Wenn der EuGH auch den absoluten Vorrang des EU-Rechts propagiert, so besteht weiter das Problem, dass die Entscheidung nicht von allen Regierungen anerkennt wird. Der Machtkampf zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Eliten in osteuropäischen Staaten und den EU-Institutionen hat sich durch die EuGH-Entscheidung verschärft. Es ist allerdings noch längst nicht klar, wer da die Oberhand gewinnt. Eine linke Bewegung sollte es tunlichst vermeiden, sich bei diesen innerkapitalistischen Kampf auf einer Seite zu positionieren.
Eigentlich hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am 21. Dezember nur über zwei Gesetzesvorlagen aus Rumänien geurteilt. Es ging dabei um Korruptionsprozesse gegen verschiedene Politiker. Sie waren zunächst von rumänischen Gerichten verurteilt worden. Das rumänische Verfassungsgericht hatte die Urteile mit Verweis auf Verfahrensfehler wieder aufgehoben. Richter des Obersten rumänischen Gerichtshofs hatten nun den …
Der Gerichtshof entscheidet gegen Polen, Ungarn und die Tschechische Republik wegen der Verteilung der Flüchtlinge 2015 - doch die innenpolitischen Verhältnisse in der EU sind längst in einer anderen Realität
Da könnte man auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs bezogen sagen: Unsolidarisch ist es nach Ansicht großer Teile der Medien, wenn Ungarn, Polen, Tschechien Migranten nicht aufnehmen, die gar nicht dort hinwollen. Sollten sie sich aus eigenem Antrieb in die Länder aufmachen, in die sie eigentlich wollen, beispielsweise nach Deutschland, wird dagegen mit aller Härte des Rechts vorgegangen, Abschiebungen inklusive.
Fast unisono wurde das jüngste Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gelobt, das den Regierungen von Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik bescheinigte, EU-Recht verletzt zu haben, weil sie sich 2015 …..
Mit der Stabilisierung des ins Wanken geratenen Systems von Dublin soll die Autonomie der Migration ausgebremst werden. Ein Kommentar
Gleich drei Mal gab es heute von dem europäischen Gerichtshof in Luxemburg Urteile bzw. juristische Vorentscheidungen. In zwei Fällen wurde das Recht von Migranten ignoriert, in einem Fall bekam der Kläger Recht, weil die Frist abgelaufen war.
Die am meisten diskutierte Entscheidung[1] soll das Dubliner Flüchtlingsregime wieder ins Recht setzen, das seit Jahren von Flüchtlingsorganisationen bekämpft und von Migranten im Herbst 2015 real außer Kraft gesetzt wurde. Die als Flüchtlingskrise apostrophierte Situation im Herbst 2015 war eigentlich nichts anderes als die Ermächtigung von Migranten, sich über die Regularien hinwegzusetzen, die ohne und gegen ihren Willen gemacht wurden.
Auch die Kläger gehörten dazu. Geklagt hatte ein Syrer, der über die Westbalkanroute nach Slowenien eingereist war, sowie zwei Afghaninnen, die ebenfalls über die Westbalkanroute nach Österreich gekommen waren. Sie stellten ihre Asylanträge in Slowenien und Österreich, doch die Länder wollten die Anträge nach Kroatien übergeben, da es das erste EU-Land war, das sie während der Durchreise betreten hatten.
Die Richter des EuGH verwarfen ihre Klage und entschieden, dass sie ihren Asylantrag in dem Land stellen müssen, in dem sie zuerst den EU-Raum betreten haben, in diesem Fall war es Kroatien.
Aber immer an die Fristen halten
In einem zweiten Verfahren zum Dublin-System bestimmten die Luxemburger Richter Fristen im Asylverfahren. Ein in Deutschland lebender Eritreer wehrt sich gegen seine Überstellung aus der Bundesrepublik nach Italien, wo er zuerst den EU-Raum betrat. Das Land wäre also nach dem Dublin-System für ihn zuständig.
Da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf[2]) aber Fristen nicht eingehalten hat, muss jetzt Deutschland über seinen Asylantrag entscheiden. Während das BAMF erst ein Jahr, nachdem der Mann seinen Antrag gestellt hatte, die Rückkehr nach Italien verlangte, hätte das bereits nach drei Monaten erfolgen müssen. Ein zentraler Passus dieses Urteil stärkt tatsächlich die Rechte von Geflüchteten:
Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn der mit der Durchführung der sich aus der Dublin III – Verordnung ergebenden Verpflichtungen betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Staatsangehöriger eines Nicht-EU-Landes um internationalen Schutz ersucht hat, oder , gegebenenfalls, wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen (und nicht das Schriftstück selbst oder eine Kopie davon) zugegangen sind.
EuGH-Urteil
Klage von osteuropäischen Ländern soll abgewiesen werden
Zudem wurde heute der Antrag des Generalanwalts des EuGH bekannt, die Klage der ungarischen und slowakischen Regierung gegen die Aufnahme von Migranten abzuweisen[3]. Beide Länder hatten sich dagegen gewehrt, dass sie der Europäische Rat durch einen Mehrheitsbeschluss zur Aufnahme von Migranten zwingen will.
In der Empfehlung zur Ablehnung der Klage sind die technokratische Begründung und strukturell rassistische Metaphern auffallend. So heißt es dort zur Begründung über die Regelung zur Verteilung der Menschen:
Dieser Mechanismus trägt wirksam und in verhältnismäßiger Weise dazu bei, dass Griechenland und Italien die Folgen der Flüchtlingskrise von 2015 bewältigen können. Als Reaktion auf die Flüchtlingskrise, die im Laufe des Sommers 2015 über Europa hereinbrach, erließ der Rat der Europäischen Union einen Beschluss, um Italien und Griechenland bei der Bewältigung des massiven Zustroms von Migranten zu unterstützen. Der Beschluss sieht vor, dass 120.000 Personen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, über einen Zeitraum von zwei Jahren aus diesen beiden Mitgliedstaaten in die anderen Mitgliedstaaten der Unionumgesiedelt werden.
EuGH
Das Recht der Migranten, mit zu entscheiden, in welchem Land sie leben wollen, wird nicht erwähnt. Zudem werden mit der Metapher von der Flüchtlingskrise, die im Sommer 2015 über Europa hereingebrochen sein soll, Bilder von einer Menschenflut aufgerufen, die die EU überschwemmen würde. Was hier als „Flüchtlingskrise“ apostrophiert wird, ist die Weigerung sämtlicher europäischer Regierungen, legale Einreisemöglichkeiten für Migranten einzurichten.
Dass nun besonders Italien und Griechenland von der Autonomie der Migration betroffen sind, liegt genau an dem Dubliner Regime, das der EUGH wieder stabilisieren will. Es soll verhindern, dass die Länder in Kerneuropa, vor allem Deutschland, Zielort für die Migranten werden. Deshalb wurde dieses Dubliner System auch auf wesentliche Initiative von Deutschland errichtet und wird auch von deutschen Politikern verteidigt.
Innerhalb der EU ist das Dublin-Abkommen daher sehr umstritten. Der EuGH hat sich hier auch wieder einmal zum Vollstrecker der Interessen des europäischen Hegemons Deutschland gemacht. Die Interessen der Migranten hingegen werden durch den Versuch, das längt gescheiterte Dublin-Regime wieder aufzurichten, ebenso ignoriert wie durch den Versuch, Migranten in Länder wie Ungarn und die Slowakei anzusiedeln, wo sie in der Regel nicht leben wollen.
Eine Neuauflage des Herbst 2015 könnte das Dublin-System noch mehr erschüttern
Bei der Kommentierung der heutigen Urteile wurde viel Zeit dafür aufgebracht zu erklären, dass der EuGH ausdrücklich erklärt hat, dass Länder vom Dublin-Abkommen abweichen und Geflüchtete aus anderen Ländern aufnehmen können.
Damit sollte Merkel gegen den Vorwurf von rechts verteidigt werden, sie habe im Herbst 2015 mit der Aufnahme von Migranten Recht gebrochen. Das aber die Entscheidungen die Rechte der Migranten negieren und die Menschen wie Pakete hin- und herschieben sollen, wurde kaum thematisiert. Schon wird nicht nur in rechten Kreisen vor einer Neuauflage des Herbst 2015 gewarnt. Nach diesem Szenario könnte Italien allen Migranten die Ausreise in den Norden gestatten.
Die Gründe dafür sind größtenteils ebenso rassistisch wie die der osteuropäischen Regierungen, die keine Migranten aufnehmen wollen. Doch für die Migranten wäre eine solche Regelung ein Glück, weil sie bis auf wenige Ausnahmen gar nicht in diesen Ländern leben wollen.
So könnte eine Neuauflage des Herbstes 2015 das System von Dublin, das nur den Interessen von Deutschland dient, endgültig zum Einsturz und die Rechte der Migranten wieder auf die Tagesordnung bringen. Die werden eben nicht durch Gerichte, sondern die Selbstorganisation der Betroffenen erkämpft, das machten die heutigen Entscheidungen des EuGH wieder deutlich.
https://www.heise.de/tp/features/Rechte-von-Migranten-werden-vom-EuGH-ignoriert-3784399.html
Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3784399
Links in diesem Artikel:
[1] https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_16799
[2] http://www.bamf.de/DE/Startseite/startseite-node.html
[3] https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2017-07/cp170088de.pdf
Während man sich in Europa über die restriktiven Flüchtlingsgesetze der Trump-Regierung echauffiert, wird die Festung Europa weiter ausgebaut
Ungarn will alle Flüchtlinge im Land künftig in Transitzonen nahe den Außengrenzen festhalten, bis über ihr Asylverfahren endgültig entschieden wurde (vgl. Ungarn: „Verpflichtender Aufenthaltsort“ für Flüchtlinge und ein böses Spiel[1]). Das Parlament in Budapest verabschiedete einen entsprechenden Gesetzentwurf am Dienstag mit den Stimmen der rechtskonservativen Regierung sowie der oppositionellen faschistischen Jobbik-Partei. Es ist den Asylbewerbern somit unmöglich, sich in Ungarn frei zu bewegen, so lange ihr Verfahren läuft.
Der Europäische Gerichtshof[2] hat ebenfalls heute entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten keine humanitären Kurzzeitvisa ausstellen müssen (EuGH lehnt Pflicht für humanitäre Visa für Flüchtlinge ab[3]) Ein syrisches Ehepaar aus Aleppo hatte geklagt, nachdem es in der belgischen Botschaft in Beirut Anträge für sich und die beiden Kinder stellte.
Wäre dem Antrag stattgegeben worden, hätte eine Bresche in die Festung Europas geschlagen werden können. Denn im Vorfeld hatte der Generalstaatsanwalt mit einer humanitären Argumentation dafür plädiert, diese Visa zu gewähren. Oft folgt der Gerichtshof diesen Anregungen, in diesem Fall allerdings nicht[4]. Die Regierungen der EU-Staaten sind zufrieden, denn so bleibt das bisherige System der Flüchtlingsabwehr erhalten, das dafür sorgt, dass immer wieder Menschen im Mittelmeer ertrinken.
Da die politischen Verhältnisse in den meisten europäischen Ländern eine Veränderung der restriktiven Flüchtlingsgesetze in absehbarer Zukunft kaum als realistisch erscheinen lassen, erhoffen sich viele Nichtregierungsorganisationen humanitäre Akzente eher über juristische als über politische Entscheidungen. Doch das heutige Urteil machte einmal mehr deutlich, dass diese Hoffnungen sehr begrenzt sind. Es kommt schon vor, dass Gerichte manchmal fortschrittlicher sind als die Politiker.
Aber dabei geht es immer um das gesamtstaatliche Interesse, das öfter im Widerspruch zu partikularen Interessen von Politikern geraten kann. So haben Gerichtsentschiede öfter auch eine beruhigende Funktion, wenn Politiker gesellschaftliche Probleme ignorieren und damit gesellschaftliche Widersprüche zu groß werden. Doch gerade in der Flüchtlingsfrage steht in den meisten europäischen Ländern der Großteil der Bevölkerung hinter der harten Haltung, die auch die meisten Politiker an den Tag legen.
Wo es soziale Proteste gibt, ist auch die Bereitschaft größer, Flüchtlinge willkommen zu heißen
Ausnahmen gibt es in Katalonien, wo es Massendemonstration für eine humanitäre Flüchtlingspolitik gab (vgl. Menschenflut für Flüchtlinge in Barcelona[5]). Das macht auch deutlich, dass Erklärungen kurzschlüssig sind, die die Abwehr von Geflüchteten mit den Krisenlasten erklären, die viele Menschen zu tragen haben.
Da wird suggeriert, wo Menschen schon Not und Mühe haben, um über die Runden zu kommen, sei es fast natürlich, dass Flüchtlinge abgelehnt werden. Doch diese Erklärung ist falsch. Nicht die Krise, sondern die Frage, wie sich die Menschen diese Krise und ihre Prekarisierung erklären, entscheidet, ob sie Flüchtlinge eher ablehnen oder willkommen heißen.
Wenn sie sozialchauvinistischen Vorstellungen folgen, sehen sie in Geflüchteten, aber auch in Kolleginnen und Kollegen Konkurrenten, die sie ablehnen. Doch, wo es soziale Bewegungen gibt, die mit emanzipatorischen Ansätzen der Selbstorganisation auf die Krise reagieren, wie in Spanien, werden Geflüchtete willkommen geheißen wie in Barcelona.
Weil solche emanzipatorischen sozialen Bewegungen heute in Europa selten sind, sind auch Massenbewegungen für ein Willkommen für Geflüchtete so selten. Eher dominiert die Flüchtlingsabwehr wie in Ungarn, in Österreich oder auch in Deutschland. Es gibt dabei sicher graduelle Unterschiede in den unterschiedlichen EU-Ländern. Doch sie eint der Wille, den Flüchtlingen den Zugang nach Europa möglichst schwer zu machen.
Daher ist es auch so heuchlerisch, wenn sich nach dem Wahlsieg von Trump in den USA Europa als humanitäre Alternative geriert. Während man sich über die geplante Mauer zwischen den USA und Mexiko in der EU echauffiert und sogar überlegt, Trump die Einreise in einige europäische Länder zu erschweren, wird die Festung Europas selber immer mehr ausgebaut. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und die ungarischen Gesetze haben diese Festung noch ein Stück weiter verschlossen.
Der Europäische Gerichtshof hat wieder einmal Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik im Detail geübt, doch weitere Verschärfungen sind schon angekündigt
Künftig müssen Abschiebehäftlinge in gesonderten Einrichtungen untergebracht werden und dürfen nicht gemeinsam mit Strafgefangenen zusammen inhaftiert werden. Das Urteil war erwarten worden. Schon vor einigen Monaten hatten die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter [1] in einem Bericht die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in Gefängnissen kritisiert und mahnte eine grundlegende Änderung [2] der Abschiebehaftbedingungen an.
Außerdem hatte der Generalanwalt Yves Bot schon viel früher erklärt, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in gewöhnlichen Gefängnissen einen Verstoß gegen die „Menschenwürde von Migranten“ darstelle. Da der EuGH in der Regel den Erklärungen des Generalanwalts folgte, hätte die Politik in Deutschland genug Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten. Doch noch immer gibt es mehrere Bundesländer, die keine eigenen Einrichtungen für Flüchtlinge haben und diese mit Strafgefangenen zusammensperren.
Der EuGH hat nun entschieden, dass diese Praxis unter keinen Umständen zulässig ist, selbst dann nicht, wenn Abschiebehäftlinge einen Aufenthalt im Gefängnis wünschen. Die Richter begründeten ihr Urteil damit, dass der Freiheitsentzug der Flüchtlinge keine Strafe sei und sie deshalb in speziellen Einrichtungen untergebracht werden müssen, in denen die „besonderen Bedürfnisse“ ihrer Familien und Kinder zu berücksichtigen seien.
Abschiebehäftlinge freilassen
Die Organisation Pro Asyl hat sofort nach der Entscheidung eine Forderung gestellt [3], die konsequent wäre, wenn man die Begründung des Urteils ernst nimmt. Sie forderte nämlich die Abschiebehäftlinge endlich freizulassen. Denn wieso sollen Menschen, die keine Straftat begangen haben, nur weil sie ihr Recht auf Bewegungsfreiheit wahrnehmen, überhaupt eingesperrt werden? Würde eine Freilassung nicht die besonderen Bedürfnisse ihrer Familien und Kinder wirklich berücksichtigen?
Schließlich bleibt auch eine Sondereinrichtung für Abschiebehäftlinge noch immer ein Gefängnis, solange die Menschen dort eingesperrt sind. Alljährlich gibt die Antirassistische Berlin eine gut belegte Dokumentation [4] über die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und deren tödliche Folgen heraus.
Dort sind auch immer wieder Fälle von Selbstmorden aufgelistet, die Flüchtlinge nicht nur in Abschiebehaft, sondern auch in Offenen Heimen irgendwo am Rande der Städte verüben. Wieso soll also eine geschlossene Sondereinrichtung dann aus menschenrechtlicher Sicht akzeptabel sein? Allein die Tatsache, dass Flüchtlinge auf eigenen Wunsch lieber in ein Gefängnis als in eine Sondereinrichtung gehen, weil sie dort Kontakt mit Menschen haben, die ihre Sprache sprechen, zeigt auf, dass eben ein besserer Knast keine Lösung ist.
„Dann bleibt einem das Wort Willkommenskultur im Halse stecken“
Man muss darauf achten, wie schnell die zuständigen Länderbehörden das Urteil umsetzen. Doch zum Optimismus in Bezug auf die Flüchtlingsrechte besteht kein Grund. Schließlich sieht ein Referentenentwurf des Bundesinnenministers eine Verschärfung der Regelungen für Asylanten vor. Sie sollen schneller ausgewiesen und auch schneller in Abschiebehaft [5] kommen.
Haft wäre schon dann möglich, wenn jemand „unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist ist“, Identitätspapiere wie Ausweise vernichtet oder „eindeutig unstimmige oder falsche Angaben gemacht hat“, wie es im Gesetzentwurf heißt. Der liberale Kolumnist der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl kommentierte [6] die geplanten Gesetzesverschärfungen mit eindeutigen Worten:
Landauf, landab ist derzeit von der „Willkommenskultur“ die Rede. Doch beim neuen Gesetzentwurf zur Asylpolitik bleibt einem dieses Wort im Halse stecken. Er ist das Schärfste und Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit langem eingefallen ist.
Der Europäische Gerichtshof hat die Rechte von Flüchtlingen in der EU gestärkt, die als Homosexuelle in ihren Heimatländern verfolgt werden. In dem konkreten Verfahren (Aktenzeichen: C-199/12, C-200/12, C201/12) ging es um drei Männer aus Sierra Leone, Uganda und Senegal. Sie hatten in den Niederlanden Asyl beantragt und darauf verwiesen, dass ihnen in ihren Heimatländern wegen ihrer Homosexualität Repressalien drohen. Ihr Asylantrag war in den Niederlanden mit der Begründung zurückgewiesen worden, dass sie nicht nachgewiesen hätten, ob sie tatsächlich verfolgt würden. Zudem könnten sie nicht erwarten, dass sie in ihren Heimatländern ihre sexuelle Orientierung ebenso frei ausleben können wie in den Niederlanden, argumentierte das Gericht.
Genau diesem Grundsatz hat der Europäische Gerichtshof jetzt diametral widersprochen. „Von Homosexuellen wird nicht verlangt, dass sie ihre Neigung bei ihrer Rückkehr verbergen“, heißt es in dem Urteil.
Zudem hat das Gericht erstmals explizit erklärt, dass die Homosexuelle eine soziale Gruppe darstellen kann, die wegen ihrer Verfolgung in der EU Asyl beantragen kann. So heißt es in dem Urteil: „Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet.“
Diese Entscheidung stärkt die Rechtsposition von Menschen, die wegen Verfolgung auf Grund ihrer sexuellen Orientierung geflohen sind. Schließlich gibt es auch in Deutschland nicht nur in religiösen Kreisen Menschen, die Homosexuelle allenfalls dann zu tolerieren bereit sind, wenn sie nur im privaten Rahmen auftreten und nicht an die Öffentlichkeit gehen. Dass dieses Ansinnen selbst schon eine Menschenrechtsverletzung darstellen kann, hat der Europäische Gerichtshof mit seiner Entscheidung deutlich gemacht.
Es hat damit auch verschiedenen kulturalistischen Argumenten widersprochen, die oft herangezogen werden, wenn Menschen Flüchtlingsrechte verweigert werden sollen. Dann wird oft erklärt, man müsse die Kultur und die Gepflogenheiten in den jeweiligen Herkunftsländern zum Maßstab nehmen. Damit wird aber explizit ein Standpunkt eingenommen, der als Kulturrassismus bezeichnet wird und auch bei vielen rechten Gruppen an Einfluss gewinnt. Danach wären bestimmte Rechte, wie sie in Deutschland erkämpft worden, die in anderen Ländern überhaupt keine Grundlage haben. So wird nach dem Motto verfahren, in diesem oder jenen Land sind eben noch solche Bräuche und Rituale lebendig und man solle daher nicht den Maßstab anwenden, der bei uns durchgesetzt wurde. Ein solcher kulturrelativistischer Ansatz verletzt die Rechte jener Menschen, die das Pech haben, in bestimmten Ländern zu leben. Er würde auch einer zusätzlichen Spaltungslinie Tür und Tor öffnen. Es gäbe Menschen, die das Recht hätten, beispielsweise ihre Homosexualität auszuleben, und andere hätten eben Pech gehabt.
Problem, überhaupt in die EU zu kommen
So sehr Flüchtlings- und Antirassismusgruppen das Urteil als Durchbruch zu einer Stärkung der Rechte von Homosexuellen begrüßen, so klar ist aber auch, dass damit noch nichts über die konkrete Umsetzung in Europa ausgesagt ist. Denn dahin müssen die Menschen erst einmal kommen, um konkrete Fluchtgründe angeben zu können. Doch das wird immer schwieriger, weil dank Frontex und anderer Einrichtungen immer mehr Geflüchtete erst gar nicht nach Europa gelassen werden.
Erst vor wenigen Tagen hat Pro Asyl mitgeteilt, dass viele Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze zurückgewiesen werden. Dabei seien zahlreiche gesetzliche Grundlagen verletzt worden. Auch Frontex sei involviert gewesen.
Es ist davon auszugehen, dass die Festung Europa nicht nur an der türkisch-griechischen Grenze verteidigt wird. Liberale Richtersprüche, die die Position der Geflüchteten stärken, können sogar bewusst damit beantwortet werden, dass diese Menschen gar nicht in den gemeinsamen Rechtsraum gelangen können.
Drei wegen Mordes zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilte Briten könnten europäische Rechtsgeschichte geschrieben haben
Die Briten hatten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR) geklagt, weil eine Gesetzesänderung in Großbritannien dafür gesorgt hat, dass zu lebenslänglichen Haftstrafen Verurteilte kaum Chancen haben, das Gefängnis noch einmal lebend zu verlassen.
2003 hat das britische Parlament seine Gesetzgebung geändert. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden lebenslange Haftstrafen nach 25 Jahren vom britischen Justizminister überprüft. Er hatte das Recht, Strafen zu verkürzen. Diese Bestimmung war 2003 abgeschafft worden, ohne dass eine andere Überprüfungsmöglichkeit geschaffen wurde. Heute können zu lebenslänglichen Haftstrafen Verurteilte nur dann in Freiheit kommen, wenn sie vom Justizminister begnadigt werden. Der macht davon selten Gebrauch, weil auch in der britischen Bevölkerung harte Strafen immer auf Zustimmung in großen Teilen der Bevölkerung stoßen.
Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes hat heute in einem Urteil entschieden, dass der Umgang Großbritaniens gegen die europäische Menschenrechte verstoße. Konkret gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, wie sie in Artikel 3 der Konvention der Europäischen Menschenrechte festgelegt wird, wie die Richter erklären. Vor einigen Monaten hatte die kleine Kammer des Gerichts die britische Praxis noch gebilligt.
Die Entscheidung bedeutet allerdings nicht, dass die Kläger jetzt automatisch freigelassen werden. Das hängt davon ab, ob sie als gefährlich eingestuft werden. Damit hat der Gerichtshof eben nicht lebenslängliche Haftstrafen generell moniert, sondern nur Regelungen, die keinerlei Überprüfungen vorsehen. Vor allem Häftlinge, die sich einer Mitarbeit bei der Prüfung verweigern, werden so auch künftig kaum vorzeitig freigelassen werden.
Lebenslänglich durch die Hintertür?
Der Gerichtshof für Menschenrechte wies in der Urteilsbegründung darauf hin, dass die Mehrheit der Europaratsländer entweder keine lebenslangen Haftstrafen verhängen oder aber eine Überprüfung der Strafe – meist nach 25 Jahren – vorsehen, wie es in den Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vorgesehen ist. Auch in Deutschland werden lebenslängliche Haftstrafen in der Regel nach 15 Jahren gerichtlich überprüft.
Damit scheint die hiesige Praxis von dem heutigen Urteil nicht betroffen zu sein. Doch das Europäische Gericht hat bereits mehrmals die deutsche Praxis der Sicherheitsverwahrung kritisiert und so den Gesetzgeber zu Reformen gezwungen.
Die Sicherheitsverwahrung darf nicht zu einem „Lebenslänglich durch die Hintertür“ werden, wovor Strafrechtler schon lange warnten. Erst durch die europäische Gesetzgebung aber wurden ihre Einwände ernstgenommen. Das heutige Urteil reiht sich so in ähnliche Entscheidungen zur Sicherheitsverwahrung ein, die Grundrechte auch der Häftlinge schützen und Parlamente dazu zu zwingen, diese Tatsache anzuerkennen, auch wenn sie nicht unbedingt Wählerstimmen bringen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154611
Peter Nowak