Das deutsche Lagerdenken und der Umgang mit Migranten

Überrollt vom Wasserwerfer

Der Tod des Antifaschisten Günter Sare vor 30 Jahren wirkt bis heute nach

Dreißig Jahre danach wird in Frankfurt am Main ein Gedenkstein in den Boden eingelassen: »An dieser Stelle wurde Günther am 26.9.1985 von einem Wasserwerfer der Polizei überfahren. Er bezahlte seinen Protest gegen eine Versammlung der NPD im Haus Gallus mit seinen Leben.« Diese Inschrift ist nun an der Kreuzung Frankenallee/Hufnagelstraße im Gallusviertel zu lesen. Freunde und Bekannte haben dafür gesorgt.

Bis heute bewegt der Tod des Maschinenschlossers und Mitarbeiters eines Jugendzentrums die Linke in der Stadt. 300 Menschen beteiligten sich an seinem Todestag an einer Gedenkdemonstration. 100 Menschen kamen zu einer Veranstaltung, bei der Zeitzeugen von der politischen Situation Mitte der 80er Jahre erzählten. Dabei spielte der Veranstaltungsort eine zentrale Rolle. Das Haus Gallus wurde kurz nach der Eröffnung weltbekannt. Schließlich fand dort von April 1964 bis August 1965 der Auschwitzprozess statt. Daher war es für Antifaschisten eine besondere Provokation, dass in den gleichen Räumlichkeiten am 26. September 1985 eine Versammlung der NPD stattfinden sollte. Vergeblich hatten Organisationen von den Behörden das Verbot der Neonaziveranstaltung am Ort der Auschwitzprozesse gefordert.

Ein antifaschistisches Bündnis veranstaltete in der Nachbarschaft ein multikulturelles Fest. Als die ersten Nazis eintreffen fliegen Flaschen, Böller und Beutel mit Buttersäure. Die Polizei geht mit Knüppel und Wasserwerfer gegen die Antifaschisten vor. Augenzeugen beobachten, wie gegen 21 Uhr zwei Wasserkanonen auf den 36-Jährigen schießen und er zu Boden stürzt. Ein weiterer Wasserwerfer beschleunigt und überrollt den Mann. Erst 20 Minuten später trifft ein Notarztwagen ein. Sare stirbt noch auf dem Weg ins Krankenhaus.

Viele Aktivisten sprechen bis heute von Mord. Ein Wasserwerfer habe gezielt Jagd auf Sare gemacht. In den folgenden Tagen gingen in der gesamten BRD Tausende Menschen auf die Straße. An vielen Orten kam es zu heftigen Krawallen. Die Wut der Linken war deshalb so groß, weil die Polizei auch nach Sares Tod massiv gegen die NPD-Gegner vorging und auch Menschen nicht verschonte, die Erste Hilfe leisteten. Die Kluft zwischen der außerparlamentarischen Linken und den Grünen, die sich damals in Hessen auf die bundesweit erste Regierungsbeteiligung vorbereiteten, wurde nach Sares Tod unüberbrückbar.

Die Demonstranten erinnerten am Wochenende in Frankfurt auch an weitere Tote: So zogen sie an dem Jobcenter vorbei, in dem 2011 Christy Schwundeck nach einem Streit mit einer Sachbearbeiterin durch eine Polizeikugel starb. Genau wie bei Sare blieb ihr Tod ohne strafrechtliche Konsequenzen.

Auch auf dem Friedhof wird ein schlichter Stein mit der Aufschrift »No Pasaran« weiterhin an den Antifaschisten erinnern. Der Freundeskreis Günter Sare hat genug Spenden eingeworben, damit das Grab auch nach 30 Jahren erhalten bleibt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/986203.ueberrollt-vom-wasserwerfer.html

Peter Nowak


Wenn Konzerne zu Protestberatern werden

Eine Tagung in Berlin beschäftigte sich mit der Tatsache, dass auf der „Wiese der Zivilgesellschaft“ auch wirtschaftsfinanzierte und beeinflusste Akteure grasen

Wer den Beginn Astroturf [1] hört, denkt an Esoterik. Doch tatsächlich ist der Begriff mittlerweile in das Vokabular von Aktivisten von sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen eingegangen. Damit wird die nicht überraschende Tatsache beschrieben, dass Konzerne und konzernnahe Institute eifrig auf den Feldern der Zivilgesellschaft mitmischen, sich dort also als Akteure aufspielen, wie es im NGO-Sprech heißt.

Sie unterstützen dabei natürlich Positionen, die den Interessen des entsprechenden Konzerns nützen. Nicht immer sind solche konzernbeeinflussten Initiativen so leicht zu erkennen wie beim Verein Bürger für Technik [2], deren Mitglieder in Leserbriefen an verschiedene Zeitungen regelmäßig Stimmung gegen die Energiewende machen [3].

Ein eifriger Leserbriefschreiber ist auch der Mitbegründer des Vereins Ludwig Lindner. Nach Angaben des lobbykritischen Nachschlagewerk Lobbypedia [4] war Linder bis 2004 Sprecher von „Nutzen der Kerntechnik“ bei der Kerntechnischen Gesellschaft [5].

Oft ist die Einflussnahme der Industrie nicht so einfach zu erkennen. Dabei ist das Tätigkeitsfeld sehr groß. Sie kümmern sich um die Wikipedia-Seiten bestimmter Konzerne ebenso wie um die Organisierung von Pro-Kohle oder Pro-AKW-Demonstrationen, bei denen die Mitarbeiter der Firmen und ihre Angehörigen eine große Rolle spielen.

Am gestrigen Samstag widmete sich im Rahmen der Linken Medienakademie [6] eine Tagung unter dem mehrdeutigen Titel „Konzernprotest“ [7] dem Phänomen des Kunstrasens, wie Astroturfing übersetzt heißt. Schon der Begriff ist voraussetzungsvoll.

Dahinter steht das Bild eines blühenden wildwachenden Rasens, der die soziale Bewegung und Zivilgesellschaft darstellen soll. Kunstrasen wird es nach dieser Vorstellung dann, wenn Konzerne und Wirtschaftslobbyisten diese Wiese ebenfalls abgrasen. Im Publikum, das überwiegend aus Aktivisten und NGO-Vertretern aus dem Umweltbereich bestand, wurde diesen einfachen Blick allerdings auch widersprochen.

Keine Marionetten der Wirtschaft

So warnte ein Teilnehmer davor, die Aktivisten dieser wirtschaftsnahen NGOs nur als Marionetten der Konzerne zusehen. Viele teilen die Überzeugungen der Wirtschaft und sehen in deren Unterstützung eine willkommene Hilfe. In den Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass die Situation im Detail noch komplizierter sein kann.

Wenn Konzerne gemeinsam mit DGB-Gewerkschaften zur Großdemonstration für den Erhalt der Kohleindustrie nach Berlin aufrufen, spielt natürlich der Angst vor Arbeitsplatzverlusten für die Beschäftigten ebenso eine Rolle wie ein Standortnationalismus, der die Interessen der Konzerne unhinterfragt verinnerlicht.

Die Vorstellung, dass ein Beschäftigter von EON, Vattenfall und RWE nicht mit dem Konzern identisch ist sondern nur seine Arbeitskraft dort verkauft, ist vielen von ihnen fremd. Wenn nun Vattenfall in der Lausitz ganze Dörfer abbaggert und in der strukturschwachen Region als Sponsor von Schulen, Kindergärten und Bibliotheken auftritt, so wird deutlich, dass eine wirtschaftsliberale Politik, die sich im Zeitalter der Schuldenbremse selbst aus dem Erhalt einer minimalen sozialen Infrastruktur zurück zieht, die Konzerne geradezu einlädt, als Sponsoren aufzutreten und sich damit Einfluss und Macht in der Region zu sichern.

Denn, wenn die Konzernpläne nicht genug gewürdigt werden, drohen nicht nur Arbeitsplatzverluste, sondern auch die Schließung von Schulen und Bibliotheken. So wird schnell deutlich, dass das Problem weniger daran besteht, dass auch die Wirtschaft ihre Interessen im Rahmen der Zivilgesellschaft durchsetzen will.

Kritisiert werden müssten politische Verhältnisse, die es den Konzernen so leicht machen, diese Interessen umzusetzen, weil sie Macht und Einfluss haben. Unterschiedliche Teilnehmer sprachen auch das Wirtschaftssystem an. Ein Aktivist warb für die Stärkung der Umweltgewerkschaft [8], mit der eine verstärkte Kooperation zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegung angestrebt wird.

Gewerkschafter fehlten auf der Tagung

Tatsächlich wurde als Manko der Tagung das Fehlen vor allem von Gewerkschaften genannt. Dabei geht es nicht um die Vorstände, sondern um engagierte kritische Gewerkschafter, die sich oft auch gegen die Vorstände ihrer eigenen Verbände durchsetzen müssen. Es gibt zwischen dem Astroturfing und der Unterstützung von Konzernen bei der Etablierung wirtschaftsfreundlicher Pseudogewerkschaften durchaus Parallelen.

Lange Zeit gab es in vielen großen Betrieben sogenannte „gelbe Gewerkschaften“, die mit dem Management und Teilen der Angestellten sowie wenigen Arbeitern vor allem in Betrieben eingerichtet wurden, wo kämpferische DGB-Gewerkschafter aktiv waren. In dem Buch „Der Fall BMW – Macht und Recht im Betrieb“ [9], das kürzlich im Verlag Die Buchmacherei [10] erschienen ist, wurde an einen langandauernden Arbeitskonflikt vor 30 Jahren erinnert, bei der diese Konzernstrategie eine wichtige Rolle spielte.

Es wäre sicher sinnvoll gewesen, zu der Tagung einige der aktiven Kollegen einzuladen, die jahrelang gegen die Etablierung konzerngesteuerter Gewerkschaften in ihren Betrieben nicht ohne Erfolg kämpften, wenn es darum gegangen wäre, den Kontakt zu Gewerkschaftern auszubauen. Aber das war sicher nicht das Hauptziel aller Teilnehmer.

So wurde von einigen auf die Beiträge der „Taz zum Wandel“ [11] am 5. September 2015 hingewiesen, in der gewerkschaftliche Kämpfe nur am Rande vorkamen. Stattdessen dominierte dort der Wunsch nach einem sanften Kapitalismus, garniert mit anthroposophischen Konzepten und Esoterik. Sicher haben diese Akteure weniger Einfluss und Macht als große Wirtschaftskonzerne. Doch auch eine Beeinflussung von NGOs durch sie wäre sicher kein Fortschritt.

Öfter mal eine Mitmachfalle umgehen

Viele Tagungsteilnehmer wehrten sich gegen den Eindruck einer allmächtigen Industrie, die nun auch noch die sozialen Netzwerke und die NGO-Szene kapert. Michael Wilk, der lange in der Bewegung gegen die Startbahn-West aktiv ist, beschreibt [12], wie Mediationen und andere Gesprächsangebote zu Instrumenten werden, die Ausbaupläne der Flughafenbetreiber widerstandsloser durchsetzen können.

Solche Erfahrungen mussten auch die Kritiker von Stuttgart 21 machen. Wilk rät selbstbewusst seinen Mitstreitern aus NGO und sozialen Initiativen, öfter mal nein zu sagen, und solche Mediationsangebote abzulehnen, wenn deutlich wird, dass nur die Wirtschaft davon profitiert.

Besonders großen Anklag fand ein Workshop des Berliner PENG-Kollektivs [13], auf dem Beispiele ihrer Kommunikationsguerilla gegen große Konzerne vorgestellt wurden. So endete ein von der Firma Shell gesponserter Science Slam, auf dem junge Wissenschaftler umweltfreundliche Produkte vorstellen sollten, im Chaos [14].

Bei der Vorführung explodierte scheinbar der Motor und verspritzte literweise Öl. „Mit dem Spruch, hier können sie den Stecker ziehen, in der Arktis nicht“, outeten sich die vermeintlichen Wissenschaftler als Umweltaktivisten. Die Aktion sorgte wie alle weiteren Kommunikationsguerilla-Aktion des Peng-Kollektivs für eine große Medienöffentlichkeit [15].

Shell-Kampagne vor 30 Jahren und heute

Allerdings machten die Aktivisten auch klar, dass eine zeitaufwendige Vorarbeit für diese Aktionen nötig gewesen sei. Die Tagungs-Teilnehmer waren begeistert. „Hier wird nicht darüber geklagt, wie schlimm die Konzerne sind. Hier drehen wir den Spieß um und stellen sie in der Öffentlichkeit bloß“, sagte ein Aktivist des Peng-Kollektivs unter großen Applaus.

So wurde das Bedürfnis vieler Teilnehmer befriedigt, endlich selber Themen zu setzen und nicht immer auf die Konzerne zu reagieren. Dabei muss man sich doch tatsächlich fragen, ob der Aufwand für die Aktion bei Shell die reale Wirkung lohnt. Schließlich kommt für viele Zeitungsleser nur rüber, hier wäre ein Motor explodiert und die Wissenschaftler waren gar nicht echt.

Wird hier wirklich für größere Teile der Bevölkerung Aufklärung über das Agieren des Konzern betrieben oder ist die Aktion so voraussetzungsvoll, dass nur Menschen, die sich beispielsweise mit Green-Washing-Strategien von Konzernen befasst haben, die Motivation verstehen, eine Veranstaltung zu chaotisieren, mit dem ein Konzern vorgeblich Forschung prämiert, die umweltfreundliche Produkte produzieren soll?

Schließlich könnte sich auch die Frage stellen, ob die außerparlamentarische Kampagne „Shell to Hell“, mit der in den 80er und 90er Jahren mit unterschiedlichen Aktionen gegen die Politik von Shell vor allem in Ländern des globalen Südens agiert [16] wurde, durchaus auch Erfolge zeigte und auch von Menschen praktiziert werden konnte, die eben nicht gleich Wissenschaftler und eingebettete Journalisten auftreiben können.

So wirft die Präsentation des Peng-Kollektivs und die große Zustimmung des Tagungspublikums auch Fragen hinsichtlich der Perspektive von außerparlamentarischen Protesten auf. Wenn der Aufwand so groß wird, braucht der auch Sponsoren und Förderer und ist daher auf solidarische Strukturen angewiesen.

Allerdings zeigte das Peng-Kollektiv mit einer gefakten Vattenfall-Erklärung [17] und noch mehr mit ihrer jüngsten sehr erfolgreichen Aktion Fluchthelfer.in [18], dass es auch Möglichkeiten gibt für Einzelpersonen oder keine Gruppen, sich an Aktionen zu beteiligen.

http://www.heise.de/tp/news/Wenn-Konzerne-zu-Protestberatern-werden-2826954.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://lobbypedia.de/wiki/Astroturfing

[2]

http://www.buerger-fuer-technik.de/

[3]

http://www.zeit.de/2008/17/Atomlobby

[4]

https://lobbypedia.de/wiki/B%C3%BCrger_f%C3%BCr_Technik

[5]

http://www.ktg.org/ktg/0

[6]

http://www.linkemedienakademie.de/

[7]

http://www.konzernprotest.de/

[8]

http://www.umweltgewerkschaft.org/index.php/de/

[9]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2014/10/bmw_buch.pdf

[10]

http://diebuchmacherei.de/

[11]

http://www.taz.de/!160910/

[12]

http://umweltfairaendern.de/2014/03/lesen-wie-protestbewegungen-manipuliert-werden-ueber-mediationen-runde-tische-eine-bucherveroeffentlichung/

[13]

https://www.pen.gg/

[14]

http://www.peng-collective.net/press/slamshell_PR_deutsch.pdf

[15]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/aktionen-gegen-konzerne-shell-als-opfer-beim-science-slam-a-965151.html

[16]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9198944.html

[17]

https://www.youtube.com/watch?v=Zp4Hx3ZTZ98

[18]

http://www.fluchthelfer.in/
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Der Artikel wurde auf Indymedia diskutiert:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/154346

Kommunikationsguerilla gegen Konzerne

Tagung: Lobbyismus auch in Bürgerinitiativen verbreitet In Berlin tauschten sich am Wochenende Aktivisten und Interessierte darüber aus, wie Unternehmen Einfluss auf zivilgesellschaftliche Initiativen nehmen.

»Sie sind an Technik interessiert, finden den Fortschritt gut, wollen sachlich informiert sein, glauben an Wohlstand für alle und sind der Meinung, dass Umwelt und Technik sich nicht ausschließen – dann sind Sie hier richtig!« So stellt sich die Initiative mit dem schlichten Namen »Bürger für Technik« im Internet vor. Unter der Rubrik Leserbriefe finden sich fast durchweg Beiträge, die sich vehement gegen den »Energiewendeirrsinn« aussprechen. Der Gründer und langjährige Vorstandschef der Initiative ist Ludwig Lindner, bis 2004 Sprecher der Fachgruppe »Nutzen der Kerntechnik« der Kerntechnischen Gesellschaft. Auch der jetzige Sprecher der Fachgruppe engagiert sich bei den »technikfreundlichen Bürgern«. Für den Verein Lobby Control handelt es sich deshalb um eine konzerngesteuerte Initiative, mit der die Wirtschaft ihre Positionen in der Zivilgesellschaft verbreitet.

Schließlich genössen Bürgerinitiativen und Graswurzelbewegungen in weiten Teilen der Bevölkerung große Akzeptanz: »Als nicht von Profitinteressen geleitete Organisationen genießen sie Vertrauen, sind im besten Fall erfolgreich«, erklärt die Sprecherin der Umweltorganisation Robin Wood, Ute Bertrand. Zusammen mit weiteren Umweltverbänden und der Linken Medienakademie organisierte Robin Wood die Tagung »Wenn Konzerne den Protest managen«, die am Samstag in der Berliner Humboldt-Universität stattfand. Viele der über 100 Teilnehmer sind in Umweltgruppen und Nichtregierungsorganisationen aktiv. »Ich bin hierher gekommen, um mir Wissen anzueignen, das ich bei meiner alltäglichen Arbeit in der Umweltbewegung nutzen kann«, meinte eine Mitarbeiterin von Klimaretter.de. Ein Aktivist warnte davor, Mitglieder konzernbeeinflusster Initiativen lediglich als Marionetten der Industrie zu betrachten: »Wenn Mitarbeiter von Kohle- oder Atomkraftwerken dort aktiv sind, drücken sie auch ihre Meinung aus und dagegen müssen wir unsere Argumente vorbringen«, meinte er.

Viele Tagungsteilnehmer wehrten sich gegen den Eindruck einer allmächtigen Industrie. Ein Aktivist des Arbeitskreises Umwelt Wiesbaden sieht die Gründung von Initiativen, mit denen die Wirtschaft ihre Positionen in die Öffentlichkeit bringen will, als Zeichen einer Defensivstrategie: »Damit reagiert sie auf den zunehmenden öffentlichen Druck, der auch durch unsere Arbeit gewachsen ist«.

Besonders großen Anklag fand ein Workshop des Berliner Peng-Kollektivs, auf dem die selbst ernannte Kommunikationsguerilla ihre Projekte gegen große Konzerne vorstellte. So endete ein von der Firma Shell gesponserter Science Slam, auf dem junge Wissenschaftler umweltfreundliche Produkte vorstellen sollten, im Chaos. Bei der Vorführung explodierte scheinbar der Motor und verspritzte literweise Öl. Mit dem Spruch »hier können Sie den Stecker ziehen, in der Arktis nicht«, outeten sich die vermeintlichen Wissenschaftler als Umweltaktivisten. Die Aktion sorgte wie viele weitere des Kollektivs für Medienöffentlichkeit. Allerdings machten die Aktivisten auch klar, dass dafür jedes Mal aufwendige Vorarbeiten notwendig gewesen seien. Die Tagungsteilnehmer waren mehrheitlich begeistert: »Hier wird nicht darüber geklagt, wie schlimm die Konzerne sind. Hier drehen wir den Spieß um und stellen sie in der Öffentlichkeit bloß.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/985911.kommunikationsguerilla-gegen-konzerne.html

Peter Nowak

Der Artikel wurde auf Indymedia diskutiert:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/154346

Heimspiel für Faschisten

Solange die deutsche Linke sich mit den Opfern des »Islamischen Staates« in Syrien solidarisieren kann, sind sich alle einig. Wenn türkische Faschisten Kurden in Deutschland angreifen, wird Zurückhaltung geübt.

Während in der Taz linksliberale Patrioten begründen, warum sie das Einwanderungsland Deutschland lieben, oder gar vom deutschen »Septembermärchen« schwärmen, ist die tägliche faschistische Gewalt in Deutschland kaum mehr medial präsent. Doch fast jeden Abend brennen Gebäude, die als Flüchtlingsunterkünfte vorgesehen sind. Neonazis griffen Mitte September gezielt Häuser und politische Einrichtungen in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain an. In vielen deutschen Städten überfallen Mitglieder der faschistischen Grauen Wölfe kurdische Demonstrantinnen und Demonstranten. In Hannover wurde ein Kurde durch einen Messerstich in den Hals lebensgefährlich verletzt. Freunde des Opfers, die vor dem Krankenhaus um sein Leben bangten, wurden stundenlang von türkischen Faschisten bedroht. Während auf Seiten der Rechten keine Festnahmen zu verzeichnen waren, nahm die Polizei bei den bundesweiten Zusammenstößen 30 prokurdische Demonstranten zeitweise in Gewahrsam. Die Kurdische Gemeinde in Deutschland spricht mittlerweile von einer Lynch- und Pogromstimmung gegen kurdische Aktivisten, fordert das Verbot der Grauen Wölfe und ruft zu einer zivilgesellschaftlichen Koalition gegen türkische Nationalisten und Faschisten auf.

Angesprochen müssten sich davon vor allem auch die Antifa-Gruppen und die außerparlamentarische Linke fühlen. Doch bisher sind keine größeren überregionalen Aktivitäten gegen den rechten Terror der Grauen Wölfe bekannt. Dabei genoss die kurdische Linke in den vergangenen Monaten große Aufmerksamkeit seitens der außerparlamentarischen Linken in Deutschland. Schließlich hatten sich zahlreiche Initiativen gegründet, die Geld zur Unterstützung der vom »Islamischen Staat« bedrohten kurdischen Bevölkerung in Rojava und Kobanê sammelten. Diese Solidaritätsarbeit überwand sogar bisweilen die innerlinke Fraktionierung, es beteiligten sich sowohl klassisch antiimperialistische wie auch israelsolidarische Gruppen an der Unterstützung für die kurdischen Projekte. Das lag auch an einer politischen Neupositionierung der ehemals wesentlich von der PKK kontrollierten kurdischen Nationalbewegung in der Türkei. Auch ohne in unkritische Solidaritätshuberei zu verfallen, kann man ihr bescheinigen, dass sie sich Themen der außerparlamentarischen Linken wie dem Feminismus und der Staatskritik geöffnet hat. Damit hat sie einen anderen Weg eingeschlagen als viele ehemals nominalsozialistische Bewegungen, die zu rechten Sozialdemokraten mutierten.

Die Angriffe der türkischen Faschisten hierzulande wie in der Türkei richten sich auch explizit gegen diese emanzipatorischen Positionen der kurdischen Linken. Daher ist es umso verwunderlicher, dass die deutsche radikale Linke nicht auch hier aktiv wird, wenn Kurden jetzt nicht nur in Kobanê, sondern auch in Deutschland von Faschisten angegriffen werden. Es dürfte schließlich bekannt sein, dass die Grauen Wölfe seit mehr als 30 Jahren Terror gegen türkische Linke in Deutschland ausüben. So wurde 1980 in Westberlin deren Protagonisten linke GEW-Gewerkschafter Celalettin Kesim von den Faschisten ermordet. Eine strategische Mobilisierungskampagne gegen den Terror der türkischen Faschisten müsste freilich auch deren Kooperationspartner in Deutschland benennen. Nicht nur Franz Josef Strauß waren die Grauen Wölfe im Kampf gegen Linke willkommen. Noch vor einigen Jahren empfahl die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung »aus politstrategischen Gesichtspunkten« in Einzelfällen eine »zielgerichtete Zusammenarbeit« mit den türkischen Faschisten.

http://jungle-world.com/artikel/2015/39/52737.html

Peter Nowak

Debatte im Berliner taz-Cafe: Neutraler Journalist oder auch Helfer?

Sind Journalisten nur „dabei“, oder schon „mittendrin“, wenn sie Freundschaften schließen, selbst anpacken und helfen?  Dürfen sie  das als „neutrale Berichterstatter“ überhaupt? Diesen Fragen widmete sich am 23. September eine Diskussionsveranstaltung von Netzwerk Recherche (netzwerkrecherche.org/termine/stammtische/berlin/)  und der taz im vollbesetzten Berliner taz-Cafe.

„Sie sind also Journalist und Aktivist in einer Person“, bekam der Tagesspiegel-Redakteur  Matthias Meisner von einem Vertreter der sächsischen Landesregierung zu hören. Er hatte auf dem Weg zu einem Pressetermin eine Kleiderspende für Geflüchtete bei einer zivilgesellschaftlichen Einrichtung abgegeben. Auch der taz-Redakteur Martin Kaul wurde von einem Redaktionskollegen gefragt, wie er es mit seiner journalistischen Objektivität vereinbaren könne, wenn er während seiner Reportage-Tätigkeit am ungarischen Keleti-Bahnhof Anfang September den dort gestrandeten Flüchtlingen Wasser und Lebensmittel besorge.

Neben Meisner und Kaul waren der Fotograf Björn Kietzmann und die NDR-Journalistin Alena Jabarine eingeladen. Sie hatte Anfang September Undercover als Flüchtlingsfrau verkleidet in einem Erstaufnahmelager in Hamburg mit versteckter Kamera gefilmt. Kietzmann hat in den letzten Wochen Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos mit der Kamera begleitet und ihre Route durch die Balkanländer bis nach Budapest dokumentarisch festgehalten. Er sei bei seiner Arbeit als Fotograf schon öfter in Krisengebieten gewesen. Daher habe es ihn überrascht,  wie stark ihn die Notsituation der Geflüchteten in Ungarn psychisch mitgenommen hat, betonte Kietzmann. Martin Kaul hatte bereits in einem taz-Beitrag geschrieben, wie ihn die Zustände um den Keleti-Bahnhof belasteten. Solche Zustände habe er in einem europäischen Land nicht für möglich gehalten: Er habe durch eine Unterführung einen mitteleuropäischen Bahnhof verlassen und sei in ein Notstandsgebiet eingetreten. Ursprünglich hatte Kaul einen mehrstündigen Kurztrip in Budapest geplant. Er wollte Geflüchtete in einem Zug aus Budapest Richtung  Deutschland begleiten. Erst vor Ort entschied er sich für einen längeren Aufenthalt.

Auch Alena Jabarine hatte ihren sechstätigen Aufenthalt in der Hamburger Flüchtlingsunterkunft auch sehr kurzfristig geplant. Ihr größtes Problem war am Ende, den neuen Bekannten, die ihr dort mit Rat und Tat als vermeintlich allein reisende Flüchtlingsfrau geholfen hatten, ihre Rolle als Journalistin zu offenbaren. Am Anfang seien manche schockiert gewesen. Am Ende überwog aber die Dankbarkeit, dass sie die Zustände in der Unterkunft einer größeren Öffentlichkeit bekannt macht. Die Veranstaltung machte einmal mehr ein Grundproblem deutlich, mit dem vor allem freie Medienarbeiter immer wieder konfrontiert sind. Von ihnen wird verlangt, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Aber so werden sie kaum vorbereitet auf Notstandssituationen wie in Keleti.

„Ich bleibe auch in meiner Rolle als Journalist Mensch“, hatte  Kaul dem Kollegen geantwortet, der fragte, ob er als  Wasser- und Essensspender noch objektiv sein kann. Bei der Diskussion im taz-Cafe gab es in dieser Frage keine Kontroversen. Dass ein solches humanitäres Verständnis nicht alle Medienvertreter teilen, wurde Anfang September deutlich. Eine ungarische Kamerafrau wurde dabei gefilmt, wie sie einem syrischen Mann mit seinem Kind im Arm beim Grenzübertritt ein Bein stellte und ihn so zum Sturz brachte.

https://mmm.verdi.de/aktuell-notiert/2015/debatte-im-berliner-taz-cafe-neutraler-journalist-oder-auch-helfer

Peter Nowak

Grenzschützer unter sich

Die Halle der Schande

Wirtschaft und Soziales: In Berlin kämpfen rumänische Bauarbeiter für ihr Recht

Fast ein Jahr kämpfen rumänische Bauarbeiter in  Berlin um ihren Lohn. Aber auf das Geld  warten sie noch immer. Dabei haben sie bereits mehrere Erfolge vor dem Berliner  Arbeitsgericht errungen. So entschied das Gericht am 5. August,  dass die   Firma Openmallmaster GmbH   Niculae M.  1.200 Euro  und Nicolae H 4.400 Euro  Lohn für ihre Arbeit beim Bau der Mall of Berlin nachzahlen muss. Bei den Unternehmen handelt es sich um ein für Bau in unmittelbarer Nähe des Potsdamer Platzes gelegenen Nobel-Shopping-Center   angeheuertes Subunternehmen. Eine Woche später sprach das Berliner Arbeitsgericht Elvis Iancu für seine Tätigkeit auf der Mall of Berlin die Nachzahlung von 7400 Euro zu.    Er  hat einen  wesentlichen Anteil daran, dass der Kampf der Bauarbeiter eine solche Bedeutung bekommen hat,  über Monate die Medien beschäftigt und nun auch juristische Erfolge zeigt.

Dabei ist noch einmal wichtig, sich  die Chronologie des Arbeitskampfes vor Augen zu führen:  Rund 50 rumänische Bauarbeiter  waren  in der Endphase des Baus der Mall of Berlin   beteiligt. Sie bekamen nur einen Bruchteil ihres Lohnes. Als das Nobeleinkaufszentrum   mit viel Pomp eröffnet wurde, standen die Bauarbeiter auf der Straße.  Mit ihrer Arbeit hatten sie auch ihre Unterkunft verloren. Dass sie nicht nach Rumänien zurückkehrten und den geprellten Lohn abschrieben, ist vor allem Iancu zu verdanken. Er  motivierte mit seinen gewerkschaftlichen Erfahrungen seine Kollegen zum Widerstand    Zunächst forderten sie vom  Openmallmaster-Chef die sofortige vollständige  Auszahlung des Lohnes ein.  Als sie damit auf taube Ohren stießen, organisierten sie eigenständig die erste kollektive Widerstandsaktion.  Sie stellten sie sich mit Transparenten, auf dem sie ihren Lohn forderten, Berlin   in das Atrium der Mall.

Im Oktober 2014 wandten sie sich  an den DGB Berlin-Brandenburg. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ nahm Kontakt mit dem Generalunternehmer der Baustelle, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic. Nach Verhandlungen sollte jeden der  Bauarbeiter  pro Person 700 Euro nachgezahlt werden, was allerdings nur einen Bruchteil des ihnen zustehenden Lohnes bedeutet hätte.  Die Auszahlung war an die Bedingung geknüpft, dass die Beschäftigten  sich vertraglich verpflichten sollen, keine weiteren Ansprüche mehr zu stellen.

Unterstützung durch die FAU

Acht Bauarbeiter weigerten sich, auf einen Teil ihres Lohnes zu verzichten. Mittlerweile hatte Elvis Iancu den Kontakt zur Basisgewerkschaft Freie  Arbeiterunion (FAU) hergestellt. Damit wurde die Mall of Berlin zur Mall of Shame. Der Kampf  entfachte  ein großes Medienecho und  zeitigte nun auch juristische Erfolge. Dabei  beschränkte sich   die Rolle der  FAU nicht nur auf die Organisierung von Kundgebungen, Soliveranstaltungen und die Bereitstellung von Jurist_innen für die Arbeitsgerichtsprozesse. Sie sorgte  auch für  Unterkunft und Verpflegung der arbeits- und obdachlosen Bauarbeiter.   Wenn sie auch nach  fast zwölf  Monaten Kampf noch immer auf ihren Lohn warten müssen, so haben sie doch schon einen wichtigen Erfolg errungen. Sie haben deutlich gemacht, dass ausländische Arbeiter_innen in Deutschland nicht rechtlos sind und sich wehren können. „Es gibt viele solcher Fälle. Aber leider sind die Betroffenen nur selten in der Lage, sich zu wehren“, meint eine Mitarbeiterin von Amaro Foro, einer Organisation von in Berlin lebenden Romajugendlichen. Das Leben von vielen Arbeitsmigrant_innen aus Osteuropa sei von ständiger Verunsicherung geprägt. Die  erstrecke sich nicht nur auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie würden in den Jobcentern benachteiligt, seien oft von medizinischer Versorgung ausgeschlossen und müssten wegen rassistischer Diskriminierungen am Wohnungsmarkt oft in teuren Schrott-Immobilien wohnen. So berichtete die Essener Rechtsanwältin Christina Worm in einem Interview mit der Jungen Welt, dass ein Jobcenter einen Migranten aus Osteuropa die Finanzierung eines Bettes mit der Begründung verweigerte, er könne wie zu Hause auf dem Boden schlafen.

Rumänische Mieter_innen in die Obdachlosigkeit zwangsgeräumt

Oft fehlt es den Betroffenen  an Kontakten zu Organisationen und Initiativen, die sie im Widerstand unterstützen könnten. Das zeigte sich erst vor einigen Wochen wieder, als eine Gruppe rumänischer und bulgarischer Wanderarbeiter_innen in den Fokus der Berliner Medien und einer Nachbarschaftsinitiative im grünbürgerlichen Stadtteil Schöneberg geriet. Nicht, dass sie in überteuerte Schrottwohnungen in der Schöneberger Grunewaldstraße 87 leben mussten, wird skandalisiert, sondern dass sie angeblich nicht in den Stadtteil passen. Mittlerweile sind die meisten  rumänischen Bewohner_innen aus der Grunewaldstraße 87 geräumt worden, oft gegen ihren Willen und ohne gesetzliche Grundlage. Viele der Betroffenen mussten wochenlang in Parks übernachten, weil sich der Bezirk Schöneberg weigerte, den obdachlosen Menschen Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Stattdessen bot der Bezirk eine Rückfahrkarte in ihre Heimatländer an. Das Berliner Verwaltungsgericht bezeichnete  diese Praxis sei rechtswidrig und verpflichtete den Bezirk Schöneberg, eine rumänische Frau mit ihren Kind, die längere Zeit in einen Park nächtigen musste, eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen.    Sowohl der Kampf der rumänischen Bauarbeiter der Mall of  Shame wie  der juristische Erfolg der  Mieterin aus der Grunewaldtraße 87  zeigt, wie hierzulande Menschen entrechtet werden. Durch das  Engagement der FAU und  Amaro Foro konnten einige der Betroffenen ihre Rechte durchsetzen.

aus:

ak 608 vom 15.9.2015

https://www.akweb.de/

Peter Nowak

„Eine Superaktion“

JUSTIZ Antifa-Chronist muss für sein Lob eines Anschlags auf Rechtspostille „Junge Freiheit“ blechen

BERLIN taz | 500 Euro Geldstrafe lautet das Urteil des Berliner Amtsgerichts am Dienstag für den Antifa-Aktivisten Bernd Langer. Dieser, so der Richter, habe in einem Interview mit der Tageszeitung Neues Deutschland im letzten Jahr einen Anschlag auf die Druckerei der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit vor 21 Jahren gebilligt  und damit den öffentlichen Frieden gestört. In dem Interview, das vor Gericht verlesen wurde, diskutierte Langer mit einem Alt-Autonomen über die Politik der Antifa-Bewegung der 80er Jahre. Dabei ging es um unterschiedliche Aktionsformen: Militanz gegen rechte Strukturen, aber auch die Beteiligung an Bündnisdemonstrationen. In diesem Kontext wollte Langer den Eindruck entgegentreten, die konspirative Phase der Autonomen Antifa sei Ende der 80er Jahre zu Ende gewesen. „Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die Junge Freiheit 1994“, erklärte er im Interview.  Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen–, war das eine Superaktion gewesen.“ Vor allem die letzten Bemerkungen hätten für die Verurteilung den Ausschlag gegeben, sagte der Richter. Das Verfahren hatte der ehemalige Generalbundesanwalt und langjährige Junge Freiheit-Autor Alexander von Stahl ins Rollen gebracht. Langers Anwalt Sven Richwin plädierte dagegen auf einen Freispruch: Die Formulierung zu dem Anschlag sei so allgemein gehalten, dass von der Billigung einer Straftat nicht die Rede sein könne. Zudem sei die Tat bereits verjährt. Es müsse nach mehr als zwei Jahrzehnten möglich sein, ohne Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen über die Aktion zu diskutieren. Zumal sich Langer mit verschiedenen Büchern als Chronist der autonomen Bewegung einen Namen gemacht habe. „Wieder einmal springt die deutsche Justiz der politischen Rechten hilfreich zur Seite“, erklärte Langer in einer Prozesserklärung und verwies auf den Anzeigensteller Alexander von Stahl. Dass der ursprüngliche Strafbefehl von 3.000 Euro nun stark reduziert wurde, hat für Langer keine Bedeutung. Er will nun Berufung einlegen – und notfalls durch alle Instanzen für einen Freispruch kämpfen. „Es geht mir nicht um das Geld, sondern ich wehre mich gegen einen politischen Prozess“, begründete dies Langer gegenüber der taz.
aus  TAZ vom MITTWOCH, 23. SEPTEMBER 2015
Peter  Nowak

Nach dem Syriza-Wahlsieg: Wie geht es mit der Austeritätspolitik weiter?

»Wir forschen selbst«

Vor kurzem ist die fünfte Ausgabe des Jahrbuchs des Instituts für Syndikalismusforschung (Syfo-Jahrbuch) erschienen. Das Institut will die Praxis der syndikalistischen Bewegung auf historisch-theoretischer Ebene begleiten. Helge Döhring ist einer seiner Begründer und hat zahlreiche Bücher und Studien zur Geschichte des Syndikalismus in Deutschland herausgegeben. Mit ihm sprach die Jungle World über die Arbeitsweise des Instituts sowie den historischen und gegenwärtigen Syndikalismus.

Wie kam es 2007 zur Gründung des Instituts für Syndikalismusforschung?

Der konkrete Anlass zur Gründung bestand darin, dass wenige Jahre zuvor einige bekannte »Anarchismusforscher« mit einem Spezialanwalt begannen, junge Aktivisten der FAU (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union) wegen sogenannter Urheberrechtsverletzungen juristisch zu bedrohen. Daraufhin sagten wir entschieden: Nicht mit uns, wir forschen und publizieren jetzt selbst! Wir sind eng verbunden mit Teilen der heutigen anarchosyndikalistischen Bewegung und deren Mitglieder müssen beim Rückgriff auf unsere Materialien nicht befürchten, vor Gericht gezogen zu werden. Uns sind die Genossen wichtig, nicht das Geld.

Gibt es Anbindung an universitäre, wissenschaftliche Apparate?

Wir stehen in freier Kooperation und Zusammenarbeit mit Historikern und Publizisten, die selbst mehr oder weniger unabhängig arbeiten. Es gibt Anfragen und Austausch mit Journalisten, Geschichtswerkstätten, Zeitzeugen, Schülern, Studierenden, freien Publizisten, Archiven, Gedenkstätten und anderen Wissenschaftlern. Bürokratische Apparate sind uns zu träge, für Forschungsstipendien und Dissertationen beispielsweise wird ein Riesenaufwand betrieben. Davon leben diese Institutionen, dass sie die Forschung künstlich hinauszögern, um möglichst lange Geld abzugreifen und ihre Arbeitsplätze zu sichern. In derselben Zeit ist in unabhängiger Forschung oftmals ein Vielfaches leistbar. Effizienz funktioniert nicht in der kapitalistischen Bildungsindustrie.

Wie finanzieren Sie Ihre Arbeit?

Wir leben konsequent die Ideale der anarchosyndikalistischen Bewegung, unter anderem die gegenseitige Hilfe. Wir alle haben kaum Geld, unser gemeinsames Schaffen ist dafür umso effektiver. Das betrifft besonders die Kooperation mit Archiven, Verlagen und Vertrieben, mit denen wir die Grundansichten teilen. Sie schätzen unsere selbstlose Arbeit und legen sich ins Zeug, finanzieren oder vorfinanzieren unseren Output. Sie selbst können ebenfalls jederzeit auf unsere Hilfe und Zuarbeit bauen, dazu zählen beispielsweise das Zusammenstellen von Materialien oder Lektorate. Von befreundeten Verlagen nehmen wir auch keine Honorare.

Welche Rolle spielt das Syfo-Jahrbuch?

Das Institut für Syndikalismusforschung hat bewusst unterschiedliche Publikationsformate. Damit sind wir in unseren Veröffentlichungsvorhaben sehr flexibel: Die Schriften ergänzen sich. Für jede Artikellänge haben wir die entsprechende Form: Kurze Aufsätze für das Syfo-Jahrbuch oder für unseren Syfo-Blog, kürzere Ausarbeitungen als Broschüren in der »Edition Syfo« und lange Texte können als Buch herausgegeben werden. Das Syfo-Jahrbuch wird thematisch ergänzend zu anderen Publikationen genutzt. Insgesamt spiegelt es die Vielfalt unserer Arbeit wider. Es soll dazu anregen und ermutigen, sich selbst und zusammen mit anderen zu informieren oder zu forschen, sich auszutauschen. Forschungsvorhaben können vorgestellt werden und es dient als Plattform für externe Beiträge. Es ist ein interaktives Medium und soll keinesfalls nur Akademiker ansprechen. Entsprechend locker ist es im Layout gestaltet, reichlich bebildert und übersichtlich strukturiert. Es zeigt auf, was einfache Menschen zu leisten imstande sind, wenn sie genug Eigenantrieb und Durchhaltevermögen haben: Jeder kann forschen.

Wie halten Sie es mit der wissenschaftlichen Objektivität?

Das ist ein sehr problematischer Begriff, weil er vorgaukelt, dass Wissenschaft tendenzfrei sei. Das Gegenteil ist der Fall, denn überall gibt es bestimmte Forschungsinteressen, gerade dort, wo finanzielle Abhängigkeit besteht. Wie alle anderen Forschungsinstitute ist auch das Institut für Syndikalismusforschung parteiisch und agiert mit wissenschaftlichen Methoden.

Was verstehen Sie darunter?

Wissenschaften zeichnen sich vor allem durch Transparenz und Überprüfbarkeit aus. Das Dargelegte muss in seiner Substanz und in seiner quellentechnischen Herkunft nachvollzogen werden können. Saubere Recherche, Quellenkritik und darauf aufbauende logische Schlussfolgerungen sind das A und O des wissenschaftlichen Arbeitens. Eine größtmögliche Unvoreingenommenheit und Offenheit, auch politisch unbequemen Ergebnissen gegenüber, ist gerade für Bewegungshistoriker bedeutend, wenn sie keine rein apologetischen Abhandlungen fabrizieren wollen. Wissenschaft ist in erster Linie Selbsterkenntnis und scheut nicht die kritische Rückkopplung an die aktuelle basisgewerkschaftliche Ausrichtung. Zusätzlich liefert sie historisch-theoretische Erkenntnisse, die für die Agitation von unmittelbarem Wert sind.

Sie betonten sehr stark den Bezug auf syndikalistische Strömungen, die unabhängig von Großorganisationen agiert haben. Besteht da nicht die Gefahr, deren politische Fehleinschätzungen zu übersehen?

Es geht nicht nur um Einschätzungen, sondern am spannendsten sind die damaligen Diskussionen und die teils voneinander abweichenden Meinungen. Denn diese wiederholen sich bis in die heutige Zeit nur allzu oft. Wenn das Überleben der Bewegung an politischen Fehleinschätzungen gescheitert wäre, könnten wir sehr glücklich sein, weil wir nützlichen Antworten näher wären. Es ist leider schlimmer: Sie scheiterten, obwohl sie eine sehr intelligente und auch flexible Politik betrieben.

Sie haben sehr gut die militaristischen und nationalistischen Erklärungen führender Mitglieder der Zentralgewerkschaften herausgearbeitet. Aber gab es nicht auch in Deutschland kriegsbefürwortende Äußerungen von syndikalistischen Gewerkschaftern vor und im Ersten Weltkrieg, wie sie ja aus Frankreich und Italien sehr wohl bekannt sind?

Für meine Studie »Syndikalismus in Deutschland 1914-1918« habe ich die syndikalistische Presse und weitere Quellen sorgfältig ausgewertet. Kriegsbefürwortende Äußerungen wären mir dabei sicherlich ins Auge gesprungen. Aber es gab sie nicht. Die syndikalistische Organisation in Deutschland, die »Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften«, wandte sich gegen die international sehr bedeutenden Genossen, die im »Manifest der 16« für die Alliierten Partei ergriffen. Man darf allerdings nicht deren Beweggründe verschweigen, weil man der Sache dann nicht auf den Grund geht. Entscheidend war die Tatsache, dass französische Delegationen von den deutschen Zentralgewerkschaften in schroffer und beleidigender Weise abgewiesen wurden, weil sie gegen den Krieg die gemeinsame internationale Aktion des Proletariats vorschlugen. Die deutsche sozialdemokratische Gewerkschaftsbewegung wollte sich nicht daran beteiligen, den Krieg zu verhindern, im Gegenteil erhoffte sie sich, von einer Niederlage der sozialistischen/syndikalistischen Gewerkschaftsbewegung profitieren zu können. Ähnlich wie nach der Niederlage der Pariser Commune 1871, in deren Folge die marxistische und sozialdemokratische Strömung innerhalb der »Ersten Internationale« Oberwasser gewann, mit fatalen weltgeschichtlichen Folgen und vielen Millionen Kriegstoten.

Dieser Allianz aus sozialdemokratischen Zentralgewerkschaften und deutschem Militarismus hofften einige Syndikalisten und Anarchisten aus romanischen Ländern durch Parteinahme für die alliierten Mächte Einhalt zu gebieten. Man muss nicht ihrer Meinung sein, aber ihre Argumentation ist spätestens mit den Kontinuitätslinien zur Nazidiktatur und dem zweiten großen Krieg nicht von der Hand zu weisen. Die Befürworter der Alliierten, darunter auch Peter Kropotkin, waren keineswegs Befürworter des Krieges und das legten sie in ihrem Manifest auch ausführlich dar. In Anbetracht eigener internationaler Schwäche lag die Wahl des »kleineren Übels« nahe.

Welche Bedeutung haben Ihre Forschungen in einer Zeit, in der Gewerkschaften für viele Menschen ein Relikt aus einer vergangenen Zeit sind?

Ein Hauptgesichtspunkt liegt sicherlich darin, den Gewerkschaftsbegriff überhaupt zu definieren. Dieser ist heute anders gelagert, als vor über 100 Jahren. Wir denken, es ist ein Irrtum, ihn auf sozialpartnerschaftliche und tariffähige Organisationen zu begrenzen. Aus einem anarchosyndikalistischen Verständnis heraus gibt es im Wesentlichen neben den gelben, also unternehmerfreundlichen Gewerkschaften, kämpferische – zum Beispiel die GdL – und revolutionäre Gewerkschaften. Revolutionäre Gewerkschaften kämpfen nicht nur für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, sondern für die Einführung einer freien und sozialistischen Gesellschaft. Unsere Forschungen sollen sowohl die Vorteile als auch die Aufgaben von revolutionären Gewerkschaften aufzeigen, ihre Beschaffenheit, ihre Methoden, Möglichkeiten und Grenzen ihrer Entfaltung. Es geht stets um Alternativen in der Organisation von Lohnabhängigen und darum, der etablierten Herrschaft intellektuell und strategisch nicht mehr hinterherzuhinken.

http://jungle-world.com/artikel/2015/38/52707.html

Interview: Peter Nowak

Mehr Informationen zum Institut:

www.syndikalismusforschung.info und

www.syndikalismusforschung.wordpress.com

Vom Verteidigungsfall und den Geflüchteten als Bombe

Die Rechten versuchen in der Flüchtlingskrise mit Populismus aufzutrumpfen, bekommen aber viel Gegenwind von einem neuen Patriotismus, der sich auf Deutschland als Einwanderungsland bezieht

„Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen“ lautet der reißerische Titel des Buches, das der ehemaligen FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte im Kopp-Verlag veröffentlicht hat. Damit bearbeitet er populistisch ein Thema, das alle Kräfte rechts von der Union zurzeit umtreibt. Jürgen Elsässer versucht sich in der aktuellen Ausgabe seines Monatsmagazin Compact als populistischer Problemlöser und ruft die deutschen Soldaten auf, die Grenzen Deutschlands zu „sichern“:

„In der aktuellen Situation droht jedoch akute Gefahr für das Volk und den Staat, denen Ihr Treue geschworen hat. Mit der kürzlichen Entscheidung der Bundeskanzlerin zur bedingungslosen Öffnung unserer Grenzen wird die Existenz beider aufs Spiel gesetzt“, bringt Elsässer auf den Punkt, was nicht nur rechts von der Union bedacht wird. Damit ist er sich einig mit Gerhard Wisnewski, der die Flüchtlingskrise als Invasion bezeichnet und schon mal den Verteidigungsfall ausgerufen[1] hat.

Wisnewski ging noch weiter und bezeichnete[2] die Geflüchteten als „Waffen“ oder Bomben, die bald in Deutschland explodieren könnten.

„Bei solchen Ausführungen sträuben sich uns die Haare“

Mit solchen Ausführungen können die Autoren derzeit im rechten, menschen- und ausländerfeindlichen Spektrum punkten, bekommen aber auch in einem Deutschland Gegenwind, das mehrheitlich die Aufnahme von Geflüchteten, vor allem wenn sie hochqualifizierte Syrer sind, zur nationalen Aufgabe erklärt hat.

Der SPD-Ortsverein von Rottenburg forderte[3] nach dem Beitrag von Wisnewski vom Kopp-Verlag eine Stellungnahme und Distanzierung. Doch die Empörung der SPD-Genossen, dass der Kopp-Verlag mit solchen haarsträubenden Äußerungen wirbt und damit sogar Geld verdient, muss doch etwas verwundern. Schließlich sind Verschwörungstheorien und Populismus das Geschäftsmodell des Kopp-Verlags seit seiner Gründung. Der Verlag greift dabei natürlich immer die aktuellsten Themen auf und da ist zurzeit die Flüchtlingskrise natürlich vorne dabei.

Was sich aber geändert hat, ist, wie die SPD-Intervention zeigt, das aktuelle gesellschaftliche Klima. In einer Zeit, in der eben Deutschland die Flüchtlingshilfe als Markenzeichen entdeckt und sogar Politiker der Grünen dazu aufrufen, stolz auf Deutschland zu sein, weil es Geflüchtete aufnimmt, sind solche rechten Querschüsse plötzlich für einige Grund zur Aufregung. Der Kopp-Verlag reagierte auf die SPD-Intervention gewohnt rechtspopulistisch und sieht gleich die Meinungsfreiheit bedroht[4].

Die SPD antwortete:

Unser Hauptanliegen war es, vom Inhaber des Kopp-Verlages eine klare Auskunft zu erhalten, ob er sich hinter diesen Beitrag stellt oder sich davon distanziert. Wir haben ihn nach seiner Meinung gefragt. Es wäre die Möglichkeit gewesen, sich auch anders zu positionieren, wenn schon „die Meinung des Verfassers nicht zwangsläufig die Meinung des Verlages wiedergibt“. Herrn Kopp nach seiner Meinung zu fragen hat nichts mit Gedanken- oder Gesinnungsschnüffeleien zu tun, wie er unterstellt. Sein Vorwurf, wir würden die Pressefreiheit angreifen, ist der Versuch, unliebsame Kritiker mundtot zu machen. …

Dass solche Beiträge wie der des Herrn Wisnewski und der von beiden erhobene Vorwurf der Gedanken- und Gesinnungsschnüffelei sowie des Angriffs auf die Pressefreiheit geeignet sind, Hass zu schüren, erleben wir in diesen Tagen in eindrücklicher Weise per Mails, Telefonaten und auf einschlägigen Internetseiten. „Volksverräter; Blockwarte; Pack, das eingesperrt werden muss.“ Das sind nur wenige Beispiele aus solchen Beiträgen. Wir haben weder gefordert, dass Kopp seinen Autor vor die Tür setzt, noch ihm vorgeschrieben, was er verlegen darf, wie er behauptet.

Streit unter Patrioten

Der Streit um den Kopp-Verlag macht allerdings auch deutlich, dass die Gruppen rechts von der Mitte mehr Gegenwind in einer Zeit bekommen, in der sie sich mit der Flüchtlingskrise eigentlich bestätigt sehen müssten. Schließlich warnten sie seit Jahrzehnten vor Flüchtlingsströmen, die an die Festung Europas drängen.

Längst hat das aktuell hegemoniale Deutschland den Patriotismus für sich entdeckt. Einer der Vorreiter ist dabei der Hamburger Fraktionsvorsitzende der Grünen Anjes Tjarks[5]. „Tjarks setzt sich für einen „entspannten Patriotismus“ ein, der nicht ausschließend sei. Flüchtlinge bräuchten hier beispielsweise Bildung und Perspektiven. Aber als weltoffene Stadt müsse man den Flüchtlingen etwa im Hinblick auf Gleichberechtigung und Toleranz auch sagen: ‚Wir haben hier ein System, was wir erhalten wollen. Wir wollen euch eine Heimat bieten, aber wir haben bestimmte Erwartungen, bestimmte Traditionen.'“, heißt es in einem NDR-Beitrag[6] über den Vorstoß des Grünen.

Dabei steht er in seinem Milieu keineswegs allein. Auch der Publizist Eberhard Seidel, der seit Jahren in der antirassistischen Zivilgesellschaft[7] engagiert ist, beschwört[8] in der Taz ein neues offenes Deutschland:

„Als im August im sächsischen Heidenau Neonazis randalierten und andernorts Flüchtlingswohnheime brannten, schien vielen klar: Das ist die Wiederkehr des hässlichen Deutschen. Zu sehr glichen die Bilder den Pogromen von Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992). Nur wenige Wochen später ist alles anders. An Stelle eines heißen Sommer völkischer Gewalt erlebt die Republik einen Sommer der Solidarität. Statt Angst vor Überfremdung herrscht Mitgefühl. Während die Regierungen Polens, Großbritanniens, Tschechiens und anderer europäischer Staaten Flüchtlinge aus Syrien mit der Parole „No Moslems, please!“ die kalte Schulter zeigen, heißen Zehntausende von freiwilligen Helfern die Schutzsuchenden in Berlin, München, Dresden, Hamburg, und andernorts willkommen.::Eberhard Seidel

Mit weniger moralischer Verve begründet die Unionspolitikerin von der Leyen ihr Plädoyer für mehr Flüchtlinge in Deutschland[9]:Wer es in der globalisierten Welt nicht schafft, Offenheit zu üben, sondern weitgehend den Blick nach innen oder rückwärts richtet, der droht in allzu festen Fugen zu erstarren und im Sog der Selbstbeschäftigung zu versteinern“, sagte von der Leyen in Berlin bei einer Konferenz der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft zum Thema „Die Welt aus den Fugen – Auf der Suche nach neuen Gewissheiten“.

Auch Bundespräsident Gauck erinnerte in einer Rede[10] vor Gewerkschaftern daran, dass die deutsche Wirtschaft Arbeitskräfte dringend braucht. Seine Rede drehte sich denn auch um die Frage, wie Geflüchtete schnell ins deutsche Arbeitsleben integriert werden können.

Die Statements der Politiker aus dem grünen und konservativen Lager machen deutlich, wie die Rechte jenseits der Union aktuell in der Defensive ist. Denn die Rechten haben nicht erkannt, dass die Wirtschaft Deutschlands dringend neue Arbeitskräfte braucht und daher die ankommenden Menschen nicht generell zurückweisen will. Daher wird auch vom hegemonialen Block der Versuch gemacht, einen neuen Patriotismus zu kreieren, der sich um ein Einwanderungsland Deutschland konzentriert.

Dabei geht es natürlich nicht um Offene Grenzen. Schließlich sollen die Geflüchteten möglichst qualifiziert sein. Wer nicht unter diese Kriterien fällt, wird von den schon verabschiedeten und noch geplanten Verschärfungen der deutschen Flüchtlingsgesetze fallen. Auch die sind integraler Bestandteil des neuen Patriotismus der Einwanderungsnation Deutschland (Regierung will Asylrecht verschärfen[11]).

Die schlaueren Rechten wissen, dass sie zurzeit in Deutschland unter diesen Bedingungen nicht mit starken Worten aus der Defensive kommen dürfen. Der Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein, rät zum Warten auf die erste Katerstimmung des neuen Patriotismus[12]. Und in der Blauen Narzisse machen sich die Rechten selber Mut, in dem sie die gegenwärtige Hegemonie des neuen Patriotismus als Ruhe vor dem Sturm[13] interpretieren.

Der rechte Publizist Felix Menzel warnt[14] vor einer innerrechten Radikalisierung angesichts der offensichtlichen Erfolglosigkeit der verschiedenen Pegida-Aufmärsche und rät zum langen Atem.

Wie aus Refugees Kollegen werden

Angesichts dieses Streits unter deutschen Patrioten wäre es auch an der Zeit, dass sich antirassistische Gruppen fragen, ob ihr Part mehr sein könnte, als eine linke Unterstützung der neuen deutschen Zivilgesellschaft. Sie sollte sich mit der neuen Arbeitsgesellschaft in Deutschland befassen und diese Fragen nicht Gauck und den Arbeitgeberverbänden überlassen.

Wir werden uns in Zukunft auf Verhältnisse wie in den Südstaaten der USA einstellen können. Dort existiert auch eine militarisierte Grenze nach Mexiko und die entsprechende ausschließende Ideologie. Trotzdem gelingt es jährlich Tausenden von Menschen, in die USA einzureisen und auch oft im Niedriglohnsektor Arbeit zu finden. Allerdings gelang es dort auch bereits seit Jahren Migranten aus Mittel- und Zentralamerika, durch gewerkschaftliche Arbeit[15] zu verhindern, dass sie für die allgemeine Senkung der Löhne missbraucht werden.

Es ist an der Zeit, dass sich auch in Deutschland Gewerkschaften mit den aktuell Geflüchteten Kontakt aufnehmen und sie darüber informieren, wie sie ihre Arbeitsrechte verteidigen und sich gegen Niedriglöhne wehren können. Das wäre ein ganz besonderer Beitrag, der aus Refugees, die am Arbeitsmarkt willkommen sind, Kollegen macht, mit denen man gemeinsam die Gewerkschaftsrechte verteidigt. Das wäre auch ein Beitrag zum Antirassismus, der sich nicht in Moralismus erschöpft oder sich womöglich noch für einen ganz neuen deutschen Patriotismus einspannen lässt.

http://www.heise.de/tp/artikel/46/46027/3.html

Anhang

Links

[1] http://info.kopp-verlag.de//hintergruende/deutschland/gerhard-wisnewski/invasion-fluechtlingswelle-ist-der-verteidigungsfall.html;jsessionid=8B2F42079146262250BB5F87E545D72F

[2] http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/gerhard-wisnewski/maennlich-ledig-jung-warum-die-fluechtlingswaffe-bald-explodieren-wird.html

[3] http://www.spd-rottenburg-am-neckar.de/app/download/5803773984/2015-08-28+Stellungnahme+an+KOPP.pdf

[4] http://info.kopp-verlag.de//hintergruende/enthuellungen/gerhard-wisnewski/angriff-auf-die-pressefreiheit-spd-versucht-kopp-verlag-einzuschuechtern.html;jsessionid=8B2F42079146262250BB5F87E545D72F

[5] http://www.anjes-tjarks.de/

[6] http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Tjarks-Wir-brauchen-neuen-Patriotismus,tjarks108.html

[7] http://www.schule-ohne-rassismus.org/courage-schulen/wege-zur-courage-schule/

[8] http://www.taz.de/!5227563/):

[9] http://www.focus.de/politik/deutschland/fluechtlinge-von-der-leyen-warnt-deutsche-vor-abschottung_id_4956508.html

[10] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/09/150918-IGBCE-125-Jahre.html

[11] http://www.heise.de/tp/artikel/46/46022/

[12] http://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2015/nach-dem-rausch-folgt-der-kater/[13] http://www.blauenarzisse.de/index.php/anstoss/item/5395-die-lethargie-der-massen

[14] http://einwanderungskritik.de/was-ist-zu-tun/

[15] http://socialjusticehistory.org/projects/justiceforjanitors/timeline

„Diese Räte waren von breiter Unterstützung getragen“

FORSCHUNG Die Rätebewegung in Berlin gilt vielen nur als kurze Episode.
Ein neues Buch des Historikers Axel Weipert zeichnet ein anderes Bild

taz: Herr Weipert, lange Zeit wurde die Rätebewegung in Berlin als kurze Episode nach der Novemberrevolution betrachtet.
Sie haben in Ihrem neuen Buch dieses Bild korrigiert. Ist die Rätebewegung unterschätzt worden?

Axel Weipert: Bislang wurde die Rätebewegung primär als Wegbereiter der parlamentarischen Republik von Weimar gesehen. Konservative HistorikerInnen haben sie mitunter auch als völlig undemokratisch und bolschewistisch gebrandmarkt. Ich dagegen zeige, dass die Ansprüche der Räte und ihrer breiten Anhängerschaft deutlich über die Weimarer Ordnung hinauswiesen.

Wieso?
Sie wollten einen basisdemokratischen Sozialismus – also eine Gesellschaftsordnung, die mit den Vorrechten der alten Eliten in Militär, Verwaltung und vor allem in der Wirtschaft wirklich konsequent aufräumt. Dabei hat die Forschung lange übersehen, wie stark die Unterstützung für solche Ziele auch noch in den Jahren 1919/20 war. Allein in Berlin sprechen wir hier über rund eine Million AnhängerInnen, die sich aktiv beteiligten.

Warum wurde der Neuaufschwung der Rätebewegung nach dem Kapp-Putsch bisher kaum wahrgenommen?
Ein Faktor ist sicherlich, dass sie im Schatten des großen Generalstreiks und der bewaffneten Auseinandersetzungen stand. Außerdem ging die Regierung, nachdem sie den Putsch überstanden hatte, schnell zur Tagesordnung über und schob alle weitergehenden Erwartungen erfolgreich beiseite. Das gilt übrigens nicht nur für die Ziele der Räte, sondern auch für die der Gewerkschaften.


Bisher wurden vor allem Arbeiter-und Soldatenräte betrachtet. Welche Räte haben Sie untersucht?

Man kann sicher sagen, dass diese Räte auch den Kern der Bewegung darstellten. Allerdings ist es sehr spannend zu sehen, wie breit der Rätegedanke rezipiert wurde. So gab es auch spezielle Räteorgane für Lehrlinge, Intellektuelle, KünstlerInnen oder Erwerbslose. Diese
Räte waren durchaus von breiter Unterstützung getragen, wie der von den Schülerräten organisierte Streik im Sommer 1919 zeigt, an dem sich rund 30.000 von 35.000 Berliner BerufsschülerInnen beteiligten.

Erstmals untersuchen Sie auch die Rolle der Frauen in der Rätebewegung. Zu welchem Fazit kommen Sie?
Es wurde eine ganze Reihe von Konzepten entwickelt, wie Frauen integriert werden könnten. Allerdings muss man auch festhalten, dass Frauen in der politischen Praxis der Räte nur eine sehr geringe Rolle spielten. Das lag teils an Vorurteilen, wie sie mituinnerhalb der Arbeiterbewegung bestanden. Wichtig war zugleich, dass Frauen oft eine strukturell schwache Position in den Betrieben einnahmen,  waren sie doch meist nur ungelernte Hilfskräfte, politisch und organisatorisch unerfahren sowie rhetorisch kaum geschult. Hinzu
kam noch, dass durch die Wiedereingliederung der Soldaten ins Arbeitsleben viele Frauen ihre Jobs verloren.

Hat Ihre Beschäftigung mit der Rätebewegung nur historische Gründe oder sehen Sie Anknüpfungspunkte für eine linke Politik heute?
Ich würde mir schon wünschen, dass diese Bewegung den heute politisch Aktiven Denkanstöße liefert. Gerade in der Verbindung
von basisdemokratischen und sozialistischen Ansätzen sehe ich eine wichtige Alternative zu einem übervorsichtigen Reformismus und dem zu Recht gescheiterten autoritären Sozialismusmodell à la DDR.
Axel Weipert,  35, Historiker, promovierte an der FU zur Rätebewegung. Erst kürzlich hat er die Studie „Die Zweite Revolution Rätebewegung in Berlin 1919/1920“ herausgegen

aus taz 17.09.2015

Interview: Peter Nowak

Sind die USA Schuld an der Flüchtlingskrise?

Zwang bringt niemandem Vorteile

Landrätin der LINKEN plädiert für die Beendigung der Sanktionen für Betroffene von Hartz IV

Hartz IV hat das Leben für viele Menschen erschwert. Doch die Sanktionen treiben so manch einen in den Ruin. Das ist ungerecht und muss sich ändern findet Micha

Am Wochenende wurde Ralph Boes mit Herzbeschwerden in ein Berliner Krankenhaus eingeliefert, nachdem der 67-Jährige aus Protest gegen die Sanktionierung von Erwerbslosen seit Wochen die Nahrung verweigerte. Der Aktivist wird auch von
Michaele Sojka unterstützt. Die LINKE-Landrätin im Altenburger Land sorgt mit ihrer Kritik am Hartz- IV-System seit langem für Debatten. Mit ihr sprach Peter Nowak.

Sie sprechen sich seit Jahren gegen Sanktionen für Hartz-IV-Betroffene aus. Hat es Sie gefreut, als das Sozialgericht Gotha im Juni diese Strafmaßnahmen für verfassungswidrig erklärte?
Ich habe mich spontan darüber gefreut, weil ich der Meinung bin, dass die Hartz-IV-Gesetze zehn Jahre nach ihrer Einführung evaluiert werden müssen. Sanktionen wirken kontraproduktiv und gehören abgeschafft.

Sie haben in der Trägerversammlung des Jobcenters Altenburger Land auf ein Ende der Sanktionen gedrängt. Welche Befugnisse hat dieses Gremium?
Die Trägerversammlung ist ein Kontrollorgan, wie ein Aufsichtsrat bei einer GmbH. Sie ist paritätisch besetzt mit dem Chef der Agentur und mir als Landrätin und dazu je zwei weiteren Personen. Ich leite die Versammlung, mir zur Seite stehen zwei Bürgermeister aus den Fraktionen CDU und SPD. In den Sitzungen werden strategische Dinge, der Wirtschaftsplan und die Personalstellenzahlen besprochen.

Wie waren die Reaktionen auf Ihren Vorstoß?
Es hätte sich keine Mehrheit für die Abschaffung der Sanktionen gefunden. Die gesetzlichen Bestimmungen für die Sanktionspraxis sind zudem im Sozialgesetzbuch II geregelt. Die Trägerversammlung eines Jobcenters kann sie nicht einfach außer Kraft setzen.

Haben Sie eine Debatte über Sanktionen angestoßen?
Das ist auf alle Fälle gelungen und offensichtlich nicht nur regional. Ich muss gerade den Mitarbeitern »meines Jobcenters« danken, dass sie Sanktionen mit großem Augenmaß anwenden und den Gedanken des Förderns mehr in den Mittelpunkt gerückt haben. Weniger Sanktionen werden in Thüringen nur noch von der Optionskommune Greiz ausgesprochen. Das hiesige Jobcenter gehört damit zu den besten zehn Prozent der 408 bundesdeutschen Jobcenter.

Welche Alternativen zur Sanktionierung gäbe es?
Sanktionen sind nicht das erste Mittel der Wahl. Darin sind wir uns in der Trägerversammlung einig. Ziel muss es sein, die Hilfebedürftigkeit zu verringern. Drei Viertel der Sanktionen gehen im Altenburger Land auf Meldeversäumnisse zurück. Arbeit zu vermitteln und alle Projekte des zweiten Arbeitsmarktes anzubieten, ist unser Ziel. Und Menschen zu finden, die freiwillig und gern die Angebote annehmen. Zwang ausüben bringt keinen Vorteil, weder für Betroffene noch für die Arbeitgeber.

Was muss noch getan werden?
Gute Bildung von Anfang an, um vor allem Kindern ein Aufwachsen ohne Armut zu ermöglichen. Dazu gehören für mich kostenfreie Kitas und Ganztagsschulen mit kostenlosem Mittagessen. Zudem ist weniger Bürokratie und echte Hilfe für Betroffene vor Ort durch einen Fonds der Kommunen nötig. So könnte ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt durch gemeinsame Bundes- und Landesprogramme ohne hohen Verwaltungsaufwand möglich werden. Weiter wünsche ich mir kulturelle Teilhabemöglichkeiten für alle, etwa durch Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit in den Vereinen der Kommunen mit anrechnungsfreier Aufwandsentschädigung statt diskriminierender Ein-Euro-Jobs.

Insgesamt sechs Landräte gibt es auf dem Ticket der LINKEN – treten auch die anderen für das Ende der Sanktionen ein?

Darüber haben wir uns noch nicht verständigt.Ich hoffe es und bin gern bereit, mich hierbei einzubringen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/983839.zwang-bringt-niemandem-vorteile.html

Interview: Peter Nowak