Wie die Armen und nicht die Armut bekämpft werden

Wohnungs- und Obdachlose sind den Angriffen besonders ausgeliefert

Hilfe für Wohnungs- und Obdachlose Menschen ist gerade in der kalten Jahreszeit dringend notwendig. Doch nicht überall sind alle Betroffenen willkommen. Der Verein Dresdener Bürger helfen Dresdner Obdachlosen e.V. hat nicht zufällig gleich zweimal den Namen der Stadt im Vereinsnamen. In der Satzung heißt es: „Der Verein Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V. unterstützt Dresdner Obdachlose und Bedürftige. Wenn Sie unsere Ziele als Mitglied oder Fördermitglied unterstützen möchten, dann sind Sie herzlich willkommen.“

Ein Reporter der Zeit wollte vom Vereinsgründer wissen, ob auch in Dresden lebende Flüchtlinge Unterstützung bekommen. Der gab darauf keine Antwort. Nach Recherchen der Zeit sind die Gründer des Vereins fest in der rechten Szene und bei Pegida verankert. Es ist nun nicht ungewöhnlich, dass Rechte die heimischen Wohnungs- und Obdachlosen für ihre Propaganda entdecken. Sie werden so gegen Migranten ausgespielt.

Da werden auf rechten Internetseiten schon mal Bilder von bettelnden Menschen gepostet und dann gefragt, warum für sie kein Geld da ist, das dann angeblich für die Fremden ausgegeben wird. Wie die Rechte erst dann Frauenrechte entdeckten, als es gegen die arabischen und afrikanischen Männer ging und sie sich als Kämpfer gegen den angeblich aus den arabischen Ländern exportierten Antisemitismus gerierten, so haben sie die Obdach- und Wohnungslosen erst entdeckt, als sie sie gegen Migranten ausspielen konnten.

Der Publizist und Autor Lucius Teidelbaum schätzt, dass das Interesse der Rechten an Wohnungs- und Obdachlosen bald wieder nachlässt. Er hat sich mit dem Hass auf Obdachlosen nicht nur in der rechten Szene befasst. „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“ lautet der Titel seines Buches zum Thema.

Sozialdarwinismus oder Spielart des Rassismus?

Der Begriff Sozialdarwinismus sorgte durchaus für Kontroversen bei einer Veranstaltung von Teidelbaum in Berlin. Anne Allex vom Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute lehnt den Begriff Sozialdarwinismus ab. Sie bezeichnet „Fremdenfeindlichkeit“, „Behindertenfeindlichkeit“ und Antisemitismus als Spielarten des Rassismus.

„Denn die zentrale Kategorie des Rassismus heißt ‚Minderwertigkeit‘, egal ob sie gegen Leute mit anderer Hautfarbe, Religion, Herkunft oder Arme und Wohnungslose gerichtet ist“, so Allex. Vor einigen Jahren hat ein antirassistisches Bündnis, das sich gegen die Propaganda von Thilo Sarrazin wandte, den Begriff Sozialchauvinismus verwendet. Er hat den Vorteil, dass er in letzter Instanz die kapitalistische Verwertungslogik in den Fokus der Kritik rückte. In der Selbstverständniserklärung des Bündnisses gegen Sozialchauvinismus hieß es:

Mit der globalen Krise sind Rassismus und Sozialchauvinismus in den politischen Alltag zurückgekehrt. Unter Druck geraten vor allem Erwerbslose, prekär Beschäftigte und Menschen, denen eine migrantische, insbesondere muslimische Identität zugeschrieben wird. Doch auch der Rest der Gesellschaft wird aufgemischt. Die Hetze gegen vermeintliche „Sozialschmarotzer_innen“ und „Integrationsverweiger_innen“ ebnet den Weg für eine umfassende Verschärfung kapitalistischer Standortpolitik.

Gründungsstatement der Bündnisses gegen Rassismus und Sozialchauvinismus (BgRS)

„Das war ja nur ein Penner“

Wohnungs- und Obdachlose sind den Angriffen besonders ausgeliefert, weil sie eben keine Tür hinter sich schließen können. Auf dem „Blog für Straße und Leben“ Berberinfo werden die Angriffe auf diese Menschen bis zum Mord dokumentiert. Dort sind auch die Zahlen der getöteten Obdach- und Wohnungslosen aufgeführt.

Einige bundesweit bekannt gewordene Morde an Obdachlosen, für welche Neonazis verantwortlich sind, werden dort auch aufgeführt. Es sei hier nur ein Fall herausgegriffen, an dem deutlich wird, wie nicht nur die Rechten, sondern auch die vielzitierte Mitte der Gesellschaft an der Diskriminierung von Wohnungs- und Obdachlosen beteiligt sind. Es geht um Günther Schwannecke. Über ihn heißt es im Berberinfo:

29.08.1992: Günter Schwannecke (58), ein zeitgenössischer Kunstmaler, wird am 29. August 1992 von einem Neonazi in Berlin-Charlottenburg erschlagen. Mit einem anderen Wohnungslosen, Hagen Knuth, saß er abends auf der Bank eines Spielplatzes an der Pestalozzi-/Fritschestraße. Die beiden Neonazis Norman Zühlke und Hendrik Jähn, damals in der rechtsextremen Szene aktiv, kamen hinzu, um ebenfalls dort sitzende Menschen mit Migrationshintergrund rassistisch zu beleidigen und zu vertreiben.

Günter Schwannecke und Hagen Knuth bewiesen Zivilcourage und mischten sich ein. Nachdem die ursprünglichen Opfer der beiden Angreifer flüchten konnten, richtete sich ihre Wut gegen die beiden Wohnungslosen. Zühlke schlug mit einem Alumium-Baseballschläger auf die beiden ein. Hagen K. wurde nach schwerem Hirntrauma im Krankenhaus gerettet, doch Günter Schwannecke starb am 5. September 1992 an den Folgen von Schädelbruch und Hirnblutungen. Der Täter, der nach eigener Aussage „seine Aggressionen abreagieren“ wollte, wird später wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Landgericht Berlin hob hervor, dass seine rassistische Gesinnung ursächlich für die Tat gewesen ist. Zühlke sei bei der Urteilsverkündung entsetzt gewesen, seine Skinheadfreunde kommentierten das Urteil aus dem ZuschauerInnenbereich: „Wieso? Der war doch nur ein Penner!““

Berberinfo

„Der war ja nur ein Penner!“ Diese Denke war auch der Grund, dass der Mann jahrelang vergessen war, obwohl er sterben musste, weil er Menschen mit Migrationshintergrund vor Neonaziangriffen verteidigte. Als der Geschäftsmann Dominik Brunner viele Jahre später in München an einem Herzinfarkt starb, nachdem er Jugendliche vor übergriffigen migrantischen Männern verteidigt hatte, wurde er bundesweit zum Helden erklärt und war sogar posthum als Träger des Bundesverdienstkreuz im Gespräch.

Dass Schwannecke schließlich doch noch einen Gedenkort auf dem Platz seiner Ermordung erhielt, ist einer zivilgesellschaftlichen Initiative zu verdanken. Die Berliner Obdachlosenhilfe, die explizit Menschen unabhängig von ihrer Herkunft unterstützt, hatte in Berlin-Moabit Probleme mit Bezirkspolitik und Anwohnern bekommen, weil sie auf einen zentralen Platz kostenlos Essen für wohnungslose Menschen verteilt hatte.

Obdachlosigkeit ist kein Verbrechen

Die Berliner Obdachlosenhilfe gehörte auch zu den wenigen Gruppen, die Mitte November eine Protestkundgebung gegen die vom Grünen Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel verantworteten Räumungen von wohnungslosen Menschen veranstalteten.

Dabei wird selten erwähnt, dass auch die von der Räumungen betroffenen Menschen mit einem Transparent protestierten. Auf diesem stand: „Obdachlosigkeit ist kein Verbrechen.“ Die Weddinger Ortsgruppe der Berliner Mietergemeinschaft stellte noch einmal den Zusammenhang zwischen der Politik und der wachsenden Obdach- und Wohnungslosigkeit her:

Wer heute zwangsgeräumt wird hat kaum Möglichkeiten aufgrund von Wohnungsnot und Mietenwahnsinn eine Ausweichwohnung zu finden. Das geschützte Marktsegment – der letzte Anker vor der Straße – liegt brach. Gleichzeitig erinnern uns die Armen der Öffentlichkeit daran, dass etwa auf den zahlreichen Baustellen dieser Stadt, Menschen zu Hungerlöhnen schuften müssen oder – wie im Fall der Mall of Shame – gar nicht bezahlt werden. Häufig bleibt den ausgebeuteten Arbeiter*innen nur die Platte oder ein Bett in der Kältenothilfe.

Weddinger Ortsgruppe der Berliner Mietergemeinschaft

Wie schnell dann vor allem Lohnabhängige von außerhalb Deutschlands zum Opfer werden können, zeigte sich vor wenigen Tagen in Berlin-Friedrichshain. In einem sehr belebten Tunnel starb am 5. Dezember ein Mann aus Polen. Sein Freund hat mit Blumen und Kerzen für eine kurze Zeit einen Gedenkort an der Stelle, an der er in den letzten Monaten lebte und im Berliner Winter starb, errichtet und mit einen Informationsblatt auch daran erinnert, wie schnell es gehen kann, in Berlin ganz unten und ganz draußen zu sein.

Der Mann kam aus Polen, arbeitete mehrere Jahre in Berlin als selbstständiger Handwerker, verschuldete sich und dann begann die Spirale von Armut, Verlust der Wohnung und schließlich das Sterben in der Öffentlichkeit. Als polnischer Staatsbürger konnte er von den deutschen Behörden keine Hilfe erwarten. Bei den rechten Vereinen, die sich plötzlich der Hilfe für Obdachlose verschrieben haben, wäre er ebenfalls nicht willkommen gewesen und Organisationen wie die Berliner Obdachlosenhilfe, die alle Menschen ohne Unterschied unterstützen, haben nicht genug Kapazitäten, um in ganz Berlin präsent zu sein.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-Armen-und-nicht-die-Armut-bekaempft-werden-3921775.html

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[1] https://www.obdachlosenhilfe-dresden.de/
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[3] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-12/sachsen-pegida-sozialarbeit-deutsche-obdachlose-fremdenfeindlichkeit-fluechtlinge
[4] https://www.unrast-verlag.de/autor_innen/luciusteidelbaum-857
[5] https://www.unrast-verlag.de/gesamtprogramm/reihen/transparent/obdachlosenhass-und-sozialdarwinismus-detail
[6] https://berlin.fau.org/termine/obdachlosenhass-und-sozialdarwinismus
[7] http://www.anne-allex.de/
[8] http://www.marginalisierte.de/
[9] https://gegenrassismusundsozialchauvinismus.wordpress.com/
[10] https://gegenrassismusundsozialchauvinismus.wordpress.com/about/
[11] http://berberinfo.blogsport.de/
[12] http://berberinfo.blogsport.de/chronik-obdachloser-opfer/
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[14] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/muenchner-dominik-brunner-die-letzten-minuten-des-beschuetzers-a-650053.html
[15] http://guenterschwannecke.blogsport.eu/
[16] http://www.berliner-obdachlosenhilfe.de/
[17] https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/obdachlose-hansaplatz.html
[18] https://www.facebook.com/events/1760380164264890
[19] https://www.morgenpost.de/bezirke/mitte/article212393803/Bezirk-Mitte-raeumt-Obdachlosen-Lager-im-Tiergarten.html
[20] https://www.morgenpost.de/bezirke/mitte/article212379627/Obdachlose-protestieren-gegen-Raeumung.html
[21] https://www.bmgev.de/beratung/beratungsstellen/bezirke/wedding.html

Noch nicht Geschichte

VVN-Konferenz mahnt

In eindringlichen Worten beschwor der 90-jährige Volkmar Harnisch die Anwesenden, dem Aufstieg einer neuen rechtspopulistischen Bewegung in Deutschland entgegen zu treten. Er war 1944 im Alter von 17 Jahren von den Nazis inhaftiert worden. Am Freitagabend eröffnete er in der TU Berlin eine Konferenz der Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistischen (VVN-BdA). Unter dem Titel »Deutschland wieder gutgemacht?« befasste sie sich mit dem Wandel der Erinnerungspolitik an das NS-Regime. Harnisch ist einer der wenigen noch lebenden Widerstandskämpfe

Wie wird eine Erinnerungspolitik ohne die Zeitzeugen aussehen? Das ist eine Frage, die sich auch der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Detlef Garbe in seinem Einführungsreferat stellte. Er warnte vor einem »Aufarbeitungsstolz« deutscher Politiker, die eine neue Rolle Deutschlands in der Weltpolitik damit begründen, dass das Land sich der NS-Geschichte vorbildlich gestellt habe. Garbe erinnerte daran, dass bis in die 1980er Jahre der Kampf um Erinnerungsorte von NS-Terror und Verfolgung eine Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen war und von der Politik oft ignoriert oder gar sabotiert wurde. Er betonte, Gedenkpolitik müsse auch weiterhin politisch verunsichern. Wenn die AfD in den Bundestag einziehe, stünden ihr auch Sitze in Kommissionen zu, die sich mit Gedenkpolitik befassen. Zudem beklagte der Historiker daraufhin, dass der Etat für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte größer sei als für die Erinnerung an den NS-Terror. Der Publizist Wolfgang Herzberg wiederum, der als Kind jüdischer Kommunisten im britischen Exil geboren wurde, verwahrte sich in einer engagierten Rede gegen die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Regime.

In einer von der Historikerin Cornelia Siebeck moderierten Podiumsdiskussion ging es dann um die Frage, wie eine Erinnerungspolitik aussehen kann, die in die aktuelle Politik kritisch intervenieren will. Nach dem Tod der letzten Zeitzeugen befürchtet sie eine Historisierung des Faschismus. Der Publizist und Jurist Kamil Majchrzak verwies in diesem Kontext auf die Verantwortung der dritten Generation, der Kinder und Enkel von NS-Opfern und Widerstandskämpfern. Dabei griff er eine Diskussion auf, die in Israel schon einige Jahre geführt wird. Majchrzaks Großvater war NS-Widerstandskämpfer und KZ-Häftling. Dessen Erfahrungen hätten auch ihn geprägt.

Für Anne Allex von der AG »Marginalisierte gestern und heute« ist Geschichte der Verfolgung in der NS-Diktatur noch längst nicht vollständig erforscht. Sie wies daraufhin, dass Menschen, die von den Nazis als »arbeitsscheu« und »asozial« klassifiziert wurden, bis heute keine Entschädigung erhalten haben und in den Nachkriegsjahren oft weiter verfolgt wurden. Der Wissenschaftler Stefan Heinz, der in einem Forschungsprojekt der FU Berlin über das Schicksal von Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen im NS-Staat mitarbeitet, ist der Überzeugung, dass vor allem die Widerstandsgeschichte der Arbeiterbewegung gegen die Hitlerdiktatur noch nicht ausgeforscht sei.

Die gutbesuchte Konferenz machte deutlich, dass die Gruppe jener wächst, die sich gegen Versuche stemmt, die Erinnerungspolitik an die Verbrechen des NS-Staates als vergangene Geschichte zu betrachten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1063300.noch-nicht-geschichte.html

Peter Nowak

Ganz am Rand

Den Namen »Schicksalsgemeinschaft der Vergessenen« wollte sich 1946 eine Gruppe von Verfolgten des Naziregimes in Berlin geben. Ihnen ­wurde von den Alliierten die Zulassung als Verein verweigert. Es handelte sich um Menschen, die als asozial und arbeitsscheu stigmatisiert worden waren. Darunter konnten alle Menschen fallen, die sich nicht den Normen anpassten, die der NS-Staat und die deutsche Volksgemeinschaft gesetzt hatten. Obwohl sie zeitweilig die größte Gruppe der KZ-Häftlinge stellten, wurden sie in der BRD und der DDR weiterhin stigmatisiert und verfolgt. Erst in den vergangenen Jahren erforschen Initiativen das Schicksal dieser Menschen und fordern ein würdiges Gedenken. Der 2007 gegründete »AK Marginalisierte gestern und heute« spielt dabei eine wichtige Rolle. Seine Mitbegründerin Anne Allex hat nun einen Sammelband heraus­gegeben, der einen Überblick über die Initiativen gibt, die sich für die Anerkennung der beschwiegenen NS-Opfer einsetzen. Die Bemühungen um einen Gedenkort in der Nähe des ehemaligen Berliner Arbeitshauses Rummelsburg werden ebenso dargestellt wie die Uckermark-Initiative, die durchsetzen konnte, dass die Inhaftierung von Mädchen und jungen Frauen in KZ nicht mehr mit dem Täterbegriff Jugendschutzlager belegt wird. Der Uckermark-Initiative gelang auch eine Kooperation mit der Lagergemeinschaft Ravensbrück, die die Interessen der politischen Gefangenen vertritt, die sich oft von den als asozial stigmatisierten Häftlingen distanzierten. Das Buch ­besticht durch eine Mischung aus Berichten von geschichtspolitischen Initiativen und wissenschaftlichen Texten über die Verfolgung sogenannter Asozialer. Hervorzuheben sind die Interviews mit den letzten Überlebenden und ihren Angehörigen. Sie wurden nicht vergessen, sondern zum Schweigen gebracht, wie Allex schreibt.

Anne Allex (Hg.): Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus. AG Spak Buch, Berlin 2017, 434 Seiten, 28 Euro

https://jungle.world/artikel/2017/31/vermittelbare-aktionsformen

Peter Nowak

Service für Wohnungslose bedroht

SOZIALES Die Straßenzeitung „Querkopf“ hat eine Kündigung erhalten – und stellt sich dagegen quer

Man darf Werner Schneidewind einen Querkopf nennen. Der Erwerbslosenaktivist legt sich mit den Behörden und Jobcentern an. „Macht euch unabhängig von Sozialämtern. Es ist leichter, als ihr glaubt“, steht auch in der Straßenzeitung Querkopf, für die Schneidewind arbeitet.

Er ist nicht nur Mitglied des „Querkopf“-Vereins, er betreut auch die Vereinsräume in der Blücherstraße 37. Plakate zeugen von den vielfältigen politischen Aktivitäten dort. Der Kampf gegen Ämterwillkür gehört ebenso dazu wie der Umweltschutz oder der Einsatz für eine Legalisierung von Drogen. Jetzt ist der Standort bedroht.

Wenn Schneidewind derzeit einen kleinen Klapptisch vor dem Verein aufstellt, auf dem dann neben der aktuellen Querkopf-Ausgabe auch Comics und Flugblätter zu finden sind, erkundigen sich viele NachbarInnen oft über den neuesten Stand der Auseinandersetzung mit der Hausverwaltung. Die Immobilienfirma Bearm GmbH hatte dem Verein die Räume, die er 2001 gemietet hat, zum 31. März dieses Jahres gekündigt.

Doch die Querköpfe holten nicht den Umzugswagen, sondern formulierten einen Solidaritätsaufruf unter der Überschrift: „Man will uns aus dem Kiez vertreiben“. Seitdem erreichten die Bearm GmbH zahlreiche Protestschreiben. Auch Anne Allex vom „Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute“ fordert die Rücknahme der Kündigung. „Der Querkopf ist eine der am längsten in Berlin erscheinenden Wohnungslosenzeitungen. Sie bietet in ihrer Zeitung einen Service für Wohnungslose an, in dem sie Beschlüsse der Politik, neue Gesetzesregelungen, Gerichtsurteile mitteilt und Beratungsstellen und Anlaufstellen empfiehlt“, heißt es in ihrem Schreiben. Ein Verlust der Räume würde die Arbeit gefährden, befürchtet Allex.

Schließlich ist der Verein Anlaufpunkt für viele Menschen, die sich durch den Verkauf der Zeitung etwas dazuverdienen. Zudem dienen die Räume auch als Depot für Gegenstände aus Haushaltsauflösungen, ein Zuverdienst für die Erwerbslosen.

Einen persönlichen Erfolg hat Schneidewind gegenüber den Bearm-Geschäftsführer schon errungen. Der habe ihm im März prophezeit, dass die Vereinsräume in sechs Monaten leer sein werden. Bisher ist aber noch nicht einmal ein Gerichtstermin zu einer möglichen Räumung benannt worden. Eine Mitarbeiterin der Bearm GmbH erklärte gegenüber der taz, ihre Firma gebe in der Angelegenheit keine Auskünfte.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2014%2F08%2F07%2Fa0212&cHash=b81bac59ea9b6ba3040c6262959b1b1f

Peter Nowak

Gedenkzone

Viel ist über das Leben von Erna K. nicht bekannt. Die aus armen Verhältnissen stammende Frau arbeitete als Haushaltshilfe und wurde in der Nazi-Zeit im Alter von 17 Jahren von ihrem Chef mißbraucht. Schwanger und als »asozial« stigmatisiert, war sie zwischen 1941 und 1944 im Arbeitshaus Rummelsburg inhaftiert. 1944 wurde sie dort zwangssterilisiert. Die Historikerin Susanne Doetz ist bei ihren Forschungen zur Geschichte der Zwangssterilisierung auf die Daten dieser Frau gestoßen. Sie war eine von Tausenden, die im Arbeitshaus Rummelsburg litten, weil sie als »asozial« galten. Das Ende des 19. Jahrhunderts errichtete zentrale Berliner Arbeitshaus wurde im Nationalsozialismus zum Ort der Verfolgung von Menschen ausgebaut, die nicht ins Bild der deutschen Volksgemeinschaft paßten. Sonderabteilungen für Homosexuelle und sogenannte »psychisch Abartige« wurden eingerichtet. Als unter Beteiligung der Kriminalpolizei am 13. Juni 1938 im Deutschen Reich mehr als 10.000 Personen als »asozial« stigmatisiert in Konzentrationslager verschleppt wurden, war das Arbeitshaus Rummelsburg ein Zentrum dieser »Aktion Arbeitsscheu Reich«. Während des Zweiten Weltkriegs waren dort jüdische Zwangsarbeiter eingepfercht.

Die »AG Marginalisierte gestern und heute«, die in den letzten Jahren diese Informationen zusammentragen hat, fordert die Errichtung eines Gedenkorts für die als »asozial« Stigmatisierten auf dem Gelände des ehemaligen Arbeitshauses Rummelsburg. Diese Menschen haben nach 1945 in der Regel keine Entschädigung erhalten, wurden nicht selten in Nachkriegs-BRD wie -DDR weiterhin diskriminiert. Bis heute leben sogenannte Asoziale in Deutschlands Braunzonen gefährlich. Ein Gedenkort in Rummelsburg wäre also mehr als bloße Erinnerungspolitik. Doch wird es dazu wohl nicht kommen. Weil im ehemaligen Arbeitshaus Rummelsburg ab 1951 ein DDR-Gefängnis eingerichtet wurde, soll der Ort neben Hohenschönhausen zu einem weiteren Gedenkort des »DDR-Unrechts« werden. Bei der Präsentation dieser Pläne Ende Juni wurde die Bezeichnung »Arbeitshaus« nicht einmal erwähnt, kritisiert der Historiker Robert Sommer. Eine App zum DDR-Gefängnis Rummelsburg existiert bereits, eine weitere über Rummelsburg in der NS-Zeit soll es nur geben, wenn das Geld reicht. Mit einer Ausweitung der DDR-Gedenkzone können sich auch die Townhouse- Bewohner in der Rummelsbucht anfreunden, die die Kundgebungen für einen Gedenkort für die Asozialen hinter zugezogenen Vorhängen mißtrauisch beäugten. Im Anderen Haus VIII, einem Hotel im ehemaligen »Arresthaus für männliche Corrigenden«, können jene Berlin-Besucher ihr Nachtquartier in individuell eingerichteten Zellen, »teilweise mit Wasserblick«, beziehen, die von der Verfolgung Asozialer nichts hören und sehen wollen.

http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2014/heft-82014/articles/gedenkzone.html

aus: Konkret 8/2014

Peter Nowak

Die Punktierungen haben wehgetan

HEIMKIND Bruno Schleinstein wurde durch Filme Werner Herzogs bekannt. Seine Vita, durch jahrzehntelange Aufenthalte in Anstalten geprägt, war wenig bekannt – bis er sich für die Geschichte der „Asozialen“ engagierte

Ein Gefühl der Heimatlosigkeit begleitete den Künstler Bruno Schleinstein von frühester Kindheit an. 1932 wurde er in Berlin-Friedrichshain geboren. Schon im Alter von drei Jahren wurde er in ein Heim eingewiesen, weil er als uneheliches Kind einer Prostituierten geboren worden war. Allein dieser Umstand machte ihn in den Kategorien der Zeit zu einem „Asozialen“.

Solchermaßen bereits als Kind stigmatisiert, brachte er die nächsten 23 Jahre in verschiedenen Heimen, psychiatrischen Kliniken und sogenannten Besserungsanstalten zu. Die „Stunde null“ änderte daran nicht alles. Die Wittendorfer Kliniken in Reinickendorf, die Städtische Nervenklinik Wiesengrund und die Claszeile 57 in Zehlendorf waren Stationen seiner Odyssee durch Anstalten und Heime.

Viel hat er über diese ihn prägende Zeit nicht preisgegeben. Doch in dem Wenigen, was er über sich in der dritten Person erzählte, werden seine Gefühle umso deutlicher: „Der Bruno wurde nie besucht“, lautete einer seiner Sätze. Oder: „Die Punktierungen haben dem Bruno wehgetan.“ Damit kommentierte er die Experimente, die Ärzte und Psychiater im Nationalsozialismus an den Insassen von Wiesengrund vornahmen.

„Bruno hat oft die Verbindung zwischen Zuchthaus, Arbeitshaus und Friedhof gezogen“, sagt Anne Allex. Die Erwerbslosenaktivistin und Mitbegründerin des Arbeitskreises „Marginalisierte – gestern und heute“ hat Schleinstein vor mehr als zwei Jahren kennengelernt. „Ein Mitstreiter konnte ihn dafür gewinnen, bei Veranstaltungen aufzutreten, die dem Gedenken der im Nationalsozialismus als asozial verfolgten Menschen gewidmet sind.“ Die AG Marginalisierte will dazu beitragen, dass das Schicksal dieser auch in der linken Geschichtsschreibung weitgehend ausgeblendeten Personengruppe dem Vergessen entrissen wird.

Arbeitshaus Rummelsburg

Auf der Vernissage einer von dem Arbeitskreis organisierten Ausstellung über Wohnungslose im Nationalsozialismus hat Schleinstein im Januar 2008 seine Lieder gesungen. Auch vor dem ehemaligen Berliner Arbeitshaus in Rummelsburg ist Schleinstein im selben Jahr zweimal aufgetreten. Das Arbeitshaus war 1879 gegründet worden. Im kaiserlichen Berlin diente es als Strafanstalt für Leute, die der „Bettelei“ bezichtigt wurden. Im Nationalsozialismus wurde die Anlage zum „Städtischen Arbeits- und Bewahrungshaus Berlin-Lichtenberg“ umgebaut. Unter Beteiligung der Kriminalpolizei wurden am 13. Juni 1938 im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ in ganz Deutschland mehr als 10.000 Personen als „Asoziale“ in Konzentrationslager verschleppt. Einer der Ausgangsorte dieser Aktion war das Arbeitshaus in Rummelsburg.

Begleitet von seinem Akkordeon, sang Schleinstein hier nun seine Lieder von Verfolgung und der Sehnsucht nach Freiheit. Vor sich hatte er verschiedene Glocken mit unterschiedlichen Tönen arrangiert, die er im Takt der Musik läutete. Besonders gern trug er das Lied „Die Gedanken sind frei“ vor. „Er betonte jede Silbe und legte Wert darauf, das Lied mit all seinen Strophen zu singen“, erinnert sich Anne Allex.

In dem von der Berliner Filmemacherin Andrea Behrendt erst in diesem Jahr gedrehten Film „arbeitsscheu – abnormal -asozial“ – Zur Geschichte der Berliner Arbeitshäuser“ findet sich nicht nur ein Ausschnitt von Schleinsteins Auftritt vor dem ehemaligen Arbeitshaus in Rummelsburg. Die Filmemacherin konnte ihm Statements entlocken. „Die Armen sind die Sklaven der Reichen, und die Reichen, wer weiß, was die im Keller oder sonst wo versteckt haben“, erzählt Schleinstein. Die Erfahrungen mit seiner Umwelt fasst er in die Worte: „Die Leute nehmen mich nicht für voll, weil ich anders aussehe.“ In die Kritik hat er auch Filmemacher wie Werner Herzog einbezogen, der sich in den 70er Jahren mit seinem Kaspar-Hauser-Film als Entdecker des Künstlers Bruno S. feiern ließ. „Bruno ist doch nur ein Wegwerfartikel“, war sein Kommentar zu dieser Zusammenarbeit Jahre später.

Auch über den Tod hat Schleinstein in Behrendts Doku philosophiert und die höchst originelle Ansicht beigesteuert: „Wenn die Toten singen könnten, würden sie sagen, ich bin ein Star, holt mich hier raus.“ Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass Schleinstein, der am 10. August im Alter von 78 Jahren gestorben ist, seinen Körper für Forschungszwecke an die Charité verkauft hat. Er, der so viele Jahre eingesperrt war, wollte zumindest nach dem Tod nicht wieder auf jemand warten, der ihn rausholt.

Begleitet von seinem Akkordeon, sang Schleinstein hier seine Lieder von Verfolgung und Freiheit

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ku&dig=2010%2F08%2F28%2Fa0205&cHash=801116a25b

Peter Nowak