Griechenland im Koma?

Kirsten Schubert, Referentin für Gesundheit bei Medico International

nd: Gemeinsam mit Ärzten von Medico International und dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte haben Sie Ende Februar Griechenland besucht. Mit welchen Erkenntnissen?
Schubert: Bei unseren Gesprächen mit Ärzten, Aktivisten und Politiker in Athen und Thessaloniki wurde sehr schnell klar, dass die Medienberichte zutreffen. Dass die Krise massive Konsequenzen für den medizinischen Sektor hat.

2.) Können Sie ein Beispiel nennen?
K.S. Wir haben das das größte Athener Krankenhaus besucht. Dort haben uns die Ärzte mitgeteilt, dass ein Großteil der Patienten nicht mehr krankenversichert ist. Die offiziellen Zahlen liegen bei 30 %, in der Realität aber liegen sie bei bis zu 50%. Ein Teil der Arbeit der Ärzte besteht mittlerweile darin, dafür zu sorge, dass die Patienten an ihre Behandlungsmöglichkeiten kommen, auch wenn sie nicht krankenversichert sind. Da gibt es kreative Ideen. Manche Ärzte raten ihren Patienten beispielsweise nachts aus der Klinik zu verschwinden.

3.) Welche Menschengruppen sind am stärksten von der Krise im Gesundheitswesen betroffen?
Das sind Patienten mit psychischen Problemen und chronisch Kranke. Die kommen oft nicht mehr an ihrer dringend benötigenden Medikamente oder gehen zu spät zum Arzt. Die folge ist dann in einer schleichender Tod.

4.) Wie ist die Situation im Bereich der Psychiatrie?
Dort ist die Situation besonders katastrophal. Es ist schließlich die Politik der Troika hier besonders starke Einsparungen vorzunehmen. Die Rede ist von Kürzungen von bis zu 40 %. überlaufen. Wir haben eine psychiatrische Abteilung des größten griechischen Krankenhauses besucht. Dort lagen mindestens 20 Patienten auf Pritschen im Flur.

5.) Wie gehen die Ärzte und Patienten mit der Situation um?

Wir haben zwei solidarische Klinken besucht, die von Ärzten, Patienten und sozialen Initiativen gegründet worden sind. Dort werden nichtversicherte Patienten behandelt. Die Finanzierung läuft ausschließlich auf Spendenbasis. Dabei haben wir bei unseren Besuch sehr kreative Ideen erlebt. Eine Nachbarschaftsinitative hat zu einem Fest eingeladen, auf den Speisen und Getränke verkauft wurden. Die Einnahmen kommen der solidarischen Klinik zu gute. Andere Gruppen organisieren Veranstaltungen, um die Klinik zu finanzieren.

6.) Geht es dabei nur um medizinische Hilfe?
Die solidarischen Kliniken sind ein gutes Beispiel für eine soziale und politische Initiative. Wir haben eine Demonstration besucht, wo es um die Forderung nach gesundheitlicher Versorgung für Alle gegangen ist. Dabei ist die Kooperation zwischen Medizinern, Patienten und sozialen Initiativen aus der Stadtteil eine wichtige Grundlage.

7.) Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus dem Besuch?
Wir haben in dem griechischen Gesundheitssystem Phänomene wieder gefunden, die Medico in den 70er und 80er Jahren in Lateinamerika angeklagt hat. Auch dort waren sie eine Folge der Strukturanpassungsmaßnahmen, die zu einem massiven Einschnitt bei sozialen Leistungen auch im Gesundheitswesen führten. Diesen Zusammenhang wollen herstellen und die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigen, wie die solidarischen Klinken unterstützt werden können
https://www.neues-deutschland.de/artikel/814891.griechenland-im-koma.html
Interview: Peter Nowak


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