Obdachloser Gedenkort Fontanepromenade 15 - Investoreninteressen versus Gedenkpolitik

Verwirrspiel statt Gedenken

Geschichte: Erinnerungspolitische Initiativen zu NS-Verbrechen kämpfen in Berlin gegen den Einfluss von Investor*innen in der Stadtpolitik - ein Gespräch mit Susanne Willems

Wenn es um   steigende Immobilienpreise geht, wir meistens über hohe Mieten und die Verdrängung von Menschen und Projekten mit geringen Einkommen diskutiert.  Doch es gibt auch andere Konsequenzen, die seltener thematisiert werden. So müssen Gedenkorte für NS-Verbrechen oft gegen Investoreninteressen durchgesetzt werden. Bundesweit machten in den 1990er Jahren das Vorhaben Schlagzeilen,…

…auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück einen Supermarkt und ein Autohaus zu bauen. Diese von Teilen der Bevölkerung der Region und der Kommunalpolitik unterstützten Pläne konnten durch Proteste von antifaschistischen Organisationen und von Verbänden der Verfolgten des Naziregimes verhindert werden. Die etwa 30 Erfurter Besetzer- und Bewohner_innen des ehemaligen Werkgeländes von Topf und Söhne hatten einen wesentlichen Anteil daran, die Geschichte der Konstruktionsfirma für Verbrennungsöfen des NS-Vernichtungslagers Auschwitz nicht unter den Teppich gekehrt wird. In Frankfurt/Main ist noch unklar, ob sich im Fall des ehemaligen Gefängnisses Klapperfeldstraße Investoreninteressen durchsetzen, oder der gut gesuchte Gedenkort erhalten bleibt, den die Initiative Faitesvotre jeu! in dem Gebäude in unmittelbarer Nähe der Geschäftsmeile Zeil errichtet hat. Sie hat zwei Dauerausstellungen zur Geschichte des Ortes gestaltet, veranstaltet Zeitzeugengespräche und Diskussionen, Lesungen und Theater, Vorträge und Konzerte.  Mehrere Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung fordern seit langem, der Mietvertrag für das Gebäude mit der Stadt solle aufgelöst werden.   Damit wäre auch der Gedenkort in Gefahr. Die FDP im Frankfurter Römer fordert ganz offen ein Ende der Gedenkpolitik in einer so exponierten Lage. Der Magistrat könne nicht so unverantwortlich mit einer seiner Immobilien umgehen.  Das Gebäude solle nach den Vorstellungen der FDP  genutzt werden, um den benachbarten Gerichtsstandort zu erweitern. 

Auch in Berlin haben es Gedenkprojekte oft schwer, sich gegen Investoreninteressen durchzusetzen. Darüber sprach Peter Nowak mit der Historikerin Dr. Susanne Willems (http://www.susannewillems.de). Sie arbeitet in Berlin zur Geschichte der Naziverbrechen und hat u.a. zur Verelendung der Berliner Jüdinnen und Juden im NS publiziert.

 

Sie waren an einer Kundgebung unter dem Titel „Obdachloser Gedenkort Fontanepromende 15“ beteiligt. Warum nennt man diesen Gedenkort obdachlos?

S.W.: Die Initiative für den Gedenkort Fontanepromenade 15 hat in den letzten zwei Jahren die Erfahrung gemacht, dass es eine falsche Steuerpolitik ist, die jedem Eigentümer 19% der Bausumme schenkt, wenn für gewerbliche Nutzung investiert und zehn Jahre lang ausschließlich gewerblich vermietet wird. Deshalb haben kulturelle, soziale und politische Projekte kaum eine Chance, in Neubauten oder grundsanierten Gebäuden Räume zu mieten. Der Gedenkort Fontanepromenade 15 ist obdachlos geblieben, weil die Senatskulturverwaltung den Verein Gedenkort Fontanepromenade 15 im Dezember 2017 aus den vor dem Abschluss stehenden Vertragsverhandlungen gedrängt hat, ohne diese in den folgenden drei Monaten überhaupt zu führen. So wurde der Eigentümer aus seiner Zusage, für den Gedenkort zu vermieten, entlassen, und dieser fühlte sich an den dem Verein zugesagten Mietpreis nicht mehr gebunden. Dann hat der Kulturstaatssekretär Ende März 2018 den Gedenkort beim Eigentümer telefonisch abgesagt. 

Die Pressestelle der zuständigenSenatsverwaltung für Kultur gibt an, dass der Gedenkort Fontanepromenade 15 unter Anderem an juristischen und finanziellen Fragen gescheitert sei. Was sagen Sie dazu?

S.W.: Der Verein Gedenkort Fontanepromenade 15 ist gemeinnützig. Gerade die Gemeinnützigkeit des Gedenkorts war das Problem. Und als der Kultursenator die gleichfalls gemeinnützige Stiftung Topographie des Terrors beauftragte, Räume im Gebäude Fontanepromenade 15 anzumieten, hat er es versäumt, mit dem Finanzsenator zu klären, wie sich der monatliche Berichtigungsbetrag, der fällig wird, wenn als Vorsteuerabzugsrückzahlung keine Umsatzsteuer aus einem gewerblichen Mietvertrag einkommt, anders als zulasten des Eigentümers aufbringen oder zugunsten eines öffentlichen Interesses niederschlagen lässt. Was den Gedenkort und die Erinnerungsarbeit zur Geschichte der Zwangsarbeit der Berliner Jüdinnen und Juden trotz des eindeutigen Parlamentsbeschlusses bisher beschränkt hat, ist aber in erster Linie eine haushaltsrechtliche Frage, deren Dimension wir als Verein erst am Ende eines Jahres des gesetzlosen Verwirrspiels des Kultursenats gewahr wurden.

Was meinen Sie damit? 

 Die Senatskulturverwaltung hat der Stiftung Topographie des Terrors einen Wirtschaftsplan 2018 und 2019 genehmigt, der die für die Zusammenarbeit mit dem Verein Gedenkort Fontanepromenade vom Abgeordnetenhaus beschlossenen Landesmittel nicht enthält, obwohl es im Stiftungsgesetz für die Topographie zweifelsfrei heißt, dass die Stiftung einen Zuschuss nach Maßgabe des Landeshaushaltsplans erhält. Der Kultursenat und die Stiftung haben hingegen die finanziellen und sachlichen Vorgaben des Haushaltsgesetzes und damit auch des Stiftungsgesetzes als in ihr Belieben gestellt behandelt. Als der Verein Mitte des Jahres erfuhr, dass die Stiftung die Landesmittel nicht haben wollte, hat er seinen Gesprächswunsch mit dem Kultursenator mit einem Antrag auf unmittelbare Bewilligung und Auszahlung dieser Landesmittel verbunden. Zeitgleich inszenierte der Kultursenat eine Art Plumpsackspiel mit den Landesmitteln: erst sollte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zugreifen, wollte aber nicht, dann wurden einzelne Privatpersonen aufgefordert, sich um die Landesmittel zu bewerben, was der Historische Beirat nicht befürworten konnte, und letztlich sollte die Stiftung Topographie des Terrors die Landesmittel, die sie als Zuschuss abgelehnt hatte, als Projektmittel beantragen, was diese ablehnte. Jedes Gespräch über den Einsatz der Landesmittel ist dem Verein seit Jahresbeginn 2018 verweigert worden. Stattdessen haben Stiftung und Kultursenat die Haushaltsmittel am Ende eines langen Jahrs gesetzlosen Treibens verfallen lassen. 

Wie wollen Sie weiter vorgehen?   

S.W.:  Unsere Arbeit für einen Gedenkort hat sich nicht erledigt: Gedenkorte, ob immobil an historischem Ort oder nicht, oder als mobiles Angebot an wechselnden Orten, haben ihre Berechtigung wegen der Geschichte, an die sie erinnern, und das auch dann, wenn historische Gebäude zerbombt, abgetragen oder überbaut sind. Räume werden ja auch wiedervermietbar, das Gebäude ist umgeben von hinreichend Platz für Provisorien, die der Erinnerungsarbeit Raum geben.

Auch die hohe Miete des Hauseigentümers habe den Gedenkort verhindert. Gibt es weitere Beispiele, wo Investoreninteressen Gedenkorte verhinderten?

S.W.: In jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Erinnerung an die Naziverbrechen waren in Berlin geschichtsbewusste Bündnisse erfolgreich, attraktive Grundstücke der Spekulation zu entziehen: das Gelände der heutigen Topographie des Terrors, das des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, perspektivisch das des sich erweiternden Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Schöneweide und auch das Tempelhofer Feld. In Lichterfelde droht ein Wohnungsbauvorhaben ein Zwangsarbeitsareal der Reichsbahn einzuebnen, in Kreuzberg wird um die Erinnerung an die Zwangsarbeit auf dem Gelände der Bockbrauerei, des Dragonerareals und des Postgiroamts gestritten. Einer Erinnerungspolitik stehen Investoreninteressen gegenüber. Das ist auch deshalb interessant, weil die rassistische Wohnungsmarktpolitik der Nationalsozialisten unmittelbar mit dem damaligen Stadtumbau verbunden war. Sie machte e Jüdinnen und Juden erst zu Wohnungslosen und dann zu Opfern der Massendeportationen in die Ghettos und Vernichtungslager.

Interview: Peter Nowak

Erstveröffentlichungsort:
https://www.akweb.de