Mehr für den kleinen Geldbeutel

Ein Unternehmen wirbt mit regionaler Herstellung seiner Produkte und meint schlecht bezahlte Arbeit von Berliner GefängnisinsassInnen. Die Gefangenengewerkschaft fordert die Zahlung des Mindestlohns

Drucken, Falten, Nähen – das alles passiert in Berlin & Deutschland. Regionales Wirtschaften funktioniert einfach besser als miese Arbeitsbedingungen in Drittländern.“ So wirbt das Berliner Unternehmen Paprcuts für seine Produkte, etwa reißfeste Handyhüllen, Tabakbeutel und Portemonnaies. Hergestellt werden diese auch in Berliner Justizvollzuganstalten. Deshalb erhielt Paprcuts vergangene Woche Post von der Berliner Gruppe der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO). Sie fordert den Mindestlohn für arbeitende Gefängnisinsassen und ihre Einbeziehung in die Rentenversicherung. „Wie euch durch eure Verträge mit der JVA Reinickendorf und Faktura bekannt ist, zahlt ihr den ArbeiterInnen aber nur 1–2 Euro die Stunde, also etwa 1/9 von dem, was arbeitende Menschen draußen er- halten“, heißt es in dem Schreiben. Zudem würden die Frauen in der JVA Reinickendorf über strenge Zeit- und Qualitätskontrollen bei der Arbeit klagen, berichtet Martina Franke von der Soligruppe der GG/BO der taz. Franke ärgert es besonders, dass Paprcuts die Arbeit in der JVA als soziales Projekt bewirbt. „Wir fordern das Unter- nehmen auf, zu erklären, warum es sich in der eigenen Werbung explizit gegen schlechte Arbeitsbedingungen in Drittländern wendet und dann einen Teil der Produkte in der JVA zu ebenso schlechten Bedingun- gen herstellen lässt.“ Schließlich seien Knäste ebenso wie Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, in denen ebenfalls Produkte von Paprcuts hergestellt werden, „Billiglohnin- sein, in welchen auf Kosten der Beschäftigte Profite gemacht werden“, moniert Franke. Als positives Signal sieht sie, dass Paprcut sich zu Gesprächen bereit erklärt hat. Geschäftsführer Oliver Wagner äußerte sich über deren Erfolgsaussichten allerdings skeptisch. „Wir empfinden das Schreiben der GG/ BO als überaus konfrontativ und zweifeln an, dass hier ein konstruktiver Dialog möglich sein wird. Daher möchten wir uns ungern in das Zentrum dieses Dialogs stellen lassen und uns für die Forderungen von der Gefangenengewerkschaft öffentlich instrumentalisieren lassen“, so Wagner. Die Vergabe der Aufträge an die JVA bezeichnet er weiterhin als soziales Projekt. Franke sieht es als positiv an, dass Wagner von der JVA weitere Informationen über die Arbeitsbedingungen angefordert hat. Auf die Frage, ob nicht eher die JVA als die Gefangenen von einer Lohnerhöhung profitieren würde, gibt sich Franke kämpferisch. „Falls sich ein Unternehmen bereit erklärt, den Mindestlohn zu zahlen, und die JVA den Gefangenen trotzdem nur 1 bis 2 Euro Stundenlohn auszahlt, gehen wir an die Öffentlichkeit.“

aus: taz
24. juli 2018

Von Peter Nowak

Europäisches Treffen der Solidarität

Viel wird darüber geklagt, dass es mit der transnationalen Kooperation in der Linken selbst auf europäischer Ebene nicht so recht klappt. Wo ist denn die europäische Gewerkschaft, die auch Arbeitskämpfe im EU-Raum gemeinsam führt?

iDe europäischen Zusammenschlüsse der Reformlinken kommen über ein Zweckbündnis im EU-Parlament nicht hinaus. Gemeinsame Kämpfe werden von dort nicht initiiert. Doch in der außerparlamentarischen Linken gibt es Bestrebungen einer transnationalen Kooperation. So trafen sich am 17. und 18. März in Köln Linke aus ganz Europa zum Erfahrungsaustauch. Anlass war der Kampf gegen Repression. De halb wurde das Datum auch um den 18. März, den Internationalen Kampftag der politischen Gefangenen gelegt. Das Ende des Treffens war eine zweistündige Kundgebung vor der JVA Köln-Ossendorf, auf der die Gefangenen direkt angesprochen wurden. Der Anlass des Treffens liegt in der Solidarität mit einer Gefangenen, die allerdings seit einigen Wochen nicht mehr in Ossendorf sondern in Wittlich inhaftiert ist.

In der Einladung heißt es: „2017 wurde in Aachen eine Genossin aus Barcelona zu siebeneinhalb Jahren Knast verurteilt und sitzt derzeit in Köln. Bei der kollektiven, sich über Europa erstreckenden, Solidaritätsarbeit, wurde immer wieder festgestellt, dass es ein starkes Bedürfnis auf allen Seiten gibt, mehr voneinander zu erfahren und sich zusammen solidarisch mit den von Repression Getroffenen zu zeigen. Daraus entwickelte sich die Idee, das Wochenende um den Tag der Gefangenen am 18.03.2018 zu gemeinsamen Aktivitäten in Köln zu nutzen.“

Solidarität mit Lisa

Bei der Gefangenen handelt es sich um Lisa, eine Anarchistin, die von der Justiz des Bankraubs beschuldigt wurde. Sofort nach ihrer Verhaftung gab es eine transnationale Solidaritätskampagne, die vor allem von libertären Kreisen getragen wurde. In vielen europäischen Ländern fanden vor und nach der Verurteilung von Lisa Solidaritätsaktionen statt, von der Störung einer Veranstaltung des deutschen Konsulats in Barcelona bis zum Aufhängen von Transparenten. Am 21. Dezember 2017 gab es einen Internationalen Solidaritätstag mit Lisa. Dass darüber selbst in linken Kreisen wenig bekannt wurde, mag auch daran liegen, dass die Gefangene nicht als Opfer von staatlicher Repression sondern als Anarchistin dargestellt wurde, die auch den Knast zum Kampfterrain macht. Die Frage, ob sie die ihr vorgeworfenen Taten verübt hat oder nicht, spielt für die Organisator_innen keine Rolle. In einer Erklärung heißt es: „Eine Strafe auferlegt zu bekommen, bedeutet nicht, dass die inhaftierte Person ‚nur‘ dem Gefängnissystem ausgeliefert ist. Der politische und justizielle Staatsapparat ermittelt, über- wacht, analysiert weiter und entscheidet über das Schicksal der Gefangenen. Vor allen wenn die Gefangene nicht auf ihren Knien vor Gericht um Gnade gebe- ten hat (…). Die Möglichkeiten, mit denen das Justizsystem demonstrieren kann, dass sie mit ihr noch nicht fertig sind, sind zahlreich. Die Verweigerung mit der Polizei zu kooperieren, gilt als Schuldbeweis und kann dazu genutzt werden, die Ermittlungen auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten. Das Schweigen und die Würde gegenüber den Vollstreckenden und ihren Vorwürfen wird als Verschleierung des Verbrechens betrachtet und kann neue Ermittlungen herbeiführen.“ Eine solche offensive Strategie gegen die Justiz und den Gefängnisapparat ist heute in Deutschland selten. Doch noch in den 1980er und 1990er Jahren war ein solch offensives Agieren von Gefangenen und Angeklagten durchaus in größeren Teilen der außerparlamentarischen Linken üblich. Das hat dann dazu geführt, dass häufig Gerichtssäle von der Polizei geräumt wurden, weil der politische Kampf auch im Gerichtssaal ausgetragen wurde.

Nicht die Repression, sondern die kriminalisierte Politik stand im Mittelpunkt

Das hatte auch zur Folge, dass viele Medien nicht darum herum kamen, sich auch mit den poltischen Intentionen der Gefangenen und ihrer Unterstützer_innen zu beschäftigen. Nicht die Repression, sondern die Politik, die kriminalisiert werden sollte, stand im Mittelpunkt. Das stärkte die Bewegung der Unterstützer_innen. Denn das Starren auf Repression lähmt in der Regel, während der Fokus auf den politischen Zielen, die kriminalisiert werden, eher mobilisiert. Der Kongress am 17. und 18. März in Köln war der Versuch, diese Politik zu diskutieren und sich besser zu vernetzen. Die unterschiedliche Politik der Repression und Zerstreuung widerständischer Kerne und Netzwerke in den unterschiedlichen Ländern stand im Zentrum vieler Diskussionen.

Positiv zu vermerken ist, dass dieses Internationale Treffen seinem Anspruch gerecht geworden ist. Gerade in Deutschland ist es oft so, dass auf Treffen mit dem Adjektiv international dann doch die deutschsprachigen Regionen im Mittelpunkt stehen. Das war in Köln anders. Dort standen die Berichte der Genoss_innen u.a. aus Italien, Griechenland und Belarus im Mittelpunkt.

Aus den osteuropäischen Ländern waren nur wenige Genoss_innen anwesend, die ihren Lebensmittelpunkt wegen der Repression oft mittlerweile in Deutschland haben. Interessant zu erfahren war, dass in Belarus die anarchistische Bewegung eine wichtige Rolle in der dortigen Opposition gegen den autoritären Langzeitherrscher Lukaschenko spielt.

Gegen das sächsische Polizeigesetz

Die Teilnehmer_innen aus Deutschland waren in der Regel Zuhörer_innen oder berichteten über ihre Erfahrungen mit Knast und Repression. Mit einer Ausnahme. Genoss_innen aus Dresden informierten über das geplante sächsische Polizeigesetz, das mehr Kameras, Überwachung und Kontrolle bedeutet. Die Details dieses Gesetzes werden erst in den nächsten Monaten bekannt. Doch hier dürfte nach dem Vorbild von Bayern ein weiterer Versuch erfolgen, staatliche Ausforschungen, die heute bereits in einer gesetzlichen Grauzone vollzogen werden, zu legalisieren. Hier blieb die Frage offen, wie die erklärten Gegner_innen von jedem Staat mit einer reformistischen Linken umgehen, die ebenfalls Kritik an dem geplanten sächsischen Polizeigesetz angemeldet hat. Ist es möglich, im Widerstand gegen dieses spezifische Projekt zu kooperieren? Diese Frage kam auch auf, als es um die Einschätzung der Gefangenengewerkschaft GG/BO ging, die es in den letzten drei Jahren geschafft hat, in vielen Gefängnissen Unterstützer_innen für konkrete Reformen zu gewinnen. Es gab bei einigen Teilnehmer_innen den Hinweis, dass die Gefangenengewerkschaft klar reformistische Ziele formuliert, aber in den Knästen einen Raum der Solidarität öffnet. Schließlich dominieren in den Knästen Konkurrenz und Entsolidarisierung, das ist drinnen nicht anders als draußen. Wenn Hunderte Gefangene sich in einer Gefangenengewerkschaft für konkrete Forderungen organisieren, ist das unterstützenswert.

Soziale Kämpfe und Widerstand

Was für die Situation in den Knästen richtig ist, hat auch draußen Gültigkeit. Daher war es erfreulich, dass sich die erste Diskussionsrunde am Samstagmorgen der Frage widmete, ob und wie die Linke die sozialen Kämpfe wahrnimmt. Mit Linke ist hier das außerparlamentarische und libertäre Spektrum gemeint, das sich in Köln versammelt hat. Nicht nur in Belarus ist die libertäre Linke Teil des sozialen Protests. Griechische Genoss_innen berichteten über den langjährigen Widerstand gegen die Goldmine auf der Halbinsel, der seit Jahren zum Kristallisationspunkt von Widerstand in Griechenland und darüber hinaus geworden ist. Seit Jahren sind dort Aktivist_ innen massiver Repression aus- gesetzt. Das hat sich auch unter der Tsipras-Regierung nicht geändert, die in der Opposition noch zu den Gegner_innen des Minenprojekts gehörte, bis sie zur Regierungslinken wurde. Die griechischen Genoss_innen waren auch ehrlich genug, um deutlich zu machen, dass auch in den Reihen der antiautoritären und undogmatischen Linken der Tsipras-Regierung die Möglichkeit gegeben wurde, zu zeigen, ob sie zumindest einen Teil ihrer Versprechungen umsetzt. In den ersten Wochen nach dem Regierungsantritt schien es so, als würden einige Reformen umgesetzt. Es sind auch viele der antiautoritären Linken gegen das Austeritätsdiktat der von Deutschland dominierten EU auf die Straße gegangen. Nachdem Tsipras kapituliert hatte, wurde er auch innenpolitisch ein Sozialdemokrat, der mit linken Sprüchen rechte Politik umsetzt. Damit hat er die Theorien der außerparlamentarischen und anarchistischen Linken bestätigt, dass eine grundsätzliche Veränderung nicht in den Parlamenten und in den Regierungspalästen umgesetzt werden kann. Eine Lehre, die die Regierungslinken dieser Welt trotz aller Erfahrungen nicht ziehen wollen, weil sie sich dann selber in Frage stellen müssten. Das wäre eigentlich eine gute Grundlage für das Wachsen einer außerparlamentarischen Linken, die Veränderungen auf der Straße und nicht im Parlament erkämpfen will. Voraussetzung wäre dannaber, den sozialen Kämpfen auch den Kämpfen von Lohnabhängigen mehr Solidarität und Beachtung zu schenken. Nur ein Beispiel. Der jahrelange Kampfzyklus der Logistikarbeiter_innen in Norditalien, den Bärbel Schönafinger von labournet.tv mit dem Dokumentar lm „Die Angst wegschmeißen“ bekannt gemacht hat, war bei den italienischen Genoss_innen auf der Konferenz kein Thema. Dabei hat der Arbeitskampf nichts mit Protestritualen etablierter Gewerkschaften zu tun. Die überwiegend migrantischen Logistikarbeiter_innen blockierten die Zufahrten zu Logistikzentren, es kam zu Räumungen durch die Polizei. Unterstützt werden sie von der kleinen lin- ken Basisgewerkschaft Si Co- bas. Wenn solche Kämpfe, die es in vielen Ländern gibt, Teil der Praxis der antiautoritären Linken würden, hätte sie die Chance, eine gesellschaftliche Gegenmacht zu entwickeln. Zu wünschen wäre es. Denn in einer Zeit, wo von einer Regierungslinken niemand mehr etwas erwartet, wäre es eine Alternative gegen politische Apathie und Rechtsruck. Dann könnte auch das Kölner Treffen als Austausch grenzüberschreitender Realität eine Fortsetzung finden. Wichtig ist dabei nicht das Treffen sondern der gesellschaftliche Prozess in den Basiskämpfen der einzelnen Länder.

aus: mai 2018/429 graswurzelrevolution 23
http://www.graswurzel.net/intern/gwr429klein.pdf

Peter Nowak

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Der Artikel wurde im Schattenblick nachgedruckt:

http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/gras1763.html

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Hinweis in der jungen Welt:

Graswurzelrevolution

Katja Einsfeld sucht in einem mutmaßlich ernstgemeinten Beitrag nach »anarchistischen Lösungsansätzen für das Putzproblem«. Alle müssen ins »Putzkollektiv«! Über eine Aktion von Atomwaffengegnern gegen den Fliegerhorst Büchel und die nachfolgenden juristischen Verwicklungen berichtet Katja Tempel. Jakob Reimann skizziert in einem lesenswerten Text die Interessen der verschiedenen Akteure des Krieges im Jemen, wo sich eine »historische Cholera- und Hungerkatastrophe« entwickelt. Peter Nowak fragt, wo die »europäische Gewerkschaft« sei, die »auch Arbeitskämpfe im EU-Raum gemeinsam führt«. Hier sei von der Regierungs- und Reformlinken nichts zu erwarten, dafür aber womöglich von der »antiautoritären Linken«. (jW)

Graswurzelrevolution, 47. Jg./Nr. 429 (Mai 2018), 24 Seiten, 3,80 Euro, Bezug: Verlag Graswurzelrevolution e. V., Vauban­allee 2, 79100 Freiburg, E-Mail: abo@graswurzel.net

https://www.jungewelt.de/artikel/332412.neu-erschienen.html

Gefängnisse als Sonderwirtschaftszonen

In den meisten Bundesländern sind Gefangene zur Arbeit verpflichtet. Die Beschäftigten arbeiten zu Dumpinglöhnen und haben fast keine Rechte. Die Gefangenengewerkschaft GG/BO will das ändern.

Die Bundesländer verdienen Geld mit der Arbeitskraft von Häftlingen

»Im Auftrag externer Kunden bieten wir in großzügig dimensionierten Produktionshallen in der Abteilung Groß Hesepe folgenden Service an: Be- und Verarbeitung von Kunststoffen, Metallen und anderen Materialien, Montage- und Verpackungsarbeiten. Profitieren Sie von unseren fairen Preisen und unserer langjährigen Erfahrung.« Dieser Text hört sich zunächst wie ein übliches Dienstleistungsangeboten an. Der Eindruck wird noch durch das Foto einer großen Lagerhalle mit vielen Paletten verstärkt.

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Whistleblower unter Druck

Warenschmuggel in der JVA Tegel: Disziplinarstrafen für Häftlinge, die Verfahren ins Rollen brachten

Im September 2016 berichtete das ZDF-Magazin „Frontal 21“, dass Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Tegel im Knast produzierte Produkte über den anstaltseigenen Fahrdienst für den Eigenbedarf oder den Weiterverkauf ohne Lieferschein aus dem Gefängnis schmuggeln. Bereits im November 2017 wurden die Ermitt- lungen gegen sämtliche beschuldigte JVA-Mitarbeiter eingestellt, bestätigte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft Martin Steltner kürzlich. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) zeigte sich zufrieden, dass der Verdacht gegen die MitarbeiterInnen ausgeräumt wurde.

Gefangene in die Rentenversicherung und Mindestlohn auch für Arbeit hinter Gittern

Als verheerendes Signal für die Whistleblower hinter Gittern bezeichnet hingegen die Berliner Soligruppe der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO) die Einstellung. Martina Franke äußerte gegenüber der taz Zweifel an der Gründlichkeit der Ermittlungen: „Unseren Angaben nach haben sich bei der Polizei, angeregt durch die damalige TV-Berichterstattung, mehrere Gefangene gemeldet, die eine Klau- und Schmuggelwirtschaft seitens der Bediensteten bestätigen hät- ten können, aber nicht vernommen worden.“ Die Whistleblower, die das Verfahren ins Rollen gebracht haben, befürchten nun wegen falscher Beschuldigungen belangt zu werden. Sie waren von Anfang an Druck im Knast ausgesetzt. Häftlinge, die von der Schmuggelwirtschaft profitierten, haben sie gemobbt und bedroht. Die Gefängnisleitung verhängte gegen zwei der Whistleblower Disziplinarstrafen, weil sie den Schmuggel mit einem Mobilteleon gefilmt und damit gegen das Handyverbot im Knast verstoßen haben. Die GG/BO unterstützt die Gefangenen weiterhin. Die 2014 in Tegel gegründete Interessenvertretung hält es für den größeren Skandal, dass die geschmuggelten Produkte unter Bedingungen des Sozial- und Lohndumpings von Gefangenen hergestellt werden. Die GG/ BO fordert die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung und den Mindestlohn auch für Arbeit hinter Gittern. Sebastian Brux, Sprecher des Justizsenators, wollte die Kritik der Gewerkschaft nicht kommentieren.

taz, dienstag, 20. februar 2018

Peter Nowak

Keine Beweise für Schmuggel


Ermittlungen gegen Mitarbeiter der JVA Tegel eingestellt / Kritik von Gewerkschaft

Im September 2016 stand die Justizvollzugsanstalt Tegel bundesweit in den Schlagzeilen. Das ZDF-Magazin Frontal 21 hatte einen Bericht veröffentlicht, nach dem die Mitarbeiter im Gefängnis produzierte Produkte über den anstaltseigenen Fahrdienst für den Eigenbedarf oder den Weiterverkauf ohne Lieferschein aus dem Gefängnis geschafft haben sollen. Der vermeintliche Diebstahl- und Schmuggelskandal beschäftigte wochenlang die Medien und auch das Abgeordnetenhaus. Kürzlich erklärte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft Martin Steltner, seine Behörde habe das Verfahren gegen mehrere der beschuldigten JVA-Beschäftigten bereits im November 2017 eingestellt.

»Dass der Verdacht gegen Bedienstete ausgeräumt wurde, beruhigt mich. Trotz umfangreicher Ermittlungen und Zeugenvernehmungen hat sich der Verdacht nicht erhärtet«, erklärte daraufhin Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Heftige Kritik erntet er dafür nun von der Solidaritätsgruppe Berlin der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO). »Ich möchte schon mal hinterfragen, was mit ›umfangreichen Ermittlungen und Zeugenvernehmungen‹ gemeint ist«, sagte Martina Franke von der GG/BO-Soligruppe dem »nd«. Gefangene hätten ihr berichtet, sie hätten in dem Fall gegenüber der Staatsanwaltschaft aussagen wollen, seien aber nie vernommen worden. »Unseren Angaben nach haben sich bei der Polizei, angeregt durch die damalige Berichterstattung von «Frontal 21», mehrere Zeugen gemeldet, die eine Klau- und Schmuggelwirtschaft seitens der Bediensteten bestätigen hätten können«, sagte Franke.

Die Einstellung der Verfahren sei ein verheerendes Signal für Whistleblower hinter Gittern. Darüber hinaus seien die Gefangenen, die mit ihren Enthüllungen die Untersuchungen erst ins Rollen gebracht hätten, von Anfang an massivem Druck ausgesetzt gewesen. Ein Teil der Häftlinge, die angaben, an der Schmuggelwirtschaft beteiligt gewesen zu sein, sei gemobbt und bedroht worden. Zudem seien gegen zwei Gefangene, die Beweisvideos angefertigt haben sollen, Disziplinarstrafen verhängt worden, weil sie das Handyverbot hinter Gittern missachtet hatten.

Nach der Einstellung der Verfahren könnte der Druck auf die Gefangenen noch steigen, befürchtet Franke. »Die Betroffenen sind verunsichert und befürchten, dass sie womöglich wegen falscher Anschuldigungen verklagt werden«, so Franke. Die GG/BO stehe weiterhin solidarisch hinter den Whistleblowern.

Die Gefangenengewerkschaft wurde 2014 in der JVA Tegel gegründet. Zentrale Forderungen sind die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung und die Auszahlung des Mindestlohns auch für die Arbeit in der Haftanstalt. Dass ein Teil der möglicherweise geschmuggelten Produkte von den Gefangenen unter Bedingungen des Sozial- und Lohndumping produziert worden sei, hält die Gewerkschaft für den eigentlichen Skandal. Vom Berliner Justizsenat äußerte sich bis Redaktionsschluss niemand zu den Vorwürfen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1079294.keine-beweise-fuer-schmuggel.html

Peter Nowak

»Brauchen Unterstützung«

Die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) hat weiterhin viel zu tun. Über den Zustand der Gewerkschaft hat die Jungle World mit Martina Franke gesprochen. Sie ist Mitglied der Berliner Solidaritätsgruppe der GG/BO.

Wie ist der Stand der Organisierung bei der GG/BO?
Als die Gewerkschaft im Mai 2014 in der JVA Tegel gegründet wurde, konnte niemand ahnen, dass…

„»Brauchen Unterstützung«“ weiterlesen

Türkisch-Dolmetscher zu teuer

Mit einem Hungerstreik kämpft ein Gefangener für muttersprachliche Korrespondenz
Der türkische Staatsangehörige Yusuf Tas sitzt wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« in deutscher Haft. Nach draußen darf er nicht türkisch kommunizieren.

Mir geht es gesundheitlich, wie es sein kann, aber geistig bin ich entschlossener denn je«, schrieb Yusuf Tas in einem Brief aus dem Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg in Baden-Württemberg. Dorthin war er am 2. Mai mit der Ankündigung verlegt worden, dass er dort zwangsernährt werden könnte, falls sich sein gesundheitlicher Zustand verschlechtere.

Zuvor war Tas in der JVA Heimsheim inhaftiert, wo er am 31. März einen Hungerstreik begonnen hatte. In seiner Erklärung hatte Tas angekündigt, er wolle erst wieder Nahrung zu sich nehmen, wenn es ihm möglich ist, in türkischer Sprache zu lesen, zu schreiben und Briefe zu empfangen. Die Anstaltsleitung habe sich mit Verweis auf die hohen Kosten für einen Dolmetscher geweigert, von Tas in seiner Muttersprache verfasste Briefe weiterzuleiten oder ihm Briefe in türkischer Sprache auszuhändigen. Auch Schreiben an seine Anwälte seien abgefangen und einbehalten worden. Der Gefangene kritisierte zudem, dass es in der Gefängnisbibliothek keine Bücher in türkischer Sprache gäbe.

Der in der Türkei geborene Tas war 2013 nach dem Paragrafen 129b (StGB) angeklagt und als Mitglied in der DHKP-C, einer linken Organisation, die auch einen bewaffneten Flügel hat, zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Nachdem eine mögliche Zwangsernährung bekannt wurde, hatten sich zahlreiche Initiativen mit Tas solidarisiert. Dazu gehört auch das bundesweit aktive Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«.

»Mit der Zwangsernährung soll der Wille des Gefangenen gebrochen werden, anstatt seine Forderungen zu erfüllen«, erklärt Wolfgang Lettow von der Publikation »Gefangeneninfo« gegenüber »nd«. Lettow war schon in den 1970er und 1980er Jahren politisch aktiv, als Gefangene der RAF und der Bewegung 2. Juni vom politischen Instrument des Hungerstreiks Gebrauch machten und mit Zwangsernährung konfrontiert waren. Lettow erinnert an den RAF-Gefangenen Holger Meins, der infolge seines Hungerstreiks zu Tode kam. Auch er war zwangsernährt worden.

In zahlreichen Ländern lehnen Ärzte die Beteiligung an Zwangsernährung aus ethischen Gründen ab. Sie sehen darin einen Widerspruch zu ihrer ärztlichen Aufgabe.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1050490.tuerkisch-dolmetscher-zu-teuer.html
Peter Nowak

»Erste Amtsmonate von Justizsenator Behrendt fallen desaströs aus«

Oliver Rast im Gespräch über die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation

In der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel wandten sich Gefangene mit einer Petition gegen ihre Haftbedingungen. Seitdem beklagen sie verschärfte Repression. Die Jungle World hat mit Oliver Rast, dem Pressesprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), über die Situation gesprochen.
Small talk Von Peter Nowak

Was haben die Gefangenen in ihrer Petition gefordert?
Der Ausgangspunkt ist vermeintlich banal. Es geht um einen Gruppenleiter, der für die sogenannte Vollzugsplanfortschreibung verantwortlich ist. Für Inhaftierte bedeutet es eine enorme Zusatzbelastung, wenn keine Zusammenarbeit mit dem Gruppenleiter mehr möglich ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen Gefangenen und Gruppenleiter war komplett zerrüttet – ein Zustand, der sich über Jahre verschärfte. Die Inhaftierten haben lediglich in einer Petition ausgeführt, dass dieser Amtsmensch den gesetzlichen Auftrag der Resozialisierung, wie sie schreiben, »hintertreibe«.

Mittlerweile sollen einige der Unterzeichner ihre Unterschrift zurückgezogen haben. Was wissen Sie über die Hintergründe?

Unseren Informationen zufolge wurden Inhaftierte zu einer Unterredung mit Mitgliedern der Anstaltsleitung zitiert, nicht um dem Sachverhalt aus der Petition nachzugehen, sondern um ihnen gegenüber Druck aufzubauen, damit sie ihre Unterschrift zurückziehen. Unter anderem wurde der Vorwurf der »Meuterei« erhoben.

Was bedeutet dieser Vorwurf für die Gefangenen?
Es ist eine übliche Praxis der Anstaltsleitung, mittels des Meutereivorwurfs aktive Gefangene zu verunsichern und mundtot zu machen. Der Vorwurf der »Gefangenenmeuterei« nach Paragraph 121 des Strafgesetzbuchs besagt, dass sich Inhaftierte »zusammenrotten und mit vereinten Kräften« versuchen, zum Beispiel einen Anstaltsbeamten »zu nötigen oder tätlich anzugreifen«. Das führt zu einem neuen Verfahren und in der Regel zu einer weiteren Haftstrafe und längerer Haftzeit.

Die Sprecherin der Senatsverwaltung sieht keine Einschränkung der Grundrechte der Inhaftierten. Setzt Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) die Politik seines CDU-Vorgängers fort?
Wenn eine Vollzugsbehörde mit Einschüchterungen und Drohungen arbeitet, um die Verbreitung einer Petition zu unterbinden, dann ist das ein eklatanter Fall einer Einschränkung von Grundrechten. Und an einem solchen Punkt schreiten wir als Gefangenengewerkschaft ein. Es ist für uns völlig unverständlich, dass eine Pressesprecherin eines grünen Justizsenators dazu beiträgt, eine konkrete Grundrechtsverletzung gegenüber Gefangenen in Frage zu stellen.

Was fordern Sie vom Justizsenator?
Wir fordern von Behrendt das ein, was er all die Jahre zuvor als Oppositionspolitiker hinsichtlich eines liberalen und progressiven Vollzugswesens angemahnt hat. Seine ersten Amtsmonate fallen desaströs aus: Es werden weder Suizide eigenständig öffentlich gemacht noch erkennen wir, dass er bei einem der größten Skandale in der Berliner Justizgeschichte, der mutmaßlichen sogenannten Klau- und Schmuggelwirtschaft seitens JVA-Bediensteter, sein vormals angekündigtes Aufklärungsinteresse zeigt. Behrendt hat bei den Gefangenen viel Kredit verspielt. Wir werden als Gefangenengewerkschaft am 20. Mai vor der JVA Berlin-Tegel eine Kundgebung abhalten, um auf die Schikanen und die desolaten Haftbedingungen insbesondere in abbruchreifen Hafthäusern aufmerksam zu machen. Die JVA Tegel, übrigens der Ursprung der Gefangenengewerkschaft, wird zu unserem Schwerpunktthema in Berlin.

aus:

Jungle.World 2017/16 Small Talk

https://jungle.world/artikel/2017/16/erste-amtsmonate-von-justizsenator-behrendt-fallen-desastroes-aus

Interview: Peter Nowak

Petition gegen einen Gruppenleiter

KNAST Insassen der JVA Tegel werfen einem Sozialarbeiter im Gefängnis vor, sie schlecht zu behandeln

Die Vorwürfe gegen einen Sozialarbeiter der JVA Tegel wiegen schwer. Eine Petition, die vor einigen Wochen von 18 Insassen
im Hafthaus V der JVA Tegel unterzeichnet wurde, beginnt so: „Wir bitten Sie um Hilfe bei der Erreichung unseres Vollzugs,
welcher leider durch den für unsere Behandlung und Unterstützung verantwortlichen Gruppenleiter nicht nur verhindert, sondern konterkariert wird.“ Die Insassen werfen ihm vor, sie „abwertend, verständnislos und überheblich“ zu behandeln. „Mit seiner mangelnden Empathie brüstet er sich bei Verkündung seiner vorrangigen Aufgabe, uns Inhaftierten unsere Fehler und Schwächen nachdrücklich vorzuhalten“, heißt es in der Petition. Die Unterzeichner betonen, dass auch etliche Stationsbedienstete den kritisierten Sozialarbeiter als „Punisher“ bezeichnen, und verweisen auf mehrere Urteile von Strafvollstreckungskammern gegen seine Maßnahmen. Zu den Unterzeichnern der Petition gehören auch mehrere Aktivisten der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), die in der JVA Tegel gegründet wurde. Deren Sprecher Oliver Rast machte jetzt öffentlich, dass mehrere Unterzeichner sanktioniert wurden. Der Stationssprecher Hauke Burmeister wurde in ein
anderes Hafthaus innerhalb der JVA verlegt. Zudem wurde ihm eine Zwangsverlegung in eine Haftanstalt in einem anderen
Bundesland angedroht. Den massiven Druck gegenüber den Unterzeichnern bestätigt auch ein Gefangener, der anonym
bleiben will. Mehr als die Hälfte seien vor das Gremium der Teilanstaltsleitung zitiert und eingeschüchtert worden, sagt er. Einige seien regelrecht in Panik geraten, als ihnen mit einer Anklage wegen Meuterei gedroht wurde. Eine solche Anklage könnte eine erneute Verurteilung bedeuten. Daraufhin hätten zwei der Unterzeichner ihre Unterschrift zurückgezogen. „Es kann nicht sein, dass Gefangene, die mittels einer Petition ein demokratisches Grundrecht ausüben, mit einem solchen Vorwurf unter Druck
gesetzt werden“, kritisiert GG/BO Sprecher Oliver Rast gegenüber der taz. Er erwartet vom Berliner Justizsenator Dirk Behrendt
(Grüne), dass die Vorwürfe überprüft und die Schikanen verurteilt werden. Der stellvertretende Pressesprecher der Senatsverwaltung für Justiz, Sebastian Brüx, erklärte, er könne erst im Laufe der Woche eine Stellungnahme abgeben, weil die Behördepersonell gerade schwach besetzt ist.

Taz, MONTAG, 3. APRI L 2017

PETER NOWAK

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Zensiert die JVA Tegel die „taz“?

Unseren Informationen zufolge wurden heute in der JVA Tegel keine Ausgaben der Tageszeitung „taz“ den Gefangenen ausgehändigt, was seit Jahren üblich ist. Die Ausgaben werden vor allem über den Verein „Freiabos“ verteilt bzw. ausgelegt.
Inhaftierte haben die Vermutung, dass dies eine Reaktion der JVA-Leitung auf den heutigen „taz“-Artikel von Peter Nowak zu den Schikanen gegen Inhaftierte aufgrund der Abfassung einer Protest-Petition sein könnte.
„Falls es sich bei der Nicht-Aushändigung der ´taz´ um faktische Zensurmaßnahmen der Tegeler JVA-Leitung handeln sollte, dann ist dies ein weiterer Beleg, dass die Berliner Vollzugsbehörden unter Senator Behrendt (Grüne) eine kritische Öffentlichkeit unterlaufen und Inhaftierte vom Pressezugang ausschließen“, so GG/BO-Sprecher Oliver Rast.

Berlin, 03. April 2017

Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation

https://ggbo.de/zensiert-die-jva-tegel-die-taz/

Kein Weg durch den Knast

Deutschland: Immer mehr Gefängnisleitungen verweigern Häftlingen ein Ratgeberbuch

Moussa Schmitz ist auch hinter Gittern ein umtriebiger Mensch. Immer wieder meldet sich der in der JVA Wuppertal inhaftierte Mann mit kritischen Artikeln zur rechtlichen und sozialen Situation in den Gefängnissen zu Wort. Er ist auch einer der Autor_innen des im April 2016 im Verlag Assoziation A erschienenen Ratgebers »Wege durch den Knast«. Doch das Buch hat Schmitz nie erhalten. Die Gefängnisleitung verweigerte die Weiterleitung mit Verweis auf die Anstaltsordnung. Das ist allerdings kein Einzelfall. Der von einem Team aus ehemaligen und aktuellen Gefangenen, Jurist_innen und linken Solidaritätsgruppen erstellte 600-seitige Leitfaden erreicht seine Adressat_innen oft nicht.

In letzter Zeit scheinen manche Gefängnisleitungen den Ratgeber als Störung des Knastalltags zu begreifen und reagieren mit Sanktionen. »In allen bayerischen Gefängnissen wird das Buch nicht weitergeleitet. Die JVA Straubing hat den Anfang gemacht, die JVA Aichach hat mit einer schriftlichen Verfügung nachgezogen. Danach gefährde der Ratgeber die Sicherheit und Ordnung, sei deshalb vollzugsfeindlich und aufwieglerisch«, erklärt Janko L. vom Herausgeber_innenkollektiv.  Die Gefängnisleitung der  JVA Kaisheim führt als Beweise für  den vollzugsgefährdenden Charakter des Buches unter Anderem an:

„Bereits im Vorwort spricht das Autorenkollektiv von „Kämpfen gegen Knast und gefängnisindustriellen Komplex“.  In der Einleitung wird vom „rechtlosen Objektstatus   der Gefangenen gesprochen“.  Moniert wird auch, dass in dem Buch Anschriften von Unterstützer_innenorganisationen aus dem linken bis linksradikalen Milieu“ aufgeführt werden. Besonders infam ist aus der Sicht der Knastleistung ist die von dem Herausgeber_innenkollektiv nie bestrittene Intention des Buches, die Gefangenen  bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu  stärken. Das liest sich in der Verfügung aus Kaisheim dann so:

„Über das ganze Schriftwerk hinweg, werden immer wieder Ratschläge erteilt, wie man sich gegen das verachtenswerte Knastsystem wehren kann“,   …. Auch mittels Pressekampagnen oder gemeinschaftlichen     Hungerstreik durch Unterstützung von Außen.“   Einen  Gefangenen in einer bayrischen JVA wurde der bestellte Ratgeber mit der Begründung verweigert, dass er schon so lange im Gefängnis sei,  dass er dieses Buch zu seiner Orientierung nicht brauche.

Mittlerweile scheinen sich auch Gefängnisse in anderen Bundesländern diesem harten Kurs anzuschließen. In den letzten Wochen haben die Justizvollzugsanstalten Darmstadt, Werl und Butzbach den Ratgeber nicht an die die Gefangenen weitergeleitet. Auch eine Stellungnahme der Herausgeber_innen  zu dem Verbot sowie ein Auszug aus dem Buch, in dem juristische Ratschläge aufgelistet sind, wie man sich gegen solche Sanktionen wehren kann, wurden von den Insassen ferngehalten.

Willkür entscheidet

Die Sanktionen treffen einen Ratgeber, der in  sachlichem Ton die  Gefangenen motivieren soll, sich im Knast zurechtzufinden und sie dazu ermutiget  ihre Rechte auch hinter Gittern wahrzunehmen.

»›Wege durch den Knast‹ ist ein umfassendes Standardwerk für Betroffene, Angehörige und Interessierte. Es vermittelt tiefe Einblicke in die Unbill des Knastalltags, informiert über die Rechte von Inhaftierten und zeigt Möglichkeiten auf, wie diese auch durchgesetzt werden können«, annonciert der Verlag Assoziation A den Leitfaden. In einzelnen Kapiteln werden rechtliche Fragen aufgeworfen sowie praktische Tipps für den Alltag gegeben, zu denen Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Anregungen für Sport- und Gesundheitsprogramme hinter Gittern gehören. Reiner Wendling vom Verlag Assoziation A, der den Ratgeber herausgibt,  verweist auf die Willkür der Sanktionsmaßnahmen. »Während der Ratgeber in einigen Gefängnissen Eingang in die Bibliotheken gefunden hat, dürfen in anderen Knästen die Gefangenen nicht einmal Auszüge daraus erhalten. « Damit hängt es allein an der Einschätzung der Gefängnisleitung, ob die Gefangenen das Buch lesen dürften oder nicht. So kann die paradoxe Situation entstehen, dass bei einer Verlegung der Gefangenen den Ratgeber, den sie in der einen JVA erhalten haben, in der anderen nicht lesen dürfen.  Mit dieser willkürlichen Handhabung bestätigten die Behörden gerade die in dem Ratgeber formulierten kritische  Betrachtung der Rolle des Justiz- und Gefängnisapparats. Doch genau diese kritischen Sätze werden in verschiedenen JVAs als Begründung der Beschlagnahme herangezogen. Eigentlich müsste man denken, dass eine gerichtliche Klärung diese Willkür beenden könnte.   Doch den Weg vor Gericht hält Wendling nach Rücksprache mit Jurist_innen für zu riskant. Dann könnte der kleinen Willkür der Gefängnisleitungen auch die große Willkür folgen, wenn die Gerichte die Sanktionen für rechtmäßig erklärten. Der Ratgeber würde dann unter Umständen auch den Häftlingen vorenthalten, die ihn heute noch problemlos bestellen können. Das Interesse an den Texten hält unvermindert an. Wegen der großen Nachfrage kommt in den nächsten Wochen eine zweite,  leicht überarbeitete Auflage des Buches „Wege durch den Knast“ heraus.     Wegen der vielen Bestellungen bereiten  die Herausgeber_innen schon eine   dritte Auflage des Buches vor.

Redaktionskollektiv (Hg.)

Wege durch den Knast

Alltag — Krankheit — Rechtsstreit

ISBN 978-3-86241-449-9 | Assoziation A | 600 Seiten | Paperback |19,90 €

https://www.akweb.de/

ak 623 vom 17.1.2017

Von Peter Nowak

Silvester vor der JVA

Anarchistische Gruppen rufen zuKundgebungen vor Berliner Gefängnissen aufnter dem Motto „Silvester zum Knast“ ruft ein Bündnis von anarchistischen Gruppen und Einzelpersonen heute zu Kundgebungenvor Berliner Gefängnissen auf. Dieses Jahr soll um 17 Uhr im Carl-von-Ossietzky-Park gegenüber der JVA Moabiteine Demonstration stattfinden. Um 22.30 Uhr treffen sich AktivistInnen dann vor dem S-Bahnhof Frankfurter Allee undziehen demonstrierend zur JVA für Frauen in der Lichtenberger Alfredstraße. In der Justizvollzugsanstalt ist seit mehreren GülafGülaferit  Ünsal inhaftiert, die  wegen Unterstützung einer verbotenen türkischen kommunistischen Gruppe DHKP-C verurteilt wurde. Seit einigen Wochen sitzt eine Frau mit dem Pseudonym Thunfisch in der JVA in Untersuchungshaft. Sie wird beschuldigt, auf der olidaritätSolidaritätsdemonstration mit dem Hausprojekt Rigaer94 Anfang Juli Steine geworfen zu haben.Die Kundgebung soll bis weit nach Mitternacht andauern unddürfte sich – bis auf die politischen Parolen zwischendrin-  wenig von einem gewöhnlichen Silvesterabend unterscheiden. „Natürlich ist an diesem Tagnd zu dieser Uhrzeit nicht der Ort für hochtheoretische Reden“, meint Sandra Schäfer (Name geändert),die innerhalb der Vorbereitungsgruppe der diesjährigen Knastaktionen aktiv ist.Zum Team gehört auch Robert Schulz (Name geändert), der ineiner Antiknastgruppe mitarbeitet. Er begründwarum gerade Silvester die Aktionen vor den Gefängnissen für ihn wichtig sind. „Während draußen die Menschen feiern und das neue Jahrbegrüßen, sitzen die Inhaftierten allein, passiv und isoliertin ihren Zellen.“ Mit den Kundgebungen, die seit mehr als 20 Jahren stattfinden, wolle anden Gefangenen signalisieren, dass sie nicht vergessen sind.Im Aufruf zu den Kundgebungen wird eine generelle Kritik an den Gefängnissen geübt  So wird auf Plakaten darüber informiert, dass in der JVA Plötzensee circa ein Viertel der Gefangenen inhaftiert sind, weil sie beim Fahren ohne Ticket erwischt wurden und die verhängte Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Damit soll dem Bild begegnet werden, dass es bei den aktuell über 4.100 Gefangenen in Berliner JVA um Schwerkriminelle handelt.
aus Taz TAZ vom 31.12. 2016
PETER NOWAK

Knastgewerkschaft ruft zu Solidarität an Silvester auf

Berlin. Unter dem Motto »Silvester gemeinsam zum Knast« ruft die Jenaer Solidaritätsgruppe der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) dazu auf, das neue Jahr vor der JVA Tonna bei Gotha in Thüringen zu feiern. Im Aufruf heißt es, dass man sich an diesen Tag mit den im Gefängnis »inhaftierten Arbeitern« solidarisiere. So nennen sich die Mitglieder der GG/BO, die für einen Mindestlohn und die vollständige Einbeziehung in die Sozialversicherung kämpfen. In den vergangenen Monaten wehrten sich Gefangene der JVA Tonna wiederholt mit Hungerstreiks gegen Missstände und Schikanen in dem Knast. So monierten sie eine schlechte Essensversorgung durch eine Cateringfirma ebenso wie die Beschlagnahmung von Post. Ende August 2016 trat eine Gefangenengruppe in Tonna außerdem in einen einwöchigen Hungerstreik um eine bessere medizinische Versorgung durchzusetzen. Die Anstaltsleitung wies die Kritik regelmäßig zurück und reagierte mit Sanktionen. Die Jenaer GG/BO-Solidaritätsgruppe sieht die Verantwortung bei der Thüringischen Landesregierung. »Vor einigen Wochen hat der Bundesvorstand der Linken die Kernforderungen der GG/B BO unterstützt. Doch der erste Linke als Ministerpräsident Bodo Ramelow scheint davon nichts mitbekommen zu haben«, kritisiert ein Mitglied. Er verweist darauf, dass es sich bei dem Umgang mit den Gefangenen um eine Angelegenheit der Bundesländer handelt. Die Landesregierung von Thüringen könnte mit der Unterstützung der GG/BO politische Akzente setzen.

aus Neues Deutschland: 30.12.2017

Peter Nowak

Zellenarrest, Fernsehverbot und Durchsuchung

Gefangengewerkschaft fordert, betroffene Häftlinge zu verlegen / Justizsenator soll Mindestlohn durchsetzen

Die Sanktionen gegen die Gefangenen, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel vor einigen Wochen die Schmuggelpraktiken von Bediensteten bekannt gemacht haben, gehen weiter. Das zumindest sagt Dieter Wurm, der erst vor kurzen nach langer Haftstrafe freikam. Von seinen Erfahrungen in verschiedenen Gefängnissen erzählte er am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke. So dürfe Timo F., einer der Hinweisgeber, einen Monat lang die Zelle nicht verlassen, auch das Fernsehgerät sei ihm entzogen worden. Ihm werde vorgeworfen, das Gerät, das ihm von der Gefängnisverwaltung ausgehändigt worden war, manipuliert zu haben. Am Mittwoch sei zudem die Zelle von Benny L., einem weiteren Tippgeber, vom Sicherheitspersonal durchsucht worden.

»Fresse halten ist die Devise, wer sich nicht daran hält, wird bestraft«, sagt Wurm. Hinter Gittern habe er den Glauben an den Rechtsstaat schnell verloren, deshalb fürchte er um die Gesundheit der Hinweisgeber. Schließlich gäbe es auch Häftlinge, die solche Gefangene körperlich attackieren.

Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO), die sich 2014 in der JVA Tegel gründete, fordert den neuen Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) auf, die Hinweisgeber sofort in ein anderes Gefängnis zu verlegen. Der Druck auf die Männer sei extrem hoch. Zu den Sanktionen der Gefängnisverwaltung komme der Druck der Mitinsassen, die die Männer als Verräter brandmarkten. Spätestens nach seiner Einarbeitungszeit – nach 100 Tagen im Amt – müsse der neue Senator Weichen stellen. Diese sind laut Rast »die Bezahlung des Mindestlohns und die Einbeziehung in die komplette Sozialversicherung für inhaftierte Beschäftigte von deren Qualitätsarbeit sich Berliner Parlamentarier schließlich schon überzeugen konnten«. Bisher wird die Bestuhlung des Abgeordnetenhauses in der Polsterei der JVA Tegel zu einem Billiglohn und ohne Rentenversicherung produziert.

Die Erwartungen sind auch deshalb so hoch, weil Behrendt in der vergangenen Legislaturperiode wesentliche Eckpunkte für eine Reform mit formuliert hat, die im »Aufruf für ein progressives und liberales Strafvollzugsgesetz« festgehalten sind. Da auch der Vorstand der Linkspartei die zentralen Forderungen der GG/BO unterstütze, sei die Chance für Reformen gegeben, sagt Rast. Darauf werde man sich jedoch nicht verlassen.

In Thüringen ruft die GG/BO für die Silvesternacht vor der JVA Tonna bei Gera zu einer Kundgebung auf, weil in dem von der Linkspartei regierten Bundesland Gewerkschaftsmitglieder schikaniert worden seien. Auch in Berlin wird es vor der JVA für Frauen in der Alfredstraße am 21. Dezember ein Konzert geben. »Der Aufbau von Solidaritätsstrukturen drinnen und draußen ist ein wichtiges Ziel der GG/BO, egal, wer an der Regierung ist«, sagt Rast.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1035731.zellenarrest-fernsehverbot-und-durchsuchung.html

Peter Nowak

Im eigenen Buch lesen ist verboten

Ein Ratgeber von aktiven Gefängnisinsassen wird Häftlingen verwehrt.

Moussa Schmitz ist auch hinter Gittern ein umtriebiger Mensch. Immer wieder meldet sich der in der JVA Wuppertal inhaftierte Mann mit kritischen Artikeln zur rechtlichen und sozialen Situation in den Gefängnissen zu Wort. Er ist auch einer der Autoren des im April 2016 im Verlag Assoziation A erschienenen Ratgebers »Wege durch den Knast«. Doch das Buch hat Schmitz nie erhalten. Die Gefängnisleitung verweigerte die Weiterleitung mit Verweis auf die Anstaltsordnung. Das ist allerdings kein Einzelfall. Der von einem Team aus ehemaligen und aktuellen Gefangenen, Juristen und linken Solidaritätsgruppen erstellte 600-seitige Leitfaden erreicht seine Adressaten, die Häftlinge, oft nicht.

In letzter Zeit scheinen manche Gefängnisleitungen den Ratgeber als Störung des Knastalltags zu begreifen und reagieren mit Sanktionen. »In allen bayerischen Gefängnissen wird das Buch nicht weitergeleitet. Die JVA Straubing hat den Anfang gemacht, Aichach hat mit einer schriftlichen Verfügung nachgezogen. Danach gefährdet der Ratgeber die Sicherheit und Ordnung, sei deshalb vollzugsfeindlich und aufwieglerisch«, erklärt Janko L. vom Herausgeberkollektiv gegenüber »nd«. Mittlerweile scheinen sich auch Gefängnisse in anderen Bundesländern diesem harten Kurs anzuschließen. In den letzten Wochen haben die Justizvollzugsanstalten Darmstadt, Werl und Butzbach den Ratgeber nicht an die den Häftlinge weitergeleitet. Auch eine Stellungnahme der Herausgeber zu dem Verbot sowie ein Auszug aus dem Buch, in dem juristische Wege aufgelistet sind, wie man sich gegen solche Sanktionen wehren kann, wurden von den Insassen ferngehalten.

Die Sanktionen treffen einen Ratgeber, der an keiner Stelle polemisch ist. Die Beiträge sind in sachlichem Ton gehalten. Sie sollen den Gefangenen helfen, sich im Knast zurechtzufinden und sie dazu ermutigen, ihre Rechte auch hinter Gittern wahrzunehmen.

»›Wege durch den Knast‹ ist ein umfassendes Standardwerk für Betroffene, Angehörige und Interessierte. Es vermittelt tiefe Einblicke in die Unbill des Knastalltags, informiert über die Rechte von Inhaftierten und zeigt Möglichkeiten auf, wie diese auch durchgesetzt werden können«, annonciert der Verlag Assoziation A den Leitfaden. In einzelnen Kapiteln werden rechtliche Fragen aufgeworfen sowie praktische Tipps für den Alltag gegeben, zu denen Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Anregungen für Sport- und Gesundheitsprogramme hinter Gittern gehören. Das Buch ist eine überarbeitete Fassung eines bereits in den in 1990er Jahren erschienenen Knastleitfadens. Der wiederum hat auch einen Vorläufer: die 1980 erschienene Loseblattsammlung unter dem Titel »Ratgeber für Gefangene mit medizinischen und juristischen Hinweisen«.

Reiner Wendling vom Verlag Assoziation A weist im Gespräch mit dem »nd« auf die Willkür der Sanktionsmaßnahmen hin. »Während der Ratgeber in einigen Gefängnissen Eingang in die Bibliotheken gefunden hat, dürfen in anderen Knästen die Gefangenen nicht einmal Auszüge daraus erhalten.« Doch den Weg vor Gericht hält Wendling nach Rücksprache mit Juristen für zu riskant. Dann könnte der kleinen Willkür der Gefängnisleitungen auch die große Willkür folgen, wenn die Gerichte die Sanktionen für rechtmäßig erklärten. Der Ratgeber würde dann unter Umständen auch den Häftlingen vorenthalten, die ihn heute noch problemlos bestellen können.

ttps://www.neues-deutschland.de/artikel/1032202.im-eigenen-buch-lesen-ist-verboten.html

Von Peter Nowak

Klau-und-Schmuggel-Wirtschaft in der JVA Tegel

Die größte bundesdeutsche Haftanstalt in Berlin-Tegel liefert Stoff für einen handfesten Justizskandal: Materialien und Waren aus der Knastarbeit werden von JVA-Bediensteten für den Eigenbedarf oder den Weiterverkauf entwendet.

Ein Bericht im ZDF-Magazin «Frontal21» vom 13.9.16 mchte es publik: Im großen Stil werden seit Jahren Produkte, die arbeitende Gefangene unter den Bedingungen von Sozial- und Lohndumping erzeugen, von JVA-Bediensteten über den anstaltseigenen Fahrdienst oder den sogenannten Knast-Shop für den Eigenbedarf oder den Weiterverkauf und ohne Lieferschein und Rechnung aus der JVA geschafft. Die menschliche Arbeitskraft der Inhaftierten wird damit nicht nur zum Billig-, sondern zum Nulltarif abgegriffen. Das beförderten Informationen engagierter Inhaftierter und der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) ans Tageslicht.

«Tegeler Tauschring» nennt sich der Dreh. Was aus der JVA Tegel an Informationen über das Ausmaß und den Netzwerk-Charakter diese «Tauschrings» nach außen dringt, zeigt: Die von der Berliner Senatsverwaltung (SVW) für Justiz vertretene «Einzelfall-These» ist pure Augenwischerei. Mindestens (!) 20–30 JVA-Bedienstete sind Teil dieses «Tegeler Tauschrings», sie sind überwiegend namentlich bekannt.

Bereits im Januar dieses Jahres hat der Hauptbelastungszeuge Timo F. die «irregulären Vorgänge» in der JVA Tegel gegenüber der Anstaltsleitung offen gemacht. Anscheinend haben diese und die zuständige Senatsverwaltung die brisanten Informationen nicht nur zurückgehalten, sondern wissentlich vertuscht.

Timo F. legt in seinen Aussagen, die dem Landeskriminalamt Berlin seit Mitte Juli des Jahres vorliegen, u.a. dar, welche Fabrikationen in dem schwungvollen und lukrativen Handel besonders begehrt waren: «Der Umfang der Selbstbedienung ist ziemlich erheblich – sicher 50 Grills, unzählige Schlosserei-Maßanfertigungen (Liegen, Stühle, Vitrinen, Deko-Objekte etc.), mindestens 50 Paletten Steine (Waschbetonplatten, Betonkamine, Ziersteine, Säulen etc.), mindestens 100 Möbel und 200 Produkte aus der Polsterei wurden pro Jahr von den Beamten gezockt; der Schaden liegt meines Erachtens im mittleren sechsstelligen Bereich.»
Konsequenzen
Die neue Berliner Koalition wird sich mit den Vorgängen der organisierten Tegeler «Klau-und-Schmuggel-Wirtschaft» befassen müssen. Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, zeitnah einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzuberufen, der u.a. die Mitwisserschaft der Senatsverwaltung für Justiz unter dem Noch-Senator Heilmann (CDU) aufklären muss.

Die Beauftragung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist gleichfalls angezeigt. Das Verhältnis zwischen Materialeinsatz und Warenproduktion in der JVA Tegel dürfte eine enorme Diskrepanz aufweisen. Zudem scheint die JVA Tegel über kein Warenwirtschaftssystem zu verfügen, ein Umstand, der den anstaltsinternen «Schankverlust» erleichtert haben dürfte.

Die Vorfälle in der JVA Tegel sind kein Einzelfall. Korruption ist strukturell im Wesen des Gefängnisses angelegt. Es darf davon ausgegangen werden, dass es – graduell verschieden – faktisch in allen Haftanstalten der Bundesrepublik eine «Klau-und-Schmuggel-Wirtschaft» seitens Bediensteter gibt.

Die Zustände in den Gefängnissen sind auch auf die sozial- und arbeitsrechtliche Diskriminierung der Inhaftierten zurückzuführen: Arbeitszwang, kein Mindestlohn, keine Rentenversicherung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Kündigungsschutz und nicht zuletzt ein knastspezifisches Union Busting. Gewerkschaftliche Selbstorganisierung schafft eine wichtige Voraussetzung, damit Inhaftierte im Bündnis mit (Basis-)Gewerkschaften und fortschrittlichen parlamentarischen Vertretern die soziale Frage hinter Gittern wirkungsvoller stellen können. Und Antworten finden…
Bestraft wird der Bote
Die JVA Tegel hat gegen die Gefangenen Timo F. und Benjamin L., die Videos über die Schmuggel- und Klauwirtschaft in der JVA Tegel veröffentlicht hatten, eine Disziplinarstrafe verhängt, weil sie für die Aufnahmen offensichtlich ein Handy benutzt haben. Sie müssen länger in ihren Zellen bleiben und haben Fernsehverbot. Am Donnerstag, den 13.Oktober, bezeichneten die Rechtsanwälte der beiden Gefangenen auf einer Pressekonferenz in Berlin die Maßnahme als Einschüchterung von zwei Whistleblowern, die Missstände hinter Gittern offenlegen.

«Mein Mandant galt in der JVA Tegel als ein Beispiel für eine gelungene Resozialisierung. Nachdem er die Schmuggelwirtschaft in der JVA Tegel aufgedeckt hat, ist seine Prognose für die Zukunft plötzlich negativ», moniert der Anwalt von Benjamin L., Jan Oelbermann. Das könne für seinen Mandanten bedeuten, dass er seine Strafe vollständig verbüßen muss, statt vorzeitig entlassen zu werden. Rechtsanwalt Carsten Hoenig kritisiert nicht nur die Gefängnisleitung, sondern auch das LKA. Sein Mandant Timo F. habe seit Januar 2016 der Verwaltung Informationen über die Existenz des Schmuggelnetzwerks übermittelt. Der damalige Vertrauensanwalt des Landes Berlin, Christoph Partsch, sei ebenso eingeschaltet worden wie das Landeskriminalamt. Im Mai 2016 habe er dem LKA eine Liste mit detaillierten Angaben zu den Vorwürfen im Auftrag seines Mandanten übermittelt. Der sei nun ständig Drohungen von Mitgefangenen ausgesetzt, die an dem Schmuggelnetzwerk beteiligt waren. Trotzdem hat er bisher erfolglos die Verlegung seines Mandanten in ein anderes Gefängnis gefordert.

Knast als Selbstbedienungsladen

von Peter Nowak/Oliver Rast