Flüchtlingspolitik: Nationale Kraftanstrengung für Rückführung und Abwehr

Kanzlerin Merkel, die deutsche Version der Freiheitsstatue, plant neue Maßnahmen. Aus Angst vor der AfD sind fast alle Parteien mit dabei

Kanzlerin Merkel wird ja gerne bis in die Kreise der Grünen als große Verteidigerin der Menschenrechte dargestellt. Ja, nach der Wahl von Trumps wird sie schon zu einer deutschen Version der Freiheitsstatue hochgejubelt. Dass unter ihrer Regierung mehr Gesetze zur Flüchtlingsabwehr verabschiedet wurden als unter anderen Regierungen, scheinen ihre Befürworter und Gegner nicht zu sehen.

So dürfte auch Merkels Bild als deutsche Freiheitsstatue und Anführerin der freien Welt nicht ankratzen, wenn sie nun erneute Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr plant. Wie der Spiegel meldete[1], will Merkel heute ein 16-Punkte-Programm zur Flüchtlingsabwehr vorstellen.

In den kommenden Monaten werde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) „fortlaufend eine hohe Zahl von Asylanträgen von Personen ablehnen, die keines Schutzes in Deutschland bedürfen“, heißt es in dem Papier.

Die Zahl der Ausreisepflichtigen wird dadurch 2017 weiter steigen. Es bedarf deshalb einer nationalen Kraftanstrengung, um zusätzliche Verbesserungen in der Rückkehrpolitik zu erreichen.

16-Punkte Programm zur Flüchtlingsabwehr[2]

Einige der 16 Punkte hat der Spiegel genannt:

  1. Ein „Gemeinsames Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr“, das in den nächsten drei Monaten unter Leitung des Bundesinnenministeriums in Berlin eingerichtet wird. Von dort aus sollen Sammelabschiebungen koordiniert werden, das Zentrum soll zudem „in allen Problemfällen die nötigen Dokumente für Personen beschaffen, die Deutschland wieder verlassen müssen“.
  2. In einem zweiten Schritt könnten „Bundesausreisezentren“ geschaffen werden, in denen abgelehnte Asylbewerber in den „letzten Tagen oder Wochen“ vor ihrer Abschiebung zentral untergebracht werden.
  3. Als Reaktion auf den Anschlag in Berlin soll die Abschiebehaft für Ausländer erleichtert werden, „von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben“ ausgeht. Das Bamf soll zudem in Zukunft auch die Handys und Sim-Karten von Flüchtlingen auswerten dürfen, um ihre Identität überprüfen zu können.
  4. Das Prozedere, mit dem Ärzte die „Reisefähigkeit“ vor einer Abschiebung feststellen, soll „mit dem Ziel einer Beschleunigung verbessert werden“.
  5. Die Anreize für abgelehnte Asylbewerber, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren, werden erhöht. 90 Millionen Euro will der Bund 2017 für Rückkehr- und Reintegrationsprogramme ausgeben. „Die Förderung wird höher ausfallen, je früher sich ein Betroffener zur freiwilligen Rückkehr entscheidet.“

Nun können sich manche sich wunderbar über die flüchtlingsfeindliche Politik der Trump-Administration aufregen und gleichzeitig Merkel als liberales Gegengewicht ausrufen. Dabei kann sie wahrscheinlich erfolgreicher Flüchtlinge von Deutschlands Grenzen fernhalten, als das es die USA selbst unter Trump durchsetzen können.

Die Taz hat am Mittwoch passend über ein gekentertes Flüchtlingsboot irgendwo im Meer den Titel „Merkels Mauer“ gesetzt. Es sollen möglichst ja keine Migranten mehr über das Meer kommen. Hier wird auch das zentrale Thema der nächsten Wahlkämpfe gesetzt. Aus Angst vor der AfD wollen fast alle anderen Parteien beweisen, dass sie selber eine nationale Kraftanstrengung zur Flüchtlingsrückführung schaffen.

Die Union muss da besonders rigide Duftmarken setzen, um ihrer Klientel zu signalisieren, bei ihnen bekommen sie das, was die AfD mangels Regierungsoption nur versprechen kann. Deshalb überbieten sich Unionspolitiker jetzt mit auch rechtlich zweifelhaften Vorstößen. So will der Unionsfraktionschef Volker Kauder Geflüchtete, denen Sozialbetrug nachgewiesen wird, aus dem Asylverfahren herausnehmen und abschieben[3].

Das ist eine rechtlich fragwürdige Doppelbestrafung. Denn schließlich wird bei allen Menschen nachgewiesener Sozialbetrug geahndet. Eine zusätzliche Ausweisung könnte als Diskriminierung von Menschen anderer Nationalitäten verstanden werden. Die SPD hat schon ganze Vorarbeit geleistet.

In einem Gastbeitrag[4] für die FAS geht SPD-Politiker Thomas Oppermann auf einen alten Vorschlag von Otto Schily zurück, der bereits als Innenminister einer rot-grüne Regierung Migranten in Afrika abfangen wollte[5].

„So sehr ich verstehe, dass Europa für viele der gelobte Kontinent ist – um einen kontrollierten Prozess für Einwanderung zu ermöglichen, brauchen wir sichere Außengrenzen. Es darf weder ein Zurück zur unkontrollierten Balkan-Route geben, noch können wir zulassen, dass täglich Menschen auf der Mittelmeer-Route sterben“, betont Oppermann. Und dann verpackt er den entscheidenden Vorschlag als scheinbar flüchtlingsfreundlich:

Es ist nicht hinnehmbar, dass kriminelle Schleuser in einem mafiaähnlichen Geschäft darüber entscheiden, wer es bis nach Europa schafft. Eine Lösung liegt in engerer Zusammenarbeit nicht nur mit dem zerrissenen Libyen, sondern auch mit stabileren Transitländern in Nordafrika – etwa Marokko und Tunesien. Das Ergebnis von Malta, das sich am Türkei-Abkommen orientiert, ist ein Schritt dahin. Um die Schleuserbanden wirksamer zu bekämpfen, müssen wir ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, indem die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge wieder zurückgebracht und zunächst in Nordafrika versorgt und betreut werden.

Thomas Oppermann

Nun könnte das Sterben im Mittelmeer auch beendet werden, indem Fähren und andere sichere Routen für Migranten eingerichtet werden. Durch die Verweigerung dieser sicheren Routen müssen die Migranten erst die Dienste der manchmal Schleuser, manchmal Fluchthelfer genannten Berufsgruppe in Anspruch nehmen. Darauf haben Flüchtlingsorganisationen immer wieder hingewiesen.


Die Linkspartei ist in der Flüchtlingsfrage besonders heterogen. Während die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke auf eine Willkommenskultur[6] setzt und damit vor allem einen Teil der jüngeren Parteibasis hinter sich weiß, hat Sahra Wagenknecht schon lange die vermeintlichen Sorgen der Bürger in den Mittelpunkt gestellt und offene Grenzen ins Reich der Utopie verwiesen.

Jetzt hat Oskar Lafontaine noch einmal in dieser Frage nachgelegt. In einem Interview mit der Welt[7] erklärte Lafontaine, der Staat müsse entscheiden, wen er aufnimmt. „Das ist nun mal die Grundlage staatlicher Ordnung“, die der ewige Sozialdemokrat auch nie in Frage stellen würde.

Dass er dabei auch Repression anwenden würde, hat Lafontaine gleich nachgeschoben:

Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzugehen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebung.

Oskar Lafontaine

Dass seine Intervention eine Reaktion auf den Erfolg der AfD ist, verheimlicht Lafontaine gar nicht. Er rief die Linke zum Nachdenken auf, „warum so viele Arbeiter und Arbeitslose AfD wählen, obwohl diese Partei Lohndrückerei und Rentenkürzung im Programm hat. Wir dürfen es nicht rechten Parteien überlassen, die Probleme der Lohn- und Mietkonkurrenz anzusprechen“.

Das heißt im Grunde, die Linke soll lieber selber abschieben, damit die AfD nicht größer wird. Nun ist diese Position schon lange bekannt. Sie ist ursozialdemokratisch und verteidigt einen exklusiven und ausgrenzenden Nationalstaat, der erkämpfte soziale Reformen nur an eine ganz bestimmte Gruppe weitergeben soll. Auch die Begründung von Lafontaine ist ursozialdemokratisch und wird im Klientel sicher auch ankommen. Er weist auf das Lohn- und Sozialdumping hin, wenn die Konkurrenz am Arbeitsmarkt wächst.

Was die empirischen Daten im Kapitalismus betrifft, hat er mit der Beschreibung nicht Unrecht. Natürlich sind offene Grenzen unter kapitalistische Bedingungen das Einfallstor für Lohndumping und für einen Brain drain aus den Staaten des globalen Südens. Das wurde in dieser Woche in den USA deutlich, wo sich die Silicon Valley-Branche zum Vorreiter beim Widerstand gegen Trumps restriktive Einreisepolitik machten.

Sie sehen ihr Geschäftsmodell in Gefahr, das aus dem Anlocken von Fachkräften aus aller Welt in die USA besteht. Es wäre fatal, wenn die Linke auf einmal diese Kapitalfraktion unterstützt. Das wäre ein Rückfall in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die sich damals entwickelnde Arbeiterklasse die bürgerlichen Liberalen unterstütze. Es war ein Akt der Selbstbefreiung, als sie diese Kooperation beendete und sich auf seine eigene Stärke und Kraft vertraute.

Sich in dieser Auseinandersetzung auf die Seite der scheinbar liberalen Bourgeoisie zu schlagen, ist genauso falsch, wie Lafontaines Vorschlag, selber das Geschäft der AfD erledigen zu wollen. Gegen den Versuch, Migranten, genau so wie Erwerbslose übrigens, als Billiglohnkonkurrenz gegeneinander auszuspielen, hilft nur ein Mittel, sich dagegen gemeinsam unabhängig von der Herkunft zu organisieren und zu wehren.

Eine solche transnationale Bewegung könnte verhindern, dass Löhne und Gehälter unterboten werden. Das war übrigens der Inhalt der Parole der ersten Internationale „Proletarier aller Länder vereint Euch“. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass dieses Programm vom Kapital und in ihren Interesse durchgesetzt wird, und sich manche Linken wieder auf den ausschließenden Nationalstaat zurückziehen wollen.

https://www.heise.de/tp/features/Fluechtlingspolitik-Nationale-Kraftanstrengung-fuer-Rueckfuehrung-und-Abwehr-3620579.html

Peter Nowak


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[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-will-zahl-der-abschiebungen-mit-16-punkte-plan-erhoehen-a-1133615.html
[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-will-zahl-der-abschiebungen-mit-16-punkte-plan-erhoehen-a-1133615.html
[3] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/auslaenderrecht-kauder-will-fluechtlinge-nach-sozialbetrug-abschieben-aid-1.6593409
[4] http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=1809
[5] https://www.welt.de/geschichte/article153135839/Als-Schily-Fluechtlinge-in-Nordafrika-abfangen-wollte.html
[6] http://www.ulla-jelpke.de/2017/02/artikel-linke-willkommenskultur/
[7] https://www.welt.de/politik/deutschland/article161818446/Staat-muss-entscheiden-koennen-wen-er-aufnimmt.html