Knastverbot für den Weihnachtsmann


BESCHERUNG Für Inhaftierte können kleine Gesten viel bedeuten, beispielsweise ein Weihnachtspaket von Unbekannten. Doch in fünf Bundesländern sind sie nun verboten: Die Kontrolle sei zu aufwendig

BERLIN taz „Leider habe ich keine Angehörigen, die mich unterstützen könnten. Daher würde ich mich über eine Spende sehr freuen.“ Diese Bitte richtete ein Insasse der Justizvollzugsanstalt Lingen an den Verein Freiabos e. V (www.freiabos.de). Der Verein vermittelt seit fast 30 Jahren Zeitungsabos und auch Paketwünsche von Häftlingen. Doch obwohl die Nachfrage nach den Paketen in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen ist, dürfen Gefangene in Niedersachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen keine Pakete mehr bekommen.

Diese Bundesländer haben Gesetze verabschiedet, die das Versenden von Paketen in die Gefängnisse untersagen. Begründet wurde das Verbot mit dem großen Verwaltungsaufwand. Schließlich müssten alle Sendungen auf gefährliche und auf im Gefängnis verbotene Gegenstände untersucht werden. Geldgeschenke für Häftlinge sind dagegen weiterhin erlaubt. Der Verein Freiabos wirbt für diesen Paketersatz und vermittelt SpenderInnen.

Doch Vereinsmitarbeiterin Annette Baginska äußerte Unverständnis dafür, dass aus verwaltungstechnischen Gründen die Rechte von Inhaftierten eingeschränkt werden. „Wenn man sich ein Gefängnis mal von innen angesehen hat, dann merkt man einfach, wie kleine Dinge plötzlich eine große Bedeutung bekommen und wie das Leben eines Gefangenen von sehr vielen Regeln, aber auch sehr viel Verzicht bestimmt wird“, meint Baginska.

Mit dem Paketverbot werde den Gefangenen die Möglichkeit genommen, sich über ein überraschendes Präsent zu freuen. Dabei gehe es nicht in erster Linie um Geschenke von großen materiellem Wert. Auch ein selbstgemaltes Bild, eine Bastelei oder ein Foto werde den Häftlingen vorenthalten.

Welche Bedeutung solche Gesten für sie haben können, drückt sich in den zahlreichen Dankesbriefen aus, die der Verein in Auszügen auf seiner Homepage veröffentlicht hat. „Vielen Dank, dass Sie es ermöglicht haben, dass ich hier im Gefängnis ein bisschen Weihnachten feiern konnte. Meine eigene Familie hat mich abgeschrieben“, schrieb ein Häftling nach dem Paketempfang. Und die Nachfrage ist weiterhin sehr groß. Zurzeit warten noch knapp 80 Häftlinge auf Pakete.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2012%2F12%2F22%2Fa0136&cHash=069a96cfec3e839986f3cb640b2d9550

Peter Nowak

Keine Weihnachtspakete in den Knast


Eine massive Einschränkung für Gefängnisinsassen sorgte für keine kritische Diskussion in der Öffentlichkeit und zeigt, wie schwer es für Gefangene ist, Rechte durchzusetzen

„Sehr geehrte Spenderin! Vielen Dank, dass Sie es ermöglicht haben, dass ich hier im Gefängnis ein bisschen Weihnachten feiern konnte. Meine eigene Familie hat mich abgeschrieben.“ Diese Zeilen schrieb ein wegen Diebstahlsdelikten zu einer Haftstrafe verurteilter Mann an dem ihm unbekannten Spender eines Weihnachtspakets.

Den Kontakt hat die 1981 gegründete gemeinnützige Organisation Freiabonnements für Gefangene e.V. angebahnt. Auf der Homepage befindet sich auch ein Formular, auf dem sich Spender eintragen können. Man kann direkt ein Paket an den Gefangenen schicken oder einen Geldbetrag von 45 Euro überweisen. Mit dem Betrag werden dann von Vereinsmitarbeitern die Wünsche der Gefangenen erfüllt. Zurzeit warten noch knapp 80 Gefangene auf ein Weihnachtspaket. Seit Gründung des Vereins waren die Paketwünsche größer als die Spenden. Doch in den letzten Jahren haben die Paketwünsche „nicht dramatisch, aber stetig zugenommen“, erklärt die Vereinsgeschäftsführerin Sybill Knobloch gegenüber Telepolis.

Armut hinter Gittern

Ein Grund dafür ist auch die Zunahme von Armut im Gefängnis, weist ihre Kollegin Annette Baginska auf eine wenig bekannte Tatsache hin. Mit den 30 Euro Taschengeld, die ihnen monatlich zustehen, können sie sich kaum individuelle Wünsche erfüllen. Oft reicht der Betrag nicht einmal für die Begleichung der Telefonkosten mit Freunden und Verwandten. „Auf jeden Fall zeigt sich bei der Paketvermittlung der soziale und finanzielle Notstand der Gefangenen, sonst müssten sie sich nicht an uns wenden“, betont Knobloch.

Die soziale Notlage wird von den Häftlingen auch offen angesprochen. So schreibt ein Gefangener aus der JVA Lingen: „Leider habe ich keine Angehörigen, die mich unterstützen könnten. Daher würde ich mich über eine Spende sehr freuen.“ Er darf keine Pakete, sondern nur noch Geldspenden entgegennehmen. Niedersachsen gehört wie Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen zu den Bundesländern, die in den letzten drei Jahren im Zuge der Föderalismusreform Ländergesetze verabschiedet haben, nach denen keine Paketen mehr in die Gefängnisse geschickt werden können. Begründet wurde diese Maßnahme mit dem großen Verwaltungsaufwand, der damit für die Gefängnisse verbunden sei. Schließlich müssten alle Postsendungen auf verbotene Gegenstände untersucht werden.

Geldspenden sind den Gefangenen gestattet. Daher wirbt auch der Verein Freiabos e.V. für diese Paketersatzspenden. Natürlich wird es auch Gefangene geben, die lieber Bargeld statt Pakete bevorzugen. Doch Anette Baginska kritisiert das Paketverbot trotzdem scharf als Einschränkung der Rechte der Gefangenen:

„Wenn man sich ein Gefängnis mal von innen angesehen hat, dann merkt man einfach, wie kleine Dinge plötzlich eine große Bedeutung bekommen, und wie das Leben eines Gefangenen von sehr vielen Regeln, aber auch sehr viel Verzicht bestimmt wird.“

Mit dem Paketverbot wird den Gefangenen die Möglichkeit genommen, sich über ein überraschendes Präsent wie ein selbstgemaltes Bild oder ein Foto zu freuen. Welche Bedeutung eine solche Geste hinter Gittern haben kann, drückt sich in den zahlreichen Dankesbriefen aus, die der Verein in Auszügen auf seiner Homepage veröffentlicht hat. „Ich habe nicht gedacht, dass es möglich ist, da der Ruf außerhalb der JVA nicht der Beste ist und es auch Vorurteile gibt“, schreibt ein Gefangener, der ein Buchgeschenk erhalten hatte.

Hungerstreik gegen Einheitskleidung in der JVA Bochum

Diese Einschätzung dürfte sehr realistisch sein, was sich auch darin zeigt, dass das Paketverbot keine öffentliche Debatte in einer Zeit ausgelöst hat, in der viel über Menschenrechte gesprochen wird. Das macht wieder einmal deutlich, dass Häftlinge keine Lobby in der Gesellschaft besitzen und große Teile der Bevölkerung noch immer der Meinung sind, dass es den Gefängnisinsassen noch immer zu gut geht. Forderungen von Gefangenenorganisationen haben es schwer, in der Öffentlichkeit Gehör und noch schwerer Verständnis zu finden.

Das betrifft auch die Fragen zu der im Gefängnis vorgeschriebenen Kleidung. So hat der Häftling Sadi Özpolat in der JVA Bochum am 10. Dezember einen unbefristeten Hungerstreik gegen die dort verordnete Einheitskleidung begonnen. Diese Maßnahme erinnert den in der Türkei und im europäischen Exil politisch aktiven Mann an ähnliche mit großen Repressialien in der Türkei durchgesetzten Kleidungsmaßnahmen in den Gefängnissen. Weil kein Druck aus der Öffentlichkeit besteht, gibt es auch in der Politik niemand, der das Paketverbot infrage stellt. So wurde es in Baden-Württemberg noch von einer aus CDU und FDP bestehenden Landesregierung verabschiedet und von den grünroten Nachfolgern ohne Diskussionen weiter praktiziert.
Peter Nowak
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153402

Kleine Dinge, große Bedeutung

Ein Verein vermittelt Weihnachtspakete für Gefangene und sorgt so für ein bisschen Normalität hinter Gittern
Der Verein »Freiabonnements für Gefangene« bemüht sich um Kontakt nach draußen. Das ist wichtig, damit Straftäter nach der Haftzeit wieder Fuß fassen können. Doch verschärfte Gesetze erschweren die Resozialisierung. So dürfen Häftlinge in manchen Bundesländern seit Kurzem keine Pakete mehr empfangen.

»Sehr geehrte Spender/in! Vielen Dank, dass Sie es ermöglicht haben, dass ich hier im Gefängnis ein bisschen Weihnachten feiern konnte. Ich habe mich riesig über Ihr Paket gefreut. Meine eigene Familie hat mich abgeschrieben.« Diese Zeilen schrieb ein wegen Diebstahls verurteilter Mann an den ihm unbekannten Spender eines Weihnachtspakets. Den Kontakt hat die 1981 gegründete gemeinnützige Organisation »Freiabonnements für Gefangene« angebahnt. Neben Zeitungsabos vermittelt sie Briefkontakte und Pakete.

Weihnachten ist für Gefangene eine bedrückende Zeit. Der normale Gefängnisalltag ruht, es gibt wenig Abwechslung. Nach Hause dürfen nur wenige. Für diejenigen, die Weihnachten in der Haftanstalt verbringen müssen, ist die Einsamkeit besonders spürbar, weiß der Verein. Die Geschenke helfen bei der Resozialisierung. Sie bringen ein bisschen von der Welt draußen in das Leben der Inhaftierten zurück, geben ihnen das Gefühl, nicht vergessen zu werden und bauen eine Brücke zur Gesellschaft, so die Gefangenenhilfe.

Spender können ein Paket direkt an den Gefangenen schicken oder 45 Euro überweisen. Mit dem Betrag werden dann von Vereinsmitarbeitern die Wünsche der Gefangenen erfüllt. Auch kleinere Spenden sind willkommen. Über die diesjährige Weihnachtsaktion konnte 122 Gefangenen ein Weihnachtspaket vermittelt werden. Alle Pakete sind jetzt auf dem Weg.

Seit Gründung des Vereins gingen mehr Wünsche von Gefangenen ein, als erfüllt werden konnten. Doch in den letzten Jahren haben die Paketanfragen noch mal zugenommen, »nicht dramatisch aber stetig«, erklärt die Vereinsgeschäftsführerin Sybill Knobloch gegenüber »nd«. Ein Grund dafür ist die wachsende Armut im Gefängnis. Mit den 30 Euro Taschengeld monatlich können sie sich kaum individuelle Wünsche erfüllen. Oft reicht der Betrag nicht einmal für die Begleichung der Telefonkosten mit Freunden und Verwandten. »Auf jeden Fall zeigt sich bei der Paketvermittlung der soziale und finanzielle Notstand der Gefangenen, sonst müssten sie sich nicht an uns wenden«, betont Knobloch.

Die soziale Notlage wird von den Häftlingen offen angesprochen. So schreibt ein Gefangener aus der JVA Lingen: »Leider habe ich keine Angehörigen, die mich unterstützen könnten. Daher würde ich mich über eine Spende sehr freuen.« Er darf keine Pakete, sondern nur noch Geldspenden entgegennehmen. Denn Niedersachsen gehört wie Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen zu den Bundesländern, die in den letzten drei Jahren das Schicken von Paketen in die Gefängnisse verboten haben. Begründet wurde diese Maßnahme mit dem Verwaltungsaufwand, der damit für die Gefängnisse verbunden sei. Denn alle Postsendungen müssten auf verbotene Gegenstände untersucht werden.

Obwohl die Geldüberweisungen ein Ersatz sind, kritisiert Anette Baginska vom Freiabo-Verein das Paketverbot scharf: »Wenn man sich ein Gefängnis von innen angesehen hat, dann merkt man, wie kleine Dinge plötzlich eine große Bedeutung bekommen, und wie das Leben eines Gefangenen von sehr vielen Regeln, aber auch sehr viel Verzicht bestimmt wird.« Mit dem Paketverbot werde den Gefangenen auch noch die Freude über ein überraschendes Präsent genommen.

Welche Bedeutung eine solche Geste hinter Gittern haben kann, drückt sich in den Dankesbriefen aus, die der Verein auf seiner Homepage veröffentlicht. »Die Situation hier ist nicht einfach (und vor allem nicht unverschuldet), aber die menschliche Komponente Ihres Engagements macht es erträglicher«, schreibt etwa ein Gefangener, der ein Buchgeschenk erhalten hat. Und ein anderer: »Es ist nicht selbstverständlich, da der Ruf der Gefangenen außerhalb der JVA-Mauern nicht gerade der Beste ist und es viele Vorurteile gibt.«

Damit liegt der Mann nicht falsch. Kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe hat so eine geringe Lobby wie Gefangene. Das Paketverbot hat keinerlei öffentliche Diskussionen ausgelöst. Auch die inzwischen in Baden-Württemberg regierenden Grünen und Sozialdemokraten stellen das von der Vorgängerregierung beschlossene Verbot nicht infrage.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/807733.kleine-dinge-grosse-bedeutung.html

Peter Nowak

Entschädigung für Opfer des Kriegs gegen den Terror

Wird die Logik, die zur Verhaftung von El Masri führte, nicht auch heute noch angewandt?

Für die Zyniker der Macht waren es Kollateralschäden im Krieg gegen den Terror. Für die Betroffenen waren es Jahre des Schreckens, die sie bis zum körperlichen und geistigen Zusammenbruch trieben. Die Maßnahmen, mit denen die USA, unterstützt von verschiedenen europäischen Staaten, Menschen verhafteten und verschleppten. Jetzt hat einer der Betroffenen zumindest juristisch eine kleine Entschädigung bekommen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dem Libanon geborenen deutschen Staatsbürger Khaled El Masri eine Entschädigung in Höhe von 60.000 Euro zugesprochen. Zahlen muss sie die mazedonische Regierung. Denn El Masri war Ende 2003 in der Hauptstadt des Balkanstaates Skopje verschleppt worden und erlebte eine kafkaeske Odyssee.

Nach seinen sehr detaillierten Aussagen, die sich später auch bestätigten, wurde El Masri von den mazedonischen Behörden zunächst 23 Tage unter Kontaktsperre in einem Hotel in Skopje festgehalten. Bei einem Fluchtversuch wurde ihm mit Erschießung gedroht. Danach wurde er vom US-amerikanischen Außengeheimdienst CIA nach Afghanistan entführt und dort über mehrere Monate festgehalten und auch gefoltert.

Als sich sein deutscher Pass, den die US-Behörden zunächst für gefälscht hielten, als echt erwies, wurden die deutschen Behörden informiert. El Masri wurde 2004 ohne finanzielle Mittel und ohne Informationen von Freunden und Bekannten auf einem Waldweg zwischen Albanien und Mazedonien ausgesetzt. Seine Papiere hat er am mazedonischen Grenzübergang wieder bekommen. Die Art seiner Freilassung bedeutete für den Betroffenen eine weitere Demütigung.

Denn zunächst wurden seinen Schilderungen auch in Deutschland mit Misstrauen begegnet. Das Opfer wurde zum Lügner gestempelt. Sicherlich hat diese Behandlung zu dem psychischen Zusammenbruch beigetragen. El Masri war strafrechtlichen Ermittlungen, einer Einweisung in die Psychiatrie und einer Pressekampagne ausgesetzt. Während die deutschen Behörden mittlerweile im Zusammenhang mit El Masris Verschleppung Haftbefehle gegen mehrere CIA-Mitarbeiter erlassen haben, hat die US-Justiz es auch in der höchsten Instanz abgelehnt, El Masris Antrag auf Schadenersatz anzunehmen.

Abweisung der Klage weitere Menschenrechtsverletzung

Das Europäische Gericht stufte die Darstellung El Masris als glaubwürdig ein. Seine Verschleppung in das Hotel in Skopje wurde als „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ klassifiziert, der Umgang mit ihm auf dem Flughafen von Skopje als Folter. Da dieses Prozedere auf mazedonischem Staatsgebiet und in Anwesenheit mazedonischer Beamter erfolgt sei, müsse dafür auch die mazedonische Regierung die Verantwortung übernehmen, so die Richter. Zudem sei den Behörden das Ziel des Fluges bekannt gewesen. Gerügt wurde schließlich auch die mazedonische Justiz, die alle Klagen El Masris abwies. Sie sei verpflichtet gewesen, eine effektive Untersuchung durchzuführen.

Das Gericht befand, es seien aus dem gleichen Grunde keine ernsthaften gerichtlichen Untersuchungen durchgeführt worden, wegen denen er auch unrechtmäßig inhaftiert worden war, was eine weitere Verletzung der Grundrechte von El-Masri darstellte. Mit dem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erneut den Focus auf die massiven Menschenrechtsverletzungen auch auf europäischen Boden gerichtet, die unter dem Übergriff „Krieg gegen den Terror“ gelaufen sind.

Die Frage ist, ob jetzt auch andere Betroffene gegen europäische Staaten, vielleicht auch Deutschland, klagen werden. Schließlich haben auch Politiker in Deutschland im Fall des Bremers Murat Kurnaz, dessen Haft in den USA in die Länge gezogen. Daneben sollte der gut dokumentierte Fall El Masri die Frage aufwerfen, ob solche Menschenrechtsverletzungen auch heute noch möglich wären.

Beispiel Bonn – Salafistenfreund gleich Bombenleger?

Die offizielle Erklärung aus Washington lautet, El Masri sei Opfer einer Verwechslung mit einem Al Qaida-Mitglied gleichen Namens geworden. Die Verwechslungserklärung verdeckt, dass El Masri ins Visier der Behörden geriet, weil er im Libanon Kontakt zu einer islamistischen Gruppe gehabt haben soll, nach der er auch von den US-Beamten beim Verhör befragt worden war.

Zudem soll er in seinem deutschen Wohnort Neu-Ulm in einen Zentrum verkehrt haben, in dem sich auch Islamisten getroffen haben sollen. Hier wurde also nach der Logik des Verdachts verfahren, wer mit Islamisten verkehrt hat, kann auch Al Qaida-Mitglied sein. Wurde diese Logik nicht auch nach dem Fund einer zünderlosen Bombe am Bonner Hauptbahnhof vor wenigen Tagen angewandt, als die Festnahme zweier Männer erfolgte, denen Kontakte in die Salafistenszene nachgesagt wird? Sie mussten mittlerweile wieder freigelassen werden und ein politischer Hintergrund der mysteriösen Ansammlung von Bombenteilen steht auch noch längst nicht fest.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153365

Peter Nowak

Spitzel verlangt Schadenersatz

Mark Kennedy wegen Liebesaffären vor Gericht
Der britische Zivilbeamte Mark Kennedy spionierte jahrelang in der linken Szene Europas. Nun verklagen ihn Frauen aus mehreren Ländern wegen sexueller Ausbeutung.

Dass Polizeibehörden von Menschen aus oppositionellen Zusammenhängen wegen Körperverletzung oder Freiheitsberaubung verklagt werden, kommt häufiger vor. Doch die Klage wegen sexueller Ausbeutung, die 10 Frauen aus verschiedenen europäischen Ländern gegen die britische Metropolitan Police und die halbprivate „Association of Chief Police Officers gestellt haben, dürfte eine Premiere sein. Die Polizeibehörden waren für den Einsatz der Zivilbeamten Mark Kennedy und eines Kollegen, der unter dem Namen Marco Jacobs bekannt ist, verantwortlich. Beide hatten sich in verschiedenen europäischen Ländern in linke Zusammenhänge eingeschleust und diese auspioniert. Dazu gehörte auch Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg 2009. Wie Kennedy mittlerweile zugab, ist er bei seinen Einsätzen sexuelle Beziehungen mit Frauen aus der linken Szene eingegangen.
Diese stützten ihre Klage auf die Verletzung mehrerer Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention. Danach darf niemand einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Dieses Prinzip sehen die Kläger verletzt, weil sie von stabilen, zukunftsfähigen Bindungen ausgegangen waren. Doch die zwischen sieben Monaten und sechs Jahren dauernden Beziehungen endeten mit dem plötzlichen Abtauchen der vermeintlichen Partner, wenn deren Einsatz abgebrochen wurde.
Noch ist unklar, ob die Verfahren öffentlich verhandelt werden, wie von den Verteidigern der Klägerinnen gefordert. Die Anwälte der Polizei wollen die Fälle in einem Geheimverfahren abwickeln, das für Klagen gegen den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 vorgesehen ist. Dann dürften weder die Klägerinnen noch deren Anwälte an den Verhandlungen teilnehmen oder Zeugen hören.
Die polizeilichen Führer der Spitzel seien jederzeit informiert gewesen, wo diese bei ihren Einsätzen übernachteten, bestätigte Kennedy gegenüber der Presse die Version der Klägerinnen, die von „institutionalisierten Sexismus bei der Polizei“ sprechen. Kennedy stilisiert sich mit seinem Gang an die Öffentlichkeit selber zum Opfer und hat seine Vorgesetzten verklagt. Weil die ihn nicht an den sexuellen Affären und Beziehungen während seiner Spitzeltätigkeit gehindert hätten, sollen sie ihm den dadurch entstandenen posttraumatischen Stress mit rund 120.000 Euro vergüten. Ein Berliner Aktivist der globalisierungskritischen Bewegung, der sich seit Jahren mit der europaweiten Repression beschäftigt, bezeichnet Kennedy als „egozentrischen Selbstdarsteller“. „Jetzt nutzt er das Gerichtsverfahren der Frauen, um selbst Aufmerksamkeit zu erheischen.“
Dass Ausmaß der Kriminalisierungsversuche oppositioneller Bewegungen wird erst langsam bekannt.
„Es ist auffällig, dass Kennedy sich an Orten aufhielt, an denen es später zu größeren Razzien und Anklagen wegen abstruser Terrorismus-Vorwürfe kam. Alle Verfahren fielen bislang in sich zusammen“, erklärt der Aktivist gegen nd. Zurzeit könnte ein Verfahren gegen eine anarchistische Landkommune im französischen Ort Tarnac eingestellt . Auch sie hatte Kennedy mit militanten Aktionen in Verbindung gebracht.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/807299.spitzel-verlangt-schadenersatz.html
Peter Nowak

Aktionstag gegen Repression

Kundgebungen für Aktivisten und Schwarzfahrer in Haft

Unter dem Motto »Fünf Finger sind eine Faust« haben Solidaritätsgruppen zu einem Aktionstag gegen Repression aufgerufen. Dezentrale Aktionen soll es am kommenden Sonnabend in verschiedenen deutschen Städten geben. In Berlin ist eine Kundgebung vor dem Sitz der Berliner Verkehrsbetriebe geplant. Damit soll dagegen protestiert werden, dass in der Hauptstadt immer mehr Menschen im Gefängnis sind, die wegen Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ohne Ticket verurteilt wurden. Allein in der Haftanstalt Plötzensee sitzt ein Drittel der Häftlinge aus diesem Grund hinter Gittern.

Bei weiteren Veranstaltungen am 8. Dezember stehen politische Aktivisten, die im Gefängnis sitzen, im Mittelpunkt. In Hamburg soll es eine Kundgebung vor dem Untersuchungsgefängnis in den Wallanlagen geben, wo auch der kurdische Aktivist Ali Ihsan Kitay inhaftiert ist. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation vor und hat ihn nach Paragraf 129b angeklagt. Kitay soll in Hamburg Kader der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gewesen sein, die für politische Autonomie bzw. die Unabhängigkeit kurdisch besiedelter Gebiete in der Türkei kämpft.

Die Solidarität außerhalb der kurdischen Zusammenhänge ist gering. »Gerade türkische und kurdische Angeklagte bekommen oft sehr wenig Unterstützung. Auch deswegen organisieren wir den Aktionstag«, erklärt Wolfgang Lettow vom »Netzwerk für die Freiheit der politischen Gefangenen« gegenüber »nd«. Er verweist zudem auf das Verfahren gegen die türkische Linke Gülaferit Ünsal, gegen die seit Monaten ein 129b-Verfahren in Berlin läuft, das öffentlich kaum wahrgenommen werde. Die Verurteilung eines türkischen Zeugen, der die Aussage verweigert hatte, zu sechs Monaten Beugehaft, wurde erst durch einen Brief bekannt, den der Betroffene einem Unterstützer aus dem Gefängnis schrieb.

Aber auch hohe Haftstrafen gegen Antifaschisten, die vor einigen Jahren noch zu bundesweiten Protesten geführt hätten, sorgen heute selbst in linken Kreisen kaum noch für Reaktionen. So wurde in Nürnberg der Antifaschist Deniz K. zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, weil er bei einer Demonstration einen Polizisten mit einer Fahnenstange geschlagen haben soll. In Stuttgart wurde ein Antifaschist, der in der Öffentlichkeit unter den Namen Smily bekannt ist, zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, weil er sich auf Demonstrationen Rangeleien mit Neonazis geliefert haben soll.

Der Aktionstag soll keine Konkurrenz zum 18. März sein, der in vielen Ländern als Kampftag für die Freiheit der politischen Gefangenen begangen wird. Wolfgang Lettow erhofft sich auch nach dem 8. Dezember handlungsfähige Antirepressionsbündnisse in den verschiedenen Städten. Damit nicht wieder ein Zeuge in Beugehaft kommt und niemand davon erfährt. www.no129.info

http://www.neues-deutschland.de/artikel/806412.aktionstag-gegen-repression.html
Peter Nowak

Unerhörte Flüchtlingsproteste

Minister befassen sich nur mit »Asylmissbrauch«
Am Samstag begannen die Proteste gegen die am Mittwoch in Rostock beginnende Innenministerkonferenz.

Seit Monaten kämpfen Flüchtlinge aus ganz Deutschland für ihre Rechte. Doch ihr Marsch durch die Republik, ein Protestcamp in Berlin-Kreuzberg und Hungerstreiks am Brandenburger Tor werden von der Politik noch immer ignoriert. Auf der Innenministerkonferenz, die am 5. Dezember in Rostock beginnt, stehen ihre Anliegen nicht auf die Agenda. Doch die Betroffenen haben den Protest schon einige Tage vor Konferenzbeginn nach Rostock getragen. Der Block der Flüchtlinge und ihrer Unterstützer war auf der Demonstration von knapp 300 Menschen nicht zu überhören, mit der am Samstag die Proteste gegen die Innenministerkonferenz starteten. Andere Themen waren die Auflösung aller Geheimdienste nach der NSU-Affäre und die Einschränkung von Grundrechten auf Demonstrationen ebenso wie bei Fußballspielen.

Polizei schottete ab
Gegenüber »nd« begründet ein Sprecher der Flüchtlingsinitiativen seinen Unmut über die Konferenzagenda: »Zynischerweise befasst sich der einzige von 45 Tagungspunkten, der dieses Thema berührt, mit »Asylmissbrauch», der den Menschen aus Mazedonien und Serbien unterstellt wird. Wir alle wissen, dass damit Roma gemeint sind, die an vielen Orten bedroht und verfolgt werden.«

Auf der Demonstration machten die Flüchtlingsgruppen noch mal ihre Forderungen deutlich. Dazu gehören die Abschaffung der Residenzpflicht, die die Bewegungsfreiheit massiv einschränkt, die Auflösung der Heime und ein Abschiebestopp. Auf einem großen Transparent in zehn Metern Höhe an einem Parkhaus angebracht wurde zur Solidarität mit den Kämpfen der Flüchtlinge und zur Ablehnung jeder Form von Rassismus aufgerufen. Die Botschaft war auch für die Besucher des Rostocker Weihnachtsmarktes nicht zu übersehen. Ansonsten hatten es selbst interessierte Passanten schwer, die Inhalte der Demonstrationen zu erfahren. »Die Polizei schottete uns massiv von den Passanten ab, so dass es oft schwierig war, unsere Inhalte an die Bevölkerung zu vermitteln«, kritisierte Heiko Dorn vom Rostocker Bündnis gegen die Innenministerkonferenz die Polizeitaktik.

Kriminalisierung
Zudem sei eine Demonstrantengruppe ohne ersichtlichen Grund fast eine Stunde festgehalten worden, monierte Dorn. »Schon im Vorfeld sind die Proteste von der Rostocker Politik und der Lokalpresse kriminalisiert worden«, kritisierte Charlotte Hass, die ebenfalls im Rostocker Bündnis mitarbeitet. So habe der Rostocker Rathaussprecher Ulrich Kunze in einem Interview mit der Ostseezeitung vom Samstag gewarnt, dass es auf der Demonstration »Blut und Scherben« geben könne.

In den nächsten Tagen stehen verschiedene Themen der Innenministerkonferenz im Zentrum von Veranstaltungen. So wird heute im Peter-Weiss-Haus in Rostock über die Folgen ein möglichen NPD-Verbots auf die Naziszene besonders in Mecklenburg-Vorpommern diskutiert. Während der Konferenz wird es am kommenden Donnerstag und Freitag eine Mahnwache vor dem Tagungsort, dem Hotel Neptun geben. Für den 5. Dezember ruft die Initiative Jugend ohne Grenzen zu einer weiteren Demonstration für Flüchtlingsrechte auf, die um 17 Uhr am Hauptbahnhof beginnt.
Weitere Termine finden sich auf der Homepage der Kampagne imkversenken2012.blogsport.de.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/806139.unerhoerte-fluechtlingsproteste.html
Peter Nowak

Kann das Streicheln eines Hundes strafbar sein?

Eine von der Regierung geplante Verschärfung der Sexualgesetzgebung sorgt in letzter Zeit für Diskussionen.
Eigentlich ist schon länger bekannt, dass in Deutschland Sex mit Tieren bald wieder generell verboten werden soll. Das sieht eine Novelle des Tierschutzgesetzes vor, auf die sich die schwarz-gelbe Koalition geeinigt hat. Es drohen künftig Bußgelder von bis zu 25.000 Euro, wenn ein Tier zu „artfremden“ sexuellen Handlungen gezwungen werden sollen.

Mag die Verschärfung auch nur eine Minderheit betreffen, so handelt es sich bei der geplanten Verschärfung doch um eine Revision von Liberalisierung, die 1969 vollzogen wurden. Damals wurden bekanntlich in der Sexualgesetzgebung einige ganz alte Zöpfe abgeschnitten. Dazu gehörte auch die Strafbarkeit von „widernatürliche Unzucht“. So wurde lange Zeit sowohl der Geschlechtsverkehr zwischen Männern als auch der Sex zwischen Mensch und Tier genannt. Objektiver wird Sex mit Tieren Sodomie oder Zoophilie genannt. Mit der 1969 vollzogenen Liberalisierung war Sex mit Tieren nur noch strafbar, wenn dem Tier dabei erhebliche Verletzungen zugefügt werden. Die Vorschrift fand sich deshalb nicht mehr im allgemeinen Strafgesetzbuch, sondern im Tierschutzgesetz.

Dagegen liefen Tierfreunde der unterschiedlichen Couleur Sturm. Im Internet machen sie gegen Tiervergewaltiger mobil und haben einen Fragebogen entworfen, indem die Meinung über die Wiedereinführung des Straftatbestands Sex mit Tieren und Tierpornographie eine zentrale Rolle spielt.

Hund durch Zungenkuss genötigt?
Der Bund gegen Missbrauch der Tiere hat eine eigene Unterschriftensammlung für ein Zoophilieverbot gestartet. Wer hier vor allem eine mit Tierrechtsargumenten ummantelte Prüderie vermutet, kann auf der Seite der Tierfreunde auch fündig werden. So echauffiert man sich in einer Pressemitteilung über eine besondere Grenzüberschreitung.

„Berlin, 31.10.2012. Derzeit strahlt RTL die sechste Staffel von ‚Schwiegertochter gesucht‘ aus. Dabei kam es am Sonntag, 28. Oktober, zu einer Szene, die noch Tage später in den sozialen Netzwerken für Aufregung sorgt. Einer der Kandidaten gab vor laufender Kamera seiner Hündin einen intensiven Zungenkuss.“

Während im Internet von „übertriebener Tierliebe“ die Rede ist, bewertet der bmt den Vorfall als unzulässige Provokation. „Es geht hier nicht um Lob oder eine freundschaftliche Liebkosung des Hundes“, sagt Claudia Lotz, Leiterin der bmt-Geschäftsstelle Berlin, „sondern um einen Akt der Nötigung. Der Kandidat zwingt seine Schäferhündin durch beidseitig festen Griff um den Kopf, diese mehr als artwidrige ‚Intimität‘ zu erdulden.“

Sodann fordern die Sittenwächter Konsequenzen: „Es liegt in der Verantwortung des Senders, ihren Kandidaten keine Plattform für Bekenntnisse zu bieten, die auch nur ansatzweise mit zoophilen Handlungen oder Neigungen in Verbindung gebracht werden könnten“, so Claudia Lotz. Allein die Diktion klingt so, als handele es sich hier um Menschen, die sich gerne in fremde Angelegenheiten einmischen und nach den Paragraphen rufen, die ihnen die Handhabe dazu geveb. Wäre die Gesetzesverschärfung schon in Kraft, hätte es sicher einige Anzeigen gegen den Tierfreund und den Sender gegeben.

Gegen pauschale Kriminalisierung der Zoophilie
Sicher haben manche Kritiker der neuen Strafverschärfung solche Szenarien vor Augen. So wendet sich die Gruppe Zeta gegen eine „pauschale Kriminalisierung der Zoosexualität“.

„Tiere sind schon jetzt geschützt durch § 17 Tierschutzgesetz, wodurch ganz ungeachtet der Motivation jede Tierquälerei unter Strafe gestellt ist.“ Zudem wehrt sich die Initiative auch dagegen,jegliche sexuellen Kontakte mit Tieren nur als Missbrauch zu bewerten. „Warum sollen sexuelle Mensch-Tier-Kontakte unter Strafe gestellt werden, in denen das Tier Spaß daran hat? Wozu soll ein gesonderter Paragraph dienen, wenn nicht dazu, um eine subjektive Moralvorstellung in Stein zu meißeln?“ So die letzte Frage dieser Erklärung. Zuvor hat Zeta betont, dass Tiere sehr wohl ausdrücken können, ob sie an den menschlichen Annäherungen Gefallen finden oder nicht. Selbst, wenn man das in Zweifel zieht, muss man die Zoophilie-Gegnern ebenfalls fragen, ob Tierrechte, auf die sie sich immer berufen, nicht ein menschliches Konstrukt sind, das auf die Tierwelt übergestülpt wird.

Wo ökonomisches Interessen tangiert werden könnten, muss das Tierrecht hinten an stehen, wie die Grünen an der geplanten Gesetzesverschärfung kritisieren. So hat die Pferdezüchterlobby durchgesetzt, dass es nicht zu einem Verbot des Schenkelbrandes kommen wird. Auch bei der Ferkelkastration gibt es einen Kompromiss, der der Fleischindustrie entgegenkommt. Dabei stellt sich die Frage, ob nicht in erster Linie die Zurichtung zu Schlachtvieh und Versuchstieren die Felder sind, auf denen sich Kämpfer für die Tierrechte bewähren können. Aber hier ist der Gegendruck eben groß und die kleine Gruppe der Zoophilen hat keine große Lobby.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153271
Peter Nowak

Pflegehelferin scheitert mit Klage wegen Mobbing

PROZESS Klägerin will vor europäisches Gericht ziehen. Sie hatte Arbeitsbedingungen kritisiert

Eine Pflegehelferin ist mit ihrer Klage gegen den Pflegedienst Mitte wegen Mobbing gescheitert. Angelika-Maria Konietzko hatte in einer Demenz-Wohngemeinschaft des Pflegedienstes gearbeitet, bis es zum Zerwürfnis kam. Über die Gründe gab es vor dem Landesarbeitsgericht unterschiedliche Auffassungen. Der Anwalt des Pflegedienstes, Georg Hartmann, sagte, sie habe den Betriebsablauf gestört. „Ich machte auf die schlechten Arbeitsbedingungen und die unzumutbaren Bedingungen für die Pflegebedürftigen aufmerksam, wurde gemobbt und bin dadurch krank geworden“, sagte dagegen Konietzko vor Gericht.

Der Anwalt habe sie zudem abends an ihrer Arbeitsstelle aufgesucht und zur Kündigung gedrängt, was sie abgelehnt hatte. Hartmann betonte, das Vorgehen sei mit seinen Mandanten abgestimmt gewesen, Druck habe er nicht ausgeübt. Konietzkos Verteidiger Reinhold Niemerg hingegen übt Kollegenschelte: Ein solches Vorgehen gehöre nicht zum Aufgabenbereich eines Anwalts und sei ihm völlig unverständlich: „Hier geht es um betriebliche Belange und die Rechte von Beschäftigten im Pflegebereich.“

Das Arbeitsgericht wies Konietzkos Klage am Dienstag zurück, sie muss nun die Kosten tragen. Schon jetzt droht der 46-Jährigen Erzwingungshaft – aufgrund der Weigerung, bisher entstandene Verfahrenskosten in Höhe von 1.000 Euro zu begleichen. Angelika-Maria Konietzko will nun weiterklagen und hofft auf die europäischen Gerichte. Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch hatte 2005 Missstände bei Vivantes aufgedeckt. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritt sie im vergangenen Jahr einen Sieg – in Deutschland hatte sie zuvor in allen Instanzen verloren.

Homepage der Solidaritätsgruppe Angelika-Maria Konietzko:
http://konietzko.blogsport.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2F11%2F28%2Fa0152&cHash=661006f4e2feab11a38711d30aa70faa

Peter Nowak

Schränkt Berliner Abgeordnetenhaus Versammlungsfreiheit ein?


Die SPD-CDU-Koalition in Berlin will Videoüberwachung von Demonstrationen; Menschenrechtsorganisationen protestieren

Am vergangenen Wochenende fand in Berlin wieder eine jener Demonstrationen statt, die noch eine ganze Zeit danach für Diskussionen sorgen. Es ging um eine von antifaschistischen Gruppen organisierte Gedenkdemonstration für den vor 20 Jahren von Neonazis ermordeten Silvo Meier. Nach der Auflösung gab es Auseinandersetzungen mit der Polizei, die nun die Öffentlichkeit beschäftigen.

Wenn es nach der in Berlin regierenden Koalition aus SPD und Union geht, würden solche Demonstrationen in Zukunft von der Polizei videoüberwacht. Eine entsprechende Beschlussvorlage liegt dem Berliner Abgeordnetenhaus vor. Es ist ein besonderer Wunsch der Union, die sich in Berlin seit jeher als Law- and Orderpartei gibt und damit auch in der großen Koalition eigene Akzente für ihre Klientel setzen will.

Auch bei großen Teilen der SPD stößt sie damit auf offene Ohren. Schließlich hatte sich über dieses Thema die rot-rote Koalition schon gestritten. Die Linke hat sich aber bei diesem Thema einmal nicht den Druck gebeugt, so dass es bisher keine landeseigene Regelung für die Videoüberwachungen von Demonstrationen gibt. Das Berliner Bundesverwaltungsgericht hatte aber schon am 5.7. 2010 entschieden, dass für diese Videoaufnahmen eine gesetzliche Grundlage nötig ist. Die soll nun mit der Vorlage geschaffen werden.


Protest von 4 Menschenrechtsorganisationen

Dagegen protestieren nicht nur die Grünen, die Linke und die Piraten im Abgeordnetenhaus. Jetzt haben sich auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, die Internationale Liga für Menschenrechte und die Humanistische Union Berlin-Brandenburg gegen die Überwachungspläne positioniert.

„Mit diesem Gesetz soll schnell und ohne breite öffentliche Diskussion in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eingegriffen werden“, kritisieren die vier Menschenrechtsorganisationen. Der Berliner Senat täusche eine Gesetzeslücke vor, die es zu schließen gelte, während man eine fahrlässige Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit und eine Gefährdung demokratischer Teilhabe vorbereite, lautet die harte Kritik.

Das geltende Bundesversammlungsgesetz, das in Berlin nun durch ein Landesversammlungsgesetz ersetzt werden soll, sieht Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungen nur vor, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen“. Nun soll die Polizei in Berlin das Recht bekommen, aufgrund von unbestimmter „Größe“ oder inhaltsleerer „Unübersichtlichkeit“ „Übersichtsaufnahmen“ zu fertigen.

Diese dürfen dann zwar nicht aufgezeichnet werden. Sobald die Polizei jedoch Anhaltspunkte auf „Gefahren“ findet, kann sie entsprechend den Regelungen gemäß Bundesversammlungsgesetz auch heranzoomen und aufzeichnen. Schon heute herrscht in diesem Bereich eine Grauzone. Wann das Geschehen von Versammlungen aufgezeichnet wird, liegt letztlich im Ermessen der Einsatzleitung der Polizei.

Sollte die Senatsvorlage verabschiedet werden, dürften die Gerichte wieder damit befasst werden. Die Menschenrechtsorganisationen machen darauf aufmerksam, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über das erste bayerische Versammlungsgesetz anlasslose Aufzeichnungen als unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wertete.

Auch das Verwaltungsgericht Berlin hat am 5. Juli 2010 in seinem Urteil zur Videoüberwachung einer Demonstration gegen die Nutzung der Atomenergie festgestellt, dass diese Aufzeichnungen das Selbstbestimmungsrecht der Bürger und Bürgerinnen und die Demokratie gefährden. Allein „durch das Gefühl des Beobachtetseins“ könnten die Teilnehmenden „eingeschüchtert“ oder gar von der Teilnahme an einer Demonstration abgehalten und so in ihren Grundrechten eingeschränkt werden.

Bleibt es bei den Nummernschildern für Polizisten?

Auch in anderen Bereichen der Innenpolitik scheint der neue Senat konservative Akzente zu setzen. So hat der erst vor wenigen Tagen von Innensenator Henkel ernannte Polizeipräsident Klaus Kandt deutlich gemacht, dass er die individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die gegen heftige Widerstand der Polizeigewerkschaft eingeführt wurde, nicht für optimal hält.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153253
Peter Nowak

Verfolgt unter Hitler und Adenauer

Linkenverfolgung Verboten – verfolgt – vergessen – ein Film von Daniel Burgholz gibt Opfern der westdeutschen Kommunistenverfolgung Raum und Stimme
Letzte Woche debattierte der deutsche Bundestag über die NS-Verstrickung westdeutscher Behörden und Institutionen. Nachdem die meisten Betroffenen nicht mehr leben, leugnet auch der rechteteste Flügel der Union nicht mehr, dass bis in die 60er Jahre die meisten dieser Institutionen glatt als NSDAP-Nachfolgeorganisationen hätten verboten werden müssen. Nur bei einigen Landesverbänden der FDP stritten die Alliierten tatsächlich ein und verboten sie.

Doch die bürgerlichen Parteien haben sich auf eine neue Argumentationslinie verlegt. Nach so langer Zeit sollte man nicht mehr aufzählen, wo welche Nazis weiter gearbeitet haben. Vielmehr müsse die Frage lauten, warum die bundesdeutsche Demokratie trotzdem ein solcher Erfolg wurde. Der Sprecher der FDP in der Debatte zählte zu diesen Erfolg ausdrücklich auch das KPD-Verbot. Da kommt ein Film gerade recht, der das Ausmaß der bundesdeutschen Linkenverfolgung an einigen Biographien exemplarisch und eindringend deutlich machte. „Verboten – verfolgt – vergessen“ heißt der Film des Regisseurs Daniel Burgholz. Im Mittelpunkt steht das Ehepaar Ingrid und Herbert Wils aus dem Ruhrgebiet. Beide waren als Mitglieder der in Westdeutschland 1951 verbotenen Freien Deutschen Jugend (fdj) jahrelang wegen der Herstellung einer Betriebszeitung und dem Singen von als staatsfeindlich eingeschätzten Liedern inhaftiert waren. Wie heute noch bei den Paraphen 129 a und b, wo eigentlich legale Aktionen plötzlich strafrelevant sein können, weil sie angeblich im Kontext einer „terroristischen Organisation“ stehen, war damals für fdj-Mitglieder fast jede politische Betätigung strafrelevant und ins Gefängnis kamen Kommunisten und solche, die dafür gehalten werden, wie Burgholz zeigte.

Manche überlebten die zweite Verfolgung nicht

Ingrid Wils beschreibt, dass die beiden minderjährigen Kinder nach ihrer plötzlichen Inhaftierung mehrere Tage allein in der Wohnung bleiben mussten, bis sie zu Verwandten und später in ein Heim gekommen sind. Die Stärke des Films liegt darin, dass er auf jede Heroisierung verzichtet und aufzeigt, wie sich die Verfolgung auch auf das Umfeld der Betroffenen auswirkte. Vor allem im Gespräch nach der Berliner Filmpremiere ging Ingrid Wils auf die lebenslangen Folgen der Verfolg ein. Der jüngere Sohn habe sich davon wohl nie erholt, sagte sie und ging nicht näher auf sein Schicksal ein. Der ältere Sohn wurde auch Kommunist, was nicht heißt, dass die Erfahrungen der Repression im Kindesalter spurlos an ihn vorbeigegangen sind. Man wünscht sich mehr solcher Filme, die konkret aufzeigen, was die Linkenverfolgung der 50er Jahre mit den Menschen gemacht hat. Viele der Betroffenen saßen schon während der NS-Zeit hinter Gittern. So waren nur wenige Jahre nach ihrer Befreiung durch die Alliierten in der gleichen Position wie im NS und viele ihrer Wärter, ihrer Richter und Staatsanwälte saßen ebenfalls noch auf den Posten wie vor dem Ende des NS. Nicht alle der Verfolgten haben diese Erfahrungen überlegt. Es sind Leute verrückt geworden, als sie nur wenige Jahre nach der von den Antifaschisten mit so großen Hoffnungen verbundenen Befreiung wieder Gefangene waren. Es gab in den 50er Jahre sogar Urteile, in denen die KZ-Haft als strafverschärfend gewertet wurden, denn trotzdem habe der Verurteilte nicht von seinen staatsfeindlichen Gesinnung gelassen. Kein Wunder, wenn das alte Personal auch für die Urteile verantwortlich war.

Rehabilitierung von diesem Staat?

Der Film soll auch die Forderung nach Rehabilitierung bekräftigen, die die Opfer der bundesdeutschen Linkenverfolgung erheben. Sie haben nie eine Entschuldigung gehört, nie auch nur einen Cent Wiedergutmachung erhalten. Anders als übrigens NS-Verbrecher Carl Theodor Schütz, der seit seiner Jugend erst im Freikorps, dann ab 1931 in der SS sein Mordhandwerk ausübte. Bis zur Niederlage des NS zog Schütz seine Blutspur durch Europa. 1933 überfiel er mit seiner SS-Gang Wohnungen und mißhandelte wehrlose Frauen und Männer. Dafür wurde er sogar noch 1933 von einer noch nicht komplett gleichgeschalteten Justiz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, bald aber begnadigt. Noch kurz vor dem Ende des Tausendjährigen Reiches legte Schütz selber mit Hand an bei der Erschießung von Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen von Italien. Doch auf einen so erfahrenen Linkenjäger wollte die junge BRD nicht verzichten. Schütz kam beim BND unter und als seine Mordvergangenheit bekannt wurde und er entlassen wurde, klagte er mit Hilfe deutscher Gerichte 70.000 DM Entschädigung ein. Denn ein NS-Kamerad lässt den anderen eben nicht im Regen stehen. Wenn man über solche und ähnliche deutsche Karrieren erfährt, ist es gut, einen Film zu sehen, der den Menschen Raum gibt, die die Opfer dieser Verfolgung waren. Ihre Forderung nach Rehabilitierung ist sicher verständlich. Doch es ist die Frage erlaubt, brauchen sie die denn von einem Staat, in dessen Parlament Abgeordnete der Regierungskoalition noch heute dummdreist davon schwätzen, dass die bundesdeutsche Demokratie ein Erfolg wurde, trotz Nazis in allen Institutionen. Im Film kommen auch Menschenrechtler wie Rolf Gössner zu Wort, die in nüchternen Zahlen die Dimension der bundesdeutschen Verfolgungen skizziert. Solche Verfolgungen gehören eben dazu, wenn deutsche Politiker über den Erfolg der Demokratie reden. Wer den Film sieht, wird schnell merken, diese Menschen brauchen eigentlich keine staatliche Rehabilitierung. In sozialen Organisationen, teilweise auch in Gewerkschaften sind sie als Aktivisten anerkannt. Einer der Protagonisten des Films war lange Zeit Betriebsrat eines Großbetriebs. Es ist zu hoffen, dass der Film nicht nur in vielen Kinos sondern auch im Fernsehen zu sehen ist. Aber ob das unsere Demokratie erlaubt?
http://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/verfolgt-unter-hltler-und-adenauer
Peter Nowak

Vaterlandslose Gesellen

Peter Nowak über Repressionsmaßnahmen in der Krise

„Linke Chef marschiert mit Anti-Merkel-Mob“, titelte eine Berliner Boulevardzeitung unter einem Foto, dass Bernd Riexinger während des Merkelbesuchs auf einer Kundgebung in Athen zeigt. Damit machte es deutlich, was es von denen hält, die es wagen, im deutschen Hinterhof gegen den von Merkel und Co. diktierten Verarmungskurs auf die Straße zu gehen. Die alte Bezeichnung für deren deutschen Kollaborateure holt der Chef vom Dienst bei der Stuttgarter Zeitung mit dem Namen Joachim Volk aus der deutschnationalen Mottenkiste. „Mit dem links-linkischen Riexinger tritt erstmals der Chef einer deutschen Oppositionspartei als vaterlandsloser Geselle im Ausland auf.“ Dabei hatte der nicht einmal Gelegenheit, seinen Landesverrat zu vollenden und mittels einer Ansprache „Vorurteile und Ressentiments gegen die deutschen Sparforderungen zu schüren“.
Da bis auf die Kundgebung sämtliche Demonstrationen während des Merkel-Besuchs in der Athener Innenstadt verboten waren und 6000 schwerbewaffneten Polizisten zur Durchsetzung bereit standen, mussten alle eingeplanten Redebeiträge ausfallen. Viele Teilnehmer konnten sich an den letzten Herbst erinnern, als der Massenprotest der Bewegung der Empörten in Griechenland enorm angewachsen war. „Als diese Bewegung dann durch die Unterdrückung des Staates zerschlagen wurde, herrschte fast schon Krieg. Es kamen viele Tonnen Chemikalien zum Einsatz“, erinnert sich der griechische Linkspolitiker Alexis Tsipras. Damit liegt Griechenland voll im europäischen Trend. Die politische Repression gehört in allen europäischen Ländern zu den Begleiterscheinungen politischer Bewegungen. Aktuell sind vor allem die unterschiedlichen Krisenproteste davon betroffen.
In Spanien nehmen Polizei und Justiz Gewerkschaften und Oppositionsbewegungen seit Monaten in den Zangengriff. So wurden Demonstranten, die sich am 25. September an den Krisenprotesten in Madrid beteiligen wollten, bei der Anreise im Bahnhof Atocha von Polizisten schwerverletzt. Bereits nach dem landesweiten Generalstreik am 29. März wurden in ganz Spanien gewerkschaftliche Aktivisten unter dem Vorwurf festgenommen, sich an Akten des „öffentlichen Vandalismus“ beteiligt zu haben. Unter diesen Gummibegriff fällt die Teilnahme an einer Demonstration ebenso wie die aktive Durchsetzung eines Streiks.
Passiert so etwas in Moskau, gilt es hiesigen Medien und Politikern als Beweis, dass die europäischen Werte unter Putin nicht gedeihen können. In Frankfurt, Madrid und Athen werden die Maßnahmen realitätsgerechter von der Justiz und vielen Medien als notwendig für das reibungslose Funktionieren von EZB und Geschäftswelt verteidigt. Nur der Anti-Merkel Mob und einige vaterlandslose Gesellen erheben dagegen Einspruch.
http://www.konkret-magazin.de/hefte/aktuelles-heft/articles/das-neue-heft-946.html

aus Konkret, 11/2012
Peter Nowak

Hat Deutschland ein Rassismusproblem?

Ein Jahr nach der NSU-Aufdeckung – viel Gerede wenig Änderung

Nicht nur die Taz erinnert dieser Tage an einen besonders makaberen Jahrestag: die Aufdeckung des neonazistischen Untergrunds NSU vor einem Jahr. Es waren nicht die Ermittlungsbehörden, die den Rechtsterroristen auf die Spur gekommen sind. Es war vielmehr der Selbstmord von zwei der rechten Protagonisten, der aufdeckte, dass jahrelang Neonazis in Deutschland morden konnten und die Opfer zu Tätern gestempelt wurden. Wie so etwas möglich sein konnte, war in den vergangenen 12 Monaten Gegenstand zahlreicher außerparlamentarischer Initiativen, aber auch parlamentarischer Ausschüsse.

Ein Jahr nach der Aufdeckung hat sich wenig geändert. Das zeigt die Reaktion der Gewerkschaft der Polizei, die sich zum Jahrestag nicht etwa noch mal offiziell bei den Opfern dafür entschuldigt, dass durch Fehler in der Polizeiarbeit die Morde nicht aufgeklärt wurden und man statt dessen das Umfeld der Toten ausspioniert hatte.

Mehr Geld Polizei eine Lösung?

Stattdessen wird in einer Pressemeldung von einer „ungeheuerlichen Unterstellung“ gesprochen, weil der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy und der Vorsitzende der Türkischen Gemeinden in Deutschland Kenan Kolat deutlich machten, dass es ein Rassismus-Problem in Deutschland gibt. Den Funktionären der Polizeigewerkschaft fällt dazu nur ein, dass die Politik auch in ihren Kerngebieten Einsparungen vorgenommen hat. Hätte also ein größerer Etat für Polizei und Geheimdienste die NSU-Morde verhindert oder zumindest früher aufgedeckt?

Mit einen solchen Argument wird nicht nur von der Polizei und den in die Kritik geratenen Geheimdiensten, sondern auch von Unionspolitikern als Konsequenz aus der NSU-Affäre eine Stärkung von Sicherheitsdiensten und Staat propagiert. Noch mehr Geld für die Sicherheitsorgane, noch mehr Gesetze, noch mehr Überwachung wird hier als Konsequenz aus den NSU-Versagen angeboten. Dabei haben die Ermittlungen der letzten Monate eins deutlich gezeigt. Die unterschiedlichen Dienste waren sehr nah dran an den Protagonisten der NSU. Warum sie trotzdem nicht aufgedeckt werden konnten, kann sehr wohl mit einem strukturellen Rassismus bei den Sicherheitsdiensten erklärt werden, der einen neonazistischen Untergrund für undenkbar hielt, dafür Ausschau nach „kriminellen“ Migranten hielt.

Darauf macht auch ein bundesweites Bündnis gegen Rassismus aufmerksam, das in den nächsten Tagen in zahlreichen Städten mit Gedenkveranstaltungen an die Opfer der NSU-Morde erinnert. In Berlin beginnt die geplante Demonstration bei dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz in Kreuzberg. Dort haben sich nach einen bundesweiten Marsch Flüchtlingen eingerichtet, um gegen die verschiedenen Sondergesetze gegen Flüchtlinge in Deutschland zu protestieren. Eine Gruppe von 20 Flüchtlingen trug ihre Forderungen vor das Brandenburger Tor in die Mitte Berlins und wurde durch Ordnungsrecht und Polizei fast schutzlos der winterlichen Kälte ausgeliefert. Auch hier stellt sich die Frage des Rassismus, wie auch bei der kürzlich durch eine Konferenz und ein Gerichtsurteil in die Diskussion gekommenen Racial Profiling eine Rolle spielt.


Welche Lesart setzt sich durch?

Dabei wird in allen Fällen Rassismus als strukturelles Problem von Behörden und Instanzen verstanden. Die Gewerkschaft der Polizei hingegen macht daraus ein persönliches Problem und verwahrt sich dagegen, dass Polizisten in die Rassismusecke gesteckt werden. Damit aber würde die NSU-Affäre als Mittel benutzt, um die Sicherheitsapparate zu Opfern der Debatte zu machen. Es wird vor allen davon abhängen, ob außerparlamentarische und zivilgesellschaftliche Initiativen in der Lage sind, diesem Trend auch medial zu widersprechen und dabei auch gehört zu werden.

Der Jahrestag der NSU-Aufdeckung ist in dieser Hinsicht vielleicht ein wichtiges Datum, um in der Öffentlichkeit eine eigene Lesart zu präsentieren. Es gibt mittlerweile auch verschiedene Autoren, die die NSU-Affäre zum Anlass für historische Forschungen zu rechten Untergrundtätigkeiten nahmen. Solche Arbeiten sind wichtig, um den Kontext zu ermessen und die NSU-Affäre nicht einfach nur als Kette von Fehlern, Pleiten und Pannen erklären, aus denen die Sicherheitsdienste wie Phönix aus der Asche auferstehen können. Allerdings muss man bei den historischen Recherchen aufpassen, nicht selber in den Bereich von Spekulationen und Verschwörungstheorien abzugleiten. Auch deshalb ist es wichtig, vollständige Aktentransparenz von den Behörden einzufordern.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153112
Peter Nowak

Großes Bündnis gegen Erdogan mit geringer Beteiligung

Der türkische Regierungschef verlangte für die Türken in Deutschland erneut die zweite Staatsbürgerschaft, zum EU-Beitritt der Türkei gibt sich die Kanzlerin weiterhin reserviert

Besuche des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan sorgen immer für ein großes Medienecho. Schon 2008 hatte seine Kölner Rede sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Damals rief der türkische Ministerpräsident zur Integration der in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Hintergrund auf. Mit dem Schlagwort „Assimilation ist ein Verbrechen“ forderte er gleichzeitig, dass sie weiterhin türkische Staatsbürger bleiben sollten. Dieser Anspruch sorgte bei deutschen Politikern aber auch bei Menschen türkischer Herkunft, für viel Kritik.

Im Grunde hat Erdogan bei seinen aktuellen Deutschlandbesuch seine Lesart von 2008 wiederholt. Bei der Einweihung des weltweit größten türkischen Kulturzentrums in Berlin hat Erdogan die in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Hintergrund erneut dazu aufgerufen, hier Karriere zu machen und die Sprache zu lernen und trotzdem ihre Loyalität zur Türkei nicht aufzugeben. Die Rede machte aber jetzt deutlich weniger Schlagzeilen als vor vier Jahren.

Aleviten, Säkulare und Kurden demonstrieren gemeinsam

Dafür rückten andere Themen in den Fokus der Erdogan-Kritiker. Ca. 3000 Menschen haben sich am 31. Oktober in Berlin-Mitte an einer Protestdemonstration gegen Erdogan beteiligt. Sie sind mit Bussen aus der ganzen Republik nach Berlin gekommen. Lange Zeit war allerdings mit einer viel größeren Beteiligung an den Protesten gerechnet worden. Doch die Erdogan-Gegner in der Diaspora sind genau so zerstritten wie in der Türkei. Daraus resultierte bisher der Stärke der islamischen Konservativen von der AKP.

So werfen ihm viele Kemalisten noch immer vor, dass er die säkulare Elite vor allem in den Militärs entmachtet und in der Türkei eine islamische Agenda durchgesetzt hat, was deutlich wurde, als kürzlich beim Tag der Republik erstmals Frauen mit Kopftüchern auftauchten. Doch gemeinsam mit kurdischen Aktivisten wollten sie trotzdem nicht gegen Erdogan demonstrieren. Es gab sogar aus nationalistisch-kemalistischen Kreisen Aufrufe, sich nicht an den Protesten in Berlin zu beteiligten. Daher blieben die alevitischen und die kurdischen Aktivisten bei den Protesten gegen Erdogan weitgehend unter sich. Bei letzteren stand der Hungerstreik von ca. 700 politischen Gefangenen in türkischen Gefängnissen im Mittelpunkt. Viele von ihnen befinden sich nach mehr als 7 Wochen ohne Nahrung in einem kritischen Zustand.

Auch einige Anti-Kriegs-Aktivisten haben protestiert, die Erdogan vorwerfen, mit seiner Anti-Assad-Politik einen Konflikt zwischen Nato und Syrien zu provozieren. Hinzu kam der Verweis auf die weiterhin schlechte Menschenrechtssituation in der Türkei, auf die auch die Bundestagsabgeordnete der Linke Sevrim Dagdelen in einer Presseerklärung aufmerksam machte. Tatsächlich hat sich bei manchen Antiimperialisten in den letzten Jahren das Bild von Erdogan verändert. Sahen sie ihn vor einigen Jahren wegen seiner harschen Töne gegen Israel noch als teilweise positiv, so ist er wegen seiner Frontstellung gegen das syrische Regime nun fast schon zum Kriegstreiber geworden.

EU-Beitritt bis 2023?

Die türkische Syrienpolitik spielte auch bei den Gesprächen von Erdogan mit Merkel eine wichtige Rolle. Auch über das Schicksal der syrischen Flüchtlinge in der Türkei wurde geredet. Dabei versuchten deutsche Politiker die Diskussion, ob nicht Flüchtlinge auch vorübergehend in Deutschland Asyl erhalten könnten, gar nicht aufkommen zu lassen. Anderseits ist klar, dass es in der Türkei Kräfte gibt, die hinter der syrischen Grenze eine Flugverbotszone etablieren möchten, und dort auch die Flüchtlinge unterbringen wollen. Allerdings sind solche Pläne ohne die Unterstützung der anderen Nato-Länder nicht zu bewerkstelligen.

Auch ein Ladenhüter der deutschen Politik kam bei den deutsch-türkischen Gesprächen wieder auf die Agenda. Bekanntlich lehnen die Unionsparteien eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ab und favorisieren eine privilegierte Partnerschaft. Erdogan hat nun erklärt, wenn es bis 2023 keine definitive Zusage für eine EU-Mitgliedschaft gäbe, könnte die EU die Türkei verlieren. Schon heute orientiert sich die Türkei mehr auf den arabischen Raum als auf die EU. Zudem ist die Entmachtung der kemalistischen Elite, für die Erdogan die Rückendeckung der EU brauchte, weitgehend abgeschlossen. Entsprechend hat auch dort das Interesse an einer schnellen EU-Mitgliedschaft nachgelassen. Daher brachte Erdogan auch wieder einen zentralen Streitpunkt aufs Trapez, die EU-Mitgliedschaft von Zypern. Nun wird sich zeigen, ob in den nächsten 10 Jahren eine mögliche Bundesregierung unter SPD-Beteiligung wieder mehr Fahrt in den stagnierenden Prozess bringen wird. Der SPD-Politiker Johannes Kahrs forderte im Deutschlandfunk die Wiederaufnahme des Beitrittsprozesses. Doch da das Thema auch bei den Wählern nicht besonders beliebt ist, wird auch die SPD das Thema nicht besonders pushen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153098

Peter Nowak

Flüchtlingsrechte statt Titten

Flüchtlinge, die seit dem 24. Oktober am Pariser Platz in Berlin den winterlichen Witterungsverhältnissen schutzlos ausliefert sind, sind in Hungerstreik getreten

„Menschenrechte statt Titten“ stand auf den T-Shirts, mit dem sich weibliche Mitglieder der Berliner Piratenpartei in der Nähe des Brandenburger Tors in Berlin-Mitte fotografieren ließen.

Die Aktion sollte, so die Erklärung der Initiatorinnen, die Aufmerksamkeit auf den Hungerstreik von Flüchtlingen lenken, die seit dem 24. Oktober am Pariser Platz den winterlichen Witterungsverhältnissen schutzlos ausliefert sind. Sie fordern mit ihrer Nahrungsverweigerung die Abschaffung von Heimen und Residenzpflicht, jenen gesetzlichen Instrumenten, mit denen in Deutschland die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge in Deutschland massiv eingeschränkt wird. Viele haben diese Rechte in einem Akt des zivilen Ungehorsams verletzt, indem sie in einem mehrwöchigen Marsch von Würzburg nach Berlin die Rechte von Flüchtlingen wieder auf die Tagesordnung setzen.

Der seit Jahren größte Flüchtlingsaufbruch in Deutschland hat seine Ursache in der Neuzusammensetzung der Migranten. In der letzten Zeit kamen zahlreiche Iraner nach Deutschland, die in ihrem Land gegen das islamistische Regime kämpften, verfolgt wurden und das Land verlassen mussten. Sie sind nicht bereit, in Deutschland als Menschen zweiter Klasse zu leben und fordern auch hier ihre Rechte ein. Unterstützt werden sie dabei von schon länger existierenden Flüchtlingsstrukturen, wie die Initiative The Voice.

Sorgte der Flüchtlingsmarsch noch für ein Medieninteresse, so hat die Berichterstattung schnell nachgelassen, nachdem sich die Menschen in einem von den Behörden tolerierten Zeltdorf in Berlin-Kreuzberg niedergelassen haben. Die Flüchtlinge wollen aber nicht überwintern, sondern ihre Rechte einfordern. Daher hat sich eine 20-köpfige Gruppe mit dem Hungerstreik in der Nähe des Brandenburger Tors zu einer offensiven Strategie entschlossen.

Keine Zelte – keine Schlafsäcke – keine Isomatten

Dort waren sie sofort mit den Tücken des deutschen Versammlungsrecht und Polizisten, die es penibel durchsetzten, konfrontiert. Da die Aktion lediglich als Mahnwache angemeldet werden konnte, waren trotz der winterlichen Temperaturen Zelte, Schlafsäcke und Isomatten, ja selbst Pappe als notdürftiger Schutz vor der Winterkälte verboten. Immer wieder kontrollierten Polizisten mit Taschenlampen, ob nicht doch die inkriminierten Gegenstände eingeschmuggelt wurden. Zu allen Tageszeiten, auch mitten in der Nacht wurden den Flüchtlingen Schlafsäcke und Kartons entrissen. Wenn sich die aus dem Schlaf geschreckten Menschen dagegen wehrten, wurden sie festgenommen. So war es nicht verwunderlich, dass es schon wenige Tage nach dem Hungerstreik bei einem Beteiligten zu einem Kollaps gekommen ist.

Die Aussetzung der durch den Hungerstreik schon geschwächten Menschen den Unbilden des Winterwetter fand mitten im touristischen Zentrum Berlins statt und führte zu keiner größeren Reaktion der immer wieder beschworenen Zivilgesellschaft. Selbst an der Teilnahme an der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti in der Nähe des Brandenburger Tor wurden die hungerstreikenden Flüchtlinge gehindert. Während die Politiker ein Denkmal lobten, das sie größtenteils lange verhindern wollten, sollte wohl nicht daran erinnert werden, dass populistische Kampagnen und Einreiseverschärfungen gegen osteuropäische Roma geplant sind und nur wenige Meter entfernt eine Gruppe von Menschen ihrer Rechte beraubt werden.

„Die Unterdrückung und Missachtung der Rechte von einzelnen Gruppen ist nur dann möglich, wenn die Mehrheitsgesellschaft ihre Augen verschließt“, heißt es in einer Erklärung der Flüchtlinge.

PR-Aktion der Piraten?

Das ZDF hat die Diskussion über die Frage, ob der Protest von 20 Menschen vor dem Brandenburger Tor berichtenswert ist, öffentlich gemacht und dabei auch verdeutlicht, dass auch bei öffentlich rechtlichen Sendern kritische Berichterstattung immer mehr zum Fremdwort wird. „Sind Journalisten dazu da, auf Missstände aufmerksam zu machen?“ lautet eine Frage, die dann verneint wird.

Der Unterschied zwischen einer engagierten kritischen Berichterstattung und einer blinden Solidarisierung mit Protestbewegungen scheint nicht bekannt zu sein. In diesem Sinne war die Aktion „Menschenrechte statt Titten“ ein Erfolg, wie die Medienresonanz zeigte. Allerdings bleibt doch auch die Frage, ob es sich auch um eine PR-Aktion der in die Krise geratenen Partei handelte. Schließlich stand natürlich auch hier die PR-Aktion der Piratinnen im Vordergrund und die hungerstreikenden Flüchtlinge blieben oft nur Staffage.

Die Frage, wie der Kampf der Flüchtlinge angesichts der widrigen Bedingungen weitergehen soll, bleibt weiter offen. Wahrscheinlich wäre es dafür erforderlich, dass sich zivilgesellschaftliche Initiativen eigenständisch in die Auseinandersetzungen einschalten wie vor 21 Jahren. Als damals in der Folge der rassistischen Angriffe auf Unterkünfte für nichtdeutsche Vertragsarbeiter und Flüchtlinge in zahlreichen meist ostdeutschen Städten zahlreiche Flüchtlinge in Berlin Schutz suchten, besetzten sie gemeinsam mit antirassistischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen einige Räume an der Mathematikfakultät der Technischen Universität Berlin, wo sie nicht den unmittelbaren Witterungsbedingungen ausgeliefert waren und neben der Unterkunft für einige Wochen auch einen politischen Gegenpool bilden konnten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153088
Peter Nowak