Eine neue Qualität?

Fragen an Christoph Schulze, Mitarbeiter der Opferperspektive Brandenburg, die rechte Vorfälle
dokumentiert und Opfer rechter Gewalt berät.

Die rechten Drohungen gegen die Lausitzer Rundschau in Spremberg haben vor einigen Wochen bundesweit Aufsehen erregt.
CHRISTOPH SCHULZE: Dass eine gesamte Lokalredaktion im Visier von Neonazis steht, war mir zumindest
bisher nicht bekannt und zeugt vom gestiegenen Selbstbewusstsein der Rechten. Deshalb hat die Aktion in
der Tat eine neue Qualität. Dass Pressevertreter in den Fokus der Rechten geraten, ist allerdings weder neu
noch überraschend. So wurde die Journalistin Andrea Röpke, die seit Jahren über die rechte Szene schreibt, von Neonazis angegriffen und geschlagen. Auch Fotojournalisten geraten immer wieder ins Visier der Rechten, so unter anderem bei einem Neonaziaufmarsch am 1. Mai 2010 in Hamburg.

Sind Ihnen auch aus der Region solche Angriffe gegen Journalisten bekannt?
C.S.: Ja, so wurde der Journalist Peter Huth aus der Uckermark bedroht, der sich in journalistischen Beiträgen
seit Jahren mit der rechten Szene auseinandersetzt. Immer wieder erhalten Journalisten, die sich kritisch
mit den Neonazis beschäftigen, Drohbriefe.

Sind die Angriffe auf die Lausitzer Rundschau Indiz für eine neue rechte Szene, die mit solchen Ak-tionen
von sich reden macht?

C.S.: In der jüngeren Generation der Neonazis ist grundsätzlich eine gesteigerte Gewaltbereitschaft sowie
die Suche nach neuen politischen Ausdrucksformen festzustellen. Dazu gehören auch maskierte Nachtde-monstrationen, wie sie eine Neonazigruppe unter dem Namen »Die Unsterblichen« am Vorabend des 1. Mai
2011 erstmals durchführte und mit PR-Methoden propagierte. Inzwischen wurden diese Aktionen dutzendfach
in anderen Städten wiederholt. In der Lausitz hat sich eine Neonaziformation »Spreelichter« damit hervorgetan. Es gibt starke Indizien, dass aus ihrem Umfeld auch die Angriffe auf die Lausitzer Rundschau ausgehen.

Wo liegt der Grund für diese Art von neuem rechten Aktivismus?
C.S.: Ich sehe das als einen Erfolg der Nazigegner, die mit erfolgreichen Blockadeaktionen wie in Dresden
und anderen Städten rechte Aufmärsche erfolgreich be- oder verhinderten.

Am 12. Mai wurden auch linke Jugendliche in Spremberg angegriffen. Zeigt sich in den Reaktionen
darauf ein Ungleichgewicht an öffentlicher Aufmerksamkeit?

C.S.: Nein, die Aufmerksamkeit, die durch Drohungen gegen die Lausitzer Rundschau auf die rechte Szene
in der Region gelenkt wurde, hat dazu geführt, dass auch Angriffe auf Punks in einer größeren Öffentlichkeit
wahrgenommen wurden. Denn dass es eine aktive Neonaziszene in Spremberg gibt, ist nun wahrlich
nichts Neues. Es ist aber bislang kaum gelungen, darüber breiter zu debattieren. Unabhängig von den letzten Angriffen ist inzwischen in vielen Medien eine größere Sensibilität für Opfer rechter Gewalt entstanden, was
sich beispielsweise bei den Angriffen auf die Jugendlichen in Spremberg zeigte. Immer mehr Redaktionen berichten über rechte Aktivitäten vor Ort. Die Zeiten, als darüber geschwiegen wurde, weil man das »eigene
Nest« nicht mit schlechten Nachrichten in Misskredit bringen wollte, gehören zum Glück weitgehend
der Vergangenheit an.

Aber gibt es nicht noch immer das Argument, dass die Touristen wegbleiben, wenn wir über rechte Vorfälle schreiben?
C.S.: Solche Stimmen gibt es auch heute noch vereinzelt. Doch auch da hat sich quer durch alle Parteien
einiges verändert. Ein gutes Beispiel ist der Umgang der Verantwortlichen in Neuruppin mit der Neonaziszene.
Die rechten Vorfälle werden ausführlich dokumentiert, Menschen, die sich dagegen wehren, werden aktiv
unterstützt. Dieses offene Engagement gegen Rechts führt gerade nicht dazu, dass die Touristen wegbleiben.
Im Gegenteil: Weil sich mittlerweile rumgesprochen hat, dass Rechte in Neuruppin keine Chance
haben, kommen mehr Menschen dorthin.

INTERVIEW: PETER NOWAK
http://medien-kunst-industrie.bb.verdi.de/sprachrohr/#ausgaben-2012


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