Knackis in der Altersarmut

Sozialverbände kämpfen für den Rentenanspruch von Inhaftierten. Doch viele Gefängnisse verhindern, dass die Insassen über ihre Rechte aufgeklärt werden.

Jahrzehntelanges Arbeiten ohne Aussicht auf Altersbezüge – genau das droht vielen ehemaligen Strafgefangenen, obwohl sich immer mehr in ei­genen Gewerkschaften organisieren (Jungle World 48/2015).

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Justizminister ignorieren Rentenforderung

JVA Verbände und Gewerkschaften fordern Rentenanspruch und Mindestlohn für Strafgefangene

Mehmet Aykol arbeitet seit über 20 Jahren in einer Druckerei. Dennoch droht ihm Altersarmut, weil er später auf Grundsicherung angewiesen sein wird. Er gehört zu den rund 64.000 Strafgefangenen in Deutschland, die trotz regelmäßiger
Arbeit keine Rentenansprüche haben. „Das widerspricht dem erklärten Ziel des Strafvollzugs, straffällig gewordene Menschen
dabei zu unterstützen, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden“, sagt Michael Löher vom Vorstand des Deutschen Vereins
für öffentliche und privatFürsorge e. V. Er fordert wie andere sozialpolitische Organisationen, dass Strafgefangene einen
Anspruch auf eine Rente haben sollten. Löher & Co. richten ihre Forderung an die Konferenz der Justizminister der Länder, die am 17. November in Berlin tagt. Warum die Rente im Knast erneut nicht auf der Tagesordnung steht, kann die Behörde auf Anfrage der taz nicht erklären. Fakt ist: Das Thema wird wie so oft in den letzten Jahrzehnten vertagt. Schließlich sah das Strafvollzugsgesetz von 1977 bereitsdie Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung vor. Sie wurde bis heute nicht
umgesetzt, weil sich Bund und Länder über die Finanzierung nicht einigen konnten. „Arbeitende Gefangene werden nicht nur gegenüber ihren KollegInnen draußen diskriminiert, sondern auch gegenüber den Strafgefangenen, die als FreigängerInnen außerhalb der Gefängnisse arbeiten und in die Rentenversicherung einbezogen sind“, betont die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe, Gabriele Sauermann. Ganze Familien würden durch den Ausschluss aus der Rentenversicherung stark belastet. Der Sprecher der 2014 gegründeten Gefangenengewerkschaft/ bundesweite Organisation (GG/BO) betont, dass neben der Rente auch die Zahlung von Mindestlohn nötig ist. Die Bundesländer sehen in der Knastarbeit
kein Arbeitsverhältnis, deshalb erhalten Gefangene auch keinen Lohn, sondern „Entgelt“. In der Berliner JVA Tegel etwa
bekommt ein Gefangener zwischen 8 und 15 Euro pro Tag. Das ist ein Stundenlohn weit unter 2 Euro. „Wo aktuell so viel von Altersarmut die Rede ist, können die Strafgefangenen nicht einfach aus der Diskussion ausgespart werden“, kritisiert Löher. Er
benennt ein klares Ziel der Initiative: „Nach den nächsten Bundestagswahlen muss die Rente hinter Gittern Teil der Koalitionsvereinbarungen werden“.

Inland TAZ.DIE TAGESZEITUNGDIENSTAG, 15. NOVEMBER 2016
PETER NOWAK

Keine Rente für Knackis

Strafgefangene in Deutschland müssen hinter Gittern arbeiten. Einen Rentenversicherungsanspruch erhalten sie dadurch jedoch nicht. Eine Gefangenengewerkschaft will das ändern.

Angesichts von Niedriglöhnen und prekären Arbeitsverhältnissen droht vielen Menschen die Altersarmut. In einer Gesellschaft, in der viele Menschen von der Lohnarbeit nicht mehr leben können, reicht auch die Rente allerhöchstens zum Sterben. Tausenden Menschen, die oft über Jahre gearbeitet haben, ist schon heute die Altersarmut sicher. Es handelt sich um Strafgefangene. Sie werden noch immer nicht in die Rentenversicherung einbezogen. Dabei sah das 1977 von der damaligen sozialliberalen Koalition beschlossene Strafvollzugsgesetz genau das ausdrücklich vor. Doch bis heute wurde dieses Gesetz nicht erlassen. Die Bundesregierung hat bereits 2011 die Gründe klar benannt: »Die aufgeschobene Inkraftsetzung der Regelungen im Strafvollzugsgesetz beruht im Wesentlichen auf finanziellen Vorbehalten der Bundesländer, welche die Beiträge zur Sozialversicherung übernehmen müssten. Die Vorbehalte bestehen unverändert.«

Das zeigte sich erneut, als sich vor zwei Wochen die Justizminister der Länder zu ihrer turnusmäßigen Herbstkonferenz in Berlin trafen. Mit einer Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung befassten sich die Minister nicht. »Es ist skandalös, wie schleppend das grundrechtliche Anliegen der arbeitenden Strafgefangenen, in das Rentensystem einbezogen zu werden, behandelt wird«, so Martin Singe von der »Arbeitsgruppe Strafvollzug« im »Komitee für Grundrechte und Demokratie«. Die Organisation setzt sich seit Jahren für die Rechte von Gefangenen ein.

Bereits vor einigen Monaten richtete das Komitee an sämtliche Länderjustizminister ein Schreiben, in der die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung angemahnt wird. Aus den Antwortbriefen wird deutlich, dass es sowohl bei CDU und CSU als auch bei der SPD noch immer entschiedene Gegner dieser sozialen Gleichbehandlung gibt. Zu denen gehört auch die Justizministerin von Schleswig-Holstein, Anke Spoorendonk. Die Politikerin des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), der Partei der dänischen Minderheit, die gemeinsam mit SPD und Grünen in dem Bundesland regiert, behauptet in dem Schreiben an das Grundrechtekomitee, eine Einbeziehung in die Rentenversicherung würde für die meisten Gefangenen keine Auswirkungen auf die Reintegration in die Gesellschaft haben. Wenn es doch welche gäbe, seien die Gefangenen selber schuld, so die Logik der Ministerin. Soweit es tatsächlich zu finanziellen Auswirkungen durch die Nichteinbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung komme, handle es sich »um eine Folge einer vorangegangenen eigenverantwortlichen – wenn auch strafrechtlich sanktionierten – Lebensführung der Strafgefangenen«, welche dem Betroffenen und nicht dem Staat zuzurechnen sei, schrieb Spoorendonk.

Auch das von SPD und Grünen regierte Rheinland-Pfalz gehört weiterhin zu den Gegnern einer Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung. Dabei verschweigt das zuständige Ministerium die Gründe nicht, mit denen die Altersarmut von Tausenden von Menschen in Kauf genommen wird. »Nach Einschätzung des rheinland-pfälzischen Ministeriums der Justiz würde eine solche Rentenversicherungspflicht nicht zu einer wirkungsvollen Verbesserung der sozialen Absicherung führen. Im Gegenzug würde das Land Rheinland-Pfalz jedoch zur Finanzierung der Rentenversicherungsbeiträge mit entsprechenden Kosten belastet werden.«

Eine solch ignorante Haltung können sich die Politiker auch deshalb leisten, weil es bis auf das Grundrechtekomitee kaum Gruppen gibt, die sich für gleiche soziale Rechte für Gefangene einsetzen. Das war in den siebziger Jahren noch anders. Damals galt auch unter Juristen und Kriminologen die Devise »Resozialisierung statt Strafe«, auf breiter Front wurden soziale Rechte für Strafgefangene gefordert. Im Jahr 1975 gab es in Bielefeld eine Tagung unter dem Titel »Die Gewerkschaften und die soziale und ökonomische Situation der Strafgefangenen und Entlassenen«. Die auf der Konferenz gehaltenen Reden finden sich in dem von Klaus Lüdersen, Karl F. Schumann und Manfred Weis im Suhrkamp-Verlag herausgegebenen Band »Gewerkschaften und Strafvollzug«, der nur noch antiquarisch erhältlich ist.

40 Jahre nach der Tagung hat sich eine Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO) gegründet, deren zentrale Forderungen die Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung und in den Mindestlohn sind (Jungle World 2/2015 und 21/2015). Diese Forderungen artikulierte die GG/BO auch am Rande der Justizministerkonferenz vor zwei Wochen. Es müsse endlich Schluss sein mit den »vorwilhelminischen Arbeitsverhältnissen« mitten in Deutschland, erklärte GG/BO-Sprecher Oliver Rast.

Die Umsetzung einer bereits vor 38 Jahren im Bundestag beschlossenen Regelung wird auch von dem Engagement der Betroffenen abhängen. Die GG/BO wächst schnell, sie hat bereits über 800 Mitglieder. Dabei beschränken sich die Kollegen hinter Gittern nicht auf die Mitgliedschaft. In der JVA Butzbach haben Gewerkschaftsmitglieder eine Petition unter dem Motto »Volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern« verfasst. Neben der Einbeziehung in die Rentenversicherung und dem Mindestlohn fordern sie die Abschaffung des Arbeitszwangs im Gefängnis. Sollte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) bis zum 1. Dezember nicht zu Verhandlungen bereit sein, wollen mehrere Gewerkschaftsmitglieder in der JVA Butzbach für diese Forderung in den Hungerstreik treten.

http://jungle-world.com/artikel/2015/48/53061.html

Peter Nowak

Gefangene büßen zusätzlich durch Altersarmut

Organisationen und nun auch eine eigene Gewerkschaft fordern von Justizministern die Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung

Fast 40 Jahre alt ist die Forderung nach einer Rentenversicherung für ehemalige Strafgefangene. Die Justizminister sind damit nun erneut konfrontiert.

Das Grundrechtekomitee führt den Resozialisierungsauftrag der Gesellschaft ins Feld: Danach sollen die Lebensbedingungen von ehemaligen Strafgefangenen weitestmöglich den üblichen Lebensbedingungen angeglichen werden. Schädlichen Folgen der Haft ist entgegenzuwirken. Martin Singe vom Komitee erinnert zudem an die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Diese fordern die Einbeziehung von Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme. Trotzdem gibt es in Deutschland keine gesetzliche Rentenversicherung für Strafgefangene. Das Grundrechtekomitee, die Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S) und weitere Organisationen der Straffälligenhilfe haben deshalb die Justizministerkonferenz aufgefordert, diesen Missstand endlich abzuschaffen.

Erneut aufgefordert, muss man sagen. Sozialstaatsgebot, Gleichheitsgrundsatz und Resozialisierungsprinzipien, die Martin Singe zur Begründung anführt, veranlassten bereits vor fast vier Jahrzehnten eine Mehrheit der Parlamentarier im Bundestag zum Handeln. Im 1976 beschlossenen und 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz wurde eine Regelung für die Einbeziehung von Gefangenen in die Rentenversicherung angekündigt. Als Bemessungsgröße waren 90 Prozent des Durchschnittslohns aller Versicherten angegeben. In den 70er Jahren diskutierten auch kritische Juristen, Kriminologen und Strafrichter ausführlich über die Stärkung von sozialen und politischen Rechten von Strafgefangenen. Es gab dazu einen Kongress in Bielefeld; ein Buch zum Thema im Suhrkamp-Verlag wurde mehrmals aufgelegt. Mit der Stärkung der Gefangenenrechte sollte die Leitidee der Resozialisierung vorangetrieben werden.

Doch das versprochene Bundesgesetz ist bis heute nicht erlassen worden. Zumindest ist das Thema wieder in der öffentlichen Debatte, seit das Grundrechtekomitee 2011 eine Internetpetition mit der Forderung initiierte, die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung endlich umzusetzen. Dass das angekündigte Gesetz so lange verschleppt wurde, liegt auch daran, dass Gefangene keine Lobby haben. Noch immer gibt es in der Öffentlichkeit Stimmen, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Menschen soziale Rechte verweigern wollen.

Seit mehr als einem Jahr macht sich auch die im Mai 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO) für die Rechte der Gefangenen stark. In einem Offenen Brief an die Bundesjustizminister wird der Ausschluss der Häftlinge aus der Rentenversicherung als politisch nicht zu rechtfertigen und juristisch zumindest fragwürdig bezeichnet. »Der durch die fehlende Rentenversicherung entstehende Schaden für die Gefangenen kommt einer Doppelbestrafung gleich. So werden sie nach Absitzen der Haftstrafe durch verminderte oder fehlende Rentenansprüche noch einmal sanktioniert und schlimmstenfalls faktisch zur Altersarmut verurteilt«, erklärt der Sprecher der GG/BO Oliver Rast gegenüber »neues deutschland«. Für die Gefangenengewerkschaft, die mittlerweile bundesweit knapp 800 Mitglieder hat, gehören Rentenversicherung und ein Mindestlohn auch im Gefängnis zusammen, um zu verhindern, dass der Weg aus dem Gefängnis direkt in die Altersarmut führt.

ttps://www.neues-deutschland.de/artikel/974886.gefangene-buessen-zusaetzlich-durch-altersarmut.html

Peter Nowak

Strafgefangene verdienen eine Rente

LINKE erinnert mit Antrag an Ankündigung von 1976

»Wiedereingliederung fördern – Gefangene in Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen«. So ist ein Antrag überschrieben, den die Fraktion der Linkspartei am 18. Dezember in den Bundestag einbringen will. »Bis heute unterliegen Strafgefangene und Sicherungsverwahrte in der Bundesrepublik Deutschland einer gesetzlichen Arbeitspflicht. Ihre Arbeitstätigkeit wird aber nicht im gleichen Maße sozialrechtlich geschützt wie Arbeit außerhalb der Haft«, heißt es zur Begründung. Dabei wurde bereits in dem 1976 vom Bundestag beschlossenen Strafvollzugsgesetz die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung angekündigt. Als Bemessungsgröße waren 90 Prozent des Durchschnittslohnes aller Versicherten angegeben. Das versprochene Bundesgesetz wurde jedoch bis heute nicht erlassen.

Martin Singe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie nennt die Verweigerungshaltung einen politischen Skandal. Das Komitee hatte 2011 eine Internetpetition mit der Forderung initiiert, die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung endlich umzusetzen. Über die Hälfte der 5770 Unterzeichner waren selbst Strafgefangene. Damit wurde deutlich, dass die Forderung in großen Teilen der Öffentlichkeit ignoriert wird, während es für die Betroffene eine große Dringlichkeit besitzt. »Viele vor allem Langzeitgefangene werden in die Altersarmut entlassen, auch wenn sie jahrelang im Gefängnis gearbeitet haben«, berichtet der Gefangenenbeauftragte des Grundrechtekomitees Christian Herrgesell. Viele Briefe, die das Komitee täglich aus den Knästen erreichen, drehen sich um dieses Thema. Mehrere Gefangene versuchten erfolglos, auf dem Klageweg ihre Einbeziehung in die Rentenversicherung zu erreichen. Die Gerichte wiesen die Klagen mit der Begründung ab, dass die 1976 formulierte Selbstverpflichtung nicht einklagbar sei.

»Ich werde doppelt bestraft«, sagt Joachim L. gegenüber nd. Er saß fast zehn Jahre in verschiedenen Gefängnissen und ist jetzt im Rentenalter. »Ich habe im Knast täglich acht Stunden gearbeitet. Doch für die Rentenversicherung spielt das keine Rolle. Jetzt musste ich Grundsicherung beantragen«. Dabei wollte der Gesetzgeber eine solche Doppelbestrafung 1976 ausschließen, als er die Rentenversicherung für Gefangene ankündigte. »Es ist nicht gerechtfertigt, neben den notwendigen Einschränkungen, die der Freiheitsentzug unvermeidbar mit sich bringt, weitere vermeidbare wirtschaftliche Einbußen zuzufügen«, hieß es damals. Oliver Rast, der Mitbegründer der im Mai 2014 gegründeten Gefangenengewerkschaft, hält die Einbeziehung der Häftlinge in die Rentenversicherung für überfällig, aber nicht für ausreichend. »Es muss auch der Mindestlohn für Gefangene her.« Rast verweist auf die zunehmenden Gewinne durch Gefangenenarbeit, die weitgehend ausgeblendet werden. Mit diesen Forderungen wurde die Gefangenengewerkschaft in den Knästen populär. Innerhalb weniger Wochen schlossen sich ihr bundesweit mehr als 350 Gefangene an.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/955907.strafgefangene-verdienen-eine-rente.html

Peter Nowak