Eine aufmüpfige Frau

Ihr Kampf machte Schlagzeilen. Jetzt ist die Kaiser’s-Kassiererin Emmely gestorben

Zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro machten Barbara Emme – alias Emmely – bekannt. Weil die Kassierin die Bons unerlaubt eingelöst haben soll, wurde ihr gekündigt. Dagegen wehrte sie sich.

Unter ihrem bürgerlichen Namen war Barbara Emme nur wenigen bekannt. Als Emmely wurde die aufmüpfige Kassiererin zwischen 2008 und 2010 zu einem Symbol für den Widerstand gegen Verdachtskündigungen und Willkür am Arbeitsplatz. Sie wurde nicht nur bundesweit von linken Gruppen und Gewerkschaftern zu Solidaritätsveranstaltungen eingeladen. Auch in Talkshows diskutierte sie selbstbewusst mit Politikern. Boulevardblätter erklärten sie daraufhin zu »Deutschlands aufmüpfigster Kassiererin«.

Dabei war sie im Februar 2008 ziemlich allein, als ihr die Supermarktkette Kaiser’s nach 31 Dienstjahren fristlos kündigte: Angeblich hatte sie zwei Leergutbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst, die Kunden in der Filiale in Berlin-Hohenschönhausen vergessen hatten. Emmely hat diese Vorwürfe immer wieder bestritten.

Von den meisten Kolleginnen in der Kaiser’s-Filiale kam keine Unterstützung. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, bei der die Kassiererin Mitglied war, riet ihr zu einem Vergleich. Den lehnte sie jedoch ab. Unterstützung bekam sie dagegen von linken Aktivisten, die 2008 als kritische Kunden Arbeitskämpfe im Einzelhandel aktiv unterstützten. Dabei erfuhren sie von der Kündigung der aktiven Gewerkschafterin, die bei Streiks immer dabei war, und setzten sich mit der Betroffenen zusammen.

Bald darauf erregte ihr Arbeitskampf großes Aufsehen. »Wir konnten gar nicht allen Anfragen nach Plakaten und Flyern nachkommen«, erinnert sich einer der Aktivisten des »Solidaritätskomitees mit Emmely«. In vielen Städten gab es Informationsveranstaltungen zu Emmely und zum Thema Verdachtskündigungen. Auf Demonstrationen wurden Transparente mit der Parole »Solidarität mit den Emmelys dieser Welt« getragen. Als das Bundesarbeitsgericht in Erfurt im Juni 2010 die Kündigung für unwirksam erklärte, war der Jubel bei den vielen Unterstützern groß. Die Vorinstanzen hatten noch gegen sie entschieden.

Auch nachdem Emmely unter großem medialen Interesse wieder an einer Berliner Kaiser’s-Kasse Platz genommen hatte, blieb sie politisch aktiv. »Der Kampf hat die Frau verändert«, beschreiben Freunde ihre Aktivitäten. Sie beteiligte sich nicht nur an einem Film und zwei Büchern, die ihren erfolgreichen Kampf aufarbeiteten. Sie reiste auch um die Welt, um auf Veranstaltung für Solidarität mit anderen Menschen zu werben, die wegen ihrer politischen und gewerkschaftlichen Aktivitäten Repressalien ausgesetzt sind.
In einer Zeit der Entsolidarisierung wurde Emmely zu einem Symbol. »Sie zeigte, dass man sich wehren und siegen kann«, erklärten Mitglieder des Solidaritätskomitees das mediale Interesse und die Sympathiebekundungen, die sie erfuhr.

Am Montag dieser Woche ist Emmely überraschend im Alter von 57 Jahren in Berlin an Herzversagen gestorben, wie Aktivisten des Solidaritätskomitees mitteilten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/965980.eine-aufmuepfige-frau.html

Peter Nowak

Hinweise auf Artikel:

Focus:

http://www.focus.de/politik/deutschland/deutschland-ticker-beim-spielen-angeschossen-jetzt-spricht-der-junge_id_4570310.html

Die wegen zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro bekannt gewordene Kassiererin „Emmely“ ist tot. Das bestätigte ein Mitglied des ehemaligen Solidaritätskomitees für die Kassiererin der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch in Berlin. Zuerst hatte die Zeitung „Neues Deutschland“ darüber berichtet.

Bild: http://www.bild.de/regional/berlin/tod/kassiererin-emmely-ist-gestorben-40304874.bild.html

Nach „Emmelys“ Tod sagten Mitglieder des Solidaritätskomitees der Zeitung „Neues Deutschland“: „Sie zeigte, dass man sich wehren und siegen kann.“

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Welt:

http://www.welt.de/vermischtes/article138788898/Kassiererin-Emmely-mit-nur-57-Jahren-gestorben.html

Die unter dem Namen „Emmely“ bekannt gewordene Gewerkschaftsaktivistin Barbara Emme ist gestorben. Das bestätigte ein Mitglied des ehemaligen Solidaritätskomitees für die Kassiererin der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch in Berlin. Zuerst hatte die Zeitung „Neues Deutschland“ darüber berichtet, laut deren Informationen die 57-Jährige an einem Herzversagen gestorben war.

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NTV: http://www.n-tv.de/panorama/Kassiererin-stirbt-an-Herzversagen-article14781041.html

Ihren Tod bestätigte ein Mitglied des ehemaligen Solidaritätskomitees für die Kassiererin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zuerst hatte die Zeitung „Neues Deutschland“ darüber berichtet. Die 57-Jährige soll am Montag überraschend an Herzversagen gestorben sein.

Schwarzer Freitag

»Rote Karte für die Betriebsräte« lautet ein Werbespruch von Anwaltsfirmen, die solvente Unternehmen beraten, wie Gewerkschafter auf juristischem Wege bekämpft werden können. Mittlerweile ist der zugehörige Begriff »Union Busting« auch in Deutschland bekannt. Am Samstag berieten Betroffene mit Juristen und linken Initiativen auf einer Konferenz in Hamburg, wie man sich dagegen wehren kann. Jessica Reisner von der Initiative Arbeitsunrecht aus Köln, die in den vergangenen Monaten einen wesentlichen Beitrag zu den Protesten gegen Union Busting geleistet hat, zog ein optimistisches Fazit. Seminare, in denen der juristische Kampf gegen Gewerkschafter gelehrt wird, würden öffentlich zunehmend kritisiert.

Mit der Kampagne »Schwarzer Freitag« könnte sich das Repertoire der Proteste ausweiten. An jedem Freitag, der auf einen 13. fällt, sollen Firmen besucht werden, die sich beim Union Busting besonders hervorgetan haben. Am 13. März traf es die Firma Neupack, deren Betriebsratsvorsitzender Murat Günes immer noch gegen seine Kündigung kämpft. Der Arbeitsrechtler Daniel Weidman beklagte, dass viele Engagierte nicht nur von Bossen, sondern auch von Kollegen angefeindet würden. Eine lautstarke Minderheit beschimpfe Gewerkschafter und werfe ihnen vor, Unfrieden in den Betrieb zu bringen. In Hamburg kam mit Rainer Knirsch auch ein ehemaliger BMW-Betriebsrat zu Wort, der in den Achtzigern entlassen worden war. Auch damals gab es Claqueure des Managements. Doch engagierte Kolleginnen und Kollegen sowie ein Solidaritätskomitee sorgten damals für seine Wiedereinstellung. Erfreuliches hatte Oliver Rast aus der bisher gewerkschaftsfreien Zone Gefängnis zu vermelden. Die im vergangenen Jahr gegründete Gefangenen­ge­werk­schaft habe mittlerweile über 400 Mitglieder. Diese Meldung wurde mit Applaus begrüßt – obwohl Gefangene im Gewerkschaftsalltag häufig nicht mit offenen Armen empfangen werden.

http://jungle-world.com/artikel/2015/12/51653.html

Peter Nowak

Streikrecht ist ein Grundrecht

Der Streit um die gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nimmt kein Ende / Im April soll demonstriert werden

»Wo ein Streik reglementiert oder gar verboten ist, handelt es sich um reine Diktaturen.« Diese drastische Einschätzung stammt von dem ehemaligen ÖTV-Vorsitzenden Heinz Kluncker aus den 70er Jahren. Daran erinnern »Linke Hauptamtliche in ver.di« in einer Erklärung nicht ohne Grund.

Aktuell will die Bundesregierung das Streikrecht reglementieren, und der DGB-Vorstand und ein großer Teil der Einzelgewerkschaften stimmen dem von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am 5. März in den Bundestag eingebrachten Tarifeinheitsgesetz sogar zu.

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung kann ein Tarifvertrag nur dann Anwendung im Betrieb finden, wenn die vertragsschließende Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder hat. Spartengewerkschaften, die nur in ein bestimmtes Segment der Beschäftigten vertreten, wären dadurch im Nachteil. Denn, wenn sie nicht tarifvertragsfähig sind, sinkt auch ihre Verhandlungsmacht.

Unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht« ruft ein Bündnis linker GewerkschafterInnen für den 18. April zu einer bundesweiten Demonstration nach Frankfurt am Main auf. Die Initiative dazu hat eine Arbeitsgruppe ergriffen, die sich auf einer Aktionskonferenz am 24. Januar in Kassel gegründet hat. Zu den Unterstützern der Demonstration gehören neben der anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU), die Lokführergewerkschaft GDL und verschiedene linksgewerkschaftliche Initiativen. Von den acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften findet sich keine unter den UnterstützerInnen der Demonstration, die sich gegen das Tarifeinheitsgesetzt positioniert haben. »Wir haben über diese Demonstration keinerlei Informationen«, erklärte eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die sich von Anfang gegen das Tarifeinheitsgesetz stellte.

Die GEW unterstützt gemeinsam mit der NGG eine Unterschriftensammlung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen das Gesetz. Doch obwohl sich die Dienstleistungsgewerkschaft seit Jahren klar gegen die Tarifeinheit ausspricht, ist diese Frage organisationsintern nicht unumstritten, wie Erdogan Kaya von der linken Basisgruppe ver.di-aktiv auf der Berliner Mobilisierungsveranstaltung für die Demonstration in der letzten Woche erklärte. Er machte darauf aufmerksam, dass ver.di.-GewerkschafterInnen beispielsweise bei der Lufthansa das Tarifeinheitsgesetz unterstützen. Anders als bei ver.di sind in der IG Metall die Gegner der Initiative in der Minderheit.

Dazu gehört Günther Triebe vom Berliner IG Metall Ortsvorstand, der auf der Veranstaltung gesprochen hat. Der Basisgewerkschafter Willi Hajek erinnerte in seinen Abschlussbeitrag an eine Äußerung des damaligen DGB-Vorsitzenden Michael Sommer, der sich 2012 gegen den Generalstreik spanischer Gewerkschafter ausgesprochen und ihnen den Rat gegeben hat, dass in Krisensituationen Gewerkschafter und Arbeitgeber kooperieren sollen. Genau von diesem Geist der Sozialpartnerschaft sei auch das Tarifeinheitsgesetz geprägt. Hajek hat schon Pläne über die Demonstration hinaus. Wenn am 21. und 22. Mai das Tarifeinheitsgesetz in zweiter und dritter Lesung im Bundestag beraten und verabschiedet wird, soll auf einer Alternativveranstaltung darüber diskutiert werden, wie das Grundrecht auf Streik durchgesetzt werden kann.

Peter Nowak

Wut gegen Austeritätspolitik erreicht Frankfurt

Es ging nicht nur um die EZB, sondern um die Politik der deutschen Regierung

„Danke an alle für den großartigen Vormittag! Jetzt ist Zeit zum Ausruhen. Wir sehen uns mit neuer Frische um 17 Uhr bei der Demo!“ Diese Nachricht auf dem Liveticker[1] des Blockupy-Bündnisses[2] erklärt, warum in den letzten Stunden in der Innenstadt von Frankfurt/Main  wieder Ruhe eingekehrt ist.

Seit dem frühen Morgen des 18. März[3] haben ca. 6000 Kapitalismuskritiker, darunter über 1.000 aus dem europäischen Ausland, Teile der Innenstadt von Frankfurt/Main blockiert. Es kam immer wieder zu Scharmützel mit der Polizei. An einigen Stellen wurden Schaufenster eingeschlagen.

Das Knattern der Polizeihubschrauber über der Stadt macht deutlich, dass in der Stadt Ausnahmezustand herrscht. Aus ganz Europa sind Menschen in der Mainmetropole gekommen, um anlässlich der symbolischen Eröffnung der Europäischen Zentralbank, die ihr neues Gebäude im Osten der Stadt längst bezogen hat, deutlich zu machen, was sie von der Austeritätspolitik der deutschen Regierung und der EU-Kommission halten.

Es geht nicht um humanitäre Philosophie, sondern um die finanziellen Folgen

Und da hat in den letzten Wochen einiges an Wut angesammelt. Die Haltung von Schäuble und Co., die gegen der neuen griechische Regierung wie Kolonialoffiziere auftraten, die den Einwohnern einer unbotmäßigen Provinz beibringen, wie sie sich zu benehmen haben. Erst vor wenigen Stunden wandte sich der griechische Ministerpräsident Tsipras gegen Versuche von EU-Gremien, die geplanten Hilfsmaßnahmen für die besonders verarmten Teile der Bevölkerung als Verletzung der Verträge auszulegen, die Griechenland mit den EU-Gremien geschlossen hat.

In einem Brief hatten Vertreter der EU-Kommission darauf gedrängt, diese Gesetze, die einigen zehntausend Menschen ein etwas besseres Leben ermöglichen sollen, nicht ins Parlament einzubringen. Wenn der EU-Kommissar Moscovici darauf nur entgegnen konnte, es gehe nicht um humanitäre Philosophie, sondern um die finanziellen Folgen, dann bringt er genau die Politik auf den Punkt, gegen den die Menschen in Frankfurt/Main revoltieren. Wie sie es nun seit heute Morgen taten, ist Gegenstand von zahlreichen Medienberichten und Erklärungen von Politikern aller Parteien.

Von einem Missbrauch des Demonstrationsrechts wird ebenso geredet wie von krimineller Energie der Demonstranten. Da zeigt sich einmal mehr, die unterschiedliche Wahrnehmung von Gewaltverhältnissen. Eingeschlagene Fensterscheiben und brennende Polizeifahrzeuge erregen große Empörung. Die stumme Gewalt ökonomischer Verhältnisse, die in Griechenland und auch in anderen Teilen der europäischen Peripherie verhindern, dass Menschen ihre Lebenschancen nutzten können, wird als Sachzwang akzeptiert. Auch in Deutschland sorgen diese Zwänge des Verwertungssystems für menschliches Elend. Trotzdem ist in Deutschland die Ignoranz der Folgen einer Politik, die hierzulande durch Wahlen mehrheitlich bestätigt wurde, besonders ausgeprägt.

Der Protesttag in Frankfurt/Main hat deutlich gemacht, dass die von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützte Politik von Deutschland, vor allem im europäischen Ausland auf Unverständnis stößt. Die Organisatoren der Blockupy-Proteste haben hingegen erkannt, dass die deutsche Politik auch Folgen hat. Auf einer Pressekonferenz des Blockupy-Bündnisses wurde erklärt, dass man die Wut der Menschen verstehen kann. Natürlich durfte der übliche Streit über die Frage, von wem die Gewalt ausgeht, nicht fehlen.

Während ein Polizeigewerkschafter davon spricht, dass die Blockupy-Aktivisten Kriminelle und keine Demonstranten seien, wirft das Protestbündnis umgekehrt der Polizei unverhältnismäßiges Vorgehen vor. Schließlich setzt der überwiegende Großteil der Protestierenden auf friedlichen Protest. Manche distanzieren sich von militantem Aktionen: „Diese Bilder haben wir nicht gewollt“, erklärte[4] Ulrich Wilken mit den Verweis auf brennende Polizeiauto. Wilken sitzt für die Linke im hessischen Landtag und ist Anmelder der Großdemonstration, die heute ab 17 Uhr in die Nähe des Frankfurter Bankenviertels ziehen soll. Es wird erwartet, dass es dann mit der Ruhe auf den Straßen von Frankfurt/Main wieder vorbei ist.

Alles Populisten außer der EZB?

Wie der Aktionstag auch ausgeht, einen Erfolg können sich die Protestierenden schon zugute schreiben. Bei der symbolischen EZB-Eröffnung spielten plötzlich auch die Opfer der Austeritätspolitik eine Rolle. Hätte es lediglich eine Kundgebung ohne Zwischenfälle gegeben, wäre das medial kurz abgehandelt worden und man wäre zur Tagesordnung übergegangen. Jetzt aber haben EZB-Verantwortliche und Politiker sich vorgenommen, den Menschen besser zuzuhören, damit sie nicht Populisten auf den Leim gehen. Als Populisten wurden nach dieser Lesart sowohl die Regierungspartei Syriza als auch die Demoorganisatoren bezeichnet.

Die Rituale rund um den Blockupy-Aktionstag kennt man von solchen großen Protest-Events. In dieser Hinsicht erinnern die Geschehnisse in Frankfurt/Main heute an die Rostocker Auftaktdemonstration gegen das G8-Treffen in Heiligendamm im Jahr 2007 (Demonstration gegen G8-Gipfel endete in Militanz[5]). Auch damals wurde in den Medien ein Bürgerkriegsszenario an die Wand gemalt, während die Protestorganisatoren vor allem darauf hinwiesen, dass die Polizei die große Mehrheit die gewaltfrei demonstrieren wollte, mit Wasserwerfern und CS-Gas eindeckte.

Anhang

Links

[1]

https://twitter.com/Blockupy_Ticker/status/578167158628343808

[1]

https://www.facebook.com/blockupy.europe

[2]

https://blockupy.org/

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/44/44433/2577734.html

[4]

http://www.ulrichwilken.de/site

[5]

http://www.heise.de/tp/artikel/25/25424/

http://www.heise.de/tp/artikel/44/44433/1.html

Peter Nowak

Blockupy-Aktion zur EZB-Eröffnung

Pflichtübung oder europaweiter Aktionstag der Proteste gegen die Austeritätspolitik?

Am 18. März soll es wieder Proteste in Frankfurt/Man geben. Ziel ist die symbolische Eröffnung der Europäischen Zentralbank [1] im Osten Frankfurt/Main. Das Gebäude ist schon längst bezogen worden, aber die EZB beraumte doch noch eine offizielle Eröffnung an.

Ob sie damit den Kritikern der EZB einen Gefallen tat oder sich eher an ihnen rächen wollte, muss offen bleiben. Die Kritiker mussten auf die Ankündigung reagieren. Hatten sie doch mehrere Jahre auf dieses Ereignis hingearbeitet und immer angekündigt, dass sie die Eröffnung der EZB zum Protesttag machen wollten. Bereits zweimal hat das Protestbündnis Blockupy [2] nach Frankfurt/Main aufgerufen. 2013 und 2014 reagierte die Polizei mit Verboten, Einkesselungen undFestnahmen. So wurde das Bündnis bekannt, aber es stand dann vor allem die Frage der Repression und der Einschränkung der Grundrechte im Mittelpunkt.

Das Ziel von Blockupy bestand eigentlich darin, auch in Deutschland, dem Hort der Austeritätspolitik, Krisenproteste zu organisieren. Dabei haben die Demonstranten zwei Probleme. Die staatlichen Instanzen werden alles tun, um die Proteste kleinzuhalten. Gravierender aber ist noch, dass auch die große Mehrheit der Lohnabhängigen, die seit Jahren Opfer für den Standort Deutschland bringt, in der Regel nicht für Proteste zu gewinnen ist. Eher wendeten sie sich gegen
Schwächere, seien es Geflüchtete, freche Erwerbslose und andere Menschen, die sich nicht freiwillig dem Standort Deutschland unterordnen wollen.

Erinnerung an die Occupy-Bewegung

Angesichts dieser Schwierigkeiten versuchten die Kritiker der Austeritätspolitik natürlich Bündnisse mit allen zu schließen, die sich irgendwie kritisch äußerten. Dazu gehörte auch die schon längst nur noch in Galerien bestaunte Occupy-Bewegung, die 2013 auch für einige Monate ihre Protestzelte im Schatten der Bankentürme von Frankfurt/Main aufgebaut hatte. Die diffuse Occupy-Bewegung hat sich längst entweder aufgelöst oder ist in den Montagsmahnwachen oder ähnlichen Projekten gemündet.

Doch im Namen Blockupy wird noch an diese Kooperation der Jahre 2012/13 erinnert, sowie an die Hoffnungen, die manche organisierte linke Gruppe damit verbunden haben. Irgendwann war der Name Blockupy eine Marke, und da man nun einmal angekündigt hatte, dass man sich auf die EZB-Eröffnung als Protesttag konzentrieren wollte, stand man im Wort. Nur war monatelang überhaupt nicht klar, ob es überhaupt noch eine offizielle Feier zur bereits vollzogenen EZB-Eröffnung geben wird. Das Gebäude füllte sich und der Termin wurde immer weiter nach hinten verlegt, bis der 18. März schließlich festgelegt wurde.

Frei nehmen statt streiken

Dann standen die Protestorganisatoren vor dem Problem, dass es ein Tag mitten in der Woche ist, wo ein Großteil der lohnabhängigen Bevölkerun verhindert ist. Daher musste zunächst mit der Kampagne „18 März – Ich nehm mir frei“ [3] dafür werben, dass sich die EZB-Kritiker an dem Tag individuell von den Zwängen der Lohnarbeit befreien.

Auch an diesenPunkt wird wieder einmal deutlich, wie groß die Probleme sind, Krisenproteste zumal in Deutschland zu organisieren. Es gab vor einigen Jahren einmal einen Aufruf für einen europaweiten Generalstreik [4], der ja an einen zentralen Protesttag wie den 18. März die Probe aufs Exempel hätte sein können. Dass es jetzt doch wieder ein Aufruf zum individuellen Freinehmen wurde, ist ein Ausdruck der neoliberalen Verhältnisse, denen auch die Protestaktiven ausgesetzt sind. Allerdings ist das Thema Arbeitskampf aus den Blockupy-Protesten nicht ganz verschwunden. So wollen sich Amazon-Arbeiter und Unterstützer an den Protesten beteiligen, und am 19. März ist ein europäisches Treffen zum sozialen Streik [5] geplant.

Die Anfahrt zu den Protesten sollte nicht vereinzelt geschehen. Die Organisatoren haben einen Sonderzug [6] gechartert, der sogar ausgebucht ist. Dafür wurde auch eine aufwendige Spendenkampagne [7]gestartet.

Griechische Wahlen waren Mobilisierungshilfe

Während bis vor einigen Wochen die Blockupy-Mobilsierung eher mau war, nahm sie Ende Januar doch noch an Fahrt auf. Es war der Wahlsieg von Syriza in Griechenland, der der Kampagne neuen Schwung gab. Für die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe ist der Glücksfall eingetreten, dass eine gemäßigt linke Regierung im Euro-Raum den Beweis dafür antreten möchte, dass auch in der Euro-Zone eine andere Politik möglich ist, ohne gleich den Kapitalismus infrage zu stellen.

Dem Experiment einer linkskeynesianischen Politik stellt sich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EZB entgegen. Diese hat eine Sondergenehmigung für den Einsatz griechischer Staatsanleihen aufgehoben. Die Bonds werden seit dem 11. Februar nicht mehr als Sicherheiten für EZB-Kredite akzeptiert. Mit dieser Entscheidung erschwert die EZB den griechischen Banken
den Zugang zu frischem Geld. Der konservativen griechischen Vorgängerregierung wurde dieser Zugang noch ermöglicht, obwohl sie den versprochenen Kampf gegen die Korruption nie begonnen hat. Der Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras will die EZB hingegen schon von Anfang an die Möglichkeiten begrenzen.

Eine bessere Werbung konnte sich das „Blockupy“-Bündnis nicht wünschen. Auf der Homepage des Bündnisses wird das ganz offen erklärt. Dort wird zunächst eingeräumt, dass es große Zweifel gab, ob die Entscheidung für den Aktionstag am 18. März nicht ein Fehler gewesen sei. Mit dem Blick auf die Wahl in Griechenland heißt es dann: „Nun können wir sagen: Dieser Fehler war ein Glücksfall.“ Man verneige sich „vor dieser Entschlossenheit und Rebellion, vor dem langem Atem und der Hoffnung“, wird das griechische Wahlergebnis pathetisch kommentiert.

Allerdings wird die Begeisterung dann doch etwas abgeschwächt: „Eine andere, bessere Welt wird nicht per Kabinettsbeschluss eingeführt.“ Man stehe nicht an der Seite eines Regierungsprojektes, sondern an der „der kämpfenden Menschen in Griechenland und der solidarischen Linken“. Der Widerspruch, ein Wahlergebnis zu feiern, aber auf Distanz zur sich darauf stützenden Regierung zu gehen, erklärt sich aus der Zusammensetzung des „Blockupy“-Bündnisses, das von Attac [8] bis zum Bündnis „Ums Ganze“ [9] reicht.

Gerade den linken Vertretern des Bündnisses dürfte die Koalition von Syriza mit der rechtskonservativen Partei Anel besonders missfallen. „Die Chance der griechischen Wahl misst sich daher nicht nur am Umgang der Regierung mit den Auflagen der Troika, sondern gleichermaßen an ihrem Verhältnis zu den Fragen der linken Bewegungen. Sozial geht nicht national, nicht patriarchal, nicht homophob, nicht antisemitisch, nicht rassistisch.“ Das Ums-Ganze-Bündnis ist auch Teil eines europaweiten Zusammenschlusses von antiautoritären Linken [10], die auf
eine soziale Bewegung statt auf den Staat setzen.

Mittlerweile haben sich aus ganz Europa Menschen auf den Weg gemacht, um in Frankfurt/Main, den Hort des Austeritätspolitik, ihren Protest zu formulieren. Vielleicht bekommt durch diesen transnationalen Charakter der Protest noch ein größeres Ausmaß. Die Polizei hat sich natürlich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, Busse zu durchsuchen [11], die nach Frankfurt starten wollten. So wird sich in den nächsten Stunden auch wieder zeigen, ob auch vom 18. März wieder vor allem die Polizeistrategie in Erinnerung bleiben wird.

http://www.heise.de/tp/news/Blockupy-Aktion-zur-EZB-Eroeffnung-2577734.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://www.ecb.europa.eu/ecb/html/index.de.html

[2]

https://blockupy.org/

[3]

https://www.facebook.com/Attac.Koeln/posts/854544571250765

[4]

http://strikem31.blogsport.eu/

[5]

http://blockupy.org/en/5753/towards-a-social-and-transnational-strike-invitation-to-a-working-meeting-on-19-3-2015-in-frankfurt/

[6]

http://berlin.blockupy-frankfurt.org/anfahrt/

[7]

http://100mal100.blockupy.org/

[8]

http://www.attac.de/kampagnen/eurokrise-blockupy/blockupy/maerz-2015/

[9]

http://umsganze.org/

[10]

http://beyondeurope.net/

[11]

http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-polizei-durchsucht-bus-von-aktivisten,15402798,30146832.html

Kampf den Knebelverträgen

Das Gesetzesvorhaben zur Tarifeinheit ist nicht der erste Versuch, hierzulande das Streikrecht einzuschränken. Doch angesichts der Veränderung der gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse unterscheidet sich die derzeitige Auseinandersetzung deutlich von denen in früheren Zeiten.

Eigentlich stehen der Deutsche Beamtenbund, der Marburger Bund, die Organisation Cockpit und der Deutsche Journalistenverband nicht im Ruf, kämpferische Gewerkschaften zu sein. Mögen sie als Interessenvertretungen bestimmter Berufsgruppen auch mal ordentlich poltern, so sind sie gesellschaftspolitisch doch eher konservativ. In der vergangenen Woche gaben sie sich jedoch besonders kämpferisch. Schließlich könnte der Gesetzentwurf, den das Bundesarbeitsministerium am 5. März ins Parlament einbrachte, ihre Streikfähigkeit erheblich einschränken.

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll nur derjenige Tarifvertrag Anwendung im Betrieb finden, der von der Gewerkschaft mit der größten Zahl an Mitgliedern abgeschlossen wird. Spartengewerkschaften, die nur ein bestimmtes Segment der Beschäftigten vertreten, wären dadurch im Nachteil. Denn wenn sie nicht tarifvertragsfähig sind, sinkt auch ihre Verhandlungsmacht. »Das Gesetz würde uns zerschlagen«, sagte denn auch der Vorsitzende des Marburger Bundes, Klaus Henke, auf einer Pressekonferenz.

Deshalb wollen er und seine Kollegen das Tarif­einheitsgesetz auf juristischem Weg stoppen. Schließlich kam selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten zu dem Schluss, dass das Gesetz einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstelle und daher verfassungswidrig sei. Den Anlass, ein Gesetz zur Tarif­einheit auszuarbeiten, lieferte ebenfalls eine juristische Entscheidung: 2010 urteilte das Bundesarbeitsgericht, dass die Verdrängung des Tarifvertrags einer Spartengewerkschaft »einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der Tarif schließenden Gewerkschaft als auch die individuelle Koalitionsfreiheit der an den Tarifvertrag gebundenen Gewerkschaftsmitglieder« darstelle.

Wenige Monate nach dem Urteil einigten sich der DGB und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände auf eine Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit. Doch wegen der starken Kritik wurde das Vorhaben unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung nicht vollendet. Es mussten erst wieder Sozialdemokraten Regierungsämter übernehmen, um die Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit weiterzuführen. In diesem Fall zeigt sich einmal mehr, dass sich kapitalfreundliche Gesetze leichter durchsetzen lassen, wenn Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt sind.

Versuche, das Streikrecht einzuschränken, gab es in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder, Proteste dagegen ebenfalls. Doch in der Regel waren es bisher die im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften, die sich gegen Versuche von Union und FDP gestellten Bundesregierungen wandten, das Streikrecht zu regulieren. Doch bei der derzeitigen Auseinandersetzung um das Tarifeinheitsgesetz handelt es sich nicht einfach um eine Wiederholung solcher Auseinandersetzungen. Während der DGB und Teile der ihn ihm vertretenen Einzelgewerkschaften diese Gesetzesinitiative gemeinsam mit den Unternehmerverbänden befürworten, protestieren neben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor allem die in den vergangenen Jahren erstarkten Spartengewerkschaften, was angesichts der möglichen Einschränkung ihrer Streikfähigkeit nicht verwunderlich ist.

Die Veränderungen in der Debatte machen aber auch deutlich, wie sich die gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse verschoben haben. Lange Zeit galt auch unter linken Gewerkschaftern in den Betrieben das Credo, die Einheitsgewerkschaft DGB unter allen Umständen zu verteidigen. Vor allem in der traditionalistischen Linken wurde darauf verwiesen, dass die Spaltung der Arbeiterbewegung in Deutschland den Aufstieg des Nationalsozialismus erleichtert habe – als Konsequenz hätten Gewerkschafter, die in der Weimarer Republik in unterschiedlichen Richtungsgewerkschaften organisiert waren, beschlossen, nach dem Ende des NS eine Einheitsgewerkschaft zu gründen. Vor allem die Generation der politisch engagierten Arbeiter, die in der Weimarer Zeit die oft erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Richtungsgewerkschaften erlebt hatte, betonte den Wert der Einheitsgewerkschaft.

Auch der Marburger Politologe und Antifaschist Wolfgang Abendroth, der in den sechziger und siebziger Jahren großen Einfluss auf linke Gewerkschafter und die akademische Diskussion um eine gewerkschaftliche Orientierung ausübte, verteidigte vehement das Prinzip der Einheitsgewerkschaft. Selbst linke Kritiker der sozialpartnerschaftlichen DGB-Politik betonten in der Regel, nicht sie, sondern die DGB-Funktionäre stellten den Grundsatz der Einheitsgewerkschaft infrage. Lediglich manche maoistische Gruppen versuchten in den siebziger Jahren mit der Gründung gewerkschaftlicher Oppositionsgruppen an die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition in der Weimarer Republik anzuknüpfen. Aber auch sie betonten, dass die Spaltung nicht von ihnen, sondern von den DGB-Vorständen mit ihren Unvereinbarkeitsbeschlüssen und Ausschlüssen linker Mitglieder provoziert worden sei.

Mit der Ausdifferenzierung der Arbeitsstrukturen, die sich in unterschiedlichen Tarifverträgen im gleichen Betrieb zeigt, nahm die Zahl der Branchengewerkschaften jenseits des DGB zu. Sie konnten häufig von einer besonders sozialpartnerschaftlichen Politik vieler DGB-Gewerkschaften profitieren. Doch die Rhetorik der Branchengewerkschaften sollte nicht zu der Illusion führen, sie seien Vorboten einer neuen, kämpferischen Gewerkschaftsbewegung. Schließlich sind von viel Lärm begleitete Tarifkämpfe auch für konservative Verbände möglich, wenn es darum geht, die eigene Klientel zu bedienen.

Das größte Problem dieser Branchengewerkschaften besteht darin, dass sie in der Regel kein Interesse daran haben, über ihre Klientel hinaus auch Kollegen zu unterstützen, deren Verhandlungsmacht gering ist. Hier würde gewerkschaftliche Solidarität beginnen, die bei den DGB-Gewerkschaften häufig nur noch in Sonntagsreden erwähnt, im gewerkschaftlichen Alltag aber meist vergessen wird. Für die meisten Branchengewerkschaften ist diese Solidarität über ihre unmittelbare Klientel hinaus nicht einmal ein angestrebtes Ziel.

So ist die Fragmentierung der Gewerkschaftsbewegung auch ein Ausdruck der Atomisierung der Lohnabhängigen. Kämpferische Basisgewerkschaften wie die Freie Arbeiter Union und die Wobblies werden beim Kampf gegen die Tarifeinheit meist gar nicht erst erwähnt. Dabei würden diese Gewerkschaften durch das Tarifeinheitsgesetz tatsächlich an Kampfkraft verlieren. Denn für sie ist ein Streik nicht ein Szenario, mit dem man droht, sondern eine Aktionsform, die man anwendet.

http://jungle-world.com/artikel/2015/11/51583.html

Peter Nowak

„Solidarität hilft siegen“

ARBEITSKAMPF Die Auseinandersetzung mit BMW vor 30 Jahren sieht der damalige Betriebsrat Rainer Knirsch auch als Übung für heute

taz: Herr Knirsch, Mitte der achtziger Jahre standen Sie als BMW-Betriebsrat im Mittelpunkt heftiger Auseinandersetzungen, die jetzt in dem Buch „Macht und Recht im Betrieb“ dokumentiert sind. Warum wollte das BMW-Management Sie und Ihre beiden Betriebsratskollegen loswerden?

Rainer Knirsch: Weil wir unser Amt als Betriebsräte ernst nahmen: für höheres Urlaubsgeld, für Lohngruppenerhöhungen, gegen Krankheitskündigungen. Eine Rationalisierungsstudie haben wir abgelehnt und damit etwa 50 Arbeitsplätze gesichert. Wir waren Gewerkschafter, die auch als Betriebsräte ihr Recht auf Organisierung der Belegschaft und auf Teilnahme an Streiks ausübten.

Was hat Sie motiviert, den Kampf gegen die Entlassung über drei Jahre zu führen?

Unsere gewerkschaftliche Einstellung lautet: Wir wollen „Recht, Gerechtigkeit und Demokratie, die nicht am Werkstor endet!“ Die IG-Metall-Schulung für Betriebsräte haben wir umgesetzt, in der gewarnt wird vor Korrumpierbarkeit und Verrat an den abhängig Beschäftigten. Außerdem waren wir verbunden mit den Beschäftigten im Betrieb und unterstützt durch ein Solidaritätskomitee von zuletzt über 2.000 Menschen.

Welche Rolle spielte dieses Solidaritätskomitee bei Ihrem Erfolg, der Wiedereinstellung?

Es schuf Öffentlichkeit, verbreitete die Informationen an Medien, Einzelpersonen und die Leute im Werk. Es organisierte politische und finanzielle Solidarität außerhalb des Betriebes. Das war maßgeblich für unseren Erfolg.

Was ist nach 30 Jahren an Ihrem Fall noch interessant?

Das „Union Busting“ der achtziger Jahre war der Anfang: Die systematische Bekämpfung von uns aktiven Gewerkschaftern durch insgesamt 20 kettenartige Kündigungen; durch Inszenierung einer hetzerischen Betriebsversammlung zur Amtsenthebung, zuletzt durch Einsatz einer Detektei und Rufmord über Presse und Rundfunk. Ähnliche Methoden der Arbeitgeber erleben wir heute ständig, etwa gegen Betriebsräte bei Neupack oder Enercon.

Gibt es Parallelen zu dem Solidaritätskomitee, das die Entlassung der Kassiererin Emmely wegen angeblich nicht abgerechneter Kassenbons erfolgreich bekämpfte?

Auch diese Solidaritätsarbeit war beispielhaft, gerade für die Kollegin, die bestraft wurde, weil sie bis zuletzt an den Streiks ihrer Gewerkschaft teilgenommen hatte: Solidarität hilft siegen!

Rainer Knirsch

69, begann 1975 als Montagearbeiter im BMW-Motorradwerk und war seit 1978 Betriebsrat, von 1994 bis 2002 Betriebsratsvorsitzender. Heute ist er ehrenamtlicher Bildungsreferent der IG Metall.

Der „Fall BMW-Berlin“

Das Buch „Macht und Recht im Betrieb. Der Fall BMW-Berlin“ ist eine Dokumentation einer dreijährigen Auseinandersetzung um die Kündigung von drei unliebsamen IG-Metall-Betriebsräten des BMW-Motorradwerks in Spandau. Von 1984 bis 1987 kämpften die drei gegen ihre Entlassung – bis sie vor Gericht siegten und wieder eingestellt werden mussten.

Das im Verlag Die Buchmacherei erschienene Buch stellt den Fall auch als ein frühes Beispiel des „Union Busting“ vor, also der systematischen Bekämpfung, Unterdrückung und Sabotage von Arbeitnehmervertretungen. Heute am Montag präsentiert es Rainer Knirsch, einer der drei damaligen Betriebsräte, um 19 Uhr im Café Commune, Reichenbergerstr. 157.

INTERVIEW PETER NOWAK

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2015%2F03%2F16%2Fa0142&cHash=e0bc5fe5af503aba9b09251b3fcc0198

Anfeindungen von Gewerkschaften: „Pegida im Betrieb“

Teurer Kampf ums Urheberrecht

Das alternative Videokollektiv Filmpiratinnen und Filmpiraten e.V. aus Erfurt muss sich derzeit gegen eine Klage der FPÖ vor dem Handelsgericht in Wien wehren. Die rechte Partei verletzte das Urheberrecht der Erfurter Journalisten und überzieht sie nun im Gegenzug mit einem Prozess, dessen Kosten bereits das Aus für das Filmkollektiv bedeuten könnten.

Fast ein Jahrzehnt berichten die Videojournalisten über Antifademonstrationen, Flüchtlingsproteste oder Solidaritätsaktionen beispielsweise während des Einzelhandelsstreiks. Zunächst konzentrierte sich ihre Medienarbeit auf Thüringen. Mittlerweile sind die kritischen Journalisten europaweit mit der Kamera unterwegs. So berichteten sie auch über das Verfahren gegen den Jenaer Antifaschisten Josef S. in Wien. Die österreichische Justiz hatte den Studenten schweren Landfriedensbruch bei Protesten gegen den jährlichen Akademikerball in 2013 vorgeworfen. Dazu lädt die rechtspopulistische FPÖ alljährlich Ende Januar Politiker der rechten Szene Europas ein. Wegen der monatelangen Untersuchungshaft trotz unklarer Beweislage sprachen Menschenrechtsorganisationen von Kriminalisierung des Antifaschisten. Der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröder (SPD) verlieh S. im vergangenen Jahr einen Preis für Zivilcourage.
Die FPÖ stellte Ausschnitte eines Videoberichts der Filmpiraten über den Prozess gegen Josef S. und die Preisverleihung auf ihren Kanal FPÖ-TV. „Sie haben die Aufnahmen in einen neuen Kontext gesetzt und gleichzeitig gegen die Creative Commons-Lizenz verstoßen, die nicht-kommerzielle Nutzung und Weitergabe unter gleichen Bedingungen voraussetzt“, erklärte der Videojournalist Jan Smendek. Daher hatte der Verein die FPÖ wegen der Urheberrechtsverletzung abgemahnt. Daraufhin verklagte die FPÖ die Filmpiraten beim Wiener Handelsgericht wegen Behinderung der Meinungsfreiheit und falscher Anschuldigungen. Gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) erklärte ein FPÖ-Sprecher: „Wir fordern in unserer Klage gegen die ‚Filmpiraten‘ weder Geld noch Sonstiges, sondern lediglich die gerichtliche Feststellung, dass die von den ‚Filmpiraten‘ behaupteten Ansprüche gegen die FPÖ nicht zu Recht bestehen“.
Mittlerweile wurde bekannt, dass die FPÖ auch in Österreich ihre Kritiker häufiger mit solchen Klagen überzieht. Betroffen davon sind die „Initiative Heimat ohne Hass“, die Zeitschrift „Linkswende“ und der österreichischen Kriminalbeamte und Datenforensiker Uwe Sailer, der sich gegen die FPÖ engagiert. Die aufgrund der österreichischen Parteienfinanzierung sehr solvente Partei versucht, ihre Kritiker mit den Klagen finanziell unter Druck zu setzen, kritisiert ein Autor der „Linkswende“. Für die Filmpiraten geht es dabei um ihre Existenz. Der Streitwert liegt bei 35000 Euro. „Bis jetzt sind schon über 5.000 Euro an Anwaltskosten entstanden, die wir im Vorfeld aufbringen mussten“, erklärt Smendek. Die Auseinandersetzung kann sich noch über Monate hinziehen und teuer werden. Ein vom Wiener Handelsgericht vorgeschlagener Vergleich, bei dem beide Seiten ihre Klagen zurückziehen, ist für Smendek nicht annehmbar. „Die FPÖ könnte dann weiter unser Urheberrecht verletzen und wir würden auf einen Teil der Gerichtskosten sitzen bleiben“, begründet der Journalist die Ablehnung. So wird es wohl in einigen Monaten zum Prozess kommen.

Unter dem Motto „Sei unser Held – FPÖ kostet Nerven und Geld“ wird auf der Homepage www.filmpiraten.org zu einer Spendenkampagne aufgerufen. SPENDENKONTO Filmpiratinnen e.V.
IBAN: DE56430609676027819400
BIC: GENODEM1GLS GLS Bank.

aus: «M» – MENSCHEN – MACHEN – MEDIEN

https://mmm.verdi.de/aktuell-notiert/2015/teurer-kampf-ums-urheberrecht

Peter Nowak

Shopping-Schande

Maulkorb für den FAU-Protest gegen die „Mall of Shame“

Seit Ende November unterstützt die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) rumänische Bauarbeiter, die über eine Leiharbeitsfirma beim Bau des Einkaufszentrums Mall of Berlin beschäftigt waren und um einen Großteil ihres Lohns geprellt wurden. Bei Kundgebungen wurde von den ehemaligen Beschäftigten immer wieder auch auf die Verantwortung des ehemaligen Generalunternehmens der Mall of Berlin, die Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, hingewiesen. Das versucht deren Inhaber Andreas Fettchenhauer jetzt, juristisch zu verhindern. In einer einstweiligen Verfügung, die der FAU Mitte Januar zuging, wurde der Gewerkschaft die Aussage verboten, sie befinde sich mit Andreas Fettchenhauer in einem Arbeitskampf. Ebenfalls untersagt wurde ihr die Behauptung, Fettchenhauer habe im Zusammenhang mit dem Arbeitskonflikt „eine große negative Öffentlichkeit“ erhalten. Auch dass die Firma Fettchenhauer für „massive Schwarzarbeit“ und die „Nichtabführung von Beiträgen an die Versicherungsträger“ verantwortlich sei, darf die FAU nicht mehr behaupten. Bei einer Zuwiderhandlung droht der Gewerkschaft ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro und den verantwortlichen Sekretären eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten.

Der Pressesekretär der Berliner FAU, Stefan Kuhnt, sieht in der einstweiligen Verfügung einen Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit. Die FAU Berlin musste inzwischen mehrere Texte auf ihrer Homepage ändern. „Einstweilige Verfügungen sind ein gängiges Mittel gegen Gewerkschaften“, erklärt die FAU-Sekretärin Nina Matzek. Die FAU  hat  rechtliche Schritte dagegen eingeleitet,  die allerdings mit zusätzlichen Kosten verbunden sind, die die Gewerkschaft lieber in den Arbeitskampf investieren würde. Im Falle eines Widerspruchs könnte sie auf das kritische Pressecho zur Mall of Berlin ebenso wie auf die aktuelle Rechtslage hinweisen. „Die rechtliche Situation sieht vor, dass die Auftraggeber für die ausstehenden Löhne haften, wenn ein Subunternehmer nicht bezahlt“, erklärt Kuhnt.

Um den Lohn betrogen

Mit der einstweiligen Verfügung reagiert Fettchenhauer nun darauf, dass nicht nur der Subunternehmer, sondern auch seine Firma im Dezember durchaus in der Medienöffentlichkeit stand. Zahlreiche Zeitungen berichteten über den Arbeitskampf, auch im Deutschlandfunk gab es zwei Beiträge. Die Mall of Berlin ist ein Einkaufszentrum für die gehobenen Ansprüche in der Nähe des Potsdamer Platzes. Anfang Dezember begann eine Gruppe von acht rumänischen Bauarbeitern, unterstützt von der FAU, vor dem Eingang der Mall ihren Protest. Die Rumänen hatten auf der Baustelle der Mall gearbeitet und waren um einen Teil ihres Lohnes betrogen worden. Insgesamt 3000 Euro wurden ihnen vorenthalten. Die für den Bau der Mall of Berlin zuständigen Unternehmen schoben sich die Verantwortung für die nicht bezahlten Löhne wechselseitig zu. Die Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, die der Generalunternehmer auf der Baustelle war und mittlerweile Insolvenz angemeldet hat, verwies auf die Subunternehmen Metatec-Fundus GmbH & Co. KG aus Berlin sowie openmallmaster GmbH aus Frankfurt/Main. Beide Unternehmen lassen Presseanfragen unbeantwortet

Nachdem der Kampf um die vorenthaltenen Löhne auch die Öffentlichkeit erreicht hatte, fragten mehrere Zeitungen, wo denn der DGB in dem Konflikt bleibe. Tatsächlich hatten die Bauarbeiter sich Ende Oktober zunächst an den DGB-Berlin Brandenburg gewandt und nach Unterstützung gefragt. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ nahm Kontakt mit den Unternehmen auf und schrieb Geltendmachungen. Außer Abschlagszahlungen, die nur einen Bruchteil des vorenthaltenen Lohnes ausmachten, konnten die Bauarbeiter auf diesem Weg allerdings nichts erreichen. Sie hatten weder Arbeitsverträge noch Gewerbescheine – das macht die Durchsetzung ihrer Ansprüche schwierig. Einige nahmen die Abschlagszahlungen und unterzeichneten zudem eine vom Unternehmen vorbereitete Erklärung, nach der sie auf weitere rechtliche Schritte verzichten sollten. Andere beharrten darauf, ihren vollen Lohn zu erhalten und wollten weiter gehen.

Eine politische Kampagne hatte der DGB jedoch nicht geplant. Erst nachdem sich die verbliebenen Bauarbeiter an die FAU wandten, begann die wochenlange Öffentlichkeitsarbeit, die nun mit der einstweiligen Verfügung beantwortet wird. Die FAU betont, dass sie die Kollegen weiterhin im Kampf um die vorenthaltenen Löhne unterstützen wird, u.a. durch Klagen gegen die Subunternehmen vor dem Arbeitsgericht. Zudem erinnert die FAU mit gezielten Aktionen immer wieder an die Verantwortung des Generalunternehmens Fettchenhauer. Dafür bekamen sie jetzt Unterstützung von unerwarteter Seite.

„Ein Generalunternehmen haftet gegenüber Arbeiterinnen und Arbeitern nachgeordneter Unternehmer und Subunternehmer, wenn diese ihren Arbeitgeberverpflichtungen nicht nachkommen“, stellt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von Ministerin Andrea Nahles (SPD) fest. So geht es aus einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Bundestagsabgeordneten Azize Tank (parteilos, für DIE LINKE) hervor. Die Sprecherin für Soziale Menschenrechte hatte nach der aktuellen Rechtslage gefragt. „Nach Paragraf 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, wie ein Bürge“, heißt es in der Antwort des Ministeriums. Damit referiert das Ministerium die seit 2002 geltende Rechtslage. Angesichts der Insolvenz des Generalunternehmens Fettchenhauer ist es trotzdem schwierig, die Forderungen durchzusetzen. Die FAU führt zunächst Klage gegen die Subunternehmen, behält sich aber auch eine Klage gegen den Generalunternehmer vor. Fettchenhauer arbeitet nach der Pleite seines vormaligen Unternehmens nun unter dem Firmennamen Fettchenhauer Construction weiter. Interessanterweise pflegt er auch zu dem Investor der Mall of Berlin, Harald Huth, weiterhin geschäftliche Beziehungen – Huth hatte nach Bekanntwerden des Skandals in der Berliner Zeitung vom 11.12. 2014 behauptet, dass die Geschäftsbeziehungen zu Fettchenhauer beendet worden seien.  „So wollen wir nicht mehr weiter- machen. Die Zusammenarbeit ist im Nachhinein sicher ein Fehler gewesen“, wird Huth in dem Blatt zitiert.

Die FAU braucht für die Fortführung des Arbeitskampfs Unterstützung und Spenden. Spenden können für den Arbeitskampf können auf folgendes Konto  überwiesen werden

Konto-Inh.: Allgemeines Syndikat Berlin
IBAN: DE45 1605 0000 3703 0017 11
BIC: WELA DE D1 PMB
Verwendungszweck: Spende

aus:

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 2/2015

http://www.labournet.de/express/

Peter Nowak

Ausgenutzt und ausgebeutet

Junge Spanier in Deutschland kämpfen gegen Knebelverträge und miese Arbeitsbedingungen in der Pflege

Tausende junge gut ausgebildete Spanier hat die Wirtschaftskrise ins Ausland getrieben. Aber auch in Deutschland erwarten sie miese Arbeitsbedingungen. Jetzt wehren sie sich.

Deutsche Pflegeheime und Krankenhäuser werben seit Jahren ihr Fachpersonal im Ausland an. Geschah dies zunächst in Polen oder Bulgarien, hat sich durch die Wirtschaftskrise im Süden Europas eine neue Quelle aufgetan. In Spanien sind 55 Prozent der jungen Leute arbeitslos. Sie warten nur darauf, endlich einen Job zu finden, von dem sie leben können. Tausende sind mit dieser Hoffnung in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen.

Doch die Realität sieht oft anders aus, wie die im Pflegebereich arbeitende Mayte Marin gegenüber »nd« berichtet. »Wir müssen 12 bis 14 Tage ohne Pause arbeiten und bekommen bis zu 40 Prozent weniger Lohn als deutsche Kollegen«, erzählt die Krankenpflegerin. Sie müssten dabei auch Aufgaben übernehmen, die nicht in ihren Arbeitsverträgen stehen, wie die Wohnung saubermachen, den Einkauf erledigen, den Hund ausführen.

Marin hat mit einigen Kollegen die Grupo de Acción Sindical (GAS) gegründet, was »Gruppe gewerkschaftliche Aktion« heißt. Sie ging aus der Versammlung der 15-M-Bewegung in Berlin hervor. Viele der Aktivisten hatten sich zuvor schon in Spanien in der Bewegung der »Empörten« engagiert. Wie in Spanien versuchte die Bewegung auch hierzulande, öffentliche Plätze zu besetzen, widmete sich dann aber der Organisierung in der Arbeitswelt. Fast jeden Tag bekommen sie inzwischen Anrufe aus verschiedenen Orten in Deutschland.

Ein Schwerpunkt der Gruppe liegt darauf, Kollegen über ihre Rechte und Widerstandsmöglichkeiten zu informieren. »Weil sie manchmal die Sprache nicht genug beherrschen und aus einem Land mit einer hohen Arbeitslosigkeit kommen, fällt es ihnen oft schwer, sich über ihre Arbeitsbedingungen zu beschweren«, beschreibt Marin die Situation.

Die Gruppe kämpft auch gegen die Vertragsstrafe, die Pflegekräfte aus anderen Ländern bezahlen müssen, wenn sie ihren Arbeitsplatz vorzeitig wechseln wollen. Sie kann bis zu 12 000 Euro betragen. »Die Strafe bringt uns um«, lautet daher das drastische Motto der aktuellen Kampagne von GAS.

Dominique John, der beim DGB das Projekt Faire Mobilität betreut, unterstützt die Gruppe. Er hat die Broschüre »Wissen ist Schutz« in spanischer Sprache herausgegeben, die Arbeitsmigranten in Spanien und Deutschland über ihre Rechte informiert. Zusammen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di haben sie im Juni 2014 eine Veranstaltung für das Fachpflegepersonal aus Spanien organisiert. »Dort wurde auch das Problem mit den Knebelverträgen besprochen«, erklärt John gegenüber »nd«. Obwohl die Beschäftigen durch die Verträge unter Druck gesetzt werden, seien diese rechtlich schwer zu knacken, bedauert er. Daher begrüßt es John, dass die Kollegen die Verträge politisch bekämpfen wollen.

Auch der für den Fachbereich Gesundheit und soziale Dienstleistungen bei ver.di zuständige Gewerkschaftssekretär Kalle Kunkel spricht von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der migrantischen Gruppe. Im Kampf gegen die Knebelverträge habe man die gleiche Position. »Wir lehnen sie ab und gehen politisch und, wo es möglich ist, auf betrieblicher Ebene dagegen vor.« Außerdem kämpfe ver.di überall, wo man stark genug sei, für Tarifverträge. »Der einzige wirklich wirksame Schutz gegen ungleiche Bezahlung«, wie Kunkel gegenüber »nd« betont. Vergangenen September hatte ver.di gemeinsam mit Pflegekräften aus verschiedenen europäischen Ländern eine Kundgebung für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und eine Aufhebung der Knebelverträge vor dem Bundesgesundheitsministerium organisiert.

www.neues-deutschland.de/artikel/963953.ausgenutzt-und-ausgebeutet.html

Peter Nowak

An der SPD wird TTIP nicht scheitern

An der SPD wird TTIP nicht scheitern, aber ihren Vorsitzenden kann die Debatte die Kanzlerkandidatur kosten

Die SPD und ihr Vorsitzender haben ein Problem. Sie mögen noch so laut betonen, dass die aktuelle Regierungspolitik eine sozialdemokratische Handschrift trägt, die Partei kommt in Umfragen nie an die 30 Prozent heran. Wie schlecht es um die SPD-Wahlaussichten bestellt ist, zeigte der Jubel über den Wahlausgang in Hamburg.

Obwohl die SPD real verloren und sogar die absolute Mehrheit eingebüßt hat, wurde sie parteiintern und auch in der Öffentlichkeit zum großen Sieger erklärt. Dabei lag ihre relative Stärke nur darin, dass der Unionskandidat weit unter 20 Prozent gelandet ist. Prompt hat Gabriel ein Problem. Denn sofort nach der Hamburger Wahl begann die Diskussion, ob der dortige Spitzenkandidat Olaf Scholz nicht der bessere Kanzlerkandidat für die nächsten Bundestagswahlen wäre.

Da es bis dahin eine Weile hin und noch gar nicht klar ist, ob Merkel noch mal kandidiert, ist die Debatte erst einmal wieder versandet. Doch allein, dass eine Regionalwahl wie Hamburg dazu taugt, den eigenen Vorsitzenden zu desavouieren, zeigt wie unsicher die Basis für Gabriel ist. So könnte ausgerechnet die Debatte um das Transatlantische Freiheitshandelsabkommen seinen Niedergang beschleunigen.

Spott über den doppelten Gabriel

Denn in den letzten Monaten war er beim Spagat zu beobachten, die TTIP-kritische Stimmung aufzugreifen und es sich trotzdem mit der Wirtschaft, die das Abkommen will, nicht zu vergraulen. So könnte die Öffentlichkeit den Wirtschaftsminister Gabriel beobachten, der am Wochenende auf dem Transatlantischen Wirtschaftsforum [1] im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft das TTIP verteidigte. Auch die in der SPD besonders umstrittenen Schiedsverfahren, die Kapitalinteressen den bürgerlichen Gerichten entzieht, fand Gabriel plötzlich für sinnvoll.

Auf der Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion, die unter dem Motto „Transatlantische Freihandel – Chancen und Risiken [2]“ ebenfalls am letzten Wochenende stattfand, versuchte der SPD-Vorsitzende Gabriel die kritische Basis mit einer Prise Antiamerikanismus von den Freihandelsverträgen zu überzeugen.

„Wollen wir Mittelständler auf die Gerichtsbarkeit eines amerikanischen Bundesstaates verweisen?“, wird Gabriel in der Zeit zitiert [3]. Bisher wurde von den Gegnern des TTIP häufig mit damit argumentiert, dass man keine Zustände wie in den USA haben wolle. Diese Argumentation griff schon immer zu kurz und ließ unbeachtet, dass Deutschland selber den Investorenschutz vorantrieb [4], wenn es den Interessen des deutschen Kapitals nutzte. Vor einigen Monaten gerierte sich Gabriel noch als klarer Gegner der Schiedsverfahren. Doch das ist längst vorbei.

Mittlerweile besteht sein Ziel genau darin, die SPD-Basis vom TTIP zu überzeugen. Darin bestand auch die Intention der SPD-Konferenz. Bereits im September 2014 markierte [5] er die Grenzen der TTIP-Kritik in der SPD: Er sei auch Wirtschaftsminister, weshalb das Freihandelsabkommen unweigerlich mit seiner Person verknüpft sei. Die Botschaft: Wenn ihr das Prozedere rund um das Abkommen kritisiert, kritisiert ihr mich automatisch auch.

So wurde deutlich, dass sich die SPD in Gestalt von Gabriel mal wieder als die Partei empfahl, die dafür sorgt, dass sie in der Bevölkerung umstrittene Fragen besser durchsetzen kann als die Union.

Wird die SPD-Basis für Gabriel zum Problem?

Eine solche Integration ist natürlich besser möglich, wenn Gabriel seiner Basis zumindest einige symbolische Zugeständnisse anbieten kann, so dass die SPD dann wieder einmal argumentieren kann, ohne sie wäre alles noch schlimmer gekommen. Doch die für die TTIP-Verhandlungen verantwortlichen Stellen haben wenig Verständnis für die Integrationsbemühungen eines deutschen SPD-Vorsitzenden.

So lehnte die für die TTIP-Verhandlungen zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström, die auf der SPD-Konferenz mitdiskutierte Anregung Gabriels ab, im Abkommen zwischen der EU und Kanada, das als Blaupause für den TTIP gesehen wird, auf die privaten Schiedsgerichte zu verzichten. Lediglich kleinere Änderungen seien noch möglich…

Eine andere Unbekannte ist die Ausdauer der TTIP-Kritik an der SPD-Basis. Es besteht für Gabriel die Gefahr, dass die sich länger hält, weil es für viele auch ein Platzhalter für die in der SPD nicht existierende Kapitalismuskritik geworden ist. Die TTIP-Kritiker können in Verfahrensfragen Gabriel bloßstellen. Der hatte vor Monaten zugesichert, dass die SPD-Mitglieder zu TTIP und Ceta befragt werden, bevor die endgültige Entscheidung über die Abkommen fällt. Das Votum könne entweder auf einem Parteitag oder auf einen SPD-Konvent eingeholt werden.

Dabei ist schon jetzt klar, dass das TTIP an der SPD nicht scheitern wird. Die Frage ist nur, wie hoch die Gegenstimmen sind. Dabei ist auch der Zeitpunkt der Abstimmung wichtig. Soll sie erfolgen, bevor der EU-Ministerrat abschließend über die Abkommen berät und somit tatsächlich noch mehr Druck für Nachverhandlungen möglich wäre? Oder soll die Abstimmung erfolgen, wenn die EU schon zugestimmt hat und nur noch die nationalen Parlamente ihr Okay dafür geben sollen?

Dann gibt es auch keine Druckmöglichkeiten mehr für Nachverhandlungen. Die TTIP-Kritiker in der SPD wollen einen möglichen frühen Termin, diejenigen, die für eine möglichst reibungslose Durchsetzung sind, einen späten. Nun werden solche parteiintern Geplänkel das TTIP nicht verhindern. Sie könnten aber dazu beitragen, dass sich Gabriel weiter desavouiert und als späterer Kanzlerkandidat nicht mehr in Frage kommt.

TTIP-Freie Städte als neue Aktionsform?

Die Linkspartei kann sich freuen, nach der Regulierung des Mindestlohns mit dem TTIP wieder ein Thema [6] zu haben, mit dem sie die SPD unter Druck setzen kann. Auch die in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geratene globalisierungskritische Organisation Attac hat mit dem Widerstand gegen das TTIP wieder ein originäres Thema entdeckt und propagiert die TTIP-Freien Kommunen: „10.000 Kommunen TTIP-frei“ [7].

Kürzlich hat sich der Stadtrat von Leipzig dieser Initiative angeschlossen [8], was von einem größeren Netzwerk begrüßt [9] wurde. Allerdings erinnert die Initiative an die atomwaffenfreie Städte und Plätze, die vor 30 Jahren aus den Boden schossen. Sie können Bewusstsein schaffen, aber nichts daran ändern, dass Atomwaffen stationiert bzw. das TTIP real verhandelt wird.

http://www.heise.de/tp/news/An-der-SPD-wird-TTIP-nicht-scheitern-2560630.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.taw-forum.de/website/taw2015.html

[2]

http://www.spd.de/aktuelles/faktencheck_ttip_ceta/

[3]

http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-02/freihandelsabkommen-ttip-ceta-sigmar-gabriel

[4]

http://www.heise.de/tp/news/Deutschland-trieb-Investorenschutz-voran-2430279.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sigmar-gabriel-spd-chef-knoepft-sich-ttip-kritiker-vor-a-992856.html

[6]

http://linksfraktion.de/ttip-stoppen/

[7]

http://www.attac.de/kampagnen/freihandelsfalle-ttip/aktionen/ttip-in-kommunen/

[8]

https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1001104#allrisBV

[9]

https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1001104#allrisBV

»Ich habe viel für dich bezahlt«

Einblick in den Alltag von Hausangestellten in Europa

Eigentlich ist Tia H. aus Indonesien zum Studieren nach Hamburg gekommen. Stattdessen arbeitete sie für ein Taschengeld von 400 Euro rund um die Uhr in einem wohlhabenden Hamburger Haushalt. »Ich habe von Montag bis Sonntag gearbeitet, durchschnittlich 12 bis 14 Stunden. Nur sonntags weniger, bis 18 Uhr«, erzählt Tia H. in dem Film »Dringend gesucht – Anerkennung nicht vorgesehen – Hausangestellte erstreiten ihre Rechte«.

Der 65-minütige Film der Regisseurin Anne Frisius soll die Zuschauer motivieren, den Kampf der Menschen zu unterstützen, die in den Ländern Europas ohne Papiere arbeiten und besonders unter Ausbeutung leiden. Es sind Frauen wie Rosita P., der in Peru von einer Arbeitsagentur versprochen wurde, legal in Holland als Hausangestellte arbeiten zu können. Kaum war sie angekommen, gebärdete sich ihr Chef wie ein Sklavenhalter. »Ich habe viel für dich bezahlt«, habe er zu ihr gesagt. »Seine« Angestellte musste von 7 bis 20 Uhr im Haushalt arbeiten und durfte das Haus nicht verlassen. Im fremden Land, ohne Sprachkenntnisse und auf sich gestellt, suchte Rosita P. im Internet Unterstützung und fand sie bei Frauen wie Ellen Willemsen, die sich in der Nichtregierungsorganisation Fairwork gegen die Ausbreitung der modernen Sklaverei engagiert. Betroffen sind Tausende Hausangestellte, die aus Lateinamerika oder Asien mit dem Versprechen auf einen legalen Status nach Europa gelockt werden.

Der Film zeigt, wie sich die Frauen wehren. In Holland riefen Hausangestellte ohne Papiere die Organisation United Migrant Domestic Workers (UDMW) ins Leben. Zu den Gründerinnen gehörte die in Kolumbien geborene Francia Geleano, die 23 Jahre ohne Papiere arbeitete. Bei ihrem Kampf werden die Frauen vom niederländischen Gewerkschaftsbund FNV unterstützt. Für den Sekretär Mari Martens eine Selbstverständlichkeit: »Für mich gibt es nur zwei Sorten von Arbeitern – Gewerkschaftsmitglieder und Nichtmitglieder«, sagt Martens und erteilt damit allen Aufteilungen nach Nation oder Geschlecht eine Absage. Im Film ruft er die deutschen Kollegen auf, sich für Migranten mit und ohne Papiere zu öffnen. »Wir helfen euch dabei«, versprach er und bekam bei der Premiere des Films in der Berliner Bundeszentrale von ver.di Extraapplaus.

Der Film gibt den Initiativen Rückenwind, die sich im DGB für diese Öffnung einsetzen. Sechs gewerkschaftliche Beratungsstellen für Menschen ohne Papiere gibt es derzeit. Der Film ist ein Plädoyer für die Ausweitung dieser Arbeit. »Die Mitgliedschaft bei ver.di soll unabhängig von Aufenthaltsstatut und Arbeitsgenehmigung sein«, heißt es in Anträgen, die für Gewerkschaftskonferenzen vorbereitet werden. Die Begründung ist einfach: »Die Gewerkschaften sollen alle Arbeitnehmer, einschließlich der Schwächsten, vertreten.« Vielleicht trägt Anne Frisius’ aufrüttelnder Film dazu bei, dass sich diese Position durchsetzt.

»Dringend gesucht – Anerkennung nicht vorgesehen«, Regie Anne Frisius in Zusammenarbeit mit Mónica Orjeda, 65 min, Hamburg/Amsterdam/Bremen 2014, 25 Euro. 

www.kiezfilme.de

Peter Nowak

Wann dürfen Telefonnummern von Jobcenter-Mitarbeitern veröffentlicht werden?

Das Ende einer Telefonliste

DATENSCHUTZ Bis vor Kurzem konnten Erwerbslose die Durchwahlen ihrer SachbearbeiterInnen im Jobcenter über das Wiki der Piratenpartei recherchieren. Damit könnte jetzt Schluss sein

Viele Erwerbslose kennen das Problem. Sie können ihre SachbearbeiterInnen im Jobcenter telefonisch in einer dringenden Angelegenheit nicht erreichen, weil die Telefonnummer fehlt. In der Jobcenter-Zentrale werden sie nicht weitergeleitet. Bis letzte Woche konnten sie über das Wiki der Piratenpartei die Telefonnummern der JobcentermitarbeiterInnen erfahren. Seit dem 10. Februar ist die Liste „aufgrund der Anordnung AZ 591.327.1 des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit“ gelöscht worden, heißt es auf www.wiki.piratenpartei.de/Telefonlisten_Jobcenter.

„Diese Mitteilung ist falsch. Es gab von unserer Behörde noch keine Anordnung“, erklärte der Pressesprecher des Berliner Beauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit Joachim-Martin Mehlitz gegenüber der taz. Seine Behörde habe allerdings die Piraten in einem Anschreiben darauf hingewiesen, dass die Veröffentlichung der Telefonnummern ein Verstoß gegen die Datenschutzbestimmungen sein könnte. Die in dem Wiki genannte Kennung sei das Aktenzeichen des Briefes. Die Pressesprecherin der Piratenpartei, Anita Möllering, bestätigte gegenüber der taz diese Version. „Der Eintrag im Wiki wurde missverständlich formuliert.“

Joachim-Martin Mehlitz betonte, es sei durchaus möglich, die Jobcenter-Daten zu veröffentlichen, wenn sie im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes ermittelt wurden. Es bestehe aber der Verdacht, dass die Telefonlisten auf dem Piraten-Wiki illegal in den Besitz der Piratenpartei gelangt seien. „Es handelt sich damit durchaus um Informationen, die im Rahmen von IFG-Anfragen in Erfahrung gebracht wurden“, widerspricht hingegen Piratensprecherin Möllering.

Die Telefonlisten seien ursprünglich von Harald Thomé vom Wuppertaler Erwerbslosenverein Tacheles über IFG-Anfragen ermittelt worden. Nachdem Thomé das Projekt aufgrund von Klagen und der Androhung von Geldstrafen aufgegeben hat, sei es 2014 übernommen worden. „Die Piratenpartei setzt das Behördentransparenzprojekt mit den Jobcentertelefonlisten fort“, bestätigte Thomé. Diesen Sachverhalt werde die Piratenpartei demnächst in einer Stellungnahme zum Schreiben des Datenschutzbeauftragten, die zurzeit erarbeitet wird, klarstellen.

„Die Telefonliste wird nicht dauerhaft abgeschaltet“, betont Möllering. Gerade im Zuge der Verschärfungen des ALG II und seiner Anwendungen sei die Telefonliste notwendig. Dies würden auch Erwerbslose betonen, die die Telefonliste regelmäßig genutzt hätten.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2015%2F02%2F18%2Fa0143&cHash=fdbdaafc82377d6f47a24c1fbcc2eaf2

Peter Nowak