Der Berliner Politwissenschaftler Robert Maruschke über Stadtteilorganisierung
Die Frage, ob Mieterproteste gegen Verdrängung und Zwangsräumungen politisch sind oder eher eine Form der Sozialarbeit, warf kürzlich eine Aktivistin des Berliner Bündnisses gegen Zwangsräumungen [1] auf einer Diskussionsveranstaltung auf. Sie wollte mit dieser provokativen Fragestellung in erster Linie einer Tendenz vorbeugen, sich immer nur selbst auf die Schulter zu klopfen. Aber die Frage hatte auch einen inhaltlichen Kern.
Wie verändert sich das Bewusstsein von Menschen, die sich nie an Protesten beteiligt hatten und durch die Verhältnisse gezwungen zu Mietrebellen werden [2]? Betrachten sie die Gesellschaft auch außerhalb der Mietproblematik mit einem anderen Blick? Wie gehen sie mit gesellschaftlichen Widersprüchen um?
Zu dieser Fragestellung gibt der Berliner Politwissenschaftler Robert Maruschke in dem kleinen Büchlein Community Organizing [3] einige Hinweise. In den letzten Jahren wurde viel über Organizing-Konzepte in Gewerkschaften diskutiert. Maruschke liefert nun eine knappe gut lesbare Einführung auf die Geschichte, die Theorie und Praxis der Stadtteilorganisierung ein. Sie teilt mit dem gewerkschaftlichen Organizing die Wurzeln in den USA.
Wie viel Veränderungspotential haben Community Organizing Konzepte?
Dabei unterscheidet Maruschke zwischen einen staatstragenden Organizinigkonzept, das bei den Social Settlement-Bewegungen vor mehr als 120 Jahren begann und sich heute in den Bürgerplattformen und ähnlichen Mitmachfallen niederschlägt [4]. Solche Modelle wollen die Akteure mit dem kapitalistischen Staat versöhnen und werden oft großen von Unternehmen finanziert.
Auch Saul Alinsky [5] ordnet Maruschke diesen affirmativen Organizing-Modellen zu. Alinsky wurde auch in linken Kreisen als Pionier der Stadtteilorganisierung oft unkritisch rezipiert. Der Grund dafür liegt darin, dass er durchaus konfrontative Aktionsformen propagierte. Doch sie zielten lediglich darauf, von den offiziellen Institutionen als Gesprächspartner anerkannt zu werden. Staat und Kapital hat Alinsky nie in Frage gestellt.
Von linken Gruppen distanzierte er sich ausdrücklich. Alinsky sah in der Selbstorganisierung von Marginalisierten eine Möglichkeit, um in der kapitalistischen Gesellschaft gehört zu werden und eigene Interessen zu artikulieren. Doch die Mechanismen der kapitalistischen Gesellschaft wurden nicht kritisiert.
In dieser Tradition stehen die im Deutschen Institut für Community Organizing [6] zusammengeschlossenen Organisationen und Bürgerplattformen. „Man kann nur organisieren, was man sich vorstellen“, heißt es auf ihrer Homepage. Gesellschaftliche Zustände jenseits der kapitalistischen Verwertung will man sich schon deshalb nicht vorstellen, weil zu den Förderern [7] auch die BMW-Stiftung und die Körberstiftung [8] gehören.
„Die in Berlin auf der Grundlage von Alinskys Konzept eingerichteten Bürgerplattformen sind Beteiligungsformen, die zu 75 Prozent von Unternehmen und unternehmensnahen Stiftungen wie der BMW-Stiftung finanziert werden. Die finden das gut, weil die herrschenden Verhältnisse durch so ein privat finanziertes Mitmachgremium nicht in Frage gestellt werden und die Bürgerplattformen für die Aufwertung von Stadtbezirken instrumentalisiert werden können“, erklärt Maruschke in einem Interview [9], in dem er sich kritisch mit der Bürgerplattform Wedding/Moabit [10] befasst , die auch von vielen Stadtteilbewohnern mittlerweile sehr distanziert betrachtet [11] wird, weil es ihnen sogar untersagt worden ist, auf ihren Treffen zu Mieterdemonstrationen aufzurufen.
Affirmative versus transformative Organizingkonzepte?
Im Mittelpunkt von Maruschkes Buch steht allerdings das transformative Community-Organizinig, das er den affirmativen Organisationskonzepten gegenüberstellt. Es geht zurück auf den ehemaligen Maoisten Eric Mann [12] , der mit der Organisierung im Stadtteil nicht bezweckt, dass die Menschen sich besser in unvernünftigen gesellschaftlichen Verhältnissen einpassen, sondern dass sie diese infrage stellen. Maruschke nennt vier Punkte, die das transformative Organizing auszeichnen:
„Es soll sich auszeichnen durch ein emanzipatorisches oder revolutionäres Selbstverständnis. Probleme sollen konfrontativ angegangen werden. Transformative Organizer arbeiten nicht mit Repräsentanten von bereits bestehenden Organisationen, sondern mit den Leuten von der Basis zusammen, und sie begreifen sich als Teil von sozialen Bewegungen.“
Diese Punkte sind natürlich sehr allgemein und können im Zweifel dazu führen, dass auch transformative Organizing-Gruppen in den USA Teil der Wahlkampagne für Obama waren, während der Theoretiker Eric Mann in seinen im Buch abgedruckten Interview doch sehr floskelhaft bleibt. Was bedeutet es denn, wenn er sagt: „Organizinig muss revolutionär ausgerichtet sein. Es muss Individualismus und jede Form von Eigeninteresse in Frage stellen, was nicht heißt, dass es Eigeninteressen nicht einbinden kann“? Sehr positiv zu vermerken ist es, dass Maruschke die Widersprüche im transformativen Organizing nicht ausblendet, sondern sehr klar benennt.
Der Gezipark-Widerstand und Kotti und Co
Dazu gehört die Wahlkampagne für Obama ebenso wie die Debatte, die es unter den Aktiven der Kreuzberger Mieterinitiative Kotti und Co [13] angesichts der Gezipark-Proteste in der Türkei gegeben hat. Ein Teil der dort versammelten Berliner Mietrebellen erklärte sich sofort mit den Protestierenden in der Türkei solidarisch. Doch Berliner türkischer Herkunft, die einen wesentlichen Teil der Kreuzberger Initiative stellen, waren keine Gegner Erdogans und daher gar nicht damit einverstanden, mit den türkischen Regierungsgegnern solidarisch zu sein.
Der Konflikt konnte nur gelöst werden, weil sich die Mietrebellen schon länger persönlich kannten. Es sind Initiativen wie das Bündnis gegen Zwangsräumungen oder Kotti und Co, die Maruschke als Beispiel für eine transformative Stadtteilorganisation in Deutschland anführt.
In den USA führt er historisch die Stadtteilkampagnen der Black Panther Party [14] und die US-amerikansiche Erwerbslosenrätebewegung in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts an. Hier stellt sich die Frage, ob den heutigen Stadtteilorganisationen nicht für ihren transformativen Ansatz eine wesentliche Voraussetzung fehlt, die damals gegeben war: eine hegemoniefähige linke Organisation, die sie unterstützt, aber auch immer wieder Fragestellungen einbringt, die über den unmittelbaren Teilbereichskampf hinausgehen. Leider blendet Maruschke in seinen sehr informativen Einführungsbüchlein in Theorie und Praxis des Community Organizing diesen Aspekt aus.
http://www.heise.de/tp/news/Community-Organizing-ein-Modell-fuer-den-Mieterkampf-2177720.html
Peter Nowak 27.04.2014
Links:
[1]
http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/
[2]
http://www.heise.de/tp/news/Mietrebellen-2177622.html
[3]
http://www.edition-assemblage.de/community-organizing/
[4]
http://www.heise.de/tp/news/Warnung-vor-der-Mitmachfalle-2020954.html
[5]
http://content.time.com/time/magazine/article/0,9171,904228,00.html?iid=chix-sphere
[6]
http://www.dico-berlin.org
[7]
http://www.dico-berlin.org/index.php?id=5
[8]
http://www.zeit-stiftung.de/home/start.php
[9]
http://www.triller-online.de/c1727.htm
[10]
http://www.wirsindda.com/
[11]
http://www.moabitonline.de/836/comment-page-1
[12]
http://www.thestrategycenter.org/about/bio/eric-mann
[13]
http://kottiundco.net/
[14]
http://www.blackpanther.org/