Besetzer und Bewacher

Von wegen unmöglich: Die Besetzung einer ehemaligen Fabrik sorgt in Berlin für Diskussionen. Eine Räumung des von der Polizei und einem Sicherheitsdienst belagerten Areals wird vorerst durch die Berliner Gesetzeslage verhindert.

»Für Events aller Art können zwischen einer und vier Etagen sowie der gesamte Gartenbereich genutzt werden. Die oberen Etagen bieten einen einzigartigen Blick bis zum Alexanderplatz und auf die Treptower.« Die Homepage der Alten Teppichfabrik auf der Stralauer Halbinsel in Berlin ist noch zu finden. Der Ort war in den vergangenen Jahren eine gute Adresse für Partys und andere Freizeitvergnügen. Doch ein Disclaimer informiert: »Die Alte Teppichfabrik steht nicht mehr als Event­location zur Verfügung.«

Das heißt jedoch nicht, dass rund um die Alte Teppichfabrik nichts mehr los wäre. Seit einigen Wochen ist das Areal zum Ort politischer Auseinandersetzungen geworden. Mitglieder des Netzwerks »Recht auf Stadt« zogen dort ­bereits vor Monaten ein, ohne dass Polizei und Medien zunächst davon erfuhren. Als die Polizei vor einigen Wochen erstmals in das besetzte Haus ­eindrang, hatte sie keine rechtliche Handhabe für eine Räumung. Denn die Frist von 24 Stunden, während derer ein Haus oder Grundstück nach den Vorgaben der »Berliner Linie« geräumt werden kann, war längst verstrichen. Es lag auch noch keine Räumungsklage des Eigentümers vor, geschweige denn ein Räumungsbeschluss.

Einen Eigentümer gibt es. Die »Freier Besitzgesellschaft mbH« mit Sitz in Rottendorf bei Würzburg (Bayern) hat das Grundstück Medienberichten und Aussagen der Besetzer zufolge gekauft. Geschäftsführer des Unternehmens ist unter anderem Bernd Freier, der Gründer sowie Eigner des Bekleidungsunternehmens S. Oliver. Er verfügt der Liste des Wirtschaftsmagazins Forbes zufolge über ein Privatvermögen von 2,2 Milli­arden US-Dollar. Die Neuerwerbung auf dem Berliner Immobilienmarkt sorgt jedoch für unvorhergesehene Probleme. Ende Juli versuchte Freier vergeblich, sich mit Hilfe eines Sicherheitsdienstes Zugang zum Grundstück und Gebäude der ehemaligen Fabrik zu verschaffen. Die hinzugerufene Polizei nahm die Personalien derjenigen auf, die sich auf dem Grundstück aufhielten. Doch nachdem sich der zuständige Einsatzleiter vergewissert hatte, dass sich die neuen Bewohner schon vor längerer Zeit dort niedergelassen hatten, musste er dem Neueigentümer mitteilen, dass eine Räumung ohne gerichtliche Klage nicht möglich sei.

»Wir haben uns ein leerstehendes Gebäude angeeignet und stören so den reibungslosen Ablauf der Gentrifizierung.« Ein Besetzer

Seitdem belagern Polizei und Sicherheitsdienst von allen Seiten das Areal. Ein Polizeisprecher sagte der Jungle World, eine Hundertschaft sei an Ort und Stelle, um zu verhindern, dass weitere Unterstützer der Besetzer auf das Areal gelangten – um Zuwachs werde auf ­linken Internetseiten in jüngster Zeit häufig gebeten. Die jungen Männer, die angestrengt in den Garten der ehemaligen Teppichfabrik blicken, in dem sich mittlerweile Pflanzen aller Art ausbreiten, sind nicht sehr gesprächig. Sie gehören zum Kuhr-Sicherheitsdienst, der vom neuen Eigentümer angeheuert wurde. Der Leiter des Unternehmens, der ehemalige Kickboxer Michael Kuhr, wird im Berliner Kurier als der Mann beschrieben, der die Besetzer in Schach halten soll. Dort gibt sich Kuhr als harter Hund. Er würde die Angelegenheit gern »schnell und unkompliziert« erledigen: »Raus mit den Jungs und fertig.« Jedoch gelobt er, sich an die lästigen Gesetze zu halten und »keine Schlägerei mit diesen ulkigen Autonomen« anzuzetteln.

Seine Angestellten scheinen an der Teppichfabrik ohnehin andere Probleme zu haben. Selbst die Jogger, die hier täglich ihre Runden drehen, machen lautstark Witze über die Belagerung. »Wir sind hier um zu kontrollieren, wer das Gelände betritt und verlässt«, sagt ein Wachmann. Weitere Fragen wolle er nicht beantworten. Dass die Kontrollbemühungen von geringem Erfolg gekrönt sind, zeigt sich an Ort und Stelle. Plötzlich piepsen mehrere Funkgeräte und in die Reihen der ­Sicherheitsleute kommt Bewegung. Dann rasselt es im Gebüsch, zwei junge Männer springen über den Zaun und sprinten in Richtung des S-Bahnhofs. Einige Polizisten und mehrere Wachleute nehmen die Verfolgung auf. Doch nach wenigen Minuten kehren sie unverrichteter Dinge auf ihre ­alten Plätze zurück. »Das Katz-und-Maus-Spiel wiederholt sich mehrmals am Tag und dabei ist gar nicht so klar, wer hier die Katze und wer die Maus ist«, sagt ein ständiger Besucher der Alten Teppichfabrik, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er sei schon mehrmals unkontrolliert auf das Gelände gelangt und habe es ebenso ­verlassen, beteuert er.

Der neue Eigentümer scheint auf Zeit zu spielen. Nach Angaben des Berliner Landgerichts ist er bisher nicht wegen eines Räumungstitels vorstellig geworden. Möglicherweise hofft er, dass spätestens im Herbst die Motivation der Besetzer nachlässt, in dem schwer beheizbaren Gebäude auszuharren. Diese halten sich über ihre weiteren Pläne bedeckt. »Wir fordern nichts von der Politik oder dem Eigentümer. Wir haben uns ein leerstehendes Gebäude angeeignet und stören so den reibungslosen Ablauf der Gentrifizierung«, sagt ein neuer Bewohner. Angesichts der Rohbauten, die unmittelbar an das besetzte Areal heranreichen, scheint es allerdings zweifelhaft, ob dieser Ablauf tatsächlich gestört werden kann.

Dass in Berlin Menschen einfach ein Haus besetzen und die Behörden zunächst nicht einschreiten können, findet auch in der Mieterbewegung Beachtung, allerdings stört sich diese am subkulturell geprägten Gestus der Besetzer. Bereits im Herbst 2014 gab es in unmittelbarer Nähe der Alten Teppichfabrik, in der Gartenanlage Beermannstraße 24, einen Besetzungsversuch. Dort wehrten sich die letzten verbliebenen Mieter gemeinsam mit Klein­gartenbetreibern dagegen, der Autobahn A 100 weichen zu müssen. Weil ­jedoch zu wenige Unterstützer hinzustießen, mussten die Besetzer nach 24 Stunden aufgeben. Mittlerweile gehört das Areal zur Großbaustelle für die Erweiterung der Autobahn. Die involvierten Personen luden damals zu einer Veranstaltung zur Frage »Warum nicht wieder Häuser besetzen?« ein und wollten damit eine Diskussion über eine Aktionsform beginnen, die in ­Berlin nicht mehr möglich schien. Nun, drei Jahre später, gibt es wieder ein ­besetztes Gelände in Berlin.

https://jungle.world/artikel/2017/32/besetzer-und-bewacher

Peter Nowak

Realismus in der Rigaer

In Berlin-Friedrichshain feierten ehemalige Hausbesetzer und Unterstützer ein einwöchiges Straßenfest. Doch mit welchen Mitteln derzeit für bezahlbaren Wohnraum gekämpft werden kann, ist umstritten.

Am vergangenen Sonntagabend sorgten zwei Mülleimer für große Aufregung bei den Bewohnern der Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain. Ein großes Polizeiaufgebot war in den Hof des Hauses eingedrungen, um die beiden Behälter abtransportieren zu lassen. Es handelt sich bei dem Gebäude nicht nur um das letzte noch besetzte in der Rigaer Straße. Die meisten dort wohnenden Menschen betonen auch ihre anarchistische Gesinnung und sind auf die Polizei nicht besonders gut zu sprechen. Dass es am Sonntagabend nicht zu Straßenschlachten kam und keine Autos brannten, lag an der autonomen Szene. Als die Situation zwischen der Polizei und den aus der Umgebung eingetroffenen Unterstützern des Hauses zu eskalieren drohte, erklang plötzlich das schallende Gelächter einer jungen Frau. Bald stimmten auch viele Unterstützer ein und selbst einige Polizisten konnten nur mühsam ein Lachen unterdrücken.

Schon in den vorangegangenen Tagen hatte man sich in der Rigaer Straße eher an einer Clownsarmee als am Schwarzen Block orientiert. Viele der ehemals besetzten Häuser und alternativen Projekte in der Umgebung hatten unter dem etwas großspurigen Motto »Lange Woche der Rigaer Straße« zu einem Straßenfest der Superlative aufgerufen. »Damit hat Friedrichshain Neukölln überholt«, meinte ein Spötter. Neukölln feiert einmal im Jahr das vom Bezirksamt groß­zügig gesponserte Stadtteilfest »48 Stunden Neukölln«. Die »Lange Woche« der Rigaer Straße war nicht nur länger, sondern kam auch ohne staatliche Bezuschussung aus. Do it yourself war die Devise bei den zahlreichen Workshops und Veranstaltungen, die vergangene Woche rund um die Rigaer Straße angeboten wurden. Dazu gehörte auch ein Umsonst-Flohmarkt, mit dem besonders die Nachbarn angesprochen werden sollten, die nicht in ehemals besetzten Häusern zur Miete wohnen. Mit Flugblättern wurden die Anwohner informiert, dass man mit dieser Art des Flohmarktes auch den Einfluss des Geldes zurückdrängen wolle. Doch ob damit eine nichtkapitalistische Gesellschaft näher rückt, ist fraglich. Zumindest manche Hartz-IV-Empfänger werden sich bei dieser Einladung eher daran erinnert gefühlt haben, dass sie von den Jobcentern auf Flohmärkte und Lebensmitteltafeln verwiesen werden, wenn sie Anträge zum Kauf eines Haushaltsgeräts stellen.

Sympathie bei den Anwohnern erlangten die Organisatoren der »Langen Woche« eher wegen des Polizeieinsatzes, mit dem gegen den Flohmarkt vorgegangen wurde – mit der Begründung, dass er nicht angemeldet sei. »Mich hat der Lärm vom Generator für den Lichtmast der Polizei gestört, der vor meinem Fenster aufgebaut war, und nicht der Flohmarkt«, monierte beispielsweise ein Anwohner.

Über bloß diffuse Sympathie hinaus gingen einige Mieter der Rigaer Straße, die sich in einen Offenen Brief an die Organisatoren der Protestwoche wandten und zur Kooperation gegen die Gentrifizierung in Friedrichshain einluden. Das Schreiben begann allerdings mit einer impliziten Kritik an der Protestkultur der autonomen Szene: »Wir sind teilweise nicht mehr in dem Alter und der Lage, uns an einer Demonstration zu beteiligen, auf der nur gerannt wird.« Dann richteten die Mieter den Fokus auf den Teil der Rigaer Straße, in dem es keine besetzten Häuser gibt und der bei den Organisatoren der »Langen Woche« eher ausgeblendet wird. So wird beschrieben, wie ein Besitzer eines T-Shirt-Ladens sich das Leben nahm, nachdem ihm gekündigt worden war. Angekündigte Dachgeschossausbauten und der Bau eines neuen Kulturhofes auf dem Gelände einer ehemaligen Möbelfabrik werden in dem Schreiben als Zeichen einer neuen Gentrifizierungsdynamik gedeutet, gegen die sich alle Bewohner zusammen wehren sollten.

Die Kritik an einer Besetzernostalgie wird auch von einigen Organisatoren der »Langen Woche« geteilt. Sie deckt sich nicht mit einer Realität, in der bis auf eine Ausnahme in allen Häusern reguläre Mietverhältnisse bestehen. Ob ein gemeinsamer Widerstand aller Mieter in der Rigaer Straße zustande kommen wird, ist trotzdem offen. Immerhin zeigte der Brief einen großen Schwachpunkt der »Langen Woche« der Rigaer Straße auf. Die Nachbarn wurden zwar angesprochen, aber sie bekamen nur die Möglichkeit, sich an den ohnehin angebotenen Veranstaltungen und Workshops zu beteiligen.

Der Film »Mietrebellen« (Jungle World 47/2014) hingegen stellte eine alternative Mieterbewegung vor, an der sich Kleingartenbesitzer genauso beteiligen wie Senioren. Dass diese sich dabei Aktionsformen der Besetzerbewegung – ohne deren subkulturelle Elemente – bedienen, demonstrierten die Senioren der Stillen Straße in Berlin-Pankow. Sie besetzten mehrere Wochen einen von der Schließung bedrohten Seniorentreffpunkt. Auch die »Palisadenpanther« hatten keine Berührungsängste mit der außerparlamentarischen Mieterbewegung, als sie erfolgreich gegen angekündigte Mieterhöhungen in ihrer Seniorenwohnanlage protestierten. Der Komplex befindet sich in der Nähe der ehemaligen besetzten Häuser der Rigaer Straße.

Noch näher an der Rigaer Straße sind Bewohner, die Mieterräte gegründet haben, mit denen sie sich gegen ihre Verdrängung aus den als »Stalinbauten« bekannt gewordenen DDR-Repräsentationshäusern in der Frankfurter Allee wehren wollen. Ein Austausch über Räte damals und heute, über Entscheidungsprozesse und Aktionsformen wäre sicher interessant gewesen. Doch in dem umfangreichen Programm der »Langen Woche« war dafür kein Platz vorgesehen.

Auch Diskussionen mit der Treptower Stadtteilinitiative »Karla Pappel« suchte man im Programm vergeblich. Dabei hatte diese vor einigen Monaten unter dem Motto »Warum nicht wieder Häuser besetzen?« eine Debatte darüber angestoßen, welchen Stellenwert diese Aktionsform heute für die Mieterbewegung hat. Ausgangspunkt war die Vertreibung von Mietern in der Beermannstraße in Berlin-Treptow. Die Häuser sollen dem Ausbau der Stadtautobahn weichen (Jungle World 45/2014 ). Die verbliebenen Mieter waren mit einer Neubesetzung einverstanden. Doch mehrere Versuche, die autonome Szene dafür zu gewinnen, scheiterten. Am Ende mussten die Mieter die Häuser verlassen, bekamen aber großzügige Entschädigungen.

Die Erfahrungen von »Karla Pappel« wären auf der Friedrichshainer »Langen Woche« auch deshalb interessant gewesen, weil in beiden Gruppen Menschen mit libertären Ansichten engagiert sind. Für den Berliner SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber, der in Berlin mit seinem Law-and-Order-Kurs die CDU und ihren Innensenator rechts überholen will, sind sowohl die Projekte der Rigaer Straße als auch »Karla Pappel« Fälle für Polizei und Justiz. »Wir werden alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen, um extremistische Gruppierungen zu zerstören«, verkündete Schreiber bereits im Oktober 2011 im Anzeigenblatt Berliner Woche und rückte »Karla Pappel« in die Nähe des Linksterrorismus. Die Stadtteilinitiative hatte auf die Rolle der zahlreichen Baugruppen bei der ärmeren Bevölkerung in Treptow aufmerksam gemacht. Mittlerweile gibt es auch rund um die Rigaer Straße erste Baugruppen und die will Schreiber künftig vor Umsonst-Flohmärkten schützen. Im Tagesspiegel forderte er eine Sonderermittlungsgruppe Rigaer Straße und wies ihr gleich zwei Aufgaben zu: Der »Repressionsdruck muss erhöht werden«. Dabei müsse man sich besonders die »Szenelokale vornehmen«.

http://jungle-world.com/artikel/2015/29/52313.html

Peter Nowak