Sozialer Druck auf Senioren wächst

Senioren sind allerdings längst nicht nur die hilfebedürftigen Pflegefälle, die ansonsten nur noch für die Werbung interessant sind. In Ländern wie Spanien und Italien haben sich auch Senioren politisch engagiert. Vor einigen Jahren sorgten auch in Deutschland ältere Menschen, die ihre Seniorenbegegnungsstätte in der Stillen Straße [8] in Berlin-Pankow besetzten, um die drohende Schließung zu verhindern, und die Palisadenpanther [9], die massive Mieterhöhungen in einer Seniorenwohnanlage verhinderten, für Aufmerksamkeit. Der Druck auf die Senioren könnte auch dazu führen, dass solche Beispiele Schule machen.

http://www.heise.de/tp/news/Sozialer-Druck-auf-Senioren-waechst-3182050.html

Peter Nowak 23.04.2016

Links:

[1]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/pflege-betrug-in-berlin-falsche-pflegefaelle-kosten-sozialkasse-50-millionen-euro/11530272.html

[2]

http://fachanwaelte-strafrecht-potsdamer-platz.de/de/news/arztstrafrecht-medizinstrafrecht/113-zahlreiche-ermittlungsverfahren-wegen-verdachtsfaellen-von-abrechnungsbetrug-bei-ambulanten-pflegediensten

[3]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/pflege-betrug-in-berlin-falsche-pflegefaelle-kosten-sozialkasse-50-millionen-euro/11530272.html

[4]

http://www.focus.de/finanzen/altersvorsorge/staat-soll-fuer-sie-sorgen-zu-faul-zum-sparen-junge-menschen-wollen-zur-rente-gezwungen-werden_id_5458792.html

[5]

http://www.focus.de/finanzen/altersvorsorge/staat-soll-fuer-sie-sorgen-zu-faul-zum-sparen-junge-menschen-wollen-zur-rente-gezwungen-werden_id_5458792.html

[6]

http://www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-die-riesterrente-ist-ein-kolossaler-flop,1472602,29106408.html

[7]

http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2012/09/13/studie-beweist-riester-rente-war-ein-grosser-flop/

[8]

http://stillestrasse10bleibt.blogsport.eu/

[9]

http://palisaden-panther.blogspot.de/

Realismus in der Rigaer

In Berlin-Friedrichshain feierten ehemalige Hausbesetzer und Unterstützer ein einwöchiges Straßenfest. Doch mit welchen Mitteln derzeit für bezahlbaren Wohnraum gekämpft werden kann, ist umstritten.

Am vergangenen Sonntagabend sorgten zwei Mülleimer für große Aufregung bei den Bewohnern der Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain. Ein großes Polizeiaufgebot war in den Hof des Hauses eingedrungen, um die beiden Behälter abtransportieren zu lassen. Es handelt sich bei dem Gebäude nicht nur um das letzte noch besetzte in der Rigaer Straße. Die meisten dort wohnenden Menschen betonen auch ihre anarchistische Gesinnung und sind auf die Polizei nicht besonders gut zu sprechen. Dass es am Sonntagabend nicht zu Straßenschlachten kam und keine Autos brannten, lag an der autonomen Szene. Als die Situation zwischen der Polizei und den aus der Umgebung eingetroffenen Unterstützern des Hauses zu eskalieren drohte, erklang plötzlich das schallende Gelächter einer jungen Frau. Bald stimmten auch viele Unterstützer ein und selbst einige Polizisten konnten nur mühsam ein Lachen unterdrücken.

Schon in den vorangegangenen Tagen hatte man sich in der Rigaer Straße eher an einer Clownsarmee als am Schwarzen Block orientiert. Viele der ehemals besetzten Häuser und alternativen Projekte in der Umgebung hatten unter dem etwas großspurigen Motto »Lange Woche der Rigaer Straße« zu einem Straßenfest der Superlative aufgerufen. »Damit hat Friedrichshain Neukölln überholt«, meinte ein Spötter. Neukölln feiert einmal im Jahr das vom Bezirksamt groß­zügig gesponserte Stadtteilfest »48 Stunden Neukölln«. Die »Lange Woche« der Rigaer Straße war nicht nur länger, sondern kam auch ohne staatliche Bezuschussung aus. Do it yourself war die Devise bei den zahlreichen Workshops und Veranstaltungen, die vergangene Woche rund um die Rigaer Straße angeboten wurden. Dazu gehörte auch ein Umsonst-Flohmarkt, mit dem besonders die Nachbarn angesprochen werden sollten, die nicht in ehemals besetzten Häusern zur Miete wohnen. Mit Flugblättern wurden die Anwohner informiert, dass man mit dieser Art des Flohmarktes auch den Einfluss des Geldes zurückdrängen wolle. Doch ob damit eine nichtkapitalistische Gesellschaft näher rückt, ist fraglich. Zumindest manche Hartz-IV-Empfänger werden sich bei dieser Einladung eher daran erinnert gefühlt haben, dass sie von den Jobcentern auf Flohmärkte und Lebensmitteltafeln verwiesen werden, wenn sie Anträge zum Kauf eines Haushaltsgeräts stellen.

Sympathie bei den Anwohnern erlangten die Organisatoren der »Langen Woche« eher wegen des Polizeieinsatzes, mit dem gegen den Flohmarkt vorgegangen wurde – mit der Begründung, dass er nicht angemeldet sei. »Mich hat der Lärm vom Generator für den Lichtmast der Polizei gestört, der vor meinem Fenster aufgebaut war, und nicht der Flohmarkt«, monierte beispielsweise ein Anwohner.

Über bloß diffuse Sympathie hinaus gingen einige Mieter der Rigaer Straße, die sich in einen Offenen Brief an die Organisatoren der Protestwoche wandten und zur Kooperation gegen die Gentrifizierung in Friedrichshain einluden. Das Schreiben begann allerdings mit einer impliziten Kritik an der Protestkultur der autonomen Szene: »Wir sind teilweise nicht mehr in dem Alter und der Lage, uns an einer Demonstration zu beteiligen, auf der nur gerannt wird.« Dann richteten die Mieter den Fokus auf den Teil der Rigaer Straße, in dem es keine besetzten Häuser gibt und der bei den Organisatoren der »Langen Woche« eher ausgeblendet wird. So wird beschrieben, wie ein Besitzer eines T-Shirt-Ladens sich das Leben nahm, nachdem ihm gekündigt worden war. Angekündigte Dachgeschossausbauten und der Bau eines neuen Kulturhofes auf dem Gelände einer ehemaligen Möbelfabrik werden in dem Schreiben als Zeichen einer neuen Gentrifizierungsdynamik gedeutet, gegen die sich alle Bewohner zusammen wehren sollten.

Die Kritik an einer Besetzernostalgie wird auch von einigen Organisatoren der »Langen Woche« geteilt. Sie deckt sich nicht mit einer Realität, in der bis auf eine Ausnahme in allen Häusern reguläre Mietverhältnisse bestehen. Ob ein gemeinsamer Widerstand aller Mieter in der Rigaer Straße zustande kommen wird, ist trotzdem offen. Immerhin zeigte der Brief einen großen Schwachpunkt der »Langen Woche« der Rigaer Straße auf. Die Nachbarn wurden zwar angesprochen, aber sie bekamen nur die Möglichkeit, sich an den ohnehin angebotenen Veranstaltungen und Workshops zu beteiligen.

Der Film »Mietrebellen« (Jungle World 47/2014) hingegen stellte eine alternative Mieterbewegung vor, an der sich Kleingartenbesitzer genauso beteiligen wie Senioren. Dass diese sich dabei Aktionsformen der Besetzerbewegung – ohne deren subkulturelle Elemente – bedienen, demonstrierten die Senioren der Stillen Straße in Berlin-Pankow. Sie besetzten mehrere Wochen einen von der Schließung bedrohten Seniorentreffpunkt. Auch die »Palisadenpanther« hatten keine Berührungsängste mit der außerparlamentarischen Mieterbewegung, als sie erfolgreich gegen angekündigte Mieterhöhungen in ihrer Seniorenwohnanlage protestierten. Der Komplex befindet sich in der Nähe der ehemaligen besetzten Häuser der Rigaer Straße.

Noch näher an der Rigaer Straße sind Bewohner, die Mieterräte gegründet haben, mit denen sie sich gegen ihre Verdrängung aus den als »Stalinbauten« bekannt gewordenen DDR-Repräsentationshäusern in der Frankfurter Allee wehren wollen. Ein Austausch über Räte damals und heute, über Entscheidungsprozesse und Aktionsformen wäre sicher interessant gewesen. Doch in dem umfangreichen Programm der »Langen Woche« war dafür kein Platz vorgesehen.

Auch Diskussionen mit der Treptower Stadtteilinitiative »Karla Pappel« suchte man im Programm vergeblich. Dabei hatte diese vor einigen Monaten unter dem Motto »Warum nicht wieder Häuser besetzen?« eine Debatte darüber angestoßen, welchen Stellenwert diese Aktionsform heute für die Mieterbewegung hat. Ausgangspunkt war die Vertreibung von Mietern in der Beermannstraße in Berlin-Treptow. Die Häuser sollen dem Ausbau der Stadtautobahn weichen (Jungle World 45/2014 ). Die verbliebenen Mieter waren mit einer Neubesetzung einverstanden. Doch mehrere Versuche, die autonome Szene dafür zu gewinnen, scheiterten. Am Ende mussten die Mieter die Häuser verlassen, bekamen aber großzügige Entschädigungen.

Die Erfahrungen von »Karla Pappel« wären auf der Friedrichshainer »Langen Woche« auch deshalb interessant gewesen, weil in beiden Gruppen Menschen mit libertären Ansichten engagiert sind. Für den Berliner SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber, der in Berlin mit seinem Law-and-Order-Kurs die CDU und ihren Innensenator rechts überholen will, sind sowohl die Projekte der Rigaer Straße als auch »Karla Pappel« Fälle für Polizei und Justiz. »Wir werden alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen, um extremistische Gruppierungen zu zerstören«, verkündete Schreiber bereits im Oktober 2011 im Anzeigenblatt Berliner Woche und rückte »Karla Pappel« in die Nähe des Linksterrorismus. Die Stadtteilinitiative hatte auf die Rolle der zahlreichen Baugruppen bei der ärmeren Bevölkerung in Treptow aufmerksam gemacht. Mittlerweile gibt es auch rund um die Rigaer Straße erste Baugruppen und die will Schreiber künftig vor Umsonst-Flohmärkten schützen. Im Tagesspiegel forderte er eine Sonderermittlungsgruppe Rigaer Straße und wies ihr gleich zwei Aufgaben zu: Der »Repressionsdruck muss erhöht werden«. Dabei müsse man sich besonders die »Szenelokale vornehmen«.

http://jungle-world.com/artikel/2015/29/52313.html

Peter Nowak

Mietrebellen auf der Leinwand

Ein neuer Film zeigt den Protest der letzten Jahre

Bis auf den letzten Platz war das Berliner Kino Moviemento gefüllt. Dort hatte am vergangenen Sonntag der Film «Mietrebellen» Premiere. Viele der Protagonisten saßen im Publikum. Der 75-minütige Film liefert eine Übersicht der vergangenen zwei Jahre stadtpolitischen Protests und Widerstands in Berlin. Er beginnt mit einer traurigen Szene. Sie zeigt die Beerdigung von Rosemarie Fliess. Die 67-Jährige Rentnerin war im April 2013 gestorben, wenige Tage nachdem sie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wurde. Im Film erklärt sie wenige Tage vor ihrem Tod: «Ich bin ein Opfer der Zwangsräumung. Der Tod von Rosemarie Fliess hat kurzzeitig viele Menschen erschüttert und die Diskussion über ein Zwangsräumungsmoratorium zumindest für ältere und kranke Mieter angeregt.

Doch davon ist längst nicht mehr die Rede. Auch in Berlin werden täglich Menschen gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen geräumt. Die Zahl derer, die sich dagegen wehren und an die Öffentlichkeit gehen, wächst langsam. Ihnen soll der Film Mut machen, was Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers gelungen ist. Die beiden Filmregisseure machen deutlich, dass sie auf Seiten der Mietrebellen stehen. Daher gelingt ihnen ein sensibles Porträt der Menschen, die sich an verschiedenen Orten der Stadt gegen Vertreibung wehren.

Die verrentete Gewerkschafterin Nuriye Cengiz, die um den Verbleib in ihrer rollstuhlgerechten Wohnung in Kreuzberg kämpfte, hat im Film ebenso ihren Platz wie die »Palisadenpanther« und die Initiative »Stille Straße«. Diese beiden Seniorengruppen aus Friedrichshain und Pankow wurden über Deutschland hinaus bekannt, weil sie sich erfolgreich gegen ihre Verdrängung wehrten. Am Schluss des Films bezeichnet ein Aktivist die aktuelle Diskussion um die Mietpreisbremse als eine Reaktion auf die Proteste. Regisseur Mattias Coers sieht darin eher ein Placebo. »Jedem, der sich mit dem Wohnungsmarkt kritisch auseinandersetzt, wird klar, dass die neuen Regelungen der sogenannten Mietpreisbremse schon von der Wahl der Begrifflichkeit her in erster Linie dazu gedacht sind, die Bevölkerung zu beruhigen.«

Damit das nicht gelingt und die Proteste weitergehen, liefert der kurzweilige Film neben Ermutigung auch Anregungen. So wird im Film gezeigt, wie Aktivisten im Schenkendorf im Umland von Berlin auf Spurensuche begaben. Dort hatte einer der Immobilienhändler, der die Zwangsräumungen von Wohnungen in Berlin vorantrieb, ein altes Schloss gekauft. Es steht seitdem leer und verfällt. Mehrere Dorfbewohner wollen das Schloss wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/929051.mietrebellen-auf-der-leinwand.html

Peter Nowak

Erfolg für die Palisaden-Panther

Allerdings garantiert die Kooperationsvereinbarung mit dem Bezirksamt der WB GmbH für die Zukunft Profite

„Palisaden Panther machen mobil“ lautete ein Slogan auf vielen Berliner Mieterprotesten der letzten Monate. Eine Rentnergruppe hatte sich nach der zwischen Karl-Marx-Allee und Volkspark Friedrichshain gelegenen Palisadenstraße benannt, in der sich die Anfang 1990 erbaute Seniorenwohnanlage befindet, in der sie wohnen.
Im Sommer letzten Jahres wurde den Senioren mitgeteilt, dass nach dem Anschlussförderung die Eigentümer, die WB GmbH aus Willich, eine Kostenmiete von 12 bis 13 Euro pro Quadratmeter verlange. Für viele der Bewohner hätte eine solche Mietsteigerung ihre Vertreibung bedeutet. Dagegen haben sie fast ein Jahr lang auf der Straße, aber auch vor verschiedenen parlamentarischen Gremien mobilisiert. Dieses Engagement trägt jetzt für sie Erfolge und garantiert den Eigentümern Rendite erst in der Zukunft. Das Bezirksamt Friedrichshain hat mit der WB GmbH eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen, der die Mieten in der Anlage für die aktuellen Bewohner auf 7 bis 8 Euro pro Quadratmeter festschreibt Die jährliche Mieterhöhung darf nach der Vereinbarung die Inflationsrate nicht überschreiten. Für die für Rollstuhlfahrer vorgesehenen Wohnungen der Seniorenanlage soll das Bezirksamt weiterhin das Belegungsrecht behalten. Zudem soll auch ausgeschlossen werden, dass in dem Gebäude Ferienwohnungen errichtet werden, wie es die Eigentümer ursprünglich plante. Diese Regelung sieht das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain als besonderen Erfolg an. Dabei geht aber unter, dass die Vereinbarung dem Eigentümer auch erlaubt, dass alle freiwerdende Wohnungen in der Seniorenanlage, die nicht für Rollstuhlfahrer bestimmt sind, zum Marktpreis zu vermieten. Bei der Altersstruktur der Bewohner der Seniorenanlage können die Eigentümer also in Zukunft durchaus noch Rendite mit der Palisadenstraße machen.
aus: MieterEcho online 14.06.2013

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/palisaden-panther.html

Peter Nowak

Palisaden-Panther können bleiben

ERFOLGREICHER PROTEST VON SENIORINNEN IN FRIEDRICHSHAIN

Die MieterInnen der Seniorenanlage in der Palisadenstraße 41 bis 46 in Friedrichshain können aufatmen: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat mit dem Eigentümer der Häuser eine Vereinbarung unterzeichnet, die sicherstellt, dass sie in den Senioren- und Behindertenwohnungen zu bezahlbaren Mieten bleiben können, wie Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) betont. Der Eigentümer hatte ihnen nach dem Wegfall der Anschlussförderung des Landes eine Verdoppelung der Miete angedroht. Das hätte für viele MieterInnen die Vertreibung bedeutet. Als „Palisaden-Panther“ waren die alten Leute zu einem festen Bestandteil der Berliner MieterInnenproteste geworden.

Die nun unterzeichnete Kooperationsvereinbarung schreibt die Miete für die bereits im Haus Wohnenden bei 7,60 Euro bis 8 Euro pro Quadratmeter netto kalt fest und sieht eine jährliche Steigerung entsprechend der Inflationsrate vor. Als besonderen Erfolg wertet Schulz, dass es auch in Zukunft in der Palisadenstraße keine Ferienwohnungen geben darf. Zudem behält der Bezirk weiterhin das Belegungsrecht für die für RollstuhlfahrerInnen ausgewiesenen Wohnungen. Die Mehrheit der frei werdenden Wohnungen kann allerdings künftig zu marktüblichen Preisen vermietet werden.

Eine Aktivistin der Friedrichshainer Initiative „Keine Rendite mit der Miete“ kritisiert, dass damit die Eigentümer doch noch Profite mit den Häusern machen können. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Halina Wawzyniak, die sich in den letzten Monaten für die Palisaden-Panther einsetzte, erklärte gegenüber der taz: Die MieterInnen hätten gezeigt, „dass man sich auch im hohen Alter und trotz körperlicher Gebrechen engagieren und lautstark wehren kann“.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F06%2F11%2Fa0140&cHash=0176c0664b48d7be99e8322192b832b2

Peter Nowak

Die halbe Miete

In Hamburg, Berlin und auch im beschaulichen Freiburg formiert sich der Protest gegen steigende Mieten und Verdrängung.

Vor 25 Jahren wurde ein kleines Areal am Hamburger Hafengelände zum Schauplatz aufsehenerregender Proteste. Mit Barrikaden wehrten sich damals die Bewohner der Hafenstraße, unterstützt von Tausenden Linken aus ganz Europa, gegen die von Politik und Justiz beschlossene Räumung ihrer Häuser. Mit Erfolg, selbst das Hamburger Bürgertum wollte sich das Weihnachts­geschäft nicht durch Bambule nach einer Häuserräumung verderben lassen.

Am Wochenende werden die Hamburger Barrikadentage von 1987 Anlass für eine Veranstaltungsreihe in den Häusern der Hafenstraße sein. Vor den Filmvorführungen, Lesungen und Diskussionen wollen die Protestveteranen am 10. November an einer Demonstration gegen steigende Mieten und Verdrängung teilnehmen, zu der zahlreiche Mieterinitiativen und das Bündnis »Recht auf Stadt« aufrufen. Auch in Berlin und Freiburg wollen am Samstag Mieter für bezahlbare Wohnungen auf die Straße gehen. In Freiburg wird mit dem Slogan »Bezahlbarer Wohnraum ist die halbe Miete« eine konkrete Forderung gestellt. In Berlin wird hingegen mit der allgemein gehaltenen Parole »Die Stadt von morgen beginnt heute« mobilisiert.

Mit diesem bundesweit koordinierten Aktiontag wollen Mieterinitiativen die Proteste der vergangenen Monate zuspitzen. Die Auswahl der Protest­orte macht deutlich, dass steigende Mieten und die Verdrängung von Menschen mit geringen Einkommen in Freiburg, der Hochburg der grünen Bionadebourgeoisie, ebenso ein Problem darstellen wie im SPD-regierten Hamburg oder dem seit einem Jahr von einer Großen Koalition verwalteten Berlin. Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Abwicklung des sozialen Wohnungsbaus in Berlin von der mehr als ein Jahrzehnt regierenden rot-roten Koalition eingeleitet wurde. Deshalb betont die sich in Berlin for­mierende Mieterbewegung ihre Distanz zu allen Parteien.

Ein erster Höhepunkt des Protests war eine Demonstration mit etwa 6 000 Teilnehmern im September 2011, bei der die Teilnahme von Politikern ausdrücklich nicht erwünscht war. Die Mieterdemonstrationen, die in den folgenden Monaten stattfanden, erreichten nicht mehr diese Größe. Dennoch haben die Mieterproteste einen politischen häufig erhobenen Anspruch tatsächlich erfüllt: In den vergangenen Monaten gab es einen alltäglichen Widerstand von Menschen, die man nicht unbedingt auf linken Demonstrationen antrifft. Dazu gehören die Senioren, die im Frühsommer eine von der Schließung bedrohte Seniorenbegegnungsstätte in der Stillen Straße im Berliner Stadtteil Pankow besetzten. Sie hatten Erfolg, ihre Einrichtung soll nun unter dem Dach des Wohlfahrtsverbands Volkssolidarität weitergeführt werden. Im Bezirk Friedrichshain konstituierten sich vor einigen Monaten die Palisadenpanther, die sich nach der Straße benannten, in der sich ihre Seniorenwohnanlage befindet. Nach der Ankündigung einer drastischen Mieterhöhung probten die Senioren den Widerstand.

Wie die Rentner aus Pankow sehen sich auch die Palisadenpanther als Teil einer berlinweiten Mieterbewegung. Zum Bezugspunkt dieses neuen Mieteraktivismus wurde ein seit Ende Mai von Kreuzberger Mietern getragenes Protestcamp am Kottbuser Tor (Jungle World 24/2012). Daran beteiligen sich neben jungen Linken aus dem autonomen Spektrum vor allem Menschen, die vor mehreren Jahrzehnten aus der Türkei nach Berlin gekommen sind. Eine wesentliche Forderung, die auch bei einer am 13. November im Berliner Abgeordnetenhaus stattfindenden Konferenz zum sozialen Wohnungsbau thematisiert werden soll, ist das Absenken der Kaltmieten auf vier Euro pro Quadratmeter.

Damit soll verhindert werden, dass Menschen, die ALG II beziehen, aus den Innenstadtquartieren vertrieben werden. Dass deren Zahl steigt, belegt eine Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage der beiden Linksparteiabgeordneten Elke Breitenbach und Katrin Lompscher im Februar dieses Jahres. Demnach wurden in Berlin im vorigen Jahr 65 511 ALG-II-Bezieher vom Jobcenter zur Senkung der Kosten für Unterkunft und Heizung aufgefordert. Die Zahl der daraus resultierenden Umzüge sei von 428 im Jahr 2009 auf 1 313 im vergangenen Jahr gestiegen.

»Der Druck auf die Mieter nimmt zu«, sagt Petra Wojciechowski vom Stadtteilladen Lausitzer Straße, in dem sich Mieter juristisch beraten lassen können. Dieses Angebot wird vor allem von ALG-II-Empfängern genutzt, deren Jobcenter nach einer Mieterhöhung einen Teil der Kosten nicht mehr übernehmen. »Doch politischer Widerstand gegen Räumungen ist selten, weil die die Menschen sich schämen und die Schuld bei sich suchen«, sagt Wojciechowski. Ähnliche Erfahrungen hat man auch bei der Berliner »Kampagne gegen Zwangsumzüge« gemacht, die sich nach der Einführung von Hartz IV gegründet hat. Doch etwas scheint sich langsam zu ändern, seit einigen Wochen kann man an Laternen oder Hauswänden in Kreuzberg Aufkleber mit dem Slogan »Zwangsräumungen stoppen« entdecken.

Gegen die drohende Zwangsräumung ihrer Wohnung wehren sich im Bezirk gleich zwei Mieter unabhängig voneinander. So machte die verrentete Gewerkschafterin Nuriye Cengiz mit Plakaten in den Fenstern ihrer Parterrewohnung auf ihre Wohnungskündigung aufmerksam (Jungle World 32/2012). Mieteraktivisten nahmen Kontakt auf und organisierten Kundgebungen vor dem Büro der Eigentümer. Und Ende Oktober musste eine Gerichtsvollzieherin eine Zwangsräumung bei einer Familie in Kreuzberg abbrechen, etwa 150 Unterstützer versperrten ihr den Einlass (Jungle World 43/2012). In beiden Fällen sind die Kündigungen allerdings noch nicht vom Tisch. Ob sich dieser Alltagswiderstand nach dem spanischen Vorbild auf ganz Berlin und womöglich andere Städte ausweitet, ist offen. Denn er ist von einer solidarischen Infrastruktur abhängig. Dazu zählt das Kotti-Camp ebenso wie Stadtteil- und Mieterläden in einigen Stadtteilen Berlins und in anderen Städten.

Doch noch ist eine solche Infrastruktur für sozialen Widerstand die Ausnahme in Deutschland. In diese Lücke stößt derzeit eine Initiative unter dem Namen »Wir gehen mit«, die die Begleitung beim Jobcenterbesuch als unpolitische Serviceleistung anbietet und die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Erwerbslosen und Jobcenter zu ihrem Ziel erklärt. Einer solchen Entpolitisierung könnte durch eine Verbindung von Kämpfen von Mietern, Lohnabhängigen und Erwerbslosen entgegengewirkt werden.

Der Zusammenhang zwischen schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen und der drohenden Vertreibung von Mietern mit geringem Einkommen wird bei der Hamburger Bewegung »Recht auf Stadt« diskutiert. Wie schwierig die Verbindung von sozialem Aktivismus und radikaler Gesellschaftskritik ist, wird auch deutlich, wenn auf der Homepage von »Kotti und Co.« von »nachhaltigen Lösungen für den sozialen Wohnungsbau« und dem Ringen »um ein soziales Berlin von morgen« die Rede ist, ohne die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft zu erwähnen, die solchen Forderungen entgegensteht.

http://jungle-world.com/artikel/2012/45/46550.html
Peter Nowak