Stigmatisiert und entwertet

Kundgebung erinnert an Gewalt gegen Obdachlose. Zu Brandanschlägen ermittelt weiter die Polizei

Unter dem Motto „Stoppt die Hetze und Gewalt gegen Wohnungslose, Erwerbslose und Geringverdienende“ hatte die Initiative „Niemand ist vergessen“ am Samstag zu einer Kundgebung am S-Bahnhof Frankfurter Allee aufgerufen. Da- mit sollte an den Mordversuch an zwei wohnungslosen Männern erinnert werden, die vergangene Woche am S-Bahnhof Schöneweide von einem Unbekannten im Schlaf mit einer brennbaren Flüssigkeit begossen und angezündet wurden. Beide überlebten schwerverletzt. Etwa 40 Menschen nahmen an der Kundgebung teil.
„Wir haben die Kundgebung am S-Bahnhof Frankfurter Alllee gemacht, weil Angriffe gegen Obdach- und Wohnungslose an vielen Orten stattfinden“, begründete Julia Ziegler von der Organisationsgruppe die Ortswahl. Die Initiative gründete sich 2008 zum Gedenken an Dieter Eich, der am 23. Mai 2000 von Nazis in Berlin-Buch ermor- det wurde. Einer der Täter hatte später über sein Motiv gesagt: „Der musste weg, der war asozialer Dreck.“ Seitdem befasst sich die Initiative auch mit der Geschichte der Verfolgung von als asozial stigmatisierten Menschen im Nationalsozialismus, die nach 1945 nicht entschädigt und oft weiter verfolgt wurden.
Darüber, wie Obdach- und Wohnungslosen das Leben im Stadtraum erschwert wird, informierten während der Kundgebung Bilder und Texte an einer Infowand. So würden Bänke im öffentlichen Raum so gestaltet, dass es unmöglich ist, sich daraufzulegen. Mit dem Leitbild „Saubere Stadt“ werde oft die Vertreibung von Wohnungs- und Obdachlosen gerechtfertigt, kritisierte der Tübinger Publizist Lucius Teidelbaum, Autor des 2013 veröffentlichten Buches „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“, in einer Rede bei der Kundgebung. Teidelbaum betreibt den Blog Berberinfo, auf dem er Angriffe auf Wohnungs- und Obdachlose auflistet. Initiativensprecherin Ziegler forderte: „Armut darf nicht sanktioniert werden.“ Unterstützungsangebote sollten nicht an Bedingungen geknüpft und „Menschen als handelnde, selbstbestimmte Subjekte anerkannt werden, auch wenn sie keine Wohnung haben“.
Zu dem Anschlag vom vergangenen Montag in Schöneweide ermittelt die Polizei weiter. Zurzeit würden Videoaufnahmen ausgewertet, sagte eine Polizeisprecherin am Sonntag der taz. Bereits am Mittwoch konnte eines der Opfer befragt werden. Über seine Aussagen ist jedoch nichts bekannt. Der andere Mann liegt weiterhin im Koma.

montag, 30. juli 2018 taz

Peter Nowak

Wie die Armen und nicht die Armut bekämpft werden

Wohnungs- und Obdachlose sind den Angriffen besonders ausgeliefert

Hilfe für Wohnungs- und Obdachlose Menschen ist gerade in der kalten Jahreszeit dringend notwendig. Doch nicht überall sind alle Betroffenen willkommen. Der Verein Dresdener Bürger helfen Dresdner Obdachlosen e.V. hat nicht zufällig gleich zweimal den Namen der Stadt im Vereinsnamen. In der Satzung heißt es: „Der Verein Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V. unterstützt Dresdner Obdachlose und Bedürftige. Wenn Sie unsere Ziele als Mitglied oder Fördermitglied unterstützen möchten, dann sind Sie herzlich willkommen.“

Ein Reporter der Zeit wollte vom Vereinsgründer wissen, ob auch in Dresden lebende Flüchtlinge Unterstützung bekommen. Der gab darauf keine Antwort. Nach Recherchen der Zeit sind die Gründer des Vereins fest in der rechten Szene und bei Pegida verankert. Es ist nun nicht ungewöhnlich, dass Rechte die heimischen Wohnungs- und Obdachlosen für ihre Propaganda entdecken. Sie werden so gegen Migranten ausgespielt.

Da werden auf rechten Internetseiten schon mal Bilder von bettelnden Menschen gepostet und dann gefragt, warum für sie kein Geld da ist, das dann angeblich für die Fremden ausgegeben wird. Wie die Rechte erst dann Frauenrechte entdeckten, als es gegen die arabischen und afrikanischen Männer ging und sie sich als Kämpfer gegen den angeblich aus den arabischen Ländern exportierten Antisemitismus gerierten, so haben sie die Obdach- und Wohnungslosen erst entdeckt, als sie sie gegen Migranten ausspielen konnten.

Der Publizist und Autor Lucius Teidelbaum schätzt, dass das Interesse der Rechten an Wohnungs- und Obdachlosen bald wieder nachlässt. Er hat sich mit dem Hass auf Obdachlosen nicht nur in der rechten Szene befasst. „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“ lautet der Titel seines Buches zum Thema.

Sozialdarwinismus oder Spielart des Rassismus?

Der Begriff Sozialdarwinismus sorgte durchaus für Kontroversen bei einer Veranstaltung von Teidelbaum in Berlin. Anne Allex vom Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute lehnt den Begriff Sozialdarwinismus ab. Sie bezeichnet „Fremdenfeindlichkeit“, „Behindertenfeindlichkeit“ und Antisemitismus als Spielarten des Rassismus.

„Denn die zentrale Kategorie des Rassismus heißt ‚Minderwertigkeit‘, egal ob sie gegen Leute mit anderer Hautfarbe, Religion, Herkunft oder Arme und Wohnungslose gerichtet ist“, so Allex. Vor einigen Jahren hat ein antirassistisches Bündnis, das sich gegen die Propaganda von Thilo Sarrazin wandte, den Begriff Sozialchauvinismus verwendet. Er hat den Vorteil, dass er in letzter Instanz die kapitalistische Verwertungslogik in den Fokus der Kritik rückte. In der Selbstverständniserklärung des Bündnisses gegen Sozialchauvinismus hieß es:

Mit der globalen Krise sind Rassismus und Sozialchauvinismus in den politischen Alltag zurückgekehrt. Unter Druck geraten vor allem Erwerbslose, prekär Beschäftigte und Menschen, denen eine migrantische, insbesondere muslimische Identität zugeschrieben wird. Doch auch der Rest der Gesellschaft wird aufgemischt. Die Hetze gegen vermeintliche „Sozialschmarotzer_innen“ und „Integrationsverweiger_innen“ ebnet den Weg für eine umfassende Verschärfung kapitalistischer Standortpolitik.

Gründungsstatement der Bündnisses gegen Rassismus und Sozialchauvinismus (BgRS)

„Das war ja nur ein Penner“

Wohnungs- und Obdachlose sind den Angriffen besonders ausgeliefert, weil sie eben keine Tür hinter sich schließen können. Auf dem „Blog für Straße und Leben“ Berberinfo werden die Angriffe auf diese Menschen bis zum Mord dokumentiert. Dort sind auch die Zahlen der getöteten Obdach- und Wohnungslosen aufgeführt.

Einige bundesweit bekannt gewordene Morde an Obdachlosen, für welche Neonazis verantwortlich sind, werden dort auch aufgeführt. Es sei hier nur ein Fall herausgegriffen, an dem deutlich wird, wie nicht nur die Rechten, sondern auch die vielzitierte Mitte der Gesellschaft an der Diskriminierung von Wohnungs- und Obdachlosen beteiligt sind. Es geht um Günther Schwannecke. Über ihn heißt es im Berberinfo:

29.08.1992: Günter Schwannecke (58), ein zeitgenössischer Kunstmaler, wird am 29. August 1992 von einem Neonazi in Berlin-Charlottenburg erschlagen. Mit einem anderen Wohnungslosen, Hagen Knuth, saß er abends auf der Bank eines Spielplatzes an der Pestalozzi-/Fritschestraße. Die beiden Neonazis Norman Zühlke und Hendrik Jähn, damals in der rechtsextremen Szene aktiv, kamen hinzu, um ebenfalls dort sitzende Menschen mit Migrationshintergrund rassistisch zu beleidigen und zu vertreiben.

Günter Schwannecke und Hagen Knuth bewiesen Zivilcourage und mischten sich ein. Nachdem die ursprünglichen Opfer der beiden Angreifer flüchten konnten, richtete sich ihre Wut gegen die beiden Wohnungslosen. Zühlke schlug mit einem Alumium-Baseballschläger auf die beiden ein. Hagen K. wurde nach schwerem Hirntrauma im Krankenhaus gerettet, doch Günter Schwannecke starb am 5. September 1992 an den Folgen von Schädelbruch und Hirnblutungen. Der Täter, der nach eigener Aussage „seine Aggressionen abreagieren“ wollte, wird später wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Landgericht Berlin hob hervor, dass seine rassistische Gesinnung ursächlich für die Tat gewesen ist. Zühlke sei bei der Urteilsverkündung entsetzt gewesen, seine Skinheadfreunde kommentierten das Urteil aus dem ZuschauerInnenbereich: „Wieso? Der war doch nur ein Penner!““

Berberinfo

„Der war ja nur ein Penner!“ Diese Denke war auch der Grund, dass der Mann jahrelang vergessen war, obwohl er sterben musste, weil er Menschen mit Migrationshintergrund vor Neonaziangriffen verteidigte. Als der Geschäftsmann Dominik Brunner viele Jahre später in München an einem Herzinfarkt starb, nachdem er Jugendliche vor übergriffigen migrantischen Männern verteidigt hatte, wurde er bundesweit zum Helden erklärt und war sogar posthum als Träger des Bundesverdienstkreuz im Gespräch.

Dass Schwannecke schließlich doch noch einen Gedenkort auf dem Platz seiner Ermordung erhielt, ist einer zivilgesellschaftlichen Initiative zu verdanken. Die Berliner Obdachlosenhilfe, die explizit Menschen unabhängig von ihrer Herkunft unterstützt, hatte in Berlin-Moabit Probleme mit Bezirkspolitik und Anwohnern bekommen, weil sie auf einen zentralen Platz kostenlos Essen für wohnungslose Menschen verteilt hatte.

Obdachlosigkeit ist kein Verbrechen

Die Berliner Obdachlosenhilfe gehörte auch zu den wenigen Gruppen, die Mitte November eine Protestkundgebung gegen die vom Grünen Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel verantworteten Räumungen von wohnungslosen Menschen veranstalteten.

Dabei wird selten erwähnt, dass auch die von der Räumungen betroffenen Menschen mit einem Transparent protestierten. Auf diesem stand: „Obdachlosigkeit ist kein Verbrechen.“ Die Weddinger Ortsgruppe der Berliner Mietergemeinschaft stellte noch einmal den Zusammenhang zwischen der Politik und der wachsenden Obdach- und Wohnungslosigkeit her:

Wer heute zwangsgeräumt wird hat kaum Möglichkeiten aufgrund von Wohnungsnot und Mietenwahnsinn eine Ausweichwohnung zu finden. Das geschützte Marktsegment – der letzte Anker vor der Straße – liegt brach. Gleichzeitig erinnern uns die Armen der Öffentlichkeit daran, dass etwa auf den zahlreichen Baustellen dieser Stadt, Menschen zu Hungerlöhnen schuften müssen oder – wie im Fall der Mall of Shame – gar nicht bezahlt werden. Häufig bleibt den ausgebeuteten Arbeiter*innen nur die Platte oder ein Bett in der Kältenothilfe.

Weddinger Ortsgruppe der Berliner Mietergemeinschaft

Wie schnell dann vor allem Lohnabhängige von außerhalb Deutschlands zum Opfer werden können, zeigte sich vor wenigen Tagen in Berlin-Friedrichshain. In einem sehr belebten Tunnel starb am 5. Dezember ein Mann aus Polen. Sein Freund hat mit Blumen und Kerzen für eine kurze Zeit einen Gedenkort an der Stelle, an der er in den letzten Monaten lebte und im Berliner Winter starb, errichtet und mit einen Informationsblatt auch daran erinnert, wie schnell es gehen kann, in Berlin ganz unten und ganz draußen zu sein.

Der Mann kam aus Polen, arbeitete mehrere Jahre in Berlin als selbstständiger Handwerker, verschuldete sich und dann begann die Spirale von Armut, Verlust der Wohnung und schließlich das Sterben in der Öffentlichkeit. Als polnischer Staatsbürger konnte er von den deutschen Behörden keine Hilfe erwarten. Bei den rechten Vereinen, die sich plötzlich der Hilfe für Obdachlose verschrieben haben, wäre er ebenfalls nicht willkommen gewesen und Organisationen wie die Berliner Obdachlosenhilfe, die alle Menschen ohne Unterschied unterstützen, haben nicht genug Kapazitäten, um in ganz Berlin präsent zu sein.

Peter Nowak
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[20] https://www.morgenpost.de/bezirke/mitte/article212379627/Obdachlose-protestieren-gegen-Raeumung.html
[21] https://www.bmgev.de/beratung/beratungsstellen/bezirke/wedding.html

Die Armut und nicht die Armen bekämpfen

Als grüner Sheriff hatte sich der Bezirksbürgermeister von Mitte Stephan von Dassel in den letzten Wochen präsentiert. Vor allem gegen Obdachlose aus Osteuropa hat sich der Politiker in der letzten Zeit nicht nur verbal, sondern auch durch polizeiliche Räumungen positioniert. Dagegen protestieren am 14.11. um 17 Uhr zivilgesellschaftliche Gruppen vor von Dassels Amtssitz, dem Rathaus Mitte, mit einer Kundgebung. Organisiert wird sie vom Verein Berliner Obdachlose e.V., einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich gegen die Verdrängung von armen und wohnungslosen Menschen wendet und kostenloses Essen an öffentlichen Plätzen anbietet. Unter anderem am Hansaplatz in Moabit, was der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Isenberg überhaupt nicht gerne sah. Im Dezember 2016 sorgte ein Bericht auf MieterEcho online über eine von Isenberg moderierte Veranstaltung über „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“, die in zum populistischer Schlagabtausch gegen wohnungslose Menschen und ihre Unterstützer/innen wurde, bei Medien und Politiker/innen für Aufmerksamkeit.


Mehr Notübernachtungsplätze und bezahlbare Wohnungen

„Wir wollen gegen die Hetze gegen Obdachlose protestieren und fordern, dass die Armut und nicht die Armen bekämpft werden“, erklärte Frieder Krauß von der Berliner Obdachlosenhilfe gegenüber MieterEcho online. Zu den konkreten Forderungen gehört der Ausbau der  Notübernachtungsplätze im Rahmen der Kältehilfe in Berlin. Zudem müssten die Plätze so gestaltet sein, dass sich die Menschen dort wohlfühlen. Bisher haben manche Betroffene selbst im Winter eine Übernachtung im Freien einem Schlafplatz in einem Raum, in denen die Ratten rumlaufen, vorgezogen.

Auch wenn sich die Kundgebung besonders der Verdrängung von Obdachlosen im Bezirk Mitte richtet, wolle man die anderen Bezirke nicht aus der Verantwortung entlassen, betonte Krauß. Besonders in Neukölln werden immer mehr Menschen vor allem aus Osteuropa in die Obdachlosigkeit gedrängt. Aktuell ist eine Romafamilie von der Zwangsräumung aus einer Unterkunft bedroht, die von dem Verein Phione e.V. betrieben wird. Obwohl die Familie alle Vorgaben der Behörden erfüllt, droht sie die Leidtragende eines  Konflikts zwischen dem Verein, der mehr Miete will, dem Jobcenter und der Sozialen Wohnhilfe Tempelhof-Schöneberg zu werden. Das sind keine Einzelfälle. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Berlin machte am 14.11. auf die dramatische Zunahme der Menschen ohne Obdach aufmerksam und benannte die explodierenden Mietpreise in Ballungsräumen als Hauptgrund.  Da es in Deutschland keine offiziellen Statistiken über wohnungslose Menschen gibt, ist auch die Wohnungslosenhilfe  auf  Schätzungen angewiesen. Danach hatten im vergangenen Jahr ca. 86000 Menschen in Deutschland keine eigene Wohnung. Innerhalb von zwei Jahren sei deren Zahl um 150 Prozent gestiegen. Besonders davon betroffen sind Migrant/innen.

Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus

Zu den Unterstützer/innen der Kundgebung gehört auch die Bezirksgruppe Wedding der Berliner MieterGemeinschaft. Sie kämpft dagegen, dass Mieter/innen mit wenig Geld durch Zwangsräumungen in die Obdachlosigkeit gedrängt werden. Eine zentrale Forderung ist daher auch der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus  für Menschen mit wenig Geld, unabhängig von ihrer Herkunft. Darum wird es auf einer Veranstaltung unter dem Titel „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“ gehen, die die Weddinger Bezirksgruppe der MieterGemeinschaft gemeinsam mit der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) am 15.12. um 19 Uhr im FAU-Lokal in der Grünthaler Straße 24 organisiert. Neben Aktiven aus der Berliner Obdachlosenhilfe wird doch auch der Historiker und Betreiber des Blogs „Berberinfo – Blog für Straße und Leben“ Lucius Teidelbaum über die Geschichte und die Gegenwart des Hasses gegen Obdachlose sprechen.

https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/vertreibung-von-obdachlosen.html

MieterEcho online 14.11.2017
Peter Nowak