In der vergangenen Woche machte der Leiter der Stadtbibliotheken des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg, Boryano Rickum, öffentlich, dass es in der nach der 1943 als Widerstandskämpferin gegen den NS, Eva-Maria Buch, benannten Zentralbibliothek des Bezirks zu Zerstörungen mehrerer Bücher von antifaschistischen Autorinnen und Autoren gekommen war. Sie waren zerschnitten in einem Gefäß auf der Toilette der Bibliothek aufgefunden worden. Betroffen von der Zerstörungswut war u.a. …
„Bücherzerstörung mit rechtem Hintergrund“ weiterlesenSchlagwort: Jüdische Allgemeine Zeitung
»Kein ausreichender Schutz«
Warum haben Sie zu einer Gedenkkundgebung für Sarah Halimi aufgerufen? …
„»Kein ausreichender Schutz«“ weiterlesenWenn „Antifa“ staatstragend wird
Der 200te Pegida-Aufmarsch in Dresden brachte am vergangenen Montag nicht nur AfD-Rechtsaußen Höcke in die Elbestadt, der sich aber wohl auch auf Druck der eigenen Parteiführung in seiner rechten Rhetorik zurückhielt, was auch den Applaus mäßigte. Doch auch auf der Gegenseite hatte sich eine ….
„Wenn „Antifa“ staatstragend wird“ weiterlesenWie die polnische Rechte die Holocaust-Forschung kriminalisiert
Doch bei aller berechtigten Kritik an der polnischen Regierung sollte nicht vergessen werden, dass die Shoah ein Projekt ganz gewöhnlicher Deutscher war. Ein Kommentar
Kann man in Polen den Film „Shoah“ von Claude Lanzmann noch zeigen, ohne mit Strafen rechnen zu müssen? Diese Frage muss man sich stellen, nachdem die rechtskonservative Mehrheit im polnischen Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, dass es unter Strafe stellte, wenn jemand Polen beschuldigt, sie hätten bei der Verfolgung und Tötung von Juden mitgewirkt.
„Dabei ist es eine historische Tatsache, dass eine große Anzahl Polen an der Verfolgung und Ermordung von Juden mitwirkten. Wenn das nicht mehr gesagt werden darf, wenn dazu nicht mehr geforscht werden darf, ist das ein Skandal“, schreibt der Historiker Yehuda Bauer in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. Tatsächlich gab es in nationalpolnischen Kreisen einen virulenten Antisemitismus, der dafür verantwortlich war, dass auch polnische NS-Gegner Juden an die Wehrmacht oder SS verrieten und auslieferten.
Es gab antijüdische Pogrome vor dem Einmarsch der Deutschen in Polen und die wenigen überlebenden Juden waren nur wenige Jahre nach ihrer Befreiung wieder mit dem polnischen Antisemitismus konfrontiert. 1968 ritt sogar die autoritäre, nur dem Namen nach kommunistische, Partei auf der Welle des Antisemitismus, der nur notdürftig als Antizionismus kaschiert wurde.
In dem Film „Shoah“, der der massenhaften Vernichtung der europäischen Juden den Namen gab, berichten an mehreren Stellen Überlebende, wie sie auch von polnischen Bürgern bedroht und beschimpft wurden. In einer Szene sagt ein polnischer Bauer aus der Gegend um Auschwitz, dass die Juden von den Passanten lachend mit dem Zeichen des Kopfabschneidens begrüßt wurden.
Dass auch unter deutscher Besatzung der polnische Antisemitismus gut gedeihen konnte, zeigte das Pogrom in der ostpolnischen Stadt Jedwabne im Juli 1941, das der Historiker Jan.T. Gross erforscht hat. Auch seine Arbeit wäre gefährdet, wenn das neue Gesetz in Kraft tritt. Deshalb ruft Yehuda Bauer mit Recht zur Solidarität mit den polnischen Historikern auf.
Kritik aus Israel
Dass die Forschung über die unterschiedlichen Formen der Kooperation von Polen bei der Ermordung der Juden eingeschränkt werden soll, ist vor allem in Israel auf starke Kritik gestoßen. Die polnische Rechtsregierung, die sich nach Außen immer als enger Freund von Israel darstellt, hat das in Kauf genommen. Die Kritik Israels wird von nationalpolnischen Kreisen, die auch die Wählerbasis der gegenwärtigen Regierung sind, für antiisraelische Ausfälle genutzt.
Eine geplante rechte Demonstration vor der israelischen Botschaft in Warschau wurde verboten und das Gelände bis zum 5. Februar abgesperrt. Das Kalkül der polnischen Rechten in und außerhalb der Regierung geht auf. Die Regierung demonstriert damit vor allem, dass sie sich von der Kritik der Nachfahren der Shoah-Opfer nicht von ihren Plänen abbringen lässt, die Holocaust-Forschung massiv zu reglementieren und einzuengen.
Die Shoah war ein deutsches Projekt
In Deutschland sieht man den Streit zwischen Polen und Israel gerne. Man kann sich hier schließlich wieder als Aufarbeitungsweltmeister aufspielen, der mit den Finger auf seinen östlichen Nachbarn zeigt, dessen Grenzen man nur widersprechend erst vor 25 Jahren anerkannt hat.
Denn, so richtig es ist, sich mit den polnischen Historikern zu solidarisieren, die nun durch das Gesetz kriminalisiert und in ihren Forschungen eingeschränkt werden könnten, in Deutschland muss doch wohl wieder in Erinnerung gerufen werden: Der Holocaust wurde von Deutschen geplant, es waren ganz gewöhnliche Deutsche, die die europäischen Juden in Polen und anderswo ermordeten. Es waren ganz gewöhnliche Deutsche, die sich sogar beim Mordhandwerk fotografieren ließen und darüber ihren Lieben in der Heimat berichteten.
„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ – diese Zeile aus der Todesfuge von Paul Celan muss wieder in Erinnerung gerufen werden. Es gab in allen Nachbarländern Antisemitismus, zu den mörderischen Konsequenzen führte er aber nur in Deutschland und durch Deutsche, auch wenn es Unterstützer aus vielen Ländern und auch aus Polen gab.
Daher ist zumindest der Teil des neuen polnischen Gesetzes verständlich, der es unter Strafe stellt, wenn das deutsche Vernichtungslager Auschwitz „polonisiert“ wird. Das mag in vielen Fällen ein Fall von Nachlässigkeit sein, wenn ausgedrückt werden soll, dass Auschwitz im heutigen Polen liegt. Ein so fahrlässiger Umgang mit den Fakten trägt aber dazu bei, dass die Geschichte der Shoah verfälscht wird. Von daher ist auch zu verstehen, dass die polnische Regierung gegensteuern will. Ob hier allerdings repressive Maßnahmen helfen, muss bezweifelt werden.
Wenn Guantanamo zum kubanischen Lager wird
Auch jüngere Ereignisse, die nicht mit der Shoah zu vergleichen sind, werden gerne in falsche geographische Zusammenhänge eingeordnet. So wird das US-Lager auf kubanischem Territorium, Guantanamo, häufiger zum kubanischen Lager umfunktioniert. Bei vielen sicher aus Nachlässigkeit und Ungenauigkeit. Aber es dürfte auch nicht wenige geben, die ein politisches Interesse haben, der sozialistischen Insel auch dieses Lager noch zuzuschreiben.
Dennoch hat man nicht gehört, dass die kubanische Regierung erwägt, alle die zu bestrafen, die vom kubanischen Lager Guantanamo sprechen und schreiben. Daher ist auch bei allem Verständnis für das Anliegen, dieser Teil des polnischen Gesetzes ebenso fragwürdig.
Es stellt sich schon die Frage, welchen Zweck die polnischen Rechten mit diesen Gesetzen verfolgen, die sie auch noch am Jahrestag des Holocausts, am 27. Januar, durch das Parlament brachten. Es handelt sich wahrscheinlich ebenso um eine codierte Form des Antisemitismus, wie die regierungsamtliche ungarische Kampagne gegen den Liberalen Soros.
https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-polnische-Rechte-die-Holocaust-Forschung-kriminalisiert-3960314.html
Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3960314
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.filmzentrale.com/rezis/shoahkk.htm
[2] https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=123667402
[3] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/30742
[4] http://www.zeit.de/2005/06/Jedwabne?page=1
[5] http://www.ipn.gov.pl/ftp/pdf/jedwabne_postanowienie.pdf
[6] https://www.perlentaucher.de/buch/jan-t-gross/nachbarn.html
[7] http://www.wissen.de/die-todesfuge-von-paul-celan
Spuren der Shoah
»My Two Polish Loves« im Lichtblick-Kino
Auf einer viel befahren Straßenkreuzung in der Innenstadt von Łódź steht eine junge Frau, die sich suchend umschaut. In der Hand hält sie einen Ordner mit Fotos. Es sind Dokumente über das jüdische Ghetto, das sich einst an dieser Stelle befunden hat. Heute erinnert nichts mehr daran. Die junge Frau ist Tall Tiller. Die Israelin, die seit mehreren Jahren in Berlin lebt, hat sich mit ihrer polnischen Partnerin Magda Wystub auf die Suche nach der Geschichte ihrer Vorfahren begeben. Davon erzählt ihr knapp einstündiger Film »My Two Polish Loves«.
Den Anstoß für die Reise gab die 2014 gestorbene Großmutter der Regisseurin. Erst in den letzten Jahren ihres Lebens erzählte die Holocaust-Überlebende ihre Geschichte der Verfolgung. Sie war mit ihrer Familie im Ghetto von Łódź eingesperrt. Die SS deportierte später einen Großteil der BewohnerInnen in die Vernichtungslager. Silvia Grossmann Tiller war eine der wenigen aus ihrer Familie, die überlebt hat. Im Film hört man sie von einem Wunder sprechen, das zu ihrer Rettung geführt habe. So berichtet sie, wie sie sich entschieden hatte, nicht zur Arbeit zu gehen und bei der schwer kranken Stiefmutter zu bleiben, die dann in ihren Armen starb. Dabei hörte sie, wie die SS das Gebäude betrat, in dem sich die Frauen versteckt hielten. Doch bevor die SS-Männer die obere Etage erreichten, brachen sie die Suche ab. Wäre Silvia gefunden worden, hätte man sie wohl sofort erschossen.
Wir hören die Stimme der Großmutter in Tall Tillers Film mehrmals. Wir sehen auch ein Foto des Großvaters an einer der Brücken, die die beiden Teile des Ghettos verbanden. Gefunden hat die Regisseurin es im Museum der Ghettokämpfer in Tel Aviv.
»Das Haus meiner Oma zu finden, war für mich das Wichtigste«, sagte Tall Tiller gegenüber der »Jüdischen Allgemeinen Zeitung«. Aber die Suche blieb erfolglos. »Es gibt das Haus nicht mehr. An seiner Stelle befindet sich heute ein öffentlicher Park.« Das Haus ihres Großvaters aber, der ebenfalls überlebte, hat sie gefunden – und bedauert, ihn zu Lebzeiten nicht konkreter über sein Leben im Ghetto befragt zu haben. Gefunden hat sie auch sein Grab auf einem total überwucherten Friedhof – nebst einer Gedenkkerze, die nie angezündet wurde. »Niemand ist vorbeigekommen«, sagt Magda Wystub. Es ist einer der traurigsten Momente im Film. Er zeigt, welche Folgen die Shoah auch für die Überlebenden hatte. Es war niemand mehr da, der später ihre Gräber besuchen konnte.
Und doch ist »My Two Polish Loves« kein trauriger Film. In mehreren Szenen sieht man Tiller und Wystub bei der Vorbereitung ihrer Erkundigungen oder bei der Auswertung in einem Restaurant. Auf der Suche nach einem Raum von Tillers Großmutter, der der Enkelin nicht aus dem Kopf geht, fragen sie PassantInnen, die aber nur mit den Schultern zucken. Am Ende kann ein Jugendlicher das Rätsel aufklären.
Tall Tiller hat einen sehr persönlichen Film gemacht über die Zeit, in der die letzten Holocaust-Überlebenden sterben. Die Erinnerung an sie aber, das zeigt der Film, bleibt lebendig.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1075595.spuren-der-shoah.html
Vorführung am 10.1., 19 Uhr, im Lichtblick-Kino (Kastanienallee 77, Prenzlauer Berg). Im Anschluss gibt es ein Gespräch mit der Regisseurin.
Peter Nowak
Das deutsche Lagerdenken und der Umgang mit Migranten
Migranten sollen nicht als hilflose Wesen behandelt werden, sondern als eigenverantwortliche Individuen
Das von der linksliberalen Öffentlichkeit ausgerufene deutsche Spätsommermärchen ist zu Ende. Der deutsche Herbst hat sich nicht nur klimatisch durchgesetzt. Fast vier Wochen lang hatten die Taz und andere linksliberale Medien Deutschland als ein einig Land der Flüchtlingshelfer schön geschrieben, als wollten sich die Alt68er vergewissern, dass die von ihnen seit zwei Jahrzehnten behauptete Zivilisierung des Landes durch die 68er auch wirklich stattgefunden hat.
Schnell stellte sich heraus, dass es doch nur um die öde Diskussion um einen neuen deutschen Patriotismus ging, der jetzt mit der angeblichen Offenheit des Landes in Flüchtlingsfragen begründet wurde. Diejenigen, die vor zwei Jahrzehnten mit Rio Reiser über Deutschland „dieses Land ist es nicht“ sangen, dann über mehrere Fußballweltmeisterschaft ihren Frieden mit Schwarz-Rot-Gold gemacht haben, wollen die deutsche Flagge jetzt auch im Alltag zeigen.
Miserabilismus – oder wer nicht mitfeiert
Nun muss auch die Taz zugeben, dass die Realität eben nicht als grünes Sommermärchen geschrieben werden kann. Heute ist die Stimmung gegen Geflüchtete der Aufmacher [1]. Dabei hatte sich an den Angriffen gegen Flüchtlingseinrichtungen auch in einer Zeit nichts geändert, als die Taz das deutsche Spätsommermärchen ausrief. Nur wurde in diesen Tagen eben der Fokus nur auf helfende Deutsche gelegt.
Schließlich stören brennende Flüchtlingseinrichtungen auch, wenn man gerade den neuesten deutschen Patriotismus kreiert. Auch Untersuchungshaft und Strafverfahren für Menschen, die Geflüchtete ohne Geld über die Grenze gebracht [2] hatten, fand man in den Tagen des deutschen Spätsommermärchens kaum.
Wer in diesen Tagen an die deutsche Realität erinnerte, wurde schnell mit dem Etikett des „Miserabilismus“ belegt. Auch einst durchaus schlaue Köpfe wie die Philosophin Isolde Charim beteiligten [3] sich daran. Mit diesen intellektuell daherkommenden Begriff werden Menschen bezeichnet, die eben nicht mitjubeln und sich einfach nur freuen, wenn wieder mal ein deutsches Sommermärchen ausgerufen wird und die immer dann, wenn wieder mal ein neuer Patriotismus ausgerufen wird, Rio Reisers Refrain einfällt: „Dieses Land ist es nicht.“
Moralisierung und Infantilisierung der Migranten
Nun könnte man ja den linksliberalen Freunden eines weltoffenen Deutschlands zugute halten, sie wollen damit ja eine gute Sache – die der Unterstützung von Geflüchteten – vorantreiben Tatsächlich wird wahrscheinlich genau diese Selbstwahrnehmung bei vielen Menschen bestehen. Doch nüchtern betrachtet, werden die Interessen der Geflüchteten nicht damit befördert, dass man sich Deutschland als einig Helferland zurechtbiegt.
Zudem werden damit die Migranten in den Status von hilfesuchenden Menschen gehalten, die die edlen Deutschen brauchen, die ihnen die Hand reichen. Ein solches moralisierendes Bild erinnert stark an die Kampagnen von Hilfsorganisationen, die Spenden gegen Elend und Hunger in Afrika sammeln wollen. Da eignet sich als Eyecatcher immer gut eine Mutter, die mit ihrem Kleinkind im Arm vor einer ärmlichen Hütte irgendwo in der afrikanischen Steppe steht. Dass die Mehrheit der Menschen in Afrika heute in oder am Rande von Metropolen lebt wird, dabei einfach ausgeblendet.
Die Hilfsorganisationen benennen klar den Zweck dieser Art von Werbung. Ein Bild mit afrikanischen Teenagern in einem Internetcafé würde der Realität des Lebens vor allem junger Menschen im heutigen Afrika näher kommen, aber bei der Mehrheit der Menschen in Europa eher Abwehrreflexe als Spendenbereitschaft auslösen. Denn wir haben ein ganz klares Bild davon, wie ein Mensch aussehen und sich verhalten soll, wenn wir bereit sind, ihn zu unterstützen.
Das gilt nicht nur für Menschen in Afrika sondern auch für Migranten. Dass die nicht wie hilflose Kinder an die Hand genommen und in ein Flüchtlingsheim gesperrt werden wollen, wo sie monatelang verwahrt werden und geduldig auf die Essensausgabe und die Registrierung warten sollen, wird dann nicht zur Kenntnis genommen. Wenn sich die Menschen dann irgendwann gegen diesen deutschen Bürokratenalltag zur Wehr setzen [4], werden die Migranten als undankbar gescholten und Sicherheitsdienste und Polizei gegen sie eingesetzt.
Das geschieht in Berlin-Moabit und an vielen anderen Erstaufnahmezentren. Die Infantilisierung der Migranten kann durchaus schnell eine Spielart des Rassismus werden. Spätestens dann, wenn die Menschen eben eigenständig handeln und nicht wie Kleinkinder auf das erlösende Wort von der deutschen Mami oder dem deutschen Papi warten.
Da gab es schon bald Irritationen [5], als Geflüchtete, die nach Berlin verschubt werden sollten, unterwegs die Notbremse ziehen und den Zug verließen. Schnell wurde gefragt ,was denn der Grund gewesen sei. Auf den naheliegenden Gedanken, dass die Migranten vielleicht Freunde oder Verwandte in einen bestimmten Ort hatten und bei denen leben wollen und deshalb dort den Zug verließen, ist kaum jemand gekommen. Man hat sie ja auch nicht vor Fahrtantritt gefragt, wo sie eigentlich hinwollten.
Dass aber Menschen, die Tausende Kilometer hinter sich gebracht, dabei viel Geld ausgegeben haben, die zudem mit leistungsfähigen Mobilephones ausgestattet sind, um sich auf unbekannten Territorium zu orientieren, dann eben an ihren Ziel aussteigen, ist doch eigentlich naheliegend, wenn man sie als Menschen und nicht als Hilfesuchende betrachtet. So siegte auch in diesem Fall die moderne Technik gegen den deutschen Helferinstinkt und ein Lagerdenken, dass Menschen aus völlig unterschiedlichen Ländern und Lebensrealitäten zusammenzwingt und sich dann wundert, dass es Probleme gibt.
Deutsches Lagerdenken oder wenn es im Flüchtlingsheim knallt
Vor sechs Wochen wurden die schweren Auseinandersetzungen [6] im Flüchtlingsheim im thüringischen Suhl noch nebenbei registriert. Jetzt zeigt der deutsche Rechtsstaat seine Zähne und leitet 50 Ermittlungsverfahren [7] ein. 15 Migranten kamen in Untersuchungshaft. Sie müssen mit hohen Strafen und sogar mit Abschiebungen rechnen. Auslöser des Streits sollen dort unterschiedliche religiöse Praktiken gewesen sein.
In einer Flüchtlingsunterkunft bei Kassel soll ein Streit bei der Essensausgabe eine heftige Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen verursacht [8] haben. Schnell werden alte Stereotypen [9] über unterschiedliche Flüchtlingsgruppen und ihre Neigung zu Gewalt verbreitet. Es werden Konzepte für eine Trennung der Migranten nach Religion oder Herkunft diskutiert (vgl. Flüchtlinge: Getrennte Unterbringung als Schutz vor Gewalt? [10]).
Dabei müsste doch die Konzentration von Menschen gegen ihren Willen in Sammellagern in der Kritik stehen. Damit fordert man solche Auseinandersetzungen gerade heraus. Man braucht nur einmal beobachten, wie oft aus nichtigen Anlässen an deutschen Supermarktkassen um den Platz in der Schlange gestritten wird, um zu ahnen, wie die Auseinandersetzungen ablaufen würden, wenn Tausende deutsche Staatsbürger über längere Zeit in solchen Sammellagern verbringen müssten.
Migranten sind keine hilflosen Wesen
Dabei ist unbestritten, dass die Migranten keine hilflosen Wesen sind, die von deutschen Helfern erlöst werden müssen Es sind Menschen mit unterschiedlichem politischen und religiösen Hintergrund. Natürlich werden unter Migranten auch menschenverachtende, antiemanzipatorische Ideologien vertreten, sei es der Islamismus, Antisemitismus, die Abwertung von Menschen aus anderen Ländern etc.
Erst, wenn man von dieser Grundannahme ausgeht und trotzdem für das Recht auf freie Mobilität eintritt, nimmt man die Migranten als Menschen ernst und macht sie nicht zu hilflosen Wesen. Deshalb ist es sehr wohl notwendig, dass auch über rechte Einstellungen offen diskutiert wird. Aber gerade nicht, um Argumente zu sammeln, um die Menschen abzuschieben, sondern um eine schnelle Integration durchzusetzen.
Ein gutes Beispiel ist der Leitartikel [11] des Wissenschaftlichen Direktors des Zentralrats der Juden, Doron Kiessel, in der aktuellen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. Er geht dort auf Befürchtungen jüdischer Gemeinden ein, dass viele Migranten israelfeindliche und antisemitische Einstellungen mit nach Deutschland bringen könnten. Der Schlussabsatz des Artikels soll hier als ein Beispiel dafür zitiert werden, wie man Migranten nicht als hilflose Wesen sondern als eigenverantwortliche Individuen ernst nimmt:
Es wäre nur hinzufügen, dass diese Demokratieerziehung auch viele Menschen absolvieren müssten, die einen deutschen Pass besitzen.
http://www.heise.de/tp/news/Das-deutsche-Lagerdenken-und-der-Umgang-mit-Migranten-2832611.html
Peter Nowak
Links:
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