5 Minuten AfD live – 90 Minuten AfD light

Wie man den AfD-Wählern im öffentlich-rechtlichen Programm nach dem Mund redet. Ein Kommentar

„Was hat die AfD richtig gemacht und die anderen Parteien nicht?“ und „Warum konnte die AfD punkten?“: Das waren nicht etwa Fragen, mit denen der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer der AfD die Stichworte für ihre Selbstdarstellung lieferte. Nein, es war die Deutschlandfunkredakteurin Thekla Jahn, die in der Sendung „Länderzeit“ unter dem Motto „Die Bundesländer und die AfD“[1] der AfD-Politikerin Christina Baum[2] symbolisch den roten Teppich auslegte.

Nicht der Ansatz einer kritischen Frage war der Journalistin eingefallen. Thekla Jahn verzichtete auch darauf, Christina Baum politisch einzuordnen. Es war dann immerhin der CDU-Landtagsabgeordnete von Baden Württemberg Winfried Mack[3], der darin erinnerte, dass Baum zum äußerst rechten Flügel der AfD gehört[4] und bei der kurzzeitigen Spaltung der Landtagsfraktion in Baden Württemberg den antisemitischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon[5] unterstützte.

Mack wandte sich immerhin verbal gegen einen Rechtsruck der CDU, blieb aber nebulös. Die Union müsse auch in der Flüchtlingsfrage „bei sich bleiben“. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby[6] wandte sich dagegen, die Wähler am rechten Rand aufzusammeln.

„Dem Volk“ nach dem Mund geredet

Doch kaum hatte der erste Hörer im Ton der AfD polemisiert, dass er unter den Migranten keine Fachkräfte getroffen habe, schon sprach Winfried Mack davon, dass man die Menschen Ernst nehmen müsse und meinte nicht die Migranten, sondern die Wähler. Sie werden kein Verständnis haben, wenn wir den Familiennachzug ausweiten, redete er dem Hörer nach dem Mund und erinnerte nicht daran, dass Menschenrechte nicht nur für Fachkräfte gelten.

Weder Mack noch Diaby hinterfragten die Anmaßung des Hörers, für „die Menschen“ zu sprechen. Mack, der eben noch sein christliches Menschenbild betont hat, ersparte sich auch jedes kritische Wort, als der Hörer sagte, auch Christen müssen nicht alle aufnehmen. Schon hatte sich ein bekennender AfD-Wähler zu Wort gemeldet, der sich darüber echauffierte, dass junge Migranten bei Fahrscheinkontrollen in der U-und S-Bahn übersehen würden, weil die Kontrolleure kein Messer im Bauch haben wollen.

Auch hier fragte niemand kritisch nach und erinnerte daran, dass Menschen, die nicht „biodeutsch aussehen“, besonders häufig und besonders rabiat kontrolliert werden. Im Gegenteil, sprach der CDU-Politiker dem Hörer nach dem Mund, der Verständnis dafür äußerte, dass jemand AfD wählt, wenn er so etwas erlebt.

Im Anschluss konnte wieder die Moderatorin deutlich machen, wie viel Verständnis sie für die Thesen der AfD aufzubringen vermag. Die Parteien hätten sich von der Bevölkerung entfernt, übernahm sie völlig kritiklos die Thesen der rechten Szene. Prompt rief erneut ein Hörer an, der lamentierte, die Politiker würden die Bevölkerung nicht verstehen. Niemand wagte nachzufragen, welche Politiker und welcher Teil der Bevölkerung denn gemeint seien.

Dann zählte der Hörer eine ganze Reihe sozialer Fragen auf, die angeblich der Bevölkerung in Deutschland unter den Nägel brennen. Da geht es um die Altersarmut, um den Ärztemangel und den schlechten Zustand der Straßen. Das sind ja sicherlich berechtigte Kritikpunkte. Doch keiner der Gesprächspartner, auch nicht der Politikwissenschaftler Alexander Hensel vom Göttinger Institut für Demokratieforschung[7] kam auf die naheliegende Frage, wieso jemand, der diese sozialen Missstände beklagt, auf die Idee verfalle, die wirtschaftsliberale AfD zu wählen.

Das Wort Rassismus wurde nicht erwähnt

Dann hätte vielleicht einmal erwähnt werden können, dass es an den rassistischen Erklärungsansätzen liegt, welche Migranten für die unterschiedlichen soziale Probleme verantwortlich machen. Dann hätte man vielleicht auch den Gedanken zulassen können, dass das Gerede von neuen Tönen, welche die Politiker finden müssen, wenn sie von der Bevölkerung verstanden werden sollen, nichts anderes bedeutet, als dass jetzt alle den rechten Sound nachmachen sollen.

Wenn die Politiker aller Parteien nur in den Migranten das Problem sehen, werden die maroden Schulen und Straßen nicht besser, aber die deutsche Volksgemeinschaft ist zu sich selber gekommen. Nachdem der fünfte Hörer über angebliche Privilegien für Migranten schwadronierte, wandte Mack immerhin ein, dass man nicht alle Fragen der Politik unter der Prämisse der Flüchtlingspolitik diskutieren könne.

Doch dieser Einwand verpuffte und wurde von keinem Mitdiskutanten aufgegriffen. Auch nicht von dem Hörer, der sich als Angehöriger der jungen Generation vorstellte und vor einigen Monaten in die SPD eingetreten ist. Ihn störte an Merkel, dass sie moderne Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet und zeitweise die Grenzen geöffnet habe.

Karamba Diaby verzichtete darauf, den jungen Genossen darauf hinzuweisen, dass er mit seiner Merkel-Kritik eigentlich im Widerspruch zum SPD-Programm steht. Allerdings vergaß er nicht, das Neu-SPD-Mitglied auf die Einsteigerkonferenz seiner Partei hinzuweisen.

Nachdem alle noch einmal beteuert hatten, dass man nun dem Wähler besser zuhören und ihn verstehen bzw. auf Augenhöhe begegnen müsse, war die Sendung auch schon beendet. Als Fazit kann gelten, auch wenn die AfD-Politikerin Baum nur knapp 5 Minuten interviewt wurde, dass im Deutschlandfunk insgesamt 90 Minuten AfD-light geboten wurde. So lang dauerte die Sendung nämlich, in der nicht einmal das Wort Rassismus und Antisemitismus fiel.

Kritische Nachfragen – Fehlanzeige

Nicht einmal wurde kritisch nachgefragt, als die Hörerinnen und Hörer, die angerufen haben, Thesen vortrugen, die nicht nur, aber besonders im „Kosmos von Pegida“ und auf rechten Plattformen verbreitet werden. Niemand fragte beispielsweise den Hörer, der sich so vehement über jugendliche Migranten echauffierte, die bei der Ticketkontrolle übersehen würden, was in diesem Kontext überhaupt die ethnische Unterscheidung für einen Sinn macht.

Woher konnte der Hörer wissen, ob es sich um deutsche Staatsbürger handelt oder nicht? Hat vielleicht einfach eine geschlossene Gruppe junger Menschen, die Kontrolleure veranlasst, an ihnen vorbei zu gehen, völlig unabhängig welcher ethnischen Gruppe diese angeblich angehörten? Ein Waggon voll „biodeutscher“ Fußballfans wird von Kontrolleuern auch gerne mal übersehen.

Wäre ein solches Verhalten nicht aus verschiedenen Gründen gar zu loben? Einmal ersparen sich die schlecht bezahlten Kontrolleure selber Stress und sie ersparen auch der Gruppe, die von ihrem Recht auf Mobilität Gebrauch machte, Scherereien. Denn schließlich gibt es zahlreiche Berichte über besonders robuste Behandlung von renitenten Fahrgästen, wenn sie nicht besonders „biodeutsch“ aussehen, sobald Sicherheitskräfte und Wachdienst eingeschaltet sind.

Und schließlich hatten auch alle übrigen Fahrgäste einen Gewinn vom sehr rationalen Verhalten der Kontrolleure, weil sie sonst womöglich für längere Zeit am Bahnhof festgesessen hätten. Zugausfälle bzw. Zugverspätungen wegen Polizeieinsätzen im Bahnhof gehören nicht nur im Berliner Nahverkehr zum Alltag. Doch für solche unaufgeregten rationalen Überlegungen war in der Deutschlandfunksendung kein Raum.

Weder die Moderatorin, die bereits mit ihrer Fragestellung den AFD-Diskurs zur Grundlage nahm, noch die Gesprächspartner oder die zu Wort gekommenen Hörer und Hörerinnen, durchbrachen das Lamento von den unverstandenen Wählern, denen man jetzt mal zuhören müsse. Schon gar nicht wurden die vertretenen Thesen inhaltlich kritisiert. Nun könnte man denken, da ist halt mal eine Sendung schlecht gelaufen. Doch es handelte sich hier nicht um eine Ausnahme.

Früher nannte man es akzeptierende Jugendarbeit

Vor einigen Wochen gab der Politikwissenschaftler Clemens Heni[8] unter dem Titel Eine Alternative zu Deutschland[9] eine Sammlung von Aufsätzen heraus, mit denen der Autor die deutschen Zustände sehr gut beschreibt. Dabei leistet er auch immer wieder eine gute Medienanalyse:

Es geht um die Wählerinnen und Wähler, die man endlich ernst nehmen muss. … Deren Rassismus, Hass und Ressentiments werden einfach nicht ernst genommen… Früher nannte man das „akzeptierende Jugendarbeit“, man holte die Rechten da ab, wo sie standen und brachte ihnen Kuchen mit. Protestwahl ist das typische Wort, das jetzt wieder alle anführen, ohne einmal zu schauen, wie viel Rassismus, Lust auf den Schießbefehl, stolzdeutscher Nationalismus, Antifeminismus, …. in den AfD-Wählerinnen und -wählern wirklich stecken.

Clemens Heni
Diese Zeilen hat Heni lange vor der Deutschlandfunk-Sendung verfasst, doch besser hätte sie nicht beschrieben werden können.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/5-Minuten-AfD-live-90-Minuten-AfD-light-3877641.html

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3877641

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.deutschlandfunk.de/einfach-weiter-so-die-bundeslaender-und-die-afd.1771.de.html?dram:article_id=399199
[2] http://baum.afd-fraktion-bw.de/
[3] http://www.winfried-mack.de/
[4] http://www.derfluegel.de/2015/03/14/die-erfurter-resolution-wortlaut-und-erstunterzeichner/
[5] http://www.wolfgang-gedeon.de/
[6] http://www.karamba-diaby.de/
[7] http://www.demokratie-goettingen.de/mitarbeiter/alexander-hensel
[8] http://www.clemensheni.net/
[9] http://www.clemensheni.net/allgemein/clemens-heni-eine-alternative-zu-deutschland-essays/

Zurück Kriminalisierung von Geflüchteten ohne große Proteste beschlossen