Zwei plus vier macht null

Die Forderung der griechischen Regierung nach Rückzahlung einer Zwangsanleihe aus der NS-Zeit kommt hierzulande schlecht an. Dennoch könnte Griechenland Erfolg haben.

Die Andeutung zeigte Wirkung: Als der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos seine Bereitschaft äußerte, die Pfändung deutscher Immobilien in Griechenland zu erlauben, um den Reparationsforderungen Nachdruck zu verleihen, wurden auch die deutsche Politik und Öffentlichkeit nervös. Solche Ansprüche an Deutschland haben in den vergangenen Jahren auch griechische Regierungen vertreten, die von Sozialdemokraten oder Konservativen gestellt wurden. Aber sie wollten damit vor allem die eigene Klientel beruhigen und vertraten die Forderungen nie mit Nachdruck, obwohl der griechische Oberste Gerichtshof bereits im Jahr 2000 entschieden hatte, dass in Reparations­fragen deutsches Eigentum in Griechenland gepfändet werden dürfe.

Die neue griechische Regierung leitet die Ansprüche vor allem aus einer Zwangsanleihe ab, die die griechische Nationalbank während der NS-Besatzung an das Deutsche Reich zahlen musste und die nie zurückgezahlt wurde. Nach griechischer Rechnung entspricht die Schuld inklusive Zinsen derzeit elf Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat auf die erste Parlamentsrede von Alexis Tsipras, in der er die Forderungen bekräftigte, lapidar erklärt, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen. Die Argumentation der Bundesregierung lautet, dass im Londoner Schuldenabkommen von 1953 die Regelung der deutschen Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines »förmlichen Friedensvertrages« vertagt worden sei. Diese Regelung wiederum sei 1990 durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung gegenstandslos geworden. Die Bundesregierung legt den Vertrag so aus, dass die Reparationsfrage nach dem Willen der Vertragspartner nicht mehr geregelt werden muss.

So wurde eine Argumentation entwickelt, mit der deutsche Regierungen auch schon in anderen Fällen versuchten, sich um Zahlungen an NS-Opfer zu drücken. Dabei geht es im Fall Griechenlands um die juristisch bedeutsame Frage, ob die Zwangsanleihe in die Kategorie Schulden oder Reparationen fällt. Schulden müssten auch nach 70 Jahren mit Zinsen zurückgezahlt werden. Warum das Darlehen aber in die Kategorie Reparationen fallen soll, erläuterte Matthias Hartwig vom Max-Plank-Institut vor einigen Tagen im Deutschlandfunk: »Ich persönlich bin der Auffassung, dass dieser Kredit zunächst einmal während der Besatzungszeit Griechenlands durch das Deutsche Reich abgeschlossen worden ist und sicherlich als Vertrag gesehen werden muss, welcher nicht auf Augenhöhe geschlossen wurde, also insofern sicherlich, wenn man es so nennen möchte, ein ungleicher Vertrag zwischen Deutschland und Griechenland, und das lässt sich auch damit belegen, dass der Kredit seinerzeit zinslos gegeben worden ist.« Hartwig kam zur Schlussfolgerung: »Von daher gesehen sprechen sehr gute Gründe dafür, diesen Vertrag als einen Teil des Kriegsunrechts anzusehen, mit der Folge, dass eine Wiedergutmachung im Rahmen von Reparationszahlungen zu erfolgen hat.«

Kurz zusammengefasst: Weil die Zwangsanleihe ein besonders großes Unrecht war, hält die Bundesregierung die Rückzahlung für unnötig. Das erinnert an die Debatte um die Zahlung der sogenannten Ghettorenten, als staatliche Stellen die Zahlungen ebenfalls lange verhinderten, so dass der Kreis der Betroffenen immer kleiner wurde. In diesem Fall wurde argumentiert, dass es in den Ghettos keine herkömmlichen Arbeitsverhältnisse gegeben habe, sondern der Zwang ausschlaggebend gewesen sei. Das war sicher nicht falsch, wurde aber als Argument genutzt, um die Rentenzahlung zu verweigern. Dass es schließlich für einige Menschen doch noch eine Nachzahlung der Ghettorenten gab, war auch die Folge des großen Drucks, den die deutsche Politik irgendwann nicht mehr ignorieren konnte.

Wenn sich in aktuellen Umfragen eine große Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung eher für einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone als für eine Umschuldung ausspricht und Menschen sich für eine Bild-Kampagne mit der Parole »Kein weiteres deutsches Geld an Griechenland« fotografieren lassen, zeigt sich angesichts der deutschen NS-Schulden ein besonderes Ausmaß von Geschichtsvergessenheit. Doch bisher wird das Thema in der außerparlamentarischen Linken in Deutschland kaum aufgriffen. Auch bei der Mobilisierung zum Blockupy-Protest, bei dem die Solidarität mit Griechenland einen hohen Stellenwert einnimmt, wird auf die deutschen Schulden nur am Rande eingegangen. Das macht deutlich, dass geschichtspolitische Interventionen, die in den Neunzigern noch Debatten anregen konnten, heutzutage kaum noch eine Rolle spielen. Nur der AK Distomo fordert seit Jahren, Deutschland solle Entschädigungen zahlen. Er hat in einer Pressemitteilung die neue griechische Regierung aufgefordert, deutsche Immobilien in Griechenland zwangszuversteigern, sollte sich die deutsche Regierung weigern.

Engagement für die Forderungen aus Griechenland haben in den vergangenen Tagen Politiker der Linkspartei gezeigt. In verschiedenen Talkshows hat etwa Sahra Wagenknecht Verständnis für die Haltung der griechischen Regierung gezeigt. Die Springer-Presse war nicht amüsiert. »Die Diskussion bei Anne Will kreiste verblüffend intensiv um rückwärtsgerichtete Schuldfragen – und trug wenig zu der pragmatischen Frage bei, wie man das Problem nach Lage der Dinge denn nun angehen soll. Ein Schuldenschnitt? Ein Austritt der Griechen aus der Euro-Zone?« versuchte die Berliner Morgenpost die deutsche Vergangenheit kleinzureden.

Der Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano hat die ablehnende Haltung der Bundesregierung kritisiert. »Die Argumentation der Bundesregierung ist juristisch sehr dürftig und anfechtbar«, sagte der Rechtsprofessor in der Sendung »Kontraste«. Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag, auf den sich die deutsche Regierung beruft, binde Griechenland nicht, denn es sei »nicht Partei dieses Vertrags«. Es sei »völkerrechtlich nicht zulässig, einen Vertrag zu Lasten Dritter – in diesem Falle Griechenlands – abzuschließen«.

Mittlerweile gibt es auch in den deutschen Medien die ersten Brüche. Im Streit um Entschädigungen für Griechenland solle die Bundesregierung einlenken, das sei moralisch und politisch richtig und würde verhindern, dass die Regierung Tsipras ihre Finanzmisere weiterhin mit der Vergangenheit verknüpfen könne, schreibt David Böcking auf Spiegel Online. Er beschreibt die deutsche Vergangenheitspolitik durchaus präzise: »Außerdem hat Deutschland auch andere NS-Opfergruppen nicht aus formaljuristischen Gründen entschädigt, sondern weil irgendwann der politische oder wirtschaftliche Druck zu groß wurde. So kam die Stiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter erst zustande, als sich deutsche Konzerne in den neunziger Jahren mit Sammelklagen in den USA konfrontiert sahen. Eine solche Stiftung sollte Deutschland nun auch für griechische Überlebende von NS-Massakern und die Angehörigen der Opfer einrichten.«

Der Kommentar macht deutlich, dass die Politik Griechenlands nicht so aussichtslos ist, wie Schäuble und Merkel suggerieren. Auch Vertreter der SPD und der Grünen befürworten seit einigen Tagen Reparationszahlungen. Nun bräuchte es noch weitere Gruppen und Einzelpersonen, die den Druck erzeugen, von dem Böcking spricht.

http://jungle-world.com/artikel/2015/12/51639.html

Peter Nowak