Protestlauf mit Rollstuhl

Um auf die Lage von pflegenden Angehörigen aufmerksam zu machen, lief Arnold Schnittger von Hamburg nach Berlin

Arnold Schnittger ist 66 Jahre alt und Vater eines behinderten Sohnes. Der ehemalige Fotograf ist Autor des Buches »Ich berühr’ den Himmel«, in dem er über die Situation eines pflegenden Vaters berichtet und das über info@nicosfarm.de bezogen werden kann. Am Freitagnachmittag endete sein Protestlauf mit dem Rollstuhl seines Sohnes, der am 24. März in Hamburg begonnen hatte, vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

Was war der Grund Ihres ungewöhnlichen Marsches?
Es war ein Protest gegen die Ernennung von Jens Spahn zum Gesundheitsminister. Ich hatte diesen Marsch über Facebook und mit einen Offenen Brief an den neuen Minister für Gesundheit angekündigt.

Was stört Sie an Jens Spahn?

Er ist mir länger schon als besonders empathieloser Politiker aufgefallen. Seine Lobbytätigkeit für die Pharmaindustrie will ich da nur als Beispiel nennen. Dazu kamen seine jüngsten Äußerungen über Hartz IV als soziale Maßnahme. Aber eigentlich war die Ernennung von Jens Spahn nur der auslösende Faktor. Mein Protest richtet sich gegen die Politik von Angela Merkel, die nicht erst mit der Ernennung von Jens Spahn den Menschen in den Rücken gefallen ist, die tagtäglich Angehörige pflegen.

Sie sind als Vater eines behinderten Sohnes ein Betroffener. Was kritisieren Sie?

Die katastrophale Pflegepolitik ist dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen keine Zeit mehr haben, einer Lohnarbeit nachzugehen, weil sie Angehörige pflegen. Sie landen dann unter Hartz IV und sind den ganzen Demütigungen ausgesetzt, die damit verbunden sind.


Können Sie ein Beispiel nennen?

Es geht ja nicht nur um das Geld. Es geht um die zahlreichen Restriktionen des Hartz-IV-Systems. Dazu gehört beispielsweise, dass auch Angehörige von Behinderten regelmäßig beim Jobcenter erscheinen müssen. Sie können nicht einfach für einige Tage die Stadt verlassen, weil sie dem Jobcenter zur Verfügung stehen müssen. Dass bedeutet, dass ich mit meinem Sohn nicht einfach für einige Tage zu Verwandten nach München fahren kann. Das ist eine reale Einschränkung. Wir werden von Jobcentern so behandelt, als hätten wir keine Arbeit. Aber das ist überhaupt nicht wahr. Wir sind mit der Pflege rund um die Uhr beschäftigt. Das ist ja auch der Grund, warum wir keinen weiteren Beruf mehr ausüben können. Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Arbeit von den Jobcentern nicht genügend anerkannt wird.

Welche Folgen hat diese Missachtung für die Betroffenen?

Sie werden oft selber zum Pflegefall und geraten in die gesellschaftliche Isolation. Statt auf Verständnis und Hilfe stoßen viele Betroffene bei Mitmenschen auf Kopfschütteln und Intoleranz.

Die Zahl der Menschen, die Verwandte oder ihre Eltern pflegen, nimmt zu. Haben Sie sich mit anderen Betroffenen zusammengetan?

Das ist schwierig. Pflegende Angehörige sind oft so mit ihrer Arbeit beschäftigt und danach völlig ausgepowert, dass sie keine Kapazitäten haben, um noch Protest zu organisieren. Daher war es mit dem Protestmarsch auch ein wichtiges Ziel von mir, eine Debatte über die Pflege anzustoßen.

Ist Ihnen das gelungen?

Ja. Es gab viele Gespräche und Begegnungen. Ich habe auf dem Blog inwendig-warm.de ausführlich über die Tour berichtet. Sehr erfreulich war es auch, dass ich von anderen Menschen, die Angehörige pflegen, kontaktiert wurde. Das will ich mit meinen Aktionen erreichen.

Haben Sie auch von der Politik oder den Gewerkschaften Unterstützung bekommen?

Von den politischen Parteien hat mich nur die LINKE unterstützt. Ein ver.di-Mitglied hat die Kundgebung vor dem Gesundheitsministerium in Berlin angemeldet. Aber insgesamt bin ich über die zögerliche Haltung von ver.di enttäuscht. Mir ist klar, dass es im Pflegebereich nicht so einfach möglich ist, so zu streiken wie bei der Eisenbahn. Aber wäre da nicht mehr möglich?

»Wir müssen reden«, stand auf dem Plakat, das sie bei dem Marsch trugen. Hat sich der neue Gesundheitsminister bei Ihnen gemeldet?

Nein, von ihm und seinem Büro gab es keinerlei Reaktionen.

Interview: Peter Nowak