taz: Herr Hirsekorn, Sie sind Betriebsrat bei Volkswagen in Braunschweig und setzen sich dafür ein, dass Ihr Arbeitgeber klimafreundliche Verkehrsmittel statt Verbrenner baut. Wie kommt es, dass Sie bei Deutschlands größtem Autobauer arbeiten? …
… Hirsekorn: Es gab Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre in Braunschweig eine auf die Einwohnerzahl bezogen große Antifa- und Hausbesetzerbewegung. Die bestand aber nicht wie in vielen anderen Städten rein aus Abiturienten. Ich habe dann bei Volkswagen angefangen, weil ich einen Hauptschulabschluss habe und mir gesagt habe, ich muss von irgendwas leben. Da habe ich mir gesagt, na gut, bei VW kriegst du wenigstens noch halbwegs Geld für die beschissene Arbeit.
Damals hat Volkswagen wirklich noch die Tore weit aufgemacht. Wer vorbeigegangen ist und nicht schnell genug Nein gesagt hat, wurde reingesteckt ins Werk. Denn da wollte niemand arbeiten. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken an den Bändern sind teilweise nach wie vor schlecht. Das vergessen die Leute recht oft. Die vielen Nachtschichten, die Wochenendarbeit, der Lärm, der Dreck, die Hitze und Kälte.
taz: Ist Ihre zweijährige Kampagne für eine Verkehrswende bei der Belegschaft angekommen?
Hirsekorn: Die Diskussion hat nicht so viel bewirkt, weil sich große Teile der IG Metall nach wie vor im Prinzip darüber ausschweigen und Alternativen zum Auto kaum diskutieren. Trotzdem bemerkt man in der Belegschaft immer wieder, dass die Idee, wir könnten was anderes bauen als Autos, hängen geblieben ist.
taz: Woran machen Sie das fest?
Hirsekorn: Ich mache Seminare mit den Vertrauensleuten und auch mit „normalen“ Gewerkschaftsmitgliedern, auch zum Thema „Klima, Auto, Umwelt“. Da kommen immer wieder Leute, die sagen: Ja, wir können auch Straßenbahnen bauen.
taz: VW macht zwar noch Milliardengewinne, aber sie schrumpfen. Es werden weniger Fahrzeuge verkauft, Standorte sollen geschlossen, viele Kollegen entlassen werden. Ist so eine Krise nicht eine gute Chance für die Forderungen nach etwas Neuem?
Hirsekorn: Eigentlich ist das eine Traumsituation und wir müssten genau so weitermachen mit der Kampagne für die Verkehrswende. Es gibt einen Kreis von 40 Kolleginnen und Kollegen, verteilt über drei Werke, die kontinuierlich diskutieren und versuchen, das Thema Verkehrswende voranzutreiben.
taz: Arbeiten Sie mit Umweltgruppen zusammen?
Hirsekorn: Von den großen Umweltorganisationen höre ich im Moment eigentlich nichts. Greenpeace hat die Autoschlüssel auf die Zugspitze entführt und gefordert, dass noch mehr Elektroautos gebaut werden sollen.
taz: Die Umweltschützer hatten aus Protest Hunderte Schlüssel von VW-Fahrzeugen aus dem Werk in Emden geklaut und sie säckeweise auf dem besonders vom Klimawandel betroffenen Schneefernergletscher auf der Zugspitze ausgestellt.
Hirsekorn: Das halte ich nicht für sinnvoll. Aber selbstverständlich würde ich mir von den NGOs jetzt eine Unterstützung der Belegschaft wünschen. Eine Auslastung der Werke bekommen wir hoffentlich nur mit anderen Produkten hin. Da wünschte ich mir die inhaltliche Unterstützung von ADFC, BUND, Nabu und allen anderen. Wirklich vor Ort sind bisher nur Aktivistinnen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung, die schon die letzten zwei Jahre bei uns waren.
Interview: Peter Nowak