Kapitulation vor Antifeminismus?

Der Heinrich-Böll-Stiftung hat ihr Online-Lexikon „Agent*In“ vom Netz genommen. Ein Kommentar

Ein kritisches Lexikon zum Antifeminismus[1] wollte die grünennahe Heinrich-Böll- Stiftung[2] zur Verfügung stellen. Doch wer die Seite anklickt, erfährt nur, dass das Projekt zurzeit ruht. Dafür gibt es auf der Homepage der Heinrich-Böll-Stiftung eine Erklärung[3], die eine Kapitulation vor einer wochenlangen rechten Kampagne darstellt.

Dort heißt es:

In Abstimmung mit der Redaktion des Projekts hat der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung das Online-Lexikon „Agent*In“ vom Netz genommen. Die öffentlich und intern geübte Kritik am Format der „Agent*In“ hat uns deutlich gemacht, dass dieser Weg nicht geeignet ist, die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Antifeminismus zu führen. Wir bedauern sehr, dass durch die gewählte Form manche an antidemokratische Methoden erinnert werden und entschuldigen uns bei denjenigen, die sich möglicherweise persönlich verletzt fühlen.

Stellungnahme der Heinrich-Böll- Stiftung[4]
Offensive gegen Antifeminismus

Hier wird sich bei denen entschuldigt, die als bekannte Personen des Antifeminismus auf dem Wiki aufgeführt waren. Mitte Juli wurde er freigeschaltet und zeitgleich wurde eine Broschüre unter dem Titel „Gender raus“[5] publiziert. In einer Pressemitteilung[6], in der die Broschüre und das Wiki beworben wurden, heißt es:

Angriffe gegen Feminismus, Gleichstellungspolitik, sexuelle Selbstbestimmung, gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Geschlechterforschung haben stark zugenommen. Die gemeinsam vom Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebene Broschüre „Gender raus!“ Zwölf Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik bietet verständliche Argumente und Anregungen, wie antifeministische Behauptungen und Parolen entlarvt und richtiggestellt werden können. Das Online-Lexikon Agent*In (Information on Anti-Gender-Networks) informiert tiefergehend zu den Gruppierungen und Akteur*innen, die hinter diesen Angriffen und Parolen stecken. Die Agent*In ist als sogenanntes Wiki ein gemeinsames Projekt des Gunda-Werner-Instituts in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von feministischen Autor*innen. Lexikon und Broschüre ergänzen sich gegenseitig.

Pressemitteilung
Von ganz rechts bis in die liberale Mitte

Die Heinrich-Böll-Stiftung ist mit ihren Rückzug des Wikis den beteiligten Wissenschaftlern in den Rücken gefallen und hat einen Kniefall vor den antifeministischen Netzwerken gemacht, die Unterstützung von ganz rechts bis weit in die liberale Mitte bekommen haben. Denn viele derer, die im berechtigten Kampf gegen den Islamismus immer wieder die Frauenrechte hochhalten, wollen nichts davon hören, wenn es um Feminismus im eigenen Land geht.

So war die Freischaltung des Wiki auch begleitet von einer Kampagne, an der sich die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit ebenso beteiligt hat wie die rechtspopulistische Webseite Pi-News. Aber auch der liberale Tagesspiegel hat das Wiki – in einer Glosse – als „Verfassungsschutzbericht der Genderszene“[7] betitelt. Besonders empört den Tagesspiegel-Kommentator, dass auch ihr langjähriger Mitarbeiter Harald Martenstein auf dem Wiki aufgeführt war.

Dabei muss der doch stolz darauf gewesen sein. Schließlich hat er in der letzten Zeit keine Zeit und Mühe gescheut, um sich als erklärter Antifeminist zu gerieren. Seine neue rechte Tonlage pflegt Martenstein nicht nur in dem Kampf gegen den Feminismus[8]. Auch gegen Migranten und überhaupt gegen alles, was als links gilt, hat er sich immer wieder positioniert. Es ist natürlich sein Recht, sich als Antifeminist darzustellen. Das gilt auch für all die anderen Personen, die auf dem Gender-Wiki aufgeführt wurden. Aber warum die Aufregung, wenn all die Personen dann auch namentlich genannt werden?

Sie lassen doch sonst keine Talk-Show, keinen Kommentarplatz und kein Mikrophon aus, um ihre Thesen oft im Gestus des Tabubrechers öffentlich zu machen. Sie werden also mitnichten durch das Wiki in die Öffentlichkeit gezerrt. Im Gegenteil suchen sie die Öffentlichkeit.

Heinrich-Böll-Stiftung-Bündnispartner gegen rechts?

Wenn nun die Heinrich-Böll-Stiftung vor der rechten Kampagne in die Knie geht, ist das vor allem dem Wahlkampf zu schulden. Die Grünen sind längst in der Mitte angekommen und viele führende Politiker liebäugeln mit einen Bündnis mit der Union nach der Bundestagswahl. Nun sind aber einige der im Wiki aufgeführten Personen Mitglieder dieser Partei oder stehen ihr nahe.

Da passt es den Wahlstrategen gar nicht, sich in der Genderfront so deutlich zu positionieren. Mag die Böll-Stiftung auch formal von der Partei unabhängig sein, so wird die Partei natürlich für die Aktivitäten der parteinahen Stiftung mit in die Verantwortung genommen. So nimmt man nun in Kauf, dass durch den Kniefall vor der antifeministischen Kampagne feministische und gendersensible Kreise verprellt werden.

Schließlich bringen die nicht die nötigen Wählerstimmen. Für kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellt sich aber jetzt noch einmal mehr die Frage, was die Heinrich-Böll-Stiftung als Bündnispartner gegen reaktionäre Politik überhaupt taugt.

Sie mag schöne Erklärungen abgeben, doch wenn es ernst wird, und auch die liberalen Medien Kritik anmelden, knickt die Stiftung ein. Das zeigt sich an der Causa „Agent*In“ besonders deutlich. Publizisten wie Andreas Kemper[9] informieren auch ohne Unterstützung grünennaher Stiftungen seit Jahren über die antifeministische Szene. Kemper hat die Kampagne gegen das Wiki treffend kommentiert[10]:

Die Antifeminist*innen fühlen sich getroffen, nicht nur eine aufgeregte Streitmacht von bislang ca. dreißig konservativen Blogs und Foren kritisierten das Wiki, sondern auch Journalisten.

Andreas Kemper[11]
Die Freischaltung des Wiki war von Anfang an von heftiger Kritik bis weit in die liberalen Medien begleitet.

URL dieses Artikels:

Peter Nowak
http://www.heise.de/-3796346
https://www.heise.de/tp/features/Kapitulation-vor-Antifeminismus-3796346.html
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.gwi-boell.de/de/2017/07/17/neu-agentin-ein-kritisches-online-lexikon-zu-anti-feminismus
[2] https://www.boell.de/de)
[3] https://www.boell.de/de/2017/08/07/stellungnahme-des-vorstands-der-heinrich-boell-stiftung-zum-online-lexikon-agentin
[4] https://www.boell.de/de/2017/08/07/stellungnahme-des-vorstands-der-heinrich-boell-stiftung-zum-online-lexikon-agentin
[5] http://www.gwi-boell.de/de/2017/07/04/gender-raus-12-richtigstellungen-zu-antifeminismus-und-gender-kritik
[6] https://www.boell.de/de/2017/07/17/%20gender-raus-und-agentin-erschienen
[7] http://www.tagesspiegel.de/politik/feminismus-eine-art-verfassungsschutzbericht-der-gender-szene/20101430.html
[8] http://uebermedien.de/12163/harald-martenstein-macht-luegenpresse-vorwuerfe-salonfaehig
[9] https://andreaskemper.org
[10] https://andreaskemper.org/2017/07/25/zur-agentin-1-ein-online-lexikon-ist-ein-online-lexikon
[11] https://andreaskemper.org

Eine afrikanische Sklavenhändlerin als Namensgeberin einer Berliner Straße?

Vielleicht doch, denn daraus könnte man lernen, dass Antikolonialismus wie alle emanzipatorischen Positionen keine Frage der „richtigen“ Religion oder Hautfarbe ist

Der Name Ana Nzinga[1] (auch: Nzinga Mbandi oder Jinga) dürfte bisher nur wenigen Menschen in Deutschland geläufig sein. Doch in Afrika genießt die im 17.Jahrhundert lebende Herrscherin Kultstatus und wird als Beispiel einer starken Frau gewürdigt, die sich auch den europäischen Eroberern widersetzte. Deshalb wurde sie von einer Kommission aus Bezirkspolitikern sowie antikolonialistischer und antirassistischer Gruppen als Namensgeberin für eine Straße im Weddinger Afrikanischen Viertel benannt[2].

Dieser Kiez verherrlichte den deutschen Kolonialismus und noch immer tragen viele Straßen Namen von deutschen Kolonisten oder ihren wissenschaftlichen und politischen Zuarbeitern. Seit Jahren fordern Antirassisten und antikoloniale Initiativen[3] die Umbenennung mehrerer Straßen. Statt die Nutznießer des deutschen Kolonialismus zu verewigen, sollen die Straßen künftig an Männer und Frauen aus Afrika erinnern, die sich gegen die europäischen Eroberer wehren.

Doch ist die Geschichte oft nicht so einfach in Gut und Böse einzuteilen, wie dies der Streit um die Personalie Ana Nzinga zeigt. Sie soll sich nicht nur persönlich an der Spitze einer Armee den Eindringlichen entgegen gestellt haben, sondern auch massiv in den Sklavenhandel verwickelt gewesen sein. „Eine Königin, die mit Sklaven handelt“, titelte[4] die Berliner Zeitung.

Damit rekurrierte sie auf den brasilianischen Historiker Tomislav R. Femenick[5], Autor des Buches „Die Sklaven. Von der frühen zur modernen Sklaverei“. Dort schreibt er über Nzinga:

Als die Holländer 1641 bis 1648 Angola übernahmen, verbündete sich Königin Jinga mit den neuen Invasoren. Bei jeder Gelegenheit bekundete sie ihr Interesse am Sklavenhandel – in Worten und Taten. Die Holländer erkannten ihr Sklavenmonopol an und zahlten für die von ihr gelieferten Sklaven höhere Preise als die Portugiesen … Zehntausende schwarze Menschen gingen auf diese Weise von den Lagerhäusern am Hafen von Luanda auf die sogenannten Negerschiffe (navios negreiros).
Tomislav R. Femenick

Kommt es auf die Hautfarbe beim Sklavenbefürworten an?

Diese Recherche rief sofort Menschen auf den Plan, die sowieso wenig davon halten, die Berliner Straßennamen antirassistisch zu gestalten. „Ein Afrikaforscher soll in Berlin gegen eine Sklavenhändlerin ausgetauscht werden“, polemisierte[6] Harald Martenstein. Doch der hier verteidigte Gustav Nachtigal[7] war keineswegs nur der unpolitische Forscher, der immer und überall nicht existiert. Er war vielmehr der wissenschaftliche Begleiter der Sklavenjagden[8]. Allerdings hat er sich auch kritisch über die Grausamkeiten geäußert, die von den Sklavenjägern verübt wurden.

Nun könnte man argumentieren, dass das Leben aller Menschen in der Regel widersprüchlich ist. Das muss für Ana Nzinga, die sich gegen die europäischen Eroberer stellte und dann mit ihnen als Herrscherin kooperierte, ebenso gelten wie für Gustav Nachtigal, der nicht grundsätzlich gegen die Sklaverei, sondern nur gegen ihre Auswüchse und Grausamkeiten agierte. Nur sollte dann gelten, dass beide nicht als Beispiele für Antikolonialismus auf Berliner Straßennamen verewigt werden sollten.

Daher ist es unverständlich, dass die für die Straßenumbenennung zuständige Weddinger Bezirksstadträtin Sabine Weißler[9] aufgrund der Recherche über die Sklavenhändlerin Ana Nzinga erklärte, dass der Name zu Diskussionen geführt habe, aber am Ende habe man mehrheitlich akzeptiert, dass sie von afrikanischer Seite als Heldin betrachtet werde.

Wenn Weißler dann noch die Entscheidung für Nzinga zum „Respekt für andere Perspektiven“ verklärt, wird das ganze Elend eines Kulturrelativismus deutlich, der universalistisch-emanzipatorische Grundsätze über Bord wirft, wenn es nur um „andere Perspektiven“ geht. Da wird schon mal sehr großzügig von der afrikanische Seite geredet. Damit werden die Menschen und Initiativen in den unterschiedlichen Ländern Afrikas entwertet, für die der Name einer Sklavenhändlerin nicht dadurch akzeptabel wird, weil sie die „richtige“ Hautfarbe hat.

Der Streit, der sich bei der Umbenennung der Weddinger Straße auftut, ist ein Symptom. In verschiedenen Kulturwissenschaften hat man sich schon längst von dem Anspruch einer universellen Emanzipation verabschiedet. Die „Whiteness-Forschung“ ist nur das beste Beispiel für diesen reaktionären Rollback.

Es geht nicht mehr um die Frage einer allgemeinen Emanzipation für alle Menschen, sondern nur noch um die Perspektiven der bisher angeblich oder real Unterdrückten, die vor allem von Menschen mit der „falschen“ Hautfarbe nicht infrage gestellt werden soll. Nun ist es angesichts der vielen Berliner Straßennamen mit Blücher, Manteuffel und anderen deutsch-preußischen Militaristen und Nationalisten überhaupt nicht schlimm, wenn auch Ana Nzinga eine Straße bekommt. Nur sollte man nicht von einer antikolonialen der sonstwie emanzipatorischen Maßnahme reden.

Vielmehr sollte man dann sämtliche bekannten Details ihrer Biographie dort erwähnen. Vielleicht sollte man auch eine Straße im afrikanischen Viertel nach einen der islamischen Herrscher oder Kaufleute benennen, die beim Sklavenhandel bedeutende Profite machten. Dann könnte man auch etwas daraus lernen. Antikolonialismus ist wie alle emanzipatorischen Positionen keine Frage der „richtigen“ Hautfarbe und Religion.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Eine-afrikanische-Sklavenhaendlerin-als-Namensgeberin-einer-Berliner-Strasse-3740267.html
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3740267

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.metmuseum.org/toah/hd/pwmn_2/hd_pwmn_2.htm
[2] http://www.taz.de/!5175370
[3] http://www.freedom-roads.de/index.htm
[4] http://www.berliner-zeitung.de/berlin/strassenumbenennungwedding-27036608
[5] http://www.tomislav.com.br/
[6] http://m.tagesspiegel.de/martenstein-ueber-berliner-strassennamen-warum-nicht-einfach-eine-allee-der-diskriminierten/19891132.html
[7] https://www.deutsche-schutzgebiete.de/gustav_nachtigal.htm
[8] http://www.spiegel.de/einestages/gustav-nachtigal-afrikaforscher-bei-den-sklavenjaegern-a-1082581.html
[9] https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksamt/sabine-weissler/