
Klaus Meier ist Taxi-Soziallotse in Berlin. Seit mehr als dreißig Jahren fährt er Taxi. Im Hauptberuf kümmert er sich jetzt um die angestellten und selbstständigen Mitarbeiter:innen der Berliner Taxi- und Mietwagenbetriebe. Er informiert bei Bedarf über sozial- und arbeitsrechtliche Beratungs- und Hilfsangebote, die Taxifahrer:innen weiterhelfen können. Die etwa 20.000 Fahrer:innen von Berliner Taxis und taxi-ähnlichen Mietwagen verdienen oft weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Viele befinden sich durch ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in …
… verfestigten Notlagen. Arbeitsrecht, Lohnfortzahlung bei Krankheit und Urlaub sind für sie häufig Fremdworte. Durch den Wandel des Taxigewerbes weg von Ein-Wagen-Betrieben zu größeren Unternehmen mit bis zu 100 Fahrzeugen und Angestellten nehmen diese Probleme seit den 1990er-Jahren zu.
Wie bist du Taxi-Soziallotse geworden?
Klaus Meier: Ich wollte schon lange etwas dagegen tun, dass sich die Berliner Taxifahrer:innen nie gegen ihre miese Bezahlung und Arbeitssituation wehren. Ich habe die Entwicklung des Senatsprojekts Solidarisches Grundeinkommen (SGE) aufmerksam verfolgt, das Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos waren, wieder in den ersten Arbeitsmarkt bringen soll. Ich habe dann gemeinsam mit dem Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ) das Konzept Taxi-Soziallotse entwickelt und beantragt. Es wurde bewilligt und so konnte mich das BALZ als ersten Berliner Taxi-Soziallotsen einstellen. Das SGE ist der zeitlich begrenzte Test einer Alternative zu Hartz IV. Deshalb gibt es nur mich als Taxi-Soziallotsen, obwohl wir wegen der vielen Probleme der Kolleg:innen im Taxigewerbe mehr Soziallotsen bräuchten.
Und was machst du als Soziallotse?
Meine wichtigste Aufgabe besteht darin, den Berliner Taxifahrer:innen Hilfestellung dabei zu geben, Auswege aus ihren wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu finden. Es geht zu Beispiel darum, ob sie Arbeitslosengeld II als Aufstocker:innen erhalten können. Selbstfahrenden Unternehmer:innen vermittle ich auch Beratungen. Ich berichte auch über die Lage der Kolleg:innen, die bisher weitgehend unbekannt ist.
Hat sich deine Arbeit unter Corona-Bedingungen verändert?
In der Tat sind durch die Pandemie viele neue Fragen aufgekommen. So haben mich Kolleg:innen gefragt, ob ihnen ihr Chef das Kurzarbeitergeld korrekt auszahlt. Der dramatische Einnahmeverlust macht auch jahrelang praktizierte illegale Ausbeutung sichtbar, wenn Kolleg:innen nicht mehr weiter wissen.
Warum hast du selbst mit dem Taxifahren aufgehört?
Ich fahre seit 1985 Taxi und musste 2017 eine Zeit lang damit aufhören, weil ich schwer erkrankt war. Das lag vor allem am Stress durch zunehmenden Verkehr, an den Abgasen und den immer aggressiveren Verkehrsteilnehmer:innen.
Ende Februar wurde ein Fall von besonders schwerem Lohnraub im Taxigewerbe vor dem Berliner Arbeitsgericht verhandelt. Wie bist du auf diesen Kollegen aufmerksam geworden?
Der Kollege wurde vom BALZ an mich verwiesen, weil er große Probleme hatte. Er befand sich in akuten finanziellen Nöten, so dass ihm sogar der Wohnungsverlust drohte. Der Abgleich seiner Arbeitszeitaufzeichnungen und Lohnabrechnungen mit dem Lohn, den er nachweislich erhalten hatte zeigte, dass ihm sein Chef nur einen Bruchteil des ihm zustehenden Lohns bezahlt hatte. Ihm wurden über mehrere Jahre bis zu 70.000 Euro Lohn vorenthalten. Vor Gericht wird jetzt über Grundlage und genaue Höhe seines Anspruchs verhandelt. Es kam zu keiner Einigung. Am 22. Juni 2021 ist um 11 Uhr der nächste Verhandlungstermin vor dem Berliner Arbeitsgericht.
Handelt es sich dabei um einen Einzelfall?
Das Ausmaß des Lohnraubs ist ein Extremfall. Doch es ist bekannt, dass fast alle Berliner Taxibetriebe Löhne zahlen, die weit unter dem Mindestlohn liegen. Sie nutzen ein Zusatzgerät zum Taxameter, um die Warte- und Bereitschaftszeiten an Halteplätzen als Pausen zu erfassen, so dass die Fahrer:innen nur eine Umsatzprovision von etwa 45 Prozent erhalten. Dabei hat das Berliner Landesarbeitsgericht bereits 2018 in einem Urteil festgestellt, dass die Erfassung von Arbeitszeiten auf diese Weise unzulässig ist. Die Kolleg:innen werden um einen großen Teil ihres Lohns betrogen.
Wäre das nicht ein Fall für die Gewerkschaften?
Es gibt die AG Taxi bei ver.di Berlin, die seit Jahren auf das Problem aufmerksam macht. Ich beginne durch meine Gespräche mit vielen Taxifahrer:innen zu verstehen, warum sich so wenige gewerkschaftlich organisieren. Viele sehen ihre Situation als alternativlos und haben Angst vor negativen Folgen, wenn sie sich wehren und protestieren. Deshalb richtet sich ihr Protest nur gegen Uber und so gut wie nie gegen ihre eigenen Betriebe.
Verschärft sich die Situation der Taxifahrer*innen durch Uber in Berlin?
Im Jahr 2018 sind die Einnahmen der Berliner Taxis durch die Uber-Wagen um 20 bis 30 Prozent gesunken. Ursprünglich konnte ich nicht glauben, dass Uber in Berlin Fuß fassen würde, weil die Taxifahrer:innen schon so schlecht bezahlt wurden, dass ihre Entlohnung eigentlich nicht unterboten werden konnte. Seitdem jedoch Bundesverkehrsminister Scheuer die Prüfung zum Führerschein für Mietwagen abgeschafft hat, finden sich Menschen in besonderen Notlagen, die bereit sind, für noch weniger Geld als die Taxifahrer:innen zu arbeiten.
Interview: Peter Nowak i
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