Dämmung der Fassade zu dulden … Erst nach ca. zwanzig Jahren würde erstmals die Umlage niedriger sein als die eingesparte Heizenergie. Da kann von einer modernisierenden Instandsetzung aber nicht mehr die Rede sein […].

Pankower Urteil
Nach Auffassung des Gerichts können die Beklagten die Unwirtschaftlichkeit der Maßnahme „bereits im hiesigen Duldungsverfahren einwenden“, so der Tenor des Pankower Urteils. .

Abschaffung des § 559 gefordert

In der Kritik von Mieterorganisationen steht der mit dem Mietrechtsänderungsgesetz 2013 eingeführten Modernisierungs-Paragraph § 559 BGB[9], der die Mieterhöhungen bei energetischen Sanierungen und die Einschränkung der Mieterrechte legitimiert. Mieteraktivisten fordern die Abschaffung dieses Paragraphen und haben im Internet eine Petition[10] dazu gestartet.

Sie verweisen darauf, dass der Paragraph gegen Urteile des Bundesverfassungsgerichts verstößt, wonach Vermieter und Gesetzgeber keine „Regelungen“ treffen dürfen, die das Bestandsinteresse des Mieters gänzlich missachten oder unverhältnismäßig beschränken.

Es wäre wünschenswert, wenn das Thema einen solchen gesellschaftlichen Stellenwert bekäme, dass sich auch die Parteien im Bundestagswahlkampf dazu positionieren müssten. Schließlich sind ja Mieter ein stark umworbenes Klientel. Beim Paragraphen § 559 BGB müssten die Parteien nun zeigen, was die schöne Rhetorik wert ist.

https://www.heise.de/tp/features/Energetische-Sanierung-zunehmend-in-der-Kritik-3798624.html

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bizim-kiez.de/blog/initiativenthemen/buero-fuer-ungewoehnliche-massnahmen/
[2] http://www.berliner-mieterverein.de/downloads/pm-1725-modernisierung-bmv-kurzstudie.pdf
[3] http://www.berliner-mieterverein.de/presse/pressearchiv/pm1725.htm
[4] http://www.taz.de/!t5424124/
[5] https://www.bund-naturschutz.de/oekologisch-leben/energie-sparen/energetische-sanierung.html
[6] http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/zerschlagung-solar-millennium-verkauft-flagsol-anteile/6850544.html
[7] https://pankowermieterprotest.jimdo.com/2017/03/28/pankower-urteil-es-geht-weiter
[8] https://pankowermieterprotest.jimdo.com/2015/02/23/urteil-des-amtsgerichts-pankow-wei%C3%9Fensee-fassadend%C3%A4mmung-ist-unwirtschaftlich/
[9] https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__559.html
[10] https://www.change.org/p/bundestag-abschaffung-der-bgb-vorschriften-%C3%BCber-mieterh%C3%B6hungen-nach-modernisierungen-2c1505f0-9859-43cc-9ab8-e5ef3c363e10#share

Aufstand der Outgesourcten

Wohin führt der Arbeitskampf der Serviceangestellten der Berliner Charité?

Wie hält es der von der SPD, den Grünen und der LINKEN gestellten Berliner Senat mit ihren Wahlversprechen? Schließlich haben alle drei Parteien im Wahlkampf mehr oder weniger klar eine Absagte an prekäre Beschäftigungsverhältnisse versprochen. Nun sorgen die Beschäftigten der Beschäftigten der Charité-Servicetochter CFM dafür, dass das Thema nicht von der Tagesordnung verschwindet. In den letzten Monaten sind sie immer wieder in Warnstreiks getreten. Die CFM organisiert an der Charité unter anderem die Reinigung, den Krankentransport sowie die Küchen. Ver.di begrüßt die Ankündigungen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller zur Tarifentwicklung bei der CFM. Müller hatte sich in einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 6. Juni  2017 im Grundsatz zur Angleichung der Löhne bei der CFM an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bekannt. Das ist die zentrale Forderung der Gewerkschaft. „Zu den Kosten und dem zeitlichen Verlauf einer Tarifanpassung erklärte der Regierende Bürgermeister:  „Das ist eine Menge Geld. Es wird also dauern, auf dieses Niveau zu kommen.“  Damit kann die Angleichung weit hinausgeschoben werden. Kalle Kunkel betont im Gespräch mit dem ak, dass seine Gewerkschaft in diesem Punkt kompromissbereit wäre und nicht auf eine sofortige Umsetzung der Lohnangleichung bestehen würde. Doch noch ist überhaupt nicht klar, ob es überhaupt zu den Gesprächen kommt. Anders als der Regierende Müller hat der Berliner Finanzsenator Kollartz Ahnen auf einer öffentlichen Veranstaltung einer Angleichung der Löhne der CFM-Mitarbeiter_innen auf das Niveau des Tarifvertrags des Öffentlichen Dienstes eine Absage erteilt.
Für Verdi geht es jetzt darum zu klären ob Müllers Wort oder das seines Kassenwarts gilt. Nur ist es keine besonders komfortable Ausgangslage für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik, eine vage Zusage nach Angleichung an den Tarifvertrag ohne klare zeitliche Vorgabe schon als Erfolg auszugeben. Das macht aber auch die Schwierigkeiten und Probleme einer kämpferischen Interessenvertretung in Zeiten des Outsourcings deutlich. Schließlich kämpfen die CFM-Kolleg_innen seit fast 10 Jahren für die Lohnangleichung.

„Zeigt Eure Solidarität“
Das Dilemma, in dem sich die Kolleg_innen befinden, wird in einem Plakat deutlich, das sich unter der Überschrift „Was (nicht) tun, im Streik der CFM“ an, die anderen Berufsgruppen von Streikbrecher_innenarbeit abhalten will. „Zeigt Eure Solidarität. Wir sind ein Betrieb“, heißt es am Schluss. Kalle Kunkel ist mit der Resonanz nicht unzufrieden, würde sich aber eine größere Unterstützung wünschen. „Die CFM-Beschäftigten bestreiken faktisch die anderen Berufsgruppen wie Ärzt_innen und Pfleger_innen. Das macht die Solidarisierung nicht einfach.“ Dabei hat die Charité bundesweit mit einen anderen Arbeitskampf für große Aufmerksamkeit gesorgt. Nach mehrjähriger Vorbereitung und einer großen Mobilisierung begann im Juni 2015 ein unbefristeter Streik des Pflegepersonals. Dabei wurde erstmals ein Arbeitskampf um mehr Personal geführt. In den Intensivstationen wurde ein Personalschlüssel von einer Pflegekraft auf zwei Patient_innen, für die Normalstationen von eins zu fünf in den Tagschichten gefordert. Im Nachtdienst sollte keine Pflegekraft allein arbeiten.
Im Arbeitskampf der Charité wurden neue Streiktaktiken ausprobiert, die bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen, weil es bisher wenig Erfahrung damit gab, wie Druck in einer Klinik ausgeweitet werden kann, ohne dass die Patient_innen darunter leiden müssen. Die Taktik des «Leerstreikens» von Betten wurde in der Charité erstmals erfolgreich angewandt. Bemerkenswert war auch, dass sich die Kolleg_innen und engagierte Gewerkschafter_innen schon frühzeitig in mit Gruppen der außerparlamentarischen Linken vernetzten, die dann den Arbeitskampf unterstützten. Das Interesse an dem Themenfeld Carerevolution, das nach einer gleichnamigen Konferenz im Frühjahr 2014 in Berlin stark gewachsen war, hat die Bündnisarbeit erleichtet. Es ging in dem Arbeitskampf auch darum, die Carearbeit aufzuwerten und dazu konnten am Beispiel der Charité Bündnisse zwischen Beschäftigen, Patient_innen und außerparlamentarischen Linken geschlossen werden. Schließlich ging auch die Dienstleistungsgewerkschaft verdi an der Charité neue Wege und experimentierte erstmals mit Tarifberater_innen, einen Zusammenschluss von Aktiven einzelnen Stationen. Nach diesem Modell organisieren sich auch Kolleg_innen an saarländischen Kliniken, die sich ebenfalls für eine personelle Entlastung einsetzen. An der Charité ist allerdings mittlerweile Ernüchterung über die Ergebnisse des Tarifabschlusses zur Personalaufstockung eingekehrt. Der Ruf nach der einem Kampfzyklus werden laut. In diese Situation streiken Charité die CFM-Beschäftigten, ein anderer Personenkreis mit völlig anderen Tarifverträgen, die auch gesellschaftlich längst nicht eine solche Unterstützung wie die Pflegekräfte haben. So ist ihr Arbeitskampf nicht nur für die Gewerkschaften sondern auch für die außerbetrieblichen Unterstützer_innen eine Probe aufs Exempel, ob es möglich ist, in einer total zerklüfteten Tariflandschaft Solidarität zwischen den unterschiedlichen Beschäftigten zu erreichen.

aus Analyse und Kritik Juni 2017

https://www.akweb.de
Peter Nowak

Kleine Gewerkschaften diskutieren über Israel-Boykott

Kleine linke Basisgewerkschaften stehen in Deutschland der BDS-Kampagne kritisch gegenüber

»Gewerkschaften stehen heute an vorderster Stelle bei der Verteidigung der Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Freiheit«, heißt es in einem Aufruf, in dem Gewerkschaften in aller Welt zu einem ökonomischen, kulturellen und akademischen Boykott Israels aufgefordert werden. Lediglich sieben der 340 im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) zusammengeschlossenen Organisationen haben diesen Aufruf der BDS-Bewegung, wie die Bewegung für »Boykott, Desinvestition und Sanktionen« abgekürzt wird, unterstützt. Sie vertreten allerdings über 12 Millionen Menschen. In diesem Jahr schlossen sich der wichtige tunesische Gewerkschaftsdachverband UGTT und der größte norwegische Gewerkschaftsverband LO der Boykottbewegung an, die 2005 gestartet wurde.

Damals riefen über 170 palästinensische Organisationen die internationale Gemeinschaft auf, Waren und Unternehmen aus Israel zu boykottieren, Investitionen abzuziehen und Sanktionen zu verhängen, bis das Land internationalem Recht nachkomme und die Menschenrechte der Palästinenser achte. Für sie ist Israel ein Apartheidstaat. Und wie einst Südafrika soll daher auch Israel boykottiert werden.

Der DGB lehnt die Forderung strikt ab und verweist auf die enge Kooperation mit dem israelischen Gewerkschaftsverband Histradut. Noch nicht entschieden ist die Frage jedoch bei kleinen linken Basisgewerkschaften wie der Freien Arbeiterunion (FAU), die noch eine Position suchen.

Bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin kritisierte die Bloggerin und Aktivistin Detlef Georgia Schulze die Einseitigkeit der BDS-Bewegung. Im Kampf zwischen zwei nationalen Bewegungen positioniere sie sich auf einer. So sei auffällig, dass es dort keine Kritik an der gewerkschafsfeindlichen Politik der Hamas gebe. Der israelische Gewerkschaftsbund Histradut hingegen werde von der BDS-Kampagne als Teil des israelischen Staates bezeichnet und heftig angegriffen. Für die Überwindung von Nationalismus, Klassen- und Geschlechterwidersprüchen leiste der Boykott keinen Beitrag.

Auch Marc Richter von der internationalen Basisgewerkschaft IWW sieht die Kampagne kritisch, wobei er einräumt, dass das Thema intern heftig umstritten ist. Aus Sicht des Bremer Aktivisten begünstigt der Boykott »Entsolidarisierung und Spaltung in der Arbeiterbewegung«. Vor allem in den USA hat die Bewegung jedoch starke Unterstützung. Ähnlich positionieren sich Basisgewerkschaften in Spanien, Italien und Frankreich. Anhänger der BDS-Bewegung im Publikum, die auf ihren T-Shirts für ein »freies Palästina« warben, betonten, dass mit dem Boykott UN-Beschlüsse und Menschenrechte durchgesetzt werden sollen.

Andere Anwesende sehen diese Aufgabe eher bei Menschenrechtsorganisationen als bei Gewerkschaften. Als Alternative zu einem Boykott wollen sie die Kooperation mit gewerkschaftlichen Organisationen in der Region suchen, die Lohnabhängige unabhängig von der Nationalität organisieren. Vor 20 Jahren hatte der Arbeitskreis Internationalismus bei der Berliner IG Metall Basisgewerkschaften aus Israel eingeladen, in denen die Nation keine Rolle spielt. Solche Kooperationen sind heute schwieriger geworden. Das liege aber nicht allein an der Politik Israels, wurde auf der Veranstaltung betont. Der Druck auf Gewerkschaften im Gazastreifen wie auch in der Westbank sei gewachsen.

Ein aktuelles Beispiel für binationale Solidarität kommt nun ausgerechnet aus dem von der BDS-Kampagne kritisierten israelischen Dachverband. Histradut hat ein Abkommen mit dem palästinensischen Gewerkschaftsbund PGFTU geschlossen. Er überweist diesem seither die Hälfte der Mitgliedsbeiträge von Palästinensern, die legal in Israel arbeiten. Damit will man die palästinensischen Gewerkschaften stärken und unabhängig machen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1060192.kleine-gewerkschaften-diskutieren-ueber-israel-boykott.html

Peter Nowak

Besetzer und Bewacher

Von wegen unmöglich: Die Besetzung einer ehemaligen Fabrik sorgt in Berlin für Diskussionen. Eine Räumung des von der Polizei und einem Sicherheitsdienst belagerten Areals wird vorerst durch die Berliner Gesetzeslage verhindert.

»Für Events aller Art können zwischen einer und vier Etagen sowie der gesamte Gartenbereich genutzt werden. Die oberen Etagen bieten einen einzigartigen Blick bis zum Alexanderplatz und auf die Treptower.« Die Homepage der Alten Teppichfabrik auf der Stralauer Halbinsel in Berlin ist noch zu finden. Der Ort war in den vergangenen Jahren eine gute Adresse für Partys und andere Freizeitvergnügen. Doch ein Disclaimer informiert: »Die Alte Teppichfabrik steht nicht mehr als Event­location zur Verfügung.«

Das heißt jedoch nicht, dass rund um die Alte Teppichfabrik nichts mehr los wäre. Seit einigen Wochen ist das Areal zum Ort politischer Auseinandersetzungen geworden. Mitglieder des Netzwerks »Recht auf Stadt« zogen dort ­bereits vor Monaten ein, ohne dass Polizei und Medien zunächst davon erfuhren. Als die Polizei vor einigen Wochen erstmals in das besetzte Haus ­eindrang, hatte sie keine rechtliche Handhabe für eine Räumung. Denn die Frist von 24 Stunden, während derer ein Haus oder Grundstück nach den Vorgaben der »Berliner Linie« geräumt werden kann, war längst verstrichen. Es lag auch noch keine Räumungsklage des Eigentümers vor, geschweige denn ein Räumungsbeschluss.

Einen Eigentümer gibt es. Die »Freier Besitzgesellschaft mbH« mit Sitz in Rottendorf bei Würzburg (Bayern) hat das Grundstück Medienberichten und Aussagen der Besetzer zufolge gekauft. Geschäftsführer des Unternehmens ist unter anderem Bernd Freier, der Gründer sowie Eigner des Bekleidungsunternehmens S. Oliver. Er verfügt der Liste des Wirtschaftsmagazins Forbes zufolge über ein Privatvermögen von 2,2 Milli­arden US-Dollar. Die Neuerwerbung auf dem Berliner Immobilienmarkt sorgt jedoch für unvorhergesehene Probleme. Ende Juli versuchte Freier vergeblich, sich mit Hilfe eines Sicherheitsdienstes Zugang zum Grundstück und Gebäude der ehemaligen Fabrik zu verschaffen. Die hinzugerufene Polizei nahm die Personalien derjenigen auf, die sich auf dem Grundstück aufhielten. Doch nachdem sich der zuständige Einsatzleiter vergewissert hatte, dass sich die neuen Bewohner schon vor längerer Zeit dort niedergelassen hatten, musste er dem Neueigentümer mitteilen, dass eine Räumung ohne gerichtliche Klage nicht möglich sei.

»Wir haben uns ein leerstehendes Gebäude angeeignet und stören so den reibungslosen Ablauf der Gentrifizierung.« Ein Besetzer

Seitdem belagern Polizei und Sicherheitsdienst von allen Seiten das Areal. Ein Polizeisprecher sagte der Jungle World, eine Hundertschaft sei an Ort und Stelle, um zu verhindern, dass weitere Unterstützer der Besetzer auf das Areal gelangten – um Zuwachs werde auf ­linken Internetseiten in jüngster Zeit häufig gebeten. Die jungen Männer, die angestrengt in den Garten der ehemaligen Teppichfabrik blicken, in dem sich mittlerweile Pflanzen aller Art ausbreiten, sind nicht sehr gesprächig. Sie gehören zum Kuhr-Sicherheitsdienst, der vom neuen Eigentümer angeheuert wurde. Der Leiter des Unternehmens, der ehemalige Kickboxer Michael Kuhr, wird im Berliner Kurier als der Mann beschrieben, der die Besetzer in Schach halten soll. Dort gibt sich Kuhr als harter Hund. Er würde die Angelegenheit gern »schnell und unkompliziert« erledigen: »Raus mit den Jungs und fertig.« Jedoch gelobt er, sich an die lästigen Gesetze zu halten und »keine Schlägerei mit diesen ulkigen Autonomen« anzuzetteln.

Seine Angestellten scheinen an der Teppichfabrik ohnehin andere Probleme zu haben. Selbst die Jogger, die hier täglich ihre Runden drehen, machen lautstark Witze über die Belagerung. »Wir sind hier um zu kontrollieren, wer das Gelände betritt und verlässt«, sagt ein Wachmann. Weitere Fragen wolle er nicht beantworten. Dass die Kontrollbemühungen von geringem Erfolg gekrönt sind, zeigt sich an Ort und Stelle. Plötzlich piepsen mehrere Funkgeräte und in die Reihen der ­Sicherheitsleute kommt Bewegung. Dann rasselt es im Gebüsch, zwei junge Männer springen über den Zaun und sprinten in Richtung des S-Bahnhofs. Einige Polizisten und mehrere Wachleute nehmen die Verfolgung auf. Doch nach wenigen Minuten kehren sie unverrichteter Dinge auf ihre ­alten Plätze zurück. »Das Katz-und-Maus-Spiel wiederholt sich mehrmals am Tag und dabei ist gar nicht so klar, wer hier die Katze und wer die Maus ist«, sagt ein ständiger Besucher der Alten Teppichfabrik, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er sei schon mehrmals unkontrolliert auf das Gelände gelangt und habe es ebenso ­verlassen, beteuert er.

Der neue Eigentümer scheint auf Zeit zu spielen. Nach Angaben des Berliner Landgerichts ist er bisher nicht wegen eines Räumungstitels vorstellig geworden. Möglicherweise hofft er, dass spätestens im Herbst die Motivation der Besetzer nachlässt, in dem schwer beheizbaren Gebäude auszuharren. Diese halten sich über ihre weiteren Pläne bedeckt. »Wir fordern nichts von der Politik oder dem Eigentümer. Wir haben uns ein leerstehendes Gebäude angeeignet und stören so den reibungslosen Ablauf der Gentrifizierung«, sagt ein neuer Bewohner. Angesichts der Rohbauten, die unmittelbar an das besetzte Areal heranreichen, scheint es allerdings zweifelhaft, ob dieser Ablauf tatsächlich gestört werden kann.

Dass in Berlin Menschen einfach ein Haus besetzen und die Behörden zunächst nicht einschreiten können, findet auch in der Mieterbewegung Beachtung, allerdings stört sich diese am subkulturell geprägten Gestus der Besetzer. Bereits im Herbst 2014 gab es in unmittelbarer Nähe der Alten Teppichfabrik, in der Gartenanlage Beermannstraße 24, einen Besetzungsversuch. Dort wehrten sich die letzten verbliebenen Mieter gemeinsam mit Klein­gartenbetreibern dagegen, der Autobahn A 100 weichen zu müssen. Weil ­jedoch zu wenige Unterstützer hinzustießen, mussten die Besetzer nach 24 Stunden aufgeben. Mittlerweile gehört das Areal zur Großbaustelle für die Erweiterung der Autobahn. Die involvierten Personen luden damals zu einer Veranstaltung zur Frage »Warum nicht wieder Häuser besetzen?« ein und wollten damit eine Diskussion über eine Aktionsform beginnen, die in ­Berlin nicht mehr möglich schien. Nun, drei Jahre später, gibt es wieder ein ­besetztes Gelände in Berlin.

https://jungle.world/artikel/2017/32/besetzer-und-bewacher

Peter Nowak

Kapitulation vor Antifeminismus?

Der Heinrich-Böll-Stiftung hat ihr Online-Lexikon „Agent*In“ vom Netz genommen. Ein Kommentar

Ein kritisches Lexikon zum Antifeminismus[1] wollte die grünennahe Heinrich-Böll- Stiftung[2] zur Verfügung stellen. Doch wer die Seite anklickt, erfährt nur, dass das Projekt zurzeit ruht. Dafür gibt es auf der Homepage der Heinrich-Böll-Stiftung eine Erklärung[3], die eine Kapitulation vor einer wochenlangen rechten Kampagne darstellt.

Dort heißt es:

In Abstimmung mit der Redaktion des Projekts hat der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung das Online-Lexikon „Agent*In“ vom Netz genommen. Die öffentlich und intern geübte Kritik am Format der „Agent*In“ hat uns deutlich gemacht, dass dieser Weg nicht geeignet ist, die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Antifeminismus zu führen. Wir bedauern sehr, dass durch die gewählte Form manche an antidemokratische Methoden erinnert werden und entschuldigen uns bei denjenigen, die sich möglicherweise persönlich verletzt fühlen.

Stellungnahme der Heinrich-Böll- Stiftung[4]
Offensive gegen Antifeminismus

Hier wird sich bei denen entschuldigt, die als bekannte Personen des Antifeminismus auf dem Wiki aufgeführt waren. Mitte Juli wurde er freigeschaltet und zeitgleich wurde eine Broschüre unter dem Titel „Gender raus“[5] publiziert. In einer Pressemitteilung[6], in der die Broschüre und das Wiki beworben wurden, heißt es:

Angriffe gegen Feminismus, Gleichstellungspolitik, sexuelle Selbstbestimmung, gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Geschlechterforschung haben stark zugenommen. Die gemeinsam vom Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebene Broschüre „Gender raus!“ Zwölf Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik bietet verständliche Argumente und Anregungen, wie antifeministische Behauptungen und Parolen entlarvt und richtiggestellt werden können. Das Online-Lexikon Agent*In (Information on Anti-Gender-Networks) informiert tiefergehend zu den Gruppierungen und Akteur*innen, die hinter diesen Angriffen und Parolen stecken. Die Agent*In ist als sogenanntes Wiki ein gemeinsames Projekt des Gunda-Werner-Instituts in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von feministischen Autor*innen. Lexikon und Broschüre ergänzen sich gegenseitig.

Pressemitteilung
Von ganz rechts bis in die liberale Mitte

Die Heinrich-Böll-Stiftung ist mit ihren Rückzug des Wikis den beteiligten Wissenschaftlern in den Rücken gefallen und hat einen Kniefall vor den antifeministischen Netzwerken gemacht, die Unterstützung von ganz rechts bis weit in die liberale Mitte bekommen haben. Denn viele derer, die im berechtigten Kampf gegen den Islamismus immer wieder die Frauenrechte hochhalten, wollen nichts davon hören, wenn es um Feminismus im eigenen Land geht.

So war die Freischaltung des Wiki auch begleitet von einer Kampagne, an der sich die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit ebenso beteiligt hat wie die rechtspopulistische Webseite Pi-News. Aber auch der liberale Tagesspiegel hat das Wiki – in einer Glosse – als „Verfassungsschutzbericht der Genderszene“[7] betitelt. Besonders empört den Tagesspiegel-Kommentator, dass auch ihr langjähriger Mitarbeiter Harald Martenstein auf dem Wiki aufgeführt war.

Dabei muss der doch stolz darauf gewesen sein. Schließlich hat er in der letzten Zeit keine Zeit und Mühe gescheut, um sich als erklärter Antifeminist zu gerieren. Seine neue rechte Tonlage pflegt Martenstein nicht nur in dem Kampf gegen den Feminismus[8]. Auch gegen Migranten und überhaupt gegen alles, was als links gilt, hat er sich immer wieder positioniert. Es ist natürlich sein Recht, sich als Antifeminist darzustellen. Das gilt auch für all die anderen Personen, die auf dem Gender-Wiki aufgeführt wurden. Aber warum die Aufregung, wenn all die Personen dann auch namentlich genannt werden?

Sie lassen doch sonst keine Talk-Show, keinen Kommentarplatz und kein Mikrophon aus, um ihre Thesen oft im Gestus des Tabubrechers öffentlich zu machen. Sie werden also mitnichten durch das Wiki in die Öffentlichkeit gezerrt. Im Gegenteil suchen sie die Öffentlichkeit.

Heinrich-Böll-Stiftung-Bündnispartner gegen rechts?

Wenn nun die Heinrich-Böll-Stiftung vor der rechten Kampagne in die Knie geht, ist das vor allem dem Wahlkampf zu schulden. Die Grünen sind längst in der Mitte angekommen und viele führende Politiker liebäugeln mit einen Bündnis mit der Union nach der Bundestagswahl. Nun sind aber einige der im Wiki aufgeführten Personen Mitglieder dieser Partei oder stehen ihr nahe.

Da passt es den Wahlstrategen gar nicht, sich in der Genderfront so deutlich zu positionieren. Mag die Böll-Stiftung auch formal von der Partei unabhängig sein, so wird die Partei natürlich für die Aktivitäten der parteinahen Stiftung mit in die Verantwortung genommen. So nimmt man nun in Kauf, dass durch den Kniefall vor der antifeministischen Kampagne feministische und gendersensible Kreise verprellt werden.

Schließlich bringen die nicht die nötigen Wählerstimmen. Für kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellt sich aber jetzt noch einmal mehr die Frage, was die Heinrich-Böll-Stiftung als Bündnispartner gegen reaktionäre Politik überhaupt taugt.

Sie mag schöne Erklärungen abgeben, doch wenn es ernst wird, und auch die liberalen Medien Kritik anmelden, knickt die Stiftung ein. Das zeigt sich an der Causa „Agent*In“ besonders deutlich. Publizisten wie Andreas Kemper[9] informieren auch ohne Unterstützung grünennaher Stiftungen seit Jahren über die antifeministische Szene. Kemper hat die Kampagne gegen das Wiki treffend kommentiert[10]:

Die Antifeminist*innen fühlen sich getroffen, nicht nur eine aufgeregte Streitmacht von bislang ca. dreißig konservativen Blogs und Foren kritisierten das Wiki, sondern auch Journalisten.

Andreas Kemper[11]
Die Freischaltung des Wiki war von Anfang an von heftiger Kritik bis weit in die liberalen Medien begleitet.

URL dieses Artikels:

Peter Nowak
http://www.heise.de/-3796346
https://www.heise.de/tp/features/Kapitulation-vor-Antifeminismus-3796346.html
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.gwi-boell.de/de/2017/07/17/neu-agentin-ein-kritisches-online-lexikon-zu-anti-feminismus
[2] https://www.boell.de/de)
[3] https://www.boell.de/de/2017/08/07/stellungnahme-des-vorstands-der-heinrich-boell-stiftung-zum-online-lexikon-agentin
[4] https://www.boell.de/de/2017/08/07/stellungnahme-des-vorstands-der-heinrich-boell-stiftung-zum-online-lexikon-agentin
[5] http://www.gwi-boell.de/de/2017/07/04/gender-raus-12-richtigstellungen-zu-antifeminismus-und-gender-kritik
[6] https://www.boell.de/de/2017/07/17/%20gender-raus-und-agentin-erschienen
[7] http://www.tagesspiegel.de/politik/feminismus-eine-art-verfassungsschutzbericht-der-gender-szene/20101430.html
[8] http://uebermedien.de/12163/harald-martenstein-macht-luegenpresse-vorwuerfe-salonfaehig
[9] https://andreaskemper.org
[10] https://andreaskemper.org/2017/07/25/zur-agentin-1-ein-online-lexikon-ist-ein-online-lexikon
[11] https://andreaskemper.org

Und sie macht nicht frei

Anne Allex im Gespräch über die »Arbeitsscheuen«- Verfolgung im Faschismus und zum Umgang mit Erwerbslosen damals wie heute

Vor zehn Jahren hat Anne Allex den »Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute« mitbegründet. Jetzt hat sie den Sammelband »Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus« herausgegeben, in dem eine erste Bilanz der Gedenkarbeit für als »asozial« und »kriminell« stigmatisierte Menschen im Nationalsozialismus (NS) gezogen wird. Mit ihr sprach Peter Nowak.

Ihr neuer Band gibt einen Überblick über das Gedenken an die im NS als »asozial« stigmatisierte Menschen. Warum war das Thema lange auch bei den politisch Verfolgten der Arbeiterbewegung tabu?
Die Wissenschaft »Rassenhygiene« trugen in der Weimarer Republik alle weltanschaulichen Strömungen. Daher gingen auch politisch Verfolgte der Ideologie des angeblich verschiedenen »Wertes der Menschen« auf den Leim. Dieses Phänomen der Teile-und herrsche-Politik ragte bis in die Strafgesetzgebung der DDR hinein.

In welcher Form beispielsweise?
Es gab den Paragrafen 249 im DDR-Strafgesetzbuch, der die Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten näher bestimmte. Dort wurde unterstellt, dass Personen sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzögen, obwohl sie arbeitsfähig sind.

Der Arbeitskreis »Marginalisierte« kooperiert mit der Lagergemeinschaft Ravensbrück, einst gegründet von Überlebenden der Frauenkonzentrationslager. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Die Lagergemeinschaft Ravensbrück hat sich seit ihrem Bestehen dafür eingesetzt, alle Lagerflächen für die Gedenkarbeit zugänglich zu machen. Sie unterstützen die Ansinnen der jungen Frauen der Uckermark-Initiative für einen Gedenkort an das KZ Uckermark seit Beginn. Als Arbeitskreis arbeiten wir mit beiden Organisationen gut zusammen. Für uns ist es immer wieder erfrischend, zu bemerken, dass wir als Kinder und Enkel von Verfolgten gleiche Gedanken und Empfindungen zur Zeitgeschichte und recht analoge Kritiken an den Institutionen entwickeln.

Sie waren ursprünglich Aktivistin der Erwerbslosenbewegung. Warum haben Sie vor zehn Jahren den »AK Marginalisierte gestern und heute« mitbegründet?

Erwerbslosen im deutschen Faschismus wurde grundsätzlich »Arbeitsscheu« unterstellt; das beinhaltete einen »Hang zum Verbrechen«. In der deutschen Geschichte wurde Erwerbslosen durchgehend die Schuld an ihrer Situation in die eigenen Schuhe geschoben. Das war bereits vor 1933 so, was sich beim Phänomen der sogenannten Arbeitshäuser zeigt. Die Faschisten wollten Erwerbslose als »Minderwertige« ausrotten. Nach 1945 wurde in der BRD die Zwangsarbeit laut Bundessozialhilfegesetz eingeführt, die verfälschend »Hilfe zur Arbeit« hieß. Seit 2005 kennen wir Zwangsarbeit – so nennt es auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO – in Form von »Ein-Euro-Jobs«. Deutschland erweist sich im Umgang mit Erwerbslosen seit mehr als einem Jahrhundert als lernunfähig. Breite Gesellschaftsteile unterstützen süffisant verletzende Diffamierungen Dritter, weil sie Sündenböcke brauchen. Mangelndes Einfühlungsvermögen und auch die Faulheit in der Auseinandersetzung mit den NS-Postulaten bei Gedenkverwaltungen zeigen dies.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Die Aufschriften auf Stolpersteinen Gunter Demnigs und der Stolpersteinkoordinierungsstellen Hamburg und Berlin deuten auf vermeintliche Charaktereigenschaften hin, die von den Nazis unterstellt wurden. Auch wurden 2016 an der Weltzeituhr am Berliner Alexanderplatz fünf Stolpersteine verlegt, die unter anderem »Vorbeugehaft« und »Arbeitshausaufenthalte« in Rummelsburg anführen.

Wo sehen Sie heute Kontinuitäten bei der Ausgrenzung von einkommensarmen Menschen?
Im abschätzigen Umgang mit Erwerbslosen sehe ich erschreckende Parallelen zu den Jahren ab 1924. Jobcenter versuchen die kläglichen Arbeitslosengeld-II-Leistungen zum Beispiel mit Sanktionen zu beschneiden, sie probieren auch, Personen mit Mitwirkungsregelungen aus dem Leistungsbezug zu kicken, in völliger Unkenntnis von Verwaltungsverfahren und aufgrund juristischer Fehlannahmen. Als gelegentlicher Beistand erlebe ich alle Facetten von Anmaßung, Kriminalisierung und Psychiatrisierung, dass mir die Haare zu Berge stehen.

Wo werden Ihre Schwerpunkte in nächster Zeit liegen?
Neben Buchpräsentationen denken wir im Arbeitskreis über die Weiterführung unserer Arbeit zum ehemaligen Berliner Arbeitshaus Rummelsburg nach. Gegenwärtig sind wir stärker mit anderen Verfolgtengruppen im Gespräch, um unser Wissen über »Asoziale« und »Kriminelle« in allen Organisationen, die sich mit Gedenkarbeit und dem Kampf gegen Faschismus beschäftigen, zu erweitern.

Anne Allex (Hg): Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus. Kinder, Jugendliche, Frauen als sogenannte »Asoziale« – Schwierigkeiten beim Gedenken, Verlag AG Spak, 2017, 447 Seiten, 28 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1059923.und-sie-macht-nicht-frei.html

Peter Nowak

Darf man noch mit der bolivarianischen Revolution solidarisch sein?

Der Druck auf die Linkspartei zeigt, wie eng die Grenzen derer sind, die immer eine offene Gesellschaft propagieren – Ein Kommentar

Die linksliberale Taz hat sich in den letzten Monaten besonders als Verteidigerin der Offenen Gesellschaft profiliert. Sie steht in Frontstellung einerseits zu den verschiedenen rechtspopulistischen Anwandlungen von Trump bis Erdogan. Aber genauso gegen alle Versuche, eine linke Alternative gegen die Rechten auch gegen den kapitalistischen Normalzustand zu finden.

Für einen solchen Ausweg stand seit 1998 Venezuela nach der Regierungsübernahme durch den Linksnationalisten Chavez. Nach einem Putschversuch und einem Unternehmerstreik radikalisierte sich ein Teil der bolivianischen Basis, aber auch deren Leitfigur Chavez. Er sprach sogar vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts, doch der Erfinder dieses Begriffes Heinz Dietrich will heute nicht mehr gerne an diese kurze Freundschaft mit der bolivarianschen Revolution erinnert[1] werden. Denn Venezuela hat heute nicht viele Freunde.

Die Linke will Helden ohne Fehl und Tadel

Die Zeit, als das Land als Wunschbild vieler Linker galt, sind lange vorbei. In den Zeiten, in denen das Land unter dem niedrigen Ölpreis leidet, die bolivarianische Bourgeoisie ihr hässliches Gesicht zeigt, das nicht zu dem Utopia linker Blütenträume passt, kurz: seit auch in Venezuela der linken Euphorie die Mühen der Ebene folgten, will man sich nicht mehr gerne als Freund der bolivarianischen Revolution outen.

Che Guevara wird ja auch nur deshalb so verehrt, weil er so jung starb wie angeblich einst Jesus und an Salvador Allende wird vor allem wegen seines Widerstands gegen die Putschisten erinnert. Über die linke Praxis schweigt man dann bei beiden eher, seien es die von Che Guevara verantworteten Hinrichtungen nach der kubanischen Revolution oder Allendes Schwanken zwischen einer reformistischen und einer revolutionären Politik. Die Linke will ihre Helden ohne Fehler und Widersprüche und ist da sehr christlich. Deswegen hat der Che -Guevara-Kult auch etwas sehr Religiöses. Da ist die Haltung der Linkspartei zu loben, die dem bolivarianischen Venezuela auch in schwierigen Zeiten die Solidarität nicht aufkündigt.

In ihrer auf dem letzten Parteitag verabschiedeten Resolution[2] wird an einige Aspekte erinnert, die heute in der Venezuela-Berichterstattung der meisten Medien kaum eine Rolle spielen. So heißt es dort:

Die gegenwärtige ökonomische und soziale Situation in Venezuela ist angespannt. Die Ursachen dafür liegen aber nicht vorrangig in Fehlern der Regierung Maduro, wie es viele Medien schreiben. Tatsache ist: Die venezolanischen Bourgeoise hat das chavistische Projekt nie akzeptiert, sie hat nie verwunden, dass Hugo Chávez ihr den Zugriff auf die Ölrente weggenommen hat, um mit ehrgeizigen Sozialprogrammen die Armut im Land zu bekämpfen. Ebenso hat sie es bis heute nicht geschafft, die Präsidenten Chávez und Maduro auf demokratischem Wege abzulösen. Der Putsch der Oligarchie von 2002 brach unter dem massiven Widerstand der ärmsten Teile der Bevölkerung und loyaler Militärs zusammen.

Die Linke

Kritische Fragen an die Freunde der bolivarianischen Revolution sind angebracht

Nun kann man sicher darüber streiten, ob in der Erklärung nicht die Verantwortung der venezolanischen Regierungen für die gegenwärtige Krise einen zu geringen Stellenwert einnimmt.

Warum ist Venezuela mehr als 15 Jahre nach Beginn der bolivarianischen Revolution noch immer so stark vom Erdöl abhängig? Warum gibt es keinen Kampf gegen die bolivarianische Bourgeoisie? Warum werden Kapitalisten noch immer in Venezuela hofiert? Warum wurden die ersten Ansätze von Rätestrukturen[3], wie sie der Publizist Dario Azzelini[4] sehr gut herausgearbeitet hat, nicht weiterentwickelt? Warum ist das Parlament, das sich zu einem Machtzentrum der Feinde der bolivarianischen Revolution geworden ist, nicht schon längst in die Schranken gewiesen worden? Und schließlich: Warum behandelt auch die gegenwärtige venezolanische Regierung, linke Kritiker der gegenwärtigen Entwicklung, die den bolivarianischen Prozess weiterentwickeln wollen genauso als Gegner wie die Rechten, die zurück zu den Zeiten vor Chavez wollen? Solche kritischen Frage wären an die zu stellen, die sich heute auf die Seite von Venezuelas Regierung stellen.

Dabei könnte an Gedanken des in der letzten Zeit leider verstummten exzellenten Kenners der bolivarianischen Revolution Azzelini angeknüpft werden, der bereits vor einigen Jahren die Probleme des Umgestaltungsprozesses benannt[5] hat:

In Venezuela wurde ein „Aufbau von zwei Seiten“ begonnen, der sowohl Strategien und Herangehensweisen „von unten“ wie „von oben“ umfasst. Also sowohl solche, die eher in der konstituierenden Macht, den Bewegungen, der organisierten Bevölkerung die zentrale Kraft der Veränderung sehen, als auch solche, die diese in der konstituierten Macht, im Staat und den Institutionen sehen.

Dario Azzelini
Daran anknüpfend wäre die Frage zu stellen, ob aktuell in Venezuela die Kräfte von unten noch korrigierend eingreifen und auch gegen die neue Bourgeoisie einen Kampf führen können.

In dieser Demokratie nicht angekommen?

Doch wenn der Inland-Redakteur der linksliberalen Taz Martin Reeh, der noch in den frühen 1990er Jahren selber noch auf der Suche nach Wegen jenseits der bürgerlichen Demokratie war, der Linkspartei wegen ihrer Venezuela-Resolution vorwirft, nicht im Club der Demokraten zu sein, sollte die Gescholtene das als Auszeichnung verstehen.

Reeh schreibt in dem Kommentar[6]: „Teile der Linkspartei sind immer noch nicht vollständig in der Demokratie angekommen. Und deshalb verteidigen sie Maduro, ihren Bruder im Geiste.“

Das ist die Sprache von einem, der seine eigenen Träume von der Gesellschaft jenseits der bürgerlichen Demokratie begraben hat und für den es nun keine Alternative mehr geben darf. Deshalb wird jeder gemaßregelt, der sich nicht mit in den Käfig der bürgerlichen Demokratie einsperren lassen will.

Reeh wird wissen, dass sich vor 100 Jahren hinter dem Banner der bürgerlichen Demokratie jene versammelt hatten, die die Revolution der Arbeiter und Soldaten im Blut ertränkt haben. Es waren die Eberts und Noskes, die Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und tausende Arbeiter ermorden ließen, weil sie noch nicht in der bürgerlichen Demokratie angekommen waren.

Es waren vor 100 Jahren die Bolschewiki, die die Sowjetmacht als Alternative zur bürgerlichen Demokratie errichteten. Damals gab es die Alternative Räte oder bürgerliches Parlament und hinter letzterem verbarg sich die Reaktion. Heute zeigt sich in Venezuela, dass die Frage nach einer Alternative zur bürgerlichen Revolution noch immer aktuell ist. Die in der letzten Woche gewählte verfassungsgebende Versammlung ist gegenüber dem venezolanischen Parlament die fortschrittlichere Variante, weil die bisher benachteiligten und diskriminierten Teile der Gesellschaft dort besonders berücksichtigt werden, darunter Arbeiter und Indigenas. Dagegen gehen die Privilegierten des Landes auf die Straße, weil sie um ihre Privilegien fürchten und alle, die sich über die Riots von Hamburg vor einigen Wochen aufgeregt haben, loben in Venezuela die Gewalt der Rechten auf der Straße, die für den größten Teil der Toten der letzten Wochen verantwortlich sind.

Für die Taz, die sich doch sonst immer so die Verteidigung von Minderheiten auf die Fahne schreibt, ist das keine Zeile wert. Doch es wäre eben nicht undemokratisch, sondern im Gegenteil ein gesellschaftlicher Fortschritt, wenn die Verfassungsgebende Versammlung in Venezuela das Parlament ersetzt. Die Frage, wie viele Menschen die jeweiligen Institutionen gewählt haben, ist insofern nebensächlich, weil gesellschaftlicher Fortschritt immer eine Sache von bewussten Minderheiten war, die eine klare Perspektive hatten. Das war 1789 bei der französischen Revolution ebenso wie 1917 in Russland. Die Frage, ob eine Institution den gesellschaftlichen Fortschritt repräsentiert, erweist sich eben nicht an der Zahl der abgegebenen Stimmen, sondern an den Inhalten, die dort vertreten werden.

Die blutigen Mumien der Vergangenheit stehen hinter dem venzolanischen Parlament

Aktuell gehört zu den vehementen Gegnern der bolivariansichen Revolution unter dem Banner der Verteidigung des Parlaments auch die Regierung von Brasilien, die im letzten Jahr mittels eines Parlamentsputsches und einer reaktionären Massenbewegung eine gewählte, gemäßigte sozialdemokratische Regierung aus dem Amt geputscht hat und nun versucht, mit Lula eine weitere bekannte Persönlichkeiten dieser sozialdemokratischen Ära zu kriminalisieren, um so seine Kandidatur für die nächsten Präsidentenwahlen zu verhindern. Denn, die alten Mächte in Brasilien fürchten, etwas von ihrer Macht und ihren Privilegien abgeben zu müssen, wenn Lula die nächsten Wahlen gewinnt, wie es alle Umfragen vorhersagen.

Auch die argentinische Regierung, die die soziale Bewegung im eigenen Land kriminalisiert, gehört zu des Verteidigern der venezolanischen Parlaments gegen die neue verfassungsgebende Versammlung. In Venezuela selber melden sich blutbesudelte Gestalten aus der Ära vor Chavez wieder zu Wort und wittern Morgenluft. Darunter sind Politiker, die für das Caracaszo[7] genannte Blutbad verantwortlich, bei dem während eines Aufstands der Armen in Caracas tausende Menschen im Jahr 1989 ermordet[8] wurden. Im Widerstand gegen dieses Massaker liegen auch die Wurzeln vieler linker Organisationen, die später die bolivarianische Revolution getragen haben.

Nun melden sich die Mumien aus der Vergangenheit wieder zurück, die für das Massaker verantwortlich waren und wollen wieder ihren in den letzten Jahren verlorenen Einfluss zurückgewinnen. Die LINKE sollte es daher als Auszeichnung verstehen, wenn ihr bescheinigt wird, dass sie in dieser Demokratie noch nicht angekommen ist und hoffentlich nie ankommt.

https://www.heise.de/tp/features/Darf-man-noch-mit-der-bolivarianischen-Revolution-solidarisch-sein-3793652.html

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3793652

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.marxist.com/heinz-dieterich-constitutional-referendum221107.htm
[2] https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteitag/hannoverscher-parteitag-2017/beschluesse-und-resolutionen/news/solidaritaet-mit-venezuela/
[3] http://www.azzellini.net/buchbeitraege/kommunale-raete-venezuela
[4] http://www.azzellini.net
[5] http://www.azzellini.net/akademische-veroeffentlichungen/venezuela-die-konstituierende-macht-bewegung
[6] http://www.taz.de/Kommentar-Linkspartei-und-Venezuela/!5432305/
[7] http://www.venelogia.com/archivos/9563/
[8] http://www.ipsnews.net/2009/02/venezuela-wound-still-gaping-20-years-after-lsquocaracazorsquo

Kumpanei zwischen Autoindustrie und Politik


„Autobauer sind die Gewinner“ und „Bundesregierung möchte Autoindustrie schonen“ lauten die Schlagzeilen nach dem mit hohen Erwartungen überfrachteten sogenannten Diesel-Gipfel.

Zeitweise sah es so aus, als werde im Sommer 2017 der Anfang vom Ende der Autogesellschaft in Deutschland eingeleitet. Die Serie der Skandale und Krisen in der deutschen Autoindustrie wuchs. Und neben den Abgasmanipulationen kommen jetzt auch noch die Vorwürfe der Kartellbildung auf den Tisch.

Doch es war tatsächlich naiv, davon zu sprechen, dass die Autoindustrie vor dem Ende stehe. Schließlich trägt die Inszenierung von immer neuen Skandalen eher zu einer Übersättigung des Publikums bei. Es wird nicht lange dauern und die öffentliche Meinung will von dem Thema nichts mehr hören. Wenn dann auch noch deutlich wird, dass praktisch alle Autofirmen bei den Abgaswerten manipuliert haben, wird dieser Übersättigungstrend noch verstärkt.

Schon bildet sich eine Lobby zur Verteidigung der deutschen Autoindustrie, an der sich neben führenden Konzernen auch die Gewerkschaft IG-Metall beteiligt. Sie erklären schon jetzt, dass es langsam genug mit der Kritik an der Autoindustrie sei, und warnen vor der Gefahr für den Standort Deutschland. Damit kann man zumal in Deutschland noch jede kritische Diskussion beenden, bevor sie richtig angefangen hat. Die Debatte um die Abgaswerte gehört dazu.

Massenhaft Körperverletzung durch Autoimmissionen kein Grund für Empörung

Es gab hierzulande keine relevante Bewegung, die die millionenfache Körperverletzung auch mit Todesfolge durch den Ausstoß der Autoabgase als die konzerngesteuerte Menschenrechtsverletzung angesprochen hat, die sie darstellt. Man muss nur einen Vergleich ziehen zwischen der öffentlichen Empörung über militante Aktionen gegen den G20-Gipfel in Hamburg und der Ignoranz, mit der gesamtgesellschaftlich auf die Tatsache reagiert wird, dass die Autokonzerne permanent höhere Abgaswerte in Kauf nehmen, als gesetzlich vorgeschrieben, und damit für den Tod von Menschen mit verantwortlich sind.

Nun sparen die Grünen und viele Umweltverbände nicht mit Kritik an dem Krisenmanagement von Verkehrsminister Dobrinth. Doch auch sie gehen nicht an die Wurzel, wenn sie Kumpanei zwischen Autoindustrie und Politik monieren. Da hat Dobrinth selber eine sehr realistische Erklärung[1] abgegeben. Es sei absolut unberechtigt, von einer Kumpanei zwischen Politik und der Automobilbranche zu sprechen. Es gebe aber generell eine Partnerschaft zwischen der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Das sei die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft.

Damit hat er eigentlich auf den Punkt gebracht, was hier jetzt so stark kritisiert wird, nämlich das Wesen der sozialen Marktwirtschaft. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann hat das längst begriffen und seine Politik entsprechend ausgerichtet. Alle Parteien, die hierzulande mitregieren wollen, würden es nicht anders machen. Solange sie in der Opposition sind, können sie sich noch etwas kritischer gerieren.

Auch alle wirtschaftsnahen Medien sagen[2] nun ganz deutlich: „Die Grenzen zwischen normaler technischer Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Bildung eines verbotenen Kartells sind fließend.“ Deshalb sind viele dieser aktuellen Skandalisierungen eben auch dem nahen Wahlkampf geschuldet und haben wenig Substanz.

Diskussion über eine andere Kooperation

Zudem ist es auch politisch fraglich, warum genau diese Kooperation und nicht die Kapitalinteressen im Mittelpunkt der Kritik stehen. Gar nicht diskutiert wird eine andere Form der Kooperation, die vor 40 Jahren durchaus eine Rolle spielte.

Es ging darum, dass engagierte Betriebsräte, Gewerkschaftler und Wissenschaftler überlegten, wie sie eine Alternative zum Automobil mit den gleichen Maschinen entwerfen können. Diese Art der Autokonversion wäre heute wichtiger denn je, in einer Zeit, in der so viel über die Endlichkeit der Kraftstoffe geredet wird und die Autoemissionen als permanente Körperverletzung dargestellt werden.

Alternativen zur Autoproduktion wären eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der die Beschäftigten, aber auch Räte des guten Lebens beteiligt sein müssten, damit alle Aspekte in die Diskussion gebracht werden könnten. Doch eine solche Kooperation ist natürlich nur jenseits der kapitalistischen Verwertungsinteressen möglich. Weil in diese Richtung heute kaum mehr gedacht wird, bleibt auch die Debatte über die Bewältigung des Dieselgates so systemimmanent. Die Flut von immer neuen Skandalen verpufft und die Autoindustrie bleibt wieder einmal der Gewinner.

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http://www.heise.de/-3792136

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.zeit.de/mobilitaet/2017-08/alexander-dobrindt-verbrennungsmotoren-auslaufdatum-kartell-verdacht
[2] http://www.boersen-zeitung.de/index.php?li=1&artid=2017140002&artsubm=ueberblick

Überfall aus menschenverachtender Gesinnung


04.08.2017 – Das Landgericht Neuruppin verurteilte einen Neonazi zu einer mehrjährigen Haftstrafe, ein Mittäter kam mit einer neunmonatigen Bewährungsstrafe davon
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Der Überfall auf linke Einrichtungen und Personen in Neuruppin hatte im September 2015 für Aufmerksamkeit gesorgt. In dieser Woche verurteilte das Landgericht Neuruppin dafür zwei Männer aus der Brandenburger Neonazi-Szene zu Haftstrafen. Sandy L. erhielt eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und vier Monaten ohne Bewährung und der Mitangeklagte Raiko K. eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ein weiterer Mittäter war bereits in einem anderen Prozess verurteilt worden.

Ursprünglich hatten die Neonazis geplant, im September 2015 zu einer Demonstration nach Hamburg zu reisen, ihren Plan aber auf Grund eines Verbots der Veranstaltung aufgegeben. In Neuruppin suchten sie dann nach Menschen, die nicht in ihr Weltbild passten.

Zunächst überfielen sie das linksalternative Jugendwohnprojekt „Mittendrin“ in Neuruppin, schlugen Fensterscheiben ein und bedrohten die anwesenden Bewohner. Danach griffen sie in der Innenstadt von Neuruppin linke Jugendliche, zwei junge Frauen und einen Mann im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, an. Eines der Opfer musste danach ambulant behandelt werden. Die 15-jährige Schülerin wurde von Sandy L. gegen die Wand der Tankstelle geschubst und mehrfach getreten und geschlagen.

Linke Jugendliche durch Gewalt einschüchtern

In dem Verfahren vor dem Landgericht schilderten die betroffenen Jugendlichen, wie sie nach dem Überfall ihr Leben umstellten, und sich lange nicht in ihrem gewohnten Umfeld bewegen konnten. Bis heute vermeiden sie es, alleine bei Dunkelheit in Neuruppin unterwegs zu sein. Das Ziel der Neonazis, linke Jugendliche durch Drohungen und Gewalt einzuschüchtern, wurde zumindest zeitweilig erreicht.

Das Gericht reagierte mit den Haftstrafen für die Täter auch auf diesen Aspekt. „Ich bin erleichtert ,dass Staatsanwaltschaft und Strafkammer dies in Plädoyer beziehungsweise in der Urteilsbegründung würdigten, indem sie die aus der Tat sprechende menschenverachtende Gesinnung als Hatecrime-Delikt nach Paragraf 46 Absatz 2 StGB als strafverschärfend werteten“, kommentierte nach Prozessende Anne Brügmann, Beraterin beim Verein Opferperspektive, die zwei der Betroffenen im Prozess begleitet hatte.

aus: Blick nach Rechts

https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/berfall-aus-menschenverachtender-gesinnung
VON PETER NOWAK

Ganz am Rand

Den Namen »Schicksalsgemeinschaft der Vergessenen« wollte sich 1946 eine Gruppe von Verfolgten des Naziregimes in Berlin geben. Ihnen ­wurde von den Alliierten die Zulassung als Verein verweigert. Es handelte sich um Menschen, die als asozial und arbeitsscheu stigmatisiert worden waren. Darunter konnten alle Menschen fallen, die sich nicht den Normen anpassten, die der NS-Staat und die deutsche Volksgemeinschaft gesetzt hatten. Obwohl sie zeitweilig die größte Gruppe der KZ-Häftlinge stellten, wurden sie in der BRD und der DDR weiterhin stigmatisiert und verfolgt. Erst in den vergangenen Jahren erforschen Initiativen das Schicksal dieser Menschen und fordern ein würdiges Gedenken. Der 2007 gegründete »AK Marginalisierte gestern und heute« spielt dabei eine wichtige Rolle. Seine Mitbegründerin Anne Allex hat nun einen Sammelband heraus­gegeben, der einen Überblick über die Initiativen gibt, die sich für die Anerkennung der beschwiegenen NS-Opfer einsetzen. Die Bemühungen um einen Gedenkort in der Nähe des ehemaligen Berliner Arbeitshauses Rummelsburg werden ebenso dargestellt wie die Uckermark-Initiative, die durchsetzen konnte, dass die Inhaftierung von Mädchen und jungen Frauen in KZ nicht mehr mit dem Täterbegriff Jugendschutzlager belegt wird. Der Uckermark-Initiative gelang auch eine Kooperation mit der Lagergemeinschaft Ravensbrück, die die Interessen der politischen Gefangenen vertritt, die sich oft von den als asozial stigmatisierten Häftlingen distanzierten. Das Buch ­besticht durch eine Mischung aus Berichten von geschichtspolitischen Initiativen und wissenschaftlichen Texten über die Verfolgung sogenannter Asozialer. Hervorzuheben sind die Interviews mit den letzten Überlebenden und ihren Angehörigen. Sie wurden nicht vergessen, sondern zum Schweigen gebracht, wie Allex schreibt.

Anne Allex (Hg.): Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus. AG Spak Buch, Berlin 2017, 434 Seiten, 28 Euro

https://jungle.world/artikel/2017/31/vermittelbare-aktionsformen

Peter Nowak