Wenn Konzerne zu Protestberatern werden

Eine Tagung in Berlin beschäftigte sich mit der Tatsache, dass auf der „Wiese der Zivilgesellschaft“ auch wirtschaftsfinanzierte und beeinflusste Akteure grasen

Wer den Beginn Astroturf [1] hört, denkt an Esoterik. Doch tatsächlich ist der Begriff mittlerweile in das Vokabular von Aktivisten von sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen eingegangen. Damit wird die nicht überraschende Tatsache beschrieben, dass Konzerne und konzernnahe Institute eifrig auf den Feldern der Zivilgesellschaft mitmischen, sich dort also als Akteure aufspielen, wie es im NGO-Sprech heißt.

Sie unterstützen dabei natürlich Positionen, die den Interessen des entsprechenden Konzerns nützen. Nicht immer sind solche konzernbeeinflussten Initiativen so leicht zu erkennen wie beim Verein Bürger für Technik [2], deren Mitglieder in Leserbriefen an verschiedene Zeitungen regelmäßig Stimmung gegen die Energiewende machen [3].

Ein eifriger Leserbriefschreiber ist auch der Mitbegründer des Vereins Ludwig Lindner. Nach Angaben des lobbykritischen Nachschlagewerk Lobbypedia [4] war Linder bis 2004 Sprecher von „Nutzen der Kerntechnik“ bei der Kerntechnischen Gesellschaft [5].

Oft ist die Einflussnahme der Industrie nicht so einfach zu erkennen. Dabei ist das Tätigkeitsfeld sehr groß. Sie kümmern sich um die Wikipedia-Seiten bestimmter Konzerne ebenso wie um die Organisierung von Pro-Kohle oder Pro-AKW-Demonstrationen, bei denen die Mitarbeiter der Firmen und ihre Angehörigen eine große Rolle spielen.

Am gestrigen Samstag widmete sich im Rahmen der Linken Medienakademie [6] eine Tagung unter dem mehrdeutigen Titel „Konzernprotest“ [7] dem Phänomen des Kunstrasens, wie Astroturfing übersetzt heißt. Schon der Begriff ist voraussetzungsvoll.

Dahinter steht das Bild eines blühenden wildwachenden Rasens, der die soziale Bewegung und Zivilgesellschaft darstellen soll. Kunstrasen wird es nach dieser Vorstellung dann, wenn Konzerne und Wirtschaftslobbyisten diese Wiese ebenfalls abgrasen. Im Publikum, das überwiegend aus Aktivisten und NGO-Vertretern aus dem Umweltbereich bestand, wurde diesen einfachen Blick allerdings auch widersprochen.

Keine Marionetten der Wirtschaft

So warnte ein Teilnehmer davor, die Aktivisten dieser wirtschaftsnahen NGOs nur als Marionetten der Konzerne zusehen. Viele teilen die Überzeugungen der Wirtschaft und sehen in deren Unterstützung eine willkommene Hilfe. In den Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass die Situation im Detail noch komplizierter sein kann.

Wenn Konzerne gemeinsam mit DGB-Gewerkschaften zur Großdemonstration für den Erhalt der Kohleindustrie nach Berlin aufrufen, spielt natürlich der Angst vor Arbeitsplatzverlusten für die Beschäftigten ebenso eine Rolle wie ein Standortnationalismus, der die Interessen der Konzerne unhinterfragt verinnerlicht.

Die Vorstellung, dass ein Beschäftigter von EON, Vattenfall und RWE nicht mit dem Konzern identisch ist sondern nur seine Arbeitskraft dort verkauft, ist vielen von ihnen fremd. Wenn nun Vattenfall in der Lausitz ganze Dörfer abbaggert und in der strukturschwachen Region als Sponsor von Schulen, Kindergärten und Bibliotheken auftritt, so wird deutlich, dass eine wirtschaftsliberale Politik, die sich im Zeitalter der Schuldenbremse selbst aus dem Erhalt einer minimalen sozialen Infrastruktur zurück zieht, die Konzerne geradezu einlädt, als Sponsoren aufzutreten und sich damit Einfluss und Macht in der Region zu sichern.

Denn, wenn die Konzernpläne nicht genug gewürdigt werden, drohen nicht nur Arbeitsplatzverluste, sondern auch die Schließung von Schulen und Bibliotheken. So wird schnell deutlich, dass das Problem weniger daran besteht, dass auch die Wirtschaft ihre Interessen im Rahmen der Zivilgesellschaft durchsetzen will.

Kritisiert werden müssten politische Verhältnisse, die es den Konzernen so leicht machen, diese Interessen umzusetzen, weil sie Macht und Einfluss haben. Unterschiedliche Teilnehmer sprachen auch das Wirtschaftssystem an. Ein Aktivist warb für die Stärkung der Umweltgewerkschaft [8], mit der eine verstärkte Kooperation zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegung angestrebt wird.

Gewerkschafter fehlten auf der Tagung

Tatsächlich wurde als Manko der Tagung das Fehlen vor allem von Gewerkschaften genannt. Dabei geht es nicht um die Vorstände, sondern um engagierte kritische Gewerkschafter, die sich oft auch gegen die Vorstände ihrer eigenen Verbände durchsetzen müssen. Es gibt zwischen dem Astroturfing und der Unterstützung von Konzernen bei der Etablierung wirtschaftsfreundlicher Pseudogewerkschaften durchaus Parallelen.

Lange Zeit gab es in vielen großen Betrieben sogenannte „gelbe Gewerkschaften“, die mit dem Management und Teilen der Angestellten sowie wenigen Arbeitern vor allem in Betrieben eingerichtet wurden, wo kämpferische DGB-Gewerkschafter aktiv waren. In dem Buch „Der Fall BMW – Macht und Recht im Betrieb“ [9], das kürzlich im Verlag Die Buchmacherei [10] erschienen ist, wurde an einen langandauernden Arbeitskonflikt vor 30 Jahren erinnert, bei der diese Konzernstrategie eine wichtige Rolle spielte.

Es wäre sicher sinnvoll gewesen, zu der Tagung einige der aktiven Kollegen einzuladen, die jahrelang gegen die Etablierung konzerngesteuerter Gewerkschaften in ihren Betrieben nicht ohne Erfolg kämpften, wenn es darum gegangen wäre, den Kontakt zu Gewerkschaftern auszubauen. Aber das war sicher nicht das Hauptziel aller Teilnehmer.

So wurde von einigen auf die Beiträge der „Taz zum Wandel“ [11] am 5. September 2015 hingewiesen, in der gewerkschaftliche Kämpfe nur am Rande vorkamen. Stattdessen dominierte dort der Wunsch nach einem sanften Kapitalismus, garniert mit anthroposophischen Konzepten und Esoterik. Sicher haben diese Akteure weniger Einfluss und Macht als große Wirtschaftskonzerne. Doch auch eine Beeinflussung von NGOs durch sie wäre sicher kein Fortschritt.

Öfter mal eine Mitmachfalle umgehen

Viele Tagungsteilnehmer wehrten sich gegen den Eindruck einer allmächtigen Industrie, die nun auch noch die sozialen Netzwerke und die NGO-Szene kapert. Michael Wilk, der lange in der Bewegung gegen die Startbahn-West aktiv ist, beschreibt [12], wie Mediationen und andere Gesprächsangebote zu Instrumenten werden, die Ausbaupläne der Flughafenbetreiber widerstandsloser durchsetzen können.

Solche Erfahrungen mussten auch die Kritiker von Stuttgart 21 machen. Wilk rät selbstbewusst seinen Mitstreitern aus NGO und sozialen Initiativen, öfter mal nein zu sagen, und solche Mediationsangebote abzulehnen, wenn deutlich wird, dass nur die Wirtschaft davon profitiert.

Besonders großen Anklag fand ein Workshop des Berliner PENG-Kollektivs [13], auf dem Beispiele ihrer Kommunikationsguerilla gegen große Konzerne vorgestellt wurden. So endete ein von der Firma Shell gesponserter Science Slam, auf dem junge Wissenschaftler umweltfreundliche Produkte vorstellen sollten, im Chaos [14].

Bei der Vorführung explodierte scheinbar der Motor und verspritzte literweise Öl. „Mit dem Spruch, hier können sie den Stecker ziehen, in der Arktis nicht“, outeten sich die vermeintlichen Wissenschaftler als Umweltaktivisten. Die Aktion sorgte wie alle weiteren Kommunikationsguerilla-Aktion des Peng-Kollektivs für eine große Medienöffentlichkeit [15].

Shell-Kampagne vor 30 Jahren und heute

Allerdings machten die Aktivisten auch klar, dass eine zeitaufwendige Vorarbeit für diese Aktionen nötig gewesen sei. Die Tagungs-Teilnehmer waren begeistert. „Hier wird nicht darüber geklagt, wie schlimm die Konzerne sind. Hier drehen wir den Spieß um und stellen sie in der Öffentlichkeit bloß“, sagte ein Aktivist des Peng-Kollektivs unter großen Applaus.

So wurde das Bedürfnis vieler Teilnehmer befriedigt, endlich selber Themen zu setzen und nicht immer auf die Konzerne zu reagieren. Dabei muss man sich doch tatsächlich fragen, ob der Aufwand für die Aktion bei Shell die reale Wirkung lohnt. Schließlich kommt für viele Zeitungsleser nur rüber, hier wäre ein Motor explodiert und die Wissenschaftler waren gar nicht echt.

Wird hier wirklich für größere Teile der Bevölkerung Aufklärung über das Agieren des Konzern betrieben oder ist die Aktion so voraussetzungsvoll, dass nur Menschen, die sich beispielsweise mit Green-Washing-Strategien von Konzernen befasst haben, die Motivation verstehen, eine Veranstaltung zu chaotisieren, mit dem ein Konzern vorgeblich Forschung prämiert, die umweltfreundliche Produkte produzieren soll?

Schließlich könnte sich auch die Frage stellen, ob die außerparlamentarische Kampagne „Shell to Hell“, mit der in den 80er und 90er Jahren mit unterschiedlichen Aktionen gegen die Politik von Shell vor allem in Ländern des globalen Südens agiert [16] wurde, durchaus auch Erfolge zeigte und auch von Menschen praktiziert werden konnte, die eben nicht gleich Wissenschaftler und eingebettete Journalisten auftreiben können.

So wirft die Präsentation des Peng-Kollektivs und die große Zustimmung des Tagungspublikums auch Fragen hinsichtlich der Perspektive von außerparlamentarischen Protesten auf. Wenn der Aufwand so groß wird, braucht der auch Sponsoren und Förderer und ist daher auf solidarische Strukturen angewiesen.

Allerdings zeigte das Peng-Kollektiv mit einer gefakten Vattenfall-Erklärung [17] und noch mehr mit ihrer jüngsten sehr erfolgreichen Aktion Fluchthelfer.in [18], dass es auch Möglichkeiten gibt für Einzelpersonen oder keine Gruppen, sich an Aktionen zu beteiligen.

http://www.heise.de/tp/news/Wenn-Konzerne-zu-Protestberatern-werden-2826954.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://lobbypedia.de/wiki/Astroturfing

[2]

http://www.buerger-fuer-technik.de/

[3]

http://www.zeit.de/2008/17/Atomlobby

[4]

https://lobbypedia.de/wiki/B%C3%BCrger_f%C3%BCr_Technik

[5]

http://www.ktg.org/ktg/0

[6]

http://www.linkemedienakademie.de/

[7]

http://www.konzernprotest.de/

[8]

http://www.umweltgewerkschaft.org/index.php/de/

[9]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2014/10/bmw_buch.pdf

[10]

http://diebuchmacherei.de/

[11]

http://www.taz.de/!160910/

[12]

http://umweltfairaendern.de/2014/03/lesen-wie-protestbewegungen-manipuliert-werden-ueber-mediationen-runde-tische-eine-bucherveroeffentlichung/

[13]

https://www.pen.gg/

[14]

http://www.peng-collective.net/press/slamshell_PR_deutsch.pdf

[15]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/aktionen-gegen-konzerne-shell-als-opfer-beim-science-slam-a-965151.html

[16]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9198944.html

[17]

https://www.youtube.com/watch?v=Zp4Hx3ZTZ98

[18]

http://www.fluchthelfer.in/
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Der Artikel wurde auf Indymedia diskutiert:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/154346

Kommunikationsguerilla gegen Konzerne

Tagung: Lobbyismus auch in Bürgerinitiativen verbreitet In Berlin tauschten sich am Wochenende Aktivisten und Interessierte darüber aus, wie Unternehmen Einfluss auf zivilgesellschaftliche Initiativen nehmen.

»Sie sind an Technik interessiert, finden den Fortschritt gut, wollen sachlich informiert sein, glauben an Wohlstand für alle und sind der Meinung, dass Umwelt und Technik sich nicht ausschließen – dann sind Sie hier richtig!« So stellt sich die Initiative mit dem schlichten Namen »Bürger für Technik« im Internet vor. Unter der Rubrik Leserbriefe finden sich fast durchweg Beiträge, die sich vehement gegen den »Energiewendeirrsinn« aussprechen. Der Gründer und langjährige Vorstandschef der Initiative ist Ludwig Lindner, bis 2004 Sprecher der Fachgruppe »Nutzen der Kerntechnik« der Kerntechnischen Gesellschaft. Auch der jetzige Sprecher der Fachgruppe engagiert sich bei den »technikfreundlichen Bürgern«. Für den Verein Lobby Control handelt es sich deshalb um eine konzerngesteuerte Initiative, mit der die Wirtschaft ihre Positionen in der Zivilgesellschaft verbreitet.

Schließlich genössen Bürgerinitiativen und Graswurzelbewegungen in weiten Teilen der Bevölkerung große Akzeptanz: »Als nicht von Profitinteressen geleitete Organisationen genießen sie Vertrauen, sind im besten Fall erfolgreich«, erklärt die Sprecherin der Umweltorganisation Robin Wood, Ute Bertrand. Zusammen mit weiteren Umweltverbänden und der Linken Medienakademie organisierte Robin Wood die Tagung »Wenn Konzerne den Protest managen«, die am Samstag in der Berliner Humboldt-Universität stattfand. Viele der über 100 Teilnehmer sind in Umweltgruppen und Nichtregierungsorganisationen aktiv. »Ich bin hierher gekommen, um mir Wissen anzueignen, das ich bei meiner alltäglichen Arbeit in der Umweltbewegung nutzen kann«, meinte eine Mitarbeiterin von Klimaretter.de. Ein Aktivist warnte davor, Mitglieder konzernbeeinflusster Initiativen lediglich als Marionetten der Industrie zu betrachten: »Wenn Mitarbeiter von Kohle- oder Atomkraftwerken dort aktiv sind, drücken sie auch ihre Meinung aus und dagegen müssen wir unsere Argumente vorbringen«, meinte er.

Viele Tagungsteilnehmer wehrten sich gegen den Eindruck einer allmächtigen Industrie. Ein Aktivist des Arbeitskreises Umwelt Wiesbaden sieht die Gründung von Initiativen, mit denen die Wirtschaft ihre Positionen in die Öffentlichkeit bringen will, als Zeichen einer Defensivstrategie: »Damit reagiert sie auf den zunehmenden öffentlichen Druck, der auch durch unsere Arbeit gewachsen ist«.

Besonders großen Anklag fand ein Workshop des Berliner Peng-Kollektivs, auf dem die selbst ernannte Kommunikationsguerilla ihre Projekte gegen große Konzerne vorstellte. So endete ein von der Firma Shell gesponserter Science Slam, auf dem junge Wissenschaftler umweltfreundliche Produkte vorstellen sollten, im Chaos. Bei der Vorführung explodierte scheinbar der Motor und verspritzte literweise Öl. Mit dem Spruch »hier können Sie den Stecker ziehen, in der Arktis nicht«, outeten sich die vermeintlichen Wissenschaftler als Umweltaktivisten. Die Aktion sorgte wie viele weitere des Kollektivs für Medienöffentlichkeit. Allerdings machten die Aktivisten auch klar, dass dafür jedes Mal aufwendige Vorarbeiten notwendig gewesen seien. Die Tagungsteilnehmer waren mehrheitlich begeistert: »Hier wird nicht darüber geklagt, wie schlimm die Konzerne sind. Hier drehen wir den Spieß um und stellen sie in der Öffentlichkeit bloß.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/985911.kommunikationsguerilla-gegen-konzerne.html

Peter Nowak

Der Artikel wurde auf Indymedia diskutiert:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/154346