Linke Projekte suchen angesichts der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus nach neuen Protest- und Solidaritätsstrukturen.

Solidarität statt Hamsterkäufe – linke Lichtblicke

Die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ bemüht sich um Solidarität in Zeiten des Ausnahmezustands. Unter dem Motto „Gemeinsam gegen Corona“ wollen die AktivistInnen vor allem Menschen, die einer Risikogruppe angehören, unterstützen.

„Hier ist das Lichtblickkino Kastanienallee. Leider haben wir aufgrund der aktuellen Situation geschlossen, voraussichtlich bis zum 19. April.“ So lautet die Ansage auf dem Anrufbeantworter des linken Programmkinos in Prenzlauer Berg. Im Zeichen von Corona haben in den vergangenen Tagen auch fast alle ….

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Die Suche nach einem Kinderreim

Die israelische Filmemacherin Tali Tiller macht sich auf den Weg, um in Polen über das Leben ihrer verstorbenen Großmutter zu recherchieren. „My Two Polish Loves“ heißt ihr Film

„Niemand ist vorbeikommen“, sagt Magda Wystub. Die junge Frau mit den kurzen Haaren steht mit ihrer Freundin Tali Tiller vor einem völlig zugewachsenen Grab auf dem jüdischen Friedhof in Łódź. Dort ist Tillers Großvater beerdigt. Ein Großteil seiner Verwandten sind im Nationalsozialismus ermordet worden, die wenigen Überlebenden sind später ausgewandert. So war niemand mehr da, der sich um das Grab kümmerte. Tali Tiller, die aus Israel stammt, hat es gemeinsam mit ihrer polnischen Lebenspartnerin Magda Wystub wieder entdeckt, als sich die beiden Frauen auf die Suche nach den Spuren von Silvia Grossmann Tillers Leben in Łódź gemacht hatten. Silvia Grossmann Tiller, die 2014 starb, ist Talis Großmutter. Erst in den letzten Jahren
ihres Lebens hatte sie von der Verfolgung im Nationalsozia- lismus berichtet. Ihr hat die Enkelin ihren Film „My Two Polish Loves“ gewidmet. Die erste polnische Liebe ist ihre Großmutter gewesen, die zweite polnische Liebe ist ihre Freundin Magda.

Wo einst das Ghetto war
Mit einer Mappe, in der sich Fotos und Texte befinden, machen sich die beiden Frauen auf die Suche und stellen oft fest, dass heute kaum noch etwas an die große jüdische Gemeinde in Łódź erinnert. Wo einst das Ghetto war, befindet sich jetzt eine viel frequentierte Straßen- kreuzung. PassantInnen hetzen vorbei und achten nicht auf die beiden Frauen, die das Foto einer Brücke in der Hand halten, die beide Seiten des Ghettos verbunden hat. Dort steht der Großvater von Tiller an einer Treppe. Gefunden hat es Tiller im Museum der Ghettokämpfer im Kibbuz Lohamei Hagetaot. Besonders traurig ist die Regisseurin, dass sie das Haus ihrer Großmutter trotz akribischer Suche nicht findet.
Immer wieder sind im Film kurze Sequenzen aus Interviews eingespielt, die Tiller mit ihrer Großmutter führte. Dort schildert sie, wie sie den Arbeitszwang der SS missachtete, um bei ihrer todkranken Schwester zu bleiben, die in ihren Armen starb. Sie meint, es sei ein Wunder, dass sie nicht von der SS entdeckt wurde, die das Haus durchsuchte, aber das Zimmer ausließ, in dem sie sich befand. „My Two Polish Loves“ ist kein trauriger Film. Man sieht die beiden Frauen bei der Vorbereitung ihrer Erkundungen, sie recherchieren im Internet und vergleichen Stadtpläne.Magda Wystub erinnert sich noch genau an die Straßennamen im Polen ihrer Kindheit. Bedeutsame wie die „Straße der Opfer des Faschismus“ oder „Straße der Toten von Auschwitz“ seien ihr in Erinnerung geblieben. Am Ende sind beide Frauen erfolgreich bei der Suche nach einem Kinderreim, den Tali Tiller von ihrer Großmutter gehört hat und der ihr nicht aus dem Kopf gegangen ist. Tali Tiller und Magda Wystub haben einen sehr persönlichen Film gemacht über die Zeit, in der die letzten Holocaust-Überlebenden sterben. Der Film zeigt, wie ihre Erinnerung bewahrt werden kann.

„My Two Polish Loves“ (OmU). Regie: Tali Tiller. D 2016, 51 Min., in Englisch, Polnisch und Hebräisch mit deutschen Untertiteln
Das Lichtblickkino in der Kastanienallee 77 zeigt den Film am 29. und 30. 1. um 17 Uhr


aus: Taz Berlin kultur, 24.1.2018

Peter Nowak

Spuren der Shoah

»My Two Polish Loves« im Lichtblick-Kino

Auf einer viel befahren Straßenkreuzung in der Innenstadt von Łódź steht eine junge Frau, die sich suchend umschaut. In der Hand hält sie einen Ordner mit Fotos. Es sind Dokumente über das jüdische Ghetto, das sich einst an dieser Stelle befunden hat. Heute erinnert nichts mehr daran. Die junge Frau ist Tall Tiller. Die Israelin, die seit mehreren Jahren in Berlin lebt, hat sich mit ihrer polnischen Partnerin Magda Wystub auf die Suche nach der Geschichte ihrer Vorfahren begeben. Davon erzählt ihr knapp einstündiger Film »My Two Polish Loves«. 

Den Anstoß für die Reise gab die 2014 gestorbene Großmutter der Regisseurin. Erst in den letzten Jahren ihres Lebens erzählte die Holocaust-Überlebende ihre Geschichte der Verfolgung. Sie war mit ihrer Familie im Ghetto von Łódź eingesperrt. Die SS deportierte später einen Großteil der BewohnerInnen in die Vernichtungslager. Silvia Grossmann Tiller war eine der wenigen aus ihrer Familie, die überlebt hat. Im Film hört man sie von einem Wunder sprechen, das zu ihrer Rettung geführt habe. So berichtet sie, wie sie sich entschieden hatte, nicht zur Arbeit zu gehen und bei der schwer kranken Stiefmutter zu bleiben, die dann in ihren Armen starb. Dabei hörte sie, wie die SS das Gebäude betrat, in dem sich die Frauen versteckt hielten. Doch bevor die SS-Männer die obere Etage erreichten, brachen sie die Suche ab. Wäre Silvia gefunden worden, hätte man sie wohl sofort erschossen. 

Wir hören die Stimme der Großmutter in Tall Tillers Film mehrmals. Wir sehen auch ein Foto des Großvaters an einer der Brücken, die die beiden Teile des Ghettos verbanden. Gefunden hat die Regisseurin es im Museum der Ghettokämpfer in Tel Aviv. 

»Das Haus meiner Oma zu finden, war für mich das Wichtigste«, sagte Tall Tiller gegenüber der »Jüdischen Allgemeinen Zeitung«. Aber die Suche blieb erfolglos. »Es gibt das Haus nicht mehr. An seiner Stelle befindet sich heute ein öffentlicher Park.« Das Haus ihres Großvaters aber, der ebenfalls überlebte, hat sie gefunden – und bedauert, ihn zu Lebzeiten nicht konkreter über sein Leben im Ghetto befragt zu haben. Gefunden hat sie auch sein Grab auf einem total überwucherten Friedhof – nebst einer Gedenkkerze, die nie angezündet wurde. »Niemand ist vorbeigekommen«, sagt Magda Wystub. Es ist einer der traurigsten Momente im Film. Er zeigt, welche Folgen die Shoah auch für die Überlebenden hatte. Es war niemand mehr da, der später ihre Gräber besuchen konnte. 

Und doch ist »My Two Polish Loves« kein trauriger Film. In mehreren Szenen sieht man Tiller und Wystub bei der Vorbereitung ihrer Erkundigungen oder bei der Auswertung in einem Restaurant. Auf der Suche nach einem Raum von Tillers Großmutter, der der Enkelin nicht aus dem Kopf geht, fragen sie PassantInnen, die aber nur mit den Schultern zucken. Am Ende kann ein Jugendlicher das Rätsel aufklären. 

Tall Tiller hat einen sehr persönlichen Film gemacht über die Zeit, in der die letzten Holocaust-Überlebenden sterben. Die Erinnerung an sie aber, das zeigt der Film, bleibt lebendig. 

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1075595.spuren-der-shoah.html

Vorführung am 10.1., 19 Uhr, im Lichtblick-Kino (Kastanienallee 77, Prenzlauer Berg). Im Anschluss gibt es ein Gespräch mit der Regisseurin.

Peter Nowak

Wohnen und „Recht auf Stadt“-Kämpfe im Ruhrgebiet

MieterEcho online 09.05.2017

Zum Dokumentarfilm DAS GEGENTEIL VON GRAU

Die Filmaufführung war am Sonntagabend im Lichtblick-Kino ausverkauft. Einige BesucherInnen mussten auf einen späteren Termin vertröstet werden. Gezeigt wurde DAS GEGENTEIL VON GRAU, der neue Film des Regisseurs Matthias Coers. Dort werden über 20 MieterInnen- und Recht auf Stadt-Initiativen aus dem Ruhrgebiet vorgestellt.
Coers hat unter aktiven MieterInnen einen guten Namen. Schließlich ist er einer der Regisseure des Films Mietrebellen, der seit drei Jahren in vielen Kinos in der ganzen Republik gezeigt wird und mittlerweile in 7 Sprachen übersetzt wurde. Er zeigt die Vielfältigkeit und Entschlossenheit der Berliner MieterInnenbewegung und motiviert auch Menschen in anderen Städten und Regionen. Dazu gehören auch die AktivistInnen der Initiative „Recht auf Stadt Ruhr“. Sie haben sich an Coers gewandt, weil sie nach dem Vorbild der MIETREBELLEN eine Art Bewegungsfilm für das Recht auf Stadt im Ruhrgebiet machen wollten. 2015 hat Matthias Coers gemeinsam mit Grischa Dallmer und dem Ruhrgebiets-Team mit den Dreharbeiten begonnen und der Kontakt zu den verschiedenen Gruppen ist dann über die Stadtaktiven vor Ort entstanden. Ende März hatte der Film bei Teampremieren im https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/das-gegenteil-von-grau.html
MieterEcho online 09.05.2017

Peter Nowak

Peter Nowak

Voneinander lernen!

Regisseur Matthias Coers spricht über Wohnkämpfe und seinen neuen Film »Das Gegenteil von Grau«

Zur Person

In dem Film »Das Gegenteil von Grau«, der am 5. Mai (19 Uhr) im Kino Moviemento und am 7. Mai (19 Uhr) im Lichtblickkino gezeigt wird, stellt der Berliner Filmemacher Matthias Coers Initiativen zum Wohnkampf im Ruhrgebiet vor. Mit dem Regisseur sprach Peter Nowak.

Wie haben Sie den Kontakt mit den Initiativen im Ruhrgebiet hergestellt?

Mit dem Film »Mietrebellen« habe ich Filmveranstaltungen im Ruhrgebiet gemacht. Dort bin ich in Kontakt gekommen mit Aktiven von »Recht auf Stadt Ruhr«, die vom Film sehr angetan waren. Gemeinsam haben wir überlegt, wie man für das Ruhrgebiet eine Art Bewegungsfilm für das Recht auf Stadt machen kann. 2015 haben wir mit den Dreharbeiten begonnen und der Kontakt zu den verschiedenen Gruppen ist dann über die Stadtaktiven vor Ort entstanden. Es gab zwar schon Verbindungen zu den Mietern vom Zinkhüttenplatz, aber so kam dann auch die Zusammenarbeit mit Freiraum- und Transition-Town-Initiativen zustande. Meine Idee vom dokumentarischen Filmen ist, Filme nicht über andere zu machen, sondern mit ihnen. Und das ist bei diesem Projekt gut gelungen, denn die Fähigkeiten und Talente liegen ja besonders vor Ort.

Der Film »Mietrebellen« handelte von Berlin, wo Sie selber in der Mieterbewegung aktiv sind. War es schwierig, in einer Region einen Film zu drehen, in der Sie nicht leben?

Da ich das Ruhrgebiet gut kenne, auch selber dort schon gearbeitet habe, und dort zudem eine offenherzige Mentalität herrscht, war es eher einfach, in einen kommunikativen und filmischen Prozess einzutreten. Es geht ja auch darum, Initiativen, die in den Nischen der Städte ihre Arbeit tun, zu sammeln und in einem Film vorzustellen. Voraussetzung dafür ist natürlich auch die Lust der Aktiven, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Schließlich ist es das Thema des Films, wie jenseits des marktwirtschaftlichen Interesses verstetigt organisiert und gearbeitet werden kann.

Wo sind die Gemeinsamkeiten der im Film vorgestellten Projekte?

Die 20 vorgestellten Projekte engagieren sich im Ruhrgebiet zwischen Freiraum- und Wohnkämpfen, in nachbarschaftlichen Gärten und Solidarischer Landwirtschaft. Sie alle leisten Pionierarbeit in einer Region mit starkem Strukturwandel. Das Ruhrgebiet ist entstanden als eine Industriegesellschaft und ist heute eine krisenhafte Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft. In den so entstandenen Stadtstrukturen herrscht eine gewisse Agonie, der von den Städten mit Eventkultur begegnet werden soll.

Welches Projekt hat Sie besonders beeindruckt?

Persönlich halte ich die Initiative kitev oder Refugees’ Kitchen für beispielhaft, da sie es kontinuierlich und mit Sichtbarkeit schaffen, zusammen mit Geflüchteten und Menschen aus ganz Europa auf lokaler Ebene temporäre wie dauerhafte Residence- und Arbeitsformen zu entwickeln.


Was können die Zuschauer in Berlin von der Arbeit der Initiativen im Ruhrgebiet mitnehmen?

Auf den ersten Blick mangelt es hier nicht an emanzipativen Orten und engagierten Menschen. Aufgrund aber des großen Raum- und Flächenbedarfs sowie der ordnungspolitischen Durchsetzung als Hauptstadt und Ort kapitalistischer Macht und Normalität erhält auch Berlin eine restriktivere Seite. Es muss voneinander gelernt werden, um auf Dauer gemeinschaftliche Raumnutzung wie Urban Gardening, Wohnformen wie Genossenschaften und Wagenplätze oder emanzipatives Zusammenleben mit geflüchteten Menschen konkret zu realisieren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1050033.voneinander-lernen.html
Interview: Peter Nowak

»Wir waren die ersten Mitstreiter«

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Der Umsetzer, Westberlin 1976, 75 Min.

Antonia Lerch und Benno Trautmann drehten vor 40 Jahren den Film »Der Umsetzer«. Er behandelt die Vertreibung von Mietern aus den Westberliner Stadtteilen Wedding und Kreuzberg. 1976 hatte er Premiere, erregte einiges Aufsehen und gewann diverse Preise. 40 Jahre später wurde er wiederentdeckt.

Sie haben 1976 mit Ihrem Film »Der Umsetzer« Furore gemacht. Was war der Gegenstand des Films?

Lerch: Es ging um die Stadtzerstörung in Westberlin, um die Zerstörung von Stadtvierteln und alten Häusern, die man nur hätte renovieren müssen. Diese Zerstörung hat dann auch die alten Nachbarschaften, das ganze soziale Gefüge kaputtgemacht.

In vielen Filmrezensionen wird erwähnt, dass Sie den Film ohne finanzielle Förderung gedreht haben. Wie haben Sie ihn finanziert?

Lerch: Wir haben Mama, Papa, Bruder, Schwester, den Onkel und die Tante angepumpt. Außerdem haben wir Film­aktien für 100 Mark an Verwandte und Freunde verkauft. Es war aber eine Lachnummer, weil unsere Reisekosten und die Kosten für den Druck ungefähr so hoch waren wie die Einnahmen aus dem Verkauf der Filmaktie. Die Schauspieler haben umsonst gearbeitet, weil sie das Thema wichtig fanden. Alle Leute hinter der Kamera haben auf einen Teil ihrer Gage verzichtet.

Antonia Lerch und Benno Trautmann

Antonia Lerch und Benno Trautmann (Foto: privat)

Trautmann: Das Kopierwerk, der Kameraverleih und andere Firmen haben uns unterstützt. Am Ende hatten wir aber trotzdem 100 000 Mark Schulden. Diese Schulden konnten wir ein Jahr später durch den Verkauf des Films wieder zurückzahlen.

Wie haben die Wohnungsbaugesellschaften und die Politik auf den Film reagiert?

Lerch: Der Berliner Wohnungsbausenator und die Wohnungsbaugesellschaften haben mit einstweiligen Verfügungen reagiert. Sie wollten die Ausstrahlung des Films im ZDF verbieten. Aber der Intendant des ZDF war so mutig, die einstweiligen Verfügungen zurückzuweisen und den Film zu zeigen.

Im Märkischen Viertel, wohin viele Mieter aus dem Wedding umgesiedelt wurden, hat sich in den siebziger Jahren ein über Jahre währender Mieterwiderstand entwickelt. Hatten Sie Kontakt zu rebellischen Mietern?

Lerch: Ja, von Anfang an bis zum Ende der Dreharbeiten. Die Pointe des Films: Ein alter Nachtwächter rebellierte gegen seine Umsetzung, solange es ging. Schlussendlich wurde das Haus doch abgerissen. Er war der letzte Mieter im Haus. Alle anderen hatten schon aufgegeben. Er hielt durch, obwohl Gas und Strom abgestellt wurden. Er wurde schließlich von Polizei und Feuerwehr aus seiner Wohnung geholt. Auch in Kreuzberg gab es Mieter, die rebellierten. Aber auch sie wurden letztlich exmittiert und die Häuser wurden gesprengt.

Im Film stehen die Ohnmacht und die Resignation der Mieter vor der Allmacht der Wohnungsbaugesellschaften und ihres Umsetzers im Mittelpunkt. Erst ganz am Ende zeigt sich widerspenstiges Verhalten von Mietern. Wollten Sie damit deutlich machen, dass Mieterprotest vor 40 Jahren eher die Ausnahme war?

Lerch: Es gab sehr viel Widerstand. Wir waren Teil dieses Widerstands und wir haben zusammen mit anderen Aktionen und mit diesem Film politisch etwas erreicht. »Der Umsetzer«, der erfolgreich wochenlang in zwei Kinos in Berlin und auch in anderen Städten gezeigt wurde, hat sogar die ganze Politik der sogenannten Stadtsanierung, die wir Zerstörung nennen, verändert. Aber leider war es fast schon zu spät, zu viele Häuser waren ja schon zerstört. Immerhin haben wir, zusammen mit anderen Aktionen, den Abriss von drei Häusern in der Kohlfurter Straße in Kreuzberg verhindert. Das wurde damals groß gefeiert.

Ihr Film gewann zahlreiche Preise und wurde in vielen Zeitungen besprochen. Gab es auch Interesse von Mieterinitiativen und sozialen Bewegungen?

Lerch: Ja. Das Interesse besteht ja bis heute.

Die Jury der Evangelischen Filmarbeit schrieb bei ihrer Preisverleihung, dass der Film eine Kritik an der Verplanung von Menschen und einer wachsenden Bürokratie leiste. Ist das auch eine Kritik am sozialen Wohnungsbau, der mit dem Anspruch antrat, moderne gesunde Wohnungen für alle zu bauen, während manche Menschen lieber in ihren unsanierten Altbauwohnungen mit Außenklo bleiben wollten?

Lerch: Das ist eine Kritik an den Wohnungsbaugesellschaften. Sie haben Propaganda gemacht. Es war reine Lügenpropaganda. Die Wohnungsbaugesellschaften haben nur die Interessen der Bauindustrie vertreten, niemals die Interessen der Mieter. Man hat ihnen Badezimmer und größere Wohnungen versprochen, bekommen haben sie aber viel kleinere und teurere Wohnungen. Ein Kind bekam ein sieben Quadratmeter großes Kinderzimmer. So viel ist auch für einen Hund vorgeschrieben. Und dazu hat man die Menschen aus ihrem sozialem Umfeld, ihrem Kiez, an den Stadtrand vertrieben. Das war besonders für alte Menschen ein Desaster.

Aber war das Leben in den Altbauten die Alternative?

Lerch: Ihre Wohnungen hätten nur saniert werden müssen, dann hätten sie auch ein Badezimmer mit Klo bekommen, und sie hätten ihr soziales Umfeld behalten. Aber sie wurden, wie es auch heute wieder passiert, an den Stadtrand vertrieben.

Vier Jahrzehnte nach der Premiere wird »Der Umsetzer« auf Mieterveranstaltungen und in Programmkinos wiederentdeckt. Verwundert Sie diese Wiederentdeckung?

Lerch: Wir sind nicht verwundert. Es freut uns, das ist ein Revival des Films. Er weckt auch das Interesse der Mieter, die jetzt ähnliche Probleme haben. Sie fliegen auch aus ihren Wohnungen, nur aus anderen Gründen. Sie fliegen aus ihren Wohnungen, weil sie zu Eigentumswohnungen gemacht werden, was damals nicht der Fall war. Unser Haus ist saniert worden mit Geldern der Stadt, wir sagten: kaputtsaniert. Nach Ablauf von zehn Jahren hat der Eigentümer das Recht, die sanierten Wohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Der Film trifft den Nerv der Zeit. Es ist auch eine Wiederholung der Desaster von 1975. Jetzt geht es um Kapitalvermehrung und Privatinteressen von Eigentümern: Investoren aus China, Dänemark, Italien, Griechenland, Großbritannien, den USA, aber auch Deutschland wollen Wohnungen kaufen und die Miete erhöhen.

In den vergangenen beiden Jahren wurden Filme wie »Mietrebellen« und »Verdrängung hat viele Gesichter« vor einem großen Publikum gezeigt. Sehen Sie sich da nicht in der Rolle der Pioniere des Mieterfilms in Berlin?

Lerch: Wir waren die ersten Mitstreiter, ganz am Anfang der Geschichte. Wir haben unsere Wohnung verteidigt. Wir wohnen in Kreuzberg, damals wie heute. Damals wurde in unserer Nachbarschaft ein Haus nach dem anderen gesprengt. Tag für Tag.

Wie haben Sie das Material für den Film zusammengetragen?

Trautmann: Wir lebten mittendrin. So ist unser Erstlingsfilm entstanden. Wir waren Studenten. Rechts und links fielen die Häuser. Wir haben uns plötzlich konfrontiert gesehen mit dieser Geschichte. Wir haben Soziologen, Stadtplaner, Architekten und Mieter bei den Mieterversammlungen kennengelernt. Sie haben uns ihre Geschichten erzählt und wir haben uns engagiert. Wir sind 1974 in unsere Wohnung eingezogen, jeden Tag wurden Häuser gesprengt. Wir sind Filmemacher, und wenn man über diese Geschichte keinen Film macht, muss man schon saublöd sein. Ich schrieb dann ein Drehbuch. Wir haben bei verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften recherchiert, wir haben mit den sogenannten Umsetzern geredet, um herauszufinden, wie sie arbeiten. Irgendwann rief irgendeine Wohnungsbaugesellschaft an und machte uns ein Angebot, das wir ablehnen mussten: Sie wollten uns für 10 000 Mark kaufen.

Könnten Sie sich vorstellen, einen aktuellen Mieterfilm zu drehen?

Lerch: Ja.

Interview: Peter Nowak

Im Rahmen der Filmreihe »Wohnraum Berlin – Mieterkämpfe, Spekulation, Verdrängung« ist der Film »Der Umsetzer« am Montag, dem 26. September, und Mittwoch, dem 28. September, jeweils um 17 Uhr in Berlin im Lichtblickkino in der Kastanienallee 77 zu sehen. Am 14. September wird er um 20 Uhr in der Kollekivbar in der Pflügerstraße 52 in Neukölln gezeigt.

http://jungle-world.com/artikel/2016/36/54819.htm

Interview: Peter Nowak

»Mietrebellen« im Kino

Gespräch mit Regisseur Matthias Coers

Heute um 18.30 Uhr hat im Kino Moviemento der Dokumentarfilm »Mietrebellen« Premiere, der die Berliner Mieterkämpfe der letzten beiden Jahren zeigt. Mit Regisseur Matthias Coers sprach Peter Nowak.

nd: Wie entstand das Konzept für den Film?
Coers: : Ich habe bereits seit Jahren Videoclips zu sozialpolitischen Themen gedreht. Meine Co-Regisseurin Gertrud Schulte Westenberg hatte bereits einen Film zur Hartz IV- und zur »Mietenproblematik gedreht. Wir haben uns bei der Videoarbeit kennengelernt.

Wir haben Ihr es geschafft, die Mietenrebellen vor die Kamera zu bekommen?
Anfangs gab es schon Zurückhaltung. Schließlich will niemand gerne in einer Notlage gezeigt werden, besonders, wenn er seine Wohnung verlieren soll. Doch gerade die aktiven Menschen haben uns auch vertraut und unsere positive Grundhaltung zu ihren Anliegen gespürt. So konnten wir eine Nähe herstellen, ohne die der Film nicht möglich gewesen wäre.

Der Film beginnt mit dem Tod der Rentnerin Rosemarie Fließ zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung. Hat dies die Konzeption des Films beeinflusst?
Der Tod der Rentnerin hat nicht die Grundstruktur, aber die Dramaturgie des Films verändert. Unsere Grundidee war zunächst, die unterschiedlichsten Menschen zu zeigen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren. Dieses Konzept war durch den Tod von Rosemarie Fließ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir setzten die Beerdigung an den Anfang. Es ist ein extremes Ereignis. So wie die meisten Zwangsräumungen ohne öffentliche Aufmerksamkeit über die Bühne gehen, werden auch Krankheit und Tod nach dem Verlust der Wohnung in der Regel nicht wahrgenommen.

Warum sind auf dem Ankündigungsplakat einige der Mietrebellen abgebildet?
Wir wollten ihre Unterschiedlichkeit zeigen. Die migrantische Rentnerin ist ebenso betroffen wie der autonome Fahrradkurier. Damit wollten wir der Vorstellung entgegentreten, Menschen, die ihre Wohnung verlieren, kommen mit den finanziellen Realitäten nicht zu recht. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf Immobilienmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen bis hin zur Mittelschicht.

Haben Sie die Hoffnung, dass der Film etwas verändert?
Sicher wird niemand nach dem Film aus dem Kinosessel aufstehen und sagen, jetzt wehre ich mich gegen meinen Vermieter. Er ist aber ein Lehrstück. Wenn die Menschen in der Nachbarschaft erfahren, dass jemand von Mieterhöhungen betroffen ist, wissen sie durch den Film, dass es eine Alternative dazu gibt, die Verhältnisse ohnmächtig hinzunehmen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/930932.mietrebellen-im-kino.html

Interview: Peter Nowak

Film zu »Occupy«

Vor einen Jahr schien die Occupy-Bewegung ständig zu wachsen. In vielen Ländern hatten Menschen zentrale Plätze besetzt, um gegen die Wirtschaft- und Finanzpolitik zu protestieren. Mittlerweile sind fast alle Plätze geräumt und um Occupy ist es ruhig geworden. Trotzdem ist »Take the Square«, die neueste Arbeit des österreichischen Filmemachers Oliver Ressler, keineswegs inaktuell. Wie schon in seinem früheren Filmen über andere soziale Bewegungen verbindet Ressler in »Take the Square« eine solidarische Bezugnahme mit einem kritischen Blick hinter die Kulissen. In dem 80-minütigen Film kommen Aktivisten aus Spanien, Griechenland und den USA zu Wort. Die Interviewsequenzen werden unterlegt mit Ausschnitten von Demonstrationen und Kundgebungen. Nicht immer passen sie zusammen.

Während die jungen prekären Intellektuellen aus Spanien über ihre Distanz zu Großorganisationen wie den Gewerkschaften reden, sind im Hintergrund Ausschnitte einer Occupy-Demonstrationen mit zahlreichen Gewerkschaftsfahnen zu sehen. Leider wird dieser Widerspruch im Film nicht thematisiert. Interessant wäre es auch gewesen, gewerkschaftliche Aktivisten in die Gespräche einzubeziehen, zumal auch in Spanien die Occupy-Bewegung, nachdem sie von der Polizei von den Plätzen vertrieben wurde, neben der Bewegung gegen Wohnungsräumungen zunehmend gewerkschaftliche Kämpfe unterstützt hat.

Resslers griechischen Gesprächspartner kommen aus linken Zusammenhängen und haben sich mit ihren politischen Erfahrungen in die Athener Bewegung der Empörten eingeklinkt. Sie ziehen eine wesentlich kritischere Bilanz über den politischen Erfolg als die spanischen Aktivisten. Offen werden die Probleme angesprochen, Menschen aus der Nachbarschaft, die sich über die Bewegung politisiert haben, längerfristig zu halten.

Die Ausschnitte aus den USA zeigen den Beginn der Occupy-Bewegung. »Ihr habt die Macht, wenn ihr nur zusammenhaltet«, versucht ein rhetorisch begabter Redner den Menschen Mut zu machen.« Auch hier hätte man sich eine größere Vielfalt in der Wahl der Gesprächspartner gewünscht. Trotz dieser Einwände muss man Ressler bescheinigen, einen guten Einblick in das Innenleben der Occupy-Bewegung gegeben zu haben. Deutschland spielt im Film keine Rolle, weil hier die Occupy-Bewegung nie die Bedeutung wie in den vorgestellten Ländern erreicht hatte.

»Take The Square«, 80 Minuten: Oliver Ressler, Di. 30.10. um 17:30 und Mi. 31.10. um 19 Uhr im Lichtblickkino, Kastanienallee 77

http://www.neues-deutschland.de/artikel/802777.film-zu-occupy.html
Peter Nowak