„Asoziale“ und „Berufsverbrecher“

Die Täter hielten auch nach 1945 über ihre Opfer Gericht

„Der Deutsche Bundestag soll die von der SS ‚Asoziale‘ und ‚Be- rufsverbrecher‘ genannten ehemaligen KZ-Häftlinge als Opfer des Nationalsozialismus anerkennen“, lautet die Forderung einer Petition für die noch Unterschriften im Internet gesammelt werden. (1)

Eine Initiatorin ist die Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Dagmar Lieske. Sie hat in ihrem bereits 2016 im Metro- pol-Verlag erschienenen Buch „ Unbequeme Opfer“ faktenreich das Schicksal von Menschen untersucht, die von den NS- Staatsapparaten als Berufsverbrecher klassifiziert in das KZ- Sachsenhausen inhaftiert waren. Aber das Buch ist mehr als eine Lokalstudie. Lieske hat mit ihrer Arbeit Maßstäbe gesetzt, wenn es um das Thema „Berufsverbrecher“ in Konzentrationslagern geht.

Legenden und Mythen

Über sie haben sich viele Mythen und Legenden gebildet. Dazu gehört auch die Vorstellung, die „Berufsverbrecher“ hätten in den KZs im Sinne der Machthaber gewirkt. Das wurde auch von vielen politischen Häftlingen weiter verbreitet. Es ist gut möglich, dass solche Äußerungen eine Mischung aus eigenen Erfahrungen und Ressentiments waren. Lieske geht sehr differenziert mit dem Thema um. Sie zeigt auf, dass es „die„Berufsverbrecher“ nicht gab. Im Gegenteil, waren sie wohl die diverseste Häftlingsgruppe, weil anders als bei den aus politischen oder religiösen Gründen Verfolgten keine einheitsstiftende Ideologie vorhanden war. Der Individualismus war also bei ihnen besonders ausgeprägt. Die Bandbreite der von Lieske vorgestellten Personen, die als „Berufsverbrecher“ klassifiziert ziert wurden, reicht von einem überzeugten aber in Ungnade gefallenen Nazi, über Ärzte, die Abtreibungen vornahmen, bis zu Männern, die in den sogenannten Ringvereinen auch Kontakte zur KPD hatten. Daher war auch ihr Verhalten im KZ sehr unterschiedlich. Einige kollaborierten mit der SS, andere verhielten sich solidarisch auch gegenüber anderen Häftlingsgruppen. Etliche hielten sich aus allem raus und versuchten nur im KZ zu überleben, was vielen nicht gelang. Lieske stellt die Animositäten zwischen unterschiedlichen Häftlingsgruppen in den Kontext der KZ-Bedingungen. Dort war es fast überlebensnotwendig, sich um eine enge Gruppe zu scharen und die Kontakte zu Außengruppen möglichst reduziert zu halten. Auch die „Berufsverbrecher“ handelten so. Lieske liefert Material über negative Äußerungen von ihnen über die Gruppe der politischen Gefangenen. Das wird in der auf den Seiten 315 – 316 dokumentierten Ausgabe der Publikation „Wahrheit
und Recht“ deutlich, die 1946 von einigen ehemaligen als Berufsverbrecher klassifizierten Häftlingen herausgegeben wurde. „Und hattest Du das Pech Politischer gewesen zu sein, dann istes doppelt fatal für Dich, wenn Du nicht früher Mitglied der KPD gewesen bist, SPD geht zur Not noch, aber die schaut man schon über die Achsel an und ganz verloren ist dein Bemühen, wenn Du einer anderen Partei (von der NSDAP redenwir ja sowieso nicht), angehört hast“ (S. 315). Nur wenige Jahre später saßen viele der ehemaligen kommunistischen KZ-Häftlinge in Westdeutschland bereits wieder in Gefängnissen, ihre Renten als Verfolgte des NS-Regimes wurden ihnen aberkannt.


„Berufsverbrecher“ nach 1945 weiter verfolgt

Dass soviel über die Animositäten zwischen „Berufsverbrechern“ und Politischen in den KZ geredet wird, hat seinen Grund. Dann braucht nicht davon geredet zu werden, wie das Personal, dass im NS die „Berufsverbrecher bekämpfte, nach 1945 in der BRD größtenteils weiter bei der Polizei arbeiteten und ganz selbstbewusst auf ihre Arbeit zwischen 1933 und 1945 verweisen konnte. Am Fall des Kriminalisten Fritz Cornelly (S. 337 ff) wird diese Kontinuität bei Lieske aufgezeigt. Ein solches Personal lehnte schon mal ehemalige „Berufsverbrecher“ als Zeugen in Prozessen gegen die KZ-Verwaltung mit der Begründung ab, sie seien minderwertige Charaktere und daher für Zeugenaussagen nicht geeignet. So konnten die Verfolger noch mal über ihre Opfer zu Gericht sitzen. Demgegenüber haben auch die politischen Häftlinge, die sich in ihren Büchern über ihre KZ-Haft despektierlich über die „Berufsverbrecher“ äußerten, größtenteils klar gestellt, dass sie genau wie sie zu Unrecht im KZ gesessen hätten. Auch der Generalbundesanwalt Karl S. Bader hat bereits 1946 klargestellt: „Viele kriminell vorbestrafte KZ-Insassen, auch viele Sicherheitsverwahrte, haben (….) unter den Verhältnissen im KZ genauso gelitten wie die politischen Häftlinge. Sie unterlagen denselben Lagergesetzen, derselben Preisgabe der Menschenwürde und Menschenverachtung, denselben Schikanen, Strafen und – häufig genug – denselben Todesformen (S. 264).
Dieser Grundsatz gilt für sämtliche von den NS-Repressionsorganen Betroffen und er ist, bis heute nicht überall Konsens. Daher ist das Buch von Dagmar Lieske so wichtig und verdient viele Lese- rInnen. Und daher sollte die von ihr mit initiierte Petition zur Anerkennung vom im NS als „Asoziale oder Berufsverbrecher“ Verfolgte viel Unterstützung bekommen.
Peter Nowak

Anmerkung:

1) https://www.change.org/p/deutscher-bundes- tag-anerkennung-von-asozozialen-und-berufsver- brechern-als-opfer-des-nationalsozialismus

Lesetipps:

Lieske Dagmar: Unbequeme Opfer? „Berufsverbrecher“ als Häftlinge im KZ Sachsenhausen, Metropol Verlag, Berlin 2016, 365 Seiten, ISBN 978-3-86331-297-9
Anne Allex (Hg.): ,Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus, AG Spak Buch, Berlin 2017, 434 Seiten, 28 Euro

oktober 2018/432 graswurzelrevolution

Peter Nowak

Und sie macht nicht frei

Anne Allex im Gespräch über die »Arbeitsscheuen«- Verfolgung im Faschismus und zum Umgang mit Erwerbslosen damals wie heute

Vor zehn Jahren hat Anne Allex den »Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute« mitbegründet. Jetzt hat sie den Sammelband »Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus« herausgegeben, in dem eine erste Bilanz der Gedenkarbeit für als »asozial« und »kriminell« stigmatisierte Menschen im Nationalsozialismus (NS) gezogen wird. Mit ihr sprach Peter Nowak.

Ihr neuer Band gibt einen Überblick über das Gedenken an die im NS als »asozial« stigmatisierte Menschen. Warum war das Thema lange auch bei den politisch Verfolgten der Arbeiterbewegung tabu?
Die Wissenschaft »Rassenhygiene« trugen in der Weimarer Republik alle weltanschaulichen Strömungen. Daher gingen auch politisch Verfolgte der Ideologie des angeblich verschiedenen »Wertes der Menschen« auf den Leim. Dieses Phänomen der Teile-und herrsche-Politik ragte bis in die Strafgesetzgebung der DDR hinein.

In welcher Form beispielsweise?
Es gab den Paragrafen 249 im DDR-Strafgesetzbuch, der die Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten näher bestimmte. Dort wurde unterstellt, dass Personen sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzögen, obwohl sie arbeitsfähig sind.

Der Arbeitskreis »Marginalisierte« kooperiert mit der Lagergemeinschaft Ravensbrück, einst gegründet von Überlebenden der Frauenkonzentrationslager. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Die Lagergemeinschaft Ravensbrück hat sich seit ihrem Bestehen dafür eingesetzt, alle Lagerflächen für die Gedenkarbeit zugänglich zu machen. Sie unterstützen die Ansinnen der jungen Frauen der Uckermark-Initiative für einen Gedenkort an das KZ Uckermark seit Beginn. Als Arbeitskreis arbeiten wir mit beiden Organisationen gut zusammen. Für uns ist es immer wieder erfrischend, zu bemerken, dass wir als Kinder und Enkel von Verfolgten gleiche Gedanken und Empfindungen zur Zeitgeschichte und recht analoge Kritiken an den Institutionen entwickeln.

Sie waren ursprünglich Aktivistin der Erwerbslosenbewegung. Warum haben Sie vor zehn Jahren den »AK Marginalisierte gestern und heute« mitbegründet?

Erwerbslosen im deutschen Faschismus wurde grundsätzlich »Arbeitsscheu« unterstellt; das beinhaltete einen »Hang zum Verbrechen«. In der deutschen Geschichte wurde Erwerbslosen durchgehend die Schuld an ihrer Situation in die eigenen Schuhe geschoben. Das war bereits vor 1933 so, was sich beim Phänomen der sogenannten Arbeitshäuser zeigt. Die Faschisten wollten Erwerbslose als »Minderwertige« ausrotten. Nach 1945 wurde in der BRD die Zwangsarbeit laut Bundessozialhilfegesetz eingeführt, die verfälschend »Hilfe zur Arbeit« hieß. Seit 2005 kennen wir Zwangsarbeit – so nennt es auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO – in Form von »Ein-Euro-Jobs«. Deutschland erweist sich im Umgang mit Erwerbslosen seit mehr als einem Jahrhundert als lernunfähig. Breite Gesellschaftsteile unterstützen süffisant verletzende Diffamierungen Dritter, weil sie Sündenböcke brauchen. Mangelndes Einfühlungsvermögen und auch die Faulheit in der Auseinandersetzung mit den NS-Postulaten bei Gedenkverwaltungen zeigen dies.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Die Aufschriften auf Stolpersteinen Gunter Demnigs und der Stolpersteinkoordinierungsstellen Hamburg und Berlin deuten auf vermeintliche Charaktereigenschaften hin, die von den Nazis unterstellt wurden. Auch wurden 2016 an der Weltzeituhr am Berliner Alexanderplatz fünf Stolpersteine verlegt, die unter anderem »Vorbeugehaft« und »Arbeitshausaufenthalte« in Rummelsburg anführen.

Wo sehen Sie heute Kontinuitäten bei der Ausgrenzung von einkommensarmen Menschen?
Im abschätzigen Umgang mit Erwerbslosen sehe ich erschreckende Parallelen zu den Jahren ab 1924. Jobcenter versuchen die kläglichen Arbeitslosengeld-II-Leistungen zum Beispiel mit Sanktionen zu beschneiden, sie probieren auch, Personen mit Mitwirkungsregelungen aus dem Leistungsbezug zu kicken, in völliger Unkenntnis von Verwaltungsverfahren und aufgrund juristischer Fehlannahmen. Als gelegentlicher Beistand erlebe ich alle Facetten von Anmaßung, Kriminalisierung und Psychiatrisierung, dass mir die Haare zu Berge stehen.

Wo werden Ihre Schwerpunkte in nächster Zeit liegen?
Neben Buchpräsentationen denken wir im Arbeitskreis über die Weiterführung unserer Arbeit zum ehemaligen Berliner Arbeitshaus Rummelsburg nach. Gegenwärtig sind wir stärker mit anderen Verfolgtengruppen im Gespräch, um unser Wissen über »Asoziale« und »Kriminelle« in allen Organisationen, die sich mit Gedenkarbeit und dem Kampf gegen Faschismus beschäftigen, zu erweitern.

Anne Allex (Hg): Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus. Kinder, Jugendliche, Frauen als sogenannte »Asoziale« – Schwierigkeiten beim Gedenken, Verlag AG Spak, 2017, 447 Seiten, 28 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1059923.und-sie-macht-nicht-frei.html

Peter Nowak

Ganz am Rand

Den Namen »Schicksalsgemeinschaft der Vergessenen« wollte sich 1946 eine Gruppe von Verfolgten des Naziregimes in Berlin geben. Ihnen ­wurde von den Alliierten die Zulassung als Verein verweigert. Es handelte sich um Menschen, die als asozial und arbeitsscheu stigmatisiert worden waren. Darunter konnten alle Menschen fallen, die sich nicht den Normen anpassten, die der NS-Staat und die deutsche Volksgemeinschaft gesetzt hatten. Obwohl sie zeitweilig die größte Gruppe der KZ-Häftlinge stellten, wurden sie in der BRD und der DDR weiterhin stigmatisiert und verfolgt. Erst in den vergangenen Jahren erforschen Initiativen das Schicksal dieser Menschen und fordern ein würdiges Gedenken. Der 2007 gegründete »AK Marginalisierte gestern und heute« spielt dabei eine wichtige Rolle. Seine Mitbegründerin Anne Allex hat nun einen Sammelband heraus­gegeben, der einen Überblick über die Initiativen gibt, die sich für die Anerkennung der beschwiegenen NS-Opfer einsetzen. Die Bemühungen um einen Gedenkort in der Nähe des ehemaligen Berliner Arbeitshauses Rummelsburg werden ebenso dargestellt wie die Uckermark-Initiative, die durchsetzen konnte, dass die Inhaftierung von Mädchen und jungen Frauen in KZ nicht mehr mit dem Täterbegriff Jugendschutzlager belegt wird. Der Uckermark-Initiative gelang auch eine Kooperation mit der Lagergemeinschaft Ravensbrück, die die Interessen der politischen Gefangenen vertritt, die sich oft von den als asozial stigmatisierten Häftlingen distanzierten. Das Buch ­besticht durch eine Mischung aus Berichten von geschichtspolitischen Initiativen und wissenschaftlichen Texten über die Verfolgung sogenannter Asozialer. Hervorzuheben sind die Interviews mit den letzten Überlebenden und ihren Angehörigen. Sie wurden nicht vergessen, sondern zum Schweigen gebracht, wie Allex schreibt.

Anne Allex (Hg.): Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus. AG Spak Buch, Berlin 2017, 434 Seiten, 28 Euro

https://jungle.world/artikel/2017/31/vermittelbare-aktionsformen

Peter Nowak