Pete White ist Gründer und Geschäftsführer des Los Angeles Commu­nity Action Network (LA CAN), einer Basisorganisation, die sich für günstigen Wohnraum und gegen Polizweigewalt in der kalifor­ni­schen Metropole einsetzt.

US-Armenviertel: »Es geht um Selbstermächtigung«

Pete White war im November Teilnehmer des Kongresses „Auseinandersetzungen um ‚das Soziale‘ – Hin zu einer bewegungsbasierten ethnografischen Sozial(staats)regimeanalyse“, der Mitte November in Berlin gemeinsam mit der Erwerbsloseninitiative Basta stattfand

Was sind die zentralen Ziele Ihrer Organisation? 

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… Unsere beiden zentralen Forderungen sind Wohnraum für alle und ein Ende der Polizeigewalt in unseren Stadtteilen. LA CAN setzt sich für die Beseitigung von Obdachlosigkeit und Armut in Los Angeles und insbesondere in der Skid Row in Downtown L. A. ein. Das ist eine Wohngegend mit einen besonders hohen Anteil armer Menschen. Unsere Vision für den sozialen Wandel basiert auf der Idee, dass diejenigen, die am meisten von diesen Problemen betroffen sind, an der Spitze der Bewegungen stehen sollten. Diese soll das System verändern, das Obdachlosigkeit, Armut, Gentrifizierung und Verdrängung, institutionellen Rassismus und schlechte Ernährung aufrechterhält. Wir gehen also von der Überzeugung aus, dass die Menschen, die am meisten unter dem System leiden, auch den triftigsten Grund haben, es zu verändern.


Wie setzt sich die Mitgliedschaft von LA CAN zusammen?

Seit der Gründung 1999 hat es sich LA CAN zur Aufgabe gemacht, Menschen, die von Armut betroffen sind, zu unterstützen, damit sie bei den Angelegenheiten, die sie direkt betreffen, auch mitentscheiden können. Es geht also um Selbstermächtigung. Dabei müssen die Menschen zunächst erkennen, dass nicht sie für ihre Armut verantwortlich sind, sondern die Gesellschaft.

Sind denn nicht auch arme Menschen für die Parolen, die nach mehr Sicherheit rufen, empfänglich und fordern mehr und nicht weniger Polizei?

Die Menschen erfahren immer wieder, wie die Polizei gegen sie vorgeht. Sie haben kein Vertrauen in sie. Zudem ist bekannt, dass sehr viel mehr Geld für die Polizei als für Soziales ausgegeben wird. Daher ist unsere Forderung sehr populär, das Geld statt für Polizei für mehr bezahlbaren Wohnraum oder eine bessere Gesundheitsversorgung für alle auszugeben.

In L. A. regieren Bürgermeister von der Demokratischen Partei. Wie sieht die Zusammenarbeit mit diesen Politiker*innen aus?

Das ist ein langjähriger Streitpunkt. Wir haben immer wieder gesehen, dass ehemalige linke Aktivist*innen auch mit unserer Unterstützung in das Amt gewählt werden. Doch schon nach kurzer Zeit wollen sie von ihrer linken Vergangenheit nichts mehr wissen und machen eine Politik im Interesse des Kapitals. Dazu gehört auch die gegenwärtige Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass. Sie stand in ihrer Jugend und während ihrer Studienzeit weit links, manche sagten sogar, sie war Kommunistin. Heute fordert sie mehr Polizei und unterstützt die neoliberale Politik ihrer Partei.

Ist es also ein Fehler, die Demokratische Partei bei Wahlen zu unterstützen?

Eigentlich müsste es in den USA eine (relevante) dritte Partei geben, damit die Menschen nicht immer gezwungen sind, das vermeintlich kleinere Übel zu wählen. Aber das ist angesichts des Parteiensystems in den USA nicht so einfach. Die Diskussion wird schon seit vielen Jahren geführt. Vor allem aber wäre es eine Frage, die die gesamte USA betrifft und nicht in einer Stadt zu lösen ist.

Sehen Sie in der Wohnungspolitik in L. A. Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien?

Der Hauptunterschied besteht wohl darin, dass es bei Politiker*innen in der Demokratischen Partei einfacher ist, Druck von links auszuüben. Doch dafür sind starke Basisorganisationen erforderlich.

Können Sie ein Beispiel für erfolgreichen Druck auf die Politik nennen?

Es gab Planungen, unseren Stadtteil im Sinne der Reichen zu gentrifizieren. Die Pläne dazu wurden veröffentlicht, alle konnten dort hingehen und mit diskutieren. Wir von LA CAN haben dazu aufgerufen, dass die Menschen aus dem Stadtteil sich die Pläne ansehen und sich dazu zu äußern. Sie haben sich dann selber davon überzeugen können, dass sie in diesem für die Reichen geplanten Stadtteil nicht vorkommen. Es waren nur wohlhabende Menschen mit weißen Gesichtern auf den Bildern zu sehen, mit denen für das Projekt geworben wurde. Der Protest war groß und nicht erfolglos. Die Pläne wurden geändert, und es wurden 17 000 bezahlbare Wohneinheiten gebaut. Das zeigt, dass es möglich ist, mit öffentlichem Protest Druck auf Politiker*innen der Demokratischen Partei aufzubauen.

Hat LA CAN Kontakt zu den Gewerkschaften in L. A.?

Hier würde ich unterscheiden zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und den einfachen Mitgliedern. Die Gewerkschaftsspitze ist meist sehr staatstreu und setzt sich kaum für schwarze Menschen ein. Anders sieht es in der Basis der Gewerkschaften aus. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Streiks von schwarzen Beschäftigten, die von der Gewerkschaftsspitze nicht gewollt waren und sogar regelrecht abgelehnt wurden. Wir unterstützen diese Gewerkschafter*innen an der Basis in ihren Kampf. Unser Ziel ist es, dass Gewerkschaften und Stadtteilaktivist*innen gemeinsam kämpfen. Interview: Peter Nowak

Leserbrief zum Interview im nd:


Nach der Wahl sehr vergesslich
Zu »Es geht um Selbstermächtigung«, 29.11., S. 6; dasnd.de/1178110

Mein Mitgefühl für Pete White, der in Los Angeles Menschen in den Armenvierteln organisiert. An die Parteipolitik hat er eher geringe Er- wartungen. Hier ist es genauso:
Vor der Wahl links – nach der Wahl seeehr vergesslich. Was interessiert mich heut mein Geschwätz von gestern … Amerikanischer Elektro- autobauer, Panzerhersteller oder Pharmariese sollte man schon sein, wenn man von den hiesigen Ge- nossen oder Grünen paar Milliarden geschenkt haben möchte. Agrarmulti oder Immobilienhai läuft auch ganz okay. Pazifist oder Kleinbauer geht momentan nicht so gut.
Boris Krumm, per E-Mail