Erdogan-Bashing als Teil des deutschen Wahlkampfs


Nach den Wahlen wird es wieder um die ökonomischen und geopolitischen Interessen zwischen den Eliten beider Länder gehen

„Wir sind sicher, dass wir sie nicht verlieren werden“, beteuerte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel[1] und meinte die in Deutschland lebenden Menschen mit biografischem Hintergrund in der Türkei. Ihnen hat er in einem Offenen Brief, in zweisprachiger Form von der Bild-Zeitung veröffentlicht, die neue harte Haltung der Bundesregierung zur Türkei zu erklären versucht. Die Angst, diese Menschen zu verlieren, ist durchaus mehrdeutig. Wie die Ergebnisse des Referendums zum autoritären Staatsumbau in der Türkei zeigen, findet der Erdogan-Kurs dort durchaus Zustimmung.

Das liegt auch daran, dass nicht zuletzt die NSU-Morde und die Reaktion von Justiz und Öffentlichkeit darauf zeigten, dass auch viele Menschen, die sich jetzt als in Deutschland angekommen wähnten, die Erfahrung machten, dass sie immer noch als Fremde behandelt wurden. Man braucht nur die beeindruckenden NSU-Monologe[2] anhören, in denen die Angehörigen von NSU-Opfern zu Wort kommen, um zu begreifen, dass für manche türkischen Migranten die Option für den aktuellen Kurs in ihrem Land auch etwas mit ihrer Behandlung in Deutschland zu tun hat.

So betonen die Angehörigen, dass sie froh waren, ihren vom NSU ermordeten Angehörigen in der Türkei beerdigen zu können, wo sie zumindest die Totenruhe gewahrt hoffen. Diese Menschen hat Deutschland schon längst verloren, denn sie haben eben festgestellt, dass die Deutschland-Marke „tolerantes, weltoffenes Land“ mit der Realität, die sie erlebten, wenig zu tun hatte. Sie werden auch nicht durch einen Brief vom Bundesaußenminister den Glauben an die Demokratie Marke Deutschland wieder gewinnen.


Die deutsche Selbstachtung und der Wahlkampf

Zudem ist den Empfängern des Briefes bewusst, dass der Bundestagswahlkampf in Deutschland begonnen hat und die harte Haltung gegen die Türkei ein Teil dieses Wahlkampfes ist. Der holländische Ministerpräsident Rutte hat es vor einigen Monaten vorgemacht. Mit Auftritten von türkischen Regierungsmitgliedern in der Endphase der holländischen Parlamentswahlen bekam er Zustimmung[3]. Wenn nun Gabriel die Menschen aus der Türkei nicht verlieren will, denkt er auch daran, dass genau unter ihnen viele die SPD gewählt haben.

Die Union war ihnen zu christlich, die Grünen zu westlich und modern und so blieb die SPD für sie als kleineres Übel. Nun versucht Gabriel zu verhindern, dass er auch diese Wähler noch verliert. Unterstützung bekommt er von seinen Vorgänger Steinmeier, der seine präsidiale Neutralität aufgab und Gabriels Kurs gegenüber der Türkei verteidigte[4]. Dabei ist Steinmeier sehr ehrlich, wenn er den harten Kurs gegen die Erdogan-Türkei als einen Akt „der deutschen Selbstachtung“ bezeichnet.

Damit bedient er ein nationalistisches Motiv und das dürfte sich in den nächsten Wochen bis zur Wahl fortsetzen. Denn jetzt wird es darum gehen, welche Partei von dem deutschen Erdogan-Bashing profitiert, an dem sich eine ganz große Koalition beteiligt. Die Linke moniert seit Monaten, Erdogan verletze die Souveränität Deutschlands. Nun erfüllt die Bundesregierung deren Forderungen und verschärft den Kurs gegen die Türkei und die Linke kann jetzt nur konstatieren, das käme zu spät und wäre nicht konsequent genug[5].

Verfolgung türkischer Oppositioneller in deutscher Souveränität

Immerhin erinnert die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, an die türkischen Oppositionellen, die die deutsche Justiz und Politik in eigener Souveränität verfolgen lässt. Dazu gehören die Auftrittsverbote und Schikanen[6] gegen die linke türkische Band Grup Yorum in Deutschland. Die Antwort[7] der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Jelpke zu diesen Auftrittsverboten und Schikanen gegen die Band[8] zeigt sehr deutlich, wie gut hier auch die deutsch-türkische Kooperation weiterhin funktioniert.

So heißt es in der Vorbemerkung der Bundesregierung: „Neben regelmäßigen Konzerten haben Mitglieder von Grup Yorum sich immer wieder auch an Massenaktionen, Demonstrationen, Streiks, Fabrik- und Universitätsbesetzungen in der Türkei beteiligt und wurden wiederholt festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt“ – so dient die Tatsache, dass sich die Band seit vielen Jahren auch als an Protesten in der Türkei beteiligt, nicht als Ausweis demokratischer Gesinnung gegen ein autoritäres System, sondern wird als Beleg für ihre Verfolgung auch in Deutschland herangezogen.

Akribisch werden Textstellen aus dem großen Repertoire politischer Lieder analysiert, um die behauptete Nähe zur verbotenen linken Gruppe zu belegen. So sei die Zeile „Unsere Herzen schlagen für den gelben Stern, die Fahne der Hoffnung“ eine indirekte Solidaritätserklärung mit der linken Organisation DHKP-C, deren Organisationsemblem einen gelben Stern zeigt. Dass die CDs der Band in der Türkei frei verkäuflich sind und ihre Konzerte ein Treffpunkt für gesamte Linke des Landes sind, wird in der Antwort auf die Kleine Anfrage als Beleg für die erfolgreichen „propagandistischen Maßnahmen der DHKP-C“ bewertet.

Über die Verfolgungen, Inhaftierungen und auch Folterungen von Grup-Yorum-Mitgliedern, über die es im Internet zahlreiche Beispiele gibt, liegen der Bundesregierung hingegen keine Informationen vor. Auf die Frage, ob deutsche und türkische Behörden Informationen über die Band ausgetauscht hatten, bestätigt die Bundesregierung „anlassbezogene bilaterale Gespräche“. Es spricht dafür, dass diese auch weiter geführt werden, wenn die offiziellen Beziehungen zwischen den Regierungen beider Länder eingefroren werden.

Schon wird gegen die Band ermittelt, weil sie in Fulda einen Song gespielt haben soll, der die die DHKP-C feiert. Das Konzert konnte in Fulda konnte nur mit zivilgesellschaftlicher Aktivität als Kundgebung[9] durchgesetzt werden. Eintritt durfte nicht erhoben werden, auch Spendensammlungen für die Band und der Verkauf ihrer CD waren verboten[10].

Nun sitzen die Organisatoren auf einer Schuldenlast. Die Organisatoren des Rechtsrockkonzert vor einer Woche im thüringischen Themar nicht vor einer Woche dagegen nicht[11]. Ihnen war gerichtlich ausdrücklich bescheinigt wurden, dass sie Eintritt verlangen können und weiterhin unter dem Schutz der Grundrechte stehen.

Auch die Verfolgung von angeblichen Funktionären der Kurdischen Arbeiter-Partei (PKK) gehen in Deutschland unabhängig von der deutsch-türkischen Eiszeit weiter[12]. Eben so der Münchener Prozess gegen 10 türkische Kommunisten, die schon viele Jahre in Deutschland lebten[13]. Ohne die deutsch-türkische Justizkooperation wäre er nicht möglich, worauf die Verteidigung wiederholt hingewiesen hat[14].

Nach der Wahl wird Erdogan wieder Partner

Bis zur Bundestagswahl dürfte sich die Polemik zwischen der deutschen und der türkischen Regierung verschärfen. Danach wird wieder Normalität zelebriert. Schon gibt es erste Stimmen, die warnen, man dürfe die Türkei nicht in Richtung Putin drängen. In der Nato wird der momentane Konfrontationskurs Deutschlands gegen die Türkei sehr kritisch gesehen und innerhalb der EU ist neben Deutschland vor allem Österreich ein Verfechter einer harten Haltung gegen die Türkei[15].

Auch Außenminister Kurz, der eine härtere Haltung propagiert[16], befindet sich im Wahlkampf und will vor allem der rechtspopulistischen FPÖ Stimmen abnehmen. Der Mythos von den Türken, die vor Wien stehen, kann dort noch einfacher als in Deutschland bedient werden.

Natürlich wird die Perspektive der deutsch-türkischen Beziehungen auch davon abhängen, ob noch mehr deutsche Staatsbürger als Erdogan-Gegner verhaftet werden. Aber auch da gab es Präzedenzfälle in anderen EU-Ländern, ohne dass sich die Bundesregierung besonders für die Opfer der Repression eingesetzt hat. So gab es nach den G8-Protesten von Genua eine massive Verhaftungswelle.

Betroffen waren Vertreter der Zivilgesellschaft auch aus Deutschland und Österreich. Darunter waren Journalisten, Künstler, Gewerkschafter, Jugendliche. Sie wurden teilweise über Wochen in Haft gehalten und auch gefoltert[17].

Zu Konsequenzen im deutsch-italienischen Verhältnis führte das nicht. Und selbst eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei muss nicht das Ende der deutsch-türkischen Beziehungen bedeuten. Das zeigt sich am Umgang mit dem autoritären Lukaschenko-Regime in Belorussland innerhalb der EU.

Zeitweise war Belorussland der Inbegriff der Diktatur in Europa, nach der Ukrainekrise könnte sich das Regime als Vermittler zwischen Russland und der EU anbieten. Sanktionen wurden gelockert[18] und mittlerweile ist es wieder ein geopolitischer Player.

Die Todesstrafe wurde bisher ebenso wenig abgeschafft wie die Repression gegen Oppositionelle. Das macht nur einmal mehr deutlich, bei den Beziehungen zwischen den Ländern geht es nicht um Moral und die vielstrapazierten Werte sondern um ökonomische und geopolitische Interessen. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland.

https://www.heise.de/tp/features/Erdogan-Bashing-als-Teil-des-deutschen-Wahlkampfs-3780850.html

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3780850
Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] https://sigmar-gabriel.de
[2] https://heimathafen-neukoelln.de/spielplan?url=DieNSUMonologe
[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-06/recep-tayyip-erdogan-auftrittsverbot-g20-gipfel-bundesregierung
[4] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/bundespraesident-frank-walter-steinmeier-kritik-tuerkei-recep-tayyip-erdogan
[5] https://www.sevimdagdelen.de/theaterdonner-wird-erdogan-nicht-stoppen/
[6] http://www.ulla-jelpke.de/2017/07/auftrittsverbote-fuer-grup-yorum-als-geschenk-an-erdogan/
[7] http://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2017/07/KA-18_12917_Grup_Yorum.pdf
[8] https://www.heise.de/tp/features/Grup-Yorum-Verbote-Schikanen-finanzielle-Verluste-3744759.html
[9] http://osthessen-news.de/n11562313/kundgebung-mit-grup-yorum-9-bands-und-kulturprogramm-keine-zwischenfalle.html
[10] https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA170604370&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
[11] http://www.mdr.de/thueringen/sued-thueringen/themar-rechtsrock-konzert-100.html
[12] http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.oberlandesgericht-stuttgart-urteil-in-pkk-prozess-pkk-funktionaer-als-terrorist-verurteilt.e78c646c-9275-4a62-9dd3-9b37548c02f3.html
[13] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/
[14] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/23-01-2017-beweise-aus-folter-und-spionage/
[15] http://www.deutschlandfunk.de/streit-mit-der-tuerkei-swoboda-spoe-warnt-vor-streichung.1939.de.html?drn:news_id=771161
[16] http://derstandard.at/2000061663851/Kurz-fordert-von-EU-mehr-Entschlossenheit-bei-Tuerkei
[17] https://www.azzellini.net/artikel/massive-repression-entsprach-geplanter-politischer-strategie
[18] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-02/sanktionen-gegen-alexander-lukaschenko-weissrussland-aufhebung-europaeische-union