„Eine Superaktion“

JUSTIZ Antifa-Chronist muss für sein Lob eines Anschlags auf Rechtspostille „Junge Freiheit“ blechen

BERLIN taz | 500 Euro Geldstrafe lautet das Urteil des Berliner Amtsgerichts am Dienstag für den Antifa-Aktivisten Bernd Langer. Dieser, so der Richter, habe in einem Interview mit der Tageszeitung Neues Deutschland im letzten Jahr einen Anschlag auf die Druckerei der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit vor 21 Jahren gebilligt  und damit den öffentlichen Frieden gestört. In dem Interview, das vor Gericht verlesen wurde, diskutierte Langer mit einem Alt-Autonomen über die Politik der Antifa-Bewegung der 80er Jahre. Dabei ging es um unterschiedliche Aktionsformen: Militanz gegen rechte Strukturen, aber auch die Beteiligung an Bündnisdemonstrationen. In diesem Kontext wollte Langer den Eindruck entgegentreten, die konspirative Phase der Autonomen Antifa sei Ende der 80er Jahre zu Ende gewesen. „Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die Junge Freiheit 1994“, erklärte er im Interview.  Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen–, war das eine Superaktion gewesen.“ Vor allem die letzten Bemerkungen hätten für die Verurteilung den Ausschlag gegeben, sagte der Richter. Das Verfahren hatte der ehemalige Generalbundesanwalt und langjährige Junge Freiheit-Autor Alexander von Stahl ins Rollen gebracht. Langers Anwalt Sven Richwin plädierte dagegen auf einen Freispruch: Die Formulierung zu dem Anschlag sei so allgemein gehalten, dass von der Billigung einer Straftat nicht die Rede sein könne. Zudem sei die Tat bereits verjährt. Es müsse nach mehr als zwei Jahrzehnten möglich sein, ohne Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen über die Aktion zu diskutieren. Zumal sich Langer mit verschiedenen Büchern als Chronist der autonomen Bewegung einen Namen gemacht habe. „Wieder einmal springt die deutsche Justiz der politischen Rechten hilfreich zur Seite“, erklärte Langer in einer Prozesserklärung und verwies auf den Anzeigensteller Alexander von Stahl. Dass der ursprüngliche Strafbefehl von 3.000 Euro nun stark reduziert wurde, hat für Langer keine Bedeutung. Er will nun Berufung einlegen – und notfalls durch alle Instanzen für einen Freispruch kämpfen. „Es geht mir nicht um das Geld, sondern ich wehre mich gegen einen politischen Prozess“, begründete dies Langer gegenüber der taz.
aus  TAZ vom MITTWOCH, 23. SEPTEMBER 2015
Peter  Nowak

Rechtes Pilotprojekt

International Ein neues Buch über die Hintergründe der autoritären Entwicklung in Ungarn

Die innenpolitische Entwicklung Ungarns ist immer wieder Thema innerhalb der EU. Verstärkt drängen zivilgesellschaftliche Organisationen auf Sanktionen als Reaktion auf den Rechtskurs der Regierung Orbán, seitdem diese 2010 mit Orbáns Fidesz-Partei eine überragende Mehrheit erreichte und die faschistische Jobbik sich als Opposition etablierte. Anders als vor über zehn Jahren, als in Österreich mit der FPÖ unter Jörg Haider eine offen rechte Partei in Regierungsverantwortung kam, gibt es jedoch in der außerparlamentarischen Linken nur wenige Diskussionen über die innenpolitische Situation in Ungarn.
Da kommt ein Buch gerade Recht, das kürzlich unter dem Titel »Mit Pfeil, Kreuz und Krone« im Unrast-Verlag erschienen ist und einen fundierten Überblick über die Entwicklung Ungarns nach rechts gibt. Im ersten Kapitel geht die deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky auf die ideologischen Hintergründe der völkischen Entwicklung in Ungarn ein und zeigt eine jahrzehntelange innenpolitische Entwicklung nach rechts auf.
Ein zentrales Datum war dabei der Sturm auf das Gebäude des staatlichen Fernsehens in Budapest am 18. September 2006 durch TeilnehmerInnen einer Großdemonstration gegen den damaligen Ministerpräsidenten Gyurcsány. In der darauf folgenden Lynchstimmung gegen Linke, Liberale und kritische JournalistInnen sei die neue Republik geboren worden, die Orbán zunächst als Oppositionspolitiker beschworen hatte und nun als Ministerpräsident vorantreibt.
Präzise beschreibt Marsovszky den nationalistischen Diskurs in der Geschichtspolitik sowie im Umgang mit den Nachbarländern. Wenn sie mit Rekurs auf den US-Historiker Fritz Stern resümiert, dass die Angst vor einer liberalen, offenen Gesellschaft das zentrale Problem in Ungarn sei, bleibt sie liberalen Gesellschaftsvorstellungen verhaftet. So ist es auch nur folgerichtig, dass Marsovszky bei ihrer Beschreibung der oppositionellen Kräfte in Ungarn die kleine kommunistische Arbeiterpartei mit keinem Wort erwähnt. Dabei gab es mehrere Strafprozesse gegen Mitglieder dieser Partei, weil sie weiterhin kommunistische Symbole wie Hammer und Sichel in der Öffentlichkeit zeigten, die in Ungarn kriminalisiert werden.
Antiziganismus, Homophobie und Antisemitismus
Im zweiten Kapitel geht der in Hamburg lebende Publizist Andreas Koob auf die Feindbilderklärung gegen Sinti und Roma, aber auch den Antisemitismus und die Homophobie in Ungarn ein. Koob macht an zahlreichen Beispielen deutlich, wie marginal die Unterschiede zwischen Fidesz, Jobbik und rechten Bürgerwehren besonders in der ungarischen Provinz oft sind. Vor allem in kleineren Orten führt dieses Zusammenwirken zu einem Klima der Ausgrenzung und Diskriminierung insbesondere gegenüber Sinti und Roma. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch ein von der Regierung beschlossenes Gesetz, das Erwerbslose, die öffentliche Leistungen bekommen, zu einem strengen Arbeitsregime mit ständiger öffentlicher Kontrolle verpflichtet.
Der Publizist Holger Marcks geht im dritten Kapitel auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik der ungarischen Regierung ein, die in der öffentlichen Debatte bisher selten erwähnt wird. Er macht deutlich, dass es sich hier um eine Wirtschaftspolitik handelt, wie sie viele völkische Gruppen schon vor 100 Jahren propagierten und die auch auf das Programm der frühen NSDAP großen Einfluss hatte. Der Kampf gegen ausländische Banken, aber auch Großorganisationen wie den IWF gehört ebenso zu den Elementen dieser Wirtschaftspolitik wie die Propagierung des Schutzes der heimischen Industrie und des Mittelstandes.
Trotz aller Kritik erhält die Fidesz-Partei nach wie vor Unterstützung durch die europäischen Konservativen und auch durch PolitikerInnen aus CDU und CSU. Ungarn könnte daher, so die Befürchtung der AutorInnen, durchaus eine Pilotfunktion haben, indem es völkisch-rechte Politik in der EU wieder salonfähig macht. Ein Grund mehr, dass die Linke darüber diskutiert.
Peter Nowak

Andreas Koob, Holger Marcks und Magdalena Marsovszky: Mit Pfeil, Kreuz und Krone. Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn. Unrast-Verlag, Münster 2013. 208 Seiten, 14 EUR.

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ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 584 / 21.6.2013