Aktivisten demonstrieren rund um den 18. März für Antifaschisten, die sich in Haft befinden

Politische Gefangene gibt es auch im Westen

In Berlin protestiert am Donnerstag ab 18 Uhr ein linkes Bündnis mit einer Musikkundgebung vor dem Spanischen Kulturinstitut Cervantes gegen die Verhaftung des Rappers Pablo Hasel. Er wurde kürzlich wegen seiner kritischen Texte in Spanien verhaftet. Die Behörden werfen ihm Majestätsbeleidigung und Verherrlichung des »Terrorismus« vor. In vielen Städten finden zudem Kundgebungen und kleinere Demonstrationen statt, um gegen politische Repressionen zu protestieren.

Nach Einschätzung von nahezu allen Spitzenpolitiker*innen der Europäischen Union gibt es politische Häftlinge nur außerhalb ihres Staatenverbunds und der westlichen Welt. Aktivist*innen widersprechen ihnen. Anlass hierfür ist am 18. März der alljährlich begangene »Tag der politischen Gefangenen«. In Berlin protestiert am Donnerstag ab 18 Uhr ein linkes Bündnis mit einer Musikkundgebung vor dem Spanischen Kulturinstitut Cervantes gegen die Verhaftung des Rappers Pablo Hasel. Er wurde kürzlich wegen seiner kritischen Texte in Spanien verhaftet. Die Behörden werfen ihm Majestätsbeleidigung und Verherrlichung des »Terrorismus« vor. In vielen Städten finden zudem …

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Pakete von der Volksgemeinschaft

In Erfurt dominieren Neonazis ganze Stadtteile. Ein Sozialarbeiter, der das nicht hinnahm, wurde schikaniert, bis er psychisch erkrankte, und schließlich entlassen

Schulsozialarbeiter und dem freien Träger der Jugendhilfe »Perspektiv e. V.«. Der Sozialarbeiter, dessen Name der Redaktion bekannt ist, war nach einer längeren Krankschreibung entlassen worden. Zuvor hatte er sich dezidiert für Jugendliche eingesetzt, die von Rechtsextremen gemobbt wurden. Ihn selbst haben Neonazis mit einem Gasspray angegriffen. Kunstinstallationen, die er gemeinsam mit Jugendlichen erstellt hatte, haben die Rechtsextremen zerstört.

Über diese Vorfälle informierte der Sozialarbeiter regelmäßig seinen Arbeitgeber, den Verein »Perspektiv«. Doch von dem fühlte er sich nicht unterstützt. Ihm sei zu verstehen gegeben worden, dass er selbst schuld sei, wenn er von Nazis angegriffen werde. Nun will er gemeinsam mit der Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion« (FAU) erreichen, dass seine längere Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird. Er reichte Klage gegen seine Krankenkasse ein, nachdem diese seine Forderung abgelehnt hatte. Für Konstantin Behrens von der FAU in Jena ist der Ausgang der Klage nicht nur für den Einzelfall von Bedeutung. »In sozialen Berufen ist die Belastung zumeist nicht körperlicher, sondern psychischer und emotionaler Natur. Diese Belastung führt zu psychischen Krankheiten, die als solche aber oft nicht anerkannt, sondern belächelt werden«, sagte Behrens der Jungle World. Mit den Folgen würden die Sozialarbeiter allein gelassen. »Perspektiv e. V.« äußerte sich trotz mehrmaliger Nachfrage bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe zu den Vorwürfen nicht.

Die zivilgesellschaftlichen Initiativen »Mobile Beratung in Thüringen« (Mobit) und »Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt« (Ezra) haben sich mit den zahlreichen rechtsextremen Angriffen an der Erfurter »Gemeinschaftsschule am Großen Herrenberg« (GEM4) auseinandergesetzt, an der der gekündigte Sozialarbeiter tätig war. »Die Betroffenen beschreiben den Alltag an der GEM4 als einen rassistischen ›Normalzustand‹: Beschimpfungen, neonazistische Parolen und Schmierereien oder tätliche Angriffe (zum Beispiel Herunterreißen des Kopftuchs oder Tritte und Schläge)«, heißt es in einem von Ezra und Mobit verfassten Dossier, das der Jungle World vorliegt. Darin wird die neonazistische »Volksgemeinschaft Erfurt e. V.«, die im Stadtteil Herrenberg ansässig ist, als ein Urheber der Angriffe benannt. Ihre Gründer stammen aus Kameradschaften und hatten teilweise Funktionen in der NPD und der Partei »Die Rechte« inne.

Auf der Website des im August 2015 gegründeten Vereins werden »Freizeitaktivitäten für Jung und Alt« angeboten. Das Angebot reicht vom Dartautomaten über den Fitnessraum bis zum Paketshop. »Sollte Ihr GLS-Bote Sie nicht zu Hause antreffen, können Sie Ihr Paket in unserem Objekt der Volksgemeinschaft abholen«, heißt es auf der Website. Das erklärte Ziel, eine rechte Dominanz im Stadtteil durchzusetzen, scheint erreicht. Jugendliche werden in ihrer rassistischen Einstellung bestätigt und mit Aufklebern versorgt, die sie an Schulen und in Jugendeinrichtungen anbringen. Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, werden gemobbt, gedemütigt und körperlich angegriffen. »Einige der Rädelsführer der rechten Gewalt haben bestätigt, dass sie regelmäßig zu den Treffen der ›Volksgemeinschaft‹ gehen«, berichtete der gekündigte Sozialarbeiter gegenüber der Jungle World. Zudem hat die »Volksgemeinschaft« ihn in einem Brief heftig angegriffen. Er sieht in der mangelnden Unterstützung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber ein Signal gegen Beschäftigte, die sich in ihrer Arbeit entschieden gegen Rechtsextremismus wenden. Nach dem Ende seines arbeitsrechtlichen Konflikts will er sich in der FAU engagieren. Demnächst ist dort ein Vernetzungstreffen kritischer Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter geplant. »Wenn sich mehr Kollegen ähnlich äußern, könnte das zu einer Änderung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte der sozialen Arbeit führen«, hofft der FAU-Sprecher Behrens.

https://jungle.world/artikel/2017/45/pakete-von-der-volksgemeinschaft

Peter Nowak

Streik im Labor

An einem Labor des Instituts für Soziologie der Universität Jena streiken studentische Beschäftigte. Sie fordern Arbeitsverträge statt der bisher üblichen Werkverträge.

Das Comeback der Gewerkschaften – so heißt ein zentrales Thema der Sozio­logen Klaus Dörre und Stefan Schmalz. Die beiden lehren am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit einigen Wochen wird dort nicht mehr nur theoretisch über gewerkschaftliche Erneuerung diskutiert. Mitte Juni begannen studentische Beschäftigte des von dem Institut betriebenen Labors für Computer-Assisted Telephone Interviewing, kurz CATI-Labor, einen Arbeitskampf. In dem Labor werden telefonische Umfragen und Interviews durchgeführt – für universitäre Zwecke, aber auch für Firmen und politische Akteure. »Viele der am Institut durchgeführten Projekte greifen hierauf zurück, aber auch externen Nutzern wird diese Dienstleistung zur Verfügung gestellt«, heißt es auf der Homepage des CATI-Labors.

Katharina Leipold* hat bisher nur an universitätsinternen sozialwissenschaftlichen Umfragen mitgearbeitet. Vergütet wurde das mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro. Urlaubsgeld und andere Zusatzleistungen sind für sie nicht vorgesehen. Denn alle Beschäf­tigten sind beim CATI-Labor lediglich über Werkverträge angestellt. »Wir fordern Arbeitsverträge anstatt der Werkverträge und damit die Umsetzung geltender Arbeitsgesetze und der Bildschirmarbeitsverordnung«, sagt Leipold. »Außerdem verlangen wir eine am ­Tarifvertrag orientierte Vergütung von 13 Euro und die zuverlässige, zeitnahe Überweisung der Löhne«, so die Studentin. In der Vergangenheit mussten die Beschäftigten manchmal mehrere Wochen auf die Überweisung der Löhne warten. Unterstützt wird der Arbeitskampf von der Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion« (FAU), an die sich die Beschäftigten gewandt hatten. »Werkverträge zwingen die Beschäftigten in die Scheinselbständigkeit und unterwandern den Tarif­vertrag der Länder sowie grundlegende arbeitsrechtliche Mindeststandards«, begründet ein Mitglied der FAU die Ablehnung der bisherigen Arbeitsbe­dingungen im CATI-Labor. Eigentlich müsste er mit dieser Argumentation in einem Institut mit gewerkschaftsnahen Wissenschaftlern auf offene Ohren stoßen.

Doch auf einer institutsinternen Sitzung habe sich Dörre sehr ablehnend zu dem Arbeitskampf geäußert, sagte ein FAU-Mitglied. Anfragen der Jungle World an den Soziologieprofessor blieben unbeantwortet. »Das Institut für Soziologie der Universität Jena ist deutschlandweit bekannt für seine enorme akademische Produktivität und gewerkschaftsnahe Forschungsausrichtung. Umso mehr erstaunt es, dass das Institut im CATI-Labor die gewerkschaftlich erkämpften Errungenschaften unterläuft«, heißt es in einer Pressemitteilung der FAU.

Der Landesausschuss der Studentinnen und Studenten (LASS) in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Thüringen begrüßte den Streik: »Endlich haben sich nach dem ›HiWi-Streik‹ in der Soziologie im Jahr 2013 wieder Strukturen gebildet und vernetzt, die die Ausnutzung von Studierenden als billige Arbeitskräfte thematisieren und konkrete und berechtigte Forderungen vorbringen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern«, sagte die LASS-Sprecherin Cindy Salzwedel mit Verweis auf einen Arbeitskampf der studentischen Hilfskräfte vor drei Jahren. Auch die Gefangenengewerkschaft der JVA Untermaßfeld und die sich in Gründung befindliche Hochschulgewerkschaft »Unterbau« (Jungle World 17/2016) solidarisierten sich mit den Jenenser Studierenden und ihren Forderungen.

Mittlerweile scheint auch das universitäre Rechtsamt Zweifel zu hegen, ob die Praxis der Werkverträge juristisch haltbar ist. So berichteten Teilnehmer einer Institutssitzung, die nicht ­namentlich genannt werden wollen, dass dort ein Gutachten der Rechts­abteilung der Universität verlesen worden sei, in dem die Rechtsauffassung der FAU bestätigt wird, wonach die Arbeitsbedingungen im CATI-Labor im Wesentlichen denen eines Arbeitsverhältnisses und nicht der Selbständigkeit entsprechen, die für Werkverträge Voraussetzung ist.

* Name von der Redaktion geändert.

http://jungle-world.com/artikel/2016/27/54407.html

Peter Nowak