Rheinmetall will kommendes Jahr im Berliner Stadtteil Wedding Munition produzieren. Das Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ mobilisiert dagegen. Ein Gespräch über Kriegswirtschaft, neue Bedingungen und antimilitaristischen Protest

Protest gegen Rheinmetall: „Wir brauchen Geld für den Kiez, nicht für den Krieg“

Jonah Fischer ist aktiv im Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“. Das Bündnis wurde 2018 gegründet, als die türkische Armee die nordsyrische Region Afrin attackiert hatte. Bei den Kämpfen verwendete die Türkei Leopard-2 Panzer, die Rheinmetall in Kooperation mit anderen Rüstungskonzernen hergestellt hatte. Die Aktivist*innen organisierten daraufhin ein erstes Protestcamp in Unterlüß.

Erstmals seit Jahrzehnten will Rheinmetall in Berlin wieder Rüstungsgüter produzieren. Für manche ist das ein Ausweg aus der Wirtschaftskrise, für andere ein Tabubruch. Zu den Gegnern des Rüstungskonzerns gehört auch das bundesweite Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“. Seit 2018 organisiert es unter dem Motto „Krieg beginnt hier“ Proteste gegen Rheinmetall. Der Freitag sprach mit dem Aktivisten Jonah Fischer über die Ursprünge der Bewegung und Widerstandsmöglichkeiten in Zeiten …

… von Rüstungs-Keynesianismus und militaristischer Stimmungsmache.

der Freitag: Im kommenden Jahr soll auch im Berliner Stadtteil Wedding ein Rheinmetall-Werk Rüstungsgüter produzieren. Sie sind Teil eines Bündnisses, das dagegen mobilisiert. Wie kam es dazu?

Jonah Fischer: Als bekannt wurde, dass Rheinmetall seine Tochterfirma Pierburg im Wedding umstellt und ab Sommer 2026 statt Autoteile Munition herstellen will, hat sich sofort ein Bündnis aus verschiedenen linken Gruppen und Einzelpersonen gebildet, um dagegen aktiv zu werden. Das war im April dieses Jahres. Seitdem ist der Umbau der Fabrik in vollem Gange. Aber auch das Bündnis ist stark gewachsen. Als Rheinmetall Entwaffnen Berlin sind wir Teil davon. Zusammen haben wir in diesem Jahr zwei große Demonstrationen und verschiedene Infostände organisiert. Wir brauchen Geld für den Kiez, statt Waffen für den Krieg.

Warum haben Sie sich als Bündnis besonders auf Rheinmetall konzentriert, wo es doch auch andere Rüstungskonzerne gibt?

Rheinmetall hat im Vergleich mit anderen deutschen Rüstungskonzernen schon immer eine besondere Rolle in der Munitionsproduktion für Panzer, Artillerie und Bomben eingenommen. Bereits Mitte der 2010er Jahre konnte man davon sprechen, dass Rheinmetall weltweit Kriege produziert und weiter befeuert. Inzwischen hat Rheinmetall als der größte deutsche Rüstungskonzern eine Kernfunktion in der deutschen und europäischen Militarisierung eingenommen. Der Aufbau einer Kriegswirtschaft wird von Rheinmetall so maßgeblich mitgestaltet und europäische Pläne zur Konsolidierung würden Rheinmetall neben anderen deutschen und französischen Firmen an die Spitze der rüstungsindustriellen Basis der EU setzen. Natürlich haben wir mit unseren Aktionen aber auch andere Rüstungskonzerne ins Visier genommen.

In den vergangenen Jahren hat Rheinmetall an Bedeutung gewonnen. Sehen Sie das als Niederlage?

Die schiere Beschleunigung, die die Militarisierung seit 2022 erfahren hat und damit auch die Bedeutung Rheinmetalls gestärkt hat, hat uns zwar erschüttert, uns allerdings kein Gefühl von Niederlage gegeben. Im Gegenteil: Seit 2022 war uns umso klarer, wie wichtig antimilitaristischer Protest ist. Unsere Camps sind seitdem stetig gewachsen und haben denen eine Stimme gegeben, die die angebliche Alternativlosigkeit von Krieg und Aufrüstung nicht hinnehmen wollten.

Was bedeutet der Boom der Rüstungsindustrie für die Organisierung von Protest? 

Früher waren Konzerne wie Rheinmetall auch in der Mehrheitsgesellschaft eher ungern gesehen und haben sich aus dem Rampenlicht größtenteils herausgehalten. Unser Protest hatte erstmal zum Ziel, deren Machenschaften überhaupt ans Licht zu bringen. Inzwischen kämpfen wir da schon gegen eine hegemoniale Entwicklung und gegen eine Politik, in der Militär, Kriegspolitiker*innen und Rüstungsindustrie direkt miteinander den Umbau der Gesellschaft umsetzen.

Welches Ziel verfolgen Sie genau – etwa im Wedding?

Ziel ist es, die Umstellung von ziviler auf militärische Produktion und die umfassende Militarisierung weiterer Bereiche zu stoppen. Die Fabrik im Wedding ist da nur der Anfang. Wie ein solcher Widerstand geht, können wir in anderen Ländern, beispielsweise an den Streiks der Hafenarbeiter:innen in Genua, sehen. Über Nachbarschafts- und Betriebsarbeit sowie direkte Aktionen auf der Straße wollen wir eine starke Bewegung gegen Waffenproduktion in Berlin aufbauen.

Bei Ihnen sind viele jüngere Menschen aktiv, die vielleicht nicht zu den Veranstaltungen der traditionellen Friedensbewegung gehen. Haben Sie den Anspruch, eine neue antimilitaristische Bewegung zu sein?

Es stimmt, dass wir ein generationsübergreifendes Bündnis sind und neben Bildung und Vernetzung auch aktionistische Angebote machen, die nun mal vor allem jüngere Menschen begeistern. Außerdem betonen wir immer, dass wir zwar antimilitaristisch, jedoch nicht pazifistisch sind, was uns von vielen Teilen der „klassischeren“ Friedensbewegung unterscheidet. Allerdings haben wir auch viele Schnittpunkte und freuen uns immer, wenn es funktioniert, möglichst viele Spektren der linken antimilitaristischen Bewegung zusammenzubringen. Wir wollen unseren Teil zur Entstehung einer neuen antimilitaristischen Bewegung beitragen.

Jährlich organisieren Sie ein antimilitaristisches Camp, wo sie unter anderem auf Kriegsprofiteure aufmerksam machen. Welche Aktivitäten machen Sie darüber hinaus?

Im Mai 2019 gab es bei der Aktionärsversammlung Rheinmetalls einen Bühnensturm – seitdem, aber natürlich auch wegen Corona, finden diese Versammlungen nur noch digital und hoch abgesichert statt. Außerdem gab es 2023 eine Besetzung des Grünen-Büros in Berlin zum 8. März, dem Kampftag für die Rechte der Frauen. Die Besetzung hatte den angeblich feministischen Militarismus des linksliberalen Lagers kritisiert. Zudem gab es immer wieder dezentrale Aktionen und Beteiligung an Protesten wie dem Antikriegstag.

Welche Aktivitäten werden Sie im kommenden Jahr verfolgen?

Auf jeden Fall wird es im September 2026 ein nächstes Camp geben. Der Ort wird allerdings erst im neuen Jahr bekannt gegeben. Aktuell beschäftigen wir uns viel mit dem Thema Wehrpflicht und planen in der ersten Hälfte des Jahres hierzu verschiedene Aktionen. Interview:Peter Nowak