Vieles sieht nach Einlenken aus, aber Unionsabgeordnete sind nicht die einzigen, die ihre Zweifel haben
Knapp 8 Monate liegen zwischen den ersten Wahlsieg der linkssozialdemokratischen Syriza-Regierung in Griechenland und ihrer knappen Bestätigung bei den Wahlen am vergangenen Sonntag. Doch haben sich die Begleitumstände geändert. Syriza unter Tsipras ist nicht mehr die Kraft, die der Austeritätspolitik von „Deutsch-Europa“ ein Stoppschild entgegen hält.
Dazwischen lagen mehrere Monate, in denen ein Teil [1] der sozialen Bewegungen in Europa hoffte, von Griechenland werde der Impuls für jenes andere Europa ausgehen, das sie in Parolen immer wieder beschworen haben. Doch, nachdem sich Tsipras auf Druck vor allem der deutschen Regierung und der EU-Gremien auf genau die Austeritätspolitik einließ, die er und seine Politik bisher immer bekämpft haben, war innerhalb weniger Monate auch die griechische Regierung auf den Boden jener Realpolitik angekommen, wo es höchstens um das Verstellen einiger Stellschrauben geht, aber nicht mehr um grundsätzliche Alternativen.
Diese Entwicklung kommt einigen Kräften in Brüssel und Berlin sehr entgegen. Eine scheinbar entzauberte Linkspartei kann vielleicht das Austeritätsprogramm reibungsloser bei der griechischen Bevölkerung durchsetzen als die Wiederkehr der verhassten Konservativen, mag dabei die Überlegung gewesen sein. Dass die erst vor wenigen Wochen gegründete Partei Volkseinheit, die für sich in Anspruch nahm, das Erbe jener Syriza weiterzutragen, die das Austeritätsprogramm ablehnt, trotz Unterstützung von bekannten und auch lange Zeit populären Mitstreitern gar den Einzug ins Parlament verfehlte und auch die Kommunistische Partei Griechenland, die für einen Austritt aus den Euro ist, keine Zugewinne verzeichnen konnte, dürfte in dieser Lesart durchaus als Bestätigung dieser These verstanden werden.
So dürften auch manche Glückwünsche zur Wiederwahl von Tsipras durchaus nicht nur diplomatischen Gepflogenheiten geschuldet gewesen sein. Doch so ganz sicher ist man sich in Brüssel und Berlin noch nicht, ob die griechische Syriza wirklich schon im Schnelldurchang zu Sozialdemokraten mutiert ist, die nun die Politik widerstandslos schlucken, die sie noch vor einigen Monaten bekämpft haben.
Klare Absage an EU-Politik von Merkel und Schäuble durch Syriza-Politiker
Doch diese Linie wird auf jeden Fall nicht von allen Syriza-Politikern geteilt. So betonte das Vorstandsmitglied Giorgos Chondros nach dem erneuten Wahlerfolg auf WDR 2 [2]:
Auf die Nachfrage des Interviewers, ob also erneute Verhandlungen über die Austeritätspolitik folgen werden, gab sich Chondros eindeutig:
Chondros hat erst kürzlich im Westendverlag unter dem Titel „Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas“ ein Buch [3] verfasst, in dem er die Inhalte der monatelangen Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung den EU-Gremien aus seiner Sicht darlegt und auch deutlich macht, dass Kürzungen im aufgeblähten Rüstungsetat Griechenlands und eine höhere Besteuerung der Reeder nicht an Syriza und seinen Koalitionspartner, sondern an den EU-Instanzen gescheitert sei.
Taktisch geschickt verknüpft Chondros die Kritik an der Austeritätspolitik weiterhin mit der Perspektive einer anderen EU und versucht damit sowohl an die sozialen Bewegungen in Europa als auch an Parteien wie die Podemos in Spanien anzudocken, die im ersten Wahlsieg Syrizas einen Auftrieb für eine alternative EU-Politik gesehen haben und nach Tsipras Einlenken desorientiert waren.
Das gilt auch für die Linkspartei in Deutschland, die in den letzten Monaten zur erklärten Befürworterin von Tsipras gehörte. Der scheidende Fraktionschef der Linken äußerte sich zweideutig zur Wahl. So heißt es auf ntv [4]:
In einer anderen Zusammenfassung des Gysi-Interviews fehlt dieser Passus, der arg an Ermahnungen von Politikern aller anderen Parteien erinnert. Dafür wird dort betont, dass Gysi Tsipras ein selbstbewussteres Auftreten gegenüber Brüssel und Berlin empfiehlt [5].
„Die Methode von Merkel und Schäuble ist nicht aufgegangen. Die Linksregierung ist nicht weg. Sie geht sogar gestärkt in die nächste Legislaturperiode“, sagte der Linksfraktionschef im Interview mit dem Fernsehsender Phoenix. Der alte und neue Ministerpräsident Tsipras müssen diesen Sieg nun „nutzen, um selbstbewusster aufzutreten.“ Um Griechenland aus der Krise zu führen, müsse er bessere Bedingungen verhandeln. Das Land brauche ein Katasteramt und eine funktionierende Steuerfahndung, betonte Gysi.
Diese unterschiedliche Akzentuierung könnte auch daran liegen, dass längst nicht alle in der Linkspartei das Einknicken von Tspiras unterstützten. Die parteilinke Strömung Antikapitalistische Linke rief sogar zur Wahl der Partei Volkseinheit auf [6]. Man sei mit den Organisationen in Griechenland einig, die weiterhin gegen die Austeritätspolitik kämpfen.
„Eine Unterstützung für Alexis Tsipras und seine UnterstützerInnen in SYRIZA bei den Wahlen am 20. September ist damit nicht mehr vereinbar“, heißt es in dem Aufruf [7]. Auch nach dem schlechten Abschneiden der Volkseinheit gibt sich Lucy Redler, eine der Protagonistinnen der linken Parteiströmung, kritisch gegenüber ihrer eigenen Partei und Syriza: „Erst einmal ist es sehr bitter dass aus dem TINA-Kurs von Tsipras (There is no alternative) nun TINO (There is no opposition) wurde.“
Ihrem eigenen Führungspersonal schreibt Redler ins Stammbuch:
Doch diese klaren Worte sind vor allem radikale Rhetorik. Das Scheitern der Volkseinheit macht einmal mehr deutlich, dass für zwei Varianten linksreformistischer Politik in der Regel kein Platz ist und diejenigen, die das größere Budget bzw. den effektiveren Apparat haben, tragen den Erfolg davon. Das musste Redler 2007 selber erfahren, als sie mit einer linkeren Formation separat von der gerade gegründeten Linkspartei für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus kandierte und dann mehrere Jahre ihren Eintritt in die Linkspartei erstreiten musste. Es ist durchaus möglich, dass auch manche der Volkseinheit-Unterstützer wieder zu Syriza zurückkehren und Töne wie die von Chondros dürften eine solche Entwicklung unterstützen.
Mahnungen aus der EU und Brüssel
Prompt reagierten Politiker aus Brüssel und Berlin irritiert und mahnten in Richtung Athen, dass die griechische Regierung jetzt daran gehen müsse, die Austeritätspolitik umzusetzen. Konkret bedeutet es, dass die Mehrwertsteuer erhöht, Renten gekürzt und weiter privatisiert werden muss. Es werde keine weiteren Erleichterungen für Griechenland geben, betonte [8] der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Prompt zeigte sich der Unionspolitiker Detlef Seif, der das Griechenlandpaket bei der letzten Abstimmung im Bundestag abgelehnt [9] hat, bestätigt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk, das sich schwerpunktmäßig um die Flüchtlingspolitik drehte, erklärte [10] Seif zum Wahlausgang in Griechenland:
Wie wird die außerparlamentarische Linke in Griechenland reagieren?
Solche Warnungen kamen auch von anderen Unionspolitikern. Doch noch wird erwartet, dass diese Äußerungen aus dem Syriza-Vorstand vor allem darauf gerichtet sind, die eigene weiterhin austeritätskritische Basis zufrieden zu stellen und ansonsten die Vereinbarungen umzusetzen. Dabei dürfte aber die außerparlamentarische Bewegung, die nach dem 22. Januar 2015 große Hoffnungen in die neue Regierung setzte, keinesfalls den Transmissionsriemen für die Regierungspolitik abgeben.
Viele sind am Sonntag der Wahl fern geblieben, andere haben Syriza als kleineres Übel gewählt und wollen vor allem austesten, wie weit es möglich ist, die konkrete Ausgestaltung der Austeritätspolitik außerparlamentarisch zu verhindern. Es gab bereits in der vergangenen Woche erste Aktionen anarchistischer Gruppen gegen die Behörden, die die Privatisierungen umsetzen sollen.
Es wird sich also zeigen, ob die Tsipras-Regierung auch gegen die außerparlamentarische Bewegung notfalls mit aller gesetzlichen Härte vorgeht, um ein Programm umzusetzen, von denen wesentliche Vertreter immer gesagt haben, dass es ihnen aufgezwungen wurde. Oder sind sie bereit, angesichts von möglichen Massenprotesten den EU-Gremien zu sagen, dass Programm werden wir nicht gegen den Willen dieser Menschen durchsetzen. Diese Frage ist noch offen und sie sorgt zumindest partiell bereits für Beunruhigung in Brüssel und Berlin.
http://www.heise.de/tp/news/Nach-dem-Syriza-Wahlsieg-Wie-geht-es-mit-der-Austeritaetspolitik-weiter-2822942.html
Peter Nowak
Links:
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