„Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren.“

Die Kritik am Verhalten der Polizei bei der Verhinderung der Blockupy-Demonstration am 1.6. wird lauter. Doch wer hat die politische Verantwortung?

Nach der Verletzung des Demonstrationsrechtes für tausende Menschen kommt das Land nicht zu Ruhe. Täglich gibt es Proteste in allen Teilen des Landes, bei denen der Sturz der Regierung gefordert wird. Dabei handelt es sich um Szenen aus der Türkei. In Deutschland blieben die Reaktionen auf die ebenfalls am vergangenen Samstag von der Polizei verhinderte Blockupy-Demonstration sehr zurückhaltend. Obwohl fast alle Medien das Vorgehen der Polizei kritisieren und bestreiten, dass vonseiten der Demonstranten Gewalt ausgeübt wurde, gab es keine große gesellschaftliche Diskussion über das Geschehen. Schon am Dienstag spielten die Ereignisse von Frankfurt nur noch eine kleine Rolle in der Medienberichterstattung.


„Der Schwarze Block war bunt“

Dabei mangelte es nicht an aktuellen Meldungen, die als Grundlage für die Berichterstattung hätten diesen können. Täglich werden Augenzeugenberichte aus unterschiedlichen Teilen der gewerkschaftlichen, bürgerrechtlichen und zivilgesellschaftlichen Bewegung veröffentlicht. Die inhaltliche Stoßrichtung gleicht sich.

So heißt es in einem von Wissenschaftlern, Ärzten und Gewerkschaftern unterzeichneten offenen Brief gegen die Ausgrenzung gesellschaftlicher Opposition durch Polizei und Teile der Medien:

„Der ’schwarze‘ Block war bunt. Die ‚Vermummung‘ bestand vor allem aus Sonnenbrillen und Regenschirmen. Der unmittelbare Vorwand der Einkesselung von über 1.000 Personen über insgesamt 9 Stunden war das Abbrennen von 3 bengalischen Feuern.“

Auch über das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten äußern sich die Verfasser des Offenen Briefes kritisch:

„Vor unseren Augen ist Menschen ohne Vorwarnung, ohne Beteiligung an einer Rangelei o.ä. und ohne, dass eine Gefahrensituation vorgelegen hätte, Pfefferspray aus unmittelbarer Nähe direkt ins Gesicht gesprüht worden (über die Erblindungsrate der Pfefferspray Wirkung wird derzeit diskutiert, Anm. d. A.). Vor unseren Augen sind wehrlose Demonstranten misshandelt worden, indem ihnen bspw. der Kopf nach hinten gezogen und Mund und Nase zugehalten worden ist. Einige brachen daraufhin zusammen. Sie sind nur Dank der Initiative von Teilnehmer der Demonstration versorgt worden. Vor unseren Augen ist Menschen, die an Armen und Beinen zur Personalienfeststellung davon getragen wurden, von den sie tragenden Polizisten in die Seite und in den Unterleib getreten worden.“

Aus dem Kreis der Unterzeichner des Offenen Briefes, die die die Geschehnisse um die Blockupy-Demonstration stundenlang beobachtet und dokumentiert haben, kommt auch die Initiative für eine Onlinepetition.

Die im dem Brief formulierten Beobachtungen decken sich auch mit dem Bericht der Demosanitäter, die von über 100 Verletzten während der Räumung des Kessels sprechen. Auch der Geschäftsführer der zivilgesellschaftlichen Stiftung Ethecon hat in einem persönlichen Bericht über die Ereignisse auf der Demonstration von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei gesprochen. Das Komitee für Grundrechte, das mit zahlreichen Demobeobachtern vor Ort war, kommt zu einem ernüchternden Resultat:
„Auch dieses Jahr kein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Frankfurt.“

Gewerkschaftlicher Protest

Harald Fiedler, der Vorsitzende des DGB-Rhein-Main, der nicht zur Blockupy-Demonstration aufgerufen hat, äußert sich ebenfalls kritisch zur Polizeistrategie und deutet am Ende der kurzen Erklärung sogar an, dass de DGB eine Teilnahme bei der nächsten Blockupy-Aktion in Erwägung zieht.

Wer das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit, so wie am Wochenende geschehen, einenge, der dürfe sich nicht wundern, dass immer mehr Menschen gegen die Willkür von Banken und Herrschenden und deren Politik aufstehen und bei der nächsten Blockupy Demonstration dabei sind. Der DGB, so Fiedler, werde dies in seinen eigenen Reihen bewerten.

In einer Erklärung von verdi-Hessen wird vor allem die Einschränkung von Presseleuten bei der Demonstration moniert. Der Vorsitzende der hessischen GEW Jochen Nagel berichtet in einem Brief, wie er selber Opfer einer Polizeiattacke wurde und kommt zu dem Fazit.

„Die Polizeiführung wollte damit eine Eskalation provozieren, um diese dann nachträglich als Legitimation für ihre Verhinderung einer legalen Demonstration auf der gerichtlich bestätigten Route benutzen zu können.“

Nach Informationen der Frankfurter Rundschau gibt es selbst bei der Polizei Kritik am Vorgehen gegen die Demonstration. Danach habe ein Mitglied einer Spezialeinheit das Vorgehen seiner Kollegen mit den Worten kommentiert: „Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren.“

In einem Brief an den hessischen Innenminister Boris Rein spricht der Arzt Joachim Dlugosch von einem vorher geplanten Angriff der Polizei. Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die die Verantwortung für den Einsatz im hessischen Innenministerium sehen. Dort sei die Polizeistrategie festgelegt und auch jeder Kompromiss mit den Demonstranten verhindert worden. Rücktrittsforderungen kommen bisher nur von den Jusos und der Linkspartei. Die fordert Meinungsfreiheit in Istanbul und Frankfurt/Main.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154400
Peter Nowak

Polizei unterbindet Proteste gegen Krisenpolitik

In Frankfurt/Main hat sich am 1. Juni mehr gezeigt, wie in Zeiten der Krise die bürgerliche Rechte abgebaut werden

Am Vormittag des 1. Juni waren rund um den Frankfurter Hauptbahnhof die Banner mit kapitalismuskritischem Inhalt unübersehbar. Fahnen der globalisierungskritischen Organisation Attac waren ebenso zu sehen, wie die Banner zahlreicher Einzelgewerkschaften und auch viele selbstgefertigte Transparente waren zu finden. Am zweiten Tag der internationalen Blockupy-Aktionstage wollten die aus ganz Deutschland und vielen EU-Ländern angereiste Menschen auch im Zentrum der deutschen Wirtschaftsmetropole Frankfurt/Main ein Zeichen setzen, dass auch im Kernland der in ganz Europa verhassten Austeritätspolitik Protest möglich ist.

Am Ende des Tages ging aber ein anderes Zeichen um die Welt. Im Kernland der Austeritätspolitik werden die bürgerlichen Rechte soweit abgebaut, dass eine monatelang vorbereitete Demonstration von der Polizei unterbunden wurde. Die Demonstration war noch nicht einmal einen Kilometer gelaufen, als schon der große antikapitalistische Block eingekesselt und unter Einsatz von Pfefferspray und Knüppel vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Als Begründung wurde erklärt, dass sich in dem Block potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden hätten, manche Sonnenbrillen und Regenschirme mit sich führten und einige Transparente etwas zu lang gewesen seine.

Vermummte Polizei – bunt gekleidete Demonstranten

Wie absurd die Polizeibehauptungen waren, kann man verschiedenen Pressefotos gut erkennen. So steht unter einem Foto, das behelmte und mit dicken Handschuhen bewaffnete Polizisten zeigt, die bunt gekleideten Demonstranten gegenüberstehen: „Die Sicherheitskräfte wollten vermummte Demonstranten aus dem sogenannten Schwarzen Block einkesseln.“ Im nächsten Bild sieht man die gleichen Demonstranten, die demonstrativ eine Peace-Fahne vor sich halten und im Untertitel heißt es: „Laut der Polizei durften nicht vermummte Demonstranten den Kessel verlassen – was nicht alle taten, wie dieses Foto beweist.“

Dass in Frankfurt die Polizei eskalierte, bestätigte sogar die FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar, die im letzten Jahr die rigide Verbotspolitik gegen die Blockupy-Aktionstage verteidigt hatte. „Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt“, schrieb Iskandar gestern

Das sahen auch Passanten und Anwohner so, die Zeugen der Polizeiaktion wurden. So konnte man vom Fenster des Cafés des Jüdischen Museums am Frankfurter Untermainkai genau sehen, wie die Demonstranten eingekesselt worden sind. Es habe keinerlei Gewalt von ihrer Seite aus gegeben, bestätigten die Augenzeugen. Der Reporter des Freitag Berichtete, wie kreativ der Polizeisprecher bei der Begründung der Repression war: „Ein Polizeisprecher, den ich am Rande des Kessels nach dem Anlass dieser Aktion fragte, sprach zunächst von der Vermummung der Teilnehmer. Wahrscheinlich meinte er damit die Sonnenbrillen und die Regenschirme, die die Demonstranten bei sich trugen. Als dann ein Kollege des Hessischen Rundfunks fragte, ob es vielleicht auch an den zwei, drei Leuchtkugeln lag, die aus dem Block flogen, antwortet der Sprecher zunächst, er habe davon gar nichts mitbekommen. Doch kurz darauf wurden jene Leuchtkugeln zum Anlass Nummer Eins für den Kessel. Also: Irgendwas findet sich immer.“

Wie die Polizei gerichtliche Urteile ignoriert

Tatsächlich dürfte die Pressegruppe des Blockupy-Bündnisses mit ihrer Einschätzung Recht haben, dass die Zerschlagung der Demonstration von der Polizei lange geplant war und an der Stelle durchgeführt wurde, die für sie am günstigsten war.

Mit dieser Aktion wurden auch Urteile des hessischen Verwaltungsgerichtshofs ignoriert, das eine von den Ordnungsbehörden verfügte Routenänderung, die das Bankenviertel zu einer demonstrationsfreien Zone gemacht hätte, aufgehoben hatte. Die Polizei bildete genau an der Stelle den Kessel, die von den Demonstranten gerichtlich eingeklagt worden war. Sofort machte sie deutlich, dass auch der nichteingekesselte Teil nur die Möglichkeit hat, auf der Wunschroute der Polizei weiterzuziehen. Unter Protest hätte die Demoleitung diese Missachtung einer juristischen Entscheidung schließlich akzeptiert, wenn die Polizei die Einkesselung des antikapitalistischen Blocks aufgehoben hätte. Doch das lehnte sie schrickt ab und zwang schließlich die Eingekesselten unter Einsatz von Pfefferspray und Faustschlägen zur Abgabe der Personalien. Es gab mehrere verletzte Demonstranten. Unter diesen Umständen verzichtete auch der Rest der Demonstration auf die Weiterführung des Aufzugs und harrte aus Solidarität knapp 700 Meter neben den Auftaktplatz aus.

Keine Spaltung der Protestbewegung

Tatsächlich war es in dem sehr heterogenen Bündnis, das von Attac-Aktivisten, Gewerkschaftern bis zum linken Ums-Ganze-Bündnis reichte, Konsens, dass man sich nicht spalten lässt. Diese spektrenübergreifende Kooperation hat seinen Grund auch darin, dass alle am Bündnis beteiligte Gruppen sich auf den Grundsatz geeinigt hatten, dass von der Demo keine Eskalation ausgehen soll und man sich daran gehalten hatte. Nach den Erfahrungen des 1. Juni dürfte die Zusammenarbeit enger werden.

Die Aktivisten werden sich schließlich nach der Verbotsorgie bei den Blockupy-Protesten im letzten und in diesem Jahr fragen, wie sie den Abbau demokratischer Rechte im Zeitalter der Krise begegnen. Denn was in Frankfurt geschehen ist, ist auch in verschiedenen Ländern der europäischen Peripherie längst Realität. Erinnert sei nur an staatliche Repression gegen Demonstrationen in Spanien und Streikverbote in Griechenland. Das polizeiliche Vorgehen in Frankfurt/Main soll wohl auch dazu dienen, die Kapitalismuskritiker vor weiteren Protesten in der Stadt abzuschrecken, wenn im nächsten Jahr der EZB-Neubau im Osten der Stadt eröffnet wird. Es gibt bereits Aufrufe für einen europaweiten Protest gegen Krise und Demokratieabbau an diesem Termin. Was bisher fehlt, sind gemeinsame Grundlagen jenseits von Großprotesten à la Blockupy. Der am 1. Juni veröffentlichte „Aufruf für ein egalitäres Europa“ könnte eine Diskussionsbasis sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154364
Peter Nowak

Ist die Polizei ohne Pfefferspray wehrlos?


Auf dem Parteitag der Berliner SPD wird ein Verbot des Einsatzes von Pfefferspray gegen Demonstrationen gefordert; die Gewerkschaft der Polizei demonstriert dagegen

Vor dem Parteitag der Berliner SPD gab es am Samstag unerwartete Bilder. Die Polizei war dort nicht nur zum Schutz vor potentiellen Protesten vertreten, sondern ist auch selber zum Demonstrieren gekommen. Die Gewerkschaft der Polizei wandte sich damit gegen einen Antrag der Jusos auf dem Parteitag, der ein Verbot des Einsatzes von Pfefferspray gegen Demonstrationen forderte.

Ist Pfefferspray legal? Die Frage kann ganz unterschiedlich beantwortet werden. Einem potentiellen Demonstrationsteilnehmer sei dringend abgeraten, sich mit Pfefferspray in der Tasche bei einer Polizeikontrolle erwischen zu lassen. Generell ist der Besitz von Pfefferspray nur legal, wenn es als Mittel zur Abwehr von Tieren gekennzeichnet ist.

Anders ist die Situation bei Polizeibeamten. Sie dürfen Pfefferspray bei Demonstrationen mitführen und nicht zur Tierabwehr nutzen. Seit 2007 hat der Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten und renitente Fußballfans zugenommen. Der Grund ist aus polizeitaktischer Sicht einleuchtend: Es hat das bis dahin häufig verwendete CS-Gas ersetzt. Weil es von gasförmiger Konsistenz ist, war damit ein gezielter Einsatz häufig schwierig. Oft wurden auch völlig Unbeteiligte, aber auch Polizeibeamte durch den Gaseinsatz in Mitleidenschaft gezogen.

Das flüssige Pfefferspray kann hingegen viel gezielter gegen bestimmte Gruppen eingesetzt werden. Doch stellte sich heraus, dass das Pfefferspray für die Polizei vielleicht eine handliche Waffe ist, für bestimmte Personen kann der Einsatz aber gravierende gesundheitliche, möglicherweise sogar lebensgefährliche Folgen haben.

Potentiell tödlich

So werden in einer vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages herausgegebenen Untersuchung die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und eventuelle Langzeitfolgen von Pfeffersprayeinsätzen so beschrieben:

„Indirekte gesundheitliche Gefahren beim Einsatz von Pfefferspray bestehen insbesondere für solche Personen, die unter Drogeneinfluss stehen oder Psychopharmaka eingenommen haben. So beschrieb etwa das US-amerikanische Justizministerium im Jahre 2003 zahlreiche Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray, (insbesondere) gegen (inhaftierte) Personen, die unter unmittelbarem Drogeneinfluss standen. Nach Angaben von Spiegel-Online ereigneten sich zudem im Jahre 2009 in Deutschland mindestens drei Todesfälle nach einem Polizeieinsatz mit Pfefferspray. Alle Todesopfer standen während der Exposition mit Pfefferspray unter dem Einfluss von Drogen oder Psychopharmaka.“

Vor allem die Grünen, aber auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty international haben sich nach Pfeffersprayeinsätzen gegen Demonstranten immer wieder kritisch zu Wort gemeldet. In einem von der Bundestagsabgeordneten der Linken, Karin Binder, in Auftrag gegebenen Gutachten kommt Björn Schering zu dem Schluss, dass der Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei wegen der gesundheitlichen Gefährdung verboten werden muss. Doch erst ein Antrag der Jusos zum Berliner SPD-Parteitag an diesem Wochenende, in dem der Polizei der Einsatz von Pfefferspray untersagt werden soll, sorgte für eine große gesellschaftliche Debatte.

Alternative Schusswaffen?

Besonders vehement hat sich die Gewerkschaft der Polizei für den Einsatz von Pfefferspray positioniert. Sie haben nicht nur die Demonstration vor dem SPD-Parteitag organisiert. Anfang Mia erklärte der Landesvorsitzende der Berliner Gewerkschaft der Polizei, Michael Purper:

„Wenn sich die Jusos also durchsetzen sollten und die rechtlichen Voraussetzungen bei einem Einschreiten vorliegen, dann ist das eigentlich nur auf eine Weise zu interpretieren: Dass die SPD mehr Schusswaffengebrauch der Polizei will – oder?“

Dass die SPD diese Einwände ignoriert, ist unwahrscheinlich. Selbst wenn der Antrag der Jusos eine Mehrheit finden würde, hätte es keine Folgen, weil die CDU als Koalitionspartner in Berlin schon deutlich gemacht hat, dass mit ihr ein Verbot von Pfefferspray nicht durchzusetzen ist.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154318
Peter Nowak

Unruhen in Stockholms Vorstädten

Auslöser ist die Erschießung eines 69-Jährigen durch die Polizei

Gleich drei Nächte hintereinander brannten in Stockholms Vororten Autos. Hunderte Jugendliche und junge Erwachsene waren nach Medienberichten nachts auf der Straße, eintreffende Fahrzeuge der Polizei oder der Feuerwehr wurden mit einem Hagel aus Steinen beworfen. Zu den Zielen der Angreifer gehörte eine Polizeiwache in dem Stockholmer Stadtteil Jakobsberg. Beschädigt wurden auch zwei Schulen und ein Kulturzentrum im Stockholmer Vorort Husby. Dort geschah auch der Vorfall, der zum Auslöser der Proteste wurde.

Dort war ein 69-jähriger Mann von der Polizei erschossen worden, weil er von seinem Balkon mit einem Messer gedroht haben soll. Ein Einsatzkommando war darauf in die Wohnung eingedrungen und hatte den 69-Jährigen angeblich in Notwehr erschossen. Zunächst behauptete die Polizei, der Angeschossene sei sofort von der Ambulanz in ein Krankenhaus gebracht worden. Diese Version konnte durch Nachbarn und Augenzeugen schnell widerlegt werden: Es kam nie eine Ambulanz und der Mann wurde erst mehrere Stunden nach dem Eindringen des Sondereinsatzkommandos in seine Wohnung tot herausgebracht. Diese offensichtliche polizeiliche Falschdarstellung verstärkte bei der migrantischen Bevölkerung in den Stockholmer Vororten die Wut.

Ist Rassismus das Problem?

Auch in den größeren Medien wurde die Frage gestellt, ob rassistisches Polizeiverhalten für den Tod des Mannes verantwortlich ist.

„Ein mit einem Messer bewaffneter 69-jähriger ‚Karl-Erik‘ in einem Villenvorort hätte eine einfache Polizeistreife auf den Plan gerufen. Derselbe 69-jährige ‚Ahmed‘ in Husby ist durch eine schwerbewaffnete Spezialeinsatzgruppe gleich vorbeugend hingerichtet worden“, erklärte ein Aktivist der Organisation Megafonen. Sie ist in den letzten Monaten als Sprachrohr migrantischer Jugendlicher aufgetreten, die mit betont unideologischen Lösungsansätzen in den Stadtteilen für Aufmerksamkeit sorgte.

Wegen ihrer selbstbewussten Vertretung migrantischer Interessen wurde die Organisation von rechten Kräften wie den Schwedendemokraten angefeindet. Schwedische Linke hingegen blickten skeptisch auf das Agieren von Megafonen wegen deren Pragmatismus. Die jüngsten Unruhen dürften zur Aufwertung der Organisation sorgten.

Schließlich handelt es sich um eine der wenigen, die noch die Stimme der migrantischen Jugend in der schwedischen Öffentlichkeit vernehmbar vertreten. In Frankreich, wo es in den Vororten vieler Großstädte in unregelmäßigen Abständen auch zu Unruhen kommt – meist ist auch hier der Auslöser Polizeibrutalität -, gibt es solche Organisationen oft nicht mehr. Wo aber keine Interessenvertretung der subalternen Gruppen mehr zu finden ist, werden deren Artikulationsformen als sinnlose Gewalt wahrgenommen und entsprechend sanktioniert. So ist es wohl vor allem Megafonen zu verdanken, dass nach den Stockholmer Unruhen auch in schwedischen Medien von Polizeibrutalität gesprochen wird und dass berichtet wurde, dass migrantische Bewohner, die vermitteln wollten, von der Polizei als Affen, Ratten und Neger beschimpft worden seien.

„Husby wurde in den letzten Jahren in Stich gelassen“

Aber auch die sozialen Ursachen der Revolte kommen in den schwedischen Medien zur Sprache. So hieß es im sozialdemokratischen Aftonbladet: „Husby wurde in den letzten Jahren in Stich gelassen.“ In der linken schwedischen Zeitung Internationalen wurde von der verlorenen Hoffnung einer ganzen Generation gesprochen, die sich durch die Revolte artikuliert.

Hintergrund der Unruhen ist eine Sozialpolitik der Mitte-Rechts-Regierung, deren Kennzeichen Steuererleichterungen für die Vermögenden gepaart mit Sozialkürzungen ist, die einkommensarme Menschen empfindlich treffen. Mittlerweile gehört Schweden laut einem OECD-Bericht zu den westlichen Industrieländern, mit den am stärksten wachsenden Einkommensunterschieden. Weil die Sozialpolitik der schwedischen Mitte-Rechts-Regierung im Kern in vielen europäischen Ländern praktiziert wird, könnte man auch sagen, dass die Unruhen von Stockholm möglicherweise einen Blick in die Zukunft Europas bieten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154306
Peter Nowak

Abfilmen von Demonstrationen ist rechtswidrig

SPD-Landtagsabgeordneter fordert Datenschutzschulungen für die Polizei

Der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter hat das »rechtswidrige Filmen der Polizei bei Anti-Nazi-Protesten« gerügt. Nachdem er einen Vorfall in München beobachtet hatte, ist der Politiker nun an die Öffentlichkeit gegangen. »Am 29.9.2012 habe ich mich bei den Protesten gegen die Kundgebungen der rechtsextremen NPD-Tarnorganisation ›Bürgerinitiative Ausländerstopp‹ beteiligt. Hierbei musste ich erleben, dass die Polizei engagierte Bürgerinnen und Bürger filmte, die aus den Fenstern eines Hauses ein Transparent hängten, um ihren Protest gegen die menschenverachtende Propaganda der Nazis auszudrücken«, schildert Ritter seine Beobachtungen.

In Bayern gibt es nur dann eine Rechtsgrundlage für Videoaufzeichnungen von Demonstrationen oder politischen Aktionen, wenn eine potenzielle Gefahrensituation vorliegt oder wenn es Anzeichen gibt, dass eine Straftat begangen wird. Ritter betonte, ihm sei sofort klar gewesen, dass bei der von ihm beobachteten Aktion keines dieser Kriterien zutraf. »Der Vorfall zeigt, dass die Ausbildung der mit der Videoaufzeichnung betrauten Beamten dringend verbessert werden muss. Dass die Situation keine Rechtsgrundlage für Videoaufnahmen bot, war auch für juristische Laien erkennbar«, so der Abgeordnete. Auch der Landesdatenschutzbeauftragte Bayerns bezeichnete das Filmen der Transparentaktion als rechtswidrig.

Überzogene polizeiliche Videoaufzeichnungen bei legalem und legitimem Handeln führten zur Einschüchterung der Menschen, die lediglich ihr Recht auf Protest gegen Neonazis wahrnehmen, begründet Ritter sein Engagement. Das deckt sich mit Ergebnissen einer Studie, die der Berliner Soziologe Peter Ulrich über die Folgen von Polizeivideos auf Demos erstellte. Befragte Demoteilnehmer äußerten sowohl Gefühle von »Ohnmacht und Ausgeliefertsein«, als auch »durch Kameras verstärkte Aggression«, was »zu Resistenzverhalten und letztlich einer Ankurbelung der Konfrontation mit der Polizei« führe, heißt es in der Studie von 2011.

Auch mehrere Gerichte haben das unbegründete Filmen von Demonstrationen als Grundrechtseinschränkung bezeichnet. So bewertete das Berliner Verwaltungsgericht das Filmen einer Anti-AKW-Demonstration in Berlin im September 2010 nachträglich als rechtswidrig. In der Begründung erklärten die Richter, dass die Dauerbeobachtung der Versammlung ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit war und eine Einschüchterung der Demonstranten nicht auszuschließen gewesen sei. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte in mehreren Urteilen erklärt, dass es in Berlin keine rechtliche Grundlage für das Filmen von Demonstrationen gibt.

Rechtzeitig vor dem diesjährigen 1. Mai beschloss daher die in Berlin regierende große Koalition gegen den heftigen Widerstand von Opposition und Bürgerrechtsgruppen ein Versammlungsgesetz, das das polizeiliche Filmen der zahlreichen politischen Manifestationen auch in der Hauptstadt grundsätzlich wieder erlaubt. Der erste Praxistest des neuen Gesetzes stieß auf viel Kritik. Teilnehmer sowohl der Demonstrationen zum 1. Mai als auch der Proteste gegen einen Neonaziaufmarsch am Morgen des gleichen Tages monierten ein unbegründetes Filmen durch die Polizei. Die Kritik wurde auch von der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus geäußert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch das neue Gesetz in Berlin von den Gerichten wieder kassiert wird. Mehrere Klagen dagegen sind anhängig.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/822083.abfilmen-von-demonstrationen-ist-rechtswidrig.html

Peter Nowak

Sechs Jahre Haft für Spendensammeln

Berlin: Das Berliner Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der »Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation« nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

Das Kammergericht sieht es als erwiesen an, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zu Gunsten der Angeklagten geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit in der DHKP-C mehr nachzuweisen sei.
Menschenrechtsgruppen kritisieren die Paragrafen 129a und 129b als Gesinnungsjustiz, mit dem Linke auch für legale Aktivitäten zu hohen Haftstrafen verurteilt werden könne.

www.neues-deutschland.de/artikel/822130.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

URTEIL GEGEN AKTIVISTIN GÜLAFERIT ÜNSAL

Sechseinhalb Jahre fürs Spendensammeln

Das Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der „Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation“ nach Paragraf 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

In ihrem griechischen Exil war Ünsal aufgrund eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft im Juli 2011 in Auslieferungshaft gekommen und drei Monate später an die Bundesrepublik ausgeliefert worden. Seitdem ist sie in der Frauen-JVA in Lichtenberg gefangen.

Für das Gericht ist erwiesen, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert, die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zugunsten Ünsals geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit mehr nachzuweisen sei. Daher blieb es unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß.

Wie schon in vorangegangenen 129b-Prozessen beruhten große Teile der Anklage auf Informationen türkischer Sicherheitskräfte. Da nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen beim Zustandekommen solcher „Beweise“ Folter nicht ausgeschlossen werden kann, dürften sie nach deutschem Recht eigentlich keinen Eingang in den Prozess finden.

Eine Beteiligung an Anschlägen konnte das Gericht Ünsal, die sich der DHKP-C in den frühen 90er Jahren angeschlossen haben soll und deswegen in der Türkei bereits zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nicht nachweisen. Vielmehr habe sie nach Ansicht der Richter für die DHKP-C Spenden gesammelt und Schulungen organisiert.

Keine Reaktionen

Nach Ünsals Auslieferung hatten noch linke Solidaritätsgruppen gegen das 129b-Verfahren mobilisiert. Im Laufe des mehrmonatigen Verfahrens und anlässlich der Urteilsverkündigung gab es aber keine Reaktionen. „Während es in Griechenland eine große Bewegung gegen die Auslieferung gab, zeigte sich in Berlin, dass die Gefangenensolidaritätsbewegung in der Krise ist“, erklärte ein Aktivist gegenüber der taz, der namentlich nicht genannt werden wollte.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F05%2F21%2Fa0116&cHash=e9118c2a20e86894685eefce94fdcdb5

Peter Nowak

Einschüchterung durch Polizeivideos?

Der bayerische SPD-Politiker Florian Ritter fordert Schulungen in gesetzeskonformen Verhalten für die Polizei

Der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter hat in einer Pressemeldung „rechtswidriges Filmen der Polizei bei Anti-Naziprotesten“ gerügt. Zuvor hatte der bayerische Datenschutzbeauftragte auf Anfrage Ritters bestätigt, dass Videoaufnahmen in dem von dem SPD-Politiker beobachteten Fall rechtswidrig waren. Ritter schilderte seine Beobachtungen so:

„Am 29.09.2012 habe ich mich bei den Protesten gegen die Kundgebungen der rechtsextremen NPD-Tarnorganisation ‚Bürgerinitiative Ausländerstopp‘ beteiligt. Hierbei musste ich erleben, dass die Polizei engagierte Bürgerinnen und Bürger filmte, die aus den Fenstern eines Hauses in München ein Transparent hängten, um ihren Protest gegen die menschenverachtende Propaganda der Nazis auszudrücken.“

Er habe daraufhin den Kontakt mit den Beamten vor Ort gesucht um zu klären, weshalb sie diese Maßnahme ergreifen, erklärt Ritter. Seine Einschätzung, dass hier weder eine Störung, noch eine potentielle Gefahrensituation, noch die Gefahr der Begehung einer Straftat vorlag, alles Situationen, die eine Rechtsgrundlage für Videoaufzeichnungen geboten hätten, wurde vom bayerischen Datenschutzbeauftragen bestätigt.

„Der Vorfall zeigt, dass die Ausbildung der mit der Videoaufzeichnung betrauten Beamten dringend verbessert werden muss. Dass die Situation keine Rechtsgrundlage für Videoaufnahmen bot, war auch für juristische Laien erkennbar“, erklärt Ritter. Überzogene polizeiliche Videoaufzeichnungen bei legalem und legitimen Handeln führe zu einer Einschüchterung der Menschen, die lediglich ihr Recht auf Protest gegen Neonazis wahrnehmen, so der SPD-Politiker.

Nicht nur in Bayern sind die Videoaufnahmen der Polizei in der Kritik. Auch in Berlin wurde nach einem Neonaziaufmarsch am 1. Mai moniert, dass die Polizei die Kamera zu häufig bediente.

Polizei auch für Rechte immer mehr Feindbild

Laut einer Studie des Berliner Moses Mendelsohn Zentrums hat sich das Bild der Polizei in der rechten Szene in den letzten Jahren verändert. Dort werde die Polizei zunehmend als Feind betrachtet. In den vergangen Jahren hatte die Law- and Ordermentalität vieler rechter Gruppen noch die Polizeifeindlichkeit überlagert. Tatsächlich haben rechte Gruppe versucht, nach dem Motto „Gute Polizei – schlechte Politik“ die Polizei in Schutz genommen.

Während bei der NPD teilweise noch heute so verfahren wird, propagieren vor allem parteiunabhängige Nationalisten zunehmend einen offen polizeifeindlichen Kurs. Einer der Höhepunkte für Polizeifeindlichkeit in der rechten Szene waren Spottlieder gegen den Passauer Polizeipräsidenten Alois Mannichl, der als konsequenter Gegner von Neonaziaufmärschen Opfer einer bis heute nicht aufgeklärten Messerattacke wurde.

Dass das Feindbild Polizei bei den Rechten vor allem dem stärkeren Verfolgungsdruck geschuldet ist, kann man schon daran ablesen, dass sie ansonsten eine harte Hand gegen alle Arten von Kriminalität fordern und der Polizei vorwerfen, sie sei nicht effektiv genug und werde von der Politik im Stich gelassen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154289
Peter Nowak

Kein klarer Sieg für Timoschenko vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte

Die Untersuchungshaft sei „willkürlich und rechtswidrig“ gewesen, die Beschwerde wegen schlechter Behandlung in der Haft wurde aber zurückgewiesen

Einen Teilerfolg hat die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte heute erzielt. Die Untersuchungshaft der Politikerin im Jahr 2011 sei „willkürlich und rechtswidrig“ gewesen, entschied eine kleine Kammer des Straßburger Gerichts einstimmig. Dadurch habe sich die Ukraine unter anderem der Verletzungen der Menschenrechte auf Freiheit und auf gerichtliche Überprüfung von Freiheitsentziehungen schuldig gemacht.

Allerdings wies das Gericht Timoschenkos Beschwerde wegen schlechter Behandlung in der Haft zurück. Gerade dieser Punkt hat in den letzten Monaten vor allem in der deutschen Medienberichterstattung eine zentrale Rolle gespielt. Die erkrankte Timoschenko war auch von Ärzten aus der Berliner Charité behandelt wurden. Über die Frage, ob Timoschenkos Krankheit die Folge menschenrechtswidriger Haftbedingungen ist oder ob es sich hierbei auch um viel Inszenierung von Seiten der Gefangenen und ihrer vor allem im Westen der Ukraine Lebenden zahlreichen Anhänger handelt, gab es in den letzten Monaten viel Streit. Der wird auch nach der Entscheidung des Gerichts weitergehen. Auffällig ist schon, dass in der ersten Kommentierung der Entscheidung kaum erwähnt wird, dass zumindest die aktuellen Haftbedingungen Timoschenkos nicht Gegenstand der Rüge sind.

Auch die neue Anklage gegen Timoschenko, wo sie wegen eines angeblichen Mordkomplotts an einen wirtschaftlichen Konkurrenten vor Gericht steht, spielte bei der heutigen Entscheidung keine Rolle. Daher dürfte sich auch für Timoschenko wenig ändern. Die ukrainischen Behörden haben angekündigt, das Urteil zu analysieren, wenn die Begründung vorliegt. Auch einen Einspruch haben sie sich offengehalten. Sollte es rechtskräftig werden, könnte Timoschenko Schadenersatz für die unrechtmäßige Untersuchungshaft erhalten. Eine Freilassung ist damit nicht zwingend verbunden. Auch in der Vergangenheit wurden Russland und andere osteuropäische Länder häufiger vom Straßburger Gericht gerügt, ohne dass die Betroffenen deshalb freigekommen wären. Sollte Timoschenko tatsächlich vorzeitig aus der Haft entlassen werden, dann nur, wenn die ukrainische Regierung ihre Beziehungen zur EU verbessern will. Doch das ist gar nicht so sicher.

Machtkampf zwischen Russland und der EU

Schließlich setzt das gegenwärtige ukrainische Regierungsbündnis im Gegensatz zu Timoschenko und ihren Parteienbündnis stärker auf die Kooperation mit Russland als mit der EU. Diese Auseinandersetzung spielt sowohl innerhalb der Ukraine als auch in der hiesigen Medienberichterstattung über die Ukraine eine wichtige Rolle.

Auch die Frage der Menschenrechte ist Teil des Kräftemessens zwischen Russland und der EU um den Einfluss auf die Ukraine. Davon waren auch die ersten Stellungnahmen der Bundesregierung geprägt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger rief die Ukraine zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze auf und sieht in dem Urteil ein Zeichen dafür, dass die Ukraine hier noch einen weiten Weg gehen müsse. Wenn eine Regierung gerügt worden wäre, die eine proeuropäische Orientierung hat, wäre die Kommentierung sicher deutlich zurückhaltender ausgefallen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154197
Peter Nowak

Recherchieren statt diffamieren

Linke Gruppen haben sich Regeln zum Outing von V-Leuten gegeben. Das soll falschen Verdächtigungen vorbeugen
Anschuldigungen müssen bewiesen werden. Was vor Gericht selbstverständlich ist, gilt in der linken Szene nicht unbedingt, wenn es um Spitzel geht. Ein Kodex soll das ändern.

Sehr bürokratisch hört sich der Titel eines Textes an, der von mehreren linken Gruppen in Berlin unterschrieben und kürzlich veröffentlicht wurde: »Richtlinien zum Outing von Spitzeln in linken Zusammenhängen.« Gleich am Anfang wird darin festgestellt: »Vermutungen über angebliche Spitzel dürfen auf keinen Fall leichtfertig in die Welt gesetzt und verbreitet werden. Denn solche Gerüchte erzeugen Unruhe, Misstrauen und politische Spaltungen.« Eine Gruppe, die Spitzelvorwürfe erhebe, müsse sich Nachfragen stellen und Kontaktmöglichkeiten anbieten. Zudem müsse ein Spitzelouting eindeutige Beweise enthalten. Berichte vom Hörensagen hätten dort nichts zu suchen.

Die ungewöhnliche Regelungsoffensive hat ein Vorspiel. Vor einem Jahr hatte eine autonome Gruppe auf der linken Internetplattform Indymedia eine Person aus der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) verdächtigt, die Szene für den Verfassungsschutz auszuspionieren. Angeblich habe die Betroffene die Vorwürfe zugeben, hieß es in dem Text. Zudem seien einige Mitglieder der ALB über die Vorwürfe informiert worden. Die ALB bestreitet das jedoch. Man sei weder kontaktiert noch anderweitig informiert worden. »Insofern wurden uns bislang auch keine Beweise, die diesen Vorwurf untermauern, vorgelegt«, erklärte die Berliner Antifagruppe im März 2012. Einige Wochen und zeitaufwendige Recherchen später ist die ALB überzeugt, dass die Spitzelvorwürfe falsch waren. »Niemand hat Beweise vorgelegt und wir haben durch eigene Recherche keine gefunden«, lautet ihr Fazit. Für sie ist die Sache damit vom Tisch.

Aus Sicht des Berliner Ermittlungsausschusses (EA) sind sie hingegen ungeklärt. Die linke Rechtshilfestruktur kritisiert die anonyme Anklage ebenfalls: »Ein Spitzelouting auf einer Plattform wie Indymedia, ohne ansprechbar zu sein, ist vollkommen inakzeptabel. Um ein Spitzelouting unangreifbar zu machen, hätten zudem veröffentlichbare Beweise gesichert werden müssen.« Der EA appelliert an beide Seiten, weitere Kampagnen gegen die denunzierte Person ebenso zu unterlassen wie Nachforschungen über die ominöse autonome Gruppe, die die Anschuldigung in die Welt setzte. Für den EA handelt es sich dabei entweder um einen Kreis von gut über die linke Szene informierten V-Leuten oder um eine Diffamierungskampagne von Menschen, die gut in die linke Szene integriert sind. Der EA schließt jedoch auch nicht aus, dass die autonome Gruppe als linke Struktur tatsächlich existiert.

Als gelungenes Beispiel für die Enttarnung eines V-Mannes gilt vielen hingegen der Fall von Simon B. Zwei bekannte linke Gruppen in Heidelberg hatten den Kontakt Ende 2010 öffentlich gemacht. Sie legten Beweise vor und verfassten Pressemitteilungen. Ein solches Vorgehen soll durch die Richtlinien gefördert werden, hoffen die unterzeichnenden Gruppen.

Der Streit über den Umgang mit Spitzelvorwürfen in linken Zusammenhängen ist nicht neu. Der Historiker Markus Mohr hat vor einigen Jahren eine kleine Sozialgeschichte des Spitzels herausgegeben. Darin beschreibt er auch, wie Spitzelvorwürfe in der linken Geschichte immer wieder genutzt wurden, um politische Kontrahenten zu diskreditieren.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/819698.recherchieren-statt-diffamieren.html

Peter Nowak

Castorgegner vor Gericht

Am heutigen Montag beginnt vor dem Potsdamer Amtsgericht der Prozess gegen einen AKW-Gegner. Ihm wird vorgeworfen, 2010 in der Nähe von Kassel zwei Personen unterstützt zu haben, die mit Seilen an einer ICE-Strecke gegen den damaligen Castortransport protestiert haben. Der zweite Vorwurf ist bereits fünf Jahre alt. Beim Castortransport 2008 soll der Angeklagte in der Pfalz Aktivisten unterstützt haben, die sich in einem Betonblock anketteten und damit den Atomzug 12 Stunden aufhielten. Der Vorgang ist in mehrerlei Hinsicht bizarr. Zum einen ist es der Gerichtsort, der weder mit dem vermeintlichen Tatort noch dem Wohnort des angeblichen Täters zu tun hat. Denn seit einer internen Reform der Bundespolizei werden sämtliche Verfahren zu Ordnungswidrigkeiten im Bereich der Bahnanlagen nur noch vor dem Potsdamer Amtsgericht verhandelt. Zum anderen moniert der Beschuldigte, er habe sich beide Male lediglich in der Nähe einer Aktion zivilen Ungehorsams befunden.
Fracking

Die merkwürdige Regelung über den Gerichtsort bringt nicht nur lange Anfahrtswege für Beklagte – im aktuellen Fall 500 Kilometer, mit sich. Juristen sehen auch eine Beeinträchtigung der Rechte der Angeklagten, wenn der Gerichtsort für sämtliche Verfahren Potsdam ist. Nun regt sich Widerstand: Bereits im Februar organisieren zahlreiche außerparlamentarische Gruppen in der brandenburgischen Landeshauptstadt Aktionstage gegen Repression und enterten in diesem Rahmen auch das Brandenburger Tor in Potsdam.

Immerhin konnte in der vergangenen Woche die Robin-Wood-Aktivistin Cecile Lecomte, die wegen ihrer Kletteraktionen Eichhörnchen genannt wird, vor Gericht einen Erfolg erzielen. Sie war am 17. Mai 2011 bei einer Protestaktion gegen die Tagung des Deutschen Atomforums in Berlin von der Polizei festgenommen worden. Jetzt hat ihr die Polizei schriftlich bestätigt, dass ihre Festnahme ebenso rechtswidrig war wie der anschließende Platzverweis. Ob das Verfahren heute in Potsdam ebenso ausgeht, wird sich zeigen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/816061.castorgegner-vor-gericht.html
Peter Nowak

Protest in Bildern, Lesungen und Filmen

Am 16. März wird im Stadtteilzentrum »Centro Sociale« die Ausstellung »Kultur und Widerstand von 1967 bis heute« eröffnet. Bis zum 24. März wird es dort Filme, Lesungen, Diskussionsveranstaltungen zu Repression gegen Fußballfans, der Kriminalisierung kurdischen Widerstands oder auch zum massiven Polizeiaufgebot gegen AKW-Gegner in der BRD vor 30 Jahren geben. Eine Veranstaltung wird sich der Geschichte des 1981 im Hungerstreik gestorbenen Gefangenen Sigurd Debus widmen. »Die Ausstellung will einen Beitrag zur Popularisierung einer politisch engagierten Kultur leisten«, sagt Wolfgang Lettow von der Zeitschrift »Gefangeneninfo«. Sie soll in den nächsten Monaten in Berlin, Stuttgart und Magdeburg gezeigt werden. political-prisoners.net

http://www.neues-deutschland.de/artikel/815627.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Der vergessene Terror

Im März 1919 wurde in Berlin ein Generalstreik von Militär und Freikorps blutig niedergeschlagen. Der Historiker Dietmar Lange liefert einen tiefen Einblick in ein weitgehend unbekanntes Kapitel der deutschen Geschichte.

Unter dem Motto »Zerstörte Vielfalt« erinnern staatliche Stellen 2013 an mehrere Jahrestage des NS-Terrors, von der Machtübernahme bis zur Reichspogromnacht. Mit dem Titel wird suggeriert, dass es in Deutschland bis 1933 eine weit­gehend heile Welt gegeben habe, die von den Nazis zerstört wurde. Der Publizist Sebastian Haffner, der während der NS-Zeit im Exil lebte, eröffnete in seinem 1969 erschienenen Buch »Die verratene Revolution 1918/19« eine ganz andere Perspektive auf die Geschichte vor 1933. Dort bezeichnet er die von rechten Freikorps mit Unterstützung der SPD-Führung verübten Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als »Auftakt zu den tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske-Zeit und den millionenfachen Morden in den folgenden Jahrzehnten der Hitlerzeit«.

Der Berliner Historiker Dietmar Lange widmet sich in seinem bei Edition Assemblage veröffentlichten Buch »Massenstreik und Schießbefehl« einem weniger bekannten Kapitel der deutschen Zwischenkriegsgeschichte und setzt sich intensiv mit dem Generalstreik und den Kämpfen in Berlin im März 1919 auseinander. Der Streik war einerseits ein letzter Versuch, die Ziele der Revolution wie die »Sozialisierung der Schlüsselindustrien« und die Etablierung von Räten durchzusetzen. Andererseits ging es aber auch schlicht um die Verbesserung der miserablen Lebensbedingungen der Arbeiterschaft. Lange führt in diesem Zusammenhang Aussagen von Sozial- und Gesundheitsexperten an, denen zufolge mehr als die Hälfte der Todesfälle in den Berliner Krankenhäusern in den ersten Wochen des Jahres 1919 auf Unterernährung zurückzuführen sind.

Das Bürgertum wappnete sich auf seine Weise für die Konfrontation. Am 10. Januar 1919 trafen sich »40 bis 50 Vertreter von Banken, Industrie und Gewerbe (…), wo nach einem Vortrag des führenden antikommunistischen Agitators und Vorsitzenden der antibolschewistischen Liga, Edward Stadler, ein Fonds zur Niederschlagung der Revolution mit mehreren Millionen Mark ausgestattet wurde«, zitiert Lange ein historisches Dokument. Dieses Geld wurde vor allem zum weiteren Aufbau der Freikorpsverbände und Bürgerwehren genutzt, die an der blutigen Niederschlagung der Aufstände im März 1919 beteiligt waren.

Lange geht detailliert auf die Straßengewalt ein, die sich parallel zum Generalstreik in einigen Berliner Stadtteilen entwickelte und von der sich sämtliche politische Gruppen – auch die junge KPD – distanzierten. Der Historiker verweist auf verbreitete Thesen, dass diese Aktionen von der Konterrevolution bezahlt wurden, um die Streikbewegung zu diskreditieren und schließlich zu zerschlagen. Er beschreibt aber auch die soziale und politische Anspannung auf den Straßen Berlins, die durch die schlechte wirtschaftliche Situation verschärft wurde. Tatsächlich traten mit Verweis auf die Unruhen Sondergesetze in Kraft, die den Arbeitskampf von Anfang an erheblich behinderten. Selbst die Herausgabe einer Streikzeitung wurde verboten.

Auch nachdem der Ausstand in Berlin nach sechs Tagen abgebrochen wurde, wütete der Terror der Freikorps und Bürgerwehren noch wochenlang weiter. Zu den Opfern gehörte neben vielen anderen Leo Jogiches, ein langjähriger Weggefährte Rosa Luxemburgs und Mitbegründer des Spartakusbundes. Nach der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts war Jogiches Parteivorsitzender der KPD geworden, doch hatte er diesen Posten ebenfalls nur kurze Zeit inne. Im März 1919 wurde er aus seiner Neuköllner Wohnung verschleppt und kurz darauf, am 10. März, im Untersuchungsgefängnis Moabit durch einen Kopfschuss getötet. Vor allem seine Recherchen zur Ermordung Luxemburgs und Liebknechts waren Militär und Freikorps ein Dorn im Auge gewesen. In den Akten heißt es, er sei auf der Flucht erschossen worden.

Jogiches war nicht der einzige Oppositionelle, der ermordet oder Repressalien ausgesetzt wurde. Die Freikorps durchkämmten die Berliner Arbeiterviertel mit Listen, auf denen Personen verzeichnet waren, die sich gegen den Krieg ausgesprochen hatten oder die in den Tagen der Novemberrevolution in Räten aktiv geworden waren. Auch missliebige Intellektuelle und dadaistische Künstler gehörten zu den Opfern des »Weißen Terrors«. Einer von ihnen war der Schriftsteller Wieland Herzfelde, der Bruder des Künstlers John Heartfield, der wegen der Herausgabe einer sati­rischen Zeitschrift inhaftiert wurde. »Diese Lynchungen«, zitiert Lange den Publizisten, beruhten »nicht auf Erregung, sondern auf System und Instruktion.«

In den Arbeitervierteln Berlins wurden Standgerichte eingesetzt, um unliebsame Oppositionelle ad hoc verurteilen zu können. Lange referiert in seinem Buch auf die damaligen Akten und führt erschreckende Beispiele an. So wurde etwa der Zigarettenhändler Johannes Müller denunziert und vor ein Standgericht gestellt, weil er als revolutionär geltende Bücher besaß. In der And­reasstraße in Friedrichshain wurden ein Vater und sein 19jähriger Sohn erschossen, weil sie zwei Handgranatenstiele von ihrer Arbeitsstelle mitgebracht hatten.

Der Schießbefehlerlass wurde erst am 16. März aufgehoben. Nach einem offiziellen Bericht des Reichswehrministers Gustav Noske (SPD) sind in Berlin insgesamt 1 200 Menschen ums Leben gekommen. Der überwiegende Teil von ihnen ist jedoch nicht bei den Kämpfen gestorben, sondern von Standgerichten erschossen worden. Lange schätzt die Zahlen Noskes allerdings als zu niedrig ein, da ein Teil der Opfer in Massengräbern verscharrt oder in die Spree geworfen wurde. Noch im Sommer 1919 wurden Berichten zufolge vereinzelt aufgedunsene Leichen ans Ufer geschwemmt.

Als sich die Nationalversammlung am 27. März 1919 mit dem Geschehen befasste, erklärte Noske unter dem Beifall sämtlicher Parteien von der SPD bis hin zur äußersten Rechten: »Da gelten Paragraphen nichts, da gilt lediglich der Erfolg, und der war auf meiner Seite.« Schon der Historiker Sebastian Haffner hat 1969 in seinem Buch einen Zusammenhang zwischen dem Terror der Freikorps gegen die Novemberrevolution und den Massenmorden des NS-Regimes hergestellt. Langes Erkenntnisse stützen diese Einschätzung anhand zahlreicher Beispiele und untermauern auch die Worte, die der Rechtshistoriker Otmar Jung in einer Ausgabe der Militärhistorischen Mitteilungen von 1989 für die Geschehnisse des März 1919 fand: »Noskes Erschießungsbefehl reiht sich so als unwürdiges Glied in eine Kette (prä)faschistischer deutscher Gewaltpolitik ein, welche die Welt nicht zu Unrecht ›hunnisch‹ nannte.«

Lange widerlegt mit seinem Buch die These von der 1933 durch die Nazis zerstörten Vielfalt und zeigt am Beispiel des März 1919 auf, was sich bei der Niederschlagung der Bayerischen Räterepublik im April 1919, des Ruhraufstands 1920 und auch des Hamburger Aufstands 1923 in ähnlicher Form wiederholte. Für den 14. März dieses Jahres planen linke Gruppen eine Veranstaltung mit dem Autoren des Buchs, bei der auch die Frage diskutiert werden soll, weshalb es bis heute keinen einzigen Gedenkort für die Opfer dieses Terrors gibt.
http://jungle-world.com/artikel/2013/07/47138.html
Peter Nowak

Widerstand gegen Legalisierung der Videoüberwachung in Berlin wächst

Kritiker fürchten, dass mit der Videoüberwachung von Demonstrationen die Versammlungsfreiheit in Gefahr gerät

Da in Berlin fast täglich Demonstrationen stattfinden, kann es auf den ersten Blick erstaunen, dass sich ausgerechnet dort kürzlich ein „Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit“ gegründet hat.

Neben Einzelpersonen arbeiten dort Vertreter der drei Oppositionsparteien Linke, Piraten und Grüne im Abgeordnetenhaus, die Dienstleistungsgewerkschaft verdi und zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen vor allem aus dem Datenschutzbereich mit. Den Initiatoren geht es um Datenschutz auch auf Demonstrationen.

Der Protest des Bündnisses richtet sich gegen eine Gesetzesvorlage der in Berlin regierenden Koalition aus SPD und CDU, die den Titel trägt: „Gesetz zu Übersichtaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Demonstrationen und Aufzügen. Hintergrund dieser Gesetzesvorlage, über die demnächst entschieden werden soll, ist ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes von 2010. Danach erfolgt die Verwendung von Videoaufnahmen der Polizei ohne Rechtsgrundlage und ist daher rechtswidrig. Mit der Gesetzesvorlage wollen nun die Regierungsparteien eine solche Rechtsgrundlage schaffen und die Praxis der Videoaufnahmen legalisieren. Der Verzicht auf diese Maßnahme sei „wegen der Bedeutung des Instrumentariums für eine erfolgreiche Einsatzbewältigung nicht hinnehmbar“, heißt es zur Begründung.

Werden Demonstranten abgeschreckt?

Die Kritiker monieren hingegen, dass es dem Senat bei dem Gesetz weniger um Übersichtsaufnahmen als um die konkrete Bespitzelung von Versammlungsteilnehmern geht. Schließlich werde in der Gesetzesvorlage von einem Kamera-Wagen gesprochen, aus dem keine Übersichtsaufnahmen angefertigt können. Die Berliner Polizei habe solche Aufnahmen bereits in der Vergangenheit ohne gesetzliche Grundlage angefertigt.

Das Bündnis verweist auf den Abschreckungswirkung für potentielle Versammlungsteilnehmer durch die Videoüberwachung und beruft sich dabei auf das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts:

„Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten.“

Daher sieht das Bündnis die Versammlungsfreiheit in Gefahr, sollten die Pläne der Berliner Regierungskoalition in Kraft treten. Die will eine schnelle Entscheidung herbeiführen, sodass bereits in wenigen Monaten in Berlin Versammlungen wieder mit einer Rechtsgrundlage von der Polizei gefilmt werden könnten. Ob die aber Bestand hat, dürfte wieder eine Frage der Justiz sein. Das Bündnis hat schon weitere Klagen angekündigt, sollte die Landesregierung nicht doch noch der erstarken Protestbewegung nachgeben und ihre Pläne auf Eis legen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153757
Peter Nowak

Droht konzernkritischem Film Verbot?

Eine Klage von Veolia gegen den Verleih von „Water makes Money“ könnte für den Konzern selbst zum Bumerang zu werden

Am kommenden Dienstag wird auf Arte mit Water makes Money ein Film ausgestrahlt, der besonders viel Aufmerksamkeit erfahren dürfte . Schließlich ist es ungewiss, ob der Film noch nach lange in dieser Version gezeigt werden kann.

Am 14. Februar beginnt im Pariser Justizpalast der Prozess des französischen Konzerns Veolia gegen den Verleih La Mare aux Canards, der den Film vertreibt. Der Konzern gibt an, in dem Film mit Korruption in Verbindung gebracht zu werden und dadurch beleidigt worden zu sein.

Der Film läuft am kommenden Dienstag im Rahmen eines Themenabends, der sich mit dem Lobbyismus großer Konzerne befasst. Die Titel der anderen Beiträge lauten: „Die Macht der Lobbyisten“ und im „Vorzimmer der Macht“. Tatsächlich zeigt der Film sehr prägnant, wie im Zuge der neoliberalen Regulationsphase mächtige Konzerne verstanden haben, mit dem lebenswichtigen Wasser große Profite zu machen (Trinkwasser als Geschäftsmodell).

„Seit ‚New Labour‘, Blair und Schröder – seit viele die Folgen der Privatisierungen am eigenen Leib verspüren, ist es aber unschicklich geworden, von Privatisierung zu sprechen. Seither klopfen Heere von Beraterfirmen bei finanziell klammen Kommunen an und versprechen neue Geschäftsmodelle: PublicPrivatePartnership, Crossborder leasing, Franchising und vieles dergleichen mehr“, heißt es im Filmmaterial.

Diese Zauberworte des Wirtschaftsliberalismus, die ein Peer Steinbrück genau so selbstverständlich verwendet wie ein Friedrich Merz oder ein Philipp Rösler werden in dem Film kenntlich als Geldmaschine für wenige Konzerne und Enteignung von Millionen Kunden in vielen Ländern. Die Filmemacher dokumentieren, wie französische Kommunen, seien sie von den Kommunisten oder den Konservativen regiert, der Marketingstrategie von Veolia und Co. folgen. Der Film geht ins Detail und dokumentiert, wie Wirtschaftsliberalismus im Kleinen groß funktioniert (Tröpfchen für Tröpfchen Qualität).

Inhaltliche Fehler werden dem Film nicht vorgeworfen:

„Nicht die im Film gezeigten Fakten werden bestritten, nur ‚Korruption‘ hätte man sie nicht nennen dürfen“, erklären Leslie Franke, Herdolor Lorenz und Lissi Dobbler, die den konzernkritischen Film gemeinsam produziert haben. In einer Erklärung gibt sich ein Veolia-Sprecher konziliant und beteuert, den Film nicht verbieten zu wollen und sich der Diskussion stellen zu wollen.

Die Konzernkritiker fragen, wie diese Erklärung dazu passt, dass nun eine Verleihfirma vor Gericht gezogen wird. Zudem scheiterte der französische Konzern mit einer Klage gegen die Filmregisseure Leslie Franke und Herdolor Lorenz, weil die deutschen Behörden sich verweigert und die deutsche Veolia-Tochter sich der Klage nicht anschließen wollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153706
Peter Nowak