Die jüngsten Töne der Linke-Politikerin könnten auch versöhnlich gedeutet werden. Kritiker, warfen ihr unlängst Spaltungsabsichten vor, wollen sie aber jetzt wohl samt Anhang loswerden.

Wagenknecht-Dilemma: Kann ein Sonderparteitag die Spaltung der Linken verhindern?

Wäre es eine linke Partei? Wagenknecht-Gegner verneinen das und verweisen auf Umfragen, aus denen hervorgeht, dass auch ein Teil der aktuellen AfD-Wähler für eine solche Partei stimmen würde. Doch auch das ist eine zweischneidige Argumentation. Zunächst einmal könnte man sagen, dass es der AfD doch schadet, wenn es einer Partei mit sozialpolitischen Themen gelingt, ihr Wählerinnen und Wähler auszuspannen. Zumal ja ein Teil dieser Wähler noch vor einigen Jahren Die Linke oder früher schon die PDS gewählt hat.

Dürfen Linke Hummer essen? Diese Frage ploppte vor fast 16 Jahren kurz auf, als die damalige Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Sahra Wagenknecht, beim Hummer-Essen fotografiert wurde. Die Politikerin wollte diese Fotos aber nicht. Was manche als „Hummer-Affäre“ bezeichneten, schadete Wagenknecht aber letztlich nicht, weil sie erklärte, Kommunisten seien ja nicht gegen Luxus. Damals wurde die aufstrebende Politikerin vor allem vom linken Flügel der damaligen PDS verteidigt. Schließlich positionierte sich Wagenknecht damals als …

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Stimme gegen Unterdrückung


Bertold Cahn war Anarchist und Syndikalist. Nun wird er mit einem Stolperstein geehrt

Ich bin „Berthold Cahn – geboren im Mai 1871 in Langenlonsheim bei Bad Kreuznach, ermordet 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen“. Diese Angaben stehen auf einem kürzlich vor Wadzeckstraße 4 in der Nähe vom Berliner Alexanderplatz verlegten Stolperstein für einen Mann, der lange Zeit dort wohnte und zwischen 1910 und 1933 zu den bekanntesten Berliner Anarchisten gehörte. „Wie wenige andere hat er in dieser Zeit seine Stimme gegen Unterdrückung und für soziale Gerechtigkeit erhoben“, erklärte der Politologe Erik Natter bei der Verlegung des Stolpersteins.
Cahn trat als Redner auf anarchistischen und syndikalistischen Veranstaltungen mit teilweise Tausenden BesucherInnen auf. Am 1. Mai 1924 stand er bei der Protestveranstaltung gegen die Verfolgung der Anarchisten in der Sowjetunion mit den bekannten AnarchistInnen Rudolf Rocker und Emma Goldman auf der Bühne des Berliner Lehrervereinshauses. Der Autodidakt, der nie eine Universität besucht hatte, publizierte in zahlreichen libertären und syndikalistischen Publikationen. So war er Herausgeber und Redakteur der Freien Generation und des Freien Arbeiters sowie Verfasser zahlreicher Artikel im Syndikalist. Dort kritisierte er die damals auch in großen Teilen der Arbeiterbewegung populären Euthanasie-Konzepte. Früh engagierte er sich auch gegen den Nationalsozialismus, von dem er als Anarchist und Jude doppelt bedroht war. Schon 1933 wurde Berthold Cahn nach einer Razzia in seiner Wohnung, bei der man staatsfeindliche Flugblätter fand, verhaftet und zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Anschließend wurde er in ein Konzentrationslager eingelie- fert, wo er 1942 ermordet wurde.

Kein Intellektueller
Jahrelang wurde fälschlicherweise behauptet, er sei bereits 1938 umgekommen. Fast hätten die Nazis es geschafft, Cahn aus der Geschichte zu streichen. Es ist der Berliner Gustav-Landauer Initiative zu verdanken, Cahn dem Ver- gessen entrissen zu haben. Sie setzt sich für ei- nen Gedenkort für den nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik von Soldaten ermordeten Anarchisten Landauer in Berlin ein. „Wir sind bei dem Studium libertärer Publikationen immer wieder auf Cahn gestoßen“, erklärt Erik Natter, der in dieser Initiative mitarbeitet. Bisher sei es nicht gelungen, Verwandte von Cahn ausfindig zu machen.
Cahn war kein Intellektueller. Wegen seines anarchistischen Engagements verlor er oft die Arbeit, lebte zeitweise am Rande des Existenzminimums. Das hielt ihn nicht von seinem gewerkschaftlichen Engagement ab. So versuchte er im Verband der „Hausdiener, Packer, Packerinnen und Geschäftskutscher Berlin“ die besonders schlecht bezahlten Beschäftigten zu organisieren. Seine politischen Aktivitäten trugen ihm schon vor 1933 diverse Haftstrafen ein.

Die Broschüre von Erik Natter über das Leben von Berthold Cahn wird am 7. September in der Bibliothek der Freien im Haus der Demokratie in der Greifswalder Straße vorgestellt.

aus Taz vom 7.9.2018
Peter Nowak

Revolutionärer Wille

 Wie standen AnarchistInnen zur Oktoberrevolution in Russland vor hundert Jahren? Einen guten Überblick über die Debatte liefert der von Philippe Kellermann herausgegebene Sammelband «Anarchismus und Russische Revolution».

AnarchistInnen und Bolschewiki sind feindliche Brüder. Diese Vorstellung ist in allen Teilen der Linken weit verbreitet. Daher war es für viele überraschend, dass bekannte AnarchistInnen aus aller Welt die Oktoberrevolution begrüssten und sich am Aufbau der neuen Gesellschaft in der Sowjetunion beteiligten.
In 11 Aufsätzen werden im Sammelband «Anarchismus und Russische Revolution» die Reaktionen von AnarchistInnen und AnarchosyndikalistInnen verschiedener Länder auf die Oktoberrevolution nachgezeichnet. Die Differenzierung, der im Titel des Buches nicht Rechnung getragen wird, ist wichtig. Denn die syndikalistische Bewegung stand in vielen Ländern schon vor 1917 der marxistischen Theorie näher als der anarchistischen. Innerhalb der anarchistischen Bewegung gab es unterschiedlichen Strömungen. Kellermann weist darauf hin, dass viele AnarchistInnen positiv überrascht waren, dass die Bolschewiki 1917 den revolutionären Umsturz auf die Tagesordnung setzten und mit den Etatismus der Zweiten Internationale brachen. Zudem gehörten die Bolschewiki zu den Kräften, die den Ersten Weltkrieg von Anfang ablehnten. Dagegen haben nicht nur fast alle SozialdemokratInnen, sondern auch führende AnarchistInnen darunter Kropotkin den Krieg auf der Seite «ihrer» Bourgeoisie begrüsst. Auch in Frankreich hatten sich erklärte AnarchistInnen 1914 zu nationalistischen KriegsbefürworterInnen gemausert. Da ging für viele AnarchistInnen mit der Oktoberrevolution die Sonne im Osten auf, wie Franco Bertulocci seinen Aufsatz über die italienischen AnarchistInnen betitelt. Dabei muss natürlich auch berücksichtigt werden, dass die Nachrichten über das, was sich im nachrevolutionären Russland konkret abspielte, vor 100 Jahren nur sehr spärlich eintrafen.
Mit diesen Argument begründen mehrere Buchautoren, es sind ausschliesslich Männer, dass viele AnarchistInnen mit den Umbrüchen in Russland sympathisierten. Als Beleg für diese mangelnden Informationen wird angeführt, dass viele AnarchistInnen annahmen, die Bolschewiki hätten ihr Programm übernommen. Umgekehrt haben 1917 die Menschewiki und andere GegnerInnen der Oktoberrevolution Lenin des Anarchismus bezichtigt. Bei manchen der AnarchistInnen, wie Rudolf Rocker oder Enrico Malatesta, die nur kurze Zeit hofften, die Bolschewiki wären zu AnarchistInnen geworden, lag es an mangelnden Informationen. Sie wurden auch sehr schnell zu deren vehementen KritikerInnen. Bei anderen hingegen, überwog die Hoffnung, dass mit der Oktoberrevolution ein neues Kapitel in der revolutionären Bewegung aufgeschlagen würde und die alten Gräben von vor 1914 überwunden werden müssten.
Diese Hoffnung wird am Beispiel von Victor Serge gut geschildert. Der US-Historiker Mitchell Abidor beginnt seinen informativen Aufsatz mit dem Satz: «Victor Serge hat immer darauf hingewiesen, dass er 1919 als Anarchist nach Sowjetrussland gegangen und als Anarchist den Bolschewiki beigetreten ist.» In dem Aufsatz wird deutlich, dass Serge schon früh Kritik an bestimmten autoritären Entwicklungen in der Sowjetunion hatte, aber aus Gründen der Solidarität die Sowjetunion verteidigte. So geriet er auch nicht als Anarchist, sondern als vermeintlicher Anhänger Trotzkis ins Visier der sowjetischen Staatsorgane. Nachdem er schliesslich ausreisen konnte, wurde er in seinem anarchistischen Milieu als Verräter betrachtet. Dass er auch nach seinem Bruch mit der KPdSU zu Kronstadt differenzierte Ansichten äusserte, war für viele AnarchistInnen untragbar. Abidor urteilt differenzierter, in dem er über Serge schreibt: «Dabei machte er deutlich, dass es verschiedenste Interpretationen zum Kronstadtaufstand geben würde.» Serge hatte auch als klarerer Gegner der Bolschewiki seit Ende der 1920er Jahre nicht vergessen, dass an den Häuserwänden des damaligen Petersburg «Tötet die Juden» stand, um gegen die Bolschewiki zu mobilisieren. Mit solchen AntibolschewistInnen wollte sich Serge nie gemein machen und das spricht für ihn.

Keine Vereinnahmung
In den Buch wird deutlich, dass viele überzeugte KommunistInnen der ersten Stunde vorher Teil der syndikalistischen und anarchistischen Bewegung waren. Das wird am Beispiel von Spanien, den USA, Frankreich, aber auch der Schweiz im Detail nachgezeichnet. So beschreibt Werner Portmann die für vorwärts-LeserInnen sicher interessanten Anfänge der kommunistischen Bewegung in der Schweiz und zitiert dabei aus den Erinnerungen des Zürcher Arztes Fritz Brupbacher, der sich dort selbst als Sozialist mit anarchistischen Adern beschreibt. «Man merkte sehr gut, dass das meiste, was unter dem Titel Anarchismus gegangen, einfach revolutionärer Wille war, und als im Bolschewismus eine Lehre auftauchte, die das revolutionäre Element enthielt, dass in der Sozialdemokratie nicht enthalten war, so wurden die scheinbaren Anarchisten und Syndikalisten mit Leib und Seele Bolschewisten.» Das schreib der Mitbegründer und langjährige Aktivist der Kommunistischen Partei der Schweiz noch nach dem Bruch mit der Sowjetunion Anfang der 1930er Jahre. Anders als der Schweizer Anarchist Werner Portmann spricht Brupbacher auch 1935 nicht davon, dass sich die AnarchistInnen haben «vom Bolschewismus vereinnahmen lassen».
Das ist nicht das einzige Beispiel, wo in dem Buch die überwiegend anarchistischen Autoren einen Ton in den Text bringen, der den AnarchistInnen und SyndikalistInnen von vor 100 Jahren nicht gerecht wird. Sie hätten sich wegen falscher Informationen oder aus fehlgeleiteten Idealismus für ein politisches Projekt vereinnahmt lassen, das ihren ursprünglichen Intentionen von Anfang an entgegengestanden habe. Der Zeitzeuge Brupbacher schreibt demgegenüber noch seinen Bruch mit den Bolschewiki über die Monate nach der Oktoberrevolution in der Schweiz: «Es war die Zeit, wo sogar die paar Anarchisten, die der Krieg noch übrig gelassen hatte, sich dem totalen Bolschewismus zuwandten.» Es war auch die Zeit, als der Anarchokommunist Erich Mühsam seine Aktivitäten in der Bayerischen Räterepublik als Rechenschaftsbericht an den Genossen Lenin adressierte. Er war damals in Bayern selber am Aufbau einer nichtkapitalistischen Gesellschaft beteiligt und stand wie viele Linke, seien es KommunistInnen, AnarchistInnen oder SyndikalistInnen vor ähnlichen Problemen.

Neue Gesellschaft
In dem leider nur noch antiquarisch erhältlichen Standardwerk «Aufstand der Räte» beschreibt der Historiker Michael Seligmann wie die Anhänger-Innen der bayerischen Räterepublik mit dem Hass der alten Mächte konfrontiert waren, die mit Mordhetze und Antisemitismus den Verlust ihrer Privilegien verhindern wollten. In dieser Situation sprach sich sogar der Libertäre Gustav Landauer, zeitlebens ein scharfer Kritiker des Marxismus, für eine Zensur der konterrevolutionäre Presse aus. Der strikte Gegner von Gewalt wurde nach der Zerschlagung der bayerischen Räterepublik von einer entfesselten Soldateska ebenso erschlagen, wie viele andere VerteidigerInnen der neuen Gesellschaft, egal ob sie sich AnarchistInnen, KommunistInnen oder einfach ArbeiterInnen nannten, die nicht länger schlimmer als Tiere behandelt werden wollten. Ist es da verständlich, dass viele AnarchistInnen und SyndikalistInnen die Räterepublik verteidigten, die den Kräften der Reaktion stand gehalten haben?

Philippe Kellermann (Hrsg.): Anarchismus und Russische Revolution. Dietz-Verlag, Berlin 2017, 416 Seiten, 29.90 Euro.

aus: Vorwärts, 18.5.2018

Revolutionärer Wille


Peter Nowak


Artikel dokumentiert in Schattenblick:


http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/vorw1379.html

Klassenbrüder in Spitzbergen

Syndikalisten gibt es in den entlegensten Teilen der Welt, ein Buch widmet sich ihrer Geschichte

»Die Syndikalistische Föderation Spitzbergens sendet von den arktischen Regionen den Klassenbrüdern in allen Ländern ihre brüderlichen Grüße und hofft auf den Durchbruch des Syndikalismus unter dem Proletariat in aller Welt.« Die 1925 von Kohlearbeitern im hohen Norden geäußerten Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Aber das Beispiel macht deutlich, dass die syndikalistische Strömung der Gewerkschaftsbewegung selbst in den entlegensten Teilen der Welt bei den Arbeiter_innen auf Zustimmung gestoßen ist. Daran erinnert der Bremer Historiker Helge Döhring in seiner Einführung in den »Anarcho-Syndikalismus«. 

Der Titel des Buches ist etwas missverständlich, denn Döhring schildert darin auch die tiefen Konflikte der Syndikalist_innen mit Teilen der anarchistischen Strömungen. Die Grundsätze des Syndikalismus fasst Döhring so zusammen: »Syndikalismus beginnt dort, wo sich auf ökonomischer Ebene Menschen zusammenschließen, um sich im Alltag gegenseitig zu helfen, mit dem Ziel, der Ausbeutung der Menschen ein Ende zu bereiten.« Damit teilen sie auch die Ziele der marxistischen Arbeiter_innenbewegung. Doch im Gegensatz zu ihnen lehnen die Syndikalist_innen zentralistische Strukturen ab und favorisieren Streiks und Klassenkämpfe statt Kungelrunden mit den Bossen. 

Doch Döhring zeigt auch an zahlreichen Beispielen auf, dass Syndikalist_innen häufig Kompromisse machten, wenn sie einflussreicher wurden. Besonders in Schweden ist die mächtige syndikalistische Gewerkschaft in den Staatsapparat integriert. Das führte immer wieder zu Spaltungen und Streit zwischen den Anhänger_innen der reinen Lehre und angeblichen Revisionist_innen. Darin sind sich die marxistische und die syndikalistische Bewegung ähnlich. Als syndikalistischen Revisionismus bezeichnet Döhring die Ansätze des späten Rudolf Rocker. Der wichtigste Kopf des deutschsprachigen Syndikalismus näherte sich nach 1945 der Sozialdemokratie an. Anders als in den spanischsprachigen Ländern und Teilen Skandinaviens blieb der Syndikalismus in Deutschland minoritär. 

Das letzte »Perspektiven« überschriebene Kapitel des Buches ist leider etwas kurz geraten. Dort prognostiziert Döhring, dass die Syndikalist_innen von dem Rückgang der fordistischen Großindustrie und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust der DGB-Gewerkschaften profitieren könnten. Dabei beruft er sich auf historische Erfahrungen, nach denen syndikalistische Gewerkschaften in den Bereichen an Einfluss gewonnen haben, in denen Zentralgewerkschaften entweder gar nicht oder nur schwach präsent waren. So haben sich etwa Arbeitsmigrant_innen in den USA und anderen Ländern verstärkt in syndikalistischen Gewerkschaften organisiert. Ein Grund dafür liegt in den Hürden, die ihnen die meisten etablierten Gewerkschaften stellten. 

Auch die Arbeitskämpfe, die in Deutschland in den letzten Jahren von der syndikalistischen Freien Arbeiter Union (FAU) geführt wurden, fanden in Branchen statt, in denen die DGB-Gewerkschaften kaum vertreten sind. Das trifft für die Kinos ebenso zu wie für die Fahrradkurier_innen. Leider ist Döhring auf diese aktuellen Kämpfe nicht detaillierter eingegangen und hat in der Literaturliste die Bücher, die über diese neuen Arbeitskämpfe erschienen sind, nicht aufgeführt. Trotzdem ist seine gut verständliche Einführung in die syndikalistische Arbeiter_innenbewegung zu empfehlen. 

Helge Döhring: Anarcho-Syndikalismus. Einführung in die Theorie und Geschichte einer internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung, 228 S., 16 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1078852.klassenbrueder-in-spitzbergen.html

Peter Nowak

Interviewt die Rechten, wo Ihr sie trefft?

Über den Drang linker und liberaler Autoren und Redaktionen, mit Personen aus dem Umfeld der AfD und der Neuen Rechten ins Gespräch zu kommen

Der linksreformerische Publizist Thomas Wagner hat kürzlich unter dem Titel „Die Angstmacher“[1] ein Buch herausgebracht, das mit dem Anspruch auftritt, ganz neue Erkenntnisse vor allem über die Neue Rechte und die 68er-Bewegung zu liefern. So heißt es in den Verlagsinformationen[2].

Mit dem Aufkommen der AfD droht die Neue Rechte breite bürgerliche Schichten zu erfassen. Wer sind ihre Ideengeber, und worin haben sie ihre Wurzeln? Thomas Wagner stellt erstmalig heraus, wie wichtig „1968“ für das rechte Lager war, weil es einen Bruch in der Geschichte des radikalrechten politischen Spektrums markiert, der bis heute nachwirkt. Das zeigen unter anderem die Gespräche, die Wagner mit den Protagonisten und Beobachtern der Szene geführt hat, darunter Götz Kubitschek, Ellen Kositza, Martin Sellner, der inzwischen verstorbene Henning Eichberg, Alain de Benoist, Falk Richter und Frank Böckelmann. Wagners Buch liefert eine spannende Übersicht über die Kräfte und Strömungen der Neuen Rechten und ihre Ursprünge.

Was hat die Neue Rechte mit der 68er-Bewegung zu tun?

Nun gibt es allerdings schon viel Literatur, die sich damit beschäftigt, dass die außerparlamentarische Rechte sich einige Aktionsformen der 68er-Bewegung angeeignet und auch den italienischen Theoretiker Antoni Gramsci und dessen Hegemoniekonzept studiert hat, der allerdings kein 68er war. Nur sagt das wenig über die völlig konträren Inhalte beider Bewegungen aus.

Verwirrender wird das Ganze noch, wenn Wagner den Gründungsmythos einer außerparlamentarischen Rechten auf den 21. Mai 1970 legt. Damals randalierten Rechte jeglicher Couleur in Kassel gegen das Treffen von Willi Brandt mit dem DDR-Politiker Willi Stoph. Die Ablehnung der Anerkennung der DDR und damit die zumindest zeitweilige Akzeptanz der deutschen Teilung einte Rechtskonservative, Vertriebenenfunktionäre und Neonazis. Sie gründeten die „Aktion Widerstand“ und schrien Parolen wie „Brandt an die Wand“.

Neben Brandt und anderen Entspannungspolitikern hassten sie die 68er-Bewegung in all ihren Ausprägungen. Sie sahen sich sogar als Stoßtrupp gegen die Ideen der 68er-Bewegung und feierten den Dutschke-Attentäter.

Die NPD hat in diesen Kreisen damals rapide an Einfluss nicht aus ideologischen Gründen verloren, sondern weil sie den Einzug in den Bundestag 1969 knapp verfehlt hat. Die Neue Rechte steht also nicht im Kontext der 68er-Bewegung, sondern ist eine ihrer größten Feinde. Doch ein Buch verkauft sich allemal besser, wenn nun auch ein linker Autor die 68er und die Rechte von heute irgendwie in Verbindung bringt. Politisch ist das so falsch, wie wenn man die NSDAP mit der Novemberrevolution kurzschließt und nicht erwähnt, dass die Vorläufer der Nazis in jenen Freikorps bestanden, die Todfeinde der Revolutionäre waren. Sie waren in den Jahren 1918/19 an vielen Massakern und Erschießungen von aufständischen Arbeitern beteiligt.

Tabubruch: Frag die Rechten

Eine weitere verkaufsfördernde Maßnahme besteht dahin, Tabubrüche zu inszenieren. Dazu gehören im Fall von Wagner ausführliche Interviews mit führenden Vertretern der Neuen Rechten in und außerhalb der AfD. „Damit haben Sie fast gegen so einen linksliberalen Konsens verstoßen und mit den Rechten gesprochen. Hat das etwas gebracht“, wird Wagner von einem NDR-Journalisten gefragt[3]. Die Antwort wirft weitere Fragen auf:

Mir hat es gebracht, genauer zu verstehen, wer was wo von wem gelernt hat – also zunächst ein historisches Interesse, wie es wirklich gewesen ist. Wenn man versteht, wie diese Provokationsmethoden funktionieren, und dass es ganz ähnliche Provokationsmethoden sind, die auch von der Neuen Linken seit den 60er-Jahren verwendet wurden, dass man dann vielleicht die Möglichkeit hat, gelassener darauf zu reagieren – und nicht so hysterisch wie es derzeit zum Teil der Fall ist.

Thomas Wagner

Zunächst einmal hat Wagner Recht, wenn er sich gegen manche antifaschistische Kurzschlussreaktion wendet, die jede Provokation eines AfD-Politikers so aufbläst, dass sie erst richtig bekannt wird und damit der Rechtspartei eher nützt. Zudem bedeuten auch zweistellige Wahlergebnisse für die AfD noch keine Wiederkehr von Weimarer Verhältnissen. Doch Wagners Argumentation ist nicht schlüssig.

Wenn er wirklich der Meinung ist, dass die Neuen Rechten die Erben 68er sind, wäre das ja kaum Grund für Gelassenheit. Schließlich haben die 68er kulturell die Republik verändert – und es ist keineswegs beruhigend, wenn das der Apo von Rechts auch gelänge. Denn Wagner sieht völlig von den unterschiedlichen Zielstellungen ab. Die Rechten wollen die letzten Reste von 68 aus der Gesellschaft tilgen, die es ja sowieso nur auf kulturellem Gebiet gab. Es wurden nur die Teile des 68er-Aufbruchs adaptiert, die dem Kapitalismus nützen.

Zudem ist nicht erkennbar, warum Wagner mit den Rechten reden muss, um ihre Strategie und Taktik zu verstehen. Denn solche Interviews sind zunächst und vor allem Selbstdarstellungen. Das zeigt sich an dem Gespräch mit Ellen Kositza[4], einer der Theoretikerinnen der Neuen Rechten in der Wochenzeitung Freitag. „Es geht sehr launig und zivilisiert zu in der Auseinandersetzung mit der Rechten. Gab es eine bestimmte Sorte Tee und Kuchen dazu?“ fragte eine Leserin sehr treffend.

Denn obwohl der Freitag-Journalist Michael Angele seine Distanz zu den Rechten in seinen Fragen deutlich werden ließ, gelang es nicht, die medienerfahrene Kositza wirklich grundlegend aus der Reserve zu locken. Dabei bot sie genügend Anknüpfungspunkte, wo sie die Vorstellung der Gleichheit aller Menschen als langweilig bezeichnete und sich damit nicht nur gegen Menschen aus anderen Ländern, sondern auch gegen Lohnabhängige wandte, die sich gewerkschaftlich für ihre Interessen einsetzen: „Ich denke auch, das heutige Proletariat ist nicht, was es war. Heute sehe ich da dicke Menschen mit Plastiküberzügen am Leib und Trillerpfeife im Mund vor mir. Da empfinde ich wenig Solidarität.“

Diese Plauderei über das Landleben im Harz jedenfalls sagt weniger über die Rechte aus als ein Buch, in dem Autorinnen und Autoren deren Strategie und Taktik analysieren und in den gesellschaftlichen Kontext rücken.


Hätte die Weltbühne Hitler interviewen sollen, um das 3. Reich zu verhindern?

Es wird so getan, als würde der Aufstieg der Rechten dann gestoppt, wenn wir die nur ausführlich interviewen und auch in linken und liberalen Medien selber zu Wort kommen lassen.

Hätte man die Nazis von der Macht fernhalten können, wenn Hitler und Co. auch in der Weltbühne, einer bekannten linksliberalen Zeitung der Weimarer Republik, zu Wort gekommen wären, muss man sich hier fragen. Dabei waren damals Gespräche zwischen NSDAP-Mitgliedern und entschiedenen Nazigegnern Teil der politischen Kultur. Nicht nur die KPD beteiligte sich an öffentlichen Diskussionsveranstaltungen mit Nazis, die nach genauen Regelungen abliefen und trotzdem oft in Saalschlachten endeten. Auch Anarchisten wie Rudolf Rocker und Erich Mühsam beteiligten sich zwischen 1930 und 1933 an Diskussionen mit den Nazis in und außerhalb der NSDAP, wie eine kürzlich von der Initiative für ein Gustav-Landauer-Denkmal in Berlin[5] erstellte Broschüre zur Geschichte des Anarchismus in Berlin-Kreuzberg[6] mit Quellen belegt.

Diese Gespräche waren also nicht einfach einer Wende der KPD zum Nationalismus hin geschuldet, sondern gehörten zur politischen Kultur der Nazigegner vor 1933. Nur hat sie die Nazis nicht von der Macht ferngehalten. Daraus sollten die Gegner der Rechten von heute ihre Schlüsse ziehen. Interviewt die Rechten, wo er sie trefft, ist zumindest keine antifaschistische Strategie.

„Keine Bühne für die AfD und die Neue Rechte“

Einen anderen Weg gehen Künstler, die sich in einem Offenen Brief dagegen wenden, dass Vertreter der AfD und der Neuen Rechten zu Diskussionsveranstaltungen in Theater und andere Kultureinrichtungen eingeladen werden. Sie haben sich in Offenen Briefen[7] dagegen gewandt, dass den Rechten so eine Bühne geboten wird.

Diese Initiative hat eine große Resonanz[8] erfahren und wiederum zu Debatten[9] geführt. In der Jungle World haben zwei der Künstler, die den Offenen Brief initiiert haben, ihre Weigerung, den Rechten eine Bühne zu bieten, noch einmal verteidigt[10].

„Ich denke, man sollte sich einem vorgeblichen Dialog mit den Rechten verweigern. Erstens ist dazu schon viel gesagt worden und die Positionen sind klar. Zweitens sollte das Völkische auch nicht diskutierbar werden. Ich sehe das eher als unproduktive Debatte. Wer etwas davon hat, sind die Rechten: Sie bekommen eine Bühne und somit auch die Legitimation, ihre Parolen und Thesen zu verbreiten“, erklärt die Theaterregisseurin Konstanze Schmitt[11]. Das gilt nicht nur für das Theater, sondern ist auch eine Kritik an liberalen und linken Autoren und Medien, die unbedingt mit Rechten reden wollen.

https://www.heise.de/tp/features/Interviewt-die-Rechten-wo-Ihr-sie-trefft-3819191.html
Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.aufbau-verlag.de/index.php/die-angstmacher.html
[2] http://www.aufbau-verlag.de/index.php/die-angstmacher.html
[3] https://www.ndr.de/kultur/Thomas-Wagner-ueber-sein-Buch-Die-Angstmacher,journal964.html
[4] https://www.freitag.de/autoren/michael-angele/die-rechte-in-der-richte
[5] https://gustav-landauer.org/blogs/denkmalinitiative
[6] https://gustav-landauer.org/content/veranstaltung-auf-den-spuren-einer-vergessenen-politischen-bewegung-die-anarchistische
[7] https://nationalismusistkeinealternative.net/offener-brief-an-das-thalia-theater-keine-buehne-fuer-die-afd-kein-podium-fuer-rassisten-ladet-baumann-aus/
[8] https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=13646:kritik-an-geplanter-diskussionsveranstaltung-mit-afd-chefideologen-in-zuerich&catid=126:meldungen-k&Itemid=100089
[9] http://www.zeit.de/2017/10/zuerich-afd-marc-jongen-auftritt-proteste/seite-2
[10] https://jungle.world/artikel/2017/34/ist-das-ein-hunger-nach-realitaet
[11] http://www.konstanzeschmitt.net/