Apologie von links?

Der Finanzanalyst Guenther Sandleben wirft linken Krisentheoretikern vor, nur die Banken zu kritisieren

Guenther Sandleben ist Finanzanalyst und verfasst Bücher zu ökonomischen Themen. Kürzlich hat er im Neuen-ISP-Verlag gemeinsam mit Jakob Schäfer das Buch »Apologie von links« herausgegeben, das sich kritisch mit unterschiedlichen linken Krisentheorien auseinandersetzt. Mit Sandleben sprach Peter Nowak.

nd: In Deutschland boomt die Wirtschaft. Warum reden Sie in Ihrem Buch trotzdem von Krise?
Sandleben: Zunächst würde ich die Erzählung vom deutschen Wirtschaftsboom stark relativieren. Die Industrieproduktion hat noch nicht einmal das Vorkrisenniveau von Anfang 2008 wieder erreicht. Zudem muss man über den deutschen Tellerrand blicken. In vielen Teilen der Welt und nicht zuletzt in der europäischen Peripherie ist kein Ende der Wirtschaftskrise abzusehen. Vieles spricht dafür, dass wir hier in Deutschlands Zukunft blicken.

Worauf stützen Sie diese Prognose?
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Weltmarktkrise auch auf Deutschland durchschlägt. Schließlich ist 2009 die deutsche Wirtschaft um fast fünf Prozent geschrumpft. Der gegenwärtige kleine Aufschwung, der zum Boom hochgelobt wird, basiert auf einer riskanten Geld-, Zins- und Verschuldungspolitik. Sie erleichtert die deutschen Exporte, unterminiert aber das Vertrauen ins Geld und kann nicht endlos verlängert werden.

Sie werfen prominenten linken Ökonomen wie Rudolf Hickel, Lucas Zeise oder Michael Heinrich vor, mit ihren Krisenerklärungen eine »Apologie von links« zu betreiben. Was meinen Sie damit?
Diese Ökonomen sehen die Ursache für die Krise im Banken- und Finanzsektor und nehmen die eigentliche Warenproduktion weitgehend aus. Damit aber vergeben sie eine gute Möglichkeit, die Krise zum Anlass zu nehmen, das kapitalistische Wirtschaftssystem insgesamt zu hinterfragen. Stattdessen wird die Lösung in der Regulierung der Banken und des Finanzsektors gesehen. Damit beschönigen sie die Verhältnisse.

Was ist das größte Problem bei dieser Krisenanalyse?
Dass diese Theorie nicht sachgemäß ist. Die Kredit- und Bankenkrise ist eine Folge der kapitalistischen Überproduktionskrise und nicht deren Ursache. So war die berühmte Pleite der US-Bank Lehman Brothers die Folge der Krise im Immobilien- und Industriesektor. Weil Kredite nicht mehr bedient werden konnten, brach die Bank zusammen.

Was ist das Wesen der Überproduktionskrise?
Es wird mehr produziert als nachgefragt wird. Und zwar einerseits, weil die Investitionsgüternachfrage wegen Kapitalverwertungsschwierigkeiten plötzlich wegbricht, und andererseits, weil den Menschen Einkommen fehlt, um das Nötige zu kaufen. Ein gutes Beispiel ist die Überproduktion in der europäischen Auto- und Stahlindustrie, die mehr als 20 Prozent beträgt.

Welche Konsequenzen haben die unterschiedlichen Theorien für eine linke Antwort auf die Krise?
Wenn man die Ursache der Krise im Banken- und Finanzsektor sieht, kommt man zu Vorschlägen der Bankenregulierung, wie sie von Attac und vielen anderen Organisationen vorgetragen werden. Damit bleibt aber die kapitalistische Ökonomie, die doch gerade die katastrophale Krise verursacht hat, ausgeblendet. Teilweise werden sogar betriebliche Bündnisse gegen die Banken vorgeschlagen. Wenn man richtigerweise von der Überproduktionskrise ausgeht, dann gerät die kapitalistische Produktionsweise selbst in den Mittelpunkt der Kritik. Sie ist dafür verantwortlich, dass die Produktion von Waren eingestellt wird, weil sie sich nicht verwerten lassen, obwohl sie von den Menschen gebraucht werden. Dabei könnte die Überproduktion eine Bereicherung der Menschen bedeuten und das allgemeine Lebensniveau anheben. Hier sehe ich Perspektiven für eine überzeugende Kritik am Kapitalismus und der Formulierung von Alternativen, die bei einer Konzentration auf Banken und Finanzmärkte vergeben wird.

Aber der finanzgetriebene Kapitalismus ist doch real.
Der Realitätsgehalt liegt darin, dass in den letzten Jahrzehnten die Finanzmärkte stark angewachsen sind. Dieser Ausgangspunkt der von mir kritisierten Ökonomen ist korrekt. Doch falsch wird es, wenn diese davon ausgehen, dass der Antrieb der Profitvermehrung von dort kommt. Der liegt im Kapitalismus selber. Der Finanzsektor und die Warenproduktion bedingen einander. Es ist falsch, die Verantwortung für die Krise einseitig bei den Banken zu sehen. Das kapitalistische System als Ganzes enthält die zerstörerischen Krisenprozesse, mit all dem Elend, das daraus entsteht.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/920676.apologie-von-links.html

Interview: Peter Nowak


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