Zwei plus vier macht null

Die Forderung der griechischen Regierung nach Rückzahlung einer Zwangsanleihe aus der NS-Zeit kommt hierzulande schlecht an. Dennoch könnte Griechenland Erfolg haben.

Die Andeutung zeigte Wirkung: Als der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos seine Bereitschaft äußerte, die Pfändung deutscher Immobilien in Griechenland zu erlauben, um den Reparationsforderungen Nachdruck zu verleihen, wurden auch die deutsche Politik und Öffentlichkeit nervös. Solche Ansprüche an Deutschland haben in den vergangenen Jahren auch griechische Regierungen vertreten, die von Sozialdemokraten oder Konservativen gestellt wurden. Aber sie wollten damit vor allem die eigene Klientel beruhigen und vertraten die Forderungen nie mit Nachdruck, obwohl der griechische Oberste Gerichtshof bereits im Jahr 2000 entschieden hatte, dass in Reparations­fragen deutsches Eigentum in Griechenland gepfändet werden dürfe.

Die neue griechische Regierung leitet die Ansprüche vor allem aus einer Zwangsanleihe ab, die die griechische Nationalbank während der NS-Besatzung an das Deutsche Reich zahlen musste und die nie zurückgezahlt wurde. Nach griechischer Rechnung entspricht die Schuld inklusive Zinsen derzeit elf Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat auf die erste Parlamentsrede von Alexis Tsipras, in der er die Forderungen bekräftigte, lapidar erklärt, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen. Die Argumentation der Bundesregierung lautet, dass im Londoner Schuldenabkommen von 1953 die Regelung der deutschen Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines »förmlichen Friedensvertrages« vertagt worden sei. Diese Regelung wiederum sei 1990 durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung gegenstandslos geworden. Die Bundesregierung legt den Vertrag so aus, dass die Reparationsfrage nach dem Willen der Vertragspartner nicht mehr geregelt werden muss.

So wurde eine Argumentation entwickelt, mit der deutsche Regierungen auch schon in anderen Fällen versuchten, sich um Zahlungen an NS-Opfer zu drücken. Dabei geht es im Fall Griechenlands um die juristisch bedeutsame Frage, ob die Zwangsanleihe in die Kategorie Schulden oder Reparationen fällt. Schulden müssten auch nach 70 Jahren mit Zinsen zurückgezahlt werden. Warum das Darlehen aber in die Kategorie Reparationen fallen soll, erläuterte Matthias Hartwig vom Max-Plank-Institut vor einigen Tagen im Deutschlandfunk: »Ich persönlich bin der Auffassung, dass dieser Kredit zunächst einmal während der Besatzungszeit Griechenlands durch das Deutsche Reich abgeschlossen worden ist und sicherlich als Vertrag gesehen werden muss, welcher nicht auf Augenhöhe geschlossen wurde, also insofern sicherlich, wenn man es so nennen möchte, ein ungleicher Vertrag zwischen Deutschland und Griechenland, und das lässt sich auch damit belegen, dass der Kredit seinerzeit zinslos gegeben worden ist.« Hartwig kam zur Schlussfolgerung: »Von daher gesehen sprechen sehr gute Gründe dafür, diesen Vertrag als einen Teil des Kriegsunrechts anzusehen, mit der Folge, dass eine Wiedergutmachung im Rahmen von Reparationszahlungen zu erfolgen hat.«

Kurz zusammengefasst: Weil die Zwangsanleihe ein besonders großes Unrecht war, hält die Bundesregierung die Rückzahlung für unnötig. Das erinnert an die Debatte um die Zahlung der sogenannten Ghettorenten, als staatliche Stellen die Zahlungen ebenfalls lange verhinderten, so dass der Kreis der Betroffenen immer kleiner wurde. In diesem Fall wurde argumentiert, dass es in den Ghettos keine herkömmlichen Arbeitsverhältnisse gegeben habe, sondern der Zwang ausschlaggebend gewesen sei. Das war sicher nicht falsch, wurde aber als Argument genutzt, um die Rentenzahlung zu verweigern. Dass es schließlich für einige Menschen doch noch eine Nachzahlung der Ghettorenten gab, war auch die Folge des großen Drucks, den die deutsche Politik irgendwann nicht mehr ignorieren konnte.

Wenn sich in aktuellen Umfragen eine große Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung eher für einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone als für eine Umschuldung ausspricht und Menschen sich für eine Bild-Kampagne mit der Parole »Kein weiteres deutsches Geld an Griechenland« fotografieren lassen, zeigt sich angesichts der deutschen NS-Schulden ein besonderes Ausmaß von Geschichtsvergessenheit. Doch bisher wird das Thema in der außerparlamentarischen Linken in Deutschland kaum aufgriffen. Auch bei der Mobilisierung zum Blockupy-Protest, bei dem die Solidarität mit Griechenland einen hohen Stellenwert einnimmt, wird auf die deutschen Schulden nur am Rande eingegangen. Das macht deutlich, dass geschichtspolitische Interventionen, die in den Neunzigern noch Debatten anregen konnten, heutzutage kaum noch eine Rolle spielen. Nur der AK Distomo fordert seit Jahren, Deutschland solle Entschädigungen zahlen. Er hat in einer Pressemitteilung die neue griechische Regierung aufgefordert, deutsche Immobilien in Griechenland zwangszuversteigern, sollte sich die deutsche Regierung weigern.

Engagement für die Forderungen aus Griechenland haben in den vergangenen Tagen Politiker der Linkspartei gezeigt. In verschiedenen Talkshows hat etwa Sahra Wagenknecht Verständnis für die Haltung der griechischen Regierung gezeigt. Die Springer-Presse war nicht amüsiert. »Die Diskussion bei Anne Will kreiste verblüffend intensiv um rückwärtsgerichtete Schuldfragen – und trug wenig zu der pragmatischen Frage bei, wie man das Problem nach Lage der Dinge denn nun angehen soll. Ein Schuldenschnitt? Ein Austritt der Griechen aus der Euro-Zone?« versuchte die Berliner Morgenpost die deutsche Vergangenheit kleinzureden.

Der Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano hat die ablehnende Haltung der Bundesregierung kritisiert. »Die Argumentation der Bundesregierung ist juristisch sehr dürftig und anfechtbar«, sagte der Rechtsprofessor in der Sendung »Kontraste«. Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag, auf den sich die deutsche Regierung beruft, binde Griechenland nicht, denn es sei »nicht Partei dieses Vertrags«. Es sei »völkerrechtlich nicht zulässig, einen Vertrag zu Lasten Dritter – in diesem Falle Griechenlands – abzuschließen«.

Mittlerweile gibt es auch in den deutschen Medien die ersten Brüche. Im Streit um Entschädigungen für Griechenland solle die Bundesregierung einlenken, das sei moralisch und politisch richtig und würde verhindern, dass die Regierung Tsipras ihre Finanzmisere weiterhin mit der Vergangenheit verknüpfen könne, schreibt David Böcking auf Spiegel Online. Er beschreibt die deutsche Vergangenheitspolitik durchaus präzise: »Außerdem hat Deutschland auch andere NS-Opfergruppen nicht aus formaljuristischen Gründen entschädigt, sondern weil irgendwann der politische oder wirtschaftliche Druck zu groß wurde. So kam die Stiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter erst zustande, als sich deutsche Konzerne in den neunziger Jahren mit Sammelklagen in den USA konfrontiert sahen. Eine solche Stiftung sollte Deutschland nun auch für griechische Überlebende von NS-Massakern und die Angehörigen der Opfer einrichten.«

Der Kommentar macht deutlich, dass die Politik Griechenlands nicht so aussichtslos ist, wie Schäuble und Merkel suggerieren. Auch Vertreter der SPD und der Grünen befürworten seit einigen Tagen Reparationszahlungen. Nun bräuchte es noch weitere Gruppen und Einzelpersonen, die den Druck erzeugen, von dem Böcking spricht.

http://jungle-world.com/artikel/2015/12/51639.html

Peter Nowak

Das rebellische Europa zu Gast in Frankfurt

Wut gegen Austeritätspolitik erreicht Frankfurt

Es ging nicht nur um die EZB, sondern um die Politik der deutschen Regierung

„Danke an alle für den großartigen Vormittag! Jetzt ist Zeit zum Ausruhen. Wir sehen uns mit neuer Frische um 17 Uhr bei der Demo!“ Diese Nachricht auf dem Liveticker[1] des Blockupy-Bündnisses[2] erklärt, warum in den letzten Stunden in der Innenstadt von Frankfurt/Main  wieder Ruhe eingekehrt ist.

Seit dem frühen Morgen des 18. März[3] haben ca. 6000 Kapitalismuskritiker, darunter über 1.000 aus dem europäischen Ausland, Teile der Innenstadt von Frankfurt/Main blockiert. Es kam immer wieder zu Scharmützel mit der Polizei. An einigen Stellen wurden Schaufenster eingeschlagen.

Das Knattern der Polizeihubschrauber über der Stadt macht deutlich, dass in der Stadt Ausnahmezustand herrscht. Aus ganz Europa sind Menschen in der Mainmetropole gekommen, um anlässlich der symbolischen Eröffnung der Europäischen Zentralbank, die ihr neues Gebäude im Osten der Stadt längst bezogen hat, deutlich zu machen, was sie von der Austeritätspolitik der deutschen Regierung und der EU-Kommission halten.

Es geht nicht um humanitäre Philosophie, sondern um die finanziellen Folgen

Und da hat in den letzten Wochen einiges an Wut angesammelt. Die Haltung von Schäuble und Co., die gegen der neuen griechische Regierung wie Kolonialoffiziere auftraten, die den Einwohnern einer unbotmäßigen Provinz beibringen, wie sie sich zu benehmen haben. Erst vor wenigen Stunden wandte sich der griechische Ministerpräsident Tsipras gegen Versuche von EU-Gremien, die geplanten Hilfsmaßnahmen für die besonders verarmten Teile der Bevölkerung als Verletzung der Verträge auszulegen, die Griechenland mit den EU-Gremien geschlossen hat.

In einem Brief hatten Vertreter der EU-Kommission darauf gedrängt, diese Gesetze, die einigen zehntausend Menschen ein etwas besseres Leben ermöglichen sollen, nicht ins Parlament einzubringen. Wenn der EU-Kommissar Moscovici darauf nur entgegnen konnte, es gehe nicht um humanitäre Philosophie, sondern um die finanziellen Folgen, dann bringt er genau die Politik auf den Punkt, gegen den die Menschen in Frankfurt/Main revoltieren. Wie sie es nun seit heute Morgen taten, ist Gegenstand von zahlreichen Medienberichten und Erklärungen von Politikern aller Parteien.

Von einem Missbrauch des Demonstrationsrechts wird ebenso geredet wie von krimineller Energie der Demonstranten. Da zeigt sich einmal mehr, die unterschiedliche Wahrnehmung von Gewaltverhältnissen. Eingeschlagene Fensterscheiben und brennende Polizeifahrzeuge erregen große Empörung. Die stumme Gewalt ökonomischer Verhältnisse, die in Griechenland und auch in anderen Teilen der europäischen Peripherie verhindern, dass Menschen ihre Lebenschancen nutzten können, wird als Sachzwang akzeptiert. Auch in Deutschland sorgen diese Zwänge des Verwertungssystems für menschliches Elend. Trotzdem ist in Deutschland die Ignoranz der Folgen einer Politik, die hierzulande durch Wahlen mehrheitlich bestätigt wurde, besonders ausgeprägt.

Der Protesttag in Frankfurt/Main hat deutlich gemacht, dass die von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützte Politik von Deutschland, vor allem im europäischen Ausland auf Unverständnis stößt. Die Organisatoren der Blockupy-Proteste haben hingegen erkannt, dass die deutsche Politik auch Folgen hat. Auf einer Pressekonferenz des Blockupy-Bündnisses wurde erklärt, dass man die Wut der Menschen verstehen kann. Natürlich durfte der übliche Streit über die Frage, von wem die Gewalt ausgeht, nicht fehlen.

Während ein Polizeigewerkschafter davon spricht, dass die Blockupy-Aktivisten Kriminelle und keine Demonstranten seien, wirft das Protestbündnis umgekehrt der Polizei unverhältnismäßiges Vorgehen vor. Schließlich setzt der überwiegende Großteil der Protestierenden auf friedlichen Protest. Manche distanzieren sich von militantem Aktionen: „Diese Bilder haben wir nicht gewollt“, erklärte[4] Ulrich Wilken mit den Verweis auf brennende Polizeiauto. Wilken sitzt für die Linke im hessischen Landtag und ist Anmelder der Großdemonstration, die heute ab 17 Uhr in die Nähe des Frankfurter Bankenviertels ziehen soll. Es wird erwartet, dass es dann mit der Ruhe auf den Straßen von Frankfurt/Main wieder vorbei ist.

Alles Populisten außer der EZB?

Wie der Aktionstag auch ausgeht, einen Erfolg können sich die Protestierenden schon zugute schreiben. Bei der symbolischen EZB-Eröffnung spielten plötzlich auch die Opfer der Austeritätspolitik eine Rolle. Hätte es lediglich eine Kundgebung ohne Zwischenfälle gegeben, wäre das medial kurz abgehandelt worden und man wäre zur Tagesordnung übergegangen. Jetzt aber haben EZB-Verantwortliche und Politiker sich vorgenommen, den Menschen besser zuzuhören, damit sie nicht Populisten auf den Leim gehen. Als Populisten wurden nach dieser Lesart sowohl die Regierungspartei Syriza als auch die Demoorganisatoren bezeichnet.

Die Rituale rund um den Blockupy-Aktionstag kennt man von solchen großen Protest-Events. In dieser Hinsicht erinnern die Geschehnisse in Frankfurt/Main heute an die Rostocker Auftaktdemonstration gegen das G8-Treffen in Heiligendamm im Jahr 2007 (Demonstration gegen G8-Gipfel endete in Militanz[5]). Auch damals wurde in den Medien ein Bürgerkriegsszenario an die Wand gemalt, während die Protestorganisatoren vor allem darauf hinwiesen, dass die Polizei die große Mehrheit die gewaltfrei demonstrieren wollte, mit Wasserwerfern und CS-Gas eindeckte.

Anhang

Links

[1]

https://twitter.com/Blockupy_Ticker/status/578167158628343808

[1]

https://www.facebook.com/blockupy.europe

[2]

https://blockupy.org/

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/44/44433/2577734.html

[4]

http://www.ulrichwilken.de/site

[5]

http://www.heise.de/tp/artikel/25/25424/

http://www.heise.de/tp/artikel/44/44433/1.html

Peter Nowak

Blockupy-Aktion zur EZB-Eröffnung

Pflichtübung oder europaweiter Aktionstag der Proteste gegen die Austeritätspolitik?

Am 18. März soll es wieder Proteste in Frankfurt/Man geben. Ziel ist die symbolische Eröffnung der Europäischen Zentralbank [1] im Osten Frankfurt/Main. Das Gebäude ist schon längst bezogen worden, aber die EZB beraumte doch noch eine offizielle Eröffnung an.

Ob sie damit den Kritikern der EZB einen Gefallen tat oder sich eher an ihnen rächen wollte, muss offen bleiben. Die Kritiker mussten auf die Ankündigung reagieren. Hatten sie doch mehrere Jahre auf dieses Ereignis hingearbeitet und immer angekündigt, dass sie die Eröffnung der EZB zum Protesttag machen wollten. Bereits zweimal hat das Protestbündnis Blockupy [2] nach Frankfurt/Main aufgerufen. 2013 und 2014 reagierte die Polizei mit Verboten, Einkesselungen undFestnahmen. So wurde das Bündnis bekannt, aber es stand dann vor allem die Frage der Repression und der Einschränkung der Grundrechte im Mittelpunkt.

Das Ziel von Blockupy bestand eigentlich darin, auch in Deutschland, dem Hort der Austeritätspolitik, Krisenproteste zu organisieren. Dabei haben die Demonstranten zwei Probleme. Die staatlichen Instanzen werden alles tun, um die Proteste kleinzuhalten. Gravierender aber ist noch, dass auch die große Mehrheit der Lohnabhängigen, die seit Jahren Opfer für den Standort Deutschland bringt, in der Regel nicht für Proteste zu gewinnen ist. Eher wendeten sie sich gegen
Schwächere, seien es Geflüchtete, freche Erwerbslose und andere Menschen, die sich nicht freiwillig dem Standort Deutschland unterordnen wollen.

Erinnerung an die Occupy-Bewegung

Angesichts dieser Schwierigkeiten versuchten die Kritiker der Austeritätspolitik natürlich Bündnisse mit allen zu schließen, die sich irgendwie kritisch äußerten. Dazu gehörte auch die schon längst nur noch in Galerien bestaunte Occupy-Bewegung, die 2013 auch für einige Monate ihre Protestzelte im Schatten der Bankentürme von Frankfurt/Main aufgebaut hatte. Die diffuse Occupy-Bewegung hat sich längst entweder aufgelöst oder ist in den Montagsmahnwachen oder ähnlichen Projekten gemündet.

Doch im Namen Blockupy wird noch an diese Kooperation der Jahre 2012/13 erinnert, sowie an die Hoffnungen, die manche organisierte linke Gruppe damit verbunden haben. Irgendwann war der Name Blockupy eine Marke, und da man nun einmal angekündigt hatte, dass man sich auf die EZB-Eröffnung als Protesttag konzentrieren wollte, stand man im Wort. Nur war monatelang überhaupt nicht klar, ob es überhaupt noch eine offizielle Feier zur bereits vollzogenen EZB-Eröffnung geben wird. Das Gebäude füllte sich und der Termin wurde immer weiter nach hinten verlegt, bis der 18. März schließlich festgelegt wurde.

Frei nehmen statt streiken

Dann standen die Protestorganisatoren vor dem Problem, dass es ein Tag mitten in der Woche ist, wo ein Großteil der lohnabhängigen Bevölkerun verhindert ist. Daher musste zunächst mit der Kampagne „18 März – Ich nehm mir frei“ [3] dafür werben, dass sich die EZB-Kritiker an dem Tag individuell von den Zwängen der Lohnarbeit befreien.

Auch an diesenPunkt wird wieder einmal deutlich, wie groß die Probleme sind, Krisenproteste zumal in Deutschland zu organisieren. Es gab vor einigen Jahren einmal einen Aufruf für einen europaweiten Generalstreik [4], der ja an einen zentralen Protesttag wie den 18. März die Probe aufs Exempel hätte sein können. Dass es jetzt doch wieder ein Aufruf zum individuellen Freinehmen wurde, ist ein Ausdruck der neoliberalen Verhältnisse, denen auch die Protestaktiven ausgesetzt sind. Allerdings ist das Thema Arbeitskampf aus den Blockupy-Protesten nicht ganz verschwunden. So wollen sich Amazon-Arbeiter und Unterstützer an den Protesten beteiligen, und am 19. März ist ein europäisches Treffen zum sozialen Streik [5] geplant.

Die Anfahrt zu den Protesten sollte nicht vereinzelt geschehen. Die Organisatoren haben einen Sonderzug [6] gechartert, der sogar ausgebucht ist. Dafür wurde auch eine aufwendige Spendenkampagne [7]gestartet.

Griechische Wahlen waren Mobilisierungshilfe

Während bis vor einigen Wochen die Blockupy-Mobilsierung eher mau war, nahm sie Ende Januar doch noch an Fahrt auf. Es war der Wahlsieg von Syriza in Griechenland, der der Kampagne neuen Schwung gab. Für die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe ist der Glücksfall eingetreten, dass eine gemäßigt linke Regierung im Euro-Raum den Beweis dafür antreten möchte, dass auch in der Euro-Zone eine andere Politik möglich ist, ohne gleich den Kapitalismus infrage zu stellen.

Dem Experiment einer linkskeynesianischen Politik stellt sich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EZB entgegen. Diese hat eine Sondergenehmigung für den Einsatz griechischer Staatsanleihen aufgehoben. Die Bonds werden seit dem 11. Februar nicht mehr als Sicherheiten für EZB-Kredite akzeptiert. Mit dieser Entscheidung erschwert die EZB den griechischen Banken
den Zugang zu frischem Geld. Der konservativen griechischen Vorgängerregierung wurde dieser Zugang noch ermöglicht, obwohl sie den versprochenen Kampf gegen die Korruption nie begonnen hat. Der Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras will die EZB hingegen schon von Anfang an die Möglichkeiten begrenzen.

Eine bessere Werbung konnte sich das „Blockupy“-Bündnis nicht wünschen. Auf der Homepage des Bündnisses wird das ganz offen erklärt. Dort wird zunächst eingeräumt, dass es große Zweifel gab, ob die Entscheidung für den Aktionstag am 18. März nicht ein Fehler gewesen sei. Mit dem Blick auf die Wahl in Griechenland heißt es dann: „Nun können wir sagen: Dieser Fehler war ein Glücksfall.“ Man verneige sich „vor dieser Entschlossenheit und Rebellion, vor dem langem Atem und der Hoffnung“, wird das griechische Wahlergebnis pathetisch kommentiert.

Allerdings wird die Begeisterung dann doch etwas abgeschwächt: „Eine andere, bessere Welt wird nicht per Kabinettsbeschluss eingeführt.“ Man stehe nicht an der Seite eines Regierungsprojektes, sondern an der „der kämpfenden Menschen in Griechenland und der solidarischen Linken“. Der Widerspruch, ein Wahlergebnis zu feiern, aber auf Distanz zur sich darauf stützenden Regierung zu gehen, erklärt sich aus der Zusammensetzung des „Blockupy“-Bündnisses, das von Attac [8] bis zum Bündnis „Ums Ganze“ [9] reicht.

Gerade den linken Vertretern des Bündnisses dürfte die Koalition von Syriza mit der rechtskonservativen Partei Anel besonders missfallen. „Die Chance der griechischen Wahl misst sich daher nicht nur am Umgang der Regierung mit den Auflagen der Troika, sondern gleichermaßen an ihrem Verhältnis zu den Fragen der linken Bewegungen. Sozial geht nicht national, nicht patriarchal, nicht homophob, nicht antisemitisch, nicht rassistisch.“ Das Ums-Ganze-Bündnis ist auch Teil eines europaweiten Zusammenschlusses von antiautoritären Linken [10], die auf
eine soziale Bewegung statt auf den Staat setzen.

Mittlerweile haben sich aus ganz Europa Menschen auf den Weg gemacht, um in Frankfurt/Main, den Hort des Austeritätspolitik, ihren Protest zu formulieren. Vielleicht bekommt durch diesen transnationalen Charakter der Protest noch ein größeres Ausmaß. Die Polizei hat sich natürlich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, Busse zu durchsuchen [11], die nach Frankfurt starten wollten. So wird sich in den nächsten Stunden auch wieder zeigen, ob auch vom 18. März wieder vor allem die Polizeistrategie in Erinnerung bleiben wird.

http://www.heise.de/tp/news/Blockupy-Aktion-zur-EZB-Eroeffnung-2577734.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://www.ecb.europa.eu/ecb/html/index.de.html

[2]

https://blockupy.org/

[3]

https://www.facebook.com/Attac.Koeln/posts/854544571250765

[4]

http://strikem31.blogsport.eu/

[5]

http://blockupy.org/en/5753/towards-a-social-and-transnational-strike-invitation-to-a-working-meeting-on-19-3-2015-in-frankfurt/

[6]

http://berlin.blockupy-frankfurt.org/anfahrt/

[7]

http://100mal100.blockupy.org/

[8]

http://www.attac.de/kampagnen/eurokrise-blockupy/blockupy/maerz-2015/

[9]

http://umsganze.org/

[10]

http://beyondeurope.net/

[11]

http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-polizei-durchsucht-bus-von-aktivisten,15402798,30146832.html

»Winterpause der Mieterbewegung ist beendet«

Aktivisten und Initiativen wollen wieder regelmäßig Demonstrationen durchführen

Am Wochenende demonstrierten in Neukölln der Verein Allmende gegen seine Räumung und Mieter gegen die Umwandlung ihrer Wohnungen in Eigentum.

»Mieterhöhung – is’ nicht«, »Luxussanierung – nicht mit uns«. Diese Parolen waren am Samstagnachmittag im Stadtteil Neukölln zu hören. »Mit dem heutigen Tag ist die Winterpause der Berliner Mieterbewegung beendet«, erklärte eine Rednerin. Im letzten Jahr hatte vor allem die Kreuzberger Mieterinitiative »Kotti und Co«. regelmäßig Mieterdemonstrationen organisiert. Die letzte fand im Dezember 2014 statt. Am Samstag meldete sich nun die Berliner Mieterbewegung auch wieder mit alter Kraft auf der Straße zurück.

Nicht nur die Demoteilnehmer auch viele Passanten, die am Straßenrand standen, stimmten spontan mit ein. Aus den Fenstern der umliegenden Häuser wurde gewinkt. Auf der Route reihten sich Anwohner in die Demonstration ein.

Auf einer Zwischenkundgebung berichteten Mitarbeiter des migrationspolitischen Vereins Allmende e.V., dass sich für den 27. März der Gerichtsvollzieher angekündigt hat. Bis zu diesem Tag soll der Verein seine langjährigen Räume am Kottbuser Damm besenrein übergeben. Der Eigentümer hat den Verein gekündigt und ist vor Gericht bestätigt worden. Eine Sprecherin des Vereins betonte, dass man die Räume nicht freiwillig verlassen wird und es auf eine Zwangsräumung ankommen lässt. Mittlerweile haben fast 70 Berliner Initiativen einen Aufruf unterschrieben, in dem sie Allmende unterstützen. Auch die Mieter der Hobrechtstraße 40 in Neukölln fürchten, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden. Auf der Demonstration berichtete ein Mieter von Versuchen der Immobilienfirma Real Estate, die Mietwohnungen möglichst schnell in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Mittlerweile haben die Bewohner Kontakt zu Mietern in der Wildenbruchstraße 6 und der Weserstraße 59 aufgenommen, die den gleichen Hausbesitzer und die gleichen Probleme haben. In der Neuköllner Friedelstraße wurden die Demonstranten von zahlreichen Transparenten begrüßt, in denen die Luxusmodernisierung abgelehnt und Solidarität mit der Friedelstraße 54 gefordert wird. Die Mieter dieses Hauses wehren sich gegen eine angekündigt energetische Sanierung, weil sie befürchten, hinterher die Miete nicht mehr bezahlen zu können. »In dem Haus wohnen Menschen mit einer niedrigen Rente oder geringen Einkommen. Wir wehren uns gemeinsam und lassen niemand alleine«, erklärte eine Mieterin. »Sicher nichts für schwache Nerven!«, wird die Immobilie Friedelstraße 54 auf der Homepage der Citec Immobilen AG, die das Haus im letzten Jahr kaufte, bei Interessenten von Eigentumswohnungen angepriesen. Die aktiven Mieter könnten dem Spruch nun eine ganz neue Bedeutung geben.

Neues Deutschland: Berlin-Ausgabe vom Montag, 16. März 2015, Seite 12

Von Peter Nowak

Neuköllner Mieter/innen gehen auf die Straße

„Mieterhöhung – iss nicht“,    „Luxussanierung – nicht mit uns“. Diese Parolen waren am Samstagnachmittag im Stadtteil Neukölln zu hören. Es  waren ca. 500  Menschen auf der Straße.
Nicht nur  die DemoteilnehmerInnen  auch viele PassantInnen, die am Straßenrand standen, stimmten spontan mit ein. Aus den Fenstern der umliegenden Häuser wurde gewinkt.  Auf der Route  reihten sich auch einige AnwohnerInnen  in die Demonstration ein.  „Mit dem heutigen Tag ist die Winterpause der Berliner Mieterbewegung beendet“, erklärte eine Rednerin. Im letzten Jahr hatte vor allem die Kreuzberger Mieterinitiative „Kotti  und Co“. regelmäßig MieterInnendemonstrationen organisiert. Die letzte fand im Dezember letzten Jahres statt. Am Samstag meldeten sich nun die Berliner MieterInnen auf der Straße zurück. Die wird sie in den nächsten Auseinandersetzungen auch brauchen. MitarbeiterInnen  des migrationspolitischen Vereins Allmende e.V. berichteten, dass sich für den 27. März der Gerichtsvollzieher angekündigt hat.  Bis zu diesem Termin soll der Verein seine langjährigen Räume am Kottbuser Damm geräumt haben. Der Eigentümer hat den Verein gekündigt und ist vor Gericht bestätigt worden. Eine Sprecherin des Vereins erklärte, dass man die Räume nicht freiwillig verlassen wird und es auf eine Zwangsräumung ankommen lässt. Mittlerweile haben fast 70 Berliner Initiativen einen Aufruf unterschrieben, in dem sie Allmende unterstützen.

Umwandlung in Neukölln
Auch die MieterInnen  der Hobrechtstraße 40  in Neukölln fürchten, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden. Auf der Demonstration berichtete ein Mieter von Versuchen der Immobilienfirma Real Estate,  die bisherigen  Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Mittlerweile haben sie Kontakt zu MieterInnen in der Wildenbruchstraße 6 und der Weserstraße 59 aufgenommen, die den gleichen Hausbesitzer und die gleichen Probleme haben.  In der Neuköllner Friedelstraße wurden die DemonstrantInnen von zahlreichen Transparenten begrüßt, in denen gegen Luxusmodernisierung agiert und Solidarität mit der Friedelstraße 54 gefordert wird. Die MieterInnen des der Citec Immobilen AG  gehörenden Haus wehren sich gegen eine angekündigt energetische Sanierung, weil sie befürchten, hinterher die Miete nicht mehr bezahlen zu können. „In dem Haus wohnen Menschen mit einer niedrigen Rente oder geringen Einkommen. Wir wehren uns gemeinsam und lassen niemand alleine“, erklärte eine Mieterin. „Sicher nichts für schwache Nerven!“,  wird die Immobilie Friedelstraße 54 auf der Citec-Homepage  bei InteressentInnen   von Eigentumswohnungen  beworben. Die aktiven MieterInnen  könnten ihm nun eine  ganz neue Bedeutung geben. Ein Bewohner der Friedelstraße 54 ist trotz der recht akzeptablen Teilnehmerzahl und der Zustimmung im Stadtteil nicht ganz zufrieden.       „Der allergrößte Teil der TeilnehmerInnen wohnt in den Häusern, die  energetisch modernisiert oder in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen“, erklärte er gegenüber dem MieterEcho. Es habe sich auch gezeigt, wie schwer es ist, Menschen zu erreichen, die nicht direkt von Vertreibung betroffen sind.

MieterEcho online 16.03.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/mieterinnen-demo-neukoelln.html

Peter Nowak

KZ Sonnenburg

Das KZ und Zuchthaus Sonnenburg, im heutigen westpolnischen Slonsk gelegen, war lange Zeit vergessen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Ort als »Folterhölle Sonnenburg« weltbekannt. Im April 1933 wurden die ersten Häftlinge in das Lager verschleppt, überwiegend Berliner Kommunist_innen. Auch die drei bekannten linken Intellektuellen Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten wurden in Sonnenburg gefoltert. Über den Empfang der Gefangenen schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Klaas Meyer: »Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen geschlagen, mir lief das Blut schon durch das Gesicht. (…) Die ganze Bevölkerung war vertreten, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt«. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Nazigegner_innen aus ganz Europa nach Sonnenburg verschleppt. Die Sterberate war hoch. Daniel Quaiser geht in seinen Aufsatz auf das Massaker ein, bei dem in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 insgesamt 819 Gefangene von der Gestapo erschossen wurden, kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee. Kamil Majrchrzak berichtet über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. In der BRD hingegen wurden die für das Massaker verantwortlichen SS-Männer Heinz Richter und Wilhelm Nickel 1971 vom Kieler Landgericht freigesprochen. Mittlerweile hat die polnische Justiz die Ermittlungen wieder aufgenommen. Ein Grund mehr, sich an die Geschichte Sonnenburgs und seiner Opfer zu erinnern.

http://www.akweb.de/ak_s/ak603/15.htm

Peter Nowak

Hans Coppi und Kamil Majchrzak (Hg.): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. Metropol Verlag, Berlin 2015. 240 Seiten, 19 EUR.

Kampf den Knebelverträgen

Das Gesetzesvorhaben zur Tarifeinheit ist nicht der erste Versuch, hierzulande das Streikrecht einzuschränken. Doch angesichts der Veränderung der gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse unterscheidet sich die derzeitige Auseinandersetzung deutlich von denen in früheren Zeiten.

Eigentlich stehen der Deutsche Beamtenbund, der Marburger Bund, die Organisation Cockpit und der Deutsche Journalistenverband nicht im Ruf, kämpferische Gewerkschaften zu sein. Mögen sie als Interessenvertretungen bestimmter Berufsgruppen auch mal ordentlich poltern, so sind sie gesellschaftspolitisch doch eher konservativ. In der vergangenen Woche gaben sie sich jedoch besonders kämpferisch. Schließlich könnte der Gesetzentwurf, den das Bundesarbeitsministerium am 5. März ins Parlament einbrachte, ihre Streikfähigkeit erheblich einschränken.

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll nur derjenige Tarifvertrag Anwendung im Betrieb finden, der von der Gewerkschaft mit der größten Zahl an Mitgliedern abgeschlossen wird. Spartengewerkschaften, die nur ein bestimmtes Segment der Beschäftigten vertreten, wären dadurch im Nachteil. Denn wenn sie nicht tarifvertragsfähig sind, sinkt auch ihre Verhandlungsmacht. »Das Gesetz würde uns zerschlagen«, sagte denn auch der Vorsitzende des Marburger Bundes, Klaus Henke, auf einer Pressekonferenz.

Deshalb wollen er und seine Kollegen das Tarif­einheitsgesetz auf juristischem Weg stoppen. Schließlich kam selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten zu dem Schluss, dass das Gesetz einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstelle und daher verfassungswidrig sei. Den Anlass, ein Gesetz zur Tarif­einheit auszuarbeiten, lieferte ebenfalls eine juristische Entscheidung: 2010 urteilte das Bundesarbeitsgericht, dass die Verdrängung des Tarifvertrags einer Spartengewerkschaft »einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der Tarif schließenden Gewerkschaft als auch die individuelle Koalitionsfreiheit der an den Tarifvertrag gebundenen Gewerkschaftsmitglieder« darstelle.

Wenige Monate nach dem Urteil einigten sich der DGB und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände auf eine Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit. Doch wegen der starken Kritik wurde das Vorhaben unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung nicht vollendet. Es mussten erst wieder Sozialdemokraten Regierungsämter übernehmen, um die Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit weiterzuführen. In diesem Fall zeigt sich einmal mehr, dass sich kapitalfreundliche Gesetze leichter durchsetzen lassen, wenn Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt sind.

Versuche, das Streikrecht einzuschränken, gab es in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder, Proteste dagegen ebenfalls. Doch in der Regel waren es bisher die im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften, die sich gegen Versuche von Union und FDP gestellten Bundesregierungen wandten, das Streikrecht zu regulieren. Doch bei der derzeitigen Auseinandersetzung um das Tarifeinheitsgesetz handelt es sich nicht einfach um eine Wiederholung solcher Auseinandersetzungen. Während der DGB und Teile der ihn ihm vertretenen Einzelgewerkschaften diese Gesetzesinitiative gemeinsam mit den Unternehmerverbänden befürworten, protestieren neben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor allem die in den vergangenen Jahren erstarkten Spartengewerkschaften, was angesichts der möglichen Einschränkung ihrer Streikfähigkeit nicht verwunderlich ist.

Die Veränderungen in der Debatte machen aber auch deutlich, wie sich die gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse verschoben haben. Lange Zeit galt auch unter linken Gewerkschaftern in den Betrieben das Credo, die Einheitsgewerkschaft DGB unter allen Umständen zu verteidigen. Vor allem in der traditionalistischen Linken wurde darauf verwiesen, dass die Spaltung der Arbeiterbewegung in Deutschland den Aufstieg des Nationalsozialismus erleichtert habe – als Konsequenz hätten Gewerkschafter, die in der Weimarer Republik in unterschiedlichen Richtungsgewerkschaften organisiert waren, beschlossen, nach dem Ende des NS eine Einheitsgewerkschaft zu gründen. Vor allem die Generation der politisch engagierten Arbeiter, die in der Weimarer Zeit die oft erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Richtungsgewerkschaften erlebt hatte, betonte den Wert der Einheitsgewerkschaft.

Auch der Marburger Politologe und Antifaschist Wolfgang Abendroth, der in den sechziger und siebziger Jahren großen Einfluss auf linke Gewerkschafter und die akademische Diskussion um eine gewerkschaftliche Orientierung ausübte, verteidigte vehement das Prinzip der Einheitsgewerkschaft. Selbst linke Kritiker der sozialpartnerschaftlichen DGB-Politik betonten in der Regel, nicht sie, sondern die DGB-Funktionäre stellten den Grundsatz der Einheitsgewerkschaft infrage. Lediglich manche maoistische Gruppen versuchten in den siebziger Jahren mit der Gründung gewerkschaftlicher Oppositionsgruppen an die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition in der Weimarer Republik anzuknüpfen. Aber auch sie betonten, dass die Spaltung nicht von ihnen, sondern von den DGB-Vorständen mit ihren Unvereinbarkeitsbeschlüssen und Ausschlüssen linker Mitglieder provoziert worden sei.

Mit der Ausdifferenzierung der Arbeitsstrukturen, die sich in unterschiedlichen Tarifverträgen im gleichen Betrieb zeigt, nahm die Zahl der Branchengewerkschaften jenseits des DGB zu. Sie konnten häufig von einer besonders sozialpartnerschaftlichen Politik vieler DGB-Gewerkschaften profitieren. Doch die Rhetorik der Branchengewerkschaften sollte nicht zu der Illusion führen, sie seien Vorboten einer neuen, kämpferischen Gewerkschaftsbewegung. Schließlich sind von viel Lärm begleitete Tarifkämpfe auch für konservative Verbände möglich, wenn es darum geht, die eigene Klientel zu bedienen.

Das größte Problem dieser Branchengewerkschaften besteht darin, dass sie in der Regel kein Interesse daran haben, über ihre Klientel hinaus auch Kollegen zu unterstützen, deren Verhandlungsmacht gering ist. Hier würde gewerkschaftliche Solidarität beginnen, die bei den DGB-Gewerkschaften häufig nur noch in Sonntagsreden erwähnt, im gewerkschaftlichen Alltag aber meist vergessen wird. Für die meisten Branchengewerkschaften ist diese Solidarität über ihre unmittelbare Klientel hinaus nicht einmal ein angestrebtes Ziel.

So ist die Fragmentierung der Gewerkschaftsbewegung auch ein Ausdruck der Atomisierung der Lohnabhängigen. Kämpferische Basisgewerkschaften wie die Freie Arbeiter Union und die Wobblies werden beim Kampf gegen die Tarifeinheit meist gar nicht erst erwähnt. Dabei würden diese Gewerkschaften durch das Tarifeinheitsgesetz tatsächlich an Kampfkraft verlieren. Denn für sie ist ein Streik nicht ein Szenario, mit dem man droht, sondern eine Aktionsform, die man anwendet.

http://jungle-world.com/artikel/2015/11/51583.html

Peter Nowak

„Solidarität hilft siegen“

ARBEITSKAMPF Die Auseinandersetzung mit BMW vor 30 Jahren sieht der damalige Betriebsrat Rainer Knirsch auch als Übung für heute

taz: Herr Knirsch, Mitte der achtziger Jahre standen Sie als BMW-Betriebsrat im Mittelpunkt heftiger Auseinandersetzungen, die jetzt in dem Buch „Macht und Recht im Betrieb“ dokumentiert sind. Warum wollte das BMW-Management Sie und Ihre beiden Betriebsratskollegen loswerden?

Rainer Knirsch: Weil wir unser Amt als Betriebsräte ernst nahmen: für höheres Urlaubsgeld, für Lohngruppenerhöhungen, gegen Krankheitskündigungen. Eine Rationalisierungsstudie haben wir abgelehnt und damit etwa 50 Arbeitsplätze gesichert. Wir waren Gewerkschafter, die auch als Betriebsräte ihr Recht auf Organisierung der Belegschaft und auf Teilnahme an Streiks ausübten.

Was hat Sie motiviert, den Kampf gegen die Entlassung über drei Jahre zu führen?

Unsere gewerkschaftliche Einstellung lautet: Wir wollen „Recht, Gerechtigkeit und Demokratie, die nicht am Werkstor endet!“ Die IG-Metall-Schulung für Betriebsräte haben wir umgesetzt, in der gewarnt wird vor Korrumpierbarkeit und Verrat an den abhängig Beschäftigten. Außerdem waren wir verbunden mit den Beschäftigten im Betrieb und unterstützt durch ein Solidaritätskomitee von zuletzt über 2.000 Menschen.

Welche Rolle spielte dieses Solidaritätskomitee bei Ihrem Erfolg, der Wiedereinstellung?

Es schuf Öffentlichkeit, verbreitete die Informationen an Medien, Einzelpersonen und die Leute im Werk. Es organisierte politische und finanzielle Solidarität außerhalb des Betriebes. Das war maßgeblich für unseren Erfolg.

Was ist nach 30 Jahren an Ihrem Fall noch interessant?

Das „Union Busting“ der achtziger Jahre war der Anfang: Die systematische Bekämpfung von uns aktiven Gewerkschaftern durch insgesamt 20 kettenartige Kündigungen; durch Inszenierung einer hetzerischen Betriebsversammlung zur Amtsenthebung, zuletzt durch Einsatz einer Detektei und Rufmord über Presse und Rundfunk. Ähnliche Methoden der Arbeitgeber erleben wir heute ständig, etwa gegen Betriebsräte bei Neupack oder Enercon.

Gibt es Parallelen zu dem Solidaritätskomitee, das die Entlassung der Kassiererin Emmely wegen angeblich nicht abgerechneter Kassenbons erfolgreich bekämpfte?

Auch diese Solidaritätsarbeit war beispielhaft, gerade für die Kollegin, die bestraft wurde, weil sie bis zuletzt an den Streiks ihrer Gewerkschaft teilgenommen hatte: Solidarität hilft siegen!

Rainer Knirsch

69, begann 1975 als Montagearbeiter im BMW-Motorradwerk und war seit 1978 Betriebsrat, von 1994 bis 2002 Betriebsratsvorsitzender. Heute ist er ehrenamtlicher Bildungsreferent der IG Metall.

Der „Fall BMW-Berlin“

Das Buch „Macht und Recht im Betrieb. Der Fall BMW-Berlin“ ist eine Dokumentation einer dreijährigen Auseinandersetzung um die Kündigung von drei unliebsamen IG-Metall-Betriebsräten des BMW-Motorradwerks in Spandau. Von 1984 bis 1987 kämpften die drei gegen ihre Entlassung – bis sie vor Gericht siegten und wieder eingestellt werden mussten.

Das im Verlag Die Buchmacherei erschienene Buch stellt den Fall auch als ein frühes Beispiel des „Union Busting“ vor, also der systematischen Bekämpfung, Unterdrückung und Sabotage von Arbeitnehmervertretungen. Heute am Montag präsentiert es Rainer Knirsch, einer der drei damaligen Betriebsräte, um 19 Uhr im Café Commune, Reichenbergerstr. 157.

INTERVIEW PETER NOWAK

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2015%2F03%2F16%2Fa0142&cHash=e0bc5fe5af503aba9b09251b3fcc0198

Anfeindungen von Gewerkschaften: „Pegida im Betrieb“

»Für alle Weggesperrten existentiell«

Wolfgang Lettow ist presserechtlich verantwortlicher Redakteur der linken Publikation Gefangeneninfo, die sich mit politischen Strafgefangenen solidarisiert. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Ratingen erteilte ihm kürzlich Besuchsverbot bei dem inhaftierten linken Anwalt Ahmet Düzgün Yüksel.

Warum wollten Sie Herrn Yüksel im Gefängnis besuchen?

Wir haben gemeinsam seit Ende der neunziger Jahre Öffentlichkeit gegen die drakonischen Haftbedingungen in der Türkei, aber auch hier in der Bundesrepublik hergestellt.

Warum ist Herr Yüksel inhaftiert?

Wegen seiner anwaltlichen Tätigkeit für politische Gefangene in der Türkei musste Yüksel das Land verlassen. 2007 wurde er in der Bundesrepublik wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach dem Paragraphen 129b verhaftet. Er war in Stuttgart-Stammheim eingesperrt und wurde in dem dortigen Prozessbunker zu fünf Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Nach seiner Haftstrafe war er der Residenzpflicht unterworfen und durfte sich nur in einem bestimmten Bezirk aufhalten. Er entzog sich dem, wurde in Griechenland verhaftet und im Mai 2014 ausgeliefert.

Und was ist der Grund für Ihr Besuchsverbot?

Die Anstaltsleitung teilte mir erst nach sechs Wochen detailliert mit, warum ich vom Besuch ausgeschlossen bin. Ich habe in meiner Funktion als Redakteur Informationen zum Hungerstreik des in der JVA Ratingen inhaftierten albanischen Gefangenen Admir Baro im Gefangeneninfo veröffentlicht. Die Informationen teilte mir übrigens Herr Yüksel in einem von der JVA kontrollierten Brief Ende des Jahres mit. Ich bin also abgestraft worden, weil ich über die Aktion eines Gefangenen berichtet habe. Das Ganze soll laut JVA nicht der Wahrheit entsprechen und den Gefangenen in seiner »aufrührerischen Haltung« bestärken.

Wehren Sie sich juristisch gegen das Besuchsverbot?

Yüksels Anwalt hat dagegen Beschwerde eingelegt. Generell sind Briefe und Besuche für Gefangene die einzige Möglichkeit, nach draußen zu kommunizieren. Zeitungen und der Bezug anderer Medien werden reglementiert und kontrolliert. Internetzugang gibt es zum Beispiel für keinen der 60 000 Gefangenen. Jährlich bringen sich mindestens 100 Gefangene um, weil sie die Bedingungen nicht ertragen können. Es ist daher für alle Weggesperrten existentiell, dass ihre minimalen Rechte wie Post und Besuche garantiert werden.

http://jungle-world.com/artikel/2015/11/51595.html

Interview:  Peter Nowak

Zurück in die Gegenwart

Von 1984 bis 1987 kämpften Rainer Knirsch, Hans Köbrich und Peter Vollmer gegen ihre Entlassung. Das Management des BMW-Motorradwerks in Berlin Spandau wollte die drei kämpferischen Betriebsräte loswerden, weil sie sich dem Kuschelkurs mit dem Unternehmen verweigerten. Zuvor hatte BMW die Betriebsratswahl in dem Werk massiv manipuliert und eine von ihnen gesponserte »Liste der Vernunft« installiert. Weil die drei abgewählten Betriebsräte dagegen klagten, wurden sie gekündigt. Wenn sie in einer Instanz gewannen, schoben die Manager gleich die nächste Kündigung nach. Gleichzeitig inszenierte die unternehmerfreundliche Betriebsratsgruppe Mitarbeiterversammlungen, bei denen die Entlassenen als rote Ideologen diffamiert wurden, die die Arbeitsplätze der Kollegen gefährden würden.

Drei Jahre konnten Knirsch, Köbrich und Vollmer das Werk nicht betreten, dann geschah das Unerwartete: Sie siegten vor Gericht und mussten wieder eingestellt werden. Andernfalls hätte dem BMW-Vorstandsvorsitzenden ein Zwangsgeld von 100 000 DM gedroht. Auch die manipulierte Betriebsratswahl musste wiederholt werden und die kämpferischen Betriebsräte gewannen mit großem Vorsprung. Entscheidend für den Erfolg war ein Solidaritätskomitee, das von dem Berliner Politologen Bodo Zeuner geleitet wurde. Es machte den Fall »BMW-Berlin« zu einem Thema, das die Öffentlichkeit interessierte. Spätestens nach ihrem Sieg gegen den Weltkonzern waren die drei Betriebsräte über Westberlin hinaus bekannt. Im Gegensatz zur IG Metall im Bund hielt sich die Berliner Gewerkschaftsgliederung damals mit der Unterstützung zurück. So schloss sie beispielsweise die unternehmerfreundlichen Betriebsräte nicht aus, die Unterschriften gegen die Wiedereinstellung der drei Kollegen sammelten und sogar mit Streiks drohten.

Jetzt hat der Verlag »Die Buchmacherei« diese außergewöhnliche Geschichte noch einmal dokumentiert. Die zwei von den Unterstützern einst erstellten Broschüren lesen sich dabei noch heute erstaunlich aktuell. Das Vorwort des Buches bringt auf den Punkt, warum: Die Geschichte markiere die Anfänge des »Union Busting« in Berlin, heißt es da, und sie zeige, dass und wie es möglich ist, sich dem mit Erfolg zu widersetzen.Peter Nowak

Frank Steger (Hg.): Macht und Recht im Betrieb. Der Fall BMW-Berlin, Die Buchmacherei 2014, 352 S., 14,95 Euro. Am 16.3. stellt einer der betroffenen Betriebsräte das Buch in Berlin-Kreuzberg vor

http://www.neues-deutschland.de/artikel/964653.mobbing-von-ganz-oben.html

Peter Nowak

Sind Hautfarbe und die Religion doch entscheidend?

Verschlepptes Verfahren

Prozess gegen einen Polizisten wegen beschädigter Kamera lässt auf sich warten

Wird die Beschädigung einer Kamera eins Videojournalisten des Erfurter Medienkollektivs Filmpiraten bei den Blockupy-Protesten 2013 noch ein gerichtliches Nachspiel haben? »Obwohl die polizeilichen Ermittlungen seit Oktober 2014 abgeschlossen sind und der Polizist, der die Kamera beschädigt hat, namentlich bekannt ist, ist noch immer kein Prozesstermin festgesetzt worden«, kritisiert Jan Smendek von den Filmpiraten. Er tritt als Besitzer der beschädigten Kamera als Nebenkläger auf.

Die Filmpiraten hatten eine Videoszene ins Internet gestellt, auf der zu sehen ist, wie in einem Polizeikessel ein Polizist das Mikrophon der Kamera abbricht und an sich nimmt. Nachdem diese Aufnahme in zahlreichen Dokumentationen über die Blockupy-Aktionen Eingang gefunden hat, begann die Polizei mit den Ermittlungen – und wurde bei der Sichtung ihrer eigenen Videos fündig. Die Abteilung V6-Amtsdelikte beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main konnte einen sächsischen Bereitschaftspolizisten als Urheber der Beschädigung feststellen. Nun liegen die Akten bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft.

Eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Behörde erklärte gegenüber »nd«, dass noch nicht entschieden ist, ob es zu einer Anklage kommt oder ob das Verfahren eingestellt wird. Auch der Termin der Entscheidung sei noch offen. Nicht ungewöhnlich sei es, dass der Zeitraum zwischen dem Abschluss der polizeilichen Ermittlungen und der Entscheidung über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens länger dauert.

Ruth Schmidt von der Berliner Vorbereitungsgruppe für die Blockupy-Aktionen am kommenden Mittwoch äußert gegenüber »nd« ebenfalls Unverständnis über die lange Dauer der Ermittlungen gegen den Polizisten: »Es wäre ein klares Signal an die Polizei auch im Hinblick auf die kommenden Blockupy-Aktionen gewesen, wenn es zu einer Anklage gegen den namentlich bekannten Polizisten gekommen wäre. Dann würde deutlich, dass ungesetzliches Handeln auch juristische Konsequenzen hat.« Die lange Dauer des Verfahrens könne aber das gegenteilige Signal haben. Obwohl der Verantwortliche durch die Ermittlungen der Polizei bekannt ist, kommt die gerichtliche Aufarbeitung nicht voran.

»Das Verfahren darf nicht weiter verschleppt werden«, betont auch Jan Smendek. Für ihn hat das lange Prozedere auch finanzielle Nachteile. Nach der Beschädigung der Kamera sind die Filmpiraten auf den Kosten sitzen geblieben. »Wir waren zeitweilig in unserer Arbeit sehr eingeschränkt«, betonte Smendek. Das Videokollektiv hatte im Internet via Crowdfunding im Internet Spenden für eine neue Kamera gesammelt. Erst wenn das gerichtliche Verfahren abgeschlossen ist, kann Smendek eine Klage auf Schadenersatz gegen die Polizei stellen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/964521.verschlepptes-verfahren.html

Peter Nowak

Teurer Kampf ums Urheberrecht

Das alternative Videokollektiv Filmpiratinnen und Filmpiraten e.V. aus Erfurt muss sich derzeit gegen eine Klage der FPÖ vor dem Handelsgericht in Wien wehren. Die rechte Partei verletzte das Urheberrecht der Erfurter Journalisten und überzieht sie nun im Gegenzug mit einem Prozess, dessen Kosten bereits das Aus für das Filmkollektiv bedeuten könnten.

Fast ein Jahrzehnt berichten die Videojournalisten über Antifademonstrationen, Flüchtlingsproteste oder Solidaritätsaktionen beispielsweise während des Einzelhandelsstreiks. Zunächst konzentrierte sich ihre Medienarbeit auf Thüringen. Mittlerweile sind die kritischen Journalisten europaweit mit der Kamera unterwegs. So berichteten sie auch über das Verfahren gegen den Jenaer Antifaschisten Josef S. in Wien. Die österreichische Justiz hatte den Studenten schweren Landfriedensbruch bei Protesten gegen den jährlichen Akademikerball in 2013 vorgeworfen. Dazu lädt die rechtspopulistische FPÖ alljährlich Ende Januar Politiker der rechten Szene Europas ein. Wegen der monatelangen Untersuchungshaft trotz unklarer Beweislage sprachen Menschenrechtsorganisationen von Kriminalisierung des Antifaschisten. Der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröder (SPD) verlieh S. im vergangenen Jahr einen Preis für Zivilcourage.
Die FPÖ stellte Ausschnitte eines Videoberichts der Filmpiraten über den Prozess gegen Josef S. und die Preisverleihung auf ihren Kanal FPÖ-TV. „Sie haben die Aufnahmen in einen neuen Kontext gesetzt und gleichzeitig gegen die Creative Commons-Lizenz verstoßen, die nicht-kommerzielle Nutzung und Weitergabe unter gleichen Bedingungen voraussetzt“, erklärte der Videojournalist Jan Smendek. Daher hatte der Verein die FPÖ wegen der Urheberrechtsverletzung abgemahnt. Daraufhin verklagte die FPÖ die Filmpiraten beim Wiener Handelsgericht wegen Behinderung der Meinungsfreiheit und falscher Anschuldigungen. Gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) erklärte ein FPÖ-Sprecher: „Wir fordern in unserer Klage gegen die ‚Filmpiraten‘ weder Geld noch Sonstiges, sondern lediglich die gerichtliche Feststellung, dass die von den ‚Filmpiraten‘ behaupteten Ansprüche gegen die FPÖ nicht zu Recht bestehen“.
Mittlerweile wurde bekannt, dass die FPÖ auch in Österreich ihre Kritiker häufiger mit solchen Klagen überzieht. Betroffen davon sind die „Initiative Heimat ohne Hass“, die Zeitschrift „Linkswende“ und der österreichischen Kriminalbeamte und Datenforensiker Uwe Sailer, der sich gegen die FPÖ engagiert. Die aufgrund der österreichischen Parteienfinanzierung sehr solvente Partei versucht, ihre Kritiker mit den Klagen finanziell unter Druck zu setzen, kritisiert ein Autor der „Linkswende“. Für die Filmpiraten geht es dabei um ihre Existenz. Der Streitwert liegt bei 35000 Euro. „Bis jetzt sind schon über 5.000 Euro an Anwaltskosten entstanden, die wir im Vorfeld aufbringen mussten“, erklärt Smendek. Die Auseinandersetzung kann sich noch über Monate hinziehen und teuer werden. Ein vom Wiener Handelsgericht vorgeschlagener Vergleich, bei dem beide Seiten ihre Klagen zurückziehen, ist für Smendek nicht annehmbar. „Die FPÖ könnte dann weiter unser Urheberrecht verletzen und wir würden auf einen Teil der Gerichtskosten sitzen bleiben“, begründet der Journalist die Ablehnung. So wird es wohl in einigen Monaten zum Prozess kommen.

Unter dem Motto „Sei unser Held – FPÖ kostet Nerven und Geld“ wird auf der Homepage www.filmpiraten.org zu einer Spendenkampagne aufgerufen. SPENDENKONTO Filmpiratinnen e.V.
IBAN: DE56430609676027819400
BIC: GENODEM1GLS GLS Bank.

aus: «M» – MENSCHEN – MACHEN – MEDIEN

https://mmm.verdi.de/aktuell-notiert/2015/teurer-kampf-ums-urheberrecht

Peter Nowak