Linksradikales U-Boot im Establishment

Der Journalist Frank Brunner schreibt in dem Buch »Mit aller Härte« über den Häftlingsaktivisten Oliver Rast

»Dies ist die Geschichte von Oliver Rast. Sie handelt von einem Mann, der einmal ein Juso war.« So stellt der Journalist Frank Brunner die Hauptfigur seines kürzlich im Lübbe-Verlag erschienenen Buches »Mit aller Härte« vor, in dem er gestützt auf Polizeiakten, Prozessberichte, Interviews und persönliche Recherche die jahrelange Jagd von Staatsschützern und Polizei auf eine kleine Gruppe radikaler Linker schildert.

Oliver Rast ist nun nicht etwa ein an der Jagd beteiligter Politiker oder Ermittlungsbeamter. Der ehemalige Juso hat sich radikalisiert, war im Studierendenparlament der FU-Berlin aktiv und wurde schließlich in einem Indizienprozess zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Vorwurf: ein Brandanschlag und Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg), einem klandestinen Zirkel der radikalen Linken.

Rast hat sich im Prozess nie dazu geäußert, den Vorwurf aber auch nie dementiert. »Ich lasse das einfach so stehen und habe damit auch gar kein Problem«, erklärte er in einem Interview mit der Wochenzeitung »Der Freitag«. Obwohl Rast durch Brunner Gegenstand der Populärliteratur wurde, handelt das Buch keinesfalls vom Weg eines Linken in den Radikalismus und zurück in die Mitte der Gesellschaft.

»Ich wollte ein Buch, in dem ohne Diskreditierungen klandestine Militanz thematisiert wird. Das ist mit der Veröffentlichung ›Mit aller Härte‹ absolut gelungen«, erklärte Rast gegenüber »nd«. Weil sich die Leser_innen eher für Personen als für linke Strukturen interessieren, sei er auch bereit gewesen, polit-biografische Informationen preiszugeben. Den Vorwurf, sich damit den Regeln des bürgerlichen Medienmarktes unterworfen zu haben, weist Rast zurück: »Ich habe nichts gegen eine ›Populärliteratur‹, wenn Hintergründe und Motive linker Militanz hierüber einem breiten, interessierten Publikum vorgestellt werden.

Was Rast für den Buchautor Brunner interessant gemacht hat, waren seine besonderen politischen Aktivitäten während der Haftzeit. Er gründete mit einer kleinen Gruppe von Häftlingen die Gewerkschaft »Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisierung« (GG/BO). Diese hat im dritten Jahr ihres Bestehens über 1000 Mitglieder in den Haftanstalten aller Bundesländer. In den ersten Monaten war Rast als Sprecher der GG/BO Interviewpartner vieler Zeitungen. Er wurde 2017 zum Evangelischen Kirchentag in Berlin zu einer Podiumsdiskussion über Menschenrechte hinter Gittern eingeladen, das Bundesverfassungsgericht wollte von ihm eine Stellungnahme zum Thema Mindestlohn für Gefangene.

Brunner beginnt sein Buch mit der Schilderung, wie Rast im September 2016 im Künstlerhaus Hannover von der Humanistischen Union den Fritz-Bauer-Preis für Menschenrechte verliehen bekam. Ganz am Ende des Buches fragt der Autor seine Hauptfigur, ob es ihm als Linksradikaler nicht peinlich sei, mittlerweile zum Etablissement zu gehören. Als Antwort übergibt Rast eine Broschüre, die den Titel »Provisorisches Programm für den Kampf der gefangenen Arbeiter« und das Logo der RAF trägt. Verfasst wurde sie im Jahr 1974 von Ulrike Meinhof.

Zu einer Diskussion über Ähnlichkeiten und Unterschiede der Konzepte kommt es im Buch aber nicht. Stattdessen schildert Brunner die jahrelange Überwachung radikaler Linker durch Polizei und Verfassungsschutz. Auf der Jagd nach der »mg« wurden über einen längeren Zeitraum unter anderem Aktivist_innen der mittlerweile aufgelösten linksradikalen Gruppe »Libertad« observiert. Wie die Ermittlungsbehörden dann auf die Spur von Rast und zwei weiteren, nicht genannten Männern kamen, liest sich wie ein Krimi. Ausgangspunkt ist ein angeblicher Zufallsfund auf einem Gartengrundstück des im vergangenen Jahr unter ungeklärten Umständen verstorbenen DDR-Oppositionellen Herbert M. Dort fanden die Ermittlungsbehörden ein Lager der verbotenen linken Untergrundzeitung »Radikal«. Wie Polizei und Staatsschutz danach weiter vorgingen, soll wie bei jedem Krimi nicht verraten werden.

Unverständlich bleibt, warum der in dem Buch neben Rast mit vollem Namen erwähnte Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm durchweg negativ dargestellt wird. Nicht nur seine kurzzeitige Stasitätigkeit und sein noch kürzeres Gastspiel als Staatssekretär finden bei Brunner wenig Zustimmung. Gegenüber »nd« erklärte der Journalist, dass ihn Holms Umgang mit seiner DDR-Biografie gestört habe, er dessen Tätigkeit als bekannter Mieter_innenaktivist aber schätze. Dass Holm bereits 2007 mit DDR-Verfolgten über seine Stasitätigkeit geredet hatte und sich deswegen auch ehemalige DDR-Oppositionelle für ihn einsetzen, lässt Brunner aber unerwähnt. Zwei sympathische Linksradikale, das wollte er den Leser_innen dann wohl doch nicht zumuten.

Frank Brunner: Mit aller Härte. Wie Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen, Bastei Lübbe, Oktober 2017, 252 Seiten, 15 Euro

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1070075.linksradikales-u-boot-im-establishment.html

Peter Nowak

Linke: Überwachung im militanten Sektor

Mit aller Härte“: Ein Buch macht den erklärten Linksradikalen Oliver Rast bekannt und zeigt, dass Diskussionen über Stasi-Mitarbeit im linken Milieu noch längst nicht abgeschlossen sind

„Wir müssen uns den Linksradikalen nicht als glücklichen Menschen vorstellen. Aber wir können Oliver Rast dabei beobachten, wie er das ‚Provisorische Kampfprogramm für den Kampf um die politischen Rechte der gefangenen Arbeiter‘ von 1974, das vermutlich aus der Feder Ulrike Meinhofs stammt, als sozialdemokratische Gewerkschaftsarbeit massenkompatibel macht, und sich freut, dass er damit durchkommt.“ So klassifizierte die linksliberale Wochenzeitung Freitag den Basisgewerkschafter und erklärten Linksradikalen Oliver Rast.

Die Zeit widmete ihm bereits vor einigen Monaten einen langen Artikel. In der Huffingtonpost kann Rast als Sprecher der Gefangenengewerkschaft regelmäßig publizieren. Jetzt dürfte sich seine Popularität noch erhöhen. Schließlich hat der Journalist Frank Brunner im Lübbe Verlag unter dem Titel „Mit aller Härte“ ein Buch veröffentlicht, in dem Rast die Hauptperson ist.

„Dies ist die Geschichte von Oliver Rast. Sie handelt von einem Mann, der einmal ein Juso war. Ein Juso, bei dem sich SPD-Bürgermeister Walter Momper für seinen Wahlkampfeinsatz bedankt hatte. Ein Juso, der später einer Gruppe aus ‚irren Polizistenhassern‘ und ‚Polit-Rambos‘ angehörte, wie ein Boulevardmagazin schlagzeilte, und der schließlich vom Feindbild aller braven Bürger zum Liebling des Etablissements avancierte“, schreibt Brunner im Prolog. Nach diesen Zeilen könnte man das Buch zur Seite legen und denken, nun ja, es gab ja schon viele Bücher von Linksradikalen, die den Weg in die Mitte der Gesellschaft wiedergefunden haben.

Nur genau das trifft auf Rast nicht zu.

„Früher kämpften sie für den Kommunismus, heute für eine Rentenversicherung für Knackis“

Er bezeichnet sich weiterhin als radikalen Linken und distanziert sich keineswegs von seiner politischen Vergangenheit. Wenn ihm Brunner im Interview dann kritisch vorhält: „Früher kämpften Sie für eine kommunistische Gesellschaft, heute für eine Rentenversicherung für Knackis. Als Mitglied der militanten gruppe saßen Sie im Knast, nun engagieren Sie sich für schönere Knäste. Ist das noch linksradikal?“, lacht Rast nur.

Er versucht erst gar nicht, mit vielen Worten Brunner zu widersprechen, sondern reagiert mit einer Geste, die Brunner so beschreibt:

„Ich habe gewusst, dass diese Frage kommt“, sagte er und überreicht eine reichlich zerknitterte Broschüre. Auf der ersten Seite prangt ein fünfzackiger Stern und eine Maschinenpistole der Marke Heckler und Koch. Es ist das Logo der RAF. Darunter steht: „Provisorisches Kampfprogramm für die Rechte der gefangenen Arbeiter.“ Im Heft heißt es, „Wir kämpfen für freie Selbstorganisation der Gefangenen, für tarifgerechte Bezahlung, für Rente und für Krankenversicherung. Geschrieben hat das Ulrike Meinhof 1974. Beantwortet das Ihre Frage?“, fragt Oliver Rast.

Frank Brunner: Mit aller Härte

Das wirft einige neue Fragen auf, die im Buch nicht gestellt werden. Ist es nicht in Zeiten von Prada Meinhof schick geworden, mit RAF-Symbolen zu arbeiten? Und hat Ulrike Meinhof nicht geschrieben, dass ohne Guerilla alle politische Arbeit in Reformismus versackt? Kann dann das von ihr skizierte Kampfprogramm mit der heutigen Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation verglichen werden?

Keine Distanzierung radikaler Linker

Rast begründete seine Mitarbeit bei dem Buchprojekt gegenüber Telepolis so:

Ich wollte ein Buch, in dem ohne Diskreditierungen klandestine Militanz thematisiert wird. Das ist mit der Veröffentlichung „Mit aller Härte“ absolut gelungen. Drei Gründe waren für mich ausschlaggebend: Erstens war es an der Zeit, klandestine militante Gruppen nach dem Ende der Revolutionären Zellen (RZ) und der Rote Armee Fraktion (RAF) in den Fokus zu rücken. In der Post-RAF-Ära hat sich im militanten Sektor der radikalen Linken mehr getan als man heute vielleicht vermutet. Zweitens interessieren sich Leserinnen und Leser in der Regel weniger für Organisationen und Strukturen der radikalen Linken, sondern für Menschen, die sich als Linksradikale begreifen. Deshalb habe ich mich ein Stückweit exponiert und polit-biografische Aspekte in das Buch von Frank Brunner einfließen lassen. Drittens habe ich nichts gegen eine „Populärliteratur“, wenn Hintergründe und Motive linker Militanz hierüber einem breiten, interessierten Publikum vorgestellt werden.

Oliver Rast

Diese Konzentration auf Personen lässt allerdings in den Hintergrund treten, dass es in dem Buch zentral darum geht, „wie Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen“. Dabei setzt Brunner diese Ankündigung gut um. Der Leser hat manchmal den Eindruck, einen Kriminalroman vor sich zu haben. Sehr anschaulich wird die jahrelange Fahndung nach Mitgliedern der militanten gruppe (mg) beschrieben.

Dabei folgten die Ermittlungsbehörden jahrelang der falschen Spur und sahen in einem Stammtisch von Taz-Mitarbeitern militante Aktivisten am Werk. Was sich im Buch stellenweise sehr witzig liest, ist allerdings mit zahlreichen Eingriffen in die Grundrechte vieler Menschen verbunden.

Da gab es Totalüberwachungen; Wohnungen, Arbeitsplätze und Autos von zu Unrecht Verdächtigten wurden mit Abhörgeräten versehen. Auch wie die Ermittlungsbehörden dann auf die vermeintlich richtige Spur kommen, liest sich erneut wie ein Krimi. Auslöser soll ein Zufallsfund in einer Gartenanlage eines linken DDR-Oppositionellen gewesen sein, der im letzten Jahr unter ungeklärten Umständen ums Leben kam.

Andrej Holm im negativen Licht beschrieben

Der Garten soll sich als Lager für die linke Untergrundzeitschrift ‚radikal‘ erwiesen haben und Hinweise zum Stadtsoziologen Andrej Holm gegeben haben, der im Buch neben Rast ebenfalls namentlich erwähnt wird. Dabei fällt auf, dass er durchweg negativ beschrieben wird.

„Ich stamme aus der DDR, viele meiner Freunde wurden von Mitarbeitern des MfS schikaniert. Deshalb verspüre ich eine gewisse Distanz gegenüber Leuten, die sich einem Geheimdienst andienen – unabhängig davon, ob dieser Ministerium für Staatssicherheit oder Bundesamt für Verfassungsschutz heißt“, erklärt Frank Brunner gegenüber Telepolis. Er betont aber, dass diese Befindlichkeiten für das Buch keine Rolle spielten.

Dabei fällt aber auf, dass Brunner nicht erwähnt, dass Holm bereits 2007 über seine Stasi-Vergangenheit mit DDR-Oppositionellen redete und einige ihn auch in den entscheidenden Wochen vor fast einem Jahr verteidigten, als die Front aus Immobilienwirtschaft, rechter Politik und Medien unbedingt verhindern wollte, dass ein außerparlamentarischer Linker, der sich seit Jahren für Mieterinteressen engagiert, Einfluss auf die Politik bekommt.

„Herr Holm hatte zwar zugegeben, in einem Wachregiment des MfS gedient zu haben, nicht aber, dass er eine hauptamtliche Tätigkeit beim MfS angestrebt habe“, begründet Brunner sein Insistieren auf dieser Stasigeschichte im Zusammenhang mit Holm, obwohl er selber sagt, dass sie für das Thema des Buches eigentlich irrelevant war. Brunner erklärt auch nicht, warum für ihn der Unterschied bei Holms Darstellung überhaupt so wichtig ist.

Opfer der DDR-Repression interessiert, ob jemand direkt an der Verfolgung von Oppositionellen beteiligt gewesen ist und das haben Holm selbst seine schärfsten Kritiker nicht vorwerfen können. Außerparlamentarische Linke interessiert, was Holm in den mehr als 2 Jahrzehnten nach dem Ende der DDR gemacht hat. Und da war Teil der außerparlamentarischen Linken und vor allem aktiv in der Mieterbewegung.

Hier wird Brunners Aversion besonders deutlich, wenn er schreibt: „Manchmal weiß man nicht, auf welcher Seite zwischen Wissenschaft und Wutbürgertum Holm unterwegs ist… ‚Karrieristen sind dem ehemaligen SED-Kader offenbar ein Sakrileg‘.“

Da klingt Brunner auf einmal wie der Kommentator des rechten Berliner Boulevards und es passt gut, dass er CDU-Politiker Philipp Lengsfeld zum Gewährsmann gegen Holm herbeizitiert und auf dessen pazifistische DDR-Vergangenheit verweist. Dass Lengsfeld heute eine rechte CDU-Politik vertritt und mit Pazifismus nichts mehr am Hut hat, interessiert da nicht.


Hat Holm oder Stasi 2.0 das BKA auf die Spur der mg geführt?

Genau so absurd ist Brunners Behauptung, Holm habe das das BKA auf die Spur der „mg“ geführt. Denn damit wird ausgeblendet, was der Autor selbst in dem Buch gut beschreibt. Holm steht wie zahlreiche andere Verdächtigte im Fokus einer Totalüberwachung. Über die verdächtigte Wissenschaftlergruppe, zu der auch Holm gehört schreibt Brunner :

Die Ermittler beginnen das Leben der Männer bis in den entlegensten Winkel auszuleuchten. Von der Liste der Finanzdienstleistungsaufsicht bekommen sie eine Liste mit den Konten der Beschuldigten. Die Fahnder werten Kontoauszüge, Kreditkartenabrechnungen und Kaufbelege aus. Sie wissen, wie viel Gehalt und Honorar die Männer beziehen und wie viel sie davon ausgeben. Ein BKA-Beamter erkundigt sich bei der Abteilung Konzernsicherheit der Deutschen Bahn, ob anhand einer Bahncard die Reisen des Bahncard-Besitzers nachvollzogen werden können. Das können sie, erklärt ein Bahnmitarbeiter, wenn der Kunde am Bonusprogramm teilnimmt. In diesem Fall werden Reisedaten und Zahlungsart gespeichert.

Frank Brunner: Mit aller Härte

Zum Überwachungsprogramm gehören Kameras vor den Wohnhäusern der Männer, GPS-Sender in ihren Autos und natürlich die ständige Handyüberwachung. Auch die lückenlose persönliche Überwachung gehört zum Programm.

Natürlich wird er auch ins Internetcafé begleitet und ein Verfolger macht ein Foto von der Internetseite unter dem Namen „Opelprolls“, die Holm wohl nicht aufruft, um sich über PKW-Utensilien auszutauschen. Es geht aber fehl, wenn Brunner spottet, dass ein Wissenschaftler ohne Fahrerlaubnis sich verdächtig macht, wenn er einen solchen Namen für die Internetkommunikation wählt. Hat er doch wenige Seiten vorher beschrieben, dass nicht Holm sondern ein Unbekannter diese Seite einrichtete.

Zudem ist es absurd zu glauben, die Ermittlungen wären eingestellt worden, wenn Holm über eine Internetseite mit dem Namen „Schachfreunde“ kommuniziert hätte. Genau darauf stützt sich aber die Behauptung, Holm habe die Ermittlungsbehörden auf die Spuren der „mg“ geführt und damit suggeriert, es wäre ein falsches, unvorsichtiges Verhalten von ihm gewesen. Doch man kann ihm höchstens vorwerfen, dass er sich das Ausmaß der Überwachung hat nicht vorstellen können.

Überwachungskritiker haben vor einigen Jahren für ihre „Freiheit statt Angst“-Proteste die Formel Stasi 2.0 gewählt und ernteten dafür teils berechtigte Kritik. Bei dem von Brunner auf Grund von Akten und eigener Recherche gut herausgearbeiteten Überwachungsprogramm ist der Begriff treffend.

Es ist daher auch politisch fatal, wenn er Holm indirekt verantwortlich macht. Nein, dieses Überwachungsprogramm hat die Ermittlungsbehörden auf die Spur geführt. Holm war da nur da eines der ersten Opfer. Kürzlich veröffentlichte die Antifa Freiburg einen längeren Text über die Abschaltung von Indymedia linksunten, in dem sie auch auf bisher nicht bekannte Überwachungsmethoden der Beschuldigten eingeht. Daher sollte dieser Aspekt bei Brunners Buch trotz aller Kritik positiv herausgehoben werden.

https://www.heise.de/tp/features/Linke-Ueberwachung-im-militanten-Sektor-3890450.html

Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/radikal-wegen-aust
[2] http://www.zeit.de/2017/04/oliver-rast-linksradikal-gefaegnis-gewerkschaft-jva-tegel
[3] http://www.huffingtonpost.de/oliver-rast/
[4] http://zeitenspiegel.de/de/autoren/frank-brunner/
[5] https://www.luebbe.de/bastei-luebbe/buecher/politik-und-gesellschaft/mit-aller-haerte-wie-polizei-und-staatsschutz-linksradikale-jagen/id_6236733
[6] https://ggbo.de/
[7] https://www.heise.de/tp/features/Andrej-Holm-und-die-Stasi-Vergangenheit-3569321.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/DDR-Vergangenheit-als-Keule-gegen-Holm-3573891.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/DDR-Vergangenheit-als-Keule-gegen-Holm-3573891.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/DDR-Vergangenheit-als-Keule-gegen-Holm-3573891.html
[11] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/chaos-computer-club-ziviler-ungehorsam-gegen-stasi-2-0-a-525923.html
[12] https://autonome-antifa.org/
[13] https://autonome-antifa.org/?article341

Kampagne gegen „Silvio Meier-Preis“

14.11.2017 – Rechtspopulistische Portale und die AfD empören sich über die geplante Auszeichnung der Initiative „Aufstehen gegen Rechts“ mit dem Preis für zivilgesellschaftliches Engagement.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin vergibt in diesem Jahr zum zweiten Mal den „Silvio Meier-Preis“. Benannt ist er nach dem linken Aktivisten und Nazigegner, der am 21. November 1992 in einer U-Bahnstation im Berliner Stadtteil Friedrichshain von einem rechtsextremen Jugendlichen erstochen wurde. Zuvor hatte der damals 27-jährige Silvio Meier, der mit Freunden unterwegs war, den Neonazi-Aufnäher kritisiert, den der Jugendliche trug.

Am 21. November dieses Jahres soll neben Edeltraut Pohl, die seit Jahren Geflüchtete unterstützt, auch die Initiative „Aufstehen gegen Rechts“ mit dem „Silvio Meier-Preis“ ausgezeichnet werden. Diese zivilgesellschaftliche Gruppierung, in der Gewerkschaftler/innen sowie auch Mitglieder von SPD, Linken und Grünen mitarbeiten, setzt sich für die Ächtung von Rassismus und gegen einen gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck ein. Sie organisiert beispielsweise Seminare für so genannte Stammtischkämpfer/innen. Dort werden Argumente gegen rechte Parteien und Ideologie ausgetauscht. Ziel ist es, dort zu widersprechen, wo solche Positionen vertreten werden.

Zur Störung der Preisverleihung aufgerufen

Seit Wochen sorgt die geplante Preisverleihung auf rechtslastigen Netzwerken für Empörung. Die islamfeindliche Internetplattform „PI-News“ und das ebenso von Rechtspopulisten betriebene Portal „Journalistenwatch“ greifen neben den Personen und Initiativen, die am 21. November ausgezeichnet werden sollen, auch den Namensgeber an. Silvio Meier wird als linker Extremist diffamiert, der selbst schuld sei, dass er bei einer Schlägerei umgekommen ist. Der rechte Hintergrund des Täters wird geleugnet. Dabei berufen sich die Autorinnen und Autoren der rechtspopulistischen Online-Plattformen unter anderem auf den Kommentator der Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ Gunnar Schupelius, dessen Beiträge in rechten Medien schon häufig wohlwollend zitiert wurden.

Bei der Berliner AfD versucht man, mit einer Klage die Preisverleihung zu verhindern. Der AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Gerd Pazderski wirft der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“ vor, „wahrheitswidrige und ehrverletzende Äußerungen gegen seine Partei“ zu verbreiten. Dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg lastet er „Beihilfe und Anstiftung zu Straftaten“ an, wenn es diese Initiative mit dem Preis auszeichne. Die Rechten scheinen allerdings selber nicht an einen juristischen Erfolg der AfD-Klage zu glauben. Auf rechten Netzwerken wird zur Störung der Preisverleihung am 21. November aufgerufen.

aus: Blick nach Rechts

https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/kampagne-gegen-silvio-meier-preis

Peter Nowak

Die Armut und nicht die Armen bekämpfen

Als grüner Sheriff hatte sich der Bezirksbürgermeister von Mitte Stephan von Dassel in den letzten Wochen präsentiert. Vor allem gegen Obdachlose aus Osteuropa hat sich der Politiker in der letzten Zeit nicht nur verbal, sondern auch durch polizeiliche Räumungen positioniert. Dagegen protestieren am 14.11. um 17 Uhr zivilgesellschaftliche Gruppen vor von Dassels Amtssitz, dem Rathaus Mitte, mit einer Kundgebung. Organisiert wird sie vom Verein Berliner Obdachlose e.V., einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich gegen die Verdrängung von armen und wohnungslosen Menschen wendet und kostenloses Essen an öffentlichen Plätzen anbietet. Unter anderem am Hansaplatz in Moabit, was der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Isenberg überhaupt nicht gerne sah. Im Dezember 2016 sorgte ein Bericht auf MieterEcho online über eine von Isenberg moderierte Veranstaltung über „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“, die in zum populistischer Schlagabtausch gegen wohnungslose Menschen und ihre Unterstützer/innen wurde, bei Medien und Politiker/innen für Aufmerksamkeit.


Mehr Notübernachtungsplätze und bezahlbare Wohnungen

„Wir wollen gegen die Hetze gegen Obdachlose protestieren und fordern, dass die Armut und nicht die Armen bekämpft werden“, erklärte Frieder Krauß von der Berliner Obdachlosenhilfe gegenüber MieterEcho online. Zu den konkreten Forderungen gehört der Ausbau der  Notübernachtungsplätze im Rahmen der Kältehilfe in Berlin. Zudem müssten die Plätze so gestaltet sein, dass sich die Menschen dort wohlfühlen. Bisher haben manche Betroffene selbst im Winter eine Übernachtung im Freien einem Schlafplatz in einem Raum, in denen die Ratten rumlaufen, vorgezogen.

Auch wenn sich die Kundgebung besonders der Verdrängung von Obdachlosen im Bezirk Mitte richtet, wolle man die anderen Bezirke nicht aus der Verantwortung entlassen, betonte Krauß. Besonders in Neukölln werden immer mehr Menschen vor allem aus Osteuropa in die Obdachlosigkeit gedrängt. Aktuell ist eine Romafamilie von der Zwangsräumung aus einer Unterkunft bedroht, die von dem Verein Phione e.V. betrieben wird. Obwohl die Familie alle Vorgaben der Behörden erfüllt, droht sie die Leidtragende eines  Konflikts zwischen dem Verein, der mehr Miete will, dem Jobcenter und der Sozialen Wohnhilfe Tempelhof-Schöneberg zu werden. Das sind keine Einzelfälle. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Berlin machte am 14.11. auf die dramatische Zunahme der Menschen ohne Obdach aufmerksam und benannte die explodierenden Mietpreise in Ballungsräumen als Hauptgrund.  Da es in Deutschland keine offiziellen Statistiken über wohnungslose Menschen gibt, ist auch die Wohnungslosenhilfe  auf  Schätzungen angewiesen. Danach hatten im vergangenen Jahr ca. 86000 Menschen in Deutschland keine eigene Wohnung. Innerhalb von zwei Jahren sei deren Zahl um 150 Prozent gestiegen. Besonders davon betroffen sind Migrant/innen.

Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus

Zu den Unterstützer/innen der Kundgebung gehört auch die Bezirksgruppe Wedding der Berliner MieterGemeinschaft. Sie kämpft dagegen, dass Mieter/innen mit wenig Geld durch Zwangsräumungen in die Obdachlosigkeit gedrängt werden. Eine zentrale Forderung ist daher auch der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus  für Menschen mit wenig Geld, unabhängig von ihrer Herkunft. Darum wird es auf einer Veranstaltung unter dem Titel „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“ gehen, die die Weddinger Bezirksgruppe der MieterGemeinschaft gemeinsam mit der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) am 15.12. um 19 Uhr im FAU-Lokal in der Grünthaler Straße 24 organisiert. Neben Aktiven aus der Berliner Obdachlosenhilfe wird doch auch der Historiker und Betreiber des Blogs „Berberinfo – Blog für Straße und Leben“ Lucius Teidelbaum über die Geschichte und die Gegenwart des Hasses gegen Obdachlose sprechen.

https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/vertreibung-von-obdachlosen.html

MieterEcho online 14.11.2017
Peter Nowak

Politik Vorerst kein Neustart von Indymedia

Unterstützer berichten von starker Repression

Die öffentliche Diskussion um die Abschaltung der linken Online-Plattform Indymedia-Linksunten ist weitgehend verstummt. Die Polizeirazzia fand im Nachgang des Hamburger G20-Gipfels am 25. August statt, das von Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU) angekündigte Verbot erfolgte nach dem Vereinsgesetz – eine umstrittene Maßnahme. MedienaktivistInnen hatten nur wenige Tage nach der Abschaltung noch selbstbewusst einen Neustart angekündigt – diesen wird es vorerst aber wohl »aufgrund der realen Repression« doch nicht geben. Dies erklärte die Autonome Antifa Freiburg in einem kürzlich veröffentlichten Communiqué zum Indymedia-Verbot.

Dort ging sie auch auf die Überwachungsmethoden im Vorfeld der Abschaltung ein: In den Akten der Beschuldigten fänden sich Spitzelberichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz von öffentlichen Indymedia-Linksunten-Treffen in den Jahren 2008, 2011 und 2013 in Freiburg und Tübingen. Zudem hätten eine abgefangene SMS und ein abgehörtes Telefon Informationen geliefert. Noch eine Woche nach der Durchsuchung seien die Beschuldigten rund um die Uhr überwacht worden. Auch die Beschlagnahme von Post und Mails habe die Polizei zudem angeordnet. Bei einem Betroffenen hätten die Beamten gar wenige Tage nach der Razzia die Innenverkleidung der Fahrertür geöffnet – möglicherweise zur Platzierung einer Abhöreinrichtung.

Die staatliche Repression war nach der Razzia nicht zu Ende: »Am 1. September beschlagnahmte das LKA weitere IT-Infrastruktur in Freiburg, da die in der ersten Razzia beschlagnahmten Computer ›stark kryptisiert seien‹, heißt es in dem Communiqué. Die Behörden hatten also Probleme, die Verschlüsselung zu knacken. Offen bleibt in der Darstellung, ob die Ermittler durch die zweite Aktion Zugriff auf relevante Daten erlangen konnten.

Zu den am 25. August beschlagnahmten Gegenständen gehört derweil auch ein Datenträger mit zentralen Informationen des Studierendenrats der Freiburger Universität. Nach Angaben eines Sprechers befinden sich auf der Festplatte die Daten aller 25 000 Studierenden der Uni Freiburg in Form von WählerInnenverzeichnissen, die kompletten Personal- und ArbeitnehmerInnendaten der Verfassten Studierendenschaft sowie sämtliche Lohnabrechnungen mit Bankverbindungen. Auch Bilder von universitären Protestaktionen der letzten Jahre seien dort gespeichert. Weil in die Räume der Studierendenvertretung häufig eingebrochen wurde, habe man die Daten in den Räumen eines Mitarbeiters deponiert.

Die Behörde gab den Originaldatenträger wenig später zurück. Allerdings hatte die Polizei zwischenzeitlich eine Kopie mit der Begründung gemacht, sich vor einem möglichen Manipulationsvorwurf schützen zu wollen. Doch auch nach einer Überprüfung wurden die Kopien nicht gelöscht. In einem Schreiben des Regierungspräsidenten an die Verfasste Studierendenschaft wird erklärt, dass noch überprüft werden müsse, ob sich auf den Datenträgern Bezüge zu Indymedia befinden.

Jetzt klagt die Verfasste Studierendenschaft auf die Rückgabe ihrer Daten. Sie hofft, dass die Verschlüsselung hält, bis die Gerichte über den Fall entschieden haben. Juristisch vertreten werden die StudentInnen von dem Anwalt Udo Kauß, der die Datensammelwurt gegenüber Medien kritisiert: »Das ist eine Fahndung ins Blaue hinein. Die Sicherheitsbehörden spekulieren offenbar darauf, dass sich Irgendetwas Interessantes wohl schon finde werde.«

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1069981.vorerst-kein-neustart-von-indymedia.html

Von Peter Nowak nd 14.11.17

„Nicht Arme bekämpfen“


Demonstration gegen die Politik von Stephan von Dassel: Die Kritik entzündet sich am Umgang des Bezirksbürgermeisters von Mitte mit Obdachlosen

Als grüner Sheriff hat sich der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, in den letzten Wochen präsentiert. Vor allem gegen Obdachlose aus Osteuropa positionierte sich der Politiker nicht nur verbal, sondern auch durch polizeiliche Räumungen. Dagegen wollen am heutigen Dienstag um 17 Uhr zivilgesellschaftliche Gruppen vor von Dassels Amtssitz, dem Rathaus Mitte, mit einer Kundgebung protestieren. Organisiert wird sie vom Verein Berliner Obdachlose e. V., einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich gegen die Verdrängung von armen und wohnungslosen Menschen wendet und auf öffentlichen Plätzen kostenloses Essen anbietet.
„Wir wollen gegen die Hetze gegen Obdachlose protestieren und fordern, dass die Armut bekämpft wird und nicht die Armen“, erklärte Frieder Krauß von der Berliner Obdachlosenhilfe gegenüber der taz. Zu den konkreten Forderungen gehört der Ausbau der Notübernachtungsplätze in Berlin. Zudem müssten diese Plätze so gestal- tet sein, dass sich die Menschen dort wohlfühlen. Bisher ziehen manche Betroffene selbst im Winter eine Übernachtung im Freien einem Raum voller Ungeziefer vor.
Auch wenn sich die Kundgebung besonders der Verdrängung von Obdachlosen im Bezirk Mitte richtet, wolle man die anderen Bezirke nicht aus der Verantwortung entlassen, betonte Krauß. Besonders in Neukölln würden immer wieder Fälle bekannt, wo Menschen aus Osteuropa in die Obdachlosigkeit gedrängt werden.
Zu den Unterstützern der Kundgebung gehört auch die Bezirksgruppe Wedding der Berliner Mietergemeinschaft. Die Organisation kämpft da-gegen, dass MieterInnen mit wenig Geld durch Zwangsräumungen in die Obdachlosig-keit gedrängt werden. Eine zentrale Forderung ist daher auch der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus für Menschen mit wenig Geld, unabhängig von ihrer Herkunft.

taz, dienstag, 14. november 2017 taz

Pakete von der Volksgemeinschaft

In Erfurt dominieren Neonazis ganze Stadtteile. Ein Sozialarbeiter, der das nicht hinnahm, wurde schikaniert, bis er psychisch erkrankte, und schließlich entlassen

Schulsozialarbeiter und dem freien Träger der Jugendhilfe »Perspektiv e. V.«. Der Sozialarbeiter, dessen Name der Redaktion bekannt ist, war nach einer längeren Krankschreibung entlassen worden. Zuvor hatte er sich dezidiert für Jugendliche eingesetzt, die von Rechtsextremen gemobbt wurden. Ihn selbst haben Neonazis mit einem Gasspray angegriffen. Kunstinstallationen, die er gemeinsam mit Jugendlichen erstellt hatte, haben die Rechtsextremen zerstört.

Über diese Vorfälle informierte der Sozialarbeiter regelmäßig seinen Arbeitgeber, den Verein »Perspektiv«. Doch von dem fühlte er sich nicht unterstützt. Ihm sei zu verstehen gegeben worden, dass er selbst schuld sei, wenn er von Nazis angegriffen werde. Nun will er gemeinsam mit der Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion« (FAU) erreichen, dass seine längere Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird. Er reichte Klage gegen seine Krankenkasse ein, nachdem diese seine Forderung abgelehnt hatte. Für Konstantin Behrens von der FAU in Jena ist der Ausgang der Klage nicht nur für den Einzelfall von Bedeutung. »In sozialen Berufen ist die Belastung zumeist nicht körperlicher, sondern psychischer und emotionaler Natur. Diese Belastung führt zu psychischen Krankheiten, die als solche aber oft nicht anerkannt, sondern belächelt werden«, sagte Behrens der Jungle World. Mit den Folgen würden die Sozialarbeiter allein gelassen. »Perspektiv e. V.« äußerte sich trotz mehrmaliger Nachfrage bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe zu den Vorwürfen nicht.

Die zivilgesellschaftlichen Initiativen »Mobile Beratung in Thüringen« (Mobit) und »Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt« (Ezra) haben sich mit den zahlreichen rechtsextremen Angriffen an der Erfurter »Gemeinschaftsschule am Großen Herrenberg« (GEM4) auseinandergesetzt, an der der gekündigte Sozialarbeiter tätig war. »Die Betroffenen beschreiben den Alltag an der GEM4 als einen rassistischen ›Normalzustand‹: Beschimpfungen, neonazistische Parolen und Schmierereien oder tätliche Angriffe (zum Beispiel Herunterreißen des Kopftuchs oder Tritte und Schläge)«, heißt es in einem von Ezra und Mobit verfassten Dossier, das der Jungle World vorliegt. Darin wird die neonazistische »Volksgemeinschaft Erfurt e. V.«, die im Stadtteil Herrenberg ansässig ist, als ein Urheber der Angriffe benannt. Ihre Gründer stammen aus Kameradschaften und hatten teilweise Funktionen in der NPD und der Partei »Die Rechte« inne.

Auf der Website des im August 2015 gegründeten Vereins werden »Freizeitaktivitäten für Jung und Alt« angeboten. Das Angebot reicht vom Dartautomaten über den Fitnessraum bis zum Paketshop. »Sollte Ihr GLS-Bote Sie nicht zu Hause antreffen, können Sie Ihr Paket in unserem Objekt der Volksgemeinschaft abholen«, heißt es auf der Website. Das erklärte Ziel, eine rechte Dominanz im Stadtteil durchzusetzen, scheint erreicht. Jugendliche werden in ihrer rassistischen Einstellung bestätigt und mit Aufklebern versorgt, die sie an Schulen und in Jugendeinrichtungen anbringen. Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, werden gemobbt, gedemütigt und körperlich angegriffen. »Einige der Rädelsführer der rechten Gewalt haben bestätigt, dass sie regelmäßig zu den Treffen der ›Volksgemeinschaft‹ gehen«, berichtete der gekündigte Sozialarbeiter gegenüber der Jungle World. Zudem hat die »Volksgemeinschaft« ihn in einem Brief heftig angegriffen. Er sieht in der mangelnden Unterstützung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber ein Signal gegen Beschäftigte, die sich in ihrer Arbeit entschieden gegen Rechtsextremismus wenden. Nach dem Ende seines arbeitsrechtlichen Konflikts will er sich in der FAU engagieren. Demnächst ist dort ein Vernetzungstreffen kritischer Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter geplant. »Wenn sich mehr Kollegen ähnlich äußern, könnte das zu einer Änderung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte der sozialen Arbeit führen«, hofft der FAU-Sprecher Behrens.

https://jungle.world/artikel/2017/45/pakete-von-der-volksgemeinschaft

Peter Nowak

Wie Studierendendateien der Uni Freiburg ins Visier der Indymedia-Ermittler gerieten

Die Polizei hält Kopien von zwei Datenträger zurück, die das gesamte Innenleben der Verfassten Studierendenschaft enthalten

Es ist ruhig geworden, um die Abschaltung der Online-Plattform Linksunten. Obwohl die Kritik anfangs groß und die Solidarität beachtlich war, ist die linke Plattform noch immer abgeschaltet.

Dafür wurde jetzt bekannt, dass der Polizei bei den Durchsuchungen im Zusammenhang mit der Indymedia-Abschaltung auch zwei Datenträger der Verfassten Studierendenschaft der Uni Freiburg in die Hände gefallen sind, die das gesamte Innenleben der Freiburger Universität enthalten:

Auf genannter Backup-Festplatte befinden sich unter anderem die Daten aller 25.000 Studierenden der Uni Freiburg in Form von Wähler*innenverzeichnissen, die kompletten Personal- und Arbeitnehmer*innendaten der VS, sämtliche Lohnabrechnungen mit Kontakten und der Kontodaten auch aller Referent*innen und Angestellten seit der Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft im Jahr 2013. Weiterhin befinden sich dort die Datenarchive der Zeit vor 2013 und Bilddokumentationen von universitären Protestaktionen.

Pressemitteilung des Studierendenrates der Uni Freiburg

Die Begründung für die Datenkopien wechselten

„Es handelte sich um eine Backup-Festplatte unseres Servers und einen USB-Stick, die aus Sicherheitsgründen nicht in den Räumlichkeiten der Studierendenvertretung aufbewahrt worden sind, sondern extern in der Wohnung eines unserer Mitarbeiter. Grund hierfür war die Häufung von Einbrüchen in Räume der VS“, erklärte ein Mitglied der Verfassten Studierendenschaft gegenüber Telepolis.

Dass die Kopien dieser Daten privat aufbewahrt wurden, sei nicht ungewöhnlich und auch rechtlich kein Problem. Die Polizei hatte die Dateien auch zeitnah zurückgegeben. Allerdings hatte sie eine Kopie gemacht und das damit begründet, dass sie sich damit vor einem möglichen Vorwurf schützen wollte, die Dateien manipuliert zurückgegeben zu haben. Doch auch nachdem die Verfasste Studierendenschaft die Daten überprüft und versichert hatte, dass keine Manipulation stattgefunden hat , wurden die fraglichen Kopien keineswegs vernichtet. Plötzlich wechselte die Begründung für die Vervielfältigung der Daten:

In einem Schreiben des Regierungspräsidenten wurde der Studierendenschaft mitgeteilt, „… dass eine Auswertung der in Rede stehenden Daten aufgrund der teilweisen Kryptierung bislang nicht erfolgen konnte. Die Beschlagnahme der beiden Datenträger ist durch den entsprechenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des VG Freiburg…gedeckt, da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Daten Belege über die Zugehörigkeit von (…) zum Verein ‚linksunten.indymedia‘ und/oder über die Aktivitäten des Vereins enthalten. Die Daten könnten daher für das laufende Verfahren gegen die Verbotsverfügung vor dem Bundesverwaltungsgericht von Bedeutung sein. Sobald die Auswertung der Daten erfolgt ist, werden wir wieder auf Sie zukommen.“

Die Studierendenschaft spricht von einem rechtlich fraglichen Vorgehen, zumal ihr keine Unterstützung der Indymediaplattform vorgeworfen wird. Kritisiert wird die Datensammelwut von Rechtsanwalt Udo Kauß, der von einer Ermittlung ins Blaue spricht: „Diese Dateien sind den Sicherheitsbehörden ganz ungewollt in die Hände gelangt. Kein Gericht des Landes würde eine Durchsuchung und Beschlagnahme von Dateien der VS allein mit der Begründung erlauben, es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich doch Brauchbares in diesen Dateien befinden.“

Von den Grünen in Baden Württemberg hört man in der Angelegenheit nichts. Wären sie in der Opposition, hätten sie sicher den Datenschutz verteidigt. In Baden-Württemberg sind sie aber die größere der beiden Regierungsparteien.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-Studierendendateien-der-Uni-Freiburg-ins-Visier-der-Indymedia-Ermittler-gerieten-3888224.html

Charles Bettelheim: Klassenkämpfe in der UdSSR, Die Buchmacherei, Berlin 2016, 666 S.

Charles Bettelheim ist in Deutschland bisher wenig bekannt. Das könnte sich jetzt ändern. Der kleine Berliner Verlag „Die Buchmacherei“ hat erstmals in deutscher Sprache die Bände 3 und 4 seines Mo-numentalwerkes „Klassenkämpfe in der UdSSR“ herausgegeben. In Frankreich waren sie in den Jahren 1982/83 erschienen und sorgten für große Aufmerksamkeit. Darin liefert der marxistische Ökonom eine profunde Kritik der sowjetischen Entwicklung. Die besondere Stärke des 1913 in Paris geborenen und 2006 dort ver-storbenen Bettelheim ist seine umfassende Kenntnis der ökonomischen Verhältnisse in der Sowjetunion und den nominalsozi-alistischen Staaten. Er argumentiert nicht moralisch, sondern zeigt aufgrund seiner soliden Marx-Kenntnis den Widerspruch zwischen Anspruch und Realität in der no-minalsozialistischen Ökonomie auf.Die Gesellschaftsformation in der Sowjetunion bezeichnet er als Staatskapitalismus, der weiterhin auf Ausbeutung von Arbeitskraft basiert. Dabei kann sich Bettelheim nicht nur auf Marx, sondern auch auf Lenin berufen. Dieser habe mehrmals erklärt, dass die Bolschewiki in der Sowjetunion nicht den Sozialismus auf bauen, son-dern den Kapitalismus entwickeln müssen. So zitiert Bettelheim eine Rede Lenins von 1919, wonach im Oktober 1917 in Russland nicht eine Diktatur des Proletariats, sondern eine Diktatur im Namen des Proletariats etabliert wurde (S. 31). Diese Entwicklung, so Bettelheim, war von den Bolschewiki nicht geplant, sondern ihrer tragischen Ein-samkeit geschuldet. Nachdem alle anderen Räterepubliken blutig zerschlagen worden seien, sollte ausgerechnet das kapitalistisch noch kaum entwickelte Russland das Mo-dell für den Auf bau des Sozialismus werden. Während Lenin diese Widersprüche noch klar benannte, haben seine Nachfolger sie ausgeblendet und dann im Stalinismus blutig unterdrückt. Die ersten Opfer wurden ArbeiterInnen und Mitglieder der bolschewistischen Partei. Bettelheim weist überzeugend nach, wie mit der Etablierung eines besonderen Typs von Staatskapitalismus in der UdSSR die ArbeiterInnen mehr und mehr entmachtet wurden. Dabei macht er aber deutlich, dass dieser Prozess keineswegs reibungslos verlief und sich große Teile der bolschewistischen AktivistInnen widersetzten. Darin sieht Bettelheim auch einen Grund für die Schauprozesse und den Terror gegen KommunistInnen der ersten Stunde. Er zeigt zudem auf, dass infolge der Revolution die Macht der ArbeiterInnen enorm ausgeweitet worden war und der Stalinismus der große Rollback war, bei dem ih-nen die Macht wieder genommen wurde. Die profunden Kenntnisse der sowjetischen Verhältnisse und besonders der Ökonomie sorgen dafür, dass Bettelheims Analyse Pioniercharakter hat, wenn es um die Einschätzung der sowjetischen Wirtschafts- und Arbeitspolitik geht.So zeichnet er die Rolle der BetriebsleiterInnen sehr genau nach. Diese hatten nach der Revolution massiv an Autorität eingebüßt. Stattdessen erhielten die Arbeiterkomitees viel Einuss, der aber immer mehr beschnitten wurde. Bettelheim schildert detailliert die Maßnahmen, die die proletari-sche Macht in den Betrieben immer mehr einschränkten. Er zitiert aus Verordnungen, in denen oen die „Auskämmung überflüssiger Arbeiter“ (S. 132) und ihre Disziplinierung und Einordnung in die Fabrikdespo-tie (S. 135) als Ziele benannt wurden. Sehr deutlich und bezeichnend ist eine Erklärung der für Wirtschaftsfragen zuständigen Abteilung der bolschewistischen Partei, wer der err im Betrieb im sowjetischen Fabrikdespotismus ist: „Alles, muss dem Direktor untergeordnet sein. Der Boden muss zittern, wenn der Direktor in der Fabrik umgeht.“ (S. 141)Dabei macht Bettelheim immer wieder deutlich, dass dieser Prozess keineswegs linear verlief. Wenn die ArbeiterInnenrech-te zu stark eingeschränkt wurden, initiierte die Partei wieder eine Kampagne gegen die Macht der Techniker. Zudem wurden die Gewerkschaften aufgefordert, die Interes-sen der ArbeiterInnen besser zu vertreten. Ob solche Kampagnen reiner Populismus oder auch ein Ausdruck der Machtkämpfe innerhalb der bolschewistischen Partei waren, lässt der Autor oen. Sehr dierenziert betrachtet Bettelheim auch die Stachanow-Bewegung. Dabei habe es sich zunächst um eine Initiative gehandelt, die unter FacharbeiterInnen entstand, die die Möglichkeiten der ArbeiterInnenmacht nutzten, die es nach der Oktoberrevo-lution gab. „Aus diesem Blickwinkel nimmt die Stachanow-Bewegung einen revolutio-nären Charakter an, gleichwohl er auch einhergeht mit einer Arbeitsintensivierung und einer Akzentuierung des kapitalistischen Charakters der Produktion“ (S. 183), fasst Bettelheim den widersprüchlichen Charak-ter zusammen.Bald wurde diese Initiative von der Staatspartei vereinnahmt und verfälscht. Auf einmal wurden überall Stachanow-Wettbewerbe ausgerufen, die meist keiner-lei Erfolge brachten. So wurde eine Initiative von unten abgewürgt. Teile des Proletariats reagierten darauf allergisch, weil damit die Arbeitsnormen erhöht wurden. Bettelheim kommt zu dem Schluss, dass FacharbeiterInnen durchaus einen Teil der bolschewistischen Basis ausmachten und es erfolgreiche Kampagnen gab, um mehr ArbeiterInnen in die Partei aufzunehmen. Allerdings seien einige der Neumitglieder gleich in Funk-tionärsposten aufgerückt und hätten sich so von ihrer proletarischen Herkunft entfernt. Bettelheim zeigt auch auf, dass das Nomen-klaturasystem hierarchisch gegliedert war und es unterschiedliche Zugänge zu Ver-günstigungen aller Art gab. So bildete sich eine Klassengesellschaft neuen Typs heraus. Nicht wenige der alten FacharbeiterInnen gehörten nun der Nomenklatura an und beuteten ArbeiterInnen anderer Segmente aus, die oft erst aus der Landwirtschaft mehr oder weniger freiwillig abgewandert waren. Die rigide Politik gegen die Bäuerinnen und Bauern erinnert an die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, bei der das Bauern-legen ein wichtiger Bestandteil war. Diese Aspekte werden von Bettelheim in klarer Diktion benannt und für eine hoffentlich kontroverse Debatte sorgen.Doch leider bleibt das Buch nicht bei einer rätekommunistischen Kritik an der So-wjetunion stehen. An mehreren Stellen vor allem im hinteren Teil wird der Westen gelobt und gerade im zweiten Teil schreibt der Autor in eindeutig totalitarismustheoretischer Art und Weise über die Sowjetunion (S. 338). Bettelheim sympathisierte wie viele andere in den 1960er-Jahren mit der maoistischen Kulturrevolution, bevor er wie diese in den 1970er-Jahren unter dem Eindruck der Lektüre von Schriften chinesischer und sowjetischer Dissidenten zum Vorkämpfer des freien Westens gegen den „östlichen Despotismus“ wurde. So ist das Buch zumindest im zweiten Teil zunehmend von der sogenannten Neuen Philosophie konterminiert. An diesen Stellen hat Bettelheim sein Fachgebiet, die Ökonomie, verlassen und allerlei eoriefragmente der neuen Philosophen verwendet. Einige der in dem Buch häufig zitierten WissenschaftlerInnen wie Nicolas Werth haben später das berüchtigte „Schwarz-buch des Kommunismus“ herausgegeben. So zeigt sich ein zweifacher Bettelheim: der präzise argumentierende, mit profunder Marx-Kenntnis operierende Ökonom, der über die Klassenverhältnisse und Klassen-kämpfe in der Sowjetunion auf klärt, und der von den Neuen Philosophen beeinus-ste Totalitarismustheoretiker.

aus:

Arbeit – Bewegung Geschichte
ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE STUDIEN 2017/III

Peter Nowak

Arbeitskonflikt in linkem Club

Mitarbeiter des SO36 haben sich der autonomen Gewerkschaft FAU angeschlossen und liegen seither mit der Geschäftsführung im Clinch. Ein Mitarbeiter klagt jetzt vor dem Arbeitsgericht

Ob es um Punkkonzerte, KiezBingos oder politische Veranstaltung geht: Das S036 in der Oranienstraße ist seit Jahren eine gute Adresse für Aktivitäten dieser Art. Doch in letz- ter Zeit haben sich einige linke Gruppen mit kritischen Fragen an die Geschäftsleitung gewandt. Grund ist ein Konflikt zwischen der Geschäftsführung und einigen MitarbeiterInnen, die sich im August 2016 zu einer Betriebsgruppe der Freien ArbeiterInnenunion (FAU) zusammengeschlossen haben. Den Beschäftigten ging es dabei vor allem um die interne Demokratie und Autonomie. Bisher hätten die einzelnen Arbeitsbereiche, Gewerke genannt, ihre Arbeit weitgehend autonom regeln können, erklärte ein ehemaliger Mitarbeiter des Clubs, der sich in der FAU-Betriebsgruppe engagierte, der taz. Doch zunehmend habe sich die Geschäftsleitung eingemischt. Besonders das für die Tresenschichten zuständige Gewerk habe protestiert. Die AktvistInnen in der FAU-Betriebsgruppe, darunter lang- jährige Club-MitarbeiterInnen, hatten bei der Gründung eigentlich auf Kooperation mit der linken Clubleitung gehofft und waren von der ablehnenden Reaktion überrascht, erklärten sie der taz. In einer von der FAU Berlin herausgegebenen Protestchronik wird sogar von Stimmungsmache der Geschäftsleitung gegen die Gewerkschafter geschrieben. Die Situation schien sich im Oktober 2016 zu entspannen, nachdem mithilfe einer Mediation ein Kompromiss zwischen der Geschäftsleitung und dem Tresengewerk erreicht wurde. Doch auf einer Vollversammlung des S036 wenige Wochen später eskalierte der Konflikt erneut. Laut der FAU-Konfliktchronik haben in den letzten Monaten mehrere unzufriedene Beschäftigte gekündigt. Ein FAU-Mitglied, das durch die Geschäftsführung seit dem 12. Mai 2017 bei Lohnfortzahlung von der Arbeit freigesetzt wurde, hat das S036 verklagt. Es wollte seine Tresenschichten im Club wiederaufnehmen. Das lehnte das S036 ab. Der Rechtsanwalt des Clubs kündigte vor dem Arbeitsgericht vorige Woche einen Vergleich an. Der Kläger soll nicht mehr im Club arbeiten und eine Entschädigung von 800 Euro bekommen. Der Gegenseite ist das zu wenig, man werde ein Gegenangebot schicken, so ein FAU-Sekretär. Vom S036 wollte sich gegenüber der taz niemand zu dem Konflikt äußern.

sonnabend/sonntag, 11./12. november 2017 taz

Ein Thüringer Schulsozialarbeiter fühlt sich mit rechten Angriffen allein gelassen

Nazis machen krank. Für Sebastian Steinert, dessen richtiger Name zur Sicherheit nicht genannt werden soll, handelt es sich dabei nicht um einen Demo-Spruch, sondern um bitteren Ernst. Als Schulsozialarbeiter in der Erfurter Gemeinschaftsschule am großen Herrenberg war er wiederholt Attacken einer Gruppe rechter Jugendlicher ausgesetzt. Nach einem Angriff mit einem Gasspray musste er sich in ärztliche Behandlung begeben. 

Steinert geriet ins Visier der Rechten, weil er sich hinter Schüler stellte, die von den Rechten bedroht worden waren. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen MOBIT und Ezra sprechen in einem dem »nd« vorliegenden Dossier von einem »rassistischen Normalzustand« an der Schule und ziehen einen Zusammenhang zur neonazistischen Gruppe Volksgemeinschaft, die in dem Stadtteil einen Treffpunkt unterhält. Ihre Gründer stammen aus der rechten Kameradschaftsszene und hatten Funktionen in der NPD und der Partei »Die Rechte«. Die Gruppe wird vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet. 

Die Stadtverwaltung Erfurt bestätigte die rechten Vorfälle, an denen vor allem zwei Schüler mit Neonazikontakten beteiligt waren. »Zudem gab es Angriffe und Bedrohungen der beiden Schüler gegen den Sozialarbeiter«, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des SPD-Stadtverordneten Denny Möller. Doch statt Unterstützung habe er von seinem Arbeitgeber, dem in der Jugendsozialarbeit aktiven Verein Perspektiv, zu hören bekommen, er sei selber Schuld, wenn er zum Angriffsobjekt der Rechten werde, beklagt Steinert gegenüber »nd«. 

Nach einer halbjährigen Krankheit wurde er entlassen. Der folgende Rechtsstreit ist inzwischen beendet. Der Verein zahlte eine Abfindung und stellte ein wohlwollendes Arbeitszeugnis aus. Zu den Vorwürfen wollte man sich gegenüber »nd« nicht äußern. Steinert kämpft nun darum, dass seine psychischen Probleme nach den Bedrohungen durch die Rechten als Berufskrankheit anerkannt werden. In diesem Fall wären anschließend Arbeitsschutzmaßnahmen und Unterstützungsangebote für die Betroffenen möglich.

Die Krankenkasse hat seinen Antrag zunächst abgelehnt. Dagegen klagt der Sozialarbeiter mit Unterstützung der Basisgewerkschaft FAU. Aus ihrer Sicht geht es dabei nicht nur um den Einzelfall. »In sozialen Berufen ist die Belastung zumeist nicht körperlicher, sondern psychischer und emotionaler Natur. Diese Belastung führt zu psychischen Krankheiten, die oft nicht anerkannt, sondern belächelt werden«, moniert Konstantin Berends von der FAU Jena. Die Gruppe will zu einem Treffen linker Sozialarbeiter einladen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1069617.fertig-gemacht.html
Peter Nowak

Jagd auf Roter Oktober

vom 26. September 2023

Der Rummel zum Jahrestag ist zu Ende. Jetzt wäre es möglich, über das zu reden, was an der Oktoberrevolution wirklich interessant ist

„Hunderte Aktivisten stürmten den Reichstag von Berlin“[1] und kaum jemand hat davon Notiz genommen. Ach so, es war eine Kunstaktion des Schweizer Künstlers Milo Rau, und der angekündigte Reichstagssturm war eine kleine Kundgebung einige hundert Meter vom Objekt der Begierde weg.

„Jagd auf Roter Oktober“ weiterlesen

Neuer Zoff um das Dragoner-Areal

Informationstreffen zwischen Senat, Bezirk und Initiativen verläuft turbulent – massive Kritik an Plänen

Unter dem Motto »Die Utopie planen« trafen sich am vergangenen Montagabend Vertreter von stadtpolitischen Initiativen sowie Politiker im Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg. Ziel des Treffens war es, sich über den aktuellen Stand zum Dragoner-Areal zu verständigen – jenes 47 000 Quadratmeter große Grundstück in Kreuzberg, das derzeit noch dem Bund gehört und von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) verwaltet wird. Wie im Rahmen des Hauptstadtfinanzierungsvertrages vereinbart, soll das Grundstück aber vom Bund an Berlin übertragen werden, damit dort unter anderem Sozialwohnungen gebaut werden können. Wenn es dagegen nach der BImA gegangen wäre, würden dort Eigentumswohnungen entstehen. 

In den vergangenen Monaten schienen Initiativen und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sowie der Senat bei der Perspektive des Dragoner-Areals an einem Strang zu ziehen. Doch kurz bevor das Grundstück an das Land Berlin übereignet wird, brechen die Konflikte zwischen Initiativen und Politik neu auf. Das wurde auf der Informationsveranstaltung deutlich. Dort begründete Wohnen-Staatssekretär Sebastian Scheel (LINKE), warum seine Behörde das Grundstück an die städtische Wohnungsbaugesellschaft degewo übertragen will. Würde das Land die Grundstücke in Eigenregie übernehmen, würde die Steuerbelastung steigen, hieß es. Scheel betonte, dass die Offenheit für unterschiedliche Nutzer- und Betreibermodelle weiterhin gewährleistet bleibe. Als weiteren Sachzwang führte Scheel an, dass die Rückübertragung bis zum 30. Juni 2018 abgeschlossen sein müsse. Bis dahin sei es nicht möglich, eine neue Trägergesellschaft zu gründen. 

Diesen Argumenten schloss sich der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), an. Obwohl er kritisch anmerkte, dass der Bezirk in die Entscheidung nicht genügend einbezogen worden sei, riet er den stadtpolitischen Gruppen, sich auf eine Kooperation mit der Wohnungsbaugesellschaft einzulassen.

Doch die zahlreich erschienenen Initiativenvertreter wollten sich dem nicht beugen. »In der Entwicklung des Modells für das Dragoner-Areal gibt es keine übereilte Festlegung«, zitierte Enrico Schönberg von der Initiative »Stadt von Unten« einen Grundsatz. Und: Die Entwicklung und die künftige Nutzung des Areals werden gemeinsam bestimmt. Die Initiative »Wem gehört Kreuzberg« stellte den Wohnungsbau generell infrage. Als Zeichen des Protestes verließen Vertreter der Gruppe im Anschluss sogar das Treffen. Trotz der neuen Konflikte verständigten sich die verbliebenen Aktivisten darauf, mit der Politik im Gespräch zu bleiben.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1069424.neuer-zoff-um-das-dragoner-areal.html
Peter Nowak

Guérot, Menasse: „Die Katalanen sind Europäer, die Nationalisten sitzen in Madrid“

Die Perspektive muss aber die spanische Republik und nicht ein katalonischer Nationalstaat sein – Ein Kommentar

Wie geht es weiter mit der katalonischen Unabhängigkeit, nachdem die Madrider Zentralregierung ihre Drohung wahrgemacht hat und mittels Aktivierung des Paragraphen 155 die katalonische Regierung abgesetzt hat? Die Bildung einer De-Facto-Exilregierung durch einen Teil dieser Regierung, von manchen auch als Flucht ins Ausland bewertet, scheint weniger ein langfristiger Plan der katalonischen Autonomieregierung gewesen zu sein. Es ist viel wahrscheinlicher, dass ein großer Teil der Bewegung überrascht war, dass die spanische Regierung in relativ kurzer Zeit die Gegenmaßnahmen umsetzte. Sie haben sich wohl eher auf einen längeren Prozess eingestellt, was den Autonomisten die Möglichkeit gegeben hätte, ihre Basis zu stabilisieren und erweitern.

Die Katalonische Autonomie ist längst eine europäische Frage

Spätestens durch die Anwesenheit von Teilen der Autonomieregierung in Brüssel ist die Frage der katalonischen Autonomie zu einer europäischen Frage geworden. Genau das wollen große Teile des EU-Etablissements noch immer verhindern. Es hat sich fast unisono hinter die spanische Nationalregierung gestellt und brachte es mehrheitlich nicht einmal fertig, die Repression zu kritisieren, mit dem die Abstimmung in Katalonien eingegrenzt werden sollte.

Das ist auch ein besonderer Beweis der EU-Lebenslüge, angeblich überall im EU-Raum für die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten. In Wirklichkeit verfolgt sie unter dem Deckmantel der Einhaltung der sogenannten Werte der EU die Interessen des Hegemons Deutschland. Deswegen reagieren die EU-Gremien gegen Menschenrechtsverletzungen der nicht besonders deutschfreundlichen polnischen Regierung zumindest auf der akklamatorischen Ebene scharf, während sie im Falle der deutschfreundlichen spanischen Regierung nicht einmal den Zeigefinger erheben.

Das kann aber nur denjenigen empören, der davon ausgeht, dass Politik von Werten und nicht Interessen bestimmt ist. Zu diesen Utopisten einer europäischen Ideologie gehören die Publizisten Robert Menasse[1] und Ulrike Guérot[2], die die europäische Autonomiebewegung in ihr Konzept eines EU-Nationalstaates einordnen wollen. Dabei kommt ihnen gelegen, dass diese Autonomiebewegung so deutlich ihre Pro-EU-Position aufrecht erhält, obwohl ihr von genau dieser EU-Bürokratie die kalte Schulter gezeigt wurde. Als Replik auf einen Beitrag[3] des Historikers Heinrich August Winkler im Spiegel betonten Menasse und Guerot die Künstlichkeit sämtlicher Nationalstaaten, also auch derjenigen, die Teil der EU sind.

Nationalismus kann es auf vielen Ebenen geben

Diese Nationalismuskritik ist richtig und wichtig, würde sich natürlich aber sowohl gegen die Verfechter der bereits existierenden wie der neu zu gründenden Nationalstaaten richten, also sowohl gegen Spanien wie auch gegen Katalonien. Doch die beiden Autoren nehmen scheinbar gar nicht ernst, dass die Autonomisten einen eigenen Staat mit allem, was dazu gehört, gründen wollen. Für sie sind sowohl die autonomistischen Schotten wie die Katalonen die eigentlichen Europäer.

In einem Beitrag der Wochenzeitung Freitag schreiben sie:

Wer heute die Verteidigung der Nation gegen die europäische Einigung stellt, nimmt die Wiederholung der Geschichte billigend in Kauf, zu Lasten der Europäer, die ihr Leben so gestalten wollen, wie man es ihnen versprochen hat: in einem grenzenlosen Europa, in dem der nationale Pass keine Rolle mehr spielt, sondern ersetzt wird durch eine europäische Staatsbürgerschaft. Aktuell wünschen sich dies viele Briten (die sich gerade zuhauf einen kontinentaleuropäischen oder irischen Pass besorgen wollen, um die europäischen Freiheiten nicht zu verlieren), genauso wie die Schotten (die ebenfalls durch den Brexit betroffen sind) oder die Katalanen, die unsinnigerweise vor die Alternative gestellt werden, sich entweder den oppressiven Maßnahmen der spanischen Zentralregierung zu beugen – oder aber die EU und den Euro zu verlassen.

Die Katalanen sind Europäer, die Nationalisten sitzen in Madrid. Schon die Schotten wurden bei ihrem Unabhängigkeitsreferendum betrogen. Weil ihnen gedroht wurde, dass sie aus der EU fliegen, wenn sie für Unabhängigkeit stimmen, haben sie für „Remain“ gestimmt – dieses „Remain“ galt Europa und nicht Großbritannien. Auch auf der Insel gilt: Die Schotten sind Europäer, die Nationalisten sitzen in London – und die haben mit dem Brexit-Referendum die irrationale und gefährliche Spielart des Nationalismus gezeigt.

Ulrike Guérot, Robert Menasse[4]

Damit befleißigt sich das Autorenduo eines instrumentellen Antinationalismus. Würden sie ihn ernst nehmen, müssten sie sowohl die britische als auch die spanische Regierung, aber auch die schottischen und katalonischen Staatsgründungsprojekte als unterschiedliche Nationalismuskonzepte analysieren. Vor allem aber müssten sie ihr eigenes Projekt eines EU-Nationalstaates als eigenen EU-nationalistischen Block begreifen, der sich weltweit im innerkapitalistischen Konkurrenzkampf durchsetzen will. Doch eine solche materialistische Nationalismuskritik findet man bei Menasse und Guerot nicht. Das zeigt sich besonders an diesen Abschnitt:

Ob Katalonien, Baskenland, Tirol, Schottland, Venetien, Bayern, Flandern, Saarland oder Elsass und die vielen anderen Regionen, die sich heute mehr Autonomie wünschen: Sie alle sind kulturelle Einheiten mit ihrer eigenen Geschichte. Sie können ausbrechen aus Nationen, aber Europa nicht verlassen. Damit stellt sich erneut die Frage, in welchem Zusammenschluss sie alle auf dem europäischen Kontinent in Zukunft in Frieden und Freiheit zusammenleben möchten. Das Saarland etwa hat 1955 darüber abgestimmt, ob es zu Frankreich oder Deutschland gehören oder unabhängig sein möchte – hätte es sich damals für Letzteres entschieden, könnte es heute ein zweites Luxemburg sein. Nichts zeigt mehr den fast zufälligen Charakter dessen, was wir heute Nationalstaat nennen.

Ulrike Guérot, Robert Menasse

Wenn sie schreiben, dass sie aus ihren Nationen ausbrechen, aber Europa nicht verlassen können, bleiben sie Spielball des EU-Nationalismus.

Welche Bedeutung hat der Francofaschismus für den katalonischen Autonomismus?

Natürlich sind alle Nationalismen identitär und ausgrenzend, aber sie haben ihre eigene Geschichte. Das wird am Verhältnis zwischen dem spanischen und dem katalonischen Nationalismus besonders deutlich. Schließlich ist der Hauptakteur der spanischen Nationalregierung die direkte Nachfolgepartei des Francofaschismus.

Bis in die unmittelbare Gegenwart hatten Politiker einflussreiche Positionen, die sich im Franco-Faschismus an der Unterdrückung der Opposition beteiligten. Daher ist Taz-Kommentator Erich Rathfelder zuzustimmen, wenn er schreibt[5]: „Der Freiheitsdrang der Katalanen hat vielfältige Ursachen. Er speist sich auch aus den nicht aufgearbeiteten Verbrechen der Franco-Diktatur.“

Auch seiner Kurzbeschreibung der nicht vollzogenen Entfrancoisierung Spaniens ist weitgehend zuzustimmen: „Über die Verbrechen der Franco-Zeit sollte nicht diskutiert, die Träger des alten Systems sollten nicht angetastet werden. Dafür gab es zunächst gute Gründe. Denn die franquistische Rechte war bereit, ihr System mit Gewalt zu verteidigen. Erst als der Putschversuch von General Milan Bosch 1981 am breiten Widerstand der Gesellschaft und der eindeutigen Stellungnahme des Königs gegen die Putschisten scheiterte, war der Weg zunächst frei für die Demokratisierung des Systems.“

Der erwähnte Putschversuch von 1981 hat aber nicht der Demokratisierung Spaniens den Weg bereitet, sondern sie beendet, bevor sie so recht begonnen hatte. Seit Ende der 1970er Jahre hatte sich eine außerparlamentarische Bewegung gebildet, die sich nicht mit der Politik der sogenannten Transition anfreunden wollte, die die Faschisten und ihre Nutznießer auch in der sogenannten bürgerlichen Demokratie unangetastet ließ.

Dagegen erhob sich Widerstand von gewerkschaftlichen Basiskomitees, von Anarchosyndikalisten und von Marxisten, die den Volksfrontkurs der Kommunistischen Partei ablehnten. Der Putschversuch setzte dieser Bewegung enge Grenzen, weil nun in großen Teilen der Linken die Angst groß war, wenn man es mit der Forderung nach Demokratisierung zu weit treibt, könnte es zurück zu Zeiten des offenen faschistischen Terrors gehen. Die Erinnerung an den Terror war damals schließlich noch sehr weit verbreitet.

Trotz dieser Fehleinschätzung ist Rathfelder mit dem Verweis auf die Rolle des Francofaschismus zuzustimmen. Dagegen bezeichnet es Bernd Beier in der Jungle World als Geschichtsklitterung, wenn sich die katalonischen Autonomisten als Opfer einer francistischen Diktatur gerieren:

Rajoy als Wiedergänger Francos darzustellen, ist auch der letzte Renner bei den angeblich linken und linksradikalen Separatistenfans, etwa der CUP. Sie hat es gerade nötig. Auf ihrer Website erklärt sie unter der Überschrift „Was ist die CUP?“ ihre Ziele, unter anderen „die Verteidigung der nationalen Sprache und Identität“. Herzlich willkommen bei den Nationalidentitären aller Länder! Aber das findet sich nur im katalanischen Teil der Website, nicht im englischsprachigen. International will die CUP schließlich unter dem Label „linksradikal“ reüssieren, nicht unter dem Label „romantisch-völkisch“.

Bernd Beier[6]

Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass Bernd Beier, der der antideutschen Linken nahesteht und Ex-Linksradikale wie Erich Rathfelder konträre Positionen haben. Bereits vor mehr als 20 Jahren waren sie beim Jugoslawien-Konflikt Antipoden. Damals wandten sich Beier und die Jungle World gegen den wesentlich von Deutschland ausgehenden antiserbischen Nationalismus der kroatischen und bosnischen Autonomisten, der wiederum von Rathfelder vehement unterstützt wurde, der auch den Militäreinsatz gegen Jugoslawien bis heute verteidigt.

Trotzdem ist die aktuelle Kontroverse bemerkenswert. Rathfelder betont die francofaschistischen Kontinuitäten im heutigen Spanien und will sie auch bei der Beurteilung der katalonischen Autonomieregierung gewürdigt wissen. Bernd Beier geht auf diese Kontinuitäten, die ja empirisch nicht geleugnet werden können, gar nicht ein. Denn für ihn ist entscheidend, dass sie heute von der katalonischen Autonomiebewegung instrumentalisiert wird.

Den ideologischen Schutt des Franco-Regimes entsorgen

Demgegenüber ist der Politologin Detlef Georgia Schulze[7] zuzustimmen[8], dass Postfrancismus kein Francismus ist. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Einfluss des Francismus heute in Spanien irrelevant wäre. Das zeigt sich schon bei der Frage Republik oder Monarchie.

Die spanische Bevölkerung hatte sich vor über 80 Jahren für die Republik entschieden und es war der Francofaschismus, der mit dem Putsch sowohl diese demokratische Abstimmung als auch die bürgerlich-demokratisch gewählte Linksregierung mit massiver Unterstützung von NS und Mussolini-Faschismus terroristisch unterdrückte. Es war ein Diktat des Franco-Regimes, dass am Übergang zur bürgerlichen Demokratie die Monarchie wieder eingeführt wurde. So könnte die Diskussion um die katalonische Autonomie dazu führen, dass sich in ganz Spanien die Kräfte wieder zusammenfinden, die sich für eine Republik stark machen.

Das wäre ein Beitrag dazu, die spanische Gesellschaft auf allen Ebenen von dem ideologischen und materiellen Schutt des Francismus zu befreien. Dazu gehört ganz praktisch die Schleifung sämtlicher Denkmäler, mit denen an die Figuren aus dieser Epoche erinnert wird, dazu gehört die Umbenennung aller Straßen und Plätze, die an sie erinnern. Dazu könnte in letzter Konsequenz auch die Auflösung der aktuellen Regierungspartei stehen, weil für eine Nachfolgepartei des Francoregimes kein Platz ist. Das müsste natürlich die Folge einer gesellschaftlichen Debatte und nicht eines autoritären Akts von oben sein.

Wem eine solche Forderung weltfremd klingt, sei daran erinnert, dass nicht nur in der Türkei durch die Justiz auch schon Regierungsparteien aufgelöst wurden. Auch in Belgien wurde der rechte Vlaams Block juristisch aufgelöst. Eine solche Perspektive kann eben nicht in einem Teilstaat wie Katalonien, sondern nur in ganz Spanien umgesetzt werden. Es wäre eine Alternative zu einer Unterstützung einer katalonischen Autonomieregierung und würde auch vermeiden, dass die neuen Nationalbewegungen zum Spielball des EU-Nationalismus würden. Vielmehr könnte es eine europäische Perspektive sein, die Kräfte zu unterstützen, die sich für die spanische Republik und die Entfrancoisierung stark machen. Und es wäre wünschenswert, wenn die Postfaschisten um Rajoy und sein Umfeld, die die katalonische Autonomiebewegung der Rebellion und des Aufstands anklagen, endlich für die faschistische Rebellion zu Verantwortung gezogen werden, mit der die demokratische Republik bis heute in Spanien verhindert wird.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Guerot-Menasse-Die-Katalanen-sind-Europaeer-die-Nationalisten-sitzen-in-Madrid-3879496.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=119524678
[2] http://dietz-verlag.de/isbn/9783801204792/Warum-Europa-eine-Republik-werden-muss-Eine-politische-Utopie-Ulrike-Guerot
[3] http://www.spiegel.de/spiegel/heinrich-august-winkler-ueber-robert-menasse-europas-falsche-freunde-a-1174045.html
[4] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-grenzen-fliessen
[5] http://www.taz.de/!5458606/
[6] http://jungle.world/artikel/2017/43/francos-wiedergaenger
[7] http://theoriealspraxis.blogsport.de/
[8] https://www.heise.de/tp/features/Katalonien-Emphatische-Demokratie-und-das-Gewicht-von-Verfassungen-3871045.html

Die Tragik des Rätekommunisten Willy Huhn

Auf der Suche nach Rosa Luxemburgs Erbe?

Buchbesprechung

Gester Jochen: Auf der Suche nach Rosas Erbe, Der deutsche Marxist Willy Huhn (1909 – 1970), Die Buchmacherei, Berlin 2017, 627 Seiten, ISBN 978-3- 00-056463-5, 22 Euro

„Mit Willy Huhn verlieren seine persönlichen und politischen Freunde einen guten Genossen, der als sozialistischer Theoreti ker, Pädagoge und Publizist eine wertvolle politische Arbeit ge- leistet hat. Willy verfügte über eine bemerkenswerte Denk- und Ausdruckskraft, die er mit starkem Willen und der Fähigkeit zu tiefen Empfindungen verband. Am meisten erstaunte sein en- zyklopädisches Wissen, das er sich autodidaktisch angeeignet hat.“ Diese Rede wurde von Westberliner Jungsozialisten am 24.2.1970 auf der Trauerfeier für Willy Huhn gehalten. Damit wurde ein Mann verabschiedet, der mit 61 Jahren nach langer schwerer Krankheit gestorben ist und in seinen letzten Jahren noch einmal Kontakt zur jungen Generation der sich gerade entwickelnden außerparlamen- tarischen Bewegung bekommen hat. Es zeugt von der Offenheit und Neugierde von Huhn, dass er einer sich gerade entwickeln- den Neuen Linken noch etwas von der Geschichte des Räte- kommunismus vermitteln konn- te, einer linken marxistischen Strömung jenseits von Nominalsozialismus und Sozialdemokra- tie. Huhn konnte noch die An- fänge der Dogmatisierung der Neuen Linken in verschiedene K-Gruppen wahrnehmen und davor warnen. Lange Zeit war Huhn nur Insidern bekannt. Jetzt hat Jochen Gester, der Gründer des Verlags „Die Buchmache- rei“, in langer Forschungsarbeit das Leben des Willy Huhn aufgearbeitet. Das vorzüglich lekto- rierte Buch gibt einen Überblick über das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der schon in frühester Jugend mit rätekommunistischen Gedankengut in Berührung kam. Der Kampf gegen die Zwillingsbrüder der stalinisti- schen und sozialdemokratischen Konterrevolution bestimmten sein politisches Leben, das ihn nicht vor verheerenden politischen Fehlschlüssen bewahrte. In einer biogra schen Skizze zeigt Gester wie der junge Huhn unter seinem tyrannischen Vater gelitten hat, der ihn mehrmals krankenhausreif schlug. Doch mehr noch litt Huhn darunter, dass sein Vater und später seine Schwester sein Tagebuch mit den Texten aus früher Jugend an sich nahmen und vernichteten. Huhn empfand das als Diebstahl seiner Kindheit. Er rebelliert in frühester Jugend gegen den autoritären Patriarchen, in dieser Zeit bezog er sich positiv auf den Anarchismus und erlebte den frühen Tod des Vaters als Befreiung. „Ich habe Prügel bekommen von 2-3 bis 18 Jahren. D.H. bis in die letzte Zeit, viel Prügel, Prügel über Prügel und noch mal Prügel“, schreibt Huhn als er die sozialistische Jugendbewegung entdeckt.


Willy Huhn: „Der Sozialismus – ich gehöre ihm“

Schnell kommt er in Kontakt mit Einzelpersonen, die jenseits der SPD und der KPD für eine räte- kommunistische Linie eintraten. Darunter auch SPD-Mitglieder am linken Rand, die vom Ausschluss bedroht waren. In der Linksabspaltung Sozialistische Arbeiter Partei (SAP) gehörte Huhn mit seiner kleinen Gruppe zum antiparlamentarischen Flügel. „Klassenkampf statt Wahlkampf“, hieß die Losung von Huhn und seinen FreundInnen. Dabei wird deutlich, dass sie, was die Hochhaltung der reinen Lehre betraf, ihren Kontra- hentInnen in nichts nachstanden. Noch wenige Monate vor Machtantritt des Nationalsozialismus stritten sich die unterschiedlichen Fraktionen der SAP über die richtige Linie im Umgang mit dieser Bewegung.

Für den deutschen Endsieg
Im NS-Staat versuchte die Gruppe zunächst zu überwintern, ein Teil ging in den Widerstand, mehrere seiner Freunde starben in Konzentrations- oder Vernichtungslagern. Huhn aber wurde 1941 zum Verfechter des deutschen Endsiegs. Gester fand diese Texte im Nachlass und es spricht für ihn, dass er sie ebenfalls in das Buch aufnahm. Wir lernen keinen Helden kennen, sondern einen Mann, der neben seiner treffenden Kritik an Nominalsozialismus und sozialdemokratischen Etatismus eben auch im Jahre 1941, als der NS- Regime Europa mit Terror überzog, diese Sätze schrieb: „Wir können uns jedenfalls keine Par- lamentarisierung Deutschlands noch die Balkanisierung Mitteleuropas wünschen, solange die übrige Welt imperialistisch ist. Deshalb muss Deutschland siegen“. Huhn war sich nicht nur sicher, dass Deutschland nicht geschlagen werden kann, sondern setzte noch hinzu: „Diese Überzeugung beruht gerade auf meinen kriegswirtschaftlichen Studien, und ich glaube von mir sagen zu können, dass ich heute von Kriegswirtschaft ebenso viel verstehe wie von der Geschichte“. Damit stellt er sich nun selber kein gutes Zeugnis über die Beurteilung seiner wissenschaftlichen Arbeiten aus. Nach 1945 äußerte er stellenweise Scham über seine NS-Apologie, sprach von Vereinsamung ohne den Kontakt mit GenossInnen. Nach einen kurzen Intermezzo in der Sowjetischen Besatzungszone, wo er in die KPD und dann in die SED eingetreten war, mit der autoritären Partei in Konflikt geriet, siedelte er nach Westberlin über, wo er sich zunächst in der SPD und nach seinem Ausschluss in verschiedenen linkssozialistischen Kleinstprojekten engagierte und sich dabei immer schnell auch mit den eigenen GenossInnen überwarf. Huhn hat viele Texte produziert, vie- le sind in dem Buch das erste Mal veröffentlicht. Nur ein Teil konnte im Wälzer Platz finden, der Rest ist im PDF-Format auf einer DVD zu nden, die dem Buch beiliegt. Es sind hellsich- tige Texte dabei über Politik, Wirtschaft und Kultur. Huhn wurde einer der frühen Kritiker der Atomkraft, nicht nur die Bombenproduktion sondern auch die sogenannte friedliche Nutzung lehnte er ab. Schon Ende der 1950er Jahre versucht er eine Anti-AKW-Initiative in Westberlin ins Leben zu rufen. Er lebte am Rande des Existenz- minimums und konnte Berlin nur sporadisch verlassen, weil er sich regelmäßig beim Arbeitsamt melden musste, um seine karge Unterstützung nicht zu verlieren.

In der Tradition des Nationalkommunismus
Huhns kritischer, noch heute aktueller Text zu Martin Luther ist eine Ausnahme. Ansonsten zieht sich durch seine Schriften ein brauner Faden, der davon zeugt, dass er sich mit der Kritik an Nationalismus und Antisemitis- mus kaum beschäftigt hat. Es wird deutlich, dass seine zeitweilige NS-Apologie kein Zufall ist. Später schreibt er mehrmals von Deutschland als eines „total besiegten Volkes“. Da war Huhn bestimmt nicht auf der Suche nach dem Erbe von Rosa Luxemburg, wie der Titel des Buches suggeriert. Die entschiedene Antinationalistin hätte sicher daran erinnert, dass die revolutionäre Arbeiterklasse in Deutschland schon im Frühjahr 1919 von den Freikorps im Bündnis mit der SPD besiegt wurde. Ein eigenes Kapitel widmet Gester Huhns Schriften zum Judentum und Zionismus, die man wirklich lieber nicht lesen möchte, wie der israelsolidarische Kommunist Jochen Bruhn in seiner Auseinandersetzung mit Huhn richtig bemerkte. Doch es ist wichtig, dass man sie jetzt lesen kann. Huhn ging sogar soweit, Mitglieder des Zentralrats der Juden mit Schriften gegen Israel und den Zionismus zu belästigen. Als sich die israelische Regierung Mitte der 1960er gegen den Aufstieg der NPD wehrte, schrieb Huhn: „Mit welchem Recht fordern denn die Israelis von der Bun- desrepublik eine Bekämpfung der NPD – die sowieso von allen politischen Parteien abgelehnt und angegriffen wird? … Die Israelis sollen erstmal vor ihrer eigenen Tür kehren, ehe sie sich in solche Angelegenheiten bei uns einmischen.“ Zuvor hatte er die israelischen Soldaten mit der SS verglichen. Bei solchen Tönen ist es auch nicht verwunderlich, dass Huhn auch zeitweise für ein Querfrontblättchen publizierte, das nationali- stische Linke ansprach und in anderen Artikeln die NPD lobte. Es ist aber falsch, wenn Bruhn wegen Huhns Nationalismus und Antisemitismus gleich seine gesamten rätekommunistischen Inhalte begraben will. Huhn be- zog sich in seiner letzten Schrift, die er 1968 verfasst hat, und an die APO gerichtet war, auf die nationalkommunistische Gruppe der frühen 1920er Jahre um Laufenberg und Wolffheim und propagierte dort: „Eine Linke, die nicht auch die berechtigten Interessen des deutschen Volkes nach außen hin vertritt, und gerade gegen die Siegermächte von 1945, wird niemals eine Mehrheit des deutschen Volkes hinter sich haben, die Situation ist heute noch übler als nach dem Versailler Ultimatum von 1919.“ Hier ist in jedem Wort ein deutschnationales Ressentiment zu nden und hier ist Huhn nicht auf der Suche nach Rosas Erbe, sondern auf der Su- che nach dem deutschen Nationalismus. So stehen wir vor den Schriften eines Mannes, der bei all den vielen erhellenden Texten über Sozialdemokratie und Stalinismus vom Nationalkommunismus nicht loskam. Das macht die eigentliche Tragik von Willy Huhn aus.

aus: graswurzelrevolution 423 november 2017
Peter Nowak