Boris »Ad« Buster über den subversiven Charakter satirischer Plakatverfremdung

»Eine simple Aktionsform«

Boris »Ad« Buster ist Gründungsmitglied des Berlin Busters Social Club. Laut Selbstbeschreibung »sammelt, kuratiert und archiviert« der Club »Mythen, Geschichten und Legenden« der Berliner Kommunikationsguerilla-Szene.

Der Berlin Busters Club kann als Freundeskreis von Adbusting bezeichnet werden. Was macht für Sie die Faszination dieser speziellen Kunstform aus?

… Ein Werbeplakat mit dem Stift zu ergänzen, einen Buchstaben oder ein Wort zu überkleben oder zu übermalen: Das ist unglaublich einfach und naheliegend. Jede*r hat bestimmt schon einmal dieses Kribbeln in den Fingern gehabt und sich geärgert, gerade keinen Pumpstift dabei zu haben…

Wie haben Sie Gleichgesinnte gefunden?

Wir Club-Gründungsmitglieder haben uns an der Uni in der Studierendenvertretung kennengelernt. Adbustian Bustewka, Buster Keaten, Caroline Überklebdenstuß, Bonny Buster, Sonja Brünzels und ich haben für Fachschaftsfahrten einen Workshop zu Sexismus vorbereitet. Aus irgendeinem Grund kamen wir auf die Idee, die Teilnehmerinnen den Inhalt mittels sexistischer Werbemotive selbstständig erarbeiten zu lassen. In der Recherche stießen wir zum ersten Mal auch auf Adbustings. Nach den Workshops zu Se- xismus in der Werbung waren wir begeistert davon, wie gut und intuitiv das Durchdringen der doch recht komplexen Inhalte funktionierte. So entdeckten wir, dass Werbeleute unglaublich gut darin sind, gesellschaftliche Vorstellungswelten in Bilderwelten zu transformieren. Und dass diese ansonsten abstrakten und schwer fassbaren ideologischen Vor- stellungswelten in den Motiven der Werbung auf einmal sichtbar, besprechbar und intuitiv kritisierbar werden.

Warum haben Sie den Aliasnamen Boris Buster gewählt?
Der Book Release zu unserem Buch »Unerhört: Adbusting gegen die Gesamtscheiße« 2019 fand in einer wilden Zeit statt. Das Landeskriminalamt Berlin trat bei Leuten, die sie des Adbustings verdächtigten, die Türen ein und sammelte DNA-Analysen. Das Bundesamt für Verfassungsschmutz warnte in sei- nem Jahresbericht vor Adbusting. Das Terrorabwehrzentrum GETZ beschäftigte sich viermal mit der Aktionsform. Da waren wir leicht paranoid und haben uns eine lustige multiple Identität ausgedacht, die die Erwar- tungshaltungen an das Auftreten von Politkunstkollektiven persifliert.

Sie schreiben, dass Ihre Arbeit zur Entkriminalisierung von Adbusting-Aktionen beigetragen hat. Wie kam es dazu?
Oh, die Formulierung würde unseren Anteil daran massiv übertreiben. Nach den allerersten Bundeswehr-Adbustings 2015 stellte das LKA zweieinhalb Beamte ab, um die nächsten Jahre Adbuster*innen zu jagen. 2018, nach den Polizei-Adbustings zum Polizeikongress, reichte es dem LKA, und sie machten Hausdurchsuchungen bei Leuten, von denen sie dachten, dass die zum Kollek- tiv »Dies Irae« gehören. Als deren Prozesstermin für Oktober 2019 feststand, holte »Dies Irae« Akteure, die sich in Berlin mit Adbusting beschäftigten, an einen Tisch und gründete die Soligruppe »Plakativ«. Wir haben mitgemacht, weil wir das Ausmaß des polizeilichen Handelns grob unverhältnismäßig fanden. Die Soligruppe organisierte Prozessbegleitung, Öffentlichkeitsarbeit, das Suchen von weiteren Betroffenen, parlamentarische Anfragen, eine Verfassungsbeschwerde, die immer noch läuft, und wurde dabei immer wieder von aktiven Kommunikationsguerilla-Kollektiven mit plakativen Aktionen unterstützt. All das führte dazu, dass die Behörden keine Lust mehr hatten, Fragen à la »Warum sind beklebte Plakate viermal Thema in Sitzungen des Terrorabwehrzentrums?« zu beantworten.

Und warum rechnen Sie es der Adbusting- Szene zu, dass in Berlin der Tag der Bun- deswehr nicht mehr zelebriert wird?

2020 wollte die Bundeswehr den »Tag der Bundeswehr« zusammen mit einem Volksfest in Tegel feiern. Doch irgendwelche fiesen, gemeinen Chaot*innen liehen sich die Insignien des Bürgermeisters Frank Balzer aus und ver- teilten unerlaubt in seinem Namen ein Flugblatt. Angesichts von Covid habe der Bürgermeister erkannt, dass Aufrüstung und Militär nicht helfen, und er fordere, das viele Geld lieber ins Gesundheitswesen und den Sozialbereich zu stecken. Um ein Zeichen zu set- zen, habe er deshalb die Kooperation mit dem Militär beendet und den »Tag der Bundeswehr« abgesagt. Die Chaot*innen fälschten dann auch noch gleich das Dementi, das Balzer in ein angemessen rechtes Licht stellte. Und dann schlug Covid so richtig zu, und der »Tag der Bundeswehr« wurde für drei Jahre wirklich abgesagt.

Wie ging es dann weiter?

Dies nutzten Adbusting-Künstler*innen, um an dem Datum einen »Tag OHNE Bundeswehr« zu feiern. Die Adbustings von 2020, 2021, 2022 gingen viral; sie hängen mittlerweile sogar im Bundeswehr-Museum in Dresden, gleich neben Bildern von zerschossenen Panzerfahrzeugen. 2022 plante die Bundeswehr ihren Festtag bereits nicht mehr in der Öffentlichkeit auf dem Fest am Tegeler See, sondern hinter Mauern und Stacheldraht in der Leber-Kaserne. 2023 verzichtete die Bundeswehr ganz auf entsprechende Planungen in Berlin. Gunnar Schupelius schäumte in der »Bild«-Zeitung: »Bundeswehr weicht in Berlin vor Linksextremisten zurück!« Das feierten Adbuster*innen wiederum, indem sie in Tegel Werbevitrinen ka- perten, das Design der CDU-Truppe »I love Tegel« klauten und verkündeten: »We love Tegel! Denn hier traut sich die Bundeswehr nicht her.«

Die Werbeposter der Polizei sollen sich auch wegen Adbustings verringert haben? Seit 2016 hat die Berliner Polizei regelmäßig massiv Werbung mit City Lights gemacht, im September 2020 jedoch das letzte Mal. Eine Kommunikationsguerilla machte damals aus »Wir schützen auch das Recht, gegen uns zu sein« mit wenigen Handgriffen: »Wir schei- ßen auf das Recht, gegen uns sein!« Aus »Wir wollen wachsen, nicht nur größer werden« wurde ruckzuck: »Wir sind #Nazi-Netzwerk, nur größer«. Die Polizei wies die Kritik empört zurück, und am nächsten Tag veröffent- lichte das ARD-Politmagazin »Monitor«, dass gerade gegen jede Menge Berliner Cops we- gen Nazi-Kram ermittelt werde. Das war das letzte Mal, dass die Berliner Polizei im gro- ßen Stil Werbevitrinen im öffentlichen Nah- verkehr mietete. Was wir stattdessen sehen, sind diverse Experimente mit Online-Wer- bung und deutlich seltener das gezielte An- mieten von digitalen Werbeanlagen in Bahn- höfen. Oder einige wenige Großplakate, die so platziert sind, dass die Adbuster*innen über die Gleise und Stromführungsschienen klettern müssten, bevor sie an das Poster gelangen. Dazu muss man wissen: Die Polizei Berlin hat nur verhältnismäßig wenig Geld für Werbung, etwa eine halbe Million. Die BVG hat schon 4,5 Millionen und die Bundeswehr über 40 Millionen. Kein Wunder, dass die Polizei angesichts des Adbustings überlegt, wie sie ihr Werbegeld besser investieren kann.

Hat satirische Plakatverfremdung wirklich so eine große politische Bedeutung?
Es gibt irgendetwas zwischen 3000 und 6000 Werbevitrinen in der Stadt, die Adbuster*innen kommen selten über 50 Poster. Dafür, was für eine simple und billige Aktionsform das ist, hat Adbusting eine enorme Wirkung.

Sie hatten bereits erwähnt, dass es Adbus- tings sogar in die Ausstellung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden geschafft haben. Sehen Sie das als Erfolg oder als Vereinnahmungsversuch? Beides. Auf der einen Seite unterstreicht es die Wirkmächtigkeit der Aktion, wenn ein Militärmuseum sie als einen bedeutsamen Teil der Geschichte der »Bundeswehr in der Ära Merkel« begreift. Auf der anderen Seite hat das Museum die Deutungshoheit darüber, in welchen Kontext es die Poster stellt und wie es diese einordnen möchte. Daraus macht es einen Vereinnahmungsversuch nach dem Motto »Wir kämpfen für das Recht, gegen uns zu sein«. Da die Plakate aber ernst zu nehmende Probleme wie Nazis im Militär ansprechen, wird auch dieser Kritik ein Raum gegeben. Das ist ambivalent.

Planen Sie weitere Aktionen, oder wollen Sie sich irgendwann zur Ruhe setzen? Das ist ein Missverständnis: Wir machen nie Aktionen, wir reden immer nur drüber. Und wenn doch, dann nur im Wohnzimmer oder im Vereinsheim. Interview: Peter Nowak