Auf einer viel befahren Straßenkreuzung in der Innenstadt von Łódź steht eine junge Frau, die sich suchend umschaut. In der Hand hält sie einen Ordner mit Fotos. Es sind Dokumente über das jüdische Ghetto, das sich einst an dieser Stelle befunden hat. Heute erinnert nichts mehr daran. Die junge Frau ist Tall Tiller. Die Israelin, die seit mehreren Jahren in Berlin lebt, hat sich mit ihrer polnischen Partnerin Magda Wystub auf die Suche nach der Geschichte ihrer Vorfahren begeben. Davon erzählt ihr knapp einstündiger Film »My Two Polish Loves«.
Den Anstoß für die Reise gab die 2014 gestorbene Großmutter der Regisseurin. Erst in den letzten Jahren ihres Lebens erzählte die Holocaust-Überlebende ihre Geschichte der Verfolgung. Sie war mit ihrer Familie im Ghetto von Łódź eingesperrt. Die SS deportierte später einen Großteil der BewohnerInnen in die Vernichtungslager. Silvia Grossmann Tiller war eine der wenigen aus ihrer Familie, die überlebt hat. Im Film hört man sie von einem Wunder sprechen, das zu ihrer Rettung geführt habe. So berichtet sie, wie sie sich entschieden hatte, nicht zur Arbeit zu gehen und bei der schwer kranken Stiefmutter zu bleiben, die dann in ihren Armen starb. Dabei hörte sie, wie die SS das Gebäude betrat, in dem sich die Frauen versteckt hielten. Doch bevor die SS-Männer die obere Etage erreichten, brachen sie die Suche ab. Wäre Silvia gefunden worden, hätte man sie wohl sofort erschossen.
Wir hören die Stimme der Großmutter in Tall Tillers Film mehrmals. Wir sehen auch ein Foto des Großvaters an einer der Brücken, die die beiden Teile des Ghettos verbanden. Gefunden hat die Regisseurin es im Museum der Ghettokämpfer in Tel Aviv.
»Das Haus meiner Oma zu finden, war für mich das Wichtigste«, sagte Tall Tiller gegenüber der »Jüdischen Allgemeinen Zeitung«. Aber die Suche blieb erfolglos. »Es gibt das Haus nicht mehr. An seiner Stelle befindet sich heute ein öffentlicher Park.« Das Haus ihres Großvaters aber, der ebenfalls überlebte, hat sie gefunden – und bedauert, ihn zu Lebzeiten nicht konkreter über sein Leben im Ghetto befragt zu haben. Gefunden hat sie auch sein Grab auf einem total überwucherten Friedhof – nebst einer Gedenkkerze, die nie angezündet wurde. »Niemand ist vorbeigekommen«, sagt Magda Wystub. Es ist einer der traurigsten Momente im Film. Er zeigt, welche Folgen die Shoah auch für die Überlebenden hatte. Es war niemand mehr da, der später ihre Gräber besuchen konnte.
Und doch ist »My Two Polish Loves« kein trauriger Film. In mehreren Szenen sieht man Tiller und Wystub bei der Vorbereitung ihrer Erkundigungen oder bei der Auswertung in einem Restaurant. Auf der Suche nach einem Raum von Tillers Großmutter, der der Enkelin nicht aus dem Kopf geht, fragen sie PassantInnen, die aber nur mit den Schultern zucken. Am Ende kann ein Jugendlicher das Rätsel aufklären.
Tall Tiller hat einen sehr persönlichen Film gemacht über die Zeit, in der die letzten Holocaust-Überlebenden sterben. Die Erinnerung an sie aber, das zeigt der Film, bleibt lebendig.
Sie eint nur die Ablehnung von Nato, die USA und Israel – doch selbst in der Linkspartei gibt es einige, die zumindest klammheimliche Sympathien äußern
Am Ende wurde die Preisverleihung zur Posse. Der Moderator Ken Jebsen, dessen Markenzeichen regressiver Antizionismus, verschwörungstheoretisches Denken und der Aufruf zu einem Links-Rechts-Crossover ist, sollte im vom Berliner Senat subventionierten Kino Babylon[1] von der Neuen Rheinischen Zeitung[2] einen Preis verliehen bekommen.
Doch kurzfristig hatte Ken Jebsen über ihn nahestehende Medien seine Absage erklärt[3]. Es soll hinter den Kulissen Streit über einige der Gäste und Musiker gegeben haben. Nun könnte man sich über das verdiente Desaster eines Projekts freuen, das vom Kampf gegen Israel und den USA lebt. Wenn es eine Querfrontzeitung gibt, die einigermaßen funktioniert, dann ist es die Neue Rheinische Zeitung.
Der klangvolle Name der Publikation, in der auch Karl Marx publizierte, soll nicht täuschen. Heute ist es das Zeitungsprojekt einer kleinen Gruppe ehemaliger autoritärer Linker, die nach dem Ende des Nominalsozialismus nicht mehr links und rechts kennen wollten. Sie hofften, aus der Pegida-Bewegung eine Anti-Nato-Bewegung machen zu können.
Die „Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas“ aber waren äußerst kurzlebig. Doch Andreas Neumann und Annelie Fikentscher, beides Redakteure der heute real existierenden Neuen Rheinische Zeitung, waren voll des Lobes[4] für diese Aufmärsche:
Die „Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas“ dagegen sind diejenigen, die erkannt haben, von wo die großen Bedrohungen für die Menschheit ausgehen.
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Dabei ist bei einen Blick auf die Endgame-Internetpräsenz zu erkennen, dass dort mit dem Antiamerikanismus und dem Lügenpresse-Vorwurf sowie Verschwörungstheorien aller Art nur eine Variante von Pegida aktiv war. Wer sich die Bilder der Endgame-Aufmärsche anguckte, konnte unschwer in der rechten Szene aktive Personen dort ausmachen.
In der Ablehnung von Kategorien wie links und rechts und im Hass auf Israel und die USA treffen sie sich mit Ken Jebsen, der seine Tagesdosis Verschwörungstheorie sehr professionell unter das Publikum bringt[5] und das ist nicht klein. Das ist ein Zeichen des Irrationalismus, in Zeiten, in der linke Politikvorstellungen diskreditiert sind.
Jebsen versteht es gekonnt, linke Versatzstücke mit in seine Botschaft einzubauen, den Kapitalismus zu verurteilen, ihn dann aber verschwörungstheoretisch zu begründen. Selbst die antizionistische Tageszeitung „junge Welt“ konzediert Jebsen ein geschlossen antisemitisches Weltbild und bezieht sich auf dem Videoclip Antizionistischer Rassismus[6].
Nun könnte man denken, dass alle Linken sich freuen, dass die Preisverleihung an Jebsen nun ohne große Proteste ins Wasser fiel, weil sich die Querfront selber zerlegte. Doch das ist ein Irrtum.
Linke über Jebsen zerstritten
Vielmehr hat die Preisverleihung bereits im Vorfeld zu massiven Streit in der Linkspartei geführt. Die einen stehen auf der Seite des Berliner Kultursenators Klaus Lederer[7], der die Preisverleihung im staatlich geförderten Filmtheater („Jahrmarkt der Verschwörungsgläubigen und Aluhüte“, wie Lederer sagte) gern verhindert hätte.
Nun kann man die Frage stellen, warum nicht auch interveniert wurde, als Martin Hohmann, der wegen einer antisemitisch empfundenen Rede aus der CDU ausgeschlossen wurde und sich heute in der AFD hinter Höcke stellt, bei einer rechten Preisverleihung in der Zitadelle in Spandau[8] redete.
Man könnte auch monieren, dass der Berliner Senat, damals auch unter Beteiligung der Linkspartei, nicht intervenierte, als im Kino Babylon ein Arbeitskampf stattfand und der Kinogeschäftsführer sogar versuchte, der daran beteiligten Basisgewerkschaft FAU den Gewerkschaftsstatus abzusprechen[9]. Wenn aber Linkspartei-Politiker Jebsen und seine Fans irgendwie als zur eigenen Familie gehörig betrachtet werden, muss man sich schon wundern.
Bundestagsabgeordnete wie Andrej Hunko[10] betonen, dass sie wohl auch Differenzen mit Jebsen haben. Aber am Ende verteidigt er doch Jebsen und seine Anhänger. Hunko macht in seinen Text einen Exkurs zur Weltpolitik und in die Geschichte. Nur eine Frage lässt er wie die anderen Jebsen-Verteidiger offen. Kennt er die Texte, in denen Jebsen die Zionisten für alle Übel der Welt verantwortlich macht und den Mossad mit der SS vergleicht?
Diese Frage geht auch an den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke, der am Donnerstag auf einer Kundgebung geredet hat, die sich gegen die Intervention des Senators seiner eigenen Partei beim Kino Babylon richtete. Gehrcke kritisierte[11] die politische Rechte in seiner Rede.
Er setzt sich dort für eine Linke ein, die gegen Kriege und Gewalt und für die Freiheit des Wortes und des Geistes eintritt. Kämpft Gehrcke also dafür, dass Jebsen gegen ein Holocaust-Denkmal in Washington hetzen und im Geiste des Schwarzbuch-Kommunismus davon schwadronieren kann, dass die Sowjetunion das Copyright beim Vernichten von Menschen hatte und die Nazis nur die Lehrlinge waren.
Der Streit dürfte in der Linken weitergehen, auch wenn die Preisverleihung nun aus internen Gründen nicht zustande kam. Es gibt in den letzten Monaten die These, dass unter dem Dach der Linken zwei völlig unterschiedliche Politikkonzepte vertreten sind. Beide sind aufeinander angewiesen, weil sie sonst beide nicht ins Parlament kämen. Doch an dem Streit um die Jebsen-Show wurde auch deutlich, wie unterschiedlich die Vorstellungen real sind.
https://www.heise.de/tp/features/Querfront-Projekt-endete-als-Farce-3918874.html
Die antisemitischen Tendenzen bei den Reaktionen verwundern nicht. Das Diktat der Hamas und unhaltbare Zustände – „Trump macht was richtig“
Donald Trump macht was richtig, hieß es am vergangenen Samstag in einer Taz-Kolumne. Gemeint war seine Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt. Ausgerechnet das linksliberale Blatt, dass Deutschland nach der Trump-Wahl zum Leuchtturm der freien Welt ausrief, hat mal gute Worte für den US-Präsidenten. Und das noch bei einer Entscheidung, wo es in den letzen Tagen schien, als stehe Trump gegen den Rest der Welt.
Noch mehr als Trumps per Mail erklärten Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen schien die veröffentlichte Meinung der Widerstand gegen dessen Jerusalem-Entscheidung zu einigen. Nun zeigte sich schnell, dass da auch wieder einmal viel Aufregung und Furor im Spiel war.
Die deutschen Medien und der Zorn der arabischen Straße
Da wurde seit Tag der Zorn der arabischen Straße bemüht. Als es aber in den arabischen Städten noch weitgehend ruhig blieb, wurde schon gefragt, wann denn nun dieser Zorn ausbreche. Nach den Freitagsgebeten orakelten die Nahostbeobachter Mitte letzter Woche.
Dann wurde jede Menschenansammlung zur neuen Intifada erklärt und gar nicht berücksichtigt, dass hier islamistische Gruppen wie die Hamas zu den Aufrufern gehörten. Nachher war man dann entsetzt, dass in vielen europäischen Städten eindeutig antisemitische Tendenzen bei den Aktionen zu sehen und hören waren. Nur kann das niemand verwundern.
Wenn die Hamas aufruft, sind regressive Antizionisten und auch offene Antisemiten nicht weit. Als dann am Wochenende die Unruhen wieder abflauten, setzte fast Enttäuschung in manchen Medien ein. Dabei haben Beobachter des Geschehens im Nahen Osten schon länger eine neue Intifada für unwahrscheinlich gehalten. Das hat viele Gründe. Viele erkennen, dass sie ihre konkrete Situation damit eher verschlechtert.
Es gab auch im Gazastreifen Statements, die ein Leben unter dem Diktat der Hamas als ein größeres Übel als unter israelischer Besatzung halten. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass der islamistische Tugendterror im Gaza auf viel Widerstand stößt. Aber auch ökonomische Argumente finden Gehör.
Das wirtschaftlich prosperierende Israel könnte für die Palästinenser eine bessere Lebensgrundlage bieten, als eine Armutsregion Westbank, vom Gazastreifen gar nicht zu reden. Hier könnte eine Debatte über einen einheitlichen Staat Israel-Palästina beginnen. Genau darauf kommt der Taz-Kommentator zu sprechen, wenn er Trump für seine Jerusalem-Entscheidung lobt.
Wer Trumps Schritt nun irrational findet und gefährlich, muss nur einmal die Logik deutscher und amerikanischer Nahostpolitik der letzten 15 Jahre nüchtern betrachten. Man hielt an einer illusionären Zweistaatenlösung fest, obwohl diese durch israelische Siedlungspolitik verunmöglicht wurde, rügte zwar immer mal wieder, subventionierte aber weiterhin Israels Militär.
Gleichzeitig finanzierte man eine korrupte und undemokratische Palästinensische Autonomiebehörde, um die israelische Besatzung nicht zu einer humanitären Katastrophe werden zu lassen. Dass dieser unhaltbare Zustand nun enden könnte, ist eine gute Nachricht. Denn der israelischen Regierung und der rechten Mehrheit im Land kann Donald Trumps Schritt langfristig nicht recht sein.
Für sie ist der Status quo bequem: Faktisch gibt es nur einen Staat zwischen Mittelmeer und Jordan, Millionen Palästinenser leben dort unter israelischer Kontrolle. Israel braucht das Fernziel Zweistaatenlösung, und sei sie noch so unrealistisch, dringender als die Palästinenser. Denn wenn das Ziel – zwei Staaten für zwei Völker – offiziell erledigt ist, stellen sich für Israel unangenehme Fragen.
Was ist mit den Millionen Palästinensern, die dann auch offiziell unter israelischer Herrschaft leben, aber keine Staatsbürgerrechte haben?
Wird Israel dann ein Apartheidstaat (Shitstorm in 3, 2, 1 …)?
Es ist Zeit, über Alternativen zur Zweistaatenlösung zu sprechen. Donald Trump hat dazu den ersten Schritt gemacht.
Taz
Die Logik hinter der Argumentation ist einleuchtend. Mit der Trump-Entscheidung wird dem Kräfteverhältnis in der Region Rechnung getragen und das ist nicht aufseiten der Palästinenser. Ein eigener Staat wird für sie immer mehr zu einer Schimäre. Also gilt es neue Ziele anzusteuern. Da wäre ein Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger ein Ziel.
Das wäre nur möglich, wenn die antisemitischen und islamistischen Kräfte in der Region an Bedeutung verlieren. Mit ihren ständigen Versuchen, einen neuen Aufstand gegen Israel anzuzetteln, versuchen sie immer wieder jede Überlegung in Richtung Kooperation zu verunmöglichen.
Dass die vielzitierte arabische Straße sich längst nicht mehr beliebig mobilisieren lässt, kann als gute Nachricht verstanden werden, auch und gerade für die Palästinenser. Die haben wahrlich eine bessere Zukunft verdient, als sich für einen islamistischen Staat zu opfern.
Könnte Israel aus einer Position der Stärke auf Palästinenser zugehen?
Auch erklärte Verteidiger der israelischen Politik sehen in der Jerusalem-Entscheidung von Trump positive Momente.
„Und Israel wäre gut beraten, aus einer Position der Stärke heraus aktiv auf die Palästinenser zuzugehen und konstruktive Konzepte zu entwickeln. Eines ist jedenfalls sicher: Frieden schließt man nicht mit seinen Freunden, sondern durch Dialog und Begegnung mit dem Feind“, schreibt Louis Lewitan[4] in der Jüdischen Allgemeinen[5]. Zuvor hat er die UN und die EU scharf kritisiert:
Wie wäre es, wenn die Weltgemeinschaft, anstatt die USA und Israel anzuprangern, die arabischen Staaten und die muslimische Glaubensgemeinschaft in die Pflicht nehmen würde, den Staat Israel und die unauflösliche Bindung des jüdischen Volkes an Jerusalem endlich anzuerkennen? Das wäre eine glatte Abkehr von einer unglaubwürdigen Appeasement-Politik westlicher Demokratien gegenüber arabischen Despoten und morschen Monarchen.
Louis Lewitan, Jüdische Allgemeine Zeitung
Kein Bündnis mit Saudi Arabien
Letzteres müsste allerdings auch eine Forderung an die israelische Regierung sein. Denn deren sich anbahnende taktische Allianz mit Saudi-Arabien gegen Iran ist ebenfalls ein Bündnis mit einer arabischen Monarchie, einem Hort des Islamismus und Islamismusexports. Dass wussten israelisolidarische Linke noch vor 15 Jahren, als sie schrieben, dass nach den islamischen Anschlägen vom 11.9. eher Saudi-Arabien als der Irak das Ziel von US-Militärschlägen hätte sein müssen.
Immerhin waren Islamisten aus Saudi-Arabien für die Anschläge mitverantwortlich, was vom Irak nicht nachgewiesen ist. Nun sehen auch manche israel-solidarische Linke in Saudi Arabien positive Momente[6]. Da wird es schon als großer Erfolg gewertet, dass der neue starke Mann in Saudi Arabien Mohammed Bin Salman den Frauen gestattet, ohne männliche Begleitung Auto zu fahren.
Danach müsste ja der Iran der Hort der islamischen Moderne sein. Denn dort war das schon länger möglich. Nachdem der Autor einräumt, dass die Reformen in Saudi-Arabien nicht mit den Beginn einer Modernisierung verwechselt werden sollen, kommt er auf die außenpolitischen Implikationen des neuen Herrschers von Saudi Arabien zu sprechen.
Die Isolation Katars hat vor allem dazu geführt, das Emirat in Richtung Iran zu treiben, aber bisher keine Zugeständnisse erwirkt. Im Jemen würde eine militärische Lösung Kapazitäten erfordern, die Saudi-Arabien nicht hat. Und in Syrien haben die Saudis praktisch keinen bewaffneten Ansprechpartner mehr. Es bleibt Israel als Verbündeter, mit dem man die Besorgnis über den Iran teilt. Womöglich bereitet bin Salman auch hier eine Sensation vor, Gerüchte über ein Abkommen machen bereits die Runde. Der Nahe Osten ist in einem Zustand angelangt, in dem man nichts mehr völlig ausschließen möchte.
Oliver M. Piecha, Jungle World
Das wäre allerdings ein neues Bündnis mit einem autoritären islamischen Herrscherhauses und würde nicht unbedingt die Bereitschaft der israelischen Regierung fördern, aus einer Position der Stärke auf die Palästinenser zuzugehen.
Basisgewerkschaften gegen die BDS-Kampagne – ein Kommentar
Jede Israel-Boykottkampagne kann – nicht nur bei Überlebenden des NS-Terrors – Erinnerungen an die „Kauft nicht beim Juden“-Hetze der Nazis wecken. Die Beteiligung von Deutschen an einer solchen Kampagne ist angesichts der Shoah inakzeptabel. Der folgende Kommentar bietet Einblicke in die gewerkschaftliche Debatte. (GWR-Red.)
„Gewerkschaften stehen heute an vorderster Stelle bei der Verteidigung der Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Freiheit“, heißt in einem Aufruf, in dem Gewerkschaften aus aller Welt dazu aufgerufen werden, Israel zu boykottieren. Sieben der 340 im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) zusammengeschlossenen Organisationen haben diesen Aufruf der BDS-Bewegung, wie die Boykottbewegung international abgekürzt wird, unterstützt. „Das sind etwas mehr als zwei Prozent, aber bezogen auf die Mitgliederzahl vertreten diese sieben Verbände 12,5 Millionen der 182 Millionen IGB- Mitglieder“, schreibt der Journalist Martin Hauptmann in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. 2017 haben sich die tunesische UGTT und die norwegische LO der Israel-Boykottkampagne angeschlossen. Der DGB lehnt die Boykottforderung strikt ab und verweist auf die enge Kooperation mit dem israelischen Gewerkschaftsverband Histadrut. Diskutiert wird die Frage des Israelboykotts jedoch von kleinen Gewerkschaften.
Vor kurzem veranstaltete die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) Berlin eine Diskussion zum Thema „Gewerkschaftliche Solidarität statt Boykott“. Die Aktivistin Detlef Georgia Schulze sieht in der Forderung nach einem Boykott Israels keine Perspektive für eine Überwindung von Nationalismus, Klassen- und Geschlechterwidersprüchen. Die BDS-Bewegung positioniere sich im Kampf zweier nationaler Bewegungen auf einer Seite. Das sei nicht die Aufgabe von Gewerkschaften, betonte Schulze mit Verweis auf Grundsatztexte der Boykottkampagne. So sei auffällig, dass es dort keine Kritik an der gewerkschaftsfeindlichen Politik der Hamas gebe. Der israelische Gewerkschaftsbund Histadrut hingegen werde von der BDS als Teil des israelischen Staates bezeichnet und heftig angegriffen. Marc Richter ist aktiv in der Bremer Sektion der Basisgewerkschaft IWW. Auch er formulierte auf der Veranstaltung eine Kritik an der BDS-Kampagne aus gewerkschaftlicher Perspektive. „Diese Kampagne stärkt auf keinen Fall den solidarischen Kampf der ArbeiterInnenklasse überall auf der Welt, sondern begünstigt eine Entsolidarisierung und unnötige Spaltung in der Arbeiterbewegung“. Über diese Frage habe es innerhalb der IWW heftige Diskussionen gegeben, erklärte Richter. Als Alternative zu einem Boykott solle die Ko operation mit gewerkschaftlichen Organisationen in der Region gesucht werden, die Lohnabhängige unabhängig von der Nationalität organisieren. Bereits vor 20 Jahren organisierte die AK Internationalismus der IG Metall in Berlin Veranstaltungen mit Initiativen, in denen palästinensische und israelische ArbeiterInnen kooperierten. Dass eine solche Kooperation heute schwieriger ist, liegt nicht in erster Line an der Politik Israels. So ist der Druck auf Basisgewerkschaften sowohl im Gaza als auch in der Westbank groß. Ein aktuelles Beispiel für Solidarität statt Boykott kommt vom israelischen Dachverband Histadrut, der in seiner politischen Ausrichtung mit dem DGB verglichen werden kann. Die Histadrut hat ein Abkommen mit dem palästinensischen Gewerkschaftsbund PGFTU geschlossen. Seitdem überweist der is raelische Gewerkschaftsbund 50% der Mitgliedsbeiträge von PalästinenserInnen, die legal in Israel arbeiten, an die PGFTU. „Das geschieht aus Solidarität, um die palästinensischen Gewerkschaften zu stärken und unabhängig zu machen“, erklärte Avital Shapira-Shabirow, die beim Histadrut-Vorstand für internationale Beziehungen zuständig ist, in einem Interview in der Konkret. Maya Peretz von der linken israelischen Gewerkschaft Koach La‘Ovdim, die die Histadrut in vielen Punkten kritisiert, ist sich in dieser Frage mit ihr einig. Die BDS-Kampagne trägt zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse bei. Für BasisgewerkschafterInnen müsste daher klar sein, dass sie nicht Teil der BDS- Kampagne sein sollen. Das gilt auch unabhängig davon, wie man sonst zu dieser Kampagne steht. Ich halte es für falsch, die BDS-Kampagne, an der sich in vielen Ländern der Welt sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Motiven beteiligen, pauschal als antisemitisch zu bezeichnen. Ich will aber klarstellen, dass sie für den gewerkschaftlichen Kampf kontraproduktiv ist. Das Prinzip gewerkschaftlicher Kämpfe soll die transnationale Solidarität aller Lohnabhängigen sein und bleiben.
Erst kürzlich hat die rechtskonservative polnische Regierung die Umbenennung zahlreicher Straßen und Plätze beschlossen. Darunter solche, die Namen jüdischer Widerstandskämpfer tragen, die von den Nazis ermordet wurden. Die öffentliche Erinnerung an sie soll ausgelöscht werden, weil sie KommunistInnen waren. Aber nicht nur in Polen gehört der Antikommunismus bis heute zur wirkungsmächtigen Ideologie. Antikommunismus gab es lange vor der Oktoberrevolution von 1917. Und er hat auch das Ende der Sowjetunion überdauert.
Einen soliden theoretischen Einblick in die unterschiedlichen Aspekte der antikommunistischen Ideologie liefert ein von der Jour Fixe Initiative Berlin herausgegebenes Buch. Seit Jahren widmet sich dieser Kreis mit Veranstaltungen und Buchveröffentlichungen der Weiterentwicklung linker Theorie. Diesem Anspruch wird auch das neue Buch gerecht.
Im ersten Aufsatz begründen Elfriede Müller, Margot Kampmann und Krunoslav Stojakovic, wieso das Ende der Sowjetunion und der anderen nominalsozialistischen Staaten eine neue Welle des Antikommunismus ausgelöst hat und überwunden geglaubte totalitarismustheoretische Konzepte wieder aus den Schubläden geholt wurden. Die Autoren und Autorinnen sehen in der neoliberalen Ideologie einen Antikommunismus, der leugnet, dass es eine Gesellschaft gibt. Doch ihr Aufsatz endet optimistisch: »Darum ist es wichtiger denn je, die Idee des Kommunismus mit konkretem Inhalt zu füllen: als Versprechen einer Zukunft, für die es sich zu leben und zu kämpfen lohnt«.
Michael Koltan zeigt auf, dass Liberalismus historisch immer mit Antikommunismus, nicht aber mit Freiheit verknüpft war. Er begründet das mit einem historischen Exkurs, der ins Frankreich des 19. Jahrhunderts führt, wo der liberale Politiker Francois Guizot federführend an der Niederschlagung des Lyoner Weberaufstandes und einige Jahrzehnte später der Pariser Kommune beteiligt war. Marx hat ihn im Kommunistischen Manifest namentlich als einen derjenigen erwähnt, die das Gespenst des Kommunismus jagen.
Michael Brie beschäftigt sich mit der Philosophie von Thomas Hobbes. Dessen Held war der Besitzbürger, der sein Eigentum verteidigt. Im Gegensatz dazu benennt Brie die frühsozialistische Bewegung der Digger, die sich für ein Kollektiveigentum an Land und Boden einsetzten und massiver staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren.
Klaus Holz befasst sich mit der unheilvollen Symbiose Antisemitismus und Antikommunismus in der NS-Ideologie. Er verweist zudem auf die Versuche des Theologen Adolf Stoecker, der schon in den 1870er Jahren eine antisemitische Partei mit Anhang unter den Arbeitern zu gründen versuchte. Die Berliner Sozialdemokratie sorgte dafür, dass dieses Projekt scheiterte. Holz geht auch auf den Konflikt zwischen Stoecker und dem ebenfalls antisemitischen Historiker Heinrich von Treitschke ein, ein Nationalliberaler, der im Gegensatz zu Stoecker kein Interesse daran hatte, die Arbeiterschichten in seine Auseinandersetzung mit den Juden einzubeziehen. Doch gerade die Gruppe um Stoecker wurde zum Vorbild für die völkische Bewegung, zu der die NSDAP gehörte. Am Schluss seines Aufsatzes geht Holz auf die aktuellen rechtspopulistischen Strömungen ein, die sich als Verteidiger Israels im Kampf gegen den Islam aufspielen und trotzdem weiterhin zentrale Elemente des historischen Antisemitismus tradieren. »Der Rechtspopulismus nutzt das herkömmliche Arsenal, d. h. er kritisiert den Wirtschaftsliberalismus nicht, sondern nutzt ihn nur als Beleg für seine antiliberalen Feindbilder: Universalismus, Individualismus, Antinationalismus.«
Im letzten Kapitel widmet sich der Sozialwissenschaftler Enzo Traverso differenziert dem Stalinismus, der mehr war als eine bloße Negierung der Ideen der Oktoberrevolution. Ähnlich wie Napoleon Elemente der Französischen Revolution übernommen hat, führte Stalin Zeichen und Symbole der Revolution fort, ihres Inhalts jedoch beraubt. Die Nomenklatura rekrutierte sich aus ehemaligen Bauern und Arbeitern, die durch die Revolution in diese Position kamen. Traverso würdigt die Rolle der Kommunisten für den antikolonialen Kampf, der ihnen bei vielen Menschen des Trikonts hohe Anerkennung einbrachte. Wie alle Autoren dieses Buches erteilt auch er allen autoritären Sozialismusmodellen eine Absage. Die Perspektive erblickt er in Modellen des Anarchismus und der dezentralen Organisierung der I. Internationale.
• Jour Fixe Initiative (Hg.): Anti!Kommunismus. Struktur einer Ideologie.
Edition Assemblage, 135 S., br., 12,80 €.
Wie man den AfD-Wählern im öffentlich-rechtlichen Programm nach dem Mund redet. Ein Kommentar
„Was hat die AfD richtig gemacht und die anderen Parteien nicht?“ und „Warum konnte die AfD punkten?“: Das waren nicht etwa Fragen, mit denen der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer der AfD die Stichworte für ihre Selbstdarstellung lieferte. Nein, es war die Deutschlandfunkredakteurin Thekla Jahn, die in der Sendung „Länderzeit“ unter dem Motto „Die Bundesländer und die AfD“[1] der AfD-Politikerin Christina Baum[2] symbolisch den roten Teppich auslegte.
Nicht der Ansatz einer kritischen Frage war der Journalistin eingefallen. Thekla Jahn verzichtete auch darauf, Christina Baum politisch einzuordnen. Es war dann immerhin der CDU-Landtagsabgeordnete von Baden Württemberg Winfried Mack[3], der darin erinnerte, dass Baum zum äußerst rechten Flügel der AfD gehört[4] und bei der kurzzeitigen Spaltung der Landtagsfraktion in Baden Württemberg den antisemitischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon[5] unterstützte.
Mack wandte sich immerhin verbal gegen einen Rechtsruck der CDU, blieb aber nebulös. Die Union müsse auch in der Flüchtlingsfrage „bei sich bleiben“. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby[6] wandte sich dagegen, die Wähler am rechten Rand aufzusammeln.
„Dem Volk“ nach dem Mund geredet
Doch kaum hatte der erste Hörer im Ton der AfD polemisiert, dass er unter den Migranten keine Fachkräfte getroffen habe, schon sprach Winfried Mack davon, dass man die Menschen Ernst nehmen müsse und meinte nicht die Migranten, sondern die Wähler. Sie werden kein Verständnis haben, wenn wir den Familiennachzug ausweiten, redete er dem Hörer nach dem Mund und erinnerte nicht daran, dass Menschenrechte nicht nur für Fachkräfte gelten.
Weder Mack noch Diaby hinterfragten die Anmaßung des Hörers, für „die Menschen“ zu sprechen. Mack, der eben noch sein christliches Menschenbild betont hat, ersparte sich auch jedes kritische Wort, als der Hörer sagte, auch Christen müssen nicht alle aufnehmen. Schon hatte sich ein bekennender AfD-Wähler zu Wort gemeldet, der sich darüber echauffierte, dass junge Migranten bei Fahrscheinkontrollen in der U-und S-Bahn übersehen würden, weil die Kontrolleure kein Messer im Bauch haben wollen.
Auch hier fragte niemand kritisch nach und erinnerte daran, dass Menschen, die nicht „biodeutsch aussehen“, besonders häufig und besonders rabiat kontrolliert werden. Im Gegenteil, sprach der CDU-Politiker dem Hörer nach dem Mund, der Verständnis dafür äußerte, dass jemand AfD wählt, wenn er so etwas erlebt.
Im Anschluss konnte wieder die Moderatorin deutlich machen, wie viel Verständnis sie für die Thesen der AfD aufzubringen vermag. Die Parteien hätten sich von der Bevölkerung entfernt, übernahm sie völlig kritiklos die Thesen der rechten Szene. Prompt rief erneut ein Hörer an, der lamentierte, die Politiker würden die Bevölkerung nicht verstehen. Niemand wagte nachzufragen, welche Politiker und welcher Teil der Bevölkerung denn gemeint seien.
Dann zählte der Hörer eine ganze Reihe sozialer Fragen auf, die angeblich der Bevölkerung in Deutschland unter den Nägel brennen. Da geht es um die Altersarmut, um den Ärztemangel und den schlechten Zustand der Straßen. Das sind ja sicherlich berechtigte Kritikpunkte. Doch keiner der Gesprächspartner, auch nicht der Politikwissenschaftler Alexander Hensel vom Göttinger Institut für Demokratieforschung[7] kam auf die naheliegende Frage, wieso jemand, der diese sozialen Missstände beklagt, auf die Idee verfalle, die wirtschaftsliberale AfD zu wählen.
Das Wort Rassismus wurde nicht erwähnt
Dann hätte vielleicht einmal erwähnt werden können, dass es an den rassistischen Erklärungsansätzen liegt, welche Migranten für die unterschiedlichen soziale Probleme verantwortlich machen. Dann hätte man vielleicht auch den Gedanken zulassen können, dass das Gerede von neuen Tönen, welche die Politiker finden müssen, wenn sie von der Bevölkerung verstanden werden sollen, nichts anderes bedeutet, als dass jetzt alle den rechten Sound nachmachen sollen.
Wenn die Politiker aller Parteien nur in den Migranten das Problem sehen, werden die maroden Schulen und Straßen nicht besser, aber die deutsche Volksgemeinschaft ist zu sich selber gekommen. Nachdem der fünfte Hörer über angebliche Privilegien für Migranten schwadronierte, wandte Mack immerhin ein, dass man nicht alle Fragen der Politik unter der Prämisse der Flüchtlingspolitik diskutieren könne.
Doch dieser Einwand verpuffte und wurde von keinem Mitdiskutanten aufgegriffen. Auch nicht von dem Hörer, der sich als Angehöriger der jungen Generation vorstellte und vor einigen Monaten in die SPD eingetreten ist. Ihn störte an Merkel, dass sie moderne Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet und zeitweise die Grenzen geöffnet habe.
Karamba Diaby verzichtete darauf, den jungen Genossen darauf hinzuweisen, dass er mit seiner Merkel-Kritik eigentlich im Widerspruch zum SPD-Programm steht. Allerdings vergaß er nicht, das Neu-SPD-Mitglied auf die Einsteigerkonferenz seiner Partei hinzuweisen.
Nachdem alle noch einmal beteuert hatten, dass man nun dem Wähler besser zuhören und ihn verstehen bzw. auf Augenhöhe begegnen müsse, war die Sendung auch schon beendet. Als Fazit kann gelten, auch wenn die AfD-Politikerin Baum nur knapp 5 Minuten interviewt wurde, dass im Deutschlandfunk insgesamt 90 Minuten AfD-light geboten wurde. So lang dauerte die Sendung nämlich, in der nicht einmal das Wort Rassismus und Antisemitismus fiel.
Kritische Nachfragen – Fehlanzeige
Nicht einmal wurde kritisch nachgefragt, als die Hörerinnen und Hörer, die angerufen haben, Thesen vortrugen, die nicht nur, aber besonders im „Kosmos von Pegida“ und auf rechten Plattformen verbreitet werden. Niemand fragte beispielsweise den Hörer, der sich so vehement über jugendliche Migranten echauffierte, die bei der Ticketkontrolle übersehen würden, was in diesem Kontext überhaupt die ethnische Unterscheidung für einen Sinn macht.
Woher konnte der Hörer wissen, ob es sich um deutsche Staatsbürger handelt oder nicht? Hat vielleicht einfach eine geschlossene Gruppe junger Menschen, die Kontrolleure veranlasst, an ihnen vorbei zu gehen, völlig unabhängig welcher ethnischen Gruppe diese angeblich angehörten? Ein Waggon voll „biodeutscher“ Fußballfans wird von Kontrolleuern auch gerne mal übersehen.
Wäre ein solches Verhalten nicht aus verschiedenen Gründen gar zu loben? Einmal ersparen sich die schlecht bezahlten Kontrolleure selber Stress und sie ersparen auch der Gruppe, die von ihrem Recht auf Mobilität Gebrauch machte, Scherereien. Denn schließlich gibt es zahlreiche Berichte über besonders robuste Behandlung von renitenten Fahrgästen, wenn sie nicht besonders „biodeutsch“ aussehen, sobald Sicherheitskräfte und Wachdienst eingeschaltet sind.
Und schließlich hatten auch alle übrigen Fahrgäste einen Gewinn vom sehr rationalen Verhalten der Kontrolleure, weil sie sonst womöglich für längere Zeit am Bahnhof festgesessen hätten. Zugausfälle bzw. Zugverspätungen wegen Polizeieinsätzen im Bahnhof gehören nicht nur im Berliner Nahverkehr zum Alltag. Doch für solche unaufgeregten rationalen Überlegungen war in der Deutschlandfunksendung kein Raum.
Weder die Moderatorin, die bereits mit ihrer Fragestellung den AFD-Diskurs zur Grundlage nahm, noch die Gesprächspartner oder die zu Wort gekommenen Hörer und Hörerinnen, durchbrachen das Lamento von den unverstandenen Wählern, denen man jetzt mal zuhören müsse. Schon gar nicht wurden die vertretenen Thesen inhaltlich kritisiert. Nun könnte man denken, da ist halt mal eine Sendung schlecht gelaufen. Doch es handelte sich hier nicht um eine Ausnahme.
Früher nannte man es akzeptierende Jugendarbeit
Vor einigen Wochen gab der Politikwissenschaftler Clemens Heni[8] unter dem Titel Eine Alternative zu Deutschland[9] eine Sammlung von Aufsätzen heraus, mit denen der Autor die deutschen Zustände sehr gut beschreibt. Dabei leistet er auch immer wieder eine gute Medienanalyse:
Es geht um die Wählerinnen und Wähler, die man endlich ernst nehmen muss. … Deren Rassismus, Hass und Ressentiments werden einfach nicht ernst genommen… Früher nannte man das „akzeptierende Jugendarbeit“, man holte die Rechten da ab, wo sie standen und brachte ihnen Kuchen mit. Protestwahl ist das typische Wort, das jetzt wieder alle anführen, ohne einmal zu schauen, wie viel Rassismus, Lust auf den Schießbefehl, stolzdeutscher Nationalismus, Antifeminismus, …. in den AfD-Wählerinnen und -wählern wirklich stecken.
Clemens Heni
Diese Zeilen hat Heni lange vor der Deutschlandfunk-Sendung verfasst, doch besser hätte sie nicht beschrieben werden können.
Dagegen aber die Muslime in Deutschland nicht? Wenn es um arbeitsfreie Tage geht, gäbe es sicher viele andere Anlässe
Reformationstag 2017 – über diesen Feiertag freut sich ganz Deutschland“, heißt es in der Schlagzeile einer Münchner Boulevardzeitung[1]. Sie bezieht sich auf den Reformationstag 2017, der wegen Luthers 500sten Jahrestags des Anschlags der 95 Thesen in Wittenberge in diesem Jahr bundesweit Feiertag ist. Wenn sich die Behauptung verifizieren ließe, wäre das ein Armutszeugnis.
Denn dann würde der Geburtstag eines Hasspredigers und Antisemiten gefeiert, woran eine Schrift[2] der säkularen Giordano-Bruno-Stiftung[3] erinnert. Der Befund dürfte heute unzweifelhaft sein. Der Radau-Antisemitismus des Martin Luther[4] bot alle Elemente, die der NS dann durchsetzte.
Nur die fabrikmäßige Vernichtung konnte der Reformator noch nicht denken. In einer sehr informativen Sonderausstellung in der Berliner Topographie des Terrors[5] wurde dokumentiert, wie die Nazis sich als Luthers willige Vollstecker[6] gegen die Juden zeigte. Die Nazis hatten 1933 mit dem Deutschen Luthertag übrigens einen Gedenktag für ihren Inspirator eingeführt.
Mann des Mittelalters
Doch es gäbe noch viele weitere Argumente gegen einen Feiertag für einen Hassprediger, der zu den Massakern an den aufständischen Bauern aufrief. Zudem war Luther auch in seiner Zeit ein Reaktionär. So heißt es treffend im Humanistischen Pressedienst über den Reaktionär Martin Luther[7].
Luthers Freiheit des inneren Glaubens ist das Gegenteil von dem, wie wir heute Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung verstehen. Dem fundamentalistischen Reformator zufolge entscheidet allein die göttliche Gnade über Heil oder Verdammnis. Luthers Judenhass ist sprichwörtlich und wird heute gern als doch hinreichend bekannt abgetan – ein Zeitgeistphänomen eben, nicht der weiteren Rede wert.
Doch erweist sich der Theologe in seiner Studierstube – durch Wissenschaftsfeindlichkeit gepaart mit Teufels- und Hexenglaube – als Mann des Mittelalters. Längst gibt es zu seiner Zeit – unter den Katholiken – humanistischen Geist, weltoffene Kultur, neue Entdeckungen und gesellschaftskritische Bestrebungen.
Was seinen Judenvernichtungswahn über die Jahrhunderte so brandgefährlich machte: Es war sein gleichzeitiges absolutes Festhalten am Obrigkeitsdenken, an der hierarchisch-ständischen Herrschaftsstruktur.
Humanistischer Pressedienst
Luther und die deutschen Verhältnisse
Schon 100 Jahre nach Luthers Geburtstag wurde dieser Termin politisch instrumentalisiert[8]. Je stärker der deutsche Nationalismus sich gerierte, desto lauter berief man sich auf Martin Luther.
1817 fiel das Datum mit der schon ins Reaktionäre gekippten deutschnationalen Bewegung, die ihren Sieg über die ersten Ansätze von bürgerlichen Verhältnissen feierte, die durch Napoleon nach Deutschland gekommen waren. Auch die ersten Ansätze der Judenemanzipation kamen mit Napoleon nach Deutschland. Nach der Niederlage Napoleons begann bereits der völkische Antisemitismus[9] Raum zu greifen. Er konnte sich auf Luther berufen.
Es gäbe also gute Gründe, sich gegen einen Feiertag für einen solchen Mann zu wehren. Im Potsdamer Freiland wird immerhin der Reformationstag für einen besonderen Kulturabend genutzt. Unter dem Titel „Q – Gegen Luther, Papst und Fürsten – Alles gehört allen“ wird ein von Thomas Ebermann und Berthold Brunner bearbeitetes Theaterstück aufgeführt[10].
In der Republik wird dieses Jahr „500 Jahre Luther“ gefeiert.Allerdings passen Luthers Fundamentalismus und die Brutalität der Lutherschen Äußerungen, sein Juden- und Frauenhass und seine wahnhafte Apokalyptik nicht so recht in das Marketingkonzept von Weltoffenheit, Toleranz und Friedfertigkeit, welches zu diesem historischen Ereignis vermittelt werden soll.
„Q – Gegen Luther, Papst und Fürsten – Alles gehört allen“[11]
Warum nicht auch einen islamischen Feiertag in Deutschland?
Nun könnte man einwenden, dass es den vielen Menschen, die sich über den Reformationstag als Feiertag freuen, vor allem um einen zusätzlichen arbeitsfreien Tag und nicht um eine Luther-Ehrung gegangen sei. Doch als vor einigen Wochen Bundesinnenminister de Maizière die Idee eines islamischen Feiertags in Deutschland lancierte[12], gab es dagegen sofort Widerspruch auch über das rechtspopulistische Spektrum hinaus.
Selbst Grünen-Wähler haben an einem zusätzlichen Feiertag unter islamistischer Ägide kein Interesse[13]. Die queerfeministische Hamburger Kulturwissenschaftlerin Hengameh Yaghoobifarah[14] hat in einer satirischen Kolumne in der Taz[15] diese Ablehnung mit einer treffenden Polemik bedacht. Das wurde schon ihrer Eingangsfrage deutlich:
In Online-Umfragen darüber, ob es zusätzlich zu den bestehenden christlichen Feiertagen einen muslimischen für alle Leute geben sollte, stimmte die Mehrheit dagegen. Kartoffeln würden lieber auf einen freien Tag verzichten, als Muslim_innen einmal was zu gönnen. Warum machen sie so?
Der deutsche Hass auf Muslim_innen und die Paranoia vor einer – was auch immer das sein soll – Islamisierung der deutschen (wortwörtlich) Dreckskultur hält Kartoffeln davon ab, ein schöneres Leben zu führen. Lieber eine Schweinefleisch-Lobby gründen als halal-Fleisch in ihrer Kantine akzeptieren.
Hengameh Yaghoobifarah
Die humor- und satireresistente Rechte tobte und äußerte Vernichtungsphantasien gegen die Autorin. Ihre Satire hat also die Richtigen getroffen.
Doch aus einer säkularen Perspektive ist es sinnvoller, statt für einen zusätzlichen islamischen, für die Abschaffung aller religiösen Feiertage einzutreten.
Es ist sicher nicht sinnvoll, neben den deutschen Antisemiten Luther jetzt auch noch islamische Judenhasser und Reaktionäre zu ehren. Wenn es um arbeitsfreie Tage geht, gäbe es sicher viele andere Anlässe. Warum ist der 8. Mai kein Feiertag, zum Gedenken an die Männer und Frauen aus aller Welt, die wenigsten aus Deutschland, die den NS zerschlagen haben? Warum kein Feiertag für die Pariser Kommune, den weltweit ersten Versuch einer Arbeiterkommune?
Das hängt auch und vor allem mit der historischen Schwäche von Bewegungen zusammen, die sich auf solche Modelle berufen. Wer die Geschichte um den Kampf um den 1. Mai als Feiertag[16] kennt, wird auch auf die Problematik stoßen, dass auch ein Erfolg eine Niederlage sein kann.
Jahrzehnte hatte die Arbeiterbewegung in Gedenken an die hingerichteten Arbeiteraktivisten vom Haymarket in Chicago[17] am 1. Mai die Arbeit niedergelegt und war auf die Straße gegangen und wurde dafür entlassen und verprügelt.
Dieser Teil der Arbeiterbewegung hat bereits in der Frühphase der Weimarer Republik eine massive Niederlage erfahren, als sie von der SPD und den Freikorps bekämpft wurde. Als das NS-Regime den 1.Mai 1933 zum Tag der Deutschen Arbeitsfront ausrief, hatte die Volksgemeinschaft endgültig über die Arbeiterbewegung gesiegt. Wenn nun im Jahr 2017 ein Extrafeiertag für den Reaktionär und Antisemiten Luther kaum auf Kritik stößt, ist dies auch eine Zustandsbeschreibung für die deutschen Zustände.
Peter Nowak
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Diskussionsstoff für einen Antifaschismus auf der Höhe der Zeit
Momentan werden viele Bücher über die AfD verfasst. Etliche sind im Handgemenge geschrieben und schon nach wenigen Monaten nicht mehr aktuell. Doch das von Stephan Grigat herausgegebene „AfD und FPÖ, Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechte bilder“ gehört zu den Büchern, über die man noch länger diskutieren wird.
Nun hat sich das Kampffeld auf die Kulturindustrie erweitert
Bisher konnte man davon ausgehen, dass Konzertabsagen von Bands persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen geschuldet sind. Doch in letzter spielt dabei auch der Nahostkonflikt zunehmend eine Rolle. So sagten beim Berlin-Pop-Festival[1] Ende August einige Bands ab, weil die israelische Botschaft[2] die Reisekosten der israelischen Künstlerin Riff Cohen bezuschusst hat.
Der Boykott ist ein Beispiel für eine regressive Israelkritik und wurde so zu Recht scharf kritisiert. Schließlich wurde kein anderes Land, sondern ausschließlich Israel an den Pranger gestellt. Und es grenzt tatsächlich an Antisemitismus, wenn im Land der Shoah die Teilnahme israelischer Künstlerinnen und Künstler und die Unterstützung durch eine Behörde ihres Landes skandalisiert wird.
Durch die Absage der Künstler wurde auch die BDS-Kampagne[3] einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Das Kürzel bedeutet Boykott, Desinvestionen und Sanktionen und steht für ein weltweites Bündnis, die die israelische Regierung mit diesen Mitteln unter Druck setzen wollen und sich auf einen Aufruf[4] der palästinensischen Zivilgesellschaft bezieht.
Das Bündnis ist eindeutig pro-palästinensisch und stellt sich im Konflikt zwischen Israel und den arabischen Ländern klar auf einer Seite. Menschenrechtsverletzungen im Gaza und der Westbank werden dort ebenso wenig öffentlich dokumentiert, wie die Terroraktionen von islamistischen, aber auch arabisch-nationalistischen Gruppen gegen Israelis.
Wie aus einem Reisezuschuss für eine israelische Künstlerin eine israelische Unterstützung wurde
Die BDS-Kampagne hat mit einen Offenen Brief[5] an die Beteiligten des Berliner Pop-Festivals die Absagen zu verantworten. Dass sie dabei auch mit Falschmeldungen arbeite, zeigt die nachträgliche Richtigstellung[6].
Wir haben geschrieben: „Das Kultur- und Music Festival ‚Pop Kultur‘, das Ende August in Berlin stattfindet, wird von der israelischen Botschaft mitorganisiert.“ Das ist falsch. Richtig ist, dass die Kulturabteilung der israelischen Botschaft dem Festival Pop Kultur 2017 500 Euro als Reisekostenzuschuss für Künstler*innen zur Verfügung gestellt hat und daher auf der Webseite des Festivals gelistet ist, wie alle anderen Kultur-Partner auch.
BDS-Kampagne
Wenn es gegen Israel geht, nimmt man es mit der Wahrheit nicht so genau
Diese Korrektur nach der großen öffentlichen Aufmerksamkeit, die die BDS-Kampagne durch den Rückzug zahlreicher Künstlerinnen und Künstler von dem Pop-Festival ausgelöst hatte, müsste für die BDS-Organisatoren Anlass einer Kritik ihrer Prämissen sein. Denn die Faktenlage hat sich nicht geändert. Wie konnte aus einem Reisezuschuss für eine israelische Künstlerin eine Mitorganisation des Festivals durch die israelische Botschaft werden?
Und warum fiel den BDS-Organisatoren erst jetzt auf, dass viele andere Künstler auch von staatlichen Institutionen „ihrer Länder“ Zuschüsse für die Reisekosten bekommen haben? Wird hier nicht die der BDS-Kampagne unterstützte Diskriminierung und Dämonisierung Israels deutlich? Und warum haben die Organisatoren die Richtigstellung nicht mit einer Entschuldigung und dem klaren Rückzug des Boykott-Aufrufs verbunden?
Das wäre doch eigentlich die logische Konsequenz ihrer Feststellung, dass sie eine Fake-News einer angeblichen Mitorganisation der israelischen Botschaft verbreitet haben. Auf dieser Grundlage haben einige Bands ihre Teilnahme abgesagt. Schließlich war die angebliche Mitorganisation der israelischen Botschaft die zentrale Aussage des Aufrufs.
„Beenden Sie die Partnerschaft mit der israelischen Botschaft“, heißt es dort[7]. Die Forderung konnte gar nicht eingelöst werden, weil es diese Partnerschaft nie gab.
Eine Band hat allgemein gesagt, dass sie sich wegen der durch den Boykottaufruf ausgelösten Debatte um das Festival zurückgezogen hat. Doch diese Konsequenz, ihren Aufruf zurückzuziehen und um Entschuldigung für ihre Falschaussagen und die Folgen zu bitten, sucht man in der BDS-Erklärung vergeblich. Die lapidaren Sätze der Richtigstellung zeigen, dass entweder die Organisatoren die Tragweite der Folgen nicht begriffen habe, die ihre Falschaussagen ausgelöst haben oder es ist ihnen schlicht egal.
Wenn es gegen Israel geht, nimmt man es mit der Wahrheit nicht so genau. Da wird ein Reisezuschuss für eine israelische Künstlerin gleich zu einem Festival, an dem die israelische Botschaft beteiligt ist. Dieser laxe Umgang mit der Wahrheit und die fehlende Bereitschaft, die Prämissen der eigenen Arbeit selbstkritisch zu hinterfragen, waren dann auch der Anlass, dass der Gegenwind gegen die BDS-Kampagne wuchs.
In mehreren Städten wie Frankfurt/Main und München wurden ihr städtische Räume verweigert. Auch Linke wie Jutta Ditfurth positionierten[8] sich klar gegen die BDS-Kampagne. Weniger bekannt ist das sehr differenzierte Grundsatzpapier[9] der Ökologischen Linken zum Israel-Palästina-Konflikt.
Ist die BDS-Kampagne antisemitisch?
Denn so berechtigt die Kritik an der BDS-Kampagne ist, so verkürzt ist es, sie pauschal als antisemitisch zu bezeichnen. Das wird der Tatsache nicht gerecht, dass an der Kampagne weltweit sehr unterschiedliche Menschen mit sehr unterschiedlichen Motivationen beteiligt sind. Der BDS-Kritiker Micha Brumlik, ist einer der wenigen, der hier sehr klar zu differenzieren in der Lage ist.
Er verteidigte beispielsweise die Adorno-Preisträgerin Judith Butler gegen den Vorwurf des Antisemitismus[10] . Heute wird das Adjektiv „antisemitisch“ im Zusammenhang mit der BDS-Kampagne sehr freigiebig verwendet und oft nicht einmal mehr begründet. So hat man den Eindruck, bei der Etikettierung wird voneinander abgeschrieben.
Die Mühe, die sich vor einigen Jahren noch die Kritiker der BDS-Kampagne gemacht haben, ihre Beurteilung nachvollziehbar zu machen, unterbleibt. Das ist auch einem Schwarz-Weiß-Denken auf beiden Seiten geschuldet. Warum soll es nicht möglich sein, die BDS-Kampagne zu kritisieren, ohne sie gleich als antisemitisch zu etikettieren?
Tatsächlich gibt es bei der BDS-Kampagne starke Anleihen an einem regressiven Antizionismus, der offene Flanken zum Antisemitismus hat. Deswegen sind nicht alle Menschen, die diese Kampagne unterstützen Antisemiten. Diese Differenzierung hat Konsequenzen bei der Behandlung der Menschen, die die BDS-Kampagne unterstützen.
Künstlerin wurde unter Druck gesetzt, weil sie angeblich BDS-Kampagne unterstützt
Das zeigte sich im Umgang mit der Rapperin Kate Tempest[11]. Sie war schon für einen Gig in der Volks-Bühnen-Dependance[12] am ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin gebucht, als sie sich zur Absage des Konzerts entschlossen. Der Grund liegt im Streit um den Umgang mit Israel.
Die Berliner Zeitung schreibt[13] über die Absage der Künstlerin:
Tempests Absage ist doppelt schade und zugleich symptomatisch für das erhebliche kulturpolitische Störpotenzial, dass die BDS-Aktivitäten inzwischen auch für den hiesigen Kulturbetrieb darstellen.
Berliner Zeitung
Doch diese Darstellung ist zumindest irreführend. Denn tatsächlich ging der Absage von Tempest massiver Druck auf die Künstlerin voraus, dieses Mal von Kritikern der BDS-Kampagne[14]:
Wie aus einer Pressemitteilung der Volksbühne hervorgeht, veröffentlichte ihr Management folgendes Statement: „Wir erhalten weiterhin persönliche Drohungen via E-Mail oder sozialer Netzwerke und das ist keine akzeptable Umgebung, um unser Konzert zu präsentieren. Kate will in einer derartig aggressiven Atmosphäre nicht auftreten und ich will kein weiteres Risiko über ihre mentale Gesundheit oder die Sicherheit unseres Teams eingehen.“
Gegenüber der Zeit[15] erklärte die Künstlerin: „Ich möchte klarstellen, dass ich über die Handlungen der israelischen Regierung gegen die palästinensische Bevölkerung entsetzt bin. Ich habe lange darüber nachgedacht und mich, gemeinsam mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, die ich respektiere, als Akt des Protestes dem kulturellen Boykott angeschlossen. Ich bin eine Person jüdischer Abstammung und zutiefst von den Vorwürfen, ich würde eine antisemitische Organisation unterstützen, verletzt. Die israelische Regierung ist nicht die einzige Stimme des Judentums. Dieser Auftritt war dazu gedacht, darauf aufmerksam zu machen, welchen Horror Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben durchmachen müssen und Solidarität mit ihnen als Menschen zu zeigen und ich bin darüber enttäuscht, dass daraus ein politischer Spielball gemacht wurde. Ich bedauere, dass ich den Auftritt abgesagt habe, aber ich hatte das Gefühl, dass es weder ein angemessener noch ein sicherer Rahmen für mich wäre, meine Kunst zu präsentiere.“
laut.de[16]
Das war eine sehr differenzierte Stellungnahme, die die BDS-Kritiker zur Kenntnis nehmen sollten, denen es wirklich um den Kampf gegen Antisemitismus geht. Denn es gibt neben den von ihnen mit Recht herausgestellten israelbezogenen Antisemitismus weiterhin den gegen Linke, Antinationale und Kosmopoliten.
Vor allem der Teil der Rechten, die Israel als Vorposten des Kampfes gegen den Islamismus schätzen gelernt hat, konzentriert sich bei ihren Antisemitismus jetzt auf die Hetze gegen israelkritische Jüdinnen und Juden. Daher wäre es angebracht, wenn diese BDS-Kritiker sich klar von der Hetze gegen Tempest distanzieren würden.
Die Taz hat da auch Ross und Reiter genannt[17] beispielsweise den Berliner SPD-Jungpolitiker Sercan Aydilek. Er wird mit diesem Twitter-Posting[18] an Tempest zitiert: „Jetzt weißt du, dass dein Dreck in Berlin nicht willkommen ist.“
Jetzt sollten die BDS-Kritiker Aydilek deutlich machen , dass er mit diesen Statement seinen eigenen Grundsatz „Gegen jeden Antisemitismus“, selber nicht gerecht geworden ist und eine Entschuldigung fällig wäre.
Eine andere Kritik der BDS-Kampagne ist möglich
Dass man eine Kritik am regressiven Antizionismus auch ohne Diffamierung der Gegner führen kann, zeigte die kleine Basisgewerkschaft Wooblies[19]. Sie erstellte ein Dossier[20]. Dort zeigte sie auf, wieso die transnational arbeitende Gewerkschaft die BDS-Kampagne einst unterstützte und wo die Kritikpunkte liegen.
Dabei machte sie auch deutlich, dass kritische Artikel[21] den internen Diskussionsprozess beförderten. Die Verfasser kommen zu dem Schluss, dass es die Aufgabe einer Gewerkschaft nicht sein kann, Ausschlüsse und Spaltungen durch Boykottaufrufe, die sich in einem nationalen Konflikt einseitig auf eine Seite stellen, zu befördern.
Vielmehr müsste es konkret für die Region Israel/Palästina darum gehen, Organisationen und Gewerkschaften zu unterstützen, die Lohnabhängige binational organisieren und gemeinsam im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Löhne unterstützen.
Ein solche Orientierung schließt natürlich auch eine Absage ein an jede Unterstützung der Politik der israelischen Regierung wie jeder Staats- und Regierungsinteressen. Es wäre zu wünschen, wenn sich die BDS-Kritiker an den Umgang der Wooblies mit der Thematik ein Beispiel nehmen würden und nicht ihrerseits zu Druck und Beleidigungen greifen würden.
In eindringlichen Worten beschwor der 90-jährige Volkmar Harnisch die Anwesenden, dem Aufstieg einer neuen rechtspopulistischen Bewegung in Deutschland entgegen zu treten. Er war 1944 im Alter von 17 Jahren von den Nazis inhaftiert worden. Am Freitagabend eröffnete er in der TU Berlin eine Konferenz der Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistischen (VVN-BdA). Unter dem Titel »Deutschland wieder gutgemacht?« befasste sie sich mit dem Wandel der Erinnerungspolitik an das NS-Regime. Harnisch ist einer der wenigen noch lebenden Widerstandskämpfe
Wie wird eine Erinnerungspolitik ohne die Zeitzeugen aussehen? Das ist eine Frage, die sich auch der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Detlef Garbe in seinem Einführungsreferat stellte. Er warnte vor einem »Aufarbeitungsstolz« deutscher Politiker, die eine neue Rolle Deutschlands in der Weltpolitik damit begründen, dass das Land sich der NS-Geschichte vorbildlich gestellt habe. Garbe erinnerte daran, dass bis in die 1980er Jahre der Kampf um Erinnerungsorte von NS-Terror und Verfolgung eine Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen war und von der Politik oft ignoriert oder gar sabotiert wurde. Er betonte, Gedenkpolitik müsse auch weiterhin politisch verunsichern. Wenn die AfD in den Bundestag einziehe, stünden ihr auch Sitze in Kommissionen zu, die sich mit Gedenkpolitik befassen. Zudem beklagte der Historiker daraufhin, dass der Etat für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte größer sei als für die Erinnerung an den NS-Terror. Der Publizist Wolfgang Herzberg wiederum, der als Kind jüdischer Kommunisten im britischen Exil geboren wurde, verwahrte sich in einer engagierten Rede gegen die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Regime.
In einer von der Historikerin Cornelia Siebeck moderierten Podiumsdiskussion ging es dann um die Frage, wie eine Erinnerungspolitik aussehen kann, die in die aktuelle Politik kritisch intervenieren will. Nach dem Tod der letzten Zeitzeugen befürchtet sie eine Historisierung des Faschismus. Der Publizist und Jurist Kamil Majchrzak verwies in diesem Kontext auf die Verantwortung der dritten Generation, der Kinder und Enkel von NS-Opfern und Widerstandskämpfern. Dabei griff er eine Diskussion auf, die in Israel schon einige Jahre geführt wird. Majchrzaks Großvater war NS-Widerstandskämpfer und KZ-Häftling. Dessen Erfahrungen hätten auch ihn geprägt.
Für Anne Allex von der AG »Marginalisierte gestern und heute« ist Geschichte der Verfolgung in der NS-Diktatur noch längst nicht vollständig erforscht. Sie wies daraufhin, dass Menschen, die von den Nazis als »arbeitsscheu« und »asozial« klassifiziert wurden, bis heute keine Entschädigung erhalten haben und in den Nachkriegsjahren oft weiter verfolgt wurden. Der Wissenschaftler Stefan Heinz, der in einem Forschungsprojekt der FU Berlin über das Schicksal von Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen im NS-Staat mitarbeitet, ist der Überzeugung, dass vor allem die Widerstandsgeschichte der Arbeiterbewegung gegen die Hitlerdiktatur noch nicht ausgeforscht sei.
Die gutbesuchte Konferenz machte deutlich, dass die Gruppe jener wächst, die sich gegen Versuche stemmt, die Erinnerungspolitik an die Verbrechen des NS-Staates als vergangene Geschichte zu betrachten.
Über den Drang linker und liberaler Autoren und Redaktionen, mit Personen aus dem Umfeld der AfD und der Neuen Rechten ins Gespräch zu kommen
Der linksreformerische Publizist Thomas Wagner hat kürzlich unter dem Titel „Die Angstmacher“[1] ein Buch herausgebracht, das mit dem Anspruch auftritt, ganz neue Erkenntnisse vor allem über die Neue Rechte und die 68er-Bewegung zu liefern. So heißt es in den Verlagsinformationen[2].
Mit dem Aufkommen der AfD droht die Neue Rechte breite bürgerliche Schichten zu erfassen. Wer sind ihre Ideengeber, und worin haben sie ihre Wurzeln? Thomas Wagner stellt erstmalig heraus, wie wichtig „1968“ für das rechte Lager war, weil es einen Bruch in der Geschichte des radikalrechten politischen Spektrums markiert, der bis heute nachwirkt. Das zeigen unter anderem die Gespräche, die Wagner mit den Protagonisten und Beobachtern der Szene geführt hat, darunter Götz Kubitschek, Ellen Kositza, Martin Sellner, der inzwischen verstorbene Henning Eichberg, Alain de Benoist, Falk Richter und Frank Böckelmann. Wagners Buch liefert eine spannende Übersicht über die Kräfte und Strömungen der Neuen Rechten und ihre Ursprünge.
Was hat die Neue Rechte mit der 68er-Bewegung zu tun?
Nun gibt es allerdings schon viel Literatur, die sich damit beschäftigt, dass die außerparlamentarische Rechte sich einige Aktionsformen der 68er-Bewegung angeeignet und auch den italienischen Theoretiker Antoni Gramsci und dessen Hegemoniekonzept studiert hat, der allerdings kein 68er war. Nur sagt das wenig über die völlig konträren Inhalte beider Bewegungen aus.
Verwirrender wird das Ganze noch, wenn Wagner den Gründungsmythos einer außerparlamentarischen Rechten auf den 21. Mai 1970 legt. Damals randalierten Rechte jeglicher Couleur in Kassel gegen das Treffen von Willi Brandt mit dem DDR-Politiker Willi Stoph. Die Ablehnung der Anerkennung der DDR und damit die zumindest zeitweilige Akzeptanz der deutschen Teilung einte Rechtskonservative, Vertriebenenfunktionäre und Neonazis. Sie gründeten die „Aktion Widerstand“ und schrien Parolen wie „Brandt an die Wand“.
Neben Brandt und anderen Entspannungspolitikern hassten sie die 68er-Bewegung in all ihren Ausprägungen. Sie sahen sich sogar als Stoßtrupp gegen die Ideen der 68er-Bewegung und feierten den Dutschke-Attentäter.
Die NPD hat in diesen Kreisen damals rapide an Einfluss nicht aus ideologischen Gründen verloren, sondern weil sie den Einzug in den Bundestag 1969 knapp verfehlt hat. Die Neue Rechte steht also nicht im Kontext der 68er-Bewegung, sondern ist eine ihrer größten Feinde. Doch ein Buch verkauft sich allemal besser, wenn nun auch ein linker Autor die 68er und die Rechte von heute irgendwie in Verbindung bringt. Politisch ist das so falsch, wie wenn man die NSDAP mit der Novemberrevolution kurzschließt und nicht erwähnt, dass die Vorläufer der Nazis in jenen Freikorps bestanden, die Todfeinde der Revolutionäre waren. Sie waren in den Jahren 1918/19 an vielen Massakern und Erschießungen von aufständischen Arbeitern beteiligt.
Tabubruch: Frag die Rechten
Eine weitere verkaufsfördernde Maßnahme besteht dahin, Tabubrüche zu inszenieren. Dazu gehören im Fall von Wagner ausführliche Interviews mit führenden Vertretern der Neuen Rechten in und außerhalb der AfD. „Damit haben Sie fast gegen so einen linksliberalen Konsens verstoßen und mit den Rechten gesprochen. Hat das etwas gebracht“, wird Wagner von einem NDR-Journalisten gefragt[3]. Die Antwort wirft weitere Fragen auf:
Mir hat es gebracht, genauer zu verstehen, wer was wo von wem gelernt hat – also zunächst ein historisches Interesse, wie es wirklich gewesen ist. Wenn man versteht, wie diese Provokationsmethoden funktionieren, und dass es ganz ähnliche Provokationsmethoden sind, die auch von der Neuen Linken seit den 60er-Jahren verwendet wurden, dass man dann vielleicht die Möglichkeit hat, gelassener darauf zu reagieren – und nicht so hysterisch wie es derzeit zum Teil der Fall ist.
Thomas Wagner
Zunächst einmal hat Wagner Recht, wenn er sich gegen manche antifaschistische Kurzschlussreaktion wendet, die jede Provokation eines AfD-Politikers so aufbläst, dass sie erst richtig bekannt wird und damit der Rechtspartei eher nützt. Zudem bedeuten auch zweistellige Wahlergebnisse für die AfD noch keine Wiederkehr von Weimarer Verhältnissen. Doch Wagners Argumentation ist nicht schlüssig.
Wenn er wirklich der Meinung ist, dass die Neuen Rechten die Erben 68er sind, wäre das ja kaum Grund für Gelassenheit. Schließlich haben die 68er kulturell die Republik verändert – und es ist keineswegs beruhigend, wenn das der Apo von Rechts auch gelänge. Denn Wagner sieht völlig von den unterschiedlichen Zielstellungen ab. Die Rechten wollen die letzten Reste von 68 aus der Gesellschaft tilgen, die es ja sowieso nur auf kulturellem Gebiet gab. Es wurden nur die Teile des 68er-Aufbruchs adaptiert, die dem Kapitalismus nützen.
Zudem ist nicht erkennbar, warum Wagner mit den Rechten reden muss, um ihre Strategie und Taktik zu verstehen. Denn solche Interviews sind zunächst und vor allem Selbstdarstellungen. Das zeigt sich an dem Gespräch mit Ellen Kositza[4], einer der Theoretikerinnen der Neuen Rechten in der Wochenzeitung Freitag. „Es geht sehr launig und zivilisiert zu in der Auseinandersetzung mit der Rechten. Gab es eine bestimmte Sorte Tee und Kuchen dazu?“ fragte eine Leserin sehr treffend.
Denn obwohl der Freitag-Journalist Michael Angele seine Distanz zu den Rechten in seinen Fragen deutlich werden ließ, gelang es nicht, die medienerfahrene Kositza wirklich grundlegend aus der Reserve zu locken. Dabei bot sie genügend Anknüpfungspunkte, wo sie die Vorstellung der Gleichheit aller Menschen als langweilig bezeichnete und sich damit nicht nur gegen Menschen aus anderen Ländern, sondern auch gegen Lohnabhängige wandte, die sich gewerkschaftlich für ihre Interessen einsetzen: „Ich denke auch, das heutige Proletariat ist nicht, was es war. Heute sehe ich da dicke Menschen mit Plastiküberzügen am Leib und Trillerpfeife im Mund vor mir. Da empfinde ich wenig Solidarität.“
Diese Plauderei über das Landleben im Harz jedenfalls sagt weniger über die Rechte aus als ein Buch, in dem Autorinnen und Autoren deren Strategie und Taktik analysieren und in den gesellschaftlichen Kontext rücken.
Hätte die Weltbühne Hitler interviewen sollen, um das 3. Reich zu verhindern?
Es wird so getan, als würde der Aufstieg der Rechten dann gestoppt, wenn wir die nur ausführlich interviewen und auch in linken und liberalen Medien selber zu Wort kommen lassen.
Hätte man die Nazis von der Macht fernhalten können, wenn Hitler und Co. auch in der Weltbühne, einer bekannten linksliberalen Zeitung der Weimarer Republik, zu Wort gekommen wären, muss man sich hier fragen. Dabei waren damals Gespräche zwischen NSDAP-Mitgliedern und entschiedenen Nazigegnern Teil der politischen Kultur. Nicht nur die KPD beteiligte sich an öffentlichen Diskussionsveranstaltungen mit Nazis, die nach genauen Regelungen abliefen und trotzdem oft in Saalschlachten endeten. Auch Anarchisten wie Rudolf Rocker und Erich Mühsam beteiligten sich zwischen 1930 und 1933 an Diskussionen mit den Nazis in und außerhalb der NSDAP, wie eine kürzlich von der Initiative für ein Gustav-Landauer-Denkmal in Berlin[5] erstellte Broschüre zur Geschichte des Anarchismus in Berlin-Kreuzberg[6] mit Quellen belegt.
Diese Gespräche waren also nicht einfach einer Wende der KPD zum Nationalismus hin geschuldet, sondern gehörten zur politischen Kultur der Nazigegner vor 1933. Nur hat sie die Nazis nicht von der Macht ferngehalten. Daraus sollten die Gegner der Rechten von heute ihre Schlüsse ziehen. Interviewt die Rechten, wo er sie trefft, ist zumindest keine antifaschistische Strategie.
„Keine Bühne für die AfD und die Neue Rechte“
Einen anderen Weg gehen Künstler, die sich in einem Offenen Brief dagegen wenden, dass Vertreter der AfD und der Neuen Rechten zu Diskussionsveranstaltungen in Theater und andere Kultureinrichtungen eingeladen werden. Sie haben sich in Offenen Briefen[7] dagegen gewandt, dass den Rechten so eine Bühne geboten wird.
Diese Initiative hat eine große Resonanz[8] erfahren und wiederum zu Debatten[9] geführt. In der Jungle World haben zwei der Künstler, die den Offenen Brief initiiert haben, ihre Weigerung, den Rechten eine Bühne zu bieten, noch einmal verteidigt[10].
„Ich denke, man sollte sich einem vorgeblichen Dialog mit den Rechten verweigern. Erstens ist dazu schon viel gesagt worden und die Positionen sind klar. Zweitens sollte das Völkische auch nicht diskutierbar werden. Ich sehe das eher als unproduktive Debatte. Wer etwas davon hat, sind die Rechten: Sie bekommen eine Bühne und somit auch die Legitimation, ihre Parolen und Thesen zu verbreiten“, erklärt die Theaterregisseurin Konstanze Schmitt[11]. Das gilt nicht nur für das Theater, sondern ist auch eine Kritik an liberalen und linken Autoren und Medien, die unbedingt mit Rechten reden wollen.
https://www.heise.de/tp/features/Interviewt-die-Rechten-wo-Ihr-sie-trefft-3819191.html
Peter Nowak
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Der Wandel eines Begriffes in der taz „Behörden können nicht zu hundert Prozent ausschließen, dass die Falschen bei ihnen anheuern; sie können Sachbearbeiter nicht unter Generalverdacht stellen, weil sie auf Facebook in fremden Sprachen schreiben. Sie können Mitarbeiter in sensiblen Bereichen aber durch eine Sicherheitsüberprüfung schicken und ihre Daten mit Erkenntnissen von Polizei, Verfassungsschutz und BND abgleichen. Ist das in diesem Fall passiert? Gab es keine Treffer? Warum nicht?“
Eigentlich erwartet man einen solchen Kommentar bei Springers „Welt“ oder einer anderen konservativen Zeitung, die immer für mehr Überwachung und Datenspeicherung eintritt. Doch die zitierten Zeilen stammen aus einem Kommentar aus der ökologisch-liberalen Tageszeitung (taz) vom 11. August 2017.
Verfasst hat ihn Tobias Schulze, der Innenpolitik-Redakteur des Blattes. Die taz hat an diesem Tag mit einer besonderen Enthüllung aufgemacht.Unter der Überschrift „Der Kommunist im Bundesamt“ wurde einer der wenigen Mitarbeiter mit nichtdeutschem Hintergrund im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an den Pranger gestellt. Der Mann stammt aus Vietnam, hat in der DDR gelebt und war nach 1989 in den Staatsdienst übernommen worden. Er hat sich in Deutschland nicht politisch betätigt, allerdings wurde er in vietnamesischen Medien als Propagandist des vietnamesischen Regimes zitiert. Nun muss man weder mit BAMF-Mitarbeiter_innen im Allgemeinen noch mit Propago- nist_innen des vietnamesischen Staatskapitalismus besondere Sympathie haben, um sich von einer taz-Berichterstattung zu distanzieren, die ausgerechnet diesen Mitarbeiter diffamiert und zur Überwachung und letzt- lich zum Berufsverbot gegen ihn aufruft. Dabei wäre es rich- tig, die Au ösung des BAMF zu fordern, als Behörde, die Menschen auf Grund von Pässen und Herkunft an der Einreise hindert. Eine solche Forderung wird man aber in der taz heute vergeblich suchen.
Dabei ist diese Zeitung einst alsein Organ der Gegenöffentlichkeit gegründet worden, um das zu berichten, was ein Großteil der Medien verschwiegen hat.
Gegenöffentlichkeit heute in der BRD nicht mehr notwendig?
Am 24./25. Mai 2017 erschien die taz mit einer Sonderbeilage zur Gegenöffentlichkeit und dem Motto „Gegen den Strom“. Dort schreibt der taz-Kommentator Jan Feddersen, dass eine Gegenöffentlichkeit, wie vor 50 Jahren, heute in Deutschland nicht mehr notwendig sei. Nur manchmal solle die außerparlamentarische Bewegung den Herrschenden auf die Finger gucken, ansonsten sei konstruk-tives Mitmachen die Devise. Gegenöffentlichkeit hingegen brauche es in den Ländern, die der deutsche Imperialismus so- wieso schon auf der Abschussliste hat.
„Politisch ist eine bessere Welt nur durch stete, auch nervenauf-reibende Arbeit zu haben – in den demokratischen Institutionen. Die Straße als Gegenöffentlichkeit ist weiterhin notwendig: Auch, um rechten Demonstrationen zu signalisieren, dass sie als Antidemokraten jederzeit mit Gegenwehr einer bunten oder konservativ gesinnten oder linken Gesellschaft zu rechnen haben”, schreibt Feddersen. Wenn man die Beiträge derSonderausgabe durchblättert, kommt man zu dem Eindruck, Gegenöffentlichkeit wäre nur noch in der Türkei, in Russland und in den USA unter Trump nötig. Da darf natürlich mit Boris Schumatsky auch ein Mann nicht fehlen, der in seinem Artikel die Sowjetunion zum Reich des Bösen im Stile des Kalten Krieges erklärt und gleich einen großen Teil der Linken im We- sten als „Lügenversteher“ diffamiert.Der sowjetische Stardissident Alexander Solscheznizyn und der spätere tschechische Präsident Vaclav Havel werden hingegen als Menschen verklärt, die „in Wahrheit leben wollten“. Ein solcher Beitrag in einer Zeitung, die sich der Gegenöffentlichkeit widmet, kann eigentlich nur als unfreiwillige Parodie verstanden werden.Ein Teil der Menschen, die in der BRD und anderen Staaten vor 50 Jahren für Gegenöffent- lichkeit kämpften, werden mas- siv diffamiert, weil sie die „freie Welt“, einen Begriff, den Schu- matsky völlig ohneIronie verwendet, nicht für die beste aller Welten gehalten haben und noch immer nicht halten.
Wie in einer Beilage zur Gegenöffentlichkeit linke Geschichte retuschiert wird
Ein zentraler Impuls für den Kampf um Gegenöffentlichkeit, der schließlich zur Gründung neuer Zeitungsprojekte führte, von denen die taz überlebte, war die massive staatliche Repression, mit der alle Versuche behindert wurden, die Todesumstände der Stammheimer Häftlinge aus der RAF jenseits der of ziellen Selbstmordthese zu untersuchen. Dieses Anliegen teilten damals auch viele Linke, die nie Sympathien mit der RAF oder mit dem bewaffneten Kampf insgesamt hatten.Sie gerieten im sogenannten Deutschen Herbst, der mehrere Jahre dauerte, genauso ins Visier staatlicher Repressionsorgane wie militante Linke.Erinnert sei nur an die Repressionswelle gegen Drucker_innen und Buchhändler_innen, die den„Mescalero-Aufruf“ verbreiteten (1). Dort übte nach dem Attentat auf Generalbundesanwalt Buback ein damals anonymer Autor Kritik an der RAF aber auch an Buback und dem Staat. Der Aufruf wurde von den staatlichen Instanzen als Terrorverherrlichung bewertet und war Anlass einer massiven Verfolgungswelle.Viele Medien der Gegenöffentlichkeit, wie auch die Graswurzelrevolution, wurden 1977 kriminalisiert, weil sie den Sponti-Text des Göttinger Mescalero dokumentiert hatten. Davon waren auch Hochschul- ASten und Intellektuelle wie der Göttinger Professor Peter Brückner betroffen, die dafür eintraten, dass der Mescalero-Text veröffentlicht und diskutiert werden kann.
Die zahlreichen Widersprüche und Ungereimtheiten an der of ziellen Version der Stammheimer Todesnacht würden auch 40 Jahre später noch genügend Anlass für kritische Nachfragen geben. Obwohl viele dieser Widersprüche bis heute ungeklärt. sind, wie Helge Lehmann in seinem 2011 veröffentlichten Buch „Die Todesnacht von Stammheim“ deutlich machte, wird darauf in der taz-Beilage mit keinem Wort eingegangen. Vielmehr wird die einst umkämpfte staatliche Version, dass die Gefangenen Selbstmord verübten, kommentarlos übernommen.
taz und die Vertriebenen aus Thüringen
Es ist auch nicht zu erwarten, dass die taz zum aktuellen Stammheim-Jubiläum die Todesumstände noch einmal kritisch hinterfragt. Dafür werden wir im taz-Feuilleton vom 14.8.2017 mit einer besonderen Art von alternativen Wahrheiten beglückt. Anlässlich der Besprechung eines Lyrikbands von Jürgen Becker erfahren wir vom Rezensenten Eberhard Geisler erstaunliches:„Jürgen Becker drängen sich auch heute noch Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkriegs auf, als die Rote Armee einmarschierte und die Familie des künftigen Dichters aus Thü ringen vertrieben wurde“.Nun kann es viele Gründe ge- ben, vor der Roten Armee zu iehen. Wenn aber 1945 in Deutschlandjemand ieht, als die Rote Armee als Teil der Anti- Hitler-Koalition das NS-Regime zerschlagen hat, was der Autor verschweigt, dann drängt sich zuerst die Frage auf, wo war der die Jahre davor war und was er in NS-Deutschland gemacht hat. Dass die Rote Armee aber Leute aus Thüringen vertrieben hat, ist eine alternative Nachricht, auf die noch nicht mal die Vertriebenenorganisationen gekommen sind. Darauf konnte wohl nur die taz kommen.
aus: september 2017/421 graswurzelrevolution 17
medien & kritik
In Stefan Dietls neuem Buch steht neben Neoliberalismus und völkischem Antikapitalismus aus der AfD selbst, auch der Standortnationalismus der DGB-Gewerkschaften zur Debatte.
„Sozialstaat? Braucht Grenzen!“ Mit diesem Motto wirbt die AfD im Bundestagswahlkampf. Im Wahlprogramm der Rechtspopulist_innen wird der Zusammenhang zwischen Sozialstaat und Flüchtlingspolitik so formuliert: „Die Stabilisierung der Sozialsysteme erfordert bei einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung besondere Anstrengungen. Unsere begrenzten Mittel stehen deshalb nicht für eine unverantwortliche Zuwanderungspolitik, wie sie sich kein anderes europäisches Land zumutet, zur Verfügung.“ Eine solche Argumentation findet auch bei Gewerkschafter_innen Zustimmung.
Der Essener Bergmann Guido Reil, der von SPD zur AfD gewechselt ist, postet auf seiner Facebookseite ein Video, auf dem man 10 Minuten sieht, wie er sich flankiert von Kameras in die Essener DGB-Demonstration zum 1. Mai drängen will. Ihm schallen immer wieder „Nazis raus!“-Rufe entgegen. Der Münchner Journalist Stefan Dietl untersucht in seinem, im Unrast-Verlag erschienenen, Buch die Sozialpolitik der AfD und benennt dabei erfreulicherweise auch die Verantwortung des DGB. Der Untertitel seines Buches „Zwischen Marktradikalismus und völkischen Antikapitalismus“ benennt die beiden Pole der AfD-internen Debatte. Dietl erinnert noch einmal daran, dass die Wahlalternative 2013, aus der die AfD hervorgegangen ist, als Sammelbecken von der FDP enttäuschter Neoliberaler gegründet wurde. Von Anfang an waren Neokonservative mit im Boot. „Der AfD gelang es sowohl marktradikale Eliten als auch nationalkonservative Hardliner_innen, christlich-fundamentalistische Aktivist_innen und völkische Nationalisten zu vereinen“, beschreibt Dietl das Erfolgsrezept der Rechtspopulist_innen. Im Detail geht Dietl dann auf das sozialpolitische Programm der AfD und die innerparteilichen Debatten um einen Mindestlohn oder das Freihandelsabkommen TTIP ein.
ES REICHT NICHT, DIE AFD ALS NEOLIBERAL ZU ENTLARVEN
Er zeigt auf, dass die AfD flügelübergreifend sowohl die Agenda 2010 als auch die Leiharbeit unterstützt.
„Die Ausgrenzung und Selektion von sozial Benachteiligten nach vermeintlichen Leistungskriterien zum Wohle von Weltwirtschaft und Volk fügt sich in die sozialdarwinistische Ideologie der völkischen Antikapitalist_innen ebenso ein wie in das marktradikale Denken neoliberaler Hardliner_innen.“ Daher warnt Dietl auch vor der naiven Vorstellung, man müsse die AfD nur als neoliberale Partei entlarven, damit sie die Wähler_innen aus Teilen der Arbeiter_innenklasse verliert. Die wählen oft die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer Mischung aus Sozialchauvinismus, Rassismus und Marktradikalismus, weil auch sie für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland Opfer bringen wollen und sich gegen alle die wenden, die das ablehnen.
Ausführlich widmet sich Dietl der Frage, warum die AfD-Parolen auch Zustimmung bei Gewerkschaftsmitgliedern finden, obwohl Vorstandsmitglieder von DGB, Ver.di und IG-Metall vor dieser Partei warnen und sich lokal auch an Bündnissen gegen die AfD beteiligen. Das Propagieren eines starken Standortes Deutschland, der sich im internationalen Wettbewerb durchsetzen muss, könne zum ungewollten Scharnier für die Ideologie rechter Gruppen werden, warnt Dietl. Er nimmt dabei auch auf Studien Bezug, die schon erstellt wurden, als es die AfD noch nicht gab. Denn die Frage, warum Gewerkschaftsmitglieder rechte und rechtspopulistische Einstellungen haben und dann auch entsprechende Parteien wählen, wird schon seit mehr als 10 Jahren intensiv diskutiert.Zudem würden sich heute vor allem Angestellte und gut ausgebildete Facharbeiter in DGB-Gewerkschaften organisieren. Aus Angst vor einem sozialen Abstieg wählen diese Segmente der Arbeiterklasse aber häufig die AfD.
NOCH HOFFNUNG IN EINEN KLASSENKÄMPFERISCHEN DGB?
Im letzten Kapitel widmet sich Dietl gewerkschaftlichen Gegenstrategien. „Ohne die Überwindung des Denkens in den Kategorien der internationalen Standortkonkurrenz ist ein glaubwürdiges Eintreten gegen den von der AfD propagierten Rassismus und Nationalismus zum Scheitern verurteilt“, so seine sehr prägnante und zutreffende Kritik an der Orientierung des DGB. Die Gewerkschaften müssen sich besonders den prekären Segmenten der Lohnarbeiter_innen, unabhängig von ihrer Herkunft, öffnen, wo sie im europäischen Vergleich großen Nachholbedarf haben. Auch da hat Dietl Recht.
Nur zwei Fragen bleiben: Warum setzt er gegen alle historischen Erfahrungen in den DGB die Hoffnung, sie könne eine klassenkämpferische Organisation werden, wo er in dem Buch viele Beispiele bringt, dass der Standortnationalismus auch von großen Teilen der Basis besonders in DGB-Gewerkschaften wie der IG-Metall und IG BCE getragen wird? Und, warum hat er in seinem Buch nicht mit einem Wort Basisgewerkschaften wie die FAU erwähnt, die genau die klassenkämpferische, transnationale Orientierung umzusetzen versuchen? Diese Fragen wird Stefan Dietl sicher gestellt bekommen, wenn er am 25.8. sein Buch im Berliner FAU-Lokal vor und zur Diskussion stellt.
aus: DIREKTE AKTION
Anarchosyndikalistische Zeitung
Die kleine Kommunistische Partei der italienischen Schweiz hat sich als Bündnispartner die tranationalistische türkische Vatan Partisi auserkoren und betreibt auch sonst eine krude antiimperialistische Querfrontpolitik.
»Wir sind nicht sektiererisch«, betonte Massimiliano Ay Anfang Juli in einem Interview mit der linken Schweizer Zeitung Vorwärts. Der Generalsekretär der italienischsprachigen Kommunisten in der Schweiz und Tessiner Kantonsrat verteidigte damit die Bündnispolitik seiner orthodoxen Kleinstpartei, die bei vielen Schweizer Linken auf Kritik stößt. Denn die Kommunistische Partei der italienischen Schweiz hat die ultranationalistische türkische Vatan Partisi (Vaterlandspartei) im vergangenen Jahr zur befreundeten Schwesterorganisation erklärt. Auf dem zehnten Parteitag der Vatan Partisi in Ankara im März dieses Jahres nahm Ay als einziger Gast aus Europa teil. In seiner Ansprache drückte er »seine tiefe Bewunderung für die Fähigkeit der Vatan Partisi aus, die Radikalität in den Ideen mit der konkreten Analyse der gegebenen Realität in der Türkei zu verbinden«.
Die Vatan Partisi hat ihre Wurzeln in der maoistischen Szene der sechziger und siebziger Jahre. Über mehrere Etappen und Namensänderungen wandelte sie sich zu einer ultranationalistischen Organisation. Bestimmend ist mittlerweile der türkische Patriotismus. Führende türkische Armeeangehörige gehören zu den aktiven Parteimitgliedern, darunter der ehemalige Oberst der Gendarmerie, Hasan Atilla Uğur, der stolz bekundet, an Massakern in den kurdischen Gebieten beteiligt gewesen zu sein. Auch der ehemalige türkische Verteidigungsminister Barlas Doğu ist Mitglied der Vatan Partisi. Der Parteivorsitzende Doğu Perinçek wurde 2007 wegen Leugnung des Völkermords an den Armeniern in der Schweiz zu einer Geldstrafe verurteilt, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte 2013 jedoch, Perinçeks Aussagen über den Genozid fielen unter das Recht auf Meinungsfreiheit und bestätigte dieses Urteil erneut 2015.
Im Gespräch mit der Zeitung Vorwärts verteidigte Ay die Kooperation mit den Ultranationalisten und bekannte sich zu einer starken, ungeteilten Türkei. »Die USA instrumentalisieren einige ethnische Gruppen, um die Nationalstaaten zu destabilisieren und ihre Hegemonie aufzuzwingen«, meint Ay eine auch bei europäischen Rechtsextremen beliebte antiamerikanische Verschwörungstheorie.
Zu den Partnern der von Ay propagierten nichtsektiererischen Bündnispolitik gehören außerdem die libanesische Hizbollah und die Syrische Kommunistische Partei, die dem Diktator Bashar al-Assad die Treue hält. Auch die Vatan Partisi steht zu Assad. Während der türkischen Parlamentswahlen 2015 statteten Vertreter der Partei dem Diktator einen »offiziellen Besuch der Solidarität und Freundschaft« ab. Die Jugendorganisation der Vatan Partisi, TGB, erklärte kürzlich: »Seit sechs Jahren kämpft die syrische Bevölkerung unter Führung von Bashar al-Assad gegen die imperialistischen Machenschaften der USA und des Westens.«
Wie ihre Bündnispartner haben auch die Tessiner Kommunisten mit Klassenkampf und Marxismus längst nichts mehr zu tun. Stattdessen propagieren sie nationalistische Ziele: »Unsere Partei glaubt an die friedliche Kooperation zwischen souveränen Nationen und dass sich die Schweiz den aufkommenden Staaten Asiens öffnen muss, um ihre Wirtschaft zu diversifizieren und so unabhängiger vom atlantischen Markt zu werden«, erklärte Ay im Vorwärts.
Die Bündnispolitik der Partei wird von vielen Schweizer Linken heftig angegriffen, etwa von der Bewegung für den Sozialismus (BfS). Die in trotzkistischer Tradition stehende Gruppe kritisiert die Querfrontpolitik und den verkürzten Antiimperialismus. »So unversöhnlich, wie es auf den ersten Blick aussieht, stehen sich rechteund wie linke Auffassungen in Fragen des Selbstverständnisses als aktivistische Avantgarde, des zu ›einenden Volks‹ und der Verteidigung der eigenen nationalen Souveränität allerdings gar nicht gegenüber«, so ein BfS-Mitglied zur Jungle World. Die Querfrontorientierung der Tessiner Kommunisten könnte in der Schweizer Linken Anlass zur Diskussion über Nationalismus und verkürzten Antiimperialismus geben.
Kleine linke Basisgewerkschaften stehen in Deutschland der BDS-Kampagne kritisch gegenüber
»Gewerkschaften stehen heute an vorderster Stelle bei der Verteidigung der Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Freiheit«, heißt es in einem Aufruf, in dem Gewerkschaften in aller Welt zu einem ökonomischen, kulturellen und akademischen Boykott Israels aufgefordert werden. Lediglich sieben der 340 im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) zusammengeschlossenen Organisationen haben diesen Aufruf der BDS-Bewegung, wie die Bewegung für »Boykott, Desinvestition und Sanktionen« abgekürzt wird, unterstützt. Sie vertreten allerdings über 12 Millionen Menschen. In diesem Jahr schlossen sich der wichtige tunesische Gewerkschaftsdachverband UGTT und der größte norwegische Gewerkschaftsverband LO der Boykottbewegung an, die 2005 gestartet wurde.
Damals riefen über 170 palästinensische Organisationen die internationale Gemeinschaft auf, Waren und Unternehmen aus Israel zu boykottieren, Investitionen abzuziehen und Sanktionen zu verhängen, bis das Land internationalem Recht nachkomme und die Menschenrechte der Palästinenser achte. Für sie ist Israel ein Apartheidstaat. Und wie einst Südafrika soll daher auch Israel boykottiert werden.
Der DGB lehnt die Forderung strikt ab und verweist auf die enge Kooperation mit dem israelischen Gewerkschaftsverband Histradut. Noch nicht entschieden ist die Frage jedoch bei kleinen linken Basisgewerkschaften wie der Freien Arbeiterunion (FAU), die noch eine Position suchen.
Bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin kritisierte die Bloggerin und Aktivistin Detlef Georgia Schulze die Einseitigkeit der BDS-Bewegung. Im Kampf zwischen zwei nationalen Bewegungen positioniere sie sich auf einer. So sei auffällig, dass es dort keine Kritik an der gewerkschafsfeindlichen Politik der Hamas gebe. Der israelische Gewerkschaftsbund Histradut hingegen werde von der BDS-Kampagne als Teil des israelischen Staates bezeichnet und heftig angegriffen. Für die Überwindung von Nationalismus, Klassen- und Geschlechterwidersprüchen leiste der Boykott keinen Beitrag.
Auch Marc Richter von der internationalen Basisgewerkschaft IWW sieht die Kampagne kritisch, wobei er einräumt, dass das Thema intern heftig umstritten ist. Aus Sicht des Bremer Aktivisten begünstigt der Boykott »Entsolidarisierung und Spaltung in der Arbeiterbewegung«. Vor allem in den USA hat die Bewegung jedoch starke Unterstützung. Ähnlich positionieren sich Basisgewerkschaften in Spanien, Italien und Frankreich. Anhänger der BDS-Bewegung im Publikum, die auf ihren T-Shirts für ein »freies Palästina« warben, betonten, dass mit dem Boykott UN-Beschlüsse und Menschenrechte durchgesetzt werden sollen.
Andere Anwesende sehen diese Aufgabe eher bei Menschenrechtsorganisationen als bei Gewerkschaften. Als Alternative zu einem Boykott wollen sie die Kooperation mit gewerkschaftlichen Organisationen in der Region suchen, die Lohnabhängige unabhängig von der Nationalität organisieren. Vor 20 Jahren hatte der Arbeitskreis Internationalismus bei der Berliner IG Metall Basisgewerkschaften aus Israel eingeladen, in denen die Nation keine Rolle spielt. Solche Kooperationen sind heute schwieriger geworden. Das liege aber nicht allein an der Politik Israels, wurde auf der Veranstaltung betont. Der Druck auf Gewerkschaften im Gazastreifen wie auch in der Westbank sei gewachsen.
Ein aktuelles Beispiel für binationale Solidarität kommt nun ausgerechnet aus dem von der BDS-Kampagne kritisierten israelischen Dachverband. Histradut hat ein Abkommen mit dem palästinensischen Gewerkschaftsbund PGFTU geschlossen. Er überweist diesem seither die Hälfte der Mitgliedsbeiträge von Palästinensern, die legal in Israel arbeiten. Damit will man die palästinensischen Gewerkschaften stärken und unabhängig machen.