Nach dem Syriza-Wahlsieg: Wie geht es mit der Austeritätspolitik weiter?

Wut gegen Austeritätspolitik erreicht Frankfurt

Es ging nicht nur um die EZB, sondern um die Politik der deutschen Regierung

„Danke an alle für den großartigen Vormittag! Jetzt ist Zeit zum Ausruhen. Wir sehen uns mit neuer Frische um 17 Uhr bei der Demo!“ Diese Nachricht auf dem Liveticker[1] des Blockupy-Bündnisses[2] erklärt, warum in den letzten Stunden in der Innenstadt von Frankfurt/Main  wieder Ruhe eingekehrt ist.

Seit dem frühen Morgen des 18. März[3] haben ca. 6000 Kapitalismuskritiker, darunter über 1.000 aus dem europäischen Ausland, Teile der Innenstadt von Frankfurt/Main blockiert. Es kam immer wieder zu Scharmützel mit der Polizei. An einigen Stellen wurden Schaufenster eingeschlagen.

Das Knattern der Polizeihubschrauber über der Stadt macht deutlich, dass in der Stadt Ausnahmezustand herrscht. Aus ganz Europa sind Menschen in der Mainmetropole gekommen, um anlässlich der symbolischen Eröffnung der Europäischen Zentralbank, die ihr neues Gebäude im Osten der Stadt längst bezogen hat, deutlich zu machen, was sie von der Austeritätspolitik der deutschen Regierung und der EU-Kommission halten.

Es geht nicht um humanitäre Philosophie, sondern um die finanziellen Folgen

Und da hat in den letzten Wochen einiges an Wut angesammelt. Die Haltung von Schäuble und Co., die gegen der neuen griechische Regierung wie Kolonialoffiziere auftraten, die den Einwohnern einer unbotmäßigen Provinz beibringen, wie sie sich zu benehmen haben. Erst vor wenigen Stunden wandte sich der griechische Ministerpräsident Tsipras gegen Versuche von EU-Gremien, die geplanten Hilfsmaßnahmen für die besonders verarmten Teile der Bevölkerung als Verletzung der Verträge auszulegen, die Griechenland mit den EU-Gremien geschlossen hat.

In einem Brief hatten Vertreter der EU-Kommission darauf gedrängt, diese Gesetze, die einigen zehntausend Menschen ein etwas besseres Leben ermöglichen sollen, nicht ins Parlament einzubringen. Wenn der EU-Kommissar Moscovici darauf nur entgegnen konnte, es gehe nicht um humanitäre Philosophie, sondern um die finanziellen Folgen, dann bringt er genau die Politik auf den Punkt, gegen den die Menschen in Frankfurt/Main revoltieren. Wie sie es nun seit heute Morgen taten, ist Gegenstand von zahlreichen Medienberichten und Erklärungen von Politikern aller Parteien.

Von einem Missbrauch des Demonstrationsrechts wird ebenso geredet wie von krimineller Energie der Demonstranten. Da zeigt sich einmal mehr, die unterschiedliche Wahrnehmung von Gewaltverhältnissen. Eingeschlagene Fensterscheiben und brennende Polizeifahrzeuge erregen große Empörung. Die stumme Gewalt ökonomischer Verhältnisse, die in Griechenland und auch in anderen Teilen der europäischen Peripherie verhindern, dass Menschen ihre Lebenschancen nutzten können, wird als Sachzwang akzeptiert. Auch in Deutschland sorgen diese Zwänge des Verwertungssystems für menschliches Elend. Trotzdem ist in Deutschland die Ignoranz der Folgen einer Politik, die hierzulande durch Wahlen mehrheitlich bestätigt wurde, besonders ausgeprägt.

Der Protesttag in Frankfurt/Main hat deutlich gemacht, dass die von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützte Politik von Deutschland, vor allem im europäischen Ausland auf Unverständnis stößt. Die Organisatoren der Blockupy-Proteste haben hingegen erkannt, dass die deutsche Politik auch Folgen hat. Auf einer Pressekonferenz des Blockupy-Bündnisses wurde erklärt, dass man die Wut der Menschen verstehen kann. Natürlich durfte der übliche Streit über die Frage, von wem die Gewalt ausgeht, nicht fehlen.

Während ein Polizeigewerkschafter davon spricht, dass die Blockupy-Aktivisten Kriminelle und keine Demonstranten seien, wirft das Protestbündnis umgekehrt der Polizei unverhältnismäßiges Vorgehen vor. Schließlich setzt der überwiegende Großteil der Protestierenden auf friedlichen Protest. Manche distanzieren sich von militantem Aktionen: „Diese Bilder haben wir nicht gewollt“, erklärte[4] Ulrich Wilken mit den Verweis auf brennende Polizeiauto. Wilken sitzt für die Linke im hessischen Landtag und ist Anmelder der Großdemonstration, die heute ab 17 Uhr in die Nähe des Frankfurter Bankenviertels ziehen soll. Es wird erwartet, dass es dann mit der Ruhe auf den Straßen von Frankfurt/Main wieder vorbei ist.

Alles Populisten außer der EZB?

Wie der Aktionstag auch ausgeht, einen Erfolg können sich die Protestierenden schon zugute schreiben. Bei der symbolischen EZB-Eröffnung spielten plötzlich auch die Opfer der Austeritätspolitik eine Rolle. Hätte es lediglich eine Kundgebung ohne Zwischenfälle gegeben, wäre das medial kurz abgehandelt worden und man wäre zur Tagesordnung übergegangen. Jetzt aber haben EZB-Verantwortliche und Politiker sich vorgenommen, den Menschen besser zuzuhören, damit sie nicht Populisten auf den Leim gehen. Als Populisten wurden nach dieser Lesart sowohl die Regierungspartei Syriza als auch die Demoorganisatoren bezeichnet.

Die Rituale rund um den Blockupy-Aktionstag kennt man von solchen großen Protest-Events. In dieser Hinsicht erinnern die Geschehnisse in Frankfurt/Main heute an die Rostocker Auftaktdemonstration gegen das G8-Treffen in Heiligendamm im Jahr 2007 (Demonstration gegen G8-Gipfel endete in Militanz[5]). Auch damals wurde in den Medien ein Bürgerkriegsszenario an die Wand gemalt, während die Protestorganisatoren vor allem darauf hinwiesen, dass die Polizei die große Mehrheit die gewaltfrei demonstrieren wollte, mit Wasserwerfern und CS-Gas eindeckte.

Anhang

Links

[1]

https://twitter.com/Blockupy_Ticker/status/578167158628343808

[1]

https://www.facebook.com/blockupy.europe

[2]

https://blockupy.org/

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/44/44433/2577734.html

[4]

http://www.ulrichwilken.de/site

[5]

http://www.heise.de/tp/artikel/25/25424/

http://www.heise.de/tp/artikel/44/44433/1.html

Peter Nowak

EU-Austeritätspolitik mit allen Mitteln auch ohne gesellschaftlichen Konsens durchsetzen?

Eine Wortmeldung von EU-Kommissar Barroso sorgt für Diskussionen

Wieder einmal steht die von wesentlich von Deutschland forcierte Austeritätspolitik in der Kritik. Dass ist nun wahrlich nichts Neues. Vor allem in der europäischen Peripherie ist die deutsche Politik so unbeliebt, wie es jahrzehntelang die US-Politik in Zentral- und Südamerika war. Schließlich sind dort viele Menschen tagtäglich mit den Folgen dieser Wirtschaftspolitik konfrontiert.

Doch die neue Debatte wurde vom EU-Kommissionschef Manuel Barroso ausgelöst, der auf einem Treffen in Brüssel vor einigen Tagen gesagt hat, dass die Austeritätspolitik an ihre Grenzen stoße. Im Grunde sei die Politik noch immer richtig, präzisierte er, aber dazu brauche man ein „Minimum an gesellschaftlicher und politischer Unterstützung“.

Überraschend an dem Einwurf waren vor allem der Sprecher und der Ort, an dem er sich zu Wort meldete. Denn Barroso war der deutsche Wunschkandidat auf seinen Posten und hat die deutschen Interessen in der EU immer gut vertreten. Nun bellen auch schon mal Merkels und Schäubles Pudel, wenn es opportun erscheint gegen die Berliner Politik. Praktische Konsequenzen sind damit in der Regel nicht verbunden. Das beste Beispiel ist ein Statement von Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Junker. Der ließ verlauten, keine deutschen Verhältnisse in seinem Land zu wollen und meinte damit wohl vor allem, dass er sich den Bankensektor nicht schlechtreden lassen will. Doch Barroso hat seine Kritik an der europäischen Sparpolitik vor einem Forum geäußert, auf dem es nicht auf schnellen Applaus ankommt: bei einer Konferenz europäischer Denkfabriken.

Die Reaktionen auf Barrosos Kritik zeigen, dass er auch in deutschfreundlichen Kreisen nicht allein ist. So hat der Vizepräsident der europäischen Kommission Olli Rehn angeregt, die rigide Sparpolitik zu lockern . Er verband die Aufforderung mit einer Verteidigung der bisherigen Politik, die alternativlos gewesen sei. „Da wir das Vertrauen kurzfristig wiederhergestellt haben, eröffnet sich uns jetzt mittelfristig die Möglichkeit für eine ruhigere Gangart bei den Fiskal-Reformen“, so Rehn. Er sah sich damit durchaus im Einklang mit Aufforderungen von IWF und Weltbank, wo schon lange mit Sorge beobachtet wird, wie die Austeritätspolitik à la Berlin die Weltwirtschaft zu bremsen droht. Erst vor Kurzen hat der in diesen Kreisen angesehene Investor George Soros erklärt, dass Deutschland aus dem Euro aussteigen müsse, wenn es nicht zu Eurobonds bereit sei.

„Deutschland muss stark bleiben“

Dass es sich bei dem Streit nicht um politische Befindlichkeiten, sondern um unterschiedliche Interessen geht, wird oft zu wenig beachtet. Denn während Deutschland ab 2016 mit Überschüssen in seinem Staatshaushalt rechnet kann, kämpfen andere Länder wie Frankreich wegen der dort stagnierenden Wirtschaft mit Problemen, die bisherigen Defizitziele einzuhalten. Hierin liegt der Grund, dass die deutsch-französische Kooperation nicht mehr so reibungslos funktioniert wie noch vor einigen Jahren. In den deutschen Medien wird dafür immer das Vertrauensverhältnis der führenden Politiker in den Mittelpunkt gestellt. Dass es Differenzen im Kerneuropa gibt, könnte auch eine Chance für die Länder der europäischen Peripherie sein, die davon profitieren könnten.

Doch genau das will die deutsche Politik verändern. Denn die will natürlich an einer Austeritätspolitik, die den Standort Deutschland nützt, nichts ändern. Deswegen haben sich von Merkel bis Schäuble in den letzten Tagen sofort führende Politiker zu Wort gemeldet, die diese Politik als alternativlos bezeichneten. Sehr ehrlich war dabei Schäuble, der sagte, dass ein schwaches Deutschland niemand nütze.

Ein offenes Bekenntnis zu einem starken Standort Deutschland kommt im Wahljahr bei einem großen Teil der Bevölkerung gut an. Dabei wird natürlich nicht extra erklärt, dass die Stärkung des Standorts Deutschlands und die Verelendung an der europäischen Peripherie zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Deutschland als starker Standort zieht permanent Kapital, Mehrwert und Beschäftigung aus der europäischen Peripherie an, die auf deutsches Kapital und deutsche Waren angewiesen ist.

Demokratie marktkonform versenkt

Und wenn die Betroffenen in diesen Ländern diese Politik nicht mehr ertragen können und wollen? Genau diesen Punkt hat Barroso angesprochen, als er das Fehlen einer minimalen gesellschaftlichen und politischen Unterstützung konstatierte. Schäuble und Co. gehen auf diesen Punkt nicht ein, was zumindest die Frage aufwirft, ob sie bereit sind, die dem deutschen Standort nützliche Politik mit aller Gewalt durchzusetzen.

Das ist eine nicht nur hypothetische Frage. In vielen Ländern der Peripherie wurden im Zuge der Austeritätspolitik schon wesentliche gewerkschaftliche Rechte außer Kraft gesetzt, wie eine Gruppe von Gewerkschaftern in diesen Tagen auf einer Rundreise erläutert. Der treffende Titel der Veranstaltung lautet: Demokratie marktkonform versenkt.

In Barrosos Heimatland Portugal könnte nicht nur die ihm nahestehende konservative Regierung stürzen, sondern sogar eine Politikwechsel auf der Tagesordnung stehen. Die Hymnen der Revolution, die vor mehr als 35 Jahren viele beeindruckten, werden wieder auf öffentlichen Straßen und Plätzen gesungen. Wie würde Schäuble und Co. reagieren, sollten die bisherigen eher dezenten Mittel der Disziplinierung nicht mehr ziehen, um eine EU-Politik, die den Standort Deutschland nutzt, durchzusetzen? Würden dann die Reste der Demokratie auch noch versenkt?

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154179
Peter Nowak