Zwei Bürgergeld-Aktivisten packen aus: Im Haushalt fehlen Milliarden – und ausgerechnet beim Bürgergeld soll gekürzt werden. Im Jobcenter wittert manch einer seine Chance: Zwei Aktivisten berichten, mit welchen Mitteln Erwerbslose auf dem Amt drangsaliert werden. Ein Gespräch

Zwei Bürgergeld-Aktivisten packen aus: „Die Sadisten im Jobcenter haben gerade Rückenwind“

Die Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums durchforsten aktuell den Etat nach möglichen Kürzungen. Denn im Bundeshaushalt 2027 fehlt eine Summe von 34 Milliarden Euro. Gekürzt werden soll nicht zuletzt beim Bürgergeld. Vor kurzem wurde von der Bild ein Gesetzentwurf zur Reform ebendieses geleakt. Darin heißt es unter anderem, dass Leistungen komplett gestrichen werden, wenn als zumutbar angesehene Jobs abgelehnt werden. Mit anderen Worten: Der Druck auf Arbeitslose soll steigen. Wie fühlen sich Betroffene angesichts der schwarz-roten Daumenschrauben, die ihnen bald angelegt werden sollen? Ein Freitag-Gespräch mit Paul Schäfer und Maria Pfeiffer, die seit vielen Jahren bei der Erwerbsloseninitiative „Basta“ in Berlin aktiv sind.

Frage: Herr Schäfer, wie erleben Sie die aktuellen Auseinandersetzungen um das Bürgergeld?

… Paul Schäfer: Dass Erwerbslose an den Pranger gestellt werden vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosenzahlen, das hat es auch so vor der Einführung der Agenda 2010 gegeben. Aber heute ist der Arbeitsmarkt gespaltener als 2005. Auf der einen Seite gibt es den Niedriglohnsektor mit üblen Arbeitsplatzbedingungen und zeitlich befristeten Verträgen mit langen Probezeiten. Eine unserer Ratsuchenden ist Doina aus Rumänien. Sie putzte bei einer großen Reinigungsfirma sechs Stunden im Akkord, vier Stunden davon wurden ihr ausgezahlt. Nach Ablauf des befristeten Arbeitsvertrags wurde sie vom Jobcenter zur Leiharbeitsmesse im Jobcenter geschickt. Ohne Aufstockung vom Jobcenter kann sie das Existenzminimum für sich und ihre Familie nicht erreichen.

Welche Gruppen sind besonders betroffen?

PS: Männer und Frauen aus Osteuropa sind häufig Opfer extremer Ausbeutung und Ansprechpartner der Jobcenter für miese Jobs. Der CSU-Politiker Markus Söder will „alle Nicht-Deutschen von materieller Zuwendung ausschließen“, wie er im ARD-Sommerinterview sagte. Weiter gespart werden soll in Bereichen wie dem Wohngeld und dem Kinderzuschlag, der Pflege, dem Bürgergeld und dem großen Posten im Sozialhaushalt – der Rente. Auch der Achtstundentag und die Anzahl der gesetzlichen Feiertage stehen bereits zur Disposition. Bei der Rente fallen Worte wie „Lebensarbeitszeit verlängern“, Altersarmut beenden steht nicht auf dem Programm. Die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse und das Reden von den Zumutungen, die wir alle zu tragen hätten, gab es vor Einführung der Agenda 2010 noch nicht.

Die Angestellten im Jobcenter sind teilweise jetzt schon so geizig, als wäre es ihr eigenes Geld

Wie wirkt sich die gesellschaftliche Hetze gegen das Bürgergeld direkt im Jobcenter aus?

PS: Ein Adressat der Hetze gegen Arbeitslose sind wohl immer Erwerbstätige und die zukünftigen Erwerbslosen. Sie sollen wissen, was ihnen bei Arbeitslosigkeit blüht, dass es nicht gemütlich ist, und es wird ihnen gezeigt, was sie zu verlieren haben, wenn sie sich nicht weiter zur Arbeit schleppen, auch wenn sie dazu nicht in der Lage sind. Es soll in ihrem eigenen Interesse sein, jede Konkurrentin um Arbeitsplatz oder Wohnung wegzubeißen. Die Hetze hilft dabei, die Angst vor dem Jobcenter und dem Arbeitsplatzverlust zu erhalten. Die Hetze wirkt sich auf die Jobcenter-Mitarbeitenden aus: Sie sollen sich gedrängt fühlen, härter mit uns „Kundinnen“ und „Kunden“ umzugehen und schneller und öfter zu sanktionieren. Die Sadisten, die es auch dort gibt, haben natürlich Rückenwind durch die mediale Hetze. Die Angestellten im Amt sind teilweise jetzt schon so geizig, als wäre es ihr eigenes Geld. Die Hetze bewirkt, dass sie glauben, sie führten eine Art von allgemeinem Wunsch aus, wenn sie oft sanktionieren.

Wie sehen Sie es, Frau Schäfer?

Maria Pfeiffer: Der Hass auf die Armen ist nicht neu. Auch im Nationalsozialismus wurden sogenannte Asoziale, Gemeinschaftsfremde, Unangepasste, trinksüchtige Personen, Diebe, Bettler, Huren, Landstreicher und Obdachlose von sozialen Hilfen ausgeschlossen. Das wurde in der Richtlinie über die „Erbgesundheit“ von 1938 festgelegt.

Welches politische Ziel sehen Sie in der ständigen Kampagne gegen Bürgergeldbeziehende?

MP: Die CDU/CSU scheint die Notwendigkeit für sich erkannt zu haben, der Entmenschlichung von Bürgergeldbeziehenden und von Flüchtlingen intensiver das Wort zu reden. Ich vermute, dass eine Zielgruppe der aktuellen Hetze die Mitarbeitenden in Behörden sind – beim Zoll, bei der Polizei und beim Grenzschutz. Die Wut soll sich gegen Arbeitslose und Flüchtlinge richten. Es soll kein Mitgefühl bei der schlechten Behandlung, der Demütigung und Drangsalierung von verarmten Personen aufkommen. Egal, ob es um Pushbacks von Geflüchteten an der Grenze geht oder um das Vertreiben von Obdachlosen aus U-Bahnhöfen und sogenannten Verbotszonen. Arbeitslose und Flüchtlinge sind reine Kostenfaktoren.

Im Grunde wäre es eine ökonomische Notwendigkeit, Reiche stärker zu besteuern

Wie verhalten sich die anderen Parteien?

MS: Die Sozialdemokraten beteiligen sich ebenfalls an der Hetze, setzen aber noch auf höhere Steuern sowie Abgaben für Vermögende und Konzerne, während Ausgabenkürzungen eine nachrangige Bedeutung haben. Die Debatte zur Anhebung des Spitzensteuersatzes und der Vermögens- und Erbschaftsteuer ist eine Diskussion aus den 1990er Jahren, ohne dass sich da wirklich etwas bewegt hat. Die Grünen wollen, dass es für alle teurer wird, und die Rechten schwadronieren am liebsten über den Umgang mit Geflüchteten, Migrantinnen, Migranten und armen Leuten, für die ökonomische und ökologische Krise fehlt ihnen jedes Verständnis.

Von vielen Politikern und Medien wird behauptet, dass angesichts der hohen Schulden der Staat die Mittel für das Bürgergeld kürzen muss. Sind diese fiskalischen Argumente nicht schlüssig?

PS: Ein weiterer Grund für die andauernde Hetze gegen Migrantinnen und Migranten, Transpersonen und verarmte Personen dürfte in der Tat das Haushaltsloch sein, wie die Diskussion um die Schuldenbremse zeigt. Im Grunde wäre es eine ökonomische Notwendigkeit, Reiche stärker zu besteuern. Diese Regierung ist ja nicht generell gegen höhere finanzielle Ausgaben. Das Geld soll aber nicht in die Finanzierung für Wohnen, Gesundheit, Bildung, Klima und den öffentlichen Personen-Nah- und Fernverkehr für alle fließen.

Wo würden Sie sparen?

PS: Ein aktuelles Beispiel für sinnloses Geldausgeben der CDU/CSU sind die Grenzkontrollen, obwohl beide Polizeigewerkschaften sagen, diese seien teuer und ineffektiv.

Vor über 20 Jahren gab es in großen Teilen der Bevölkerung Widerstand gegen die geplante Einführung von Hartz IV. Was ist von dieser großen Protestbewegung geblieben?

MP: Die Proteste 2004, vor der Einführung der Agenda 2010 in den Jahren 2002/2004, waren in der Tat beachtlich. Sie waren mit der Einführung von Hartz IV nicht beendet. Es gab weiter Proteste in den Jobcentern, unter anderem in Köln. Eine weitere bundesweite Aktion von Erwerbslosen war die Demonstration „Krach statt Kohldampf schieben“ 2010 in Oldenburg. Die Aktivitäten waren durchweg motivierend und halfen uns, weiterzumachen. Leider droht die Geschichte der Erwerbslosengruppen, ihrer emanzipatorischen Proteste und Selbsthilfeinitiativen in Vergessenheit zu geraten. Das wollen wir verhindern.

Wir wollen mit unserer Arbeit zeigen, dass wir uns nicht vertrösten lassen wollen, bis der Kapitalismus zerschlagen ist

Was hat Sie persönlich motiviert, bei der Erwerbsloseninitiative Basta mitzuarbeiten?

PS: Ich bin selbst beraten worden und bekam danach 700 Euro vom Jobcenter zurück. Auch der Twitteraccount von Basta war cool. Daher habe ich mich entschlossen, bei der Initiative mitzuarbeiten, und bin bis heute dabei geblieben.

MP: Persönlich motiviert hat mich das Leid, das kapitalistische Gesellschaften in „privaten“ Beziehungen, in der Schule, am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, im Gesundheitssektor erzeugen. Die Normalität der gewaltförmigen Beziehungen ist kaum aushaltbar. Bei Basta wollen wir uns dagegen wehren.

Basta bietet in Berlin in vier Stadtteilen Beratungen an. Stoßen Sie da mit Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit nicht schnell an Grenzen?

PS: Unsere Praxis ist die der Sorge umeinander. Wir sind keine vom Staat berufenen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler. Wir helfen uns gegenseitig. Aber ja, wir stoßen an Grenzen, wir sind einfach zu wenige.

Welche politischen Forderungen haben Sie über die unmittelbare Unterstützung am Amt hinaus?

MP: Wir wollen mit unserer Arbeit zeigen, dass wir uns nicht vertrösten lassen wollen, bis der Kapitalismus zerschlagen ist. Verbesserungen braucht es jetzt. Jede Person benötigt eine Wohnung, und zwar da, wo sie wohnen will. Sie muss ihre Arbeitsstelle kündigen können, ohne Angst, sanktioniert zu werden. Und natürlich müssen diese hundsmiserablen Niedrigrenten endlich steigen, weil die Altersarmut nicht hinnehmbar ist.

Auf Ihrer Homepage wird Basta als „langfristiges politisches Projekt für eine bessere Welt“ klassifiziert. Ist Basta der Ort, an dem Sie noch viele Jahre aktiv sein und alt werden wollen?

MP: Ich denke, wir machen weiter. Wechselseitige Beziehungen zu schaffen, bleibt eine dauerhafte Herausforderung. Ein nationales Kollektiv à la „alle deutschen Männer lieben Fußball“ funktioniert nur über Ausschluss und in Abgrenzung zu anderen. Das können und wollen wir nicht mitmachen. Wir müssen uns fragen, welche Strategien sinnvoll sind, damit der „brav arbeitende“ Besitzer eines kleinen Handwerksbetriebes nicht mehr denkt, es gehe ihm schlechter, weil auf öffentlichen Toiletten jetzt „Intersex“ steht. Oder dass die Armen sich mit dem Bürgergeld ein schönes Leben machen.

Interview: Peter Nowak