Holm hätte alle enttäuscht

Andrej Holms Rückkehr in die außerparlamentarische Bewegung ist zu begrüßen.

»Nuriye, Holm, Kalle – wir bleiben alle«, unter diesem Motto fand am 28. Januar eine Demonstration von Studierenden und stadtpolitischen Gruppen in Berlin statt. Es ging um Kalle und Nuriye, zwei Menschen, die sich gegen Zwangsräumungen gewehrt haben. Vor allem aber ging es den Demonstrierenden darum, Solidarität mit Andrej Holm zu zeigen, dem linken Stadtforscher, der nach fünf Wochen als Staatssekretär für Wohnen und Stadtentwicklung zurücktreten musste und anschließen auch noch seine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berliner Humboldt-Univer­sität verlor. Diese Entscheidung der Hochschule hat dazu geführt, dass zum ersten Mal seit Jahren wieder einmal ein Universitätsgebäude besetzt wurde. Die Studierenden knüpften Kontakte zu stadt- und mietenpolitischen Gruppen. Dieses neue Bündnis organisierte dann die erste größere Demonstration der außerparlamentarischen Linken nach dem Regierungsantritt der Berliner Koalition. Welche Perspektive hat dieser neue Aktivismus? Es ist unklar, ob die Institutsbesetzung in den Semesterferien aufrecht erhalten werden kann. Ob Holm seine Stelle zurückerhält, entscheiden die Arbeitsgerichte. Sein kurzes Gastspiel als Staatssekretär ist aber endgültig beendet.

Ist das eine Niederlage oder vielleicht sogar ein Erfolg für die außerparlamentarische Bewegung? Diese Debatte müssen die mieten- und stadtteilpo­litischen Gruppen jetzt führen. Denn nicht nur für die Linkspartei sind nach dem kurzen Gastspiel des bewegungsnahen Forschers Holm in der Stadtpolitik viele Fragen offen, worauf Alexander Nabert in seinem Disko-Beitrag (Jungle World 4/2017) hingewiesen hat. Auch die sehr heterogene außerparlamentarische Linke sollte sich fragen, ob in Berlin einen Monat lang »ihr« Staatssekretär mit am Regierungstisch saß. Die Ernennung Holms im vergangenen Dezember kam für die meisten außerparlamentarischen Initiativen überraschend. Eigentlich hätte es der basisdemokratische Anspruch nahe­gelegt, dass Holm nach seiner Ernennung schnell seine Pläne und Vorhaben als Staatssekretär vor den Aktivisten zur Diskussion stellt. Doch zu einer solchen Versammlung kam es erst ein Monat später, nach Holms Entlassung, im Stadtteil Wedding unter dem Titel »Zurück in die Bewegung« statt. Hier erhielt Holm noch einmal kräftigen Zuspruch von seinen Unterstützerinnen und Unterstützern. Zu einer inhaltlichen Diskussion über die Frage, ob ein Staatssekretär, der sozialen Bewegungen nahe steht, überhaupt etwas verändern kann und ob es nicht für die oppositionelle Bewegung ein Glücksfall ist, dass er den Beweis gar nicht erst antreten musste, kam es jedoch nicht. Schon nach einer Stunde war das Treffen zu Ende, weil manche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Veranstaltung im Gorki-Theater, bei der der Freitag-Herausgeber Jakob Augstein den Regierenden Bürgermeister Michael Müller interviewte, in kritischer Absicht besuchen wollten. Der Veranstaltungsort war weiträumig abgesperrt. An dem kalten Winterabend skandierten etwa 300 Linke einen etwas modifizierten Demoklassiker: »Wer hat Holm verraten? Sozialdemokraten! Wer war dabei? Die Linkspartei!«

Da bleiben wohl einige Fragen offen. Wären die beiden kritisierten Parteien akzeptabel gewesen, wenn Holm hätte im Amt bleiben können? Und wann hätte Holm mit der Kritik einer Bewegung rechnen müssen, die er angesichts der hohen Erwartungen, die in ihm gesetzt wurden, zwangsläufig ­hätte enttäuschen müssen? Das liegt nicht daran, dass er seine Ideale ver­raten hätte, um etwa »auf die andere Seite« zu wechseln, wie eine beliebte, unterkomplexe linksradikale Politikerschelte suggeriert.

Holm hätte die Bewegung enttäuschen müssen, schlicht weil ein Staatssekretär die Zwänge der kapitalistischen Verwertung nicht hätte außer Kraft setzen können. Das war ihm bewusst, wie ein Interview zeigt, das Holm kurz nach seiner Ernennung der Zeit gegeben hat und mit dem er vermutlich auch der skeptischen liberalen Mittelschicht signalisieren wollte, dass er nicht vorhatte, sozialistische Experimente in Berlin zu betreiben. Als konkrete Pläne nannte Holm dort die Ausweitung des Milieuschutzge­bietes, der Zweckentfremdungsverbote und des Vorverkaufsrechts der Bezirke. »Das freilich hört sich ganz anders an als das, was seine Fans von ihm erwarten. Nicht revolutionär, sondern realpolitisch geerdet«, kommentiert der Taz-Redakteur Uwe Rada Holms Pläne. Doch wenn er daraus folgert, es habe keine Kampagne der konservativen Medien und der Immobilienindustrie gegeben – »warum soll man einen stürzen, der nur Milieuschutzgebiete ausweisen will?« –, übersieht Rada, dass heute schon eine moderate Reformpolitik von Seiten des Kapitals als linksradikal angegriffen wird.

Da kann Holm im Interview noch so sehr betonen, dass das Eigentum nicht infrage gestellt wird, wofür auch viele staatliche Instanzen sorgen. Wenn er dafür gesorgt hätte, dass sich die Immobilienwirtschaft an die eigenen Gesetze hält, wäre das mit Gewinnein­bußen verbunden gewesen. Daher wollte man niemanden auf diesem Posten, der im Zweifel den Interessen der ­Mieter und Erwerbslosen näher steht als denen der Immobilienwirtschaft.

Der Publizist Götz Aly hat das in ­seinen Kommentaren in der Berliner Zeitung deutlich zum Ausdruck gebracht. Holms kurze Stasi-Tätigkeit sieht er als lässliche Jugendsünde. Viel gravierender sei, dass auch der Wissenschaftler Holm nicht das Loblied auf den real existierenden Kapitalismus sang: »Als 36jähriger begeisterte sich der nunmehr auf die Berliner Verfassung vereidigte Staats­sekretär Holm für die Ablehnung der Strukturen der repräsentativen Demokratie – sei es in Form von Parlamenten oder Parteien«, schreibt Aly. Stattdessen habe er für eine rätedemokratische »parallele Machtausübung und -kontrolle im Sinne antizipativer und protagonistischer Demokratie« geworben. »›Protagonisten‹ sind für den Autor Hartz-IV-Empfänger, also Menschen, die an den Rändern der Gesellschaft leben, denen ›Entscheidungsmacht‹ und der ›Hebel in die Hand gegeben‹ werden sollen, um ihre Interessen mit den Techniken der außerparlamentarischen Doppelherrschaft gegen ›alte Bürokratien‹, überkommene Gesetze und Eigentumstitel durchzusetzen.« Ali malt das Bild einer revolutionären Herrschaft an die Wand. In anderen Kommentaren wirft Aly Holm vor, antifaschistische Aktionen und Hausbesetzer unterstützt zu haben.

Was der vom Mitglied der Roten Hilfe zum Marktradikalen gewandelte Götz Aly anprangert, wäre das Arbeitsprogramm einer außerparlamentarischen Linken. Ihr müsste es darum gehen, durch rätedemokratische Strukturen Erwerbslosen, prekär Beschäftigten, Geflüchteten den »Hebel in die Hand« zu geben, also Instrumente, um sich gegen die alltäglichen kapitalistischen Zumutungen zu wehren und ihre Lebenssituation zu verbessern.

Spätestens jetzt, da es nicht mehr gilt, einen Staatssekretär zu verteidigen, sollte diese Organisation von unten im Mittelpunkt der außerparlamentarischen Arbeit stehen. Dabei könnte Holm der Bewegung mit wissenschaftlichem Rat zur Seite stehen. Das könnte auch dazu führen, dass die unterschiedlichen Fraktionen der außerparlamentarischen Linken bei allen poli­tischen Differenzen, die auch an der Causa Holm deutlich geworden sind, kooperieren. Schließlich gibt es auch Stadtteilinitiativen wie »Karla Pappel« aus Treptow, die Holms Rückkehr in die außerparlamentarische Bewegung begrüßen und seinen kurzen Abstecher in die Realpolitik für einen großen Fehler gehalten haben. Und dann gibt es die erklärten Gegner des Staates aus dem Umfeld der Rigaer Straße 94, die die Causa Holm nicht einmal kommentieren. Doch ihr Konzept eines rebellisches Kiezes, der sich gegen Staat und Polizei wehren soll, lässt außer acht, dass der Stadtteil schon immer von kapitalistischer, patriarchaler und rassistischer Unterdrückung geprägt ist und dass ein Kampf um mehr Lohn in einem Spätkauf oder eine verhinderte Zwangsräumung mehr emanzipatorisches Potential haben kann als die ewigen Scharmützel mit der Polizei.

http://jungle-world.com/artikel/2017/06/55710.html

Peter Nowak

»Das Kündigungsverfahren ist nur unterbrochen«

Vergangene Woche entschied das Berliner Landgericht, dass die linke Kneipe »Kadterschmiede« in der Rigaer Straße 94 vorläufig nicht geräumt wird. Die Jungle World hat mit dem Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune gesprochen. Er vertritt das Hausprojekt »Rigaer 94« gegen die Räumungsklagen.

Vergangene Woche lehnte das Berliner Landgericht die Räumungsklage gegen die »Kadterschmiede« ab. Was war der Grund?

Ich hatte zu Verhandlungsbeginn einen Antrag gestellt, die Klage für unzulässig zu erklären, weil der Anwalt der Eigentümer keine Vollmacht vorweisen konnte und gar nicht klar ist, wer überhaupt der Eigentümer ist. Hintergrund ist, dass die Briefkastenfirma Lafone Investments Limited, die als Eigentümerin der Rigaer Straße 94 fungiert, seit dem 8. Juli 2016 keinen Geschäftsführer hat. Damals war der alleinige Geschäftsführer John Richard Dewhurst zurückgetreten. Damit ist die Firma in Deutschland prozessunfähig.

Was ist an der Behauptung des Eigentümeranwaltes dran, ihm sei die Vollmacht abhanden gekommen, als ihm zu Silvester von Unbekannten die Akten zur Rigaer Straße 94 aus seiner Kanzlei entwendet worden sind?

Ich halte das für eine Ausrede. Selbst wenn die Vollmacht Teil der abhandengekommenen Akten war – was ich nicht weiß –, hätte der Anwalt sich innerhalb eines Monats eine neue Vollmacht besorgen können.

Wie geht es in dem Verfahren jetzt weiter?

Das Gericht hat ein Säumnisurteil gegenüber dem Eigentümer erlassen, gegen das der Anwalt Einspruch eingelegt hat. Wenn der Anwalt nachweisen kann, dass er den Eigentümer des Hauses vertritt, wird das Verfahren fortgesetzt und die Räumungsklage geht weiter. Das Kündigungsverfahren ist also nicht beendet, sondern vorerst unterbrochen.

Wäre das nicht eine gute Zeit für eine außergerichtliche Einigung, die ja vom Gericht angeregt wurde?

Dazu gibt es zurzeit auf beiden Seiten keine Bestrebungen. Der Anwalt der Eigentümer hat vor einigen Monaten einen Vorschlag gemacht, der aber nur als Provokation gemeint war und von den Hausbewohnern mit Recht abgelehnt wurden. Danach hat der Eigentümer ständigen Zugang zu dem Haus gefordert und wegen jeder Straftat aus dem Haus hätte der Vertrag gekündigt werden können. Solange gar nicht klar ist, wer der Eigentümer ist, gibt es für die Bewohner auch keinen Grund, sich über eine Einigung Gedanken zu machen.

Bereits im Sommer 2016 wurde die versuchte Räumung der »Kadterschmiede« vom Gericht als rechtswidrig unterbunden. Wird entschiedener Widerstand der Bewohner juristisch belohnt?

Das Gericht guckt schon genauer bei Fällen hin, die stark in den Medien vertreten sind. Im Sommer 2016 gab es ja auch in der Nachbarschaft in Friedrichshain starke Proteste gegen die Belagerung der Rigaer Straße 94 und die Räumungsversuche. Andererseits haben der Eigentümer und die Politik versucht, an dem Hausprojekt Rigaer Straße 94 ein Exempel jenseits des Rechtsstaates zu statuieren. So ist der vor allem vom damaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) vorangetriebene Räumungsversuch im Sommer 2016 als Kampfansage an die linke Szene zu verstehen. Da wollte man gegen ein linkes Projekt vorgehen und hat es mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht so genau genommen.

Kann man sagen, dass der Rechtsstaat in diesem Fall gesiegt hat, obwohl viele der Bewohner der Rigaer Straße 94 davon sprechen, der entschlossene Widerstand im Stadtteil hätte die Räumung verhindert?

Es war die Kombination aus entschiedenem Widerstand – nicht nur der Bewohner, sondern auch der Nachbarschaft – und der Nutzung der juristischen Mittel, die die Räumung der »Kadterschmiede« bisher verhindert hat. Man könnte in diesem Sinne sagen, der Rechtsstaat hat gesiegt, weil es Protest und Widerstand gab und gibt.

http://jungle-world.com/artikel/2017/06/55714.html

Interview:  Peter Nowak

Der gute König Steinmeier: „Er kommt aus Brakelsiek“

Bundespräsidentenwahl: Gibt es tatsächlich keine Alternative zum ausgekarteten Kandidaten? Doch!

Heribert Prantl[1] galt mal als Inbegriff des kritischen Journalisten. Wenn man sein Interview[2] liest, das er kurz vor der Bundespräsidentenwahl[3] im Deutschlandfunk gegeben hat, könnte man denken, er hätte den Posten gewechselt und wäre nun Pressesprecher für den künftigen Bundespräsidenten Steinmeier.

Denn auch nur den Funken einer Kritik suchte man in Prantls Eloge auf den guten König Steinmeier vergeblich. Die interviewende Journalistin Ute Meyer bereitete mit ihren Fragen das Feld vor:

Meyer: Ein Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ist das gut für Deutschland?
Prantl: Ich denke, ja. Die Zeichen stehen ganz gut. Er ist jemand mit unglaublicher Kompetenz, …

Interview Deutschlandfunk[4]

Nachdem Prantl ausführlich Steinmeiers angebliche außenpolitische Pluspunkte aufgezählt hat, den „Friedensvertrag von Minsk zur Rettung der Ukraine“ erwähnte und zu Steinmeiers Rolle am Kiewer Maidan – wo ein Bündnis unter Einschluss von Faschisten eine autoritäre, aber demokratisch gewählte Regierung mit Gewalt stürzte – vornehm schwieg, kommt er zu dessen innenpolitischen Verdiensten:

Er muss im Innenpolitischen im eigenen Land ein Integrator sein, einer, der die Menschen vielleicht wieder zur Politik führt, der diejenigen, die sich für ausgegrenzt halten, wieder gewinnt für diese Demokratie.

Heribert Prantl

Am Ende wird Prantl ganz zum Lobredner auf den guten König Steinmeiner, wenn er ihn so anpreist:

Steinmeier ist ein Betatier. Betatiere ruhen in sich, und das ist bei Steinmeier keine Attitüde. Er ist so. Er ist jemand, der in sich ruht, und ich glaube, er wird ein ganz besonderer Präsidententyp, jemand, der durchaus den Menschen gefallen könnte, weil er so eigen ist, weil er nicht aufdreht, weil er nicht protzt, sich nicht in den Vordergrund spielt. Weil er ein bescheidener und sachkundiger Politiker ist.

Heribert Prantl

Wenn schon ein als kritisch geltender Journalist solche Elogen verfasst, muss es um die Distanz zu Staat und Macht dieser Profession schlecht bestellt sein. Jedenfalls weiß man bei dieser Passage nicht, ob es eine Kabaretteinlage ist, oder ob der Journalist Prantl nun jede kritische Distanz zum künftigen Bundespräsidenten verloren hat.

Er kommt auch aus kleinen Verhältnissen. Er kommt aus einem kleinen Kaff in Niedersachsen, das Brakelsiek heißt, im Kreis Lippe. Da ist er verwurzelt, auch in seiner Religion.

Heribert Prantl

Ein kritischer Journalist hätte das Interview vielleicht mit folgender Frage eingeleitet: Kurz vor der Bundespräsidentenwahl hat eine Gruppe unbekannter Streetart-Aktivisten und -aktivistinnen am Schloss Bellevue in Berlin-Tiergarten mit einer Adbusting-Aktion[5] auf kritische Punkte in der politischen Vita des zukünftigen Bundespräsidenten Frank-Walter-Steinmeier aufmerksam gemacht.

In eine Werbeanlage direkt am Schloss Bellevue hängte die Gruppe ein Poster dem Slogan „Folter? Is mir egal“[6] und einer Karikatur von Steinmeier mit Axt hinterm Rücken. Dann hätte man mit Prantl darüber diskutieren können, ob die Kritik berechtigt oder zu polemisch ist.

Die Fakten, die die Kritiker zur Grundlage ihrer Aktion gemacht haben, sind bekannt. Es ging um Murat Kurnaz, einen Mann mit türkischer Staatsbürgerschaft, der in Bremen lebte und unter Terrorismusverdacht nach Guantanamo gebracht wurde. Ein Untersuchungsausschuss der Europäischen Kommission[7] fand heraus, dass sowohl deutsche als auch US-amerikanische Behörden bald wussten, dass Kurnaz der falsche Mann war.

Die USA hätten ihn freigelassen, wenn die BRD ihn hätte wieder einreisen lassen. Doch Steinmeier, der damals dafür zuständig war, weigerte sich und behauptete, nicht die deutsche, sondern die türkische Regierung sei für Kurnaz zuständig, der deshalb weiter in Guantanamo bleiben musste[8].

Steinmeier sieht in seinem Verhalten bis heute keinen Fehler und auch keinen Grund, sich bei Kurnaz zu entschuldigen. Vielmehr würde er in einem ähnlichen Fall wieder so handeln[9]. Spätestens das hätte doch den kritischen Journalisten Prantl hellhörig machen müssen.

Doch darüber wurde in dem Deutschlandfunk-Interview kein Wort verloren, wie auch sonst in den Medien Schweigen dazu herrschte. Dabei war die Rolle Steinmeiers in der Causa Kurnaz in den Medien für einige Zeit durchaus ein Thema. Doch das ist lange her und vergessen. An Murat Kurnaz haben die Medien das Interesse längst verloren.

Nun könnte man denken, zumindest die Grünen, die sich ja immer eindrücklich als die Menschenrechtspartei vorstellen, werden mit dem Präsidentschaftskandidaten Steinmeier wegen dessen Rolle im Fall Kurnaz, seiner Weigerung, sich zu entschuldigen, und seinem Bekenntnis, wieder so zu handeln, Probleme haben.

Doch schon kurz nach seiner Nominierung kam von der Menschenrechtspartei die Meldung, dass sie Steinmeier für einen respektablen Kandidaten[10] hält.

Dabei gäbe es für die Grünen eine respektable Alternative, der von der Linkspartei aufgestellte Christoph Butterwegge[11] träumt noch immer von der SPD, in die er als linker Juso in den 1970er Jahren eingetreten ist. Dass er die Schröder-SPD dann freiwillig verlassen hat, macht ihm zum respektablen Kandidaten, auch wenn es die SPD, der er nachtrauert nur in der Phantasie linker Jusos gegeben hat. Butterwegge könnte für die Grünen an Attraktivität gewinnen, weil er parteilos ist und auch es auch bleiben will.

Zudem hat sich Butterwegge mit Themen beschäftigt, die für die Grünen in ihrer Frühzeit mal interessant waren. Er ist ein scharfer Kritiker der Verarmungstendenzen großer Teile der hiesigen Gesellschaft. Aber er hat – und da sind wir auch bei den Gründen, warum die Grünen mehrheitlich heute Butterwegge nicht unterstützen – in der von ihnen mit auf den Weg gebrachten Agenda 2010[12] den Kulminationspunkt für diesen Verarmungsprozess ausgemacht.

Dass er dann mit Überschriften wie „Soziale Kälte in einem reichen Land“ eher wie ein Pfarrer als ein Analytiker klingt, zeigt seine Eignung als Bundespräsident besonders, weil ein solcher einen großen Vorrat an Phrasen parat haben muss. Doch jenseits dieser Überschriften spricht Butterwegge an, was die Agenda 2010 bedeutet:

„Hartz IV“ ist europaweit die berühmteste Chiffre für den Abbau sozialer Leistungen und gilt hierzulande als tiefste Zäsur in der Wohlfahrtsstaatsentwicklung nach 1945: Zum ersten Mal wurde damit eine für Millionen Menschen in Deutschland existenziell wichtige Lohnersatzleistung, die Arbeitslosenhilfe, faktisch abgeschafft und durch eine bloße Fürsorgeleistung, das Arbeitslosengeld II, ersetzt.

Christoph Butterwegge

Doch neben seinem Fokus auf die politisch gewollte und geförderte Verarmung hat Butterwegge noch einen wissenschaftlichen Schwerpunkt, mit dem er vielleicht bei den frühen Grünen punkten hätte können, aber nicht bei den aktuellen Grünen.

Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung[13]. Bei ihm dürfte man wohl erwarten, dass er nicht militärischen Einsätze in aller Welt das Wort reden würde. Das macht ihn aber einem grünen Milieu verdächtigt, das schon in helle Aufregung geriet, als noch nicht klar war, ob die neue US-Administration die Nato wirklich abschaffen wollte und damit eine Forderung verwirklicht hätte, die in den ersten 10 Jahren im Grünen Parteiprogramm stand.

Doch längst haben die Grünen die Bundeswehr und die Nato lieben gelernt und in ihrem Milieu wird schon mal diskutiert, ob und wann ein Krieg mit Russland[14] denkbar wäre[15]. Da kann ein Butterwegge, der mit der alten linken Parole „Gegen Sozialabbau und Rüstung“ antritt, nur stören.

Immerhin übt der demnächst aus dem Bundestag ausscheidende Christian Ströbele Kritik[16] an Steinmeiers Uneinsichtigkeit im Fall Kurnaz. Er wird wohl wie auch die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann[17] bei der Bundespräsidentenwahl für Butterwegge stimmen[18]. Es wird sich zeigen, ob er noch weitere Stimmen aus diesem Lager bekommt.

Bei einer Veranstaltung im Taz-Cafe[19] rechnete er kürzlich mit über 100 Stimmen, das wären fünf mehr, als die Linke hat. Dass die Piratenpartei vor ihrem Abschied aus der Bundespolitik nicht einmal zur Wahl von Butterwegge aufrufen und stattdessen mit einer Klamaukaktion[20] ohne Inhalt von der Bühne geht, ist nicht überraschend. „Alles, nur nicht links“, war schließlich der gemeinsame Nenner ihrer konfusen Politik.


https://www.heise.de/tp/features/Der-gute-Koenig-Steinmeier-Er-kommt-aus-Brakelsiek-3622800.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.sueddeutsche.de/thema/Heribert_Prantl
[2] http://www.deutschlandfunk.de/vor-der-bundespraesidentenwahl-ein-kandidat-der-alle.694.de.html?dram:article_id=378708
[3] https://www.bundestag.de/bundesversammlung
[4] http://www.deutschlandfunk.de/vor-der-bundespraesidentenwahl-ein-kandidat-der-alle.694.de.html?dram:article_id=378708
[5] https://linksunten.indymedia.org/en/node/203718
[6] http://maqui.blogsport.eu/2017/02/09/b-folter-is-mir-egal/
[7] http://www.europarl.europa.eu/comparl/tempcom/tdip/final_report_de.pdf
[8] http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/murat-kurnaz-steinmeier-hat-mir-viele-jahre-meines-lebens-gestohlen–126358082.html
[9] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fall-kurnaz-steinmeier-wuerde-wieder-so-entscheiden-a-462617.html
[10] http://www.zeit.de/news/2016-11/14/deutschland-gruene-steinmeier-respektabler-kandidat-fuer-bundespraesidentenamt-14140403
[11] http://www.christophbutterwegge.de/
[12] http://www.beltz.de/produkt_produktdetails/15120-hartz_iv_und_die_folgen.html
[13] http://www.bremen.de/bremische-stiftung-fuer-ruestungskonversion-und-friedensforschung-334985
[14] https://www.heise.de/tp/features/Im-Zweifel-eher-mit-Merkel-als-mit-Wagenknecht-3601757.html
[15] http://www.taz.de/!5355720/
[16] https://twitter.com/MdB_Stroebele/status/830353237966458881
[17] http://www.gruene-xhain.de/de/themen/pressemitteilung-des-kreisverbandes-zur-bundesversammlung
[18] https://twitter.com/MonikaHerrmann1/status/830465035306729476
[19] https://www.taz.de/Kandidat-Bundespraesident/!5378257
[20] http://www.swr.de/swraktuell/satiriker-und-piratenpartei-machen-ernst-papa-sonneborn-als-bundespraesident/-/id=396/did=18988074/nid=396/5hw3nk

Gewerkschaftsfreie Zone Knast

Der Bundesvorstand der Linkspartei erklärte sich im Herbst mit den Forderungen der Gefangenengewerkschaft GG/BO solidarisch. Die Realitätsprobe im rot-rot-grün regierten Thüringen lässt Zweifel an diesem Bekenntnis aufkommen.

»Soziale Gerechtigkeit endet nicht an Gefängnismauern. Rentenversicherung, Mindestlohn und Gewerkschaftsrechte für Inhaftierte!« Mit dieser Forderung ist ein Beschluss des Bundesvorstands der Linkspartei vom vergangenen ­Oktober betitelt. In dem Papier erklärt sich das Gremium mit den Zielen der 2014 gegründeten Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) solidarisch und unterstützt die Forderung nach der vollständigen An­erkennung von Gewerkschaftsrechten auch im Gefängnis. »Die Ausgrenzung Gefangener und Haftentlassener muss bekämpft werden, denn sie ist im Kern auch eine gesamtgesellschaftliche Frage«, heißt es in dem Beschluss, der auch den Entzug von Rechten für Mitglieder der GG/BO kritisiert: »Viele der beigetretenen Insassen sahen sich Schikanen der Anstalten ausgesetzt, Gewerkschaftsmaterial wurde konfisziert, sie wurden verlegt oder zum Dauereinschluss verbracht, die Zellen wurden durchsucht.«

Die beiden Gewerkschaftsmitglieder David Hahn und Maik Büchner haben solche Schikanen erlebt. Büchner ist in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tonna und Hahn in der JVA Untermaßfeld inhaftiert, beide Gefängnisse befinden sich in Thüringen. In dem Freistaat stellt die Linkspartei mit dem ehemaligen Gewerkschaftssfunktionär Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten. Deshalb wandten sich am 12. Januar Hahn, Büchner und die Gefangenensolidarität Jena in einem offenen Brief an Iris Martin-Gehl, die justizpolitische Sprecherin der Linkspartei-Fraktion im Thüringer Landtag. Unter Verweis auf den Beschluss des Parteivorstands forderten die Verfasser ein sofortiges Ende der Postzensur für die GG/BO-Mitglieder, zudem sollen regelmäßige Treffen der Gewerkschaftsmitglieder in den Gefängnissen ermöglicht werden. Ein historisches Vorbild für diese Forderungen sind Gefangene in Hessen, die in den achtziger Jahren den Grünen beigetreten waren und damals regelmäßige Parteitreffen erkämpften.

Erst knapp drei Wochen später kam eine Antwort – aufgrund einer entsprechenden Nachfrage der Jungle World. Jens Schley, ein Mitarbeiter Martin-Gehls, schrieb, ohne konkret auf die Forderungen der GG/BO-Mitglieder einzugehen: »Von vermeintlicher oder tatsächlicher Postzensur Betroffene« hätten das Recht, eine Beschwerde einzureichen und disziplinar- und strafrechtlich gegen die JVA vorzugehen. Auch der Forderung nach regelmäßigen Treffen der Gewerkschaftsmitglieder stellte Schley lediglich eine Interpretation der geltenden Rechtslage entgegen: »Die Vertretung der Gefangenen einer JVA über eine eigene Gewerkschaft ist durch das Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch (ThürJVollzGB) nicht vorgesehen. An ihre Stelle treten, aber ohne gewerkschaftliche Struktur und ohne gewerkschaftliche Vertretungsaufgabe, die Gremien der Gefangenenmitverantwortung, deren Wahl, Vertretungsaufgabe und Bereiche der Berücksichtigung ihrer Mitwirkung über Verwaltungsvorschriften zum ThürJVollzGB geregelt sind.«

Bei den Verfassern des offenen Briefes ist man über die Reaktion enttäuscht. Konstantin von der Jenaer GG/BO-Soligruppe sagte im Gespräch mit der Jungle World: »Weder Frau Martin-Gehl noch sonst jemand aus der Linkspartei hat es für nötig erachtet, nach der Veröffentlichung unseres offenen Briefs mit uns oder unseren inhaftierten Sprechern Kontakt aufzunehmen.« Zudem verstecke sich die Partei »Die Linke« hinter bestehenden Gesetzen, ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, diese zu ändern. Der Jenaer GG/BO-Sprecher kritisiert zudem, dass die Häftlinge in dem Schreiben Schleys auf die institutionalisierte Gefangenenmitverwaltung verwiesen werden. Schley könne offenbar nicht verstehen, »dass die inhaftierten Arbeiterinnen und Arbeiter ihr Leben in die eigenen Hände nehmen und ihre eigene Gewerkschaft aufbauen« wollen. Genau diese gewerkschaftliche Selbstorganisierung hinter Gittern aber werde in dem Beschluss des Linkspartei-Bundesvorstandes ausdrücklich begrüßt und unterstützt.

Schley kündigt an, dass die Linkspartei die Diskussion über eine Gesetzesreform in Thüringen weiter vorantreiben werde. Dass die GG/BO-Mitglieder und ihre Unterstützer sich damit zufrieden geben, ist kaum zu erwarten. Schließlich hatten sie schon in ihrem offenen Brief darauf hingewiesen, dass der Strafvollzug Ländersache sei: »Ausreden gibt es also keine. Vor allem aber erwarten wir Taten.«

http://jungle-world.com/artikel/2017/06/55696.html

Peter Nowak

Dresdner Opfermythos trifft auf Installation eines syrischen Künstlers

"Das Monument" und viele Fragen, u.a.: Welche symbolische Botschaft geht von einer von Islamisten gegen eine repressive laizistische Regierung verteidigten Barrikade aus?

Vor dem Jahrestag zur Bombardierung Dresden marschieren die Rechten wieder in der sächsischen Stadt auf. Die Mobilisierung der Gegner[1] ist in diesem Jahr allerdings schwächer als im letzten Jahr. Das dürfte auch darin liegen, dass die Nazigegner mit den allwöchentlichen Pegida-Aufmärschen ständig zu tun haben.

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Anwohner/innen im Friedrichshainer Nordkiez machen deutlich, dass Luxusneubauten dort nicht erwünscht sind

Punkt elf begann das Scheppern. Ca. 15 AnwohnerInnen im Friedrichshainer Nordkiez schlugen am eisigen Wintervormittag vor dem Eingang der Rigaer Straße 71-73 kräftig auf Pfannen und Töpfe. Seit fast drei Wochen findet an diesem Ort täglich um 19 Uhr für 10 Minuten das von NachbarInnen organisierte Scheppern gegen die CG-Gruppe statt (MieterEcho berichtete). Am 10. Februar fand die Aktion ausnahmsweise vormittags im Rahmen einer Pressekonferenz statt,  auf der die Aktionsgruppe gegen die  CG-Gruppe, zu der sich die AnwohnerInnen zusammengeschlossen haben, in der Öffentlichkeit noch einmal die Gründe deutlich machte, warum sie gegen den Bau des sogenannten Carré Sama-Riga protestieren, das nach den Vorstellung des Investors CG-Gruppe dort errichtet werden soll. Gudrun Gut von der Aktionsgruppe zitierte dazu aus einer Publikation der CG-Gruppe, in der sie deutlich machte, dass ihr Ziel die Aufwertung ganzer Stadtteile ist. Die zahnlose Mietpreisbremse wird in der Broschüre als Eingriff in die Eigentümerrechte bezeichnet und abgelehnt. Gudrun Gut beschrieb auch die Folgen des CG-Projekts für die einkommensschwachen Menschen, die im Kiez wohnen. Die Mieten steigen auch in der Nachbarschaft. Schon häufen sich Kündigungen, bevor mit dem Bau überhaupt begonnen wird.

Wo einst der Lidl stand, sollen Eigentumswohnungen und ein Hotel errichtet werden

Welche Auswirkungen die Aufwertung des Stadtteils auf die Umgebung hat, konnten die PressevertreterInnen gut beobachten Auf dem Areal der Rigaer Straße 36-39 waren die Abrissarbeiten nicht zu überhören und zu übersehen. Dort stand bis zum 31. Dezember 2016 eine Lidl-Filiale. Jetzt sollen auf dem Areal Eigentumswohnungen und ein Hotel entstehen. Schon klagen kleine LadenbesitzerInnen über massive Einkommensrückgänge seit der Lidl-Schließung. Die AnwohnerInneninitiative betonte, dass es ihr nicht um die Verteidigung des Geschäftsmodells von Lidl gehe. Sie wolle aber darauf hinweisen, wie erst die soziale Infrastruktur für Menschen mit wenig Einkommen verschwindet und dann die MieterInnen selber verdrängt werden. Ein Mitglied der Friedrichshainer Bezirksgruppe der Berliner MieterInnengemeinschaft stellte die geplanten Nobelbauten in der Rigaer Straße in den Kontext einer Stadtpolitik, die  Wohnungen für Vermögende und nicht für die Mehrheit der  Bevölkerung baut. Doch im Friedrichshainer Nordkiez könnten die  Pläne der CG-Gruppe ins Stocken geraten. Noch hat die BVV-Friedrichshain-Kreuzberg die Baugenehmigung nicht erteilt. Der neue Baustadtrat des Bezirks Florian Schmidt hat in einem Tagesspiegel-Interview erstmals Zweifel geäußert, ob die Pläne überhaupt genehmigungsfähig seien und sich ausdrücklich auf die Proteste sowie die Einwendungen gegen  das Carré Sama Riga bezogen. Für die CG-Gruppe war das der Grund, erstmals zwei Mitarbeiter als Beobachter in die  BVV-Sitzung zu schicken. Die Position der Stadtteilinitiative hat Gudrun Gut auf der Pressekonferenz noch einmal deutlich gemacht. Sie fordert einen Stopp aller Bauarbeiten und den Beginn einer öffentlichen Diskussion mit den Anwohner/innen  über  die Perspektive des Grundstücks. Die Aktionsgruppe machte allerdings  auch deutlich, dass sie auf Protest vor Ort und nicht auf Politikberatung setzt. Auch davon konnten sich die PressevertreterInnen mit eigenen Augen überzeugen. „Wer hier kauft, kauft Ärger, „CG-Gruppe nicht erwünscht“ und „Versagen der Stadtpolitik“ lauteten die Parolen, die  sehr deutlich auf den Bauzäunen zu sehen sind.#
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/rigaer-str-71-73.html

MieterEcho online 10.02.2017

Peter Nowak

Unerträgliche Schmähung

Fulda – Geldstrafe für Internet-Hetzer wegen Verleumdung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano.

Das  Landgericht Fulda verurteilte am 9. Februar Marcus B. wegen Verleumdung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen in der Höhe von 30 Euro. Im Anschluss an ein antifaschistisches Konzert im April 2015, in dem Esther Bejarano gemeinsam mit der RAP-Gruppe „Microphone Mafia“  in Fulda  aufgetreten war, postete B. unter dem Namen Sucram Relhärb: „Die große ‚Esther-Bejarano-Show’, Lesungen, Vorträge und zum Schluss noch ein Konzert…. Komischerweise werden überall in der Welt alte Menschen für ‚Beihilfe zum Massenmord’ angeklagt und verurteilt, weil sie mit dem Nazi-Regime kollaboriert hatten. Und nichts anderes hat diese Frau, die ‘um ihr Leben gesungen‘ hat, getan, sie hat andere mit einem lachenden Auge in den Tod gehen lassen, in dem sie sich mit anderen FREIWILLIG zur Bildung eines Lagerchors gemeldet hat!! Die schöne Welt der scheinheiligen Doppelmoral…“

„Es ist schon unerträglich, dass meine Lesung über meine Erlebnisse unter dem Nazi-Regime als „Esther-Bejarano-Show“ tituliert wird, dass dieser Herr B. dann aber auch noch mich als Täterin bezeichnet und mich der „Beihilfe zum Massenmord“ beschuldigt, ist eine Täter-Opfer-Umkehrung sondergleichen,“ schrieb die 92-jährige Esther Bejarano in ihrer Anzeige. Auch das Auschwitzkomitee hatte gegen B. geklagt. Nach zweijähriger Ermittlung verurteilte ihn das Landgericht jetzt zu einer Geldstrafe. B., der als Feuerwehrmann im Landkreis Fulda arbeitet, entschuldigte sich vor Gericht wegen der Verleumdung.

Nach Angaben eines Mitglieds der Initiative „Fulda stellt sich quer“, der seinen Namen nicht veröffentlichen will, sei B. bereits in der Vergangenheit mit rechten Postings auf verschiedenen Internetseiten bekannt geworden. Auch das zivilgesellschaftliche Bündnis sei von ihm mehrmals angegriffen worden. In der letzten Zeit kam es mehrmals zur Bedrohung von Mitarbeitern dieses Bündnisses.

aus:  Blick nach Rechts, 10.02.2017

https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/unertr-gliche-schm-hung

Peter Nowak

„Exemplarisch für andere informelle Siedlungen“

GENTRIFIZIERUNG:Der Historiker Niko Rollmannarbeitet zur Geschichte der Cuvry-Brache

Niko Rollmann, 45 Jahre, Historiker, hat das Buch „Der lange Kampf – die Cuvrysiedlung in Berlin“ veröffentlicht (80 Seiten; 18 Euro). Bestellt werden kann es unter cuvry-siedlung@gmx.de.

taz: Herr Rollmann, warum ein Buch über einen Kampf, der bereits seit zwei Jahren durch die Räumung beendet ist?

Niko Rollmann: Zum einen geht es für mich darum, die Geschichte und Umstände dieser Siedlung in einer möglichst objektiven Form zu schildern. Denn zeit ihrer Existenz wurde die „Cuvry“ von den Medien zumeist in einer hochgradig verzerrten Form dargestellt. Zum anderen ist das Schicksal des Lagers exemplarisch für viele andere informelle Siedlungen in Berlin. Darüber hinaus zeugte die Siedlung auch als kleiner Mikrokosmos von Armut, Wohnungsnot und Verdrängung innerhalb dieser Stadt.

Sie sprechen von „Cuvry-Siedlung“ und nicht von „Cuvry-Brache“. Hat die Wortwahl eine Bedeutung?

Die Wortwahl ergibt sich daraus, dass das Areal ja bereits seit 1999 eine Brache ist. Und man könnte über das wechselhafte Schicksal dieser Fläche noch mal ein eigenes Buch schreiben! Aber mir ging es primär um die dort von 2012 bis 2014 existierende Siedlung.

Sie sprechen auch die Probleme an, die es mit der Siedlung gab. Wollten Sie damit die Romantisierung des Lebens in der freien Natur kritisieren?

Genau! Schließlich sollte die Siedlung gerade in der letzten Phase ihrer Existenz ein „hartes Pflaster“ sein. Es gab zum Beispiel Probleme mit Kleinkriminalität, Rassismus, Homophobie und Vermüllung. Und auch in gut funktionierenden informellen Siedlungen kann das Leben gerade im Winter recht anstrengend sein.

Haben Sie noch Kontakt mit BewohnerInnen?

Viele der ehemaligen BewohnerInnen sind seit der Räumung 2014 leider „vom Radarschirm“ verschwunden. Aber ja, zu mehreren Personen habe ich glücklicherweise noch Kontakt.

Auf dem Areal soll jetzt ein Nobelbau errichtet werden. Wolen Sie die Diskussion über die Bebauung noch einmal neu aufnehmen?

Sagen wir es mal so: Ich freue mich, dass es in Kreuzberg aktive Bürgerinitiativen gibt, für die in Sachen Cuvry-Brache noch nicht das letzte Wort gesprochen ist! Und ich weiß auch, dass viele BürgerInnen vor Ort Angst vor den Gentrifizierungstendenzen haben, die das Bauprojekt mit großer Wahrscheinlichkeit verursachen wird. Insofern betrachte ich mein Buch als Teil dieser Diskussion.

Informelle Siedlungen gibt es in Berlin auch außerhalb Kreuzbergs weiter. Wie sollte die Politik damit umgehen?

Die Politik sollte zuerst einmal genau hinschauen: Es gibt auf der einen Seite mehrere recht erfolgreiche informelle Siedlungen, die in der Tradition eines selbstbestimmten, alternativen Lebens im innerstädtischen Raum stehen. Sie symbolisieren die „Stadt von unten“-Bewegung, organisieren kulturelle Veranstaltungen und stellen eine Bereicherung für die Nachbarschaft dar – Orte wie zum Beispiel das „Teepeeland“ oder die „Lohmühle“. Die Politik sollte diese Siedlungen schützen und unterstützen. Andererseits gibt es aber auch „wilde Camps“, die für die AnwohnerInnen eine immense Belastung darstellen können. Hier muss die Politik ihre Verantwortung wahrnehmen und in einer sozialverträglichen Art und Weise eingreifen.

Taz, Die Tageszeitung, DONNERSTAG, 9. FEBRUAR 2017

Interview Peter Nowak

Wie Sozialer Wohnungsbau zur Profitquelle wird.

– „Deutsche Wohnen“ will in der Otto-Suhr-Siedlung Bestandsmieter/innen verdrängen.

Die Otto-Suhr-Siedlung nordwestlich vom Moritzplatz wurde in den 1950er Jahren errichtet. Viele der Mieter/innen die dort seit Jahrzehnten wohnen sind heute Rentner/innen und Familien mit geringen Einkommen. Sie befürchten jetzt, vertrieben zu werden. Denn seit November 2016 erhalten sie Modernisierungsankündigungen der Deutschen Wohnen (DW), einer Gründung der Deutschen Bank, die in Berlin zum marktbeherrschenden Investor geworden ist. Sie  wurde zum größten Wohnungsbesitzer Berlins, nachdem sie  die Gehag, die GSW sowie weiteren Wohnungsbesitz aus öffentlicher Hand aufgekauft hatte.  Die Otto-Suhr-Siedlung gehört dazu. Für die DW-Ökonomen gehört sie wegen ihrer exponierten Lage zu einer „Siedlung mit Potenzial“. Für die Mieter/innen ist das eine Drohung. Sie befürchten Mieterhöhungen, die sie mit ihren Einkommen nicht bezahlen können. So soll Manuela Besteck für ihre 58 Quadratmeter-Wohnung statt bisher 306 Euro nach der Modernisierung künftig 486 Euro zahlen.

Energetische Sanierung treibt Mieten in die Höhe
Dabei klagen die Mieter/innen schon lange, dass die DW notwendige Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten nicht ausführt. Nun will sie mit den energetischen Modernisierungsmaßnahmen, die vom Gesetzgeber geschaffenen Schlupflöcher nutzen, damit die Wohnungen für sie auch dann noch profitabel bleiben, wenn die Siedlung, wie von der BVV Kreuzberg-Friedrichshain geplant, zum Milieuschutzgebiet erklärt wird. Denn in Sanierungsgebieten sind energetische Sanierungen und die damit verbundenen Mieterhöhungen zu genehmigen.  Aber das Drohszenario, dass die DW mit den Modernisierungsankündigungen aufbaute, hat dazu geführt, dass sich die Mieter/innen organisieren. Unterstützt von Mieteraktivist/innen, haben sie Forderungen entwickelt und sind in der Öffentlichkeit gegangen. Am 8. Februar haben sie einen von 800 Menschen unterzeichneten Offenen Brief an die Mitglieder der BVV Kreuzberg-Friedrichshain übergeben. Dort sind auch sehr konkrete Forderungen aufgelistet. Dazu gehört die Rekommunalisierung der Wohnungen, eine Forderung, die sich auch an den neuen Berliner Senat richtet. Weitere Forderungen sind die Erstellung eines unabhängigen Gutachtens, mit dem ermittelt werden soll, wo und ob die geplante energetische Sanierung  überhaupt zum Energiesparen beitragen kann,  die Bereitstellung eines Raumes in der Siedlung, in dem sich die Mieter/innen treffen und organisieren können.  Als konkreter Ort wird eine geschlossene Bibliothek genannt. Tatsächlich haben sich die Mieter/innen und ihre Unterstützer/innen in den letzten Wochen häufig getroffen. In den letzten Tagen haben sie gemeinsam Unterschriften für den Offenen Brief gesammelt, Transparente gemalt, eine Pressekonferenz und eine Kundgebung vor der BVV-Versammlung organisiert. Die Parole „Gemeinsam gegen hohe Mieten und Verdrängung“ ist auf dem Leittransparent auf deutsch und Türkisch zu lesen. Schließlich sind viele der Mieter/innen, die in der Siedlung leben, in der Türkei geboren. So machen die MieterInnen der Otto-Siedlung auch deutlich, dass sie Spaltungsversuche nach Sprache, Ethnie und Herkunft ablehnen. „Wir leben hier. Wir sind alle von den hohen Mieten betroffen. Wir kämpfen zusammen. Das ist doch selbstverständlich, sagt eine Mieterin.

MieterEcho online 09.02.2017

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/dw-in-der-otto-suhr-siedlung.html

Peter Nowak

Flüchtlingspolitik: Nationale Kraftanstrengung für Rückführung und Abwehr

Kanzlerin Merkel, die deutsche Version der Freiheitsstatue, plant neue Maßnahmen. Aus Angst vor der AfD sind fast alle Parteien mit dabei

Kanzlerin Merkel wird ja gerne bis in die Kreise der Grünen als große Verteidigerin der Menschenrechte dargestellt. Ja, nach der Wahl von Trumps wird sie schon zu einer deutschen Version der Freiheitsstatue hochgejubelt. Dass unter ihrer Regierung mehr Gesetze zur Flüchtlingsabwehr verabschiedet wurden als unter anderen Regierungen, scheinen ihre Befürworter und Gegner nicht zu sehen.

So dürfte auch Merkels Bild als deutsche Freiheitsstatue und Anführerin der freien Welt nicht ankratzen, wenn sie nun erneute Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr plant. Wie der Spiegel meldete[1], will Merkel heute ein 16-Punkte-Programm zur Flüchtlingsabwehr vorstellen.

In den kommenden Monaten werde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) „fortlaufend eine hohe Zahl von Asylanträgen von Personen ablehnen, die keines Schutzes in Deutschland bedürfen“, heißt es in dem Papier.

Die Zahl der Ausreisepflichtigen wird dadurch 2017 weiter steigen. Es bedarf deshalb einer nationalen Kraftanstrengung, um zusätzliche Verbesserungen in der Rückkehrpolitik zu erreichen.

16-Punkte Programm zur Flüchtlingsabwehr[2]

Einige der 16 Punkte hat der Spiegel genannt:

  1. Ein „Gemeinsames Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr“, das in den nächsten drei Monaten unter Leitung des Bundesinnenministeriums in Berlin eingerichtet wird. Von dort aus sollen Sammelabschiebungen koordiniert werden, das Zentrum soll zudem „in allen Problemfällen die nötigen Dokumente für Personen beschaffen, die Deutschland wieder verlassen müssen“.
  2. In einem zweiten Schritt könnten „Bundesausreisezentren“ geschaffen werden, in denen abgelehnte Asylbewerber in den „letzten Tagen oder Wochen“ vor ihrer Abschiebung zentral untergebracht werden.
  3. Als Reaktion auf den Anschlag in Berlin soll die Abschiebehaft für Ausländer erleichtert werden, „von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben“ ausgeht. Das Bamf soll zudem in Zukunft auch die Handys und Sim-Karten von Flüchtlingen auswerten dürfen, um ihre Identität überprüfen zu können.
  4. Das Prozedere, mit dem Ärzte die „Reisefähigkeit“ vor einer Abschiebung feststellen, soll „mit dem Ziel einer Beschleunigung verbessert werden“.
  5. Die Anreize für abgelehnte Asylbewerber, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren, werden erhöht. 90 Millionen Euro will der Bund 2017 für Rückkehr- und Reintegrationsprogramme ausgeben. „Die Förderung wird höher ausfallen, je früher sich ein Betroffener zur freiwilligen Rückkehr entscheidet.“

Nun können sich manche sich wunderbar über die flüchtlingsfeindliche Politik der Trump-Administration aufregen und gleichzeitig Merkel als liberales Gegengewicht ausrufen. Dabei kann sie wahrscheinlich erfolgreicher Flüchtlinge von Deutschlands Grenzen fernhalten, als das es die USA selbst unter Trump durchsetzen können.

Die Taz hat am Mittwoch passend über ein gekentertes Flüchtlingsboot irgendwo im Meer den Titel „Merkels Mauer“ gesetzt. Es sollen möglichst ja keine Migranten mehr über das Meer kommen. Hier wird auch das zentrale Thema der nächsten Wahlkämpfe gesetzt. Aus Angst vor der AfD wollen fast alle anderen Parteien beweisen, dass sie selber eine nationale Kraftanstrengung zur Flüchtlingsrückführung schaffen.

Die Union muss da besonders rigide Duftmarken setzen, um ihrer Klientel zu signalisieren, bei ihnen bekommen sie das, was die AfD mangels Regierungsoption nur versprechen kann. Deshalb überbieten sich Unionspolitiker jetzt mit auch rechtlich zweifelhaften Vorstößen. So will der Unionsfraktionschef Volker Kauder Geflüchtete, denen Sozialbetrug nachgewiesen wird, aus dem Asylverfahren herausnehmen und abschieben[3].

Das ist eine rechtlich fragwürdige Doppelbestrafung. Denn schließlich wird bei allen Menschen nachgewiesener Sozialbetrug geahndet. Eine zusätzliche Ausweisung könnte als Diskriminierung von Menschen anderer Nationalitäten verstanden werden. Die SPD hat schon ganze Vorarbeit geleistet.

In einem Gastbeitrag[4] für die FAS geht SPD-Politiker Thomas Oppermann auf einen alten Vorschlag von Otto Schily zurück, der bereits als Innenminister einer rot-grüne Regierung Migranten in Afrika abfangen wollte[5].

„So sehr ich verstehe, dass Europa für viele der gelobte Kontinent ist – um einen kontrollierten Prozess für Einwanderung zu ermöglichen, brauchen wir sichere Außengrenzen. Es darf weder ein Zurück zur unkontrollierten Balkan-Route geben, noch können wir zulassen, dass täglich Menschen auf der Mittelmeer-Route sterben“, betont Oppermann. Und dann verpackt er den entscheidenden Vorschlag als scheinbar flüchtlingsfreundlich:

Es ist nicht hinnehmbar, dass kriminelle Schleuser in einem mafiaähnlichen Geschäft darüber entscheiden, wer es bis nach Europa schafft. Eine Lösung liegt in engerer Zusammenarbeit nicht nur mit dem zerrissenen Libyen, sondern auch mit stabileren Transitländern in Nordafrika – etwa Marokko und Tunesien. Das Ergebnis von Malta, das sich am Türkei-Abkommen orientiert, ist ein Schritt dahin. Um die Schleuserbanden wirksamer zu bekämpfen, müssen wir ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, indem die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge wieder zurückgebracht und zunächst in Nordafrika versorgt und betreut werden.

Thomas Oppermann

Nun könnte das Sterben im Mittelmeer auch beendet werden, indem Fähren und andere sichere Routen für Migranten eingerichtet werden. Durch die Verweigerung dieser sicheren Routen müssen die Migranten erst die Dienste der manchmal Schleuser, manchmal Fluchthelfer genannten Berufsgruppe in Anspruch nehmen. Darauf haben Flüchtlingsorganisationen immer wieder hingewiesen.


Die Linkspartei ist in der Flüchtlingsfrage besonders heterogen. Während die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke auf eine Willkommenskultur[6] setzt und damit vor allem einen Teil der jüngeren Parteibasis hinter sich weiß, hat Sahra Wagenknecht schon lange die vermeintlichen Sorgen der Bürger in den Mittelpunkt gestellt und offene Grenzen ins Reich der Utopie verwiesen.

Jetzt hat Oskar Lafontaine noch einmal in dieser Frage nachgelegt. In einem Interview mit der Welt[7] erklärte Lafontaine, der Staat müsse entscheiden, wen er aufnimmt. „Das ist nun mal die Grundlage staatlicher Ordnung“, die der ewige Sozialdemokrat auch nie in Frage stellen würde.

Dass er dabei auch Repression anwenden würde, hat Lafontaine gleich nachgeschoben:

Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzugehen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebung.

Oskar Lafontaine

Dass seine Intervention eine Reaktion auf den Erfolg der AfD ist, verheimlicht Lafontaine gar nicht. Er rief die Linke zum Nachdenken auf, „warum so viele Arbeiter und Arbeitslose AfD wählen, obwohl diese Partei Lohndrückerei und Rentenkürzung im Programm hat. Wir dürfen es nicht rechten Parteien überlassen, die Probleme der Lohn- und Mietkonkurrenz anzusprechen“.

Das heißt im Grunde, die Linke soll lieber selber abschieben, damit die AfD nicht größer wird. Nun ist diese Position schon lange bekannt. Sie ist ursozialdemokratisch und verteidigt einen exklusiven und ausgrenzenden Nationalstaat, der erkämpfte soziale Reformen nur an eine ganz bestimmte Gruppe weitergeben soll. Auch die Begründung von Lafontaine ist ursozialdemokratisch und wird im Klientel sicher auch ankommen. Er weist auf das Lohn- und Sozialdumping hin, wenn die Konkurrenz am Arbeitsmarkt wächst.

Was die empirischen Daten im Kapitalismus betrifft, hat er mit der Beschreibung nicht Unrecht. Natürlich sind offene Grenzen unter kapitalistische Bedingungen das Einfallstor für Lohndumping und für einen Brain drain aus den Staaten des globalen Südens. Das wurde in dieser Woche in den USA deutlich, wo sich die Silicon Valley-Branche zum Vorreiter beim Widerstand gegen Trumps restriktive Einreisepolitik machten.

Sie sehen ihr Geschäftsmodell in Gefahr, das aus dem Anlocken von Fachkräften aus aller Welt in die USA besteht. Es wäre fatal, wenn die Linke auf einmal diese Kapitalfraktion unterstützt. Das wäre ein Rückfall in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die sich damals entwickelnde Arbeiterklasse die bürgerlichen Liberalen unterstütze. Es war ein Akt der Selbstbefreiung, als sie diese Kooperation beendete und sich auf seine eigene Stärke und Kraft vertraute.

Sich in dieser Auseinandersetzung auf die Seite der scheinbar liberalen Bourgeoisie zu schlagen, ist genauso falsch, wie Lafontaines Vorschlag, selber das Geschäft der AfD erledigen zu wollen. Gegen den Versuch, Migranten, genau so wie Erwerbslose übrigens, als Billiglohnkonkurrenz gegeneinander auszuspielen, hilft nur ein Mittel, sich dagegen gemeinsam unabhängig von der Herkunft zu organisieren und zu wehren.

Eine solche transnationale Bewegung könnte verhindern, dass Löhne und Gehälter unterboten werden. Das war übrigens der Inhalt der Parole der ersten Internationale „Proletarier aller Länder vereint Euch“. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass dieses Programm vom Kapital und in ihren Interesse durchgesetzt wird, und sich manche Linken wieder auf den ausschließenden Nationalstaat zurückziehen wollen.

https://www.heise.de/tp/features/Fluechtlingspolitik-Nationale-Kraftanstrengung-fuer-Rueckfuehrung-und-Abwehr-3620579.html

Peter Nowak


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http://www.heise.de/-3620579

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-will-zahl-der-abschiebungen-mit-16-punkte-plan-erhoehen-a-1133615.html
[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-will-zahl-der-abschiebungen-mit-16-punkte-plan-erhoehen-a-1133615.html
[3] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/auslaenderrecht-kauder-will-fluechtlinge-nach-sozialbetrug-abschieben-aid-1.6593409
[4] http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=1809
[5] https://www.welt.de/geschichte/article153135839/Als-Schily-Fluechtlinge-in-Nordafrika-abfangen-wollte.html
[6] http://www.ulla-jelpke.de/2017/02/artikel-linke-willkommenskultur/
[7] https://www.welt.de/politik/deutschland/article161818446/Staat-muss-entscheiden-koennen-wen-er-aufnimmt.html

HU-Studierende bringen neuen Schwung in die Berliner Apo

Universitätsaktivisten und Vertreter stadtpolitischer Initiativen berieten die nächsten Schritte ihrer Kooperation

»Holm bleibt«, steht auf mehreren Bannern im großen Versammlungsraum, in dem am Dienstagabend studentische Aktivisten und Vertreter stadtpolitischer Initiativen die nächsten Schritte ihrer Kooperation berieten.

Seit mehr als drei Wochen halten Studierende das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität besetzt, um gegen die Entlassung des kritischen Stadtsoziologen Andrej Holm durch die Universitätspräsidentin Sabine Kunst wegen falscher Angaben zu seiner Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR zu protestieren.
»Den Kampf um Holm haben wir verloren. Doch durch die große Solidaritätskampagne wurde erreicht, dass er nicht schon nach einer Woche als Staatssekretär entlassen wurde«, meinte Rouzbeh Taheri vom Mietenvolksentscheid am Dienstagabend. Kurt Jotter vom Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen bescheinigte den Studierenden, neuen Schwung in die außerparlamentarische Opposition Berlins gebracht zu haben. Es sei ihrer Initiative zu verdanken, dass es Ende Januar zur ersten Demonstration sozialer Initiativen nach Antritt von Rot-Rot-Grün in Berlin gekommen ist. Zum hundertsten Tag von deren Regierungsantritt will das Bündnis erneut mit Aktionen für eine andere Mietenpolitik auf die Straße gehen und dort auch den Koalitionsvertrag kritisieren.Derweil debattieren die Studierenden über die Perspektive der Besetzung. Seit dem 6. Februar finden in drei Institutsräumen wieder Vorlesungen statt. Demnächst stehen Klausuren an.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1041188.hu-studierende-bringen-neuen-schwung-in-die-berliner-apo.html

Peter Nowak

Kommt die Grexit-Debatte wieder?

Manche wollen Griechenland aus dem Euro hinausbegleiten. Gibt es auch eine EU ohne Austerität?

Der Polen-Besuch von Bundeskanzler Merkel wurde als großer Erfolg für die EU und für Merkel bezeichnet. Dabei war man sich nur in der gemeinsamen Gegnerschaft gegenüber Russland einig. Über die EU hatte die nationalkonservative Regierung, die einen Rückbau der EU fordert, ganz andere Vorstellungen[1] als der von Merkel repräsentierte Block der deutschen EU.

Doch man hofft, Polen auf Linie zu bringen, weil mit dem Brexit Polen ein Bündnispartner verloren ging. Die Konservativen saßen sogar mit der polnischen Regierungspartei in der gleichen EU-Fraktion. Aber Merkels Bekenntnis, dass es in der EU keine Mitglieder mit unterschiedlichen Rechten geben dürfe, werden wohl auch die polnischen Gastgeber als Propaganda erkannt haben. Schließlich wird in den letzten Monaten mehr denn je, auch von Politikern aus Merkels Umfeld von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten gesprochen.

Ein EU-Staat minderen Rechts ist schon lange Griechenland, das unter dem im Wesentlichen von Deutschland orchestrierten Austeritätsprogramm nicht nur auf sozialem Gebiet einen beispiellosen Aderlass erlebte. Auch die Schleifung tariflicher und gewerkschaftlicher Rechte ist fester Bestandteil dieses Austeritätsprogramms. Griechische Gewerkschafter beschreiben die Folgen in der Zeitschrift ver.di Publik[2]:

Darunter fällt auch die Aufweichung des Kündigungsschutzes. Das betrifft die Zahl der zugelassenen monatlichen Kündigungen in einem Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen. Bisher sind sie auf fünf Prozent der Beschäftigten beschränkt, jetzt sollen sie auf zehn Prozent angehoben werden. Hinzu kommen weiter sinkende Lohnniveaus, die unter dem Mindestlohn von 585 Euro für Berufseinsteiger liegen können und bei denen den Gewerkschaften die Tarifhoheit genommen werden soll, ebenso wie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Zudem soll das Streikrecht geändert werden: Streiks müssen beim Arbeitgeber künftig 20 Tage vorher angemeldet werden. Die Gewerkschaftsverbände sollen nicht mehr zu Streiks aufrufen dürfen. Stattdessen muss die Mehrheit der Beschäftigten des jeweiligen Betriebs für einen Streik stimmen. Weiterhin fordern die Gläubiger, dass Freistellungen für Gewerkschaftsarbeit reduziert und Aussperrungen als Arbeitskampfmaßnahme für Arbeitgeber eingeführt werden.

ver.di Publik

Eine treibende Kraft bei dieser Entrechtung der Beschäftigungen zum Zwecke der Deregulierung des Arbeitsmarktes ist der Internationale Währungsfonds, der schon bei einem Treffen in Westberlin 1988 von Kritikern[3] als Institution markiert wurde, die zur Verarmung und Entrechtung beiträgt.

In Griechenland bestätigt sich dieses Urteil. Deswegen will vor allem die Bundesregierung den IWF mit im Boot haben, wenn Griechenland der Knüppel gezeigt wird. Doch weil die IWF-Bürokratie einschätzt, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen kann, könnte sich der IWF daraus zurückziehen und in Deutschland steht eine neue Grexit-Debatte an. Der Europapolitiker der FDP, Alexander Graf Lambsdorff[4], hat schon mal den Austritt Griechenlands aus der EU-Zone gefordert[5]:

„Wir müssen so schnell wie möglich einen Weg finden, wie wir Griechenland zwar in der EU und ihrer Solidargemeinschaft halten, aber aus der Eurozone hinaus begleiten“, sagte Lambsdorff und regte einen geordneten Übergang zur griechischen Nationalwährung an.

Die Debatte dürfte in Deutschland wieder an Fahrt aufnehmen, wenn es um weitere Gelder für die griechischen Banken geht, die immer fälschlich als Griechenlandhilfe bezeichnet werden. Gerade im Vorwahlkampf dürften verschiedene populistische Attacken gegen Griechenland gestartet werden.

Da stellt sich noch einmal dringlicher die Frage, ob sich für Tsipras und die Mehrheitsfraktion seiner Syriza die Unterwerfung unter das EU-Diktat gelohnt hat? Damit wurde seine eigene Partei gespalten und die vor zwei Jahren sehr aktive soziale Bewegung in Griechenland demotiviert.

Wäre er mit dem gewonnenen Referendum im Rücken, bei dem die Mehrheit der griechischen Bevölkerung OXI zu den Zumutungen der EU gesagt hat, aus der Eurozone ausgetreten, hätte das auch über Griechenland hinaus eine soziale Dynamik in Gang setzten können, die nicht den Kapitalismus, aber das deutsche Austeritätsmodell in Frage gestellt hätte.

Mit der Unterwerfung Griechenlands und der Niederlage der sozialen Bewegungen schlug die Stunde der Rechtspopulisten. Die deutsche Politik hat also an ihrem Aufstieg einen großen Anteil, über den kaum geredet wird. Wenn jetzt wieder über ein Hinausdrängen Griechenlands aus der Eurozone geredet wird, ist auch das Wasser auf die Mühlen der Rechten. Ein selbstbewusster Austritt Griechenlands vor zwei Jahren wäre hingegen Labsal für die sozialen Bewegungen in vielen europäischen Ländern gewesen.

Noch immer gibt es Reformgruppen, die hoffen und auch dafür arbeiten, dass in dieser EU ein anderer Weg als die Austerität möglich ist. Die Gründung der DIEM[6] geht auf den kurzzeitigen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis zurück, der in seiner kurze Amtszeit bewiesen hat, dass die Eurokraten völlig resistent gegenseine Argumente der ökonomischen Vernunft waren. Die Bewegung Diem hat sich bis 2025 Zeit gegeben, ihre Pläne für ein anderes Europa zu konkretisieren.

Ob es dann die EU, wie wir sie kennen, noch geben wird, ist völlig unklar. Auch manchen überzeugten Europäern schwant mittlerweile, dass zumindest in Großbritannien die „Deutsch-EU“ eine Schlacht verloren hat. Dominik Johnson hat kürzlich in der Taz die Fakenews aufgelistet[7], die die EU-Befürworter über den Brexit verbreiten und die EU aufgefordert, endlich Abschied vom Selbstbetrug zu nehmen.

Vielleicht sollte sich auch die Mehrheit der griechischen Bevölkerung, die noch vor zwei Jahren hoffte, ohne Austeritätsdiktat in der EU-Zone bleiben zu wollen, von diesem Selbstbetrug verabschieden. Lambsdorff und sicher noch einige andere Politiker könnten den Lernprozess mit ihrem Ausschlussgerede beschleunigen. Auch in Deutschland suchen Linke[8] neue Wege jenseits der EU und einer Renaissance der Nationalstaaten.


Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Kommt-die-Grexit-Debatte-wieder-3619758.html

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http://www.heise.de/-3619758

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/angela-merkel-in-polen-kanzlerin-lehnt-rueckbau-der-eu-ab-a-1133587.html
[2] https://publik.verdi.de/2016/ausgabe-08/gewerkschaft/international/seite-8/A0
[3] https://autox.nadir.org/archiv/iwf/programm.html
[4] http://www.lambsdorffdirekt.de
[5] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-alexander-graf-lambsdorff-fordert-euro-austritt-a-1133576.html
[6] https://diem25.org/home-de/
[7] http://www.taz.de/!a4/
[8] http://www.antikapitalistische-linke.de/

Das letzte Mal Merkel

Egal, wie die Wahl ausgeht, die Ära Merkel geht zu Ende und das politische Koordinatensystem, für das sie steht, verändert sich

Alles andere als eine erneute Kandidatur von Bundeskanzlerin Merkel für die beiden Unionsparteien CDU und CSU wäre eine handfeste Überraschung gewesen. Schließlich ist eine erneute Trennung der CSU, die sich vielleicht manche am rechten Flügel gewünscht haben, mit viel zu vielen Gefahren für die Partei selber verbunden. Schließlich würde dann auch die CDU in Bayern kandidieren und könnte die CSU erst recht aufreiben. Selbst Franz Josef Strauß, noch immer der geistige Übervater der CSU, hat den Trennungsbeschluss von Bad Kreuth wieder rückgängig gemacht, als ihm eine bayerische CDU als Schreckgespenst präsentiert wurde.

Die in den letzten Zeit ausgiebig in aller Öffentlichkeit breit gewalzten Differenzen zwischen CDU und CSU nützen beiden Parteien. Seehofer könnte sich für seine konservative Klientel als rechter Hardliner präsentieren und Merkel als ebenso aufrechte Verteidigerin der Menschenrechte. Als Fetisch diente dabei der Begriff Obergrenze, der auch Menschenrechtsgruppen wie eine Rübe hingehalten wurde und alle sprangen darauf an. Für die Unionsparteien blieb die Situation so komfortabel. Seehofer kann weiterhin die Obergrenze fordern, Merkel kann beteuern, mit ihr sei sie nicht zu machen, gleichzeitig wurden unter ihrer Regierungsverantwortung mehr Gesetze erlassen, um Migranten fernzuhalten, als unter anderen Regierungen. Das heißt, die so viel strapazierte Obergrenze ist dann gar nicht mehr nötig. Im Gegenteil, wenn die Differenz zwischen einer Obergrenze und den tatsächlich eintreffenden Migranten zu groß wäre, könnte der Druck auf Deutschland wachsen, mehr Geflüchtete aufzunehmen. Der fällt ohne Obergrenze weg.

Warum auch Menschenrechtsgruppen so auf den Fetisch Obergrenze anspringen, liegt daran, dass sie abstrakt und nicht konkret argumentieren. In der abstrakten Welt der Menschenrechtsrhetorik wird dann suggeriert, dass ein Deutschland ohne Obergrenze bei den Geflüchteten ein Land der offenen Grenzen wäre. In der Realität regelt die immer striktere Migrationsabwehrgesetzgebung die konkreten Modalitäten. Warum kommen die Menschenrechtsgruppen nicht auf die Idee, eine sehr hohe Obergrenze und gleichzeitig eine sichere Einreise für diese Migranten zu fordern? Dass würde real viele Menschen abhalten, gefährlichen Fluchtrouten mit den tödlichen Folgen zu benutzen. Das wäre für eine realpolitische Politik viel sinnvoller als die Verteidigung des Fetischs Obergrenze als reine, abstrakte Idee.

Welche Debatten in den nächsten Monaten bis zur Bundestagswahl wirklich relevant sind, machte der einflussreiche SPD-Politiker Oppermann mit seinem Plan[1] deutlich, Migranten aus Afrika auf dem Kontinent unterzubringen. Damit greift Oppermann auf original sozialdemokratisches Gedankengut zurück. Schon Otto Schily hatte als Innenminister einer rot-grünen Koalition solche Pläne vorgelegt (Libyen wird Vorposten der EU[2]).

Von der SPD dürften noch weitere solche Vorstöße erfolgen, je mehr sie bei dieser Wahl Chancen sieht, selber zur stärksten Partei und damit Merkel gefährlich zu werden. Die jüngsten Umfragen geben den Sozialdemokraten Hoffnung, sind aber vor allem Momentaufnahmen.

Dass der neu gekürte SPD-Kanzlerkandidat Schulz so viel Erfolg hat, liegt an seiner populistischen Ansprache an die hart arbeitende Bevölkerung. Damit werden Menschen, die nicht hart arbeiten oder wie Schulz sagt „schuften“, abgewertet. Hier könnte Schulz Anleihen bei einem prominenten Parteigenossen nehmen, den die SPD schon mal vergeblich ausschließen wollte. Es war Thilo Sarrazin, der die Unterscheidung in Menschen, die nützlich sind, und solchen, dies es nicht sind, aus den rechten Ecken in die Mitte der Gesellschaft transportiert hat.

Auch wenn Schulz den Namen Sarrazin nicht in den Mund wird, zeigt seine Rhetorik, dass ein solcher Nützlichkeitsrassismus in einer Zeit des gesellschaftlichen Rechtsrucks längst zum gesellschaftlichen Konsens gehört. Er wird auch die Wahlen bestimmen und die Unionsparteien und die SPD werden sich in den nächsten Monaten in dem Bemühen übertrumpfen nachzuweisen, besser die hart schuftenden Deutschen anzusprechen.

Wenn das der SPD überzeugend gelingt, könnte sie Merkel gefährlich werden. Denn wahlarithmetisch hat die SPD zurzeit Vorteile. Die SPD kann bei einer entsprechenden Mehrheit unter Umständen mit Linken und begrenzt auch mit den Grünen ein Bündnis eingehen, die CDU kann nicht zu einfach mit der real existierenden AfD koalieren. Das käme erst in der Nach-Merkel-Union und nach verschiedenen Häutungen der AfD infrage.


Die Union und ihre parteiübergreifende Unterstützerin werden versuchen, sich aus dem innenpolitischen Klein-Klein herauszuhalten und sie als Kanzlerin der EU und letzte Verteidigerin des freien Westens aufzubauen.

Nach dem Brexit und der Wahl von Trump hört man solche Wertedebatten eher in grünennahen Kreisen als in der Union. Denn die Taz-Leser geben sich im Zweifel viel mehr als Verteidiger der EU als klassische Unionswähler. Die könnten dann zur rechten Konkurrenz abwandern. Der CDU-Austritt von Erika Steinbach ist hier ein Warnsignal, denn die gehörte zum konservativen Urgestein der Union. Da muss Merkel schon etwas gelingen, was der Spiegel im Anti-Trump-Kampf gerade an seinen Cover vorgemacht, auf dem der US-Präsident die Freiheitsstatue köpft. Da soll dann Deutschland als letzte Verteidigerin der freien Welt einspringen. Nie war es in Deutschland einfacher als mit Trump, es den Amis doch noch heimzuzahlen, dass sie 1945 mit dazu beigetrugen, Deutschland zu besiegen. Der Antiamerikanismus wird nun gar nicht mehr codiert geäußert. Gelingt es Merkel, auf dieser Welle zu schwimmen, kann sie auch bei den Wahlen wieder Erfolg haben.

Doch die noch so vehementen EU-Verteidiger müssen auch aufpassen, dass sie mit ihrer Rhetorik nicht übertreiben und dabei selber diese Fakenews zu verbreiten, die sie der anderen Seite immer vorwerfen. Das hat Dominik Johnson einen Taz-Beitrag[3] gut herausgearbeitet. Dabei beschäftigt sich der erklärte EU-Befürworter und Brexit-Gegner mit einigen Lebenslügen seiner politischen Freunde. Er benennt gleich mehrere Missverständnisse der bedingungslosen EU-Verteidiger in der Brexitdebatte:

Missverständnis eins: Verlogene Populisten hätten die Briten zum Brexit verleitet, aber im Laufe der Zeit würden sich die Wähler betrogen fühlen und ihren Irrtum einsehen. So argumentieren bis heute zahlreiche europäische Politiker gerade auf der Linken. Aber es waren nicht die Populisten um Nigel Farage, sondern es war die breite Koalition der EU-Skeptiker quer durch alle politischen Lager, die im Juni 2016 den Brexit mehrheitsfähig machte.

Missverständnis zwei: Der Brexit schade der britischen Wirtschaft. Vor dem Referendum warnte das gesamte Establishment in London vor einer unverzüglich eintretenden wirtschaftlichen Katastrophe im Falle eines Brexit-Votums. In allen Nachrichten wird dies seitdem als Tatsache vorausgesetzt. Wenn es doch positive Daten gibt, heißt es, das sei so „trotz Brexit“. Seltsamerweise gibt es fast nur positive Daten. Fast alle britischen wirtschaftlichen Indikatoren sind positiv.

Dominik Johnson

Johnson fordert eine realistische Brexit-Strategie der EU-Befürworter und erinnert daran, dass die EU von Großbritannien abhängig ist und nicht umgekehrt. Er meint damit die Deutsch-EU, aber er hat im Kern Recht. So könnte eine vehemente Pro-EU-Kampagne am Ende auch nach hinten losgehen. Doch mit Schulz und Merkel stehen gleich zwei Kandidaten für diesen Kurs. Das könnte der AfD Auftrieb geben und auch der Linken, wenn sie sich nicht dem Pro-EU-Block billig an den Hals schmeißt. Doch egal, wie die Wahl ausgeht, die Ära Merkel nähert sich dem Ende, und das politische Koordinatensystem, für das sie steht, verändert sich rapide. Noch ist nicht auszumachen, was dann folgt.

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Peter Nowak


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[3] http://www.taz.de/Debatte-Brexit/!5377748/

Stammtischkampf statt Straßenkampf

Was tun gegen den Rechtspopulismus? Diese Frage stellt sich verstärkt vor mehreren Landtags- und einer Bundestagswahl, in der Erfolge der AfD befürchtet werden. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie[1] legte auf einem bundesweiten Ratschlag[2] unter dem Titel „Kampf gegen Nationalismus und Rassismus – demokratische Milieus stärken“ am vergangenen Samstag im Berliner Haus der Demokratie den Fokus auf konkrete Handlungsmöglichkeiten.

Schon im Titel werden die demokratischen Milieus angesprochen, die nach Überzeugung des Grundrechtekomitees durchaus nicht nur in den Metropolen zu finden sind. Es sei gerade in Kleinstädten und Provinzen wichtig, die Kräfte zu stärken, die sich den Rechten entgegenstellen, betonte die Journalistin Heike Kleffner[3], die über die rechte Szene und den Alltagsrasssismus seit mehr als zwei Jahrzehnten recherchiert.

Im Jahr 2000 gehörte sie zu den Journalistinnen und Journalisten, die nachgewiesen haben, dass die Zahl der Opfer rechter Gewalt[4] in Deutschland wesentlich höher war als die von den Behörden genannten Fälle.

Kleffner sieht Parallelen zwischen der rassistischen Welle der 1990er Jahre und heute auch in Bezug auf die Gegenstrategien. „Voraussetzung für den Erfolg rechter Mobilisierung ist ihre Akzeptanz und Integration in den Alltag“, betont sie. Das war in den 1990er Jahre so, als Angriffe auf Unterkünfte von Flüchtlingen zu einem Feierabendvergnügen wurden, wo die Nachbarschaft mit dem Bierkasten zuguckte und applaudierte.

Die aktuelle rechte Mobilisierung begann mit den Lichtläufen[5] im sächsischen Schneeberg gegen die Aufnahme von Geflüchteten in dem sächsischen Städtchen Schneeberg im Jahr 2013. Die Rechten traten dort als Bürgerinitiative auf und konnten so Menschen mobilisieren, die nicht hinter Bannern von Naziorganisationen gelaufen wären.

Sie breiteten sich auf Greiz und andere sächsische Städte aus und wurden zum Vorbild der Pegida-Bewegung. Am Beispiel von Bautzen zeigte Kleffner auf, wie die rechte Szene gestärkt statt bekämpft wurde. Die Angriffe auf sorbische Jugendliche und später auf Geflüchtete zeigten eine langjährige rechte Präsenz in den Ort. Der Bautzener Bürgermeister habe die Rechten durch seine Gesprächsbereitschaft[6] aufgewertet.

Die wenigen demokratischen Gegenkräfte hingegen seien ignoriert und ausgegrenzt worden. Die jungen Flüchtlinge, die das Ziel der rechten Angriffe gewesen sind, wurden zu Tätern erklärt, als sie sich gewehrt haben. Zudem dürften ihre Unterkünfte abends nicht mehr verlassen.

So haben die Rechten in Bautzen ihr Ziel erreicht. Sie sind anerkannte Gesprächspartner eines linksliberalen Bürgermeisters, der mit Unterstützung von SPD, Grünen und Linkspartei gewählt wurde. Den Geflüchteten werden durch das Ausgehverbot die Grundrechte beschnitten.

Als positives Gegenbeispiel führte Kleffner das sächsische Heidenau an, das 2015 ebenfalls durch rassistische Aufmärsche[7] und einen Brandanschlag[8] Schlagzeilen machte.

Dass dort heute Geflüchtete und ihre Unterstützer in der Innenstadt präsent sind, ist für Heike Kleffner das Verdienst der frühzeitigen Intervention von Antifaschisten[9] aus der Umgebung. Durch die starke Polizeipräsenz vor Ort seien auch die rechten Aktivitäten stark einschränkt worden.

Diese Taktik bestätigte auf der Abschlussdiskussion des Ratschlags Albrecht von der Lieth vom Bündnis Dresden nazifrei[10]. Es zeigt aber auch eine gewandelte Einstellung von Teilen der Antifa-Bewegung zur Polizei. In den 1990er Jahren wollten die Antifa die Rechten noch selber vertreiben und sah die Polizei keineswegs als zumindest indirekten Bündnispartner.

Auch das Verhältnis zur Justiz hat sich in Teilen der unabhängigen Antifa-Szene entspannt. So hätten zivilgesellschaftliche Kräfte im sächsischen Freitag begrüßt, dass die Generalbundesanwaltschaft das Verfahren gegen eine rechte Zelle übernommen[11] hat. Von der örtliche Justiz seien sie zu oft als die Jugend von hier“ behandelt worden, die es vielleicht mit ihren Angriffen bisschen übertrieben hätten.

Dass es beim Ratschlag über die veränderte Rolle von Teilen der Antifa-Szene in Bezug auf die staatlichen Apparate keine größeren Diskussionen gab, lag sicher auch daran, dass die meisten Teilnehmer eher zur linken und liberalen Zivilgesellschaft gehörten. Dagegen waren gerade jüngere Antifa-Aktivisten kaum vertreten.

Michael Trube von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin[12] berichtete über den Wandel ihrer Aufgaben. Während vor 10 Jahren noch die Frage im Mittelpunkt stand, wie erkenne ich Neonazis, wenn sie nicht offen auftreten, lassen sich die Leute heute beraten, wie sie bei Familien- oder Klassentreffen rechten Parolen argumentativ entgegentreten können. Das ist ein Zeichen dafür, wie sich rechte Ideologie in der Gesellschaft verbreitete.

Um sich argumentativ zu wappnen, werden verstärkt sogenannte Stammtischkämpfer[13] eingesetzt, die sich gemeinsam auf ihre Aufgabe vorbereiten. Die Parole, mit den Rechten reden wir nicht, die noch in den 1990er Jahren in der Antifa-Szene weitgehend Konsens war, ist nicht mehr zu halten, wenn nicht mehr nur Neonazi-Gruppen, sondern der eigene Onkel oder die nette Arbeitskollegin die Parolen der AfD oder von Thilo Sarrazin verbreiten.

Ob das Konzept der Stammtischkämpferinnen und – kämpfer erfolgreicher ist, muss sich zeigen. Zumindest beim Ratschlag war wenig Zeit für die Fragen einer Teilnehmerin, die in einer örtlichen Gruppe gegen rechts aktiv ist und erklärte, sie habe Verständnis für die Sorgen der Anwohner, wenn 300 alleinstehende Männer als Flüchtlinge in die Nachbarschaft ziehen oder jemand statt von Schokokuss in einer Kantine das verpönte N-Wort benutzte und deswegen entlassen wurde.


Stephan Nagel, der im Grundrechtekomitee für den Themenkomplex soziale Fragen zuständig ist, sieht in der politisch geförderten Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse einen Grund für das Anwachsen der Rechten. So seien durch den verstärken Zuzug von Migranten die Folgen einer bewussten Austrocknung des sozialen Wohnungsbaus durch eine wirtschaftsliberale Politik, bei der alles zur Ware wird, besonders deutlich geworden.

So entstehe bei den Menschen, die bewusst abgehängt vom sozialen Leben werden, ein Konkurrenzverhältnis zu den Zugezogenen, das sich auch auf dem prekären Arbeitsmarkt, den Essenstafeln und der Versorgung von Wohnungslosen bemerkbar macht. So werde verstärkt auch bei Sozialdiensten zwischen Wohnungslosen, die versorgt werden sollen, und Zuwanderern aus Osteuropa unterschieden, die möglichst verschwinden sollen. So sorgt die wirtschaftsliberale Politik für einen Sozialchauvinismus, der den Erfolg von Thilo Sarrazin um 2010 und jetzt der AfD erklärt.

Doch die Parole „Soziale Politik gegen rechts“ würde er nicht unterschreiben. Eine Sozialpolitik müsse verknüpft werden mit einer klaren Absage an Rassismus und Nationalismus und dem Bekenntnis, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, betonte Nagel.

Eine Teilnehmerin kritisiert in diesem Kontext auch die Rhetorik des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schutz, der „die hart arbeitenden Menschen“[14] ansprechen will und deshalb auch immer „schuften“ statt „arbeiten“[15] sagt. Damit würden Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, nicht hart arbeiten, ausgegrenzt, kritisiert die Frau auf dem Forum.

Dieser richtige Einwand dürfte sicher manche Sozialdemokraten in den Bündnissen gegen rechts wenig begeistern. Aber die Frage, wie breit die Bündnisse gegen die AfD überhaupt sein sollen, blieb auf dem Ratschlag undiskutiert. Zumindest hat Stephan Nagel mit seinem Eintreten für die Rechte für alle Menschen große Zustimmung bekommen. Dann dürfte aber die Breite des Bündnisses gegen die AfD überschaubar bleiben, wenn es nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt.

Eine kurze Kontroverse entzündete sich nach dem Referat von Heike Kleffner an ihrer Fokussierung auf Ostdeutschland. Die rechte Mobilisierung sei ein gesamtdeutsches Problem, wurde ihr entgegen gehalten. Dem stimmte Kleffner zu, sie wies aber darauf hin, dass in NRW die Versuche, Pegida-Aufmärsche zu etablieren, an einer größeren Gegenmobilisierung scheiterten.

Nur angerissen wurde die Frage, ob die DDR-Politik oder die Wende für das Erstarken der Rechten in Ostdeutschland verantwortlich sind. Diese Frage ist noch immer mit einer Positionierung zur DDR verknüpft- Dabei kann man das Auftreten der Deutschlandfahnen schwingenden Massen mit ihren entsprechenden Parolen zeitlich ziemlich genau lokalisieren. Sie war verbunden mit der Niederlag der DDR-Oppositionellen, die für radikaldemokratische, soziale und ökologische Forderungen und nicht für die Wiedervereinigung eingetreten sind.

Seit dem November 1989 koordinierten sich ost- und westdeutsche Rechte zunehmend und schufen so die Grundlage für die ostdeutschen Spezifika in der Rechten, die heute noch bemerkbar sind. Wer sich einen grundsätzlicheren Einblick in das Thema Neonazis nach 1945 in Westdeutschland informieren wollte, hatte dazu in den Pausen Gelegenheit. Am Ort des Ratschlags ist noch einige Tage lang eine informative Ausstellung zum Thema Vergessene Geschichte – Berufsverbote -Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland“[16] zu sehen.

Anders als im Titel vermutet, geht es dabei nicht nur um den sogenannten Radikalenerlass der 1970er Jahre, der weltweit als Berufsverbot[17] bezeichnet wurde. Es geht auch um die Vorgeschichte und mehrere Tafeln informieren darüber, wie schon um 1950 linke Nazigegner wieder verfolgt wurden, während die Altnazis in ihre Posten zurückkamen.

Die Exposition wäre nicht nur eine gute Grundlage für eine Diskussion über eine gesamtdeutsche Repression gegen Oppositionelle. sondern auch eine Hintergrundinformation für Menschen, die sich heute gegen rechts engagieren wollen.

https://www.heise.de/tp/features/Stammtischkampf-statt-Strassenkampf-3617957.html

Peter Nowak


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[1] http://www.grundrechtekomitee.de/start
[2] http://www.grundrechtekomitee.de/node/821
[3] http://www.bebraverlag.de/autoren/autor/659-heike-kleffner.html
[4] https://www.schluss-mit-hass.de/opfer-rechter-gewalt
[5] https://freiepressevolontaere.wordpress.com/2014/02/12/die-schneeberger-lichtellaufe-eindrucke-einer-volontarin
[6] http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/demonstrationen-1/artikel/waffenruhe-in-bautzen-neonazis-stellen-politik-ultimatum.html
[7] http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/08/27/zahlreiche-bekannte-neonazis-bei-ausschreitungen-in-heidenau_20099
[8] http://www.svz.de/regionales/brandenburg/bb-politik/auf-heidenau-folgt-nauen-id10544716.html
[9] http://antifa-nordost.org/3024/fotos-bericht-antifa-demo-in-heidenau-23-08-2015-2
[10] http://dresden-nazifrei.com/
[11] http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/sonstige/artikel/generalbundesanwalt-hebt-freitaler-neonazi-terrorzelle-aus.html
[12] https://www.mbr-berlin.de
[13] https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/kampagne/stammtischkaempferinnen/
[14] http://www.sueddeutsche.de/medien/spd-kanzlerkandidat-martin-schulz-sagt-er-verstehe-die-menschen-1.3353936
[15] https://www.taz.de/Kolumne-So-nicht/!5375745/
[16] http://www.hausderdemokratie.de/artikel/ausstellungen.php4
[17] http://www.berufsverbote.de/index.php/Ausstellung-Vergessene-Geschichte.html

Mit besserer Sozialpolitik allein ist gegen Nazis nicht getan

Erfahrungsaustausch zur Abwehr von Rechtsextremismus und Rassismus

Was tun gegen den Rechtspopulismus? Diese Frage stellt sich angesichts von mehreren Landtags- und einer Bundestagswahl, bei denen Erfolge der AfD befürchtet werden. Das Komitee für »Grundrechte und Demokratie« legte auf einem bundesweiten Ratschlag unter dem Titel »Kampf gegen Nationalismus und Rassismus – demokratische Milieus stärken« am Samstag in Berlin den Fokus auf konkrete Handlungsmöglichkeiten. Es sei gerade in Kleinstädten und Provinzen wichtig, sich den Rechten entgegenzustellen, betonte die Journalistin Heike Kleffner. »Voraussetzung für den Erfolg rechter Mobilisierung ist ihre Akzeptanz und Integration in den Alltag«, erklärte die langjährige Beobachterin der rechten Szene.

Sie erinnerte an die sogenannten Lichtlläufe gegen die Aufnahme von Geflüchteten im sächsischen Schneeberg 2013, die zu einem Vorbild für die Pegidabewegung wurden. Die Rechtsextremen traten dort als Bürgerinitiative auf und konnten so Menschen mobilisieren, die nicht hinter Bannern von Nazi-Organisationen gelaufen wären. Am Beispiel von Bautzen zeigte Kleffner auf, wie man die rechte Szene stärkt, statt bekämpft. Die aktuellen Angriffe auf sorbische Jugendliche und später auf Geflüchtete basierten auf einer langjährigen rechten Präsenz im Ort. Der Bürgermeister habe die Rechtsextremen durch seine Gesprächsbereitschaft aufgewertet. Die wenigen Gegenkräfte hingegen seien ausgegrenzt worden und die jungen Flüchtlinge, die das Ziel der Angriffe gewesen sind, durften ihre Unterkünfte abends nicht mehr verlassen.

Als positives Gegenbeispiel führte Kleffner das sächsische Heidenau an, wo sich Geflüchtete und ihre Unterstützer rechtsextremistischen Angriffen erfolgreich widersetzten. Einen Grund dafür sieht Kleffner in der frühzeitigen Intervention von Antifaschisten aus der Umgebung. Zudem habe die Polizeipräsenz das Tun der Rassisten eingeschränkt.

Den Erfolg dieser Taktik bestätigte Albrecht von der Lieth. Er gehört zum Bündnis »Dresden nazifrei«. Es zeige sich auch eine gewandelte Einstellung von Teilen der Antifa-Bewegung zur Polizei. Michael Trube von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin berichtete über den Wandel ihrer Aufgaben. Während vor zehn Jahren noch die Frage im Mittelpunkt stand, wie erkenne ich Neonazis, wenn sie nicht offen auftreten, gehe es heute vor allem um Beratung dazu, wie man bei Familien- oder Klassentreffen rechten Parolen argumentativ entgegentreten kann. Um sich inhaltlich zu wappnen, werden auch sogenannte Stammtischkämpfer geschult und eingesetzt. Stephan Nagel, der im Grundrechtekomitee für den Themenkomplex soziale Fragen zuständig ist, sieht in der politisch geförderten Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse einen Grund für das Anwachsen des rechten Spektrums. Doch reiche dagegen keine bessere Sozialpolitik. Die müsse verknüpft werden mit einer klaren Absage an Rassismus und Nationalismus sowie dem Bekenntnis, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, betonte Nagel.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1040870.mit-besserer-sozialpolitik-allein-ist-gegen-nazis-nicht-getan.html

Peter Nowak