Flüchtlingsrechte statt Titten

Flüchtlinge, die seit dem 24. Oktober am Pariser Platz in Berlin den winterlichen Witterungsverhältnissen schutzlos ausliefert sind, sind in Hungerstreik getreten

„Menschenrechte statt Titten“ stand auf den T-Shirts, mit dem sich weibliche Mitglieder der Berliner Piratenpartei in der Nähe des Brandenburger Tors in Berlin-Mitte fotografieren ließen.

Die Aktion sollte, so die Erklärung der Initiatorinnen, die Aufmerksamkeit auf den Hungerstreik von Flüchtlingen lenken, die seit dem 24. Oktober am Pariser Platz den winterlichen Witterungsverhältnissen schutzlos ausliefert sind. Sie fordern mit ihrer Nahrungsverweigerung die Abschaffung von Heimen und Residenzpflicht, jenen gesetzlichen Instrumenten, mit denen in Deutschland die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge in Deutschland massiv eingeschränkt wird. Viele haben diese Rechte in einem Akt des zivilen Ungehorsams verletzt, indem sie in einem mehrwöchigen Marsch von Würzburg nach Berlin die Rechte von Flüchtlingen wieder auf die Tagesordnung setzen.

Der seit Jahren größte Flüchtlingsaufbruch in Deutschland hat seine Ursache in der Neuzusammensetzung der Migranten. In der letzten Zeit kamen zahlreiche Iraner nach Deutschland, die in ihrem Land gegen das islamistische Regime kämpften, verfolgt wurden und das Land verlassen mussten. Sie sind nicht bereit, in Deutschland als Menschen zweiter Klasse zu leben und fordern auch hier ihre Rechte ein. Unterstützt werden sie dabei von schon länger existierenden Flüchtlingsstrukturen, wie die Initiative The Voice.

Sorgte der Flüchtlingsmarsch noch für ein Medieninteresse, so hat die Berichterstattung schnell nachgelassen, nachdem sich die Menschen in einem von den Behörden tolerierten Zeltdorf in Berlin-Kreuzberg niedergelassen haben. Die Flüchtlinge wollen aber nicht überwintern, sondern ihre Rechte einfordern. Daher hat sich eine 20-köpfige Gruppe mit dem Hungerstreik in der Nähe des Brandenburger Tors zu einer offensiven Strategie entschlossen.

Keine Zelte – keine Schlafsäcke – keine Isomatten

Dort waren sie sofort mit den Tücken des deutschen Versammlungsrecht und Polizisten, die es penibel durchsetzten, konfrontiert. Da die Aktion lediglich als Mahnwache angemeldet werden konnte, waren trotz der winterlichen Temperaturen Zelte, Schlafsäcke und Isomatten, ja selbst Pappe als notdürftiger Schutz vor der Winterkälte verboten. Immer wieder kontrollierten Polizisten mit Taschenlampen, ob nicht doch die inkriminierten Gegenstände eingeschmuggelt wurden. Zu allen Tageszeiten, auch mitten in der Nacht wurden den Flüchtlingen Schlafsäcke und Kartons entrissen. Wenn sich die aus dem Schlaf geschreckten Menschen dagegen wehrten, wurden sie festgenommen. So war es nicht verwunderlich, dass es schon wenige Tage nach dem Hungerstreik bei einem Beteiligten zu einem Kollaps gekommen ist.

Die Aussetzung der durch den Hungerstreik schon geschwächten Menschen den Unbilden des Winterwetter fand mitten im touristischen Zentrum Berlins statt und führte zu keiner größeren Reaktion der immer wieder beschworenen Zivilgesellschaft. Selbst an der Teilnahme an der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti in der Nähe des Brandenburger Tor wurden die hungerstreikenden Flüchtlinge gehindert. Während die Politiker ein Denkmal lobten, das sie größtenteils lange verhindern wollten, sollte wohl nicht daran erinnert werden, dass populistische Kampagnen und Einreiseverschärfungen gegen osteuropäische Roma geplant sind und nur wenige Meter entfernt eine Gruppe von Menschen ihrer Rechte beraubt werden.

„Die Unterdrückung und Missachtung der Rechte von einzelnen Gruppen ist nur dann möglich, wenn die Mehrheitsgesellschaft ihre Augen verschließt“, heißt es in einer Erklärung der Flüchtlinge.

PR-Aktion der Piraten?

Das ZDF hat die Diskussion über die Frage, ob der Protest von 20 Menschen vor dem Brandenburger Tor berichtenswert ist, öffentlich gemacht und dabei auch verdeutlicht, dass auch bei öffentlich rechtlichen Sendern kritische Berichterstattung immer mehr zum Fremdwort wird. „Sind Journalisten dazu da, auf Missstände aufmerksam zu machen?“ lautet eine Frage, die dann verneint wird.

Der Unterschied zwischen einer engagierten kritischen Berichterstattung und einer blinden Solidarisierung mit Protestbewegungen scheint nicht bekannt zu sein. In diesem Sinne war die Aktion „Menschenrechte statt Titten“ ein Erfolg, wie die Medienresonanz zeigte. Allerdings bleibt doch auch die Frage, ob es sich auch um eine PR-Aktion der in die Krise geratenen Partei handelte. Schließlich stand natürlich auch hier die PR-Aktion der Piratinnen im Vordergrund und die hungerstreikenden Flüchtlinge blieben oft nur Staffage.

Die Frage, wie der Kampf der Flüchtlinge angesichts der widrigen Bedingungen weitergehen soll, bleibt weiter offen. Wahrscheinlich wäre es dafür erforderlich, dass sich zivilgesellschaftliche Initiativen eigenständisch in die Auseinandersetzungen einschalten wie vor 21 Jahren. Als damals in der Folge der rassistischen Angriffe auf Unterkünfte für nichtdeutsche Vertragsarbeiter und Flüchtlinge in zahlreichen meist ostdeutschen Städten zahlreiche Flüchtlinge in Berlin Schutz suchten, besetzten sie gemeinsam mit antirassistischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen einige Räume an der Mathematikfakultät der Technischen Universität Berlin, wo sie nicht den unmittelbaren Witterungsbedingungen ausgeliefert waren und neben der Unterkunft für einige Wochen auch einen politischen Gegenpool bilden konnten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153088
Peter Nowak

Todesnacht in Stammheim

35 Jahre sind vergangen, kritische Fragen bleiben
Am 18. Oktober jährt sich zum 35. Mal der Tag, an dem die RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Raspe tot und Irmgard Möller schwerverletzt in ihren Zellen in der Etage des Hochsicherheitsgefängnisses Stuttgart-Stammheim aufgefunden wurden. Jahrelang gab es in der Linken starke Zweifel an der offiziellen Selbstmordversion.
Für Helge Lehmann sind sie bis heute nicht ausgeräumt. Er hatte vor einigen Monaten das Buch »Die Todesnacht in Stammheim – Eine Untersuchung« herausgebracht. Dazu hat er mehrere, der in der offiziellen Selbstmordversion unhinterfragten Fakten, wissenschaftlich untersucht und kam zu dem Schluss, dass sie nicht stimmen konnten. Diese Untersuchungsergebnisse gingen in den Antrag zur Neuauflage des Todesermittlungsverfahrens der drei RAF-Gefangenen ein, den Lehmann gemeinsam mit Gottfried Ensslin, dem Bruder von Gudrun Ensslin, am 18.Oktober in Berlin auf einer Pressekonferenz vorstelle.

Einen zentralen Stellenwert bei den 32 Punkten des Antrags nimmt die Kommunikationsanlage ein, mit denen sich angeblich die Gefangenen zum Selbstmord verabredet haben. Die aber hat nach Untersuchung von Lehmann technisch nicht funktioniert. Auch die Frage des Waffentransports nimmt einen großen Stellenwert ein. Sowohl der Plattenspieler in Baaders Zelle, der angeblich als Waffenversteck gedient haben soll, als auch die Akten, mit denen sie von Anwälten ins Gefängnis geschmuggelt worden sein sollen, scheiden nach seinen Untersuchungen aus. Ein neues Indiz, das Zweifel an der offiziellen Version erhöhte und Lehman erst vor einigen Wochen anonym zugespielt wurde, hat er der Pressekonferenz erstmals öffentlich präsentiert. Es handelt sich um das Vernehmungsprotokoll von Hans Springer, der in der Todesnacht in der siebten Etage von Stuttgart-Stammheim Dienst hatte. Er sagte aus, von einer für ihn nicht identifizierbaren Person zwischen 0 Uhr und 3.30 Uhr telefonisch von seinen Wachposten abberufen worden zu sein. Ihm sei versichert worden, dass die Bewachung der Gefangenen in dieser Zeit gewährleistet sei.

»Wir wissen nicht, was am morgen des 18.Oktober in den Zellen geschah, aber wir sind nach den Untersuchungen überzeugt, dass die offizielle Version so nicht stimmen kann«, wies Gottfried Ensslin Fragen nach eigenen Hypothesen zurück. Auch Lehmann enthielt sich ch jeglicher Spekulationen, beharrt aber auf die Untersuchung der offenen Fragen. »Wenn sich dann ergibt, dass die offizielle Version stimmen sollte, wären zumindest alle Zweifel ausgeräumt«, betonte er. Er wies darauf hin, dass noch ein Großteil der Akten rund um die Todesumstände von Stammheim nicht freigegeben seien, weil das Sicherheitsinteresse der BRD es nicht erlaub, so die offizielle Begründung.

Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linken im Bundestag Ulla Jelpke, die die Pressekonferenz moderierte, erinnerte daran, dass es seit der Todesnacht nicht nur bei der radikalen Linken sondern auch bei Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland und den Rechtsanwälten der Gefangenen große Zweifel an der offiziellen Version gegeben habe. Deshalb begrüßte sie es, dass nach mehr als drei Jahrzehnten von einer neuen Generation kritische Fragen gestellt werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/801666.todesnacht-in-stammheim.html
Peter Nowak

Neue Ermittlungen über die Todesumstände der RAF-Gefangenen gefordert

Das Vernehmungsprotokoll eines Wachbeamten in Stammheim schürt Zweifel an der offiziellen Version

Am 18. Oktober jährt sich zum 35ten Mal der Tag, an dem die RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Raspe tot und Irmgard Möller schwerverletzt in ihren Zellen in der Etage des Hochsicherheitsgefängnisses Stuttgart-Stammheim aufgefunden wurden. Jahrelang gab es in der Linken starke Zweifel an der offiziellen Selbstmordversion.

Für Helge Lehmann sind sie bis heute nicht ausgeräumt. Er hatte vor einigen Monaten das Buch Die Todesnacht in Stammheim – Eine Untersuchung herausgebracht. Dazu hat er mehrere der in der offiziellen Selbstmordversion unhinterfragten Fakten wissenschaftlich untersucht und kam zu dem Schluss, dass sie nicht stimmen konnten.

Diese Untersuchungsergebnisse gingen in den Antrag zur Neuauflage des Todesermittlungsverfahrens der drei RAF-Gefangenen ein, den Lehmann gemeinsam mit Gottfried Enssslin, dem Bruder von Gudrun Ensslin, am 18.Oktober in Berlin auf einer Pressekonferenz vorstellte.

Einen zentralen Stellenwert bei den 32 Punkten des Antrags nimmt die Kommunikationsanlage ein, mit denen sich angeblich die Gefangenen zum Selbstmord verabredet haben. Die aber hat nach Untersuchung von Lehmann technisch nicht funktioniert. Auch die Frage des Waffentransports nimmt einen großen Stellenwert ein. Sowohl der Plattenspieler in Baaders Zelle, der angeblich als Waffenversteck gedient haben soll, als auch die Akten, mit denen sie von Anwälten ins Gefängnis geschmuggelt worden sein sollen, scheiden nach seinen Untersuchungen aus.

Neues Indiz

Ein neues Indiz, das Zweifel an der offiziellen Version erhöhte und Lehman erst vor einigen Wochen anonym zugespielt wurde, hat er bei der Pressekonferenz erstmals öffentlich präsentiert. Es handelt sich um das Vernehmungsprotokoll von Hans Springer, der in der Todesnacht in der siebten Etage von Stuttgart-Stammheim Dienst hatte. Er sagte aus, von einer für ihn nicht identifizierbaren Person zwischen 0 Uhr und 3.30 Uhr telefonisch von seinen Wachposten abberufen worden zu sein. Ihm sei versichert worden, dass die Bewachung der Gefangenen in dieser Zeit gewährleistet sei.

„Wir wissen nicht, was am Morgen des 18.Oktober in den Zellen geschah, aber wir sind nach den Untersuchungen überzeugt, dass die offizielle Version so nicht stimmen kann“, wies Gottfried Ensslin Fragen nach eigenen Hypothesen zurück. Auch Lehmann enthielt sich jeglicher Spekulationen, beharrt aber auf die Untersuchung der offenen Fragen. „Wenn sich dann ergibt, dass die offizielle Version stimmen sollte, wären zumindest alle Zweifel ausgeräumt“, betonte er. Er wies darauf hin, dass noch ein Großteil der Akten rund um die Todesumstände von Stammheim nicht freigegeben seien, weil das Sicherheitsinteresse der BRD es nicht erlaube, so die offizielle Begründung.

Material von Insidern?

Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linken im Bundestag Ulla Jelpke, die die Pressekonferenz moderierte, erinnerte daran, dass es seit der Todesnacht nicht nur bei der radikalen Linken, sondern auch bei Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland und den Rechtsanwälten der Gefangenen große Zweifel an der offiziellen Version gegeben habe. Deshalb begrüßte sie es, dass nach mehr als drei Jahrzehnten von einer neuen Generation kritische Fragen gestellt werden. Tatsächlich haben sich paradoxerweise die Chancen zu einer Aufklärung der offenen Fragen erhöht, weil die meisten Beteiligten aus dem Justizapparat mittlerweile in Rente sind. Sie könnten ihr Wissen doch noch öffentlich machen und sei es anonym, wie das Lehmann zugespielte Verhörprotokoll.

Peter Nowak

Kein Pride in Belgrad

Homosexuellen-Parade bleibt auch 2012 verboten

Der bei der Berlinale preisgekrönte Film »Parada« hat die rechten Angriffe auf Homosexuelle im Jahr 2010 in Belgrad zum Thema. Darin werden ehemalige Kriegsveteranen zum Schutz des »Belgrad Pride« angeheuert – in der Realität bleibt das undenkbar. Wie schon im letzten Jahr wurde die für Samstag von Schwulen- und Lesbengruppen geplante Demonstration in Belgrad vom serbischen Ministerpräsident und Innenminister Ivica Dacic verboten.

Er habe nach der Auswertung der Sicherheitshinweise entschieden, alle geplanten Versammlungen in der Hauptstadt zu verbieten, teilte das Innenministerium mit und stützte sich damit auf dieselbe Begründung wie 2011, um Kundgebungen von Schwulen und Lesben zu verbieten. Es ist die Reaktion auf Bilder von knüppelschwingenden Männern, die vor zwei Jahren brutal auf feiernde Teilnehmer einer Homosexuellenparade in Belgrad einschlugen.

Auch in diesem Jahr hatten rechte Gruppen zu Angriffen auf die Parade aufgerufen. Mit dem Verbot werden sie aber noch gestärkt. Die Maßnahme ist auch ein Affront gegen die EU. Schon 2010 übte Brüssel Kritik am mangelnden Schutz der Homosexuellen. Der EU-Berichterstatter für den serbischen EU-Beitritt, Jelko Kacin, will weiter Druck auf die serbische Regierung ausüben. »LGBT-Rechte sollten das ganze Jahr über geachtet werden. Die ersten Verurteilungen wegen Hassgewalt haben wesentliche Präzedenzfälle geschaffen«, so Kacin.

Die Organisatoren der Belgrader Parade wollen trotz des Verbots feiern, legen es aber nicht auf eine Konfrontation mit der Polizei an und werden deshalb eine Saalveranstaltung abhalten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/800298.kein-pride-in-belgrad.html
Peter Nowak

Homosexuellenparade in Belgrad verboten

Wie schon zuvor werden als Grund mögliche Ausschreitungen angegeben

Nach Angaben verschiedener serbischer Medien werden die Behörden eine für den kommenden Samstag geplante Homosexuellenparade in der serbischen Hauptstadt verbieten. Der offizielle Grund lautet, es bestehe die Gefahr von Auseinandersetzungen, weil rechte und nationalistische Gruppen wie die Bewegung Dveri angekündigt hatten, die Parade mit allen Mitteln zu verhindern.

Dass es die serbische Rechte nicht bei Drohungen belässt, zeigte sich in den vergangenen Jahren. Seit sich 2001 in Serbien erstmals Homosexuelle organisierten und in die Öffentlichkeit gingen, traten militante Rechte auf den Plan, um diese anzugreifen. 2010, als in Belgrad die erste große Schwulenparade stattfand, gingen Bilder von knüppelschwingenden Rechten, die tanzende Homosexuelle angreifen, um die Welt. Auch im letzten Jahr war die Parade verboten worden, ebenfalls mit der Begründung mangelnder Sicherheit.

Die Problematik ist mittlerweile auch in Deutschland einem größeren Publikum bekannt, seit der auf der Berlinale ausgezeichnete und kürzlich in den Kinos angelaufenen Film Parada diese Angriffe zum Thema gemacht hat In dem Film schützen Kriegsveteranen die Homosexuellen vor den Angriffen.

Test für die EU-Tauglichkeit Serbiens?

Davon kann im realen Alltag in Serbien keine Rede sein. Seit es die Angriffe auf die Homosexuellen gibt, versuchen diese, Unterstützer in und außerhalb des Landes zu finden. Weil die Kräfte im Inland sehr schwach sind, haben sie schon vor 10 Jahren auf die EU gesetzt. So sehen einige der Gruppen, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen, den Umgang mit der Parade als eine Art Lackmuspapier auf die serbische EU-Tauglichkeit. Nachdem der prowestliche Präsident durch einen Exponenten der nationalistischen Rechten, der erst vor wenigen Jahren seinen Frieden mit der EU gemacht hat, abgelöst wurde, haben EU-Behörden diesen Standpunkt noch einmal bekräftigt. So erklärte der Berichterstatter für den serbischen EU-Beitritt Jelko Kacin: „Wir werden den Behörden in Belgrad weiterhin zureden, dass sie sicherstellen, dass die nächste Reise eines MEP zur Pride-Parade in Belgrad nicht nur für eine Pressekonferenz sein wird, so wie meine Reise letztes Jahr. LGBT-Rechte sollten das ganze Jahr über geachtet werden, und die ersten Verurteilungen wegen Hassgewalt haben wesentliche Präzedenzfälle geschaffen.“

Die Anlehnung an die EU ist aus der Sicht der schwachen demokratischen Kräfte im Land verständlich, aber keineswegs unproblematisch. Denn damit wird die diffizile Frage, wie der Umgang der EU mit Serbien zu beurteilen ist, mit der Haltung zur Schwulenparade kurzgeschlossen. Das gibt nationalistischen Gruppen die Gelegenheit, alle diejenigen, die aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen die EU-Politik ablehnen, gegen die angeblich von der EU gesponserten Homosexuellen und ihre Freunde zu mobilisieren. Umgekehrt werden damit Homosexuelle unabhängig von ihrer sozialen Situation und ihrer politischen Positionierung automatisch ins Lager der EU-Freunde gerechnet.

Die Veranstalter wolle nun die Parada nach drinnen verlegen, aber dennoch während des Tages „gewisse Ereignisse“ organisieren. Man werde nicht untägig herumsitzen, wenn das Verbot tatsächlich verhängt werden sollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152902
Peter Nowak

Häftlinge als Arbeitskräfte?

Axel Köhler-Schnura ist Konzernkritiker und Vorstand der ethecon-Stiftung


nd: Warum startete ethecon eine Kampagne gegen die Ausbeutung Strafgefangener?

Köhler-Schnura: 2011 wurde die US-Menschenrechtsaktivistin Angela Davis u. a. für ihren unermüdlichen Kampf gegen den gefängnisindustriellen Komplex mit dem ethecon Blue Planet Award geehrt. Großkonzerne lassen zu Minimalkosten in Haftanstalten produzieren. Die Häftlinge erhalten in der Regel nur einen geringen, manchmal gar keinen Lohn. Nebenkosten wie die Gesundheitsvorsorge oder besondere Sicherungen des Arbeitsplatzes entfallen. Stattdessen genießen die Konzerne zusätzliche Steuervorteile für die Beschäftigung von Gefängnisinsassen. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, das Gefängniswesen in dieser Weise zu »reformieren«. Da wollen wir Öffentlichkeit herstellen.

BP setzte nach der Ölkatastrophe am Golf von Mexiko Gefangene ein. Eine übliche Praxis?
Der Einsatz Strafgefangener außerhalb von Haftanstalten hat in den USA eine jahrhundertelange Tradition. Aktuell sitzen in den USA 2,3 Millionen Menschen im Gefängnis. Das ist etwa ein Viertel aller Gefängnisinsassen weltweit. Davon arbeiten in den USA bis zu eine Million in Vollzeit. Auch die Tatsache, dass der Einsatz von Häftlingen für BP organisatorisch keine Herausforderung für die Gefängnisbetreiber war, zeigt, dass die »Nutzung« dieser Arbeitskräfte jenseits der Gefängnismauern nichts Außergewöhnliches ist. Besonders zynisch allerdings war, dass BP die Gefangenen umsonst für sich arbeiten ließ, während die ortsansässige Bevölkerung durch die Ölkatastrophe in die Arbeitslosigkeit getrieben wurde und vor dem Ruin stand.

Wie sieht die Situation in Deutschland aus?
In Deutschland gibt es leider kaum Öffentlichkeit für das Thema. Dabei lud bereits 1995 die Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit zum ersten Spatenstich für ein privat finanziertes Gefängnis. 2004 wurde gemeldet, dass in Hessen erstmals die Führung einer Haftanstalt komplett in private Hände gelegt wurde. Die Justizvollzugsanstalt Burg in Sachsen-Anhalt wird vom Baukonzern Bilfinger Berger betrieben. Dass Konzerne auch hierzulande keine Hemmungen haben, von Zwangsarbeit zu profitieren, zeigen die Beispiele von IKEA, Quelle und Neckermann, die schon in den 1970ern und 1980ern Insassen von DDR-Gefängnissen für sich produzieren ließen.

Welche Schritte sind im Rahmen der ethecon-Kampagne geplant?

Wir sind keine Aktionsgruppe, sondern eine Stiftung. Wir wollen mit unserer Kampagne einen grundlegenden Anstoß geben, das Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, informieren mit einem Flugblatt und sammeln Unterschriften. Wir wenden uns mit einem Protestbrief an die US-Regierung und mit einem Offenen Brief an den Bundestag. Wir bitten um Aufklärung, wie weit fortgeschritten die Entwicklung in Deutschland bereits ist und was geplant ist, sowohl in Bezug auf die Arbeit von Strafgefangenen für Konzerne als auch auf die Privatisierung von Gefängnissen.

Wer unterstützt die Kampagne?
Bisher unterstützt uns vor allem die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt bei unserer Arbeit. Wir hoffen darauf, dass andere das Thema aufgreifen und vorantreiben. Wir freuen uns über jeden, der Interesse daran hat, diese verhängnisvolle Entwicklung zu stoppen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/239868.haeftlinge-als-arbeitskraefte.html

Interview: Peter Nowak

Onlineprotest als Computersabotage

Onlinedemonstranten können sich nach Meinung der Bundesregierung nicht auf das Demonstrationsrecht berufen, weil dazu eine »körperliche Anwesenheit erforderlich« sei, die im virtuellen Raum nicht gegeben ist. Diese Lesart stand in einer Antwort auf eine Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Sevim Dagdelen und Andrej Hunko an die Bundesregierung. Die Parlamentarier nahmen die Kriminalisierung des Onlineprotests gegen die GEMA zum Anlass für ihre umfangreiche Anfrage.

Am 17. Dezember 2011 sollte die Onlinepräsenz der GEMA mit möglichst vielen Anfragen lahmgelegt werden. Dazu wurde eine spezielle Software bereitgestellt. Obwohl die Homepage der GEMA immer erreichbar war, erfolgten mittlerweile 106 Hausdurchsuchungen. Die Bundesregierung nahm zum konkreten Fall nicht Stellung, sah aber in der versuchten Lahmlegung von Internetseiten generell den Straftatbestand der Computersabotage erfüllt. Wie die Abgeordneten der LINKEN sehen auch viele Juristen den Onlineprotest durch das Demonstrationsrecht gedeckt. Wenn im Netz immer mehr Geschäfte getätigt werden, kann es nicht zur demokratiefreien Zone erklärt werden, argumentieren sie. Es gab auch schon juristische Entscheidungen, die diese Lesart unterstützen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/235515.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

Nazi-Rauswurf mit finanziellen Folgen

ORANIENBURG Weil er einen NPDler aus dem Saal schmiss, muss ein Versammlungsleiter blechen

Mehr als zwei Jahre ist es her, dass der NPD-Kommunalpolitiker Detlef Appel bei einer Gedenkveranstaltung zum Hitler-Attentäter Georg Elser in Oranienburg aus dem Saal geschmissen wurde. Das hatte ein juristisches Nachspiel: Wie jetzt bekannt wurde, verurteilte das Landgericht Neuruppin den Versammlungsleiter Ende Mai, dass er dem NPD-Politiker knapp 400 Euro Schadenersatz zahlen und sämtliche Verfahrenskosten tragen muss. Der Saalverweis sei geeignet, „sich abträglich auf Ansehen und Ehre des politisch aktiven Klägers in der Öffentlichkeit auszuwirken“, hieß es.

Die „Courage-Elser-Initiative“ hatte damals zu einer Gedenkveranstaltung für den verhinderten Hitler-Attentäter ins Bürgerzentrum Oranienburg geladen. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, sprach zum Thema „Georg Elser – ein Volksheld oder ein Täter mit gutem Gewissen?“. Im vollbesetzten Saal habe Detlef Appel, Kreistagsabgeordneter in Oberhavel und Stadtverordneter in Oranienburg, massiv gegen Elser gehetzt, erinnert sich der Vizevorsitzende der Elser-Initiative, Bernd Findeis. „Die Anwesenden waren zunächst fassungslos, dem Entsetzen folgte ein immer deutlicher werdender Protest.“ Als der Versammlungsleiter Appel des Saales verwies, habe der anstandslos seinen Mantel genommen und sei verschwunden.

Markus Roth von der Antifa Friedrichshain kritisiert, dass der rechte Hintergrund des Politikers in dem Urteil komplett ausgeblendet worden sei. Diese juristische Normalisierungsstrategie konterkariere die Bemühungen, NPD-Mandatsträger bewusst auszugrenzen.

Roth befürchtet nicht, dass in Zukunft die Präsenz von Personen aus der rechten Szene bei antifaschistischen Veranstaltungen hingenommen werden müsse. Man sollte allerdings schon bei der Werbung deutlich machen, dass diese Leute nicht geduldet würden. Darauf verweist auch Annika Eckel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Der Verein hat auf seiner Homepage eine Handreichung veröffentlicht, um Ausschlüsse von Rechten juristisch wasserdicht zu machen. Selbst wenn eine Ausschlusserklärung versäumt wurde, hätte die Veranstaltung kurzfristig aufgelöst und unter Ausschluss der Rechten neu eröffnet werden können.

Für die Georg-Elser-Initiative kommen diese Ratschläge zu spät. Sie hat ein Spendenkonto eröffnet, damit der Versammlungsleiter nicht auf den Kosten sitzenbleibt.
ttp://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig
=2012%2F07%2F31%2Fa0157&cHash=3dd8500c2a

Peter Nowak

Von Acta zu INDECT?


In mehreren europäischen Ländern gab es am Wochenende Proteste gegen ein EU-Überwachungsprogramm, das vor 2 Jahren gestartet ist

Es war eine überschaubare Anzahl von Menschen, die am Samstagmittag in Berlin Transparente und Schilder mit der Forderung „Stoppt INDECT“ trugen und für viel Verwunderung bei den Passanten sorgten. Schließlich ist der Begriff noch wenig bekannt. Es ist eine Abkürzung für „Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment“. Dabei handelt es sich um ein vernetztes Überwachungsprogramm, für das die EU fast 15 Millionen Euro bereit stellt. Die Demonstration fand im Rahmen des ersten europäischen Aktionstages gegen INDECT statt. Aktionen gab es vor allem in Tschechien, Frankreich und in einem Dutzend Städten in Deutschland. „Wir wollten mit dem Aktionstag INDECT zunächst einmal in der Öffentlichkeit bekannt machen. Daher haben wir auch gar nicht mit einem Massenandrang gerechnet“, meinte ein Berliner Mitorganisator. Er ist aber optimistisch, dass sich in den nächsten Wochen der Protest verstärkt. „Auch der Widerstand gegen Acta begann mit Demonstration von wenigen Menschen“, erinnerte der Aktivist an eine erfolgreiche Kampagne.

Wie bei Acta ist auch bei INDECT die Hackergruppe Anonymous am Protest beteiligt. Allerdings gibt es auch wesentliche Unterschiede zu Acta. Bei INDECT handelt es sich um ein europäisches Forschungsprogramm, dass schon 2009 startete und im nächsten Jahr abgeschlossen sein soll. Der Protest beginnt also in der letzten Phase. Schon seit mindestens 2009 sind wichtige Dokumente auf Wikileaks zu finden und seit dieser Zeit haben die Medien auch darüber berichtet, ohne dass es zu einer besonderen öffentlichen Resonanz kam (Totalüberwachung der realen und virtuellen Räume, Fliegende Kameras für Europas Polizeien).

Wunschtraum der Sicherheitspolitiker

Ein Grund dafür könnte sein, dass mit Begrifflichkeiten wie „Orwells 1984″ oder “ Science Fiction wird Realität“ eher Ohnmacht als Widerstandswillen erzeugt wird. Zudem ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass große Teile der Bevölkerung mit Kriminologen und Sicherheitspolitikern die Utopie einer Gesellschaft teilen, in der abweichendes Verhalten schon im Vorfeld erkannt und gegebenenfalls sanktioniert werden kann. Genau darum geht es bei dem Programm. Videokameras, die in Kombination mit Drohnen Menschen über einen längeren Zeitraum verfolgen, Computerprogramme, die Gesichter automatisch wieder erkennen und die abweichendes Verhalten schon an der Mimik oder der Handbewegung erkennen, bevor es ausgeführt wird.

Zum Forschungsprogramm gehören Methoden der Internetüberwachung mit Hilfe von Suchmaschinen, das Auffinden von Bildern und Videos mit Hilfe von Wasserzeichen, sowie die Erkundung von automatisierte Suchroutinen zum Aufspüren von Gewalt oder „abnormalem Verhalten“. Zudem soll eine Computerlinguistik weiterentwickelt werden, die i Beziehungen zwischen Personen sowie den Kontext einer Unterhaltung in Chats mit einzubeziehen soll.

Die Organisatoren von INDECT verweisen auf eine Ethikkommission, die dafür sorgen soll, dass die Bürgerrechte beachtet werden. Datenschützer haben schon mehrmals weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Kritik an INDECT geübt. Auch der AStA der Universität Wuppertal, die sich in Deutschland neben den Unternehmen Tec DATA und PSI Transcom an den Forschungsprojekt beteiligt, hat schon dagegen protestiert. Allerdings ist INDECT nur ein von der EU gefördertes Überwachungsprogramm, es gibt noch weitere: Die Großen Brüder von INDECT.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152492
`Peter Nowak

Solidarität für türkische Aktivistin

Basak Sahin Duman von Auslieferung bedroht

Eigentlich wollte Basak Sahin Duman nur ein paar Tage Urlaub in Kroatien machen. Doch die Reise wurde zum Albtraum, denn die türkische Staatsbürgerin, die seit 2006 mit ihrem Ehemann in Deutschland lebt, wurde am 29. Mai am Flughafen von Zagreb verhaftet und sitzt seitdem in Auslieferungshaft. Der Grund: Die türkische Justiz hatte einen internationalen Haftbefehl erlassen, nachdem Duman wegen angeblicher »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war.
Duman wird vorgeworfen, sich 2004 als Medizinstudentin in linken Initiativen engagiert und an einer Demonstration teilgenommen zu haben. Gegen 24 Teilnehmer dieser Aktion hat die türkische Justiz langjährige Haftstrafen verhängt. Mehrere der Betroffenen sitzen in türkischen Gefängnissen. Andere konnten sich durch die Flucht in verschiedene europäische Länder der Inhaftierung entziehen. Duman erhielt Asyl in Deutschland. Mittlerweile liegt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Antrag vor, die Urteile zu überprüfen.

Nach der Verhaftung Dumans hat sich rasch ein internationales Solidaritätskomitee gegründet, das ihre sofortige Freilassung fordert. »Sie darf nicht in das Land ausgeliefert werden, in dem demokratische Grundrechte ausgehebelt und Oppositionelle sowie demokratische Basisbewegungen gezielt verfolgt und unterdrückt werden«, heißt es in einem Aufruf, den zahlreiche Migranten- und Menschenrechtsorganisationen unterzeichnet haben. Die Urteile der türkischen Gerichte, so der Aufruf weiter, dienten dazu, die »Sozialistische Plattform der Unterdrückten« (ESP) als Teil der in der Türkei verbotenen kommunistischen Partei MLKP darzustellen. Damit wäre die Kriminalisierung all ihrer Mitglieder verbunden. Zudem würden alle Wähler der ESP, die sich inzwischen als Partei konstituiert hat, zu Terroristen erklärt.

In mehreren europäischen Metropolen haben bereits Protestaktion vor kroatischen Botschaften stattgefunden, auch in Kroatien wurde für Dumans Freilassung demonstriert. Mit einer erstinstanzlichen Entscheidung der kroatischen Justiz wird in den nächsten Tagen gerechnet.

Ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts erklärte gegenüber einer Bundestagsabgeordneten der LINKEN, dass von deutscher Seite einer Rückkehr von Duman nichts im Wege stehe, eine konsularische Betreuung aber nur bedingt möglich sei, weil sie keine deutsche Staatsangehörige ist.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233089.solidaritaet-fuer-
tuerkische-aktivistin.html
Peter Nowak

Kritik an „Gesinnungsjustiz“

JUSTIZ Am Donnerstag hat der Prozess gegen Gülaferit Ü. begonnen – nach dem Anti-Terror-Paragrafen 129 b. Vor dem Gericht gab es Proteste

Vor dem Kammergericht hat am Donnerstag der Prozess gegen eine mutmaßliche Linksterroristin begonnen: Der 42-jährigen Gülaferit Ü. wird Mitgliedschaft in einer verbotenen türkischen Gruppe vorgeworfen. Es ist in Berlin das erste Verfahren nach Paragraf 129 b, der die Mitgliedschaft in politischen Organisationen unter Strafe stellt, die als terroristisch erklärt werden. In der Vergangenheit wurde damit unter anderem in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf gegen mutmaßliche AktivistInnen islamischer sowie linker türkischer und kurdischer Gruppen vorgegangen.

Ü. soll Mitglied der marxistischen „Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front“ (DHKP-C) gewesen sein. Diese in den 70er Jahren gegründete Organisation hatte in den Armenvierteln der großen Städte sowie an den Universitäten der Türkei ihre Basis. Nach dem Vorbild von Che Guevara propagierte sie die Kombination legaler politischer Arbeit mit militanten Aktionen. Die Gruppe ist in der Türkei und in Deutschland verboten.

Am ersten Prozesstag am Donnerstag äußerte sich die Angeklagte nur zu ihrer Person, nicht zur Anklage. Sie saß hinter Panzerglas, für den Prozess waren verstärkte Sicherheitskontrollen angeordnet.

Die Staatsanwaltschaft verlas Auszüge aus einer Datei, die die Justizbehörden von der belgischen Polizei erhalten haben. Sie sei bei einer Razzia in Büros von legal arbeitenden türkische Organisationen in Belgien gefunden worden. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich dabei um eine politische Biografie, die Ü. selbst verfasst haben soll. Der Text schildert ihren politischen Werdegang in der Türkei, darunter eine Haftstrafe wegen Beteiligung an einer militanten Aktion.

Seit Oktober in U-Haft

Die Datei enthielt auch Adressen und Telefonnummern einiger Verwandten Ü.s. Eine der Nummern habe die Angeklagte gewählt, als sie nach ihrer Überstellung nach Deutschland mit Angehörigen Kontakt aufnahm, so die Staatsanwaltschaft. Ü. wurde im Oktober 2011 aus Griechenland nach Deutschland ausgeliefert und sitzt seitdem in Untersuchungshaft im Frauengefängnis Lichtenberg.

Vor Prozessbeginn am Donnerstagmorgen organisierte ein Initiativkreis, dem verschiedene politische Gruppen angehören, eine Kundgebung vor dem Kammergericht. Sie forderten Ü.s Freilassung sowie die Abschaffung der Paragrafen 129 a und 129 b, die sie als „Instrument der Gesinnungsjustiz“ bezeichneten. RednerInnen monierten, die Angeklagte sei erschwerten Haftbedingungen ausgesetzt. So würden ihre Post zensiert, die Zusendung deutschsprachiger Literatur erschwert und der Kontakt zu türkischen Mitgefangenen unterbunden.

Schon in Griechenland hatten sich Menschenrechtsgruppen gegen Ü.s Auslieferung an Deutschland eingesetzt. Sie sahen in der Anklage nach dem Paragrafen 129 b ein politisches Instrument, mit dem völlig legale Tätigkeiten wie das Verteilen nicht verbotener Zeitungen oder die Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen als Terrorismus deklariert werde. Eine solche Kritik äußern auch JuristInnenorganisationen in Deutschland. Auch sie wollen das Berliner Verfahren kritisch begleiten.

Der Prozess wird sich in die Länge ziehen. Das Kammergericht hat Termine bis Ende November festgesetzt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2
F07%2F20%2Fa0146&cHash=c90d5a9175
Peter Nowak

Aktion gegen „Panzerfamilie“: die Grenzen der Kunstfreiheit

Während die Familie, die zu den Eigentümern von Krauss-Maffei gehört, juristisch auf die Aktion „25000 Euro“ reagiert, wächst auch andernorts der Widerstand gegen deutsche Rüstungsexporte

Eigentlich können die Politkünstler vom Zentrum für politische Schönheit zufrieden sein. Nur wenige Wochen, nachdem sie im Internet bekannt machten, dass zu den Eigentümern der Waffenhersteller Krauss Maffei bekennende Philanthropen und Humanisten gehören, die in ihrer Freizeit in diversen Menschenrechtsorganisationen engagiert sind, haben zwei der Familienmitglieder sich vom Panzerdeal mit Saudi Arabien distanziert.

So erklärte Burkhart von Braunbehrens in einem Interview, den Waffendeal mit Saudi Arabien verhindern zu wollen, und auch Vera von Braunbehrens ließ verlautbaren, das Waffengeschäft nicht zu billigen. Damit sind zwei Mitglieder der „Panzerfamilie“ auf Distanz gegangen. Im Internet wird nun darüber debattiert, wie ernst diese Distanzierungen gemeint sind und vor allem, ob damit auch die Bereitschaft verbunden ist, auf die Profite an dem Rüstungsdeal zu verzichten. Diese Reaktionen sind ganz im Sinne der Kampagne, wie sie auf der Homepage der Politkünstler in sechs Schritten skizziert ist. Mittlerweile ist der unter Punkt 6 genannte Machtkampf zwischen den beiden Eigentümerfamilien von Krauss Maffei im Gange und der Ausgang ist noch ungewiss.

Anwaltskosten drohen Initiative lahmzulegen

Doch mittlerweile haben die Braunbehrens auch juristische Schritte gegen die Künstler eingeleitet. Deshalb musste die Webseite umgestaltet werden, bestimmte Formulierungen durften nicht mehr verwendet werden. Doch gravierender für die Künstlerinitiative sind die Kosten, die durch die Klagen auf sie zukommen. „Am Freitag mussten wir sogar die Anwaltskosten des 90fachen Millionärs und Waffenhändlers Rüdiger von Braunbehrens (1.248,31 Euro) schultern. Unsere Webseite mussten wir selbst zensieren, um Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe abzuwenden“, erklärt Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit.

Die Initiative ruft zu Solidaritätsspenden auf. Die sollen bei der GLS-Bank auf ein Konto der „Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V.“ eingezahlt werden. Leider inszeniert sich die Initiative fast in Occupy-Manier als Interessenvertreter von nicht gleich 99, aber doch 94 Prozent der deutschen Öffentlichkeit, die laut Meinungsumfragen gegen den Export der Leopard 2 Panzer nach Saudi Arabien seien. Wenn Ruch in seinem Solidaritätsaufruf so oft betont, wie viel die Initiative bereits riskiert hat und sie jetzt „nicht mit Waffen sondern per Gerichtsverfahren“ zum Schweigen gebracht werden soll, klingt das Eigenlob doch sehr deutlich durch. Dabei hätte sie das gar nicht nötig. Schließlich hatte die Aktion eine überwiegend positive Berichterstattung. Zudem hat die Initiative mittlerweile Nachahmer bei Politaktivisten gefunden.

Unter dem Motto „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ agieren zahlreiche Initiativen und Nichtregierungsorganisionen gegen den deutschen Waffen- und Rüstungsgüterexport. Ein Kampagnenschwerpunkt lautet auch dort, „den Tätern Namen und Gesicht zu geben“. In der letzten Augustwoche soll im Namen eines Illuminationsprojekts eine Bildmontage mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Panzerkommandantin per Laserstrahl an öffentliche Gebäude projiziert werden. Auch Aktionen am Firmensitz des Panzerherstellers Krauss Maffei-Wegmann in Kassel gehören zum Protestfahrplan.

Allerdings sollen auch die Firmensitze von anderen Unternehmen besucht werden, die am Rüstungsgeschäft verdienen. Dazu gehören die ATM-Computersysteme in Konstanz, die die Software für den Leopard-Panzer liefern, wie die Diehl-Defence in Überlingen, die Geschäfte mit der Produktion von Munition, Drohnen und Panzerketten macht, sowie die MTU Friedrichshafen GmbH, die Panzermotoren herstellt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152408

Peter Nowak

Steuerrecht als Verfassungsschutz?

Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass ihnen die Gemeinnützigkeit mittels Steuerrecht aberkannt werden könnte

Änderungen im Steuerrecht interessieren in der Regel nur Fachpolitiker und Experten. Doch die im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2013 geplante Änderung des § 51 Abs. 3 AO sorgt schon im Vorfeld für heftige Debatten. In einen offenen Brief, den 60 Nichtregierungsorganisationen von Attac-Deutschland bis Robin Wood unterschrieben haben, wird unmissverständlich gefordert:

„Wir rufen Sie dazu auf, Ihre Stimme dem Gesetzesvorhaben zu verwehren und sich darüber hinaus für die ersatzlose Streichung des § 51 Abs. 3 AO einzusetzen!“

In der inkriminierten Klausel hieß es bisher: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.“ Nun soll ein Wörtchen gestrichen worden, was nach Meinung der Unterzeichner des Offenen Briefes gravierende Folgen haben könnte:

„Durch die in der Gesetzesvorlage vorgesehene Streichung des Wortes ‚widerlegbar‘ würde, bei (auch unbestimmter) Nennung einer als gemeinnützig anerkannten Organisation in einem der 17 jährlich veröffentlichten Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder, bei den Finanzämtern der Automatismus einer Versagung der Steuervergünstigungen ausgelöst. Der bisherige Ermessensspielraum der Finanzämter vor Ort entfiele ebenso wie die Möglichkeit der betroffenen Organisation, bei Finanzgerichten Rechtsschutz zu suchen.“

Juristische Grauzone

Neben der kleinen Änderung mit möglicherweise großen Folgen kritisieren die NGO den 2009 eingeführten § 51 Abs. 3 AO generell. Er bewege sich in einer juristischen Grauzone, da der verwendete Begriff „Extremismus“ ein unbestimmter Rechtsbegriff sei, so die Kritiker. Mehrere Gutachter, darunter ein vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erstelltes, sind zu dem Schluss gekommen, dass die vom Verfassungsschutz verwendete Bezeichnung „Extremismus“ kein definierter Rechtsbegriff ist. Er werde in keinem einzigen Gesetzestext verwendet – mit Ausnahme des Steuerrechts.

Schon in der Vergangenheit gab es Versuche, Nichtregierungsorganisationen die Gemeinnützigkeit mittels Steuerrecht abzuerkennen. Betroffen davon war unter anderem die Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen, aber auch Anti-AKW-Initiativen mussten die Disziplinierung durch den Fiskus fürchten. Bisher sind solche Versuche nach öffentlichen Protesten schnell wieder aufgegeben worden. Ob der aktuelle Vorstoß auch ein so schnelles Ende findet, wird sich zeigen. Er ist ein Versuch, Nichtregierungsorganisationen auf staatliche Politiken auszurichten und hat disziplinierenden Charakter. Wer befürchten muss, durch den Kontakt zu einer missliebigen Initiative die Gemeinnützigkeit zu verlieren, woran die Existenz mancher Gruppe hängt, wird im Zweifel solche Kontakte unterlassen So wie die auch juristisch und politisch umstrittene Extremismusklausel ist auch der Verfassungsschutz mittels Steuerrecht Teil einer staatlichen Disziplinierungsstrategie, die in unterschiedlichen Formen in allen europäischen Ländern angewandt wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152296
Peter Nowak

600 Euro teure Unterschrift

Amtsgericht verurteilt Castor-Gegner zu einer Geldstrafe
Allein die Absicht zum »Schottern« ist strafbar. Hermann Theisen kommt sein schriftlicher Widerstand gegen Atommülltransporte teuer zu stehen.

Das Amtsgericht Lüneburg hat am 18. Juni den Heidelberger Anti-AKW-Aktivisten Hermann Theisen zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt, weil er die Absichtserklärung »Castor? Schottern! 2010? mit unterzeichnet hatte. Dort hatten ca. 1000 Aktivisten bekundet, zur Verhinderung der Castortransporte in das Wendland Steine aus dem Gleisbett der Bahn entfernen zu wollen. Das Gericht folgte der Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass er damit zur Störung öffentlicher Betriebe aufgerufen habe.
Die Verteidiger von Theisen hatten dagegen argumentiert, dass es während der Castortransporte keinen öffentlichen Bahnverkehr gäbe. Zudem sei die Absichtserklärung kein Aufrufung sondern eine Erklärung zum eigenen Handeln.
Bereits Mitte März war Gotthilf Lorch (nd berichtete) und am 31. Mai Olaf Meyer ebenfalls wegen Aufforderung zu einer Straftat zu Geldstrafen verurteilt worden. Während das Gericht bei Meyer allerdings die Busse in 16 Tagessätze aufgliederte, verhängte das Gericht gegen Theisen 15 Tagessätze. Diese kleine Differenz kann juristische Folgen haben.
Bis zu 15 Tagessätzen kann das Gericht entscheiden, ob es eine Revision zulässt oder wegen Geringfügigkeit ablehnt. Ab 16 Tagessätze ist ein zweites Verfahren zwingend vorgeschriebne, wenn eine der Prozessparteien dies fordert.
Herman Theisen spricht deshalb von juristischen Tricks und will gegen eine mögliche Ablehnung der Revision Rechtsmittel prüfen lassen. Auch politisch gibt sich Theisen kämpferisch.
„Meiner Meinung nach liegt weder ein Aufruf vor, noch stellt Schottern eine Straftat dar. Ich habe mit meiner Unterschrift meinen Widerspruch zur herrschenden Atompolitik öffentlich bekundet. Schottern ist eine Aktionsform unter vielen, dessen Ziel es ist den Castortransport zu verzögern, um den gesellschaftlichen Widerstand gegen die menschenverachtende Atomenergie sichtbar zu machen,“ sagte er unmittelbar nach dem Urteil.
Die Pressesprecherin der Kampagne „Castor? Schottern!“ Hannah Spiegel sieht die Justiz in der Defensive:
„Das Urteil lässt darauf schließen, dass die Justiz einerseits die Prozesse um „Castor? Schottern!“ vom Tisch haben will, da ihnen klar ist, dass sie rechtlich schlechte Karten haben. Andererseits würde aber eine Einstellung oder gar ein Freispruch ihre Hetze gegen „Castor? Schottern!“ als politische Kriminalisierung und Einschüchterung entlarven.“.

Für die große Mehrheit der Unterzeichner wird ihre Unterschrift keine juristischen Folgen haben, betont Spiegel. Allerdings stehen noch gerichtliche Verfahren gegen mehrere Personen an, de Plakate zur Aktion „Castro? Schottern!“ geklebt haben sollen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/
230265.600-euro-teure-unterschrift.html

Peter Nowak

Blockupy und Mai-Demo

Sicherheitsstaat in Aktion

Nicht erst die Blockupy-Proteste, schon der antikapitalistische Aktionstag am 31.März war ein Beispiel für den Polizeistaat in Aktion. Nachdem es zu Steinwürfen auf verschiedene Gebäude in der Innenstadt gekommen war, wurden mehrere hundert Menschen bis zu sechs Stunden eingekesselt. Der Versuch der Veranstalter, eine kürzere Route anzumelden, um die Demonstration fortzusetzen, wurde von der Polizei abgelehnt und mit deren Auflösung beantwortet.

Das Verhalten der Polizei löste kaum öffentliche Kritik aus. Vielmehr waren in den folgenden Tagen die eingeschlagenen Fensterscheiben das Hauptthema. Damit wurde auch das Verbot der Blockaden am 17./18.Mai begründet. Die in Frankfurt führende, konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung hat maßgeblich das Drehbuch für das Verbot geschrieben.

Die März-Demonstration in Frankfurt

«Stadt muss Flagge zeigen», titelte das Blatt schon am 11.April. «Warum suchen linksextreme Demonstranten immer wieder ausgerechnet diese Großstadt heim? Die Antwort dürfte einfach sein: Weil Frankfurt wie keine andere deutsche Stadt für die Finanzwelt steht und sich deshalb besonders eignet, um den Protest gegen Kapitalismus und die europäische Finanzpolitik kundzutun», schreibt die Faz-Korrespondentin Katharina Iskandahar und listet konkrete Gegenmaßnahmen auf. «Dass es als liberale Großstadt aber auch darum geht, im Sinne der Bürger zu entscheiden und, wenn auch nur symbolisch, ein Verbot auszusprechen, hat die Politik lange Jahre versäumt.»

Dass es sich am Ende nun keinesfalls um ein symbolisches Verbot handelte, dürfte ganz im Sinne der Geschäftswelt gewesen sein. Aber auch Journalisten, die die Repression gegen Blockupy kritisierten, beteiligten sich an der Spaltung in gute und böse Kapitalismuskritiker. So begründet der Kommentator der Taz, Martin Kaul, sein Eintreten für Blockupy mit der Begründung, die «Märzrandalierer» seien daran nicht beteiligt.

Damit wurde eine Demonstration von über 5000 Menschen (am 31.März) unter Generalverdacht gestellt, obwohl die Organisatoren immer betont haben, dass sie eine politische Demonstration planten, die das Ziel, die neue Baustelle der EZB im Frankfurter Osten, erreicht und sich nicht unterwegs in Scharmützel mit der Polizei verwickeln lassen will.

Eine kleine Gruppe von Demonstrierenden setzte sich über diese von den OrganisatorInnen und der übergroßen Mehrheit der Teilnehmenden gewünschte Maßgabe hinweg. Bei der Demonachbereitung in Berlin gab es deshalb eine Diskussion über den Umgang der radikalen Linken mit einem solchen unsolidarischen Verhalten.

Das Problem besteht darin, politische Kritik zu formulieren, ohne in die allseitige Forderung nach Distanzierung von den Autonomen einzustimmen. Besonders die FAU, die Sozialistische Initiative Berlin (SIB) und die Internationalen KommunstInnen (IK) betonten die Notwendigkeit einer politischen Kritik an der scheinmilitanten Aktionen. Nach ihrer Auffassung ist es ein zutiefst autoritäres Verhalten, wenn gegen den Willen des Großteils der Demonstrierenden Scharmützel an der Demoroute provoziert werden, von deren Folgen alle Teilnehmenden betroffen sind.

Zudem würden dadurch Menschen nicht nur aus politischen Gründen abgeschreckt. Schließlich haben Migranten, Eltern mit kleinen Kindern, Personen mit gesundheitlichen Handicaps viele gute Gründe, einer Konfrontation mit der Polizei aus dem Weg zu gehen. So werde der neoliberale Leistungsgedanken reproduziert, wenn nur der Fitteste, Schnellste, Jüngste an Protesten teilnehmen kann.

Es ist auch nicht möglich, mit den politisch Verantwortlichen für die Scharmützel in eine politische Diskussion zu treten, weil sie aus verständlichen Gründen nicht offen auftreten. Damit wird aber die Kritik an ihrem autoritären Verhalten noch unterstrichen. Die Debatte über den notwendigen Umgang damit wird sicher weitergehen.

Die Berliner Mai-Festspiele

Auch in Berlin schränkte die Polizei das Demonstrationsrecht von mehr als 20.000 Menschen massiv ein, die sich am Abend des 1.Mai an einer revolutionären Maidemonstration in Berlin beteiligt hatten. Die hohe Teilnehmerzahl und die Beteiligung von Menschen aller Altersgruppen wurde sogar von den Medien registriert, die bisher die Maidemonstration immer als unpolitisches Ritual einstuften. Als Grund für den Zulauf wurden die unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnisse vieler Menschen im Krisenkapitalismus sowie die zunehmenden Probleme, in Berlin eine bezahlbare Wohnungen zu bekommen, genannt.

Erstmals beteiligte sich die Jugend der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit einem eigenen Wagen. Die Polizei erklärte schon im Vorfeld, die Demonstration werde spätestens vor dem Gebäude des Springerkonzerns enden. Doch der neuralgische Punkt wurde ohne große Zwischenfälle passiert. Danach hätte dem Weg nach Mitte zum angemeldeten Endpunkt am August-Bebel-Platz nichts mehr im Wege gestanden. Doch die politische Botschaft einer großen Demonstration der radikalen Linken, die im den Zentrum der Macht endet, war für die politisch Verantwortlichen nicht tragbar.

Also startete die Polizei in der Höhe des Jüdischen Museum eine Provokation. Ohne Grund stürmte sie in die Spitze der Demonstration, riss Transparente weg und knüppelte auf die Menschen in den vordersten Reihen ein. Es gab zahlreiche Verletzte. Ein Demonstrant lag mehr als zehn Minuten bewusstlos auf dem Straßenpflaster, bevor medizinische Hilfe eintraf. Die Medien nahmen diese Gewalt kaum zur Kenntnis, denn sie ging nicht von den Demonstrierenden aus. Trotzdem löste die Polizei die Demonstration auf.

Wenige Tage später wurde bekannt, dass auf der Route einige Rohrbomben gefunden wurden, die nicht wirklich gefährlich waren, aber einen weiteren Vorwand für ein Demoverbot gegeben hätten, wenn die Polizeiprovokation nicht geklappt hätte.

Die Mai-Demonstration in Frankfurt

Laut Veranstalter demonstrierten am 19.Mai mehr als 25.000 Menschen in der Frankfurter Innenstadt gegen die Politik der EU-Troika.

Das Spektrum der Demonstranten reichte von Gewerkschaften (vorwiegend der GEW), der Linkspartei, Attac bis zu den linksradikalen Bündnissen Ums Ganze und der Interventionistischen Linke. Auch ein großer Block «Gewerkschafter gegen Stuttgart 21» war dabei. Große Gruppen aus Italien und Frankreich drückten das Bedürfnis aus, im europäischen Maßstab Aktionen zu koordinieren und handlungsfähig zu werden.

Aus aktuellem Anlass wandten sich viele Parolen gegen die autoritäre Staats- und Sicherheitspolitik, die in den Tagen vor der Demonstration in den Frankfurter Straßen zu erleben war. Flächendeckende Protestverbote, das Anhalten von Bussen, Aufenthaltsverbote für viele Aktivisten in der Frankfurter Innenstadt haben die Diskussion über den Abbau der Grundrechte parallel zur wirtschaftlichen und sozialen Krise wieder belebt. Die Demonstranten haben dafür den Begriff «Coopucky» kreiert. Tatsächlich hat nur die Polizei das Bankenviertel blockiert. «Ihr habt Euch selbst blockiert», lautete denn auch eine häufig gerufene Parole auf der Demonstration.

Doch das geht am Kern der Vorgänge vorbei. Die Belagerung des Bankenviertels durch die Staatsmacht legte das Bankengeschäft keineswegs lahm. Was die Polizei in den letzten Tagen lahm gelegt hat, war vielmehr der Protest gegen den Krisenkapitalismus. Wenn die Protestorganisatoren in einer Presseerklärung trotzig behaupten: «Die Blockupy-Aktionstage mit der Besetzung des Paulsplatzes und des Römerbergs sowie die heutige Demonstration zeigen: Wir lassen nicht zu, dass Frankfurt zur demokratiefreien Zone wird. Empörung lässt sich nicht verbieten», dann ist das vor allem Zweckoptimismus. Die vergangenen Tage haben vielmehr gezeigt, dass alle Proteste, die über eine Großdemonstration hinausgehen, effektiv behindert wurden.

Statt, wie geplant, die Kritik am Kapitalismus zu artikulieren, stand der Protest gegen die Demokratieeinschränkungen im Mittelpunkt. Die Frankfurter Polizei erklärte nach der Demonstration denn auch, die Bürger seien größtenteils zufrieden. Es herrsche nun das Gefühl, «dass alles nicht so schlimm sei». Das könnte auch erklären, warum die massiven Grundrechtseinschränkungen ohne große Proteste hingenommen wurden.

Die Zahl der Aktivisten war am 17. und 18.Mai kleiner als erwartet. Das hängt damit zusammen, dass es erkennbar schwierig ist, die Krisenproteste mit aktuellen sozialen Kämpfen zu verbinden. So ist in den letzten Wochen wieder viel von einer Schließung des Opelwerks in Bochum die Rede. Dort gibt es eine kämpferische Minderheit in der Belegschaft, die schon vor Jahren mit selbst organisierten Streiks auf sich aufmerksam gemacht hat. Trotzdem war die drohende Schließung von Opel-Bochum auf der Demonstration genauso wenig ein Thema wie die Abwicklung vieler Schlecker-Filialen in den letzten Wochen. Dabei hat die Berliner Schlecker-Gesamtbetriebsrätin Mona Frias einen gewerkschaftlichen Unterstützungsaufruf für Blockupy mit unterzeichnet.

Doch es sind weder in erster Linie die abschreckenden Maßnahmen der Polizei noch große Fehler der Protestorganisatoren, die verhindern, dass Opel- oder Schlecker-Beschäftigte sich massenhaft an den Blockupy-Protesten beteiligen. Die Ungleichzeitigkeit der Krisenpolitik und ihrer Wahrnehmung durch die Betroffenen erschwert einen gemeinsamen Widerstand.

Diese Entkoppelung stellt für Linke ein großes Problem dar, «das keineswegs mit bloßen Appellen und weltweiten Aufrufen bewältigt werden kann», schreiben die Sozialwissenschaftler Peter Birke und Max Henninger in dem von ihnen kürzlich im Verlag Assoziation A herausgegebenen Buch «Krisen Proteste». In zwölf Texten werden die sozialen Bewegungen seit 2009 analysiert. Das Buch liefert einige Anregungen für eine Perspektivdebatte nach Blockupy.

Blockupy und Mai-Demo


Peter Nowak