Ende 2016 entscheidet Karlsruhe über umstrittene Regelung
»Hände weg vom Streikrecht, für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit«, lautete im letzten Jahr das Motto einer Kampagne von Sparten- und Basisgewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz. Es sieht vor, dass bei konkurrierenden Gewerkschaften in einem Betrieb, nur die Organisation mit den meisten Mitgliedern einen Tarifvertrag abschließen kann. Den Minderheitengewerkschaften bleibt dieses Recht versagt. Dagegen mobilisierten die Kritiker, doch ohne Erfolg. Am 22. Mai 2015 beschloss der Bundestag das Tarifeinheitsgesetz.
Heute, ein Dreivierteljahr nach Inkrafttreten, ist nicht viel damit passiert. »Das Gesetz wurde bisher nicht angewendet. Daher planen wir im Augenblick keine Aktionen«, bestätigte Willi Hajek gegenüber »nd«. Der Basisgewerkschafter war im letzten Jahr an der Kampagne gegen das Tarifeinheitsgesetz beteiligt. »Die Diskussion wird wieder aufflammen, wenn Gewerkschaften außerhalb des DGB für einen Tarifvertrag kämpfen«, ist Hajek überzeugt.
»GDL droht die Entmachtung«, hatte die »Frankfurter Rundschau« bald nach der Verabschiedung des Gesetzes getitelt. Damals befand sich die Lokführergewerkschaft in einer Tarifauseinandersetzung mit der Deutschen Bahn und hatte mehrfach zum Streik aufgerufen. Die GDL konnte letztlich eine Vereinbarung durchsetzen, die die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes bis 2018 ausschließt. Die DGB-Eisenbahnergewerkschaft EVG hat in den meisten Bereichen des Unternehmens mehr Mitglieder.
Spätestens Ende 2016 wird das Gesetz noch einmal Thema. Dann will das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Verfassungsbeschwerden entscheiden, die Spartengewerkschaften wie der Marburger Bund, die GDL und der Deutsche Journalistenverband gegen das Gesetz eingereicht hatten.
Rolf Geffken ist zuversichtlich, dass das Tarifeinheitsgesetz gekippt wird. In einer im VAR-Verlag erschienenen Broschüre unter dem Titel »Streikrecht, Tarifeinheit, Gewerkschaften« hat der Arbeitsrechtsanwalt Argumente für seine Position zusammengetragen. Er weist den Monopolanspruch des DGB zurück. Eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung könne im Tarifkampf durchaus von Vorteil sein. Doch die müsse von den Mitgliedern getragen an der Basis entstehen und könne nicht durch gesetzliche Maßnahmen verordnet werden, betont Geffken.
Folgen die Richter seiner Argumentation, könnte das Tarifeinheitsgesetz juristisch gestoppt werden. Die Mobilisierung dagegen hatte auch darunter gelitten, dass Vorstände der DGB-Einzelgewerkschaften außer der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der NGG und der GEW das Tarifeinheitsgesetz unterstützt hatten. Die Gegenkampagne wurde von Gewerkschaftslinken, den Spartengewerkschaften aber auch Basisgewerkschaften wie der Freien Arbeiterunion (FAU) getragen.
Die Berliner FAU-Sekretärin Jana König weist gegenüber »nd« darauf hin, dass es neben der Tarifeinheit zahlreiche Möglichkeiten gibt, Gewerkschaftsrechte einzuschränken. So wurde der Berliner FAU Ende März unter Androhung von bis zu 250 000 Euro Strafe oder ersatzweiser Haft von bis zu sechs Monaten für die amtierende Sekretärin untersagt, den Namen eines Restaurants in Berlin-Mitte zu nennen, von dem ein Gewerkschaftsmitglied ausstehende Löhne einfordert.
Wirtschaft & Soziales Linke müssen die kämpferischen Teile des DGB und die Spartengewerkschaften unterstützen
Ende Februar 2012: Kaum war Joachim Gauck von einer ganz großen Koalition für das Bundespräsidentenamt vorgeschlagen worden, wurde in allen Medien über seinen Freiheitsbegriff debattiert. Kaum jemand wies jedoch darauf hin, dass just in diesen Tagen ein Frankfurter Gericht den Ausstand der Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF) am Frankfurter Flughafen mit juristischen Mitteln unterdrückte. Erst wurde ein Solidaritätsstreik der Towerfluglotsen, zu dem die GdF aufgerufen hatte, verboten, dann der Streik der Fluglotsen selber.
Damit wurde wieder einmal deutlich, dass in Deutschland das Streikrecht Richterrecht ist. Weil im Grundgesetz lediglich die Koalitionsfreiheit, nicht aber ein Streikrecht erwähnt wird, kann jeder Richter ziemlich frei auslegen, wann ein Ausstand verhältnismäßig ist und wann nicht. Dies machen sich die Arbeitgeberverbände zunutze, indem sie bestrebt sind, über die Rechtmäßigkeit eines Streiks von jenen juristischen Kammern entscheiden zu lassen, die als besonders unternehmensfreundlich gelten.
Obwohl das Streikverbot am Frankfurter Flughafen deutlich machte, dass die gegenwärtige Rechtslage im Zweifel immer im Sinne der Unternehmerseite ausgelegt wird, wurde zeitgleich von Konzernverbänden, Medien und PolitikerInnen für eine Verschärfung des Streikrechts getrommelt. An dieser Kampagne beteiligten sich auch führende VertreterInnen der DGB-Gewerkschaften. Das erscheint auf den ersten Blick paradox, lässt sich aber einfach erklären: Die DGB-Gewerkschaften bekommen mit Branchen- und Spartengewerkschaften in vielen Bereichen eine ernsthafte Konkurrenz.
»Was die GdF fordert, ist eine völlig inakzeptable Erhöhung der Gehälter. Darauf können wir nicht eingehen, weil es gegenüber den anderen 20.000 Beschäftigten nicht vertretbar ist«, erklärte der Fraport-Arbeitsdirektor und langjährige ÖTV-Gewerkschaftsfunktionär Herbert Mai. Fast wortgleich argumentierte ver.di-Sekretär Gerold Schaub. Er warf der GdF vor, mit ihren Tariforderungen den Betriebsfrieden zu gefährden. Auch die Betriebsratsvorsitzende Claudia Amier machte sich im Gespräch mit der Financial Times Sorgen um das Unternehmen: »Eine kleine Gruppe von Beschäftigten nutzt ihre Monopolstellung aus, um Entgelte zu erzielen, die weit über jedes Maß hinausgehen und völlig unverhältnismäßig sind.«
Damit wird ein reales Problem angesprochen. Wenn sich die kampfstarken Teile der Belegschaft selbstständig machen und nur noch für ihre Interessen streiken, könnten die Teile der Belegschaft, die nicht die Möglichkeit haben, durch einen Ausstand die Produktion lahmzulegen, das Nachsehen haben. Es wird die Herausforderung einer linken Gewerkschaftspolitik sein, eine solche Verallgemeinerung von Kämpfen trotz der zunehmend unübersichtlichen Arbeitsverhältnisse und des restriktiven deutschen Streikrechts umzusetzen.
Der völlig falsche Weg ist es aber, wenn DGB-FunktionärInnen mit Verweis auf die Spartengewerkschaften einer Verschärfung des Streikrechts und der Ausgrenzung ungeliebter KollegInnen das Wort reden. Der Berliner Basisgewerkschaftler Willi Hajek, der im letzten Jahr das »Komitee für Gewerkschaftsfreiheit« mitgegründet hat und im Umfeld des 1. Mai 2011 von Repressionen bedrohte GewerkschafterInnen aus Italien, Frankreich, Polen und Spanien nach Berlin eingeladen hatte, sieht denn auch in der Haltung der DGB-FunktionärInnen den Versuch, das Monopol bei der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen zu behalten. Da wird dann notfalls beim Gesetzgeber Unterstützung gesucht.
Dabei haben es sich die DGB-Gewerkschaften in der Regel selber zuzuschreiben, wenn sich in einer Branche Spartengewerkschaften bilden, erklärt Hajek mit Verweis auf die Situation am Frankfurter Flughafen. Die Flughafengesellschaft sei seit Jahren »ein Musterbeispiel für die Kungelei und den Filz zwischen Leitung, Betriebsrat und Gewerkschaften, die an die Zustände bei VW erinnern«. Aus diesem Milieu entspringt sowohl ein Peter Hartz als auch ein Herbert Mal.
Aber es gibt natürlich auch in den DGB-Gewerkschaften, vor allem an der Basis und im Mittelbau, andere Kräfte. Eine linke Antwort auf die Versuche, das Streikrecht zu verschärfen, hieße daher, sowohl diese kämpferischen Teile der DGB-Gewerkschaften als auch die Sparten- und Branchengewerkschaften zu unterstützen und Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Deutlich müsste werden, dass nicht kampfbereite Belegschaften, sondern das repressive deutsche Streikrecht das Problem ist.
Ein positives Beispiel ist der Wiesbadener Appell, der von BasisgewerkschafterInnen aus dem hessischen ver.di-Bezirk initiiert worden ist. Die Initiative ist von der ver.di-Gewerkschaftsbürokratie gedeckelt worden. Jetzt haben die InitiatorInnen den Aufruf ins Netz gestellt. (1) Auch Teile der politischen Linken, die bisher mit gewerkschaftlichen Kämpfen wenig zu tun hatten, solidarisierten sich mit den Flughafen-Beschäftigten. Dazu gehört das Berliner Bündnis, das zum europäischen antikapitalistischen Aktionstag am 31. März nach Frankfurt/Main mobilisiert. In einer Erklärung wird darauf hingewiesen, dass in mehreren europäischen Ländern Basisgewerkschaften zu dem Aktionstag aufrufen.
Peter Nowak ist freier Journalist in Berlin mit
Schwerpunkt außerparlamentarische Bewegungen.
Anmerkung:
1) politischer-streik.de
http://www.akweb.de/ analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 570 / 16.3.2012
»Wiesbadener Appell« soll neue Debatte über die Rolle von Gewerkschaften anstoßen
Politiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler fordern in einem »Wiesbadener Appell« eine Ausweitung des Streikrechts.
»Die Bundesrepublik Deutschland hat weltweit das rückständigste und restriktivste Streikrecht.« Mit dieser harschen Kritik beginnt der »Wiesbadener Appell«, mit dem sich Politiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler für eine Ausweitung des Streikrechts einsetzen. Ausdrücklich wird ein Recht auf einen politischen Streik gefordert, der in Europa außer in Deutschland nur noch in Großbritannien und Österreich verboten ist. Unterzeichnet wurde der Appell von Spitzenpolitikern der LINKEN, von SPD-Mitgliedern, Gewerkschaftern und linken Wissenschaftlern.
In den letzten Tagen waren in der Öffentlichkeit freilich ganz andere Töne zu hören. Als die Vorfeldmitarbeiter am Frankfurter Flughafen für einige Tage streikten, forderten Politiker von FDP und Union sowie Vertreter von Wirtschaftsverbänden eine Einschränkung des Streikrechts. Selbst einige prominente DGB-Gewerkschafter stimmten in die Klage über die »egoistischen Spartengewerkschaften« ein. Dass dann ein Gericht zunächst einen angekündigten Solidaritätsstreik und dann auch den Arbeitskampf selbst verboten hat, bestärkt die Initiatoren des »Wiesbadener Appells«. Im Grundgesetz ist lediglich ein Recht auf Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Absatz 3, aber kein konkreter Hinweis auf das Streikrecht zu finden ist. Daher bleibt es Auslegungssache der Gerichte, ob ein Ausstand rechtmäßig ist oder nicht.
Die Verfasser des »Wiesbadener Appells« erhoffen sich mit ihrer Initiative eine gesellschaftliche Debatte über die Rolle von kampffähigen Gewerkschaften. Die Tarifpolitik allein könne eine verfehlte neoliberale Politik nicht ausgleichen. »Doch die Schärfung und die Ausweitung von umfassenden Arbeitskampfmitteln der organisierten Arbeitnehmer führt Stück für Stück zu größeren Erfolgen der Gewerkschaften vor allem auch im politischen Raum. Die Mitgliedergewinnung und die Haltearbeit der Gewerkschaften könnte nachhaltig verbessert werden«, heißt es im Aufruf.
Dort wird auch nicht mit Kritik an der Haltung der DGB-Gewerkschaften gespart. Diese hätten wenig zur Ausweitung des Streikrechts getan. Positiv wurde das Agieren von Basisaktivisten hervorgehoben. So sei es ehrenamtlichen Untergliederungen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt 2009 gegen den Willen des Gewerkschaftsvorstands gelungen, die Forderung nach dem Recht auf politischen Streik auf dem Gewerkschaftstag mehrheitsfähig zu machen.
Dass dieses Thema auch in anderen DGB-Gewerkschaften umstritten ist, zeigt die Vorgeschichte des »Wiesbadener Appells«. Ein Antrag von ver.di Mittelhessen bei der Konferenz des Fachbereichs 5 (Bildung, Wissenschaft und Forschung) zur Zulassung des politischen Streiks wurde im Juni 2010 bei nur einer Gegenstimme angenommen und dem ver.di-Bundeskongress 2011 vorgelegt. Dort wurde er allerdings nicht einmal zur Abstimmung gestellt. Es habe sich kein Delegierter gefunden, der für das Anliegen sprechen wollte, hieß die Begründung.
Der »Wiesbadener Appell« findet sich im Internet unter:
politischer-streik.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/220363.
neue-initiative-fuer-politisches-streikrecht.html
Peter Nowak
Die streikenden Lotsen am Frankfurter Flughafen werden nicht nur von Arbeitgebern scharf kritisiert, sondern auch von Vertretern der DGB-Gewerkschaften.
Kaum treten Beschäftigte für einige Tage ernsthaft in den Ausstand, fordern Wirtschaftsvertreter, Politiker und Medien eine Einschränkung des Streikrechts und werden dabei noch von DGB-Funktionären unterstützt. In einem Land, das im europäischen Maßstab die wenigsten Streiktage aufzuweisen hat, scheint dieses Recht ein Museumsstück zu sein, dass vor der Ausübung möglichst gut geschützt werden muss. Das war in der vorigen Woche wieder zu beobachten, als am Frankfurter Flughafen die Vorfeldlotsen in den Ausstand traten und einige Flieger auf dem Boden bleiben mussten. Die in der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) organisierten Beschäftigten wurden schnell zum Ziel eines gewerkschaftsfeindlichen Furors, an dem sich auch ehemalige und noch aktive DGB-Gewerkschafter beteiligten.
Den Ton gab die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vor. »Der vollkommen unverhältnismäßige Streik der Kleinstgewerkschaft GdF zeigt, dass wir dringend klare Spielregeln für das Nebeneinander mehrerer Gewerkschaften innerhalb eines Betriebes brauchen. Zum Schutz vor den Auswüchsen zügelloser Splittergewerkschaften brauchen wir eine gesetzliche Regelung«, sagte VKA-Präsident Thomas Böhle, der damit versuchte, an eine im vergangenen Jahr am öffentlichen Druck gescheiterte Initiative von Arbeitgeberverbänden und DGB zur Einschränkung des Streikrechts anzuknüpfen. Es ging auch dabei um Repressalien gegen kampfstarke Kleingewerkschaften, die wirkungsvollen Druck ausüben können. Sie sind auch für viele ehemalige Mitglieder von DGB-Gewerkschaften attraktiv, die von deren meist zahmen Arbeitskampfritualen enttäuscht sind.
Herbert Mai, der derzeitige Arbeitsdirektor der Betreibergesellschaft des Flughafens, Fraport, sieht daher auch kein Problem darin, dass er als langjähriger Funktionär der in Verdi aufgegangenen Gewerkschaft ÖTV den Streikbruch gegen die Vorfeldlotsen mitorganisiert. »Das passt deshalb zusammen, weil Verdi nie einen Arbeitskampf vom Zaune brechen würde, der nur eine Berufsgruppe betrifft und der im Vergleich zu anderen Berufsgruppen exorbitant unangemessen ist, so dass er das Tarifgefüge und die Solidarität der Kollegen untereinander aufbricht. Gewerkschaften fühlen sich generell dem Gedanken der Solidarität verpflichtet«, stellte Mai im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau klar. Allerdings meinte er damit nicht die Solidarität mit den streikenden Kollegen, er schien sich eher um das bestreikte Unternehmen zu sorgen. In einem Gespräch mit dem Focus betonte Mai den Unternehmerstandpunkt: »Was die GdF fordert, ist eine völlig inakzeptable Erhöhung der Gehälter. Darauf können wir nicht eingehen, weil es gegenüber den andern 20 000 Beschäftigten nicht vertretbar ist.«
Fast wortgleich argumentiert Verdi-Sekretär Gerold Schaub, wenn er der GdF vorwirft, mit ihren Tariforderungen den Betriebsfrieden zu gefährden. Auch die Betriebsratsvorsitzende Claudia Amier teilte im Gespräch mit der Financial Times Deutschland ihre Sorge um das Unternehmen mit. »Eine kleine Gruppe von Beschäftigten nutzt ihre Monopolstellung aus, um Entgelte zu erzielen, die weit über jedes Maß hinausgehen und völlig unverhältnismäßig sind«, sagte sie. Dass die GdF in den Ausstand getreten ist, nachdem die Fraport den Spruch eines von ihr akzeptierten Schlichters abgelehnt hatte, wird dabei gar nicht erwähnt. Der GdF-Tarifexperte Markus Siebers reagiert gelassen. »Leute, die so eng mit dem Unternehmen verwoben sind wie die derzeitige Betriebsratsführung und Verdi, kann ich nicht ernst nehmen. Sie sollten sich besser um eine gute Interessenvertretung für ihre Mitglieder kümmern«, sagt er.
Ebenso gelassen reagierte die GdF bereits auf eine Schadenersatzklage der Fluggesellschaften Ryanair, Lufthansa und Air Berlin. Insgesamt 3,2 Millionen Euro Schadenersatz fordern die Airlines in einer Zivilklage, weil die GdF während eines Tarifkonflikts im Spätsommer 2011 zu Streiks aufgerufen hatte, die dann nicht stattfanden, weil es nach der Drohung mit einem Ausstand in der Feriensaison zu neuen Verhandlungen kam. Der Kölner Arbeitsrechtler Dirk Vogelsang hält die Erfolgsaussichten der Klage für gering. Doch allein die Anrufung der Gerichte erhöhe den Druck. »Es ist für eine kleine Gewerkschaft immer latent existenzbedrohend, wenn sie mit einer Klage in dieser Höhe konfrontiert ist«, so Vogelsang. Zudem soll eine solche Maßnahme disziplinierend auf die Gewerkschaft wirken. Weil das bei der GdF anscheinend noch nicht funktioniert, wird nun wieder nach gesetzlichen Einschränkungen des Streikrechts gerufen.
Das würde im europäischen Trend liegen. Die Durchsetzung des deutschen Sparmodells mit »Schuldenbremsen« und massiven Verschlechterungen für die Lohnabhängigen ist an repressive Maßnahmen gekoppelt. So gehört zum Diktat der EU in Griechenland auch ein massiver Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit. Danach sollen Kollektivverträge für Lohnerhöhungen nicht mehr möglich sein. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds will die Löhne so lange einfrieren, bis die Arbeitslosigkeit auf 10 Prozent zurückgegangen ist. Auch in Spanien plant die Regierung eine Aufhebung des Rechts auf Streik, wenn mit dessen Gebrauch »ein irreparabler Schaden für die Wirtschaft oder die Sicherheit« verbunden ist.
Der Berliner Gewerkschafter Willi Hajek ist Mitbegründer des im vergangenen Jahr entstandenen »Komitees für Gewerkschaftsfreiheit«. Es hatte zum 1. Mai 2011 von Repression bedrohte Gewerkschafter aus Spanien, Deutschland, Polen und Italien zu einer Konferenz nach Berlin eingeladen. Zu dieser Zeit musste sich die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen-Union (FAU) Berlin gegen juristische Versuche wehren, ihr das Recht abzusprechen, als Gewerkschaft aufzutreten. Hajek sieht in der Beteiligung von DGB-Gewerkschaftern an der Kampagne gegen den GdF-Streik den Versuch, »die eigene Monopolstellung zu sichern und die Basisgewerkschaften und die Spartengewerkschaften niederzuhalten«. Die Flughafengesellschaft sei seit Jahren »ein Musterbeispiel für die Kungelei und den Filz zwischen Leitung, Betriebsrat und Gewerkschaften, die an die Zustände bei VW erinnern«. Allerdings würden die kleinen Gewerkschaften dadurch eher bestärkt und auch für unzufriedene Mitglieder aus DGB-Gewerkschaften attraktiv.
»Am Frankfurter Flughafen entwickelt sich seit einiger Zeit eine gewerkschaftliche Kultur der Vielfalt«, sagt Hajek mit Verweis auf die gewerkschaftliche Organisierung beim Kabinenpersonal, bei den Piloten und nun den Vorfeldbeschäftigten. »Diese Entwicklung hat sehr viel mit den spezifischen Belastungen in den jeweiligen Berufen, aber auch den Erfahrungen der Beschäftigten zu tun, mit der Organisierung in diesen Gewerkschaften eine reale Kampfstärke zu erhalten, die von Verdi bisher nicht eingesetzt wurde.« Das bestätigt indirekt auch Jan Jurczyk, der Pressesprecher von Verdi. Er hat die Parole »Hände weg vom Streikrecht« mit einer ganz besonderen Begründung unterstützt: »Das Streikrecht wird von keiner Gewerkschaft so sehr beansprucht, dass man es gesetzlich regeln muss.«
http://jungle-world.com/artikel/2012/09/44976.html
Peter Nowak