Vom Verteidigungsfall und den Geflüchteten als Bombe

Die Rechten versuchen in der Flüchtlingskrise mit Populismus aufzutrumpfen, bekommen aber viel Gegenwind von einem neuen Patriotismus, der sich auf Deutschland als Einwanderungsland bezieht

„Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen“ lautet der reißerische Titel des Buches, das der ehemaligen FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte im Kopp-Verlag veröffentlicht hat. Damit bearbeitet er populistisch ein Thema, das alle Kräfte rechts von der Union zurzeit umtreibt. Jürgen Elsässer versucht sich in der aktuellen Ausgabe seines Monatsmagazin Compact als populistischer Problemlöser und ruft die deutschen Soldaten auf, die Grenzen Deutschlands zu „sichern“:

„In der aktuellen Situation droht jedoch akute Gefahr für das Volk und den Staat, denen Ihr Treue geschworen hat. Mit der kürzlichen Entscheidung der Bundeskanzlerin zur bedingungslosen Öffnung unserer Grenzen wird die Existenz beider aufs Spiel gesetzt“, bringt Elsässer auf den Punkt, was nicht nur rechts von der Union bedacht wird. Damit ist er sich einig mit Gerhard Wisnewski, der die Flüchtlingskrise als Invasion bezeichnet und schon mal den Verteidigungsfall ausgerufen[1] hat.

Wisnewski ging noch weiter und bezeichnete[2] die Geflüchteten als „Waffen“ oder Bomben, die bald in Deutschland explodieren könnten.

„Bei solchen Ausführungen sträuben sich uns die Haare“

Mit solchen Ausführungen können die Autoren derzeit im rechten, menschen- und ausländerfeindlichen Spektrum punkten, bekommen aber auch in einem Deutschland Gegenwind, das mehrheitlich die Aufnahme von Geflüchteten, vor allem wenn sie hochqualifizierte Syrer sind, zur nationalen Aufgabe erklärt hat.

Der SPD-Ortsverein von Rottenburg forderte[3] nach dem Beitrag von Wisnewski vom Kopp-Verlag eine Stellungnahme und Distanzierung. Doch die Empörung der SPD-Genossen, dass der Kopp-Verlag mit solchen haarsträubenden Äußerungen wirbt und damit sogar Geld verdient, muss doch etwas verwundern. Schließlich sind Verschwörungstheorien und Populismus das Geschäftsmodell des Kopp-Verlags seit seiner Gründung. Der Verlag greift dabei natürlich immer die aktuellsten Themen auf und da ist zurzeit die Flüchtlingskrise natürlich vorne dabei.

Was sich aber geändert hat, ist, wie die SPD-Intervention zeigt, das aktuelle gesellschaftliche Klima. In einer Zeit, in der eben Deutschland die Flüchtlingshilfe als Markenzeichen entdeckt und sogar Politiker der Grünen dazu aufrufen, stolz auf Deutschland zu sein, weil es Geflüchtete aufnimmt, sind solche rechten Querschüsse plötzlich für einige Grund zur Aufregung. Der Kopp-Verlag reagierte auf die SPD-Intervention gewohnt rechtspopulistisch und sieht gleich die Meinungsfreiheit bedroht[4].

Die SPD antwortete:

Unser Hauptanliegen war es, vom Inhaber des Kopp-Verlages eine klare Auskunft zu erhalten, ob er sich hinter diesen Beitrag stellt oder sich davon distanziert. Wir haben ihn nach seiner Meinung gefragt. Es wäre die Möglichkeit gewesen, sich auch anders zu positionieren, wenn schon „die Meinung des Verfassers nicht zwangsläufig die Meinung des Verlages wiedergibt“. Herrn Kopp nach seiner Meinung zu fragen hat nichts mit Gedanken- oder Gesinnungsschnüffeleien zu tun, wie er unterstellt. Sein Vorwurf, wir würden die Pressefreiheit angreifen, ist der Versuch, unliebsame Kritiker mundtot zu machen. …

Dass solche Beiträge wie der des Herrn Wisnewski und der von beiden erhobene Vorwurf der Gedanken- und Gesinnungsschnüffelei sowie des Angriffs auf die Pressefreiheit geeignet sind, Hass zu schüren, erleben wir in diesen Tagen in eindrücklicher Weise per Mails, Telefonaten und auf einschlägigen Internetseiten. „Volksverräter; Blockwarte; Pack, das eingesperrt werden muss.“ Das sind nur wenige Beispiele aus solchen Beiträgen. Wir haben weder gefordert, dass Kopp seinen Autor vor die Tür setzt, noch ihm vorgeschrieben, was er verlegen darf, wie er behauptet.

Streit unter Patrioten

Der Streit um den Kopp-Verlag macht allerdings auch deutlich, dass die Gruppen rechts von der Mitte mehr Gegenwind in einer Zeit bekommen, in der sie sich mit der Flüchtlingskrise eigentlich bestätigt sehen müssten. Schließlich warnten sie seit Jahrzehnten vor Flüchtlingsströmen, die an die Festung Europas drängen.

Längst hat das aktuell hegemoniale Deutschland den Patriotismus für sich entdeckt. Einer der Vorreiter ist dabei der Hamburger Fraktionsvorsitzende der Grünen Anjes Tjarks[5]. „Tjarks setzt sich für einen „entspannten Patriotismus“ ein, der nicht ausschließend sei. Flüchtlinge bräuchten hier beispielsweise Bildung und Perspektiven. Aber als weltoffene Stadt müsse man den Flüchtlingen etwa im Hinblick auf Gleichberechtigung und Toleranz auch sagen: ‚Wir haben hier ein System, was wir erhalten wollen. Wir wollen euch eine Heimat bieten, aber wir haben bestimmte Erwartungen, bestimmte Traditionen.'“, heißt es in einem NDR-Beitrag[6] über den Vorstoß des Grünen.

Dabei steht er in seinem Milieu keineswegs allein. Auch der Publizist Eberhard Seidel, der seit Jahren in der antirassistischen Zivilgesellschaft[7] engagiert ist, beschwört[8] in der Taz ein neues offenes Deutschland:

„Als im August im sächsischen Heidenau Neonazis randalierten und andernorts Flüchtlingswohnheime brannten, schien vielen klar: Das ist die Wiederkehr des hässlichen Deutschen. Zu sehr glichen die Bilder den Pogromen von Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992). Nur wenige Wochen später ist alles anders. An Stelle eines heißen Sommer völkischer Gewalt erlebt die Republik einen Sommer der Solidarität. Statt Angst vor Überfremdung herrscht Mitgefühl. Während die Regierungen Polens, Großbritanniens, Tschechiens und anderer europäischer Staaten Flüchtlinge aus Syrien mit der Parole „No Moslems, please!“ die kalte Schulter zeigen, heißen Zehntausende von freiwilligen Helfern die Schutzsuchenden in Berlin, München, Dresden, Hamburg, und andernorts willkommen.::Eberhard Seidel

Mit weniger moralischer Verve begründet die Unionspolitikerin von der Leyen ihr Plädoyer für mehr Flüchtlinge in Deutschland[9]:Wer es in der globalisierten Welt nicht schafft, Offenheit zu üben, sondern weitgehend den Blick nach innen oder rückwärts richtet, der droht in allzu festen Fugen zu erstarren und im Sog der Selbstbeschäftigung zu versteinern“, sagte von der Leyen in Berlin bei einer Konferenz der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft zum Thema „Die Welt aus den Fugen – Auf der Suche nach neuen Gewissheiten“.

Auch Bundespräsident Gauck erinnerte in einer Rede[10] vor Gewerkschaftern daran, dass die deutsche Wirtschaft Arbeitskräfte dringend braucht. Seine Rede drehte sich denn auch um die Frage, wie Geflüchtete schnell ins deutsche Arbeitsleben integriert werden können.

Die Statements der Politiker aus dem grünen und konservativen Lager machen deutlich, wie die Rechte jenseits der Union aktuell in der Defensive ist. Denn die Rechten haben nicht erkannt, dass die Wirtschaft Deutschlands dringend neue Arbeitskräfte braucht und daher die ankommenden Menschen nicht generell zurückweisen will. Daher wird auch vom hegemonialen Block der Versuch gemacht, einen neuen Patriotismus zu kreieren, der sich um ein Einwanderungsland Deutschland konzentriert.

Dabei geht es natürlich nicht um Offene Grenzen. Schließlich sollen die Geflüchteten möglichst qualifiziert sein. Wer nicht unter diese Kriterien fällt, wird von den schon verabschiedeten und noch geplanten Verschärfungen der deutschen Flüchtlingsgesetze fallen. Auch die sind integraler Bestandteil des neuen Patriotismus der Einwanderungsnation Deutschland (Regierung will Asylrecht verschärfen[11]).

Die schlaueren Rechten wissen, dass sie zurzeit in Deutschland unter diesen Bedingungen nicht mit starken Worten aus der Defensive kommen dürfen. Der Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein, rät zum Warten auf die erste Katerstimmung des neuen Patriotismus[12]. Und in der Blauen Narzisse machen sich die Rechten selber Mut, in dem sie die gegenwärtige Hegemonie des neuen Patriotismus als Ruhe vor dem Sturm[13] interpretieren.

Der rechte Publizist Felix Menzel warnt[14] vor einer innerrechten Radikalisierung angesichts der offensichtlichen Erfolglosigkeit der verschiedenen Pegida-Aufmärsche und rät zum langen Atem.

Wie aus Refugees Kollegen werden

Angesichts dieses Streits unter deutschen Patrioten wäre es auch an der Zeit, dass sich antirassistische Gruppen fragen, ob ihr Part mehr sein könnte, als eine linke Unterstützung der neuen deutschen Zivilgesellschaft. Sie sollte sich mit der neuen Arbeitsgesellschaft in Deutschland befassen und diese Fragen nicht Gauck und den Arbeitgeberverbänden überlassen.

Wir werden uns in Zukunft auf Verhältnisse wie in den Südstaaten der USA einstellen können. Dort existiert auch eine militarisierte Grenze nach Mexiko und die entsprechende ausschließende Ideologie. Trotzdem gelingt es jährlich Tausenden von Menschen, in die USA einzureisen und auch oft im Niedriglohnsektor Arbeit zu finden. Allerdings gelang es dort auch bereits seit Jahren Migranten aus Mittel- und Zentralamerika, durch gewerkschaftliche Arbeit[15] zu verhindern, dass sie für die allgemeine Senkung der Löhne missbraucht werden.

Es ist an der Zeit, dass sich auch in Deutschland Gewerkschaften mit den aktuell Geflüchteten Kontakt aufnehmen und sie darüber informieren, wie sie ihre Arbeitsrechte verteidigen und sich gegen Niedriglöhne wehren können. Das wäre ein ganz besonderer Beitrag, der aus Refugees, die am Arbeitsmarkt willkommen sind, Kollegen macht, mit denen man gemeinsam die Gewerkschaftsrechte verteidigt. Das wäre auch ein Beitrag zum Antirassismus, der sich nicht in Moralismus erschöpft oder sich womöglich noch für einen ganz neuen deutschen Patriotismus einspannen lässt.

http://www.heise.de/tp/artikel/46/46027/3.html

Anhang

Links

[1] http://info.kopp-verlag.de//hintergruende/deutschland/gerhard-wisnewski/invasion-fluechtlingswelle-ist-der-verteidigungsfall.html;jsessionid=8B2F42079146262250BB5F87E545D72F

[2] http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/gerhard-wisnewski/maennlich-ledig-jung-warum-die-fluechtlingswaffe-bald-explodieren-wird.html

[3] http://www.spd-rottenburg-am-neckar.de/app/download/5803773984/2015-08-28+Stellungnahme+an+KOPP.pdf

[4] http://info.kopp-verlag.de//hintergruende/enthuellungen/gerhard-wisnewski/angriff-auf-die-pressefreiheit-spd-versucht-kopp-verlag-einzuschuechtern.html;jsessionid=8B2F42079146262250BB5F87E545D72F

[5] http://www.anjes-tjarks.de/

[6] http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Tjarks-Wir-brauchen-neuen-Patriotismus,tjarks108.html

[7] http://www.schule-ohne-rassismus.org/courage-schulen/wege-zur-courage-schule/

[8] http://www.taz.de/!5227563/):

[9] http://www.focus.de/politik/deutschland/fluechtlinge-von-der-leyen-warnt-deutsche-vor-abschottung_id_4956508.html

[10] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/09/150918-IGBCE-125-Jahre.html

[11] http://www.heise.de/tp/artikel/46/46022/

[12] http://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2015/nach-dem-rausch-folgt-der-kater/[13] http://www.blauenarzisse.de/index.php/anstoss/item/5395-die-lethargie-der-massen

[14] http://einwanderungskritik.de/was-ist-zu-tun/

[15] http://socialjusticehistory.org/projects/justiceforjanitors/timeline