Kein Recht auf Platz

Die Privatisierung des öffentlichen Raums schränkt die Grundrechte ein. Auch die Mieterbewegung ist davon betroffen.

Der Leopoldplatz im Berliner Stadtteil Wedding wird täglich von vielen Menschen überquert und die meisten von ihnen dürften ihn als öffentlichen Platz wahrnehmen. Kaum jemand weiß, dass auf Teilen des Platzes die Grundrechte nur eingeschränkt gelten. Erst seit die Initiative »Hände weg vom Wedding«, in der sich Weddinger Mieter und Stadtteilaktivisten zusammengeschlossen haben, dort Anfang August eine Videokundgebung mit dem Film »Mietrebellen« veranstalten wollten, wurde deutlich, dass der Platz gar nicht so öffentlich ist. Seit 2006 gehört ein Teil des Leopoldplatzes der evangelischen Nazareth-Kirchengemeinde, die eine Genehmigung der Kundgebung ablehnte. Auf dem Platz müsse politische Neutralität herrschen, lautete die Begründung des Vorsitzenden der Kirchengemeinde, Sebastian Bergmann.

Das Berliner Amtsgericht schloss sich dieser Sichtweise an und wies eine einstweilige Verfügung gegen das Platzverbot mit der Begründung zurück, die Kirchengemeinde sei »nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden«. Denn bei ihr handele es sich nicht um »eine staatliche Organisation oder ein Unternehmen, das mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht«. Deshalb finde in diesem Fall auch das Fraport-Urteil aus dem Jahr 2005 keine Anwendung. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, dass auch auf einem Flughafen Proteste gegen die Abschiebung von Flüchtlingen möglich sein müssen.

Der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle, der die Weddinger Stadtteiliniative juristisch vertrat, hat für die Entscheidung des Amtsgerichts kein Verständnis und hält sie für rechtsfehlerhaft. Im Gespräch mit der Jungle Word kritisierte er, dass das Amtsgericht einen Widerspruch verunmöglicht habe, weil es die Entscheidung nicht per Fax, sondern per Post versandt habe. Aus zeitlichen Gründen seien weitere rechtliche Schritte so nicht mehr möglich gewesen. Für Stolle hat das Gericht damit einen Rechtsschutz vereitelt. Das Platzverbot hatte trotzdem keinen Bestand, weil ein großer Teil der Teilnehmer der Kundgebung auf dem Leopoldplatz die Trennlinie zum kirchlichen Teil des Platzes souverän ignorierte.

Bereits Mitte der neunziger Jahre machten künstlerische Initiativen und Stadtteilaktivisten mit Innenstadtaktionstagen auf die Konsequenzen einer Privatisierung öffentlicher Plätze aufmerksam. Schon damals wurde gewarnt, dass mitten in der Stadt Orte entstehen könnten, auf denen politische Meinungsäußerungen nicht mehr möglich und Menschen mit wenig Einkommen unerwünscht sind. Solche Aktionstage in Innenstädten gibt es nicht mehr, die Probleme, die bei ihnen angesprochen wurden, allerdings schon.

Vor allem in aufgewerteten Stadtteilen entzünden sich schnell Diskussionen über Trinker, die auf öffentlichen Plätzen zum Ärgernis werden. Betroffene der Debatte sind oft Menschen, die sich ihr Bier günstig im Spätkauf oder Discounter holen und auf einem öffentlichen Platz konsumieren wollen. Menschen, die es sich leisten können und wollen, alkoholische Getränke in einem der Restaurants zu verzehren, werden hingegen als begehrte Konsumenten umworben.

Eine Bewegung, die ein Recht auf Stadt fordert und ihren postulierten Anspruch ernst nimmt, sollte die Fragen, die damals die Organisatoren der Innenstadtaktionstage aufgeworfen haben, wieder aufgreifen. Eine Schwäche der Debatte um Stadtpolitik vor über 20 Jahren war allerdings die weitgehende Ausblendung der Eigentumsfrage. Man konzentrierte sich vor allem auf die Nutzung öffentlicher Plätze. Doch nicht nur die Auseinandersetzung um die Nutzung des Leopoldplatzes macht deutlich, dass die Frage des Eigentums mittlerweile eine zentrale Rolle spielt. Für den Münchner Publizisten Claus Schreer, der das Buch »Das Geschäft mit der Wohnung – Bodenspekulation und Stadtentwicklung im Kapitalismus« herausgegeben hat, ist die Frage nach den Eigentumsverhältnissen auch zentral für eine Mieterbewegung. »Einen wirklichen sozialen Wohnungsbau, der mit der Garantie dauerhaft preiswerter Mieten einhergeht, kann es überhaupt nur unter völliger Ausschaltung von Kapital- und Bankprofiten geben«, schreibt er.

http://jungle-world.com/artikel/2014/35/50479.html

Peter Nowak

Wenn auf privatisierten Plätzen die Grundrechte nicht mehr gelten

Kampf für Mieterrechte und gegen Privatisierung von öffentlichem Raum im Wedding

„Organisiert Mieterinitiativen. Lernt Eure Nachbaren kennen.  Nutzt öffentliche Plätze für Eure Treffen“.   Diese Aufforderung richtete eine Rednerin der StadtteiIinitiative   „Hände weg vom Wedding“  an ca. 250 Menschen, die sich dort am Donnerstagabend auf dem Leopoldplatz   zu Open-Air Aufführung des  Films „Mietrebellen“ von Gertrude Schulte Westenberg und Matthias Coers versammelt hatten.
Er zeigt die Vielfalt der Berliner  Mieterkämpfe von den Protesten der Senioren der Stillen Straße und der Palisadenpanther bis zu der Bewegung gegen Zwangsräumungen.  Daran knüpften Rednerinnen des Weddinger Bündnisses,  in dem sich MieterInnen und StadtteilaktivistInnen zusammengeschlossen haben, mit aktuellen Beispielen aus dem Stadtteil an. Sie erinnerten daran, dass im Juni  Tina S. aus ihrer Wohnung in der Weddinger Buttmannstraße 18, in der sie über 30 Jahre gewohnt hat,  zwangsgeräumt wurde.  Eine Erwerbslosenaktivistin berichtet, dass die Mieten auch im Wedding  oftmals über den Satz liegen, den das Jobcenter Hartz IV-EmpfängerInnen zubilligt.  Für sie bleibt dann nur die Alternative, den Rest der Miete von ihren kargen Einkünften zu bestreiten oder wegzuziehen.
Bereits  2010 trafen sich MieterInnen zu mehreren  Veranstaltungen,  um über die aktuellen Aufwertungsentwicklungen im Stadtteil zu analysieren und Gegenstrategien zu entwickeln (siehe MieterEcho 541/Juni 2010).   Seit letztem Jahr veranstaltet die Initiative „Hände weg vom Wedding“ regelmäßig Kundgebungen auf öffentlichen Plätzen und  vor Jobcentern, um auf  die  Verarmungsprozesse und die drohende Verdrängung  einkommensschwacher Menschen im Stadtteil aufmerksam zu machen.

Wenn die Grundrechte nicht mehr gelten

Der  Teil des Leopoldplatzes, der seit 2006 im Eigentum  der Nazareth-Kirchgemeinde ist,  sollte für die MieterInnenkundgebung  zur Verfügung stehen.    Der  Vorsitzende  des Gemeindekirchenrates  Sebastian Bergmann erklärte, man müsse die politische Neutralität achten. Davon  war er  auch nicht durch den Offenen Brief der beiden Regisseure des Films „Mietrebellen“  abzubringen, in dem sie fragten, ob „eine evangelische Gemeinde ihrem Anspruch nach, als Ort der Armen und Verdrängten, ihre Tore nicht öffnen müsste, statt sie für diese öffentliche Filmaufführung zu schließen.“   Unterstützung bekam die Kirchengemeinde durch das Berliner Amtsgericht. Es lehnte eine Einstweilige Verfügung gegen das Platzverbot mit der Begründung ab, dass  die Kirchengemeinde  „nicht unmittelbar an die  Grundrechte gebunden“ sei. Denn bei ihr handele es nicht um  „eine staatliche Organisation oder ein Unternehmen, das mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht.“   Mit dieser Begründung bekommen aber private Organisationen eine Handhabe, demokratische Grundrechte wie  Demonstrations- und Versammlungsfreiheit z außer Kraft zu setzen. Vor einer solchen Entwicklung hatten  KritikerInnen der neoliberalen Stadtentwicklung in den 90er Jahren mit  Innenstadtaktionstagen gewarnt.   Die Weddinger Initiative hat nun den Kampf um den öffentlichen Raum und die Interessen der MieterInnen zusammengeführt, in dem sie  den Platz für einige Stunden in Besitz genommen  und über  den MieterInnenwiderstand zu diskutieren.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/mietrebellen-evangelische-kirche.html

MieterEcho online 08.08.2014

Peter Nowak

Mietrebellen vor Kirche unerwünscht

Es sollte eine Premiere werden. Am heutigen Donnerstag wollte die Initiative »Hände weg vom Wedding« ab 19 Uhr den Film »Mietrebellen« erstmals unter freiem Himmel zeigen. Die Dokumentation über die Mieterbewegung in Berlin läuft derzeit recht erfolgreich in den Kinos. Auch der Auftritt eines Hip-Hop-Musikers war geplant.

Doch aus dem Vorhaben wird wohl nichts. »Aus Gründen der politischen Neutralität darf die Veranstaltung auf dem Platz nicht stattfinden«, erklärt Sebastian Bergmann von der Nazareth-Kirchengemeinde. Die Kirche ist zuständig, weil ein Teil des Leopoldplatzes 2006 in ihr Eigentum überging.

»Ein öffentlicher Platz wird privatisiert, und dann soll dort das Demonstrationsrecht nicht mehr gelten«, kritisiert Anna Dorn von »Hände weg vom Wedding«. Die Stadtteilinitiative will nun mit einer einstweiligen Verfügung die Kundgebung doch noch kurzfristig durchsetzen. Dorn verweist in diesem Zusammenhang auf das »Fraport-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts von 2011. Die Karlsruher Richter erklärten damals, dass auch privatisierte Orte wie Flughäfen, Bahnhöfe oder Malls öffentliche Foren seien, in denen eine unmittelbare Grundrechtsbindung gelte, so dass Demonstrationen nicht ohne Weiteres verboten werden können. In einem Brief an die Kirchengemeinde forderten unterdessen auch die Regisseure von »Mietrebellen«, das Verbot aufzuheben.

Anwohner berichten unterdessen, dass seit der Privatisierung einiges anders sei auf dem Leopoldplatz: So seien einkommensschwache Menschen dort generell nicht mehr erwünscht – auch dagegen soll protestiert werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/941626.mietrebellen-vor-kirche-unerwuenscht.html

Peter Nowak

Wohnen statt Zitronen

Der Wohnraum für Menschen mit niedrigen Einkünften wird überall in Deutschland knapper. Eine Berliner Initiative hat deshalb ein Konzept für einen neuen so­zialen Wohnungsbau ausgearbeitet.

Deutschland rückt zusammen – so könnte man das Ergebnis einer Studie über das Wohnungsangebot für einkommensarme Familien zusammenfassen, die die Sozialwissenschaftler Timo Heyn, Reiner Braun und Jan Grade kürzlich im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten. Gestützt auf eine Untersuchung in den 100 einwohnerreichsten Städten Deutschlands kommen die Wissenschaftler zu dem Resultat, dass immer mehr Menschen wegen niedriger Einkommen und zu hoher Mieten gezwungen sind, in kleineren Wohnungen zu leben.

»Rückzug aufs Hochbett« betitelte die Taz einen Bericht über die Studie. Diese machte auch deutlich, wie wenig die statistischen Daten über die Lebenswirklichkeit vieler Menschen aussagen. Im Durchschnitt stehen in Deutschland pro Person 42,7 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Doch in diesen Angaben bleibt die soziale Ungleichheit unberücksichtigt. Während Menschen mit hohen Einkommen in großzügigen Lofts häufig eine Wohnfläche in dreistelliger Quadratmeterzahl nutzen, sind immer mehr Menschen mit niedrigen Löhnen und Einkommen zum Zwangskuscheln gezwungen.

In Großstädten wie Berlin ist schon längst offensichtlich, dass der derzeitige Wohnungsbestand nicht mehr ausreicht. Doch welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist auch bei Gruppen umstritten, die sich gegen Räumungen und für erschwingliche Mietwohnungen engagieren. Das wurde jüngst anlässlich des erfolgreichen Volksbegehrens »100 % Tempelhof« deutlich. Während die Senatspläne zur Umgestaltung des ehemaligen Flug­hafen­areals weitgehend auf Ablehnung stießen, setzten sich nur wenige aus der außerparlamentarischen Linken mit den Forderungen nach einer weitgehend naturbelassenen Fläche kritisch auseinander.

Der Wirtschaftswissenschafter Birger Scholz war eine Ausnahme. »Sonderlich fortschrittlich war die deutsche Romantik nie. Größenteils war sie reaktionär und auf jeden Fall ziemlich apolitisch und eskapistisch. Als die Industrialisierung die feudalen Verhältnisse hinwegfegte, träumten sich die Romantiker an ferne Sehnsuchtsorte, dorthin, wo die Zitronen blühen. Im Jahr 2014 blühen in Berlin die Zitronen auf dem Tempelhofer Feld«, schrieb er in der Sozialistischen Zeitung. Sein Wunsch, das große Bündnis zur Verhinderung des Baus neuer Wohnungen aus »Piraten, Linkspartei, Grünen, Linksradikalen und neuroman­tischen Mittelschichten« möge beim Volksbegehren eine Niederlage davontragen, hat sich bekanntlich nicht erfüllt. Scholz gehört nun mit Gewerkschaftern, Sozialaktivisten, Mitarbeitern der Berliner Mietergemeinschaft und Wissenschaftlern zu den Erstunterzeichnern der Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW), die ein Konzept für einen kommunalen Wohnungsbau erarbeitet hat, der vollständig aus öffentlichen Geldern finanziert werden soll. Ziel ist der Bau neuer Wohnungen mit erschwinglichem Mietpreis durch die Schaffung von öffent­lichem Eigentum.

»Im Gegensatz zu den Konzepten des Senats wollen wir keine Subventionen für private Eigentümer, damit die Miete für eine begrenzte Zeit erträglich bleibt. Darüber hinaus schlagen wir einen Umbau der Wohnungsbaugesellschaften vor, von der bisherigen privatrechtlichen Form hin zu Anstalten öffentlichen Rechts, damit sie nicht profitorientiert, sondern gemeinwohlorientiert arbeiten«, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher der INKW, der Jungle World. Die Beteiligung privater Unternehmen soll nach diesem Konzept ausgeschlossen sein. Das ist für Taheri auch eine Konsequenz aus dem Westberliner Korruptionssumpf der siebziger und achtziger Jahre, der den sozialen Wohnungsbau lange diskreditiert hat. »Die Korruption und die Misswirtschaft im sozialen Wohnungsbau wurde durch die Vermischung öffentlicher und privater Unternehmen erleichtert«, so der INKW-Sprecher, der die basisdemokratischen Elemente seines Konzepts betont. »Wir möchten eine starke Stellung und Mitbestimmung der Mieter in den Aufsichtsgremien der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Nur die Kontrolle durch die Betroffenen kann Korruption verhindern«, erklärt Taheri optimistisch.

Er betont auch, dass das Konzept keine Rückkehr zum Plattenbau der sechziger und siebziger Jahre bedeute. Der damalige soziale Wohnungsbau sei vor allem durch den Bau von Großsiedlungen für eine Gesellschaft bestimmt gewesen, in der Normalarbeitsverhältnisse in der fordistischen Massenproduktion vorherrschten. »Diese Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Wir wollen Wohnungen, die den heutigen Bedürfnissen Rechnung tragen: Gebäude mit unterschiedlich großen Einheiten, umbaufähige Wohnungen, Einheiten für die verschiedenen Generationen, Bauabschnitte, die sich in die vorhandenen Stadtstrukturen einfügen«, sagt Taheri.

Auch der Regisseur des zurzeit in vielen Kinos gezeigten Films »Mietrebellen«, Matthias Coers, gehört zu den Erstunterzeichnern der INKW-Initiative. Für seine Unterstützung war entscheidend, dass bei der architektonischen Gestaltung der Neubauten den individuellen Bedürfnissen der Menschen Rechnung getragen werden soll. Dass Teile der stadt- und mieterpolitischen Gruppen den Neubau von Wohnungen mit dem Argument ablehnen, es müsse eine Bevölkerungsverdichtung verhindert werden, hält Coers für kurzsichtig. Er hofft, dass das Konzept der INKW hier eine Debatte anregt, die den Wohnungsneubau und den Erhalt bestehender Bauten verbindet.

Das ist auch das Ziel des Stadtsoziologen Andrej Holm, der das Konzept ebenfalls unterstützt. »Ob die neue Initiative einen Beitrag zur Stärkung der Mieterbewegung leisten kann, wird wesentlich davon abhängen, ob es den Initiatoren gelingt, die auch in den Protestbewegungen diskutierte Gegenüberstellung von Neubau und Bestand zu überwinden. So schön eine Vorstellung eines starken und sozialisierten öffentlichen Wohnungsbaus auch ist, ohne wirksame Strategien, die Mietsteigerungen auch im Bestand aufzuhalten, wird er keine Wirkung entfalten«, sagt Holm der Jungle World.

Von den im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien unterstützt bisher nur die Piratenpartei das Konzept. Von der Linkspartei, die sich in der Opposition wieder an manche sozialpolitischen Inhalte erinnert, die sie als Teil der Regierung vergessen hatte, hätte sich Taheri zumindest eine Reaktion auf das Konzept erwartet. Schließlich seien alle Oppositionsparteien angeschrieben worden. Die für den Wohnungsbau zuständige Abgeordnete der Linkspartei, Kathrin Lompscher, sagte dagegen, es habe vor der Veröffentlichung des Aufrufs keine Kontaktaufnahme der INKW mit ihrer Partei gegeben. Bei der Problemanalyse und den Zielen sei man sich in vielem einig, aber es gebe keine vollständige Übereinstimmung zwischen den Auffassungen ihrer Partei und dem ­INKW-Konzept. Über eine Unterstützung werde in den Gremien der Partei zurzeit diskutiert.

http://jungle-world.com/artikel/2014/26/50106.html

Peter Nowak

„Mietrebellen“

Je besser es dem Standort Deutschland geht, desto mehr wächst die Armut

»Mietrebellen« im Kino

Gespräch mit Regisseur Matthias Coers

Heute um 18.30 Uhr hat im Kino Moviemento der Dokumentarfilm »Mietrebellen« Premiere, der die Berliner Mieterkämpfe der letzten beiden Jahren zeigt. Mit Regisseur Matthias Coers sprach Peter Nowak.

nd: Wie entstand das Konzept für den Film?
Coers: : Ich habe bereits seit Jahren Videoclips zu sozialpolitischen Themen gedreht. Meine Co-Regisseurin Gertrud Schulte Westenberg hatte bereits einen Film zur Hartz IV- und zur »Mietenproblematik gedreht. Wir haben uns bei der Videoarbeit kennengelernt.

Wir haben Ihr es geschafft, die Mietenrebellen vor die Kamera zu bekommen?
Anfangs gab es schon Zurückhaltung. Schließlich will niemand gerne in einer Notlage gezeigt werden, besonders, wenn er seine Wohnung verlieren soll. Doch gerade die aktiven Menschen haben uns auch vertraut und unsere positive Grundhaltung zu ihren Anliegen gespürt. So konnten wir eine Nähe herstellen, ohne die der Film nicht möglich gewesen wäre.

Der Film beginnt mit dem Tod der Rentnerin Rosemarie Fließ zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung. Hat dies die Konzeption des Films beeinflusst?
Der Tod der Rentnerin hat nicht die Grundstruktur, aber die Dramaturgie des Films verändert. Unsere Grundidee war zunächst, die unterschiedlichsten Menschen zu zeigen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren. Dieses Konzept war durch den Tod von Rosemarie Fließ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir setzten die Beerdigung an den Anfang. Es ist ein extremes Ereignis. So wie die meisten Zwangsräumungen ohne öffentliche Aufmerksamkeit über die Bühne gehen, werden auch Krankheit und Tod nach dem Verlust der Wohnung in der Regel nicht wahrgenommen.

Warum sind auf dem Ankündigungsplakat einige der Mietrebellen abgebildet?
Wir wollten ihre Unterschiedlichkeit zeigen. Die migrantische Rentnerin ist ebenso betroffen wie der autonome Fahrradkurier. Damit wollten wir der Vorstellung entgegentreten, Menschen, die ihre Wohnung verlieren, kommen mit den finanziellen Realitäten nicht zu recht. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf Immobilienmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen bis hin zur Mittelschicht.

Haben Sie die Hoffnung, dass der Film etwas verändert?
Sicher wird niemand nach dem Film aus dem Kinosessel aufstehen und sagen, jetzt wehre ich mich gegen meinen Vermieter. Er ist aber ein Lehrstück. Wenn die Menschen in der Nachbarschaft erfahren, dass jemand von Mieterhöhungen betroffen ist, wissen sie durch den Film, dass es eine Alternative dazu gibt, die Verhältnisse ohnmächtig hinzunehmen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/930932.mietrebellen-im-kino.html

Interview: Peter Nowak

Mietrebellen auf der Leinwand

Ein neuer Film zeigt den Protest der letzten Jahre

Bis auf den letzten Platz war das Berliner Kino Moviemento gefüllt. Dort hatte am vergangenen Sonntag der Film «Mietrebellen» Premiere. Viele der Protagonisten saßen im Publikum. Der 75-minütige Film liefert eine Übersicht der vergangenen zwei Jahre stadtpolitischen Protests und Widerstands in Berlin. Er beginnt mit einer traurigen Szene. Sie zeigt die Beerdigung von Rosemarie Fliess. Die 67-Jährige Rentnerin war im April 2013 gestorben, wenige Tage nachdem sie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wurde. Im Film erklärt sie wenige Tage vor ihrem Tod: «Ich bin ein Opfer der Zwangsräumung. Der Tod von Rosemarie Fliess hat kurzzeitig viele Menschen erschüttert und die Diskussion über ein Zwangsräumungsmoratorium zumindest für ältere und kranke Mieter angeregt.

Doch davon ist längst nicht mehr die Rede. Auch in Berlin werden täglich Menschen gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen geräumt. Die Zahl derer, die sich dagegen wehren und an die Öffentlichkeit gehen, wächst langsam. Ihnen soll der Film Mut machen, was Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers gelungen ist. Die beiden Filmregisseure machen deutlich, dass sie auf Seiten der Mietrebellen stehen. Daher gelingt ihnen ein sensibles Porträt der Menschen, die sich an verschiedenen Orten der Stadt gegen Vertreibung wehren.

Die verrentete Gewerkschafterin Nuriye Cengiz, die um den Verbleib in ihrer rollstuhlgerechten Wohnung in Kreuzberg kämpfte, hat im Film ebenso ihren Platz wie die »Palisadenpanther« und die Initiative »Stille Straße«. Diese beiden Seniorengruppen aus Friedrichshain und Pankow wurden über Deutschland hinaus bekannt, weil sie sich erfolgreich gegen ihre Verdrängung wehrten. Am Schluss des Films bezeichnet ein Aktivist die aktuelle Diskussion um die Mietpreisbremse als eine Reaktion auf die Proteste. Regisseur Mattias Coers sieht darin eher ein Placebo. »Jedem, der sich mit dem Wohnungsmarkt kritisch auseinandersetzt, wird klar, dass die neuen Regelungen der sogenannten Mietpreisbremse schon von der Wahl der Begrifflichkeit her in erster Linie dazu gedacht sind, die Bevölkerung zu beruhigen.«

Damit das nicht gelingt und die Proteste weitergehen, liefert der kurzweilige Film neben Ermutigung auch Anregungen. So wird im Film gezeigt, wie Aktivisten im Schenkendorf im Umland von Berlin auf Spurensuche begaben. Dort hatte einer der Immobilienhändler, der die Zwangsräumungen von Wohnungen in Berlin vorantrieb, ein altes Schloss gekauft. Es steht seitdem leer und verfällt. Mehrere Dorfbewohner wollen das Schloss wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/929051.mietrebellen-auf-der-leinwand.html

Peter Nowak

Und die Miete steigt

Die geplante sogenannte Mietpreisbremse mag die SPD in der Regierung beruhigen, die betroffenen Mieter hingegen nicht.

Es mag länderspezifischem Patriotismus geschuldet sein, dass der Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, Peter Stefan Herbst, den Sozialdemokraten Heiko Maas zum »Superminister« kürte. Dabei ist der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz bisher vor allem mit Äußerungen hervorgetreten, die das Selbstbewusstsein der SPD in der Großen Koalition stärken sollen. Dazu gehört auch die Ankündigung, schnell eine sogenannte Mietpreisbremse einzuführen, schließlich gehörte eine Begrenzung der Mietsteigerungen zu den Versprechen, die die Partei im Wahlkampf gemacht hatte.

Vorgesehen ist nach dem Gesetzentwurf, den der Justizminister nun vorgelegt und zur Abstimmung an die anderen Ressorts geschickt hat, dass Neumieten »in angespannten Wohnungsmärkten« nur noch um zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen dürfen. Neuerungen sind auch bei der Provision für den Makler geplant, diese soll künftig derjenige zahlen, der ihn beauftragt.

Allerdings soll die Regelung nicht in ganz Deutschland gelten, sondern nur »in angespannten Wohnungsmärkten« eingeführt werden. Welche Regionen dazu gehören, definieren die Bundesländer für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Nach Berechnungen des Justizministeriums liegen dem Bericht zufolge gut 4,2 Millionen der 21,1 Millionen deutschen Mietwohnungen in solchen »angespannten« Gebieten. Aber auch für diese sind Ausnahmen von der Mietenbremse vorgesehen. Nicht gelten soll sie bei der Erstvermietung neu gebauter Wohnungen sowie bei Wohnungen, die vor der Vermietung umfassend saniert wurden. Begründet wird dies damit, dass der Wohnungsbau und die Modernisierung bestehender Wohnungen attraktiv bleiben sollen. Auch Wohnungen, deren Preise bereits über dem Vergleichswert des Mietspiegels liegen, sollen weiterhin teuer vermietet werden können. In seinem Kommentar in der Taz kritisiert Gereon Asmuth deshalb, dass die »Mietexplosion« mit der geplanten Preisbremse nicht verhindert werden kann. »Der Turbo-Motor der Preisspirale bleibt unangetastet: Es ist die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete, die gemeinhin über Mietspiegel ermittelt wird.«

Wie immer, wenn die Verwertungsinteressen durch kleine Reformen auch nur minimal tangiert werden könnten, protestieren die Interessenvertreter der Eigentümer heftig gegen die geplanten Änderungen. So bescheinigte Manfred Binsfeld, Immobilienmarktexperte der Rating-Agentur Feri, den Koalitionären hektische Betriebsamkeit und Populismus. Der Hamburger Rechtsanwalt Thies Boelsen bezeichnete die Mietpreisbremse gar als »verfassungswidrig«.

Diese Polemik ist natürlich Taktik. Schließlich wollen die Interessenvertreter der Eigentümer die Gesetzesreform noch stärker in ihrem Sinn beeinflussen. Prompt erklärte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, der Entwurf sei unausgewogen. Die Immobilienwirtschaft werde ihrer Ansicht nach zu wenig berücksichtigt. Maas und seine Mitstreiter von der SPD dürften sich über die kalkulierbare Aufregung der Immobilienwirtschaft freuen. Schließlich kann angesichts der Kritik der Immobilienlobby der Eindruck erweckt werden, der Gesetzentwurf sei mieterfreundlich. Mancher Interessenvertreter sorgte hingegen ungewollt für Aufmerksamkeit, indem er seiner Klientel gutgemeinte Ratschläge gab, die die Vermieter nicht benötigen, weil sie bereits längst von ihnen befolgt werden. So riet Kai Warnecke, Geschäftsführer des Vermietervereins »Haus & Grund«, bei einem Treffen der Immobilienbesitzer in Stuttgart seinen Zuhörern: »Versuchen sie, die Miete schleichend in kleinen Schritten zu erhöhen.«

Mitglieder der Mieterbewegung in Berlin haben derzeit hingegen anderes zu tun, als über das geplante »Reförmchen« aus dem Hause Maas zu debattieren. »In den Ohren eines mit energetischer Modernisierung geschlagenen Mieters hört sich die neue Gesetzesvorlage wie blanker Hohn an«, sagt der Videojournalist Matthias Coers im Gespräch mit der Jungle World. »Nicht nur bei den Modernisierungsmaßnahmen am Weichselplatz kann man sehen, dass unter dem Deckmantel der Ökologie Hauseigentümer eingeladen werden, die Mieter zur Ader zu lassen. Die bestehenden Gesetze bürden den Mietern die gesamten Kosten der Modernisierung auf. Diese verlieren ihre Wohnung oder, wenn das Einkommen reicht, um die Wohnung zu behalten, steigt der Wohnkostenanteil oft massiv«, sagt Coers, der in einem Haus in Neukölln wohnt, das energetisch saniert werden soll.Gemeinsam mit Gertrud Schulte Westenberg hat er den Film »Mietrebellen« produziert, der im April in den Kinos zu sehen sein wird. Der Dokumentarfilm liefert einen guten Überblick über die Mieterproteste in Berlin der vergangenen zwei Jahre.

Die Gewerkschafterin Nuriye Cengiz, die um den Verbleib in ihrer rollstuhlgerechten Wohnung in Kreuzberg kämpft, wird dort ebenso porträtiert wie die Seniorengruppen »Palisadenpanther« und die Initiative »Stille Straße«, die erfolgreich gegen Verdrängung kämpften. Am Schluss des Filmes bezeichnet ein Aktivist die Diskussion um die Mietpreisbremse als »Placebo« für die Mieterproteste. Coers sieht das ähnlich: »Jedem, der sich mit dem Wohnungsmarkt kritisch auseinandersetzt, wird klar, dass die neuen Regelungen der sogenannten Mietpreisbremse schon von der Wahl der Begrifflichkeit in erster Linie dazu gedacht sind, die Bevölkerung zu beruhigen.« Ob das gelingt, ist fraglich.

Am kommenden Wochenende soll beim Kongress »Berliner Ratschlag – Wem gehört die Stadt?« an der Technischen Universität in Berlin eine Bilanz nach zwei Jahren stadtpolitischer Kämpfe der Mieterbewegung gezogen werden. Darüber hinaus wollen die Teilnehmer auch darüber debattieren, wie sich aus dem Protest gegen steigende Mieten Widerstand gegen Mieterhöhungen und Räumungen formieren kann.In Berlin nehmen Räumungen von Mietern zu, die sich dagegen wehren, aus ihren Wohnungen geworfen zu werden und damit an die Öffentlichkeit gehen.

Am Donnerstag voriger Woche wurde in der Reichenbergerstraße in Kreuzberg eine Wohnung mit großem Polizeiaufgebot geräumt. Als knapp 100 Aktivisten und solidarische Nachbarn nach einer erfolglosen Blockade eine spontane Demonstration gegen »steigende Mieten, Zwangsumzüge und Verdrängung« begannen, nahm die Polizei acht Personen fest. Bei der monatlich stattfindenen »Lärmdemo« des Mieterbündnisses »Kotti & Co« kam es am Samstag zu einem hef­tigen Polizeieinsatz (siehe auch Seite 17). Für Anfang April stehen weitere Räumungen in Berlin an, die das Protestbündnis »Zwangsräumung verhindern« behindern möchte.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft »Wohnungslosenhilfe« geht bundesweit von 25 000 Räumungen im Jahr 2012 aus. Der Anteil der Mieter, die sich dagegen wehren, ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Mittlerweile existieren nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg, Han­nover und Köln Bündnisse gegen Räumungen. In Köln wurde im Februar die Räumung eines Mieters, der nach 32 Jahren seine Wohnung verlieren sollte, verhindert. Für den 16. April wurde ein neuer Räumungstermin angekündigt, aber auch eine Blockade durch die Mieterbewegung. Die Mietpreisbremse von Heiko Maas wirkt dort keineswegs beruhigend.

http://jungle-world.com/artikel/2014/14/49607.html

Peter Nowak