Aber: Wie weit darf deren Selbstorganisation gehen?
Am Mittwoch organisiert die neonazistische NPD eine Wahlkampftour, die bewusst im Stadtteil Hellersdorf endete, wo es seit Wochen Streit um eine Unterkunft für Flüchtlinge gibt. Neben der NPD nutzte auch die rechtspopulistische Probewegung die Stimmung gegen die Flüchtlinge für ihren Wahlkampf. Doch Hellersdorf ist keine Ausnahme. Auch in Duisburg wird seit Wochen über ein von Roma bewohntes Haus gestritten [1].
Dabei werden ganz offen rassistische Ressentiments mobilisiert. Mit Sorge wird diese Entwicklung von einer Gruppe Wissenschaftler verfolgt, die unter dem Motto Solidarität statt Rassismus einen Aufruf [2] gestartet haben. „Es ist Zeit, den Rassismus zu stoppen“, lautet die Botschaft.
In dem Aufruf werden Parallelen zur innenpolitischen Situation vor mehr als 20 Jahren gezogen, als Flüchtlingsheime branden oder von einem Mob aus Neonazis und empörten Bürgern belagert wurden. Allerdings werden auch die Veränderungen betont:
„Zwar unterscheidet sich die Situation heute, wenn selbst die BILD-Zeitung in den rassistischen Aktionen von Hellersdorf eine ‚Schande für die Hauptstadt‘ entdeckt und die politischen und gesellschaftlichen Eliten nicht müde werden, die Bürger für den Einsatz gegen Nazis und für die ‚Vielfalt‘ ihrer Städte zu loben. Auch der institutionelle Rassismus der Behörden selbst verliert infolge der unglaublichen Serie rassistisch motivierten Wegschauens gegenüber tödlicher Gewalt durch NSU und andere organisierte Nazis seine öffentliche Legitimation. Und auch die bei Personenkontrollen angewandte Methode des ‚Racial Profiling‘ wurde gerichtlich für illegitim erklärt.“
Doch für die Unterzeichner überwiegen die Kontinuitäten:
„Die 1993 beschlossenen Gesetze gelten bis heute und ihre deutsch-nationale Logik beflügelt weiterhin rassistische Argumentationen: Die Reden von der Unvereinbarkeit von Islam und ‚westlicher Wertegemeinschaft‘ ebenso wie die von den ‚Fluten‘ südosteuropäischer ‚Armutsflüchtlinge‘, vom ’sozialen Sprengstoff‘ und von ‚überforderten‘ Kommunen folgen den bekannten Mustern.“
Probleme bei der Unterstützung von Flüchtlingen in Berlin
Anders als vor zwei Jahrzehnten organisieren sich in verschiedenen deutschen Städten Flüchtlinge und kämpfen für ein Bleiberecht und gegen die Residenzpflicht. In dem Aufruf wird zur Unterstützung dieser Kämpfe aufgerufen.
Wie schwierig eine solche Unterstützung in der Praxis ist, zeigte sich in den letzten Wochen in Berlin. Unter dem Motto „Die letzte Meile laufen wir“ [3] haben solidarische Einzelpersonen dazu aufgerufen, die Forderungen der Flüchtlinge mit eigenen Initiativen zu unterstützen. Die Resonanz ist bisher bescheiden.
Auch eine von Flüchtlingen in Berlin-Kreuzberg besetzte Schule sorgte in den letzen Tagen für Schlagzeilen [4]. Sie ist zur Anlaufstelle für viele Menschen geworden, die ohne Papiere oder ohne Obdach in Berlin lebten [5]. Zumindest in Kreuzberg wird auf die Folgen von Ausgrenzung und Diskriminierung nicht gleich mit Polizei und einen Räumungsbefehl reagiert. Die Bewohner wollen jetzt ein Komitee gründen und sich selbstverwalten.
Wie ungewohnt selbst für wohlmeinende Politiker diese Selbstorganisierung ist, zeigt ein Interview [6] mit dem Kreuzberger Stadtrat der Grünen, Hans Panhoff [7], in dem er klagte, dass Berliner Autonome nicht die Hausmeisterrolle in dem Haus gespielt haben. Dabei hatten sie das nie vor, und die Flüchtlinge hätten sich eine solche Rolle auch verbeten.
Flüchtlinge besetzen DGB-Haus in München
In München hat vor mehr als einer Woche eine Gruppe von Flüchtlingen, die sich Non-Citizens [8] nennen, das DGB-Haus besetzt [9]. Es soll als Schutz vor der Polizei dienen, die die Proteste der Flüchtlinge immer wieder gestoppt hatte und Menschen, die die Residenzpflicht verletzt hatten, festnahm. In den nächsten Tagen wollen sie das DGB-Haus wieder räumen.
Der bayerische DGB-Landesvorsitzende Matthias Jena bekundete Sympathie für Menschen, die vor Not und Gewalt nach Deutschland fliehen. Wenn diese Menschen sich aber selbst organisieren, findet er es nicht so gut. In der Süddeutschen wird er mit den Worten zitiert [10]:
„Ich unterscheide deutlich zwischen der Situation der Asylbewerber und denen, die sich ihre politischen Unterstützer nennen. Menschen, die vor Krieg, Hunger und Verfolgung zu uns geflohen sind, haben unsere Sympathie und Unterstützung. Ich werde aber den Eindruck nicht los, dass die Gruppe der politischen Aktivisten ihr eigenes Süppchen kocht. Es sieht alles danach aus, dass sie die Asylsuchenden für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren und missbrauchen. Wir aber wollen genau das verhindern, dass die Asylbewerber zum Spielball werden.“
Mit ähnlichen Begründungen wurde in den letzten Monaten auch von Politikern versucht, Flüchtlinge zu hilfsbedürftigen Opfern zu erklären. Wenn sie ihren Kampf aber als politische Auseinandersetzung verstehen, wird ihnen schnell die Solidarität aufgekündigt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154938
Peter Nowak 11.09.2013