Die Debatte über die Fluchtursachen droht, die Menschen wieder zu Objekten zu machen
Die Medien kannten in den letzten Tagen kaum ein anderes Thema als die neue Flüchtlingsbewegung. Die Ankunft der Menschen in verschiedenen deutschen Städten wurde gleich als nationale Aufgabe gefeiert und Merkel hat gleich einen neuen Grund kreiert, auf Deutschland stolz zu sein.
Deutschlandfahnen waren bei der Begrüßung der Geflüchteten aber noch nicht zu sehen. Viele der zivilgesellschaftlichen Unterstützer, die sich teilweise tage- und nächtelang um die Geflüchteten kümmern, haben sich aber nicht für Deutschland, sondern für die Menschen in Not engagiert. Viele wurden dazu von den rassistischen Übergriffen der letzten Wochen motiviert. Sie sind nicht gefragt worden und sicher mehrheitlich auch gar nicht damit einverstanden, plötzlich in die Gemeinschaft der stolzen Deutschen eingemeindet zu werden.
Der nationale Rummel soll vergessen machen, dass weiterhin Unterkünfte, in denen Geflüchtete leben oder unterkommen sollen, angegriffen und angezündet werden. Es ist also ein Wettbewerb unter den guten Deutschen ausgebrochen: Will man Geflüchtete willkommen heißen oder abschrecken?
Bewegungsfreiheit von Geflüchteten soll wieder eingeschränkt werden
Zudem hat auch in Deutschland, das die Geflüchteten jetzt begrüßt, die Willkommenskultur enge Grenzen. Schon wollen SPD und Union die Rechte für Flüchtlinge weiter einschränken, weitere sichere Drittstaaten zuweisen und vor allem die Residenzpflicht, die die Bewegungsfreiheit von Geflüchteten massiv einschränkt, wieder verschärfen. Diese Residenzpflicht wurde von den Geflüchteten immer wieder gebrochen, weil sie sich einfach ihr Recht auf Mobilität nicht nehmen lassen wollten. Auch das jahrelang von Geflüchteten und ihren Unterstützern bekämpfte System der Gutscheine und Sachleistungen statt Bargeld soll wieder verstärkt angewendet werden.
Mit dem Gutscheinsystem und der Residenzpflicht sollen zwei wichtige Angriffspunkte der Refugee-Proteste der letzten Jahre wieder etabliert werden und das in einer Zeit, wo die Medien Menschen zeigen, die Flüchtlinge willkommen heißen. Hier wird auch ganz schnell deutlich, welch negativen Folgen es hat, wenn ein Akt der Zivilisation zur nationalen Großtat stilisiert wird. Da wird dann die Einschränkung von Flüchtlingsrechten auch gleich zur nationalen Aufgabe erklärt.
Wer ist schuld an der Flüchtlingskrise?
Auch die Debatte über die Fluchtursachen ist längst voll entbrannt und führt zu merkwürdigen Schulterschüssen. So wird in einem Positionspapier [1] der Linkspartei ausdrücklich die Unterscheidung „in gute und schlechte Flüchtlinge“ abgelehnt.
Dem Gerede über einen angeblich verbreiteten Asylmissbrauch muss sofort Einhalt geboten werden. Wir brauchen faire und schnelle Asylverfahren und wirksamen Schutz für alle, keine weiteren Gesetzesverschärfungen. Europa darf nicht zur Festung ausgebaut werden. Das überwältigend große Engagement vieler ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer bei der Flüchtlingsaufnahme müssen wir stärken und mit guten staatlichen Aufnahmestrukturen vor Ort verbinden. Dies ist ohne weitere Belastung von 99 Prozent der Bevölkerung durch höhere Steuern für Millionäre und große Konzerne im Rahmen einer sozial gerechten Steuerreform oder kurzfristig durch Verwendung der Haushaltsüberschüsse finanzierbar.
Diese antirassistische Positionierung wird durch einen Katalog ergänzt, der sich mit den vermeintlichen Fluchtursachen beschäftigt. Da stehen deutsche Waffenlieferungen an erster Stelle.
Umstrittener durften die folgenden Punkte des Katalogs sein. Die Linke fordert:
„den USA nicht weiter zu erlauben, auf deutschem Boden Flughäfen und militärische Einrichtungen zur Führung ihrer Kriege zu unterhalten;“
„…eine friedliche Außenpolitik, die nicht weiter auf völkerrechtswidrige Regime-Changes und die Destabilisierung von Staaten mittels Sanktionen, die die Bevölkerung treffen.“
In den Medien haben die Linksparteipolitiker die Rolle der USA als Verantwortliche für die Flüchtlingskrise noch mehr akzentuiert [2]. Wagenknecht forderte die Bundesregierung auf, die US-Regierung für die Aufnahme von Flüchtlingen zur Kasse zu bitten.
Wenn die Bundesregierung ein Mindestmaß an Courage hätte, würde sie von den USA, als Hauptverursacher der Flüchtlingstragödie, wenigstens eine Beteiligung an den Kosten verlangen.
Der nationalkonservative AfD-Politiker Alexander Gauland unterstützt diese Position ausdrücklich [3]. Vor einigen Tagen hat bereits der russische Präsident Putin den USA eine große Verantwortung für die Flüchtlingskrise zugeschoben [4].
Auffallend bei diesen Zuschreibungen ist zunächst mal, dass die Geflüchteten zu Objekten gemacht werden. Ihnen wird abgesprochen, dass sie selber entschieden haben, in der Migration ein besseres Leben suchen. Natürlich ist die Zunahme der Flüchtlingszahlen auch ein Effekt der Ereignisse der letzten Jahre.
Aber auch hier ist eine einseitige Schuldzuweisung an die USA deplatziert. Denn die Geschichte ist nicht beim Irakkrieg stehen geblieben. Es gab bekanntlich die arabischen Aufstände, die weder von den USA noch von einer anderen Großmacht gesteuert wurden, sondern diese Staaten überraschte. Im Nachhinein wurde dann versucht, verschiedene Oppositionsgruppen zu instrumentalisieren.
Mittlerweile findet in Syrien, aber auch im Jemen und anderen Staaten der Region ein Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi Arabien statt. Zudem hat sich der Dschihadismus in verschiedenen Formen ausgebreitet, der IS ist dabei nur die extremste Variante. Alle diese Faktoren werden ausgeblendet, wenn man den USA die alleinige Schuld an der Fluchtbewegung gibt.
Wesentlich differenzierter erklärt der FAZ-Korrespondent Rainer Hermann die momentane Zunahme der Fluchtbewegung mit der hoffnungslosen Situation im innersyrischen Konflikt. [5]
Zwei Faktoren treiben die Syrer in diesem Sommer zu einer historischen Fluchtwelle nach Europa und insbesondere nach Deutschland: Neu ist das Ausmaß sinnloser Zerstörungen, neu ist in den Städten Syriens auch die verzweifelte Hoffnungslosigkeit derer, die bis zuletzt noch geglaubt hatten, dass der Krieg enden würde und bald Normalität einkehren werde.
Parteinahme für die autoritären Herrscher?
Hermann benennt auch die Verantwortung des syrischen Regimes, das mit seiner Kriegsführung verbrannte Erde hinterlässt, was viele Menschen aus dem syrischen Mittelstand zur Flucht treibt. Aber auch die Verantwortung der verschiedenen islamistischen Fraktionen wird benannt. So wird der Eindruck vermieden, der sich bei der Analyse der Linken aufdrängt.
War es denn besser, als die autoritären Regime scheinbar unangefochten herrschten und sich als Torwächter für die EU zur Verfügung stellen, wie das Gaddafi-Regime in den letzten Jahren die Flüchtlinge vom Transfer nach Europa abhielt?
Im Gegensatz dazu hat die Initiative Adopt the Revolution [6] immer darauf hingewiesen, dass am Anfang eine Bevölkerung stand, die sich gegen das autoritäre Assad-Regime wehrte und nicht die USA, aber auch nicht die Islamisten. In ihrer aktuellen Erklärung zur Fluchtbewegung betont Adopt the Revolution erneut die subjektive Motivation der Menschen, die nach Deutschland kommen. Es sind nicht die USA, die sie schicken.
Es ist die Suche nach einem besseren Leben, die die Menschen auch befähigte, sich gegen die Repression in Ungarn hinwegzusetzen. Adopt the Revolution spricht vom Marsch der Hoffnung [7]. Daher kommt Adopt the Revolution, wenn es um Fluchtursachen geht, auch zu anderen Schlüssen, als die Linke:
So groß unsere Freude über die Grenzöffnung ist: Spätestens jetzt wird uns klar, dass sich Flüchtlingspolitik nicht auf die Verteilung von Vertriebenen in Europa reduzieren lässt. Die europäische Politik muss endlich damit beginnen, auch die Ursachen der Vertreibung zu beenden. Für Syrien bedeutet das, insbesondere den weiteren Abwurf von Fassbomben durch die Assad-Armee zu unterbinden und die humanitäre Versorgung der Gebiete in Nordsyrien sicher zu stellen, indem die Grenze zur Türkei für Hilfsgüter geöffnet wird.
Allerdings lässt die Organisation offen, wie diese Ziele durchgesetzt werden sollen und wer dafür die Verantwortung tragen soll.
Schutzzonen eine Lösung?
Da ist die Publizistin Kirstin Helberg [8] schon deutlicher. Unter der Überschrift „Erst Assad, dann der IS“ [9] spricht sie sich für die militärische Einrichtung von Schutzzonen in Syrien aus:
Diese Syrer – ob Rebellen, Aktivisten, Oppositionelle oder einfache Bürger – fordern alle nur das eine: Schutz vor den Luftangriffen des Regimes. Dafür braucht es mit großer Wahrscheinlichkeit nur die erklärte Bereitschaft, Helikopter und Kampfjets des Regimes in einem bestimmten Gebiet nicht mehr zu dulden. Nachdem die Türkei verkündete, zusammen mit den USA eine Schutzzone einrichten zu wollen, fielen zeitweise gar keine Fassbomben mehr auf Aleppo.Allerdings darf es nicht auf eine türkisch durchgesetzte Mini-Schutzzone à la Erdoğan hinauslaufen, die eine zusammenhängende Kurdenregion verhindern soll. Es müsste vielmehr ein bevölkerungsreiches Gebiet in den Provinzen Aleppo und Idlib so international wie möglich geschützt werden.
Es ist auffällig, dass im ganzen Artikel der Islamismus eher nachrangig behandelt und einige Fraktionen sogar zum temporären Bündnispartner erklärt werden. Helberg reflektiert auch nicht die alles andere als ermutigende Bilanz der militärischen Interventionen der letzten Jahre.
Wo die Linkspartei der Politik der USA eine zu wichtige Bedeutung beimisst und die subjektive Situation der Menschen außer Acht lässt, macht Helberg den umgekehrten Fehler. Sie reflektiert nicht, dass diese Eingriffe tatsächlich ein Teil des Problems und keine Lösung sind.
http://www.heise.de/tp/news/Sind-die-USA-Schuld-an-der-Fluechtlingskrise-2807630.html
Peter Nowak 08.09.2015
Links:
[1]
http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2188.solidaritaet-und-hilfe-fuer-fluechtlinge-erfordern-ein-grundsaetzliches-umdenken.html
[2]
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/linke-fluechtlinge-wagenknecht-sieht-usa-als-schuldigen-a-1051623.html
[3]
https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2015/gauland-usa-grosse-schuld-an-fluechtlingskrise/
[4]
http://www.heise.de/tp/artikel/45/45899/1.html
[5]
http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/flucht-aus-syrien-warum-gerade-jetzt-13788596.html
[6]
https://www.adoptrevolution.org
[7]
https://www.adoptrevolution.org/march-of-hope-erlebnisse/
[8]
http://www.kirstinhelberg.de
[9]
Peter Nowak