Zahlreiche Nachbarn solidarisieren sich mit den MieterInnen der Karl-Junger-Straße 7 in Treptow

Protest im Kunger-Kiez

Ein Kiezwalk beginnt am 19. Juli um 19.30 Uhr vor dem Haus und soll zur nahen Krüllstraße 12 ziehen. Zum Abschluss des Kiezspaziergangs soll der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ gezeigt werden, der schon 2014 dokumentierte, wie sich im Kunger-Kiez die Stadtteilinitiative Karla Pappel gegen Gentrifizierung und Verdrängung wehrte. 

„Zwangsversteigerungen stoppen“ – unter diesem Motto rufen MieterInnen der Karl-Kunger-Straße 7 (KK7) in Treptow am Dienstag ab 19.30 Uhr zum Kiez-Walk auf. „Vor etwa fünf Wochen haben wir erfahren, dass unser Haus versteigert werden soll. Seitdem treffen wir uns jeden Montag zur Hausversammlung“, sagte eine MieterIn zur taz über das Engagement eines Teils der BewohnerInnen. 38 Mietparteien wohnen in dem Gebäude, urlaubsbedingt seien aktuell derzeit nur 12 Personen aktiv. Sie wollen die Zwangsversteigerung des Hauses verhindern, die für den 23. August im Amtsgericht Köpenick anberaumt ist. Das 1907 errichtete Gebäude war 1990 saniert worden. Nach einer Versteigerung befürchten die BewohnerInnen Mieterhöhung und Verdrängung. Ihre Furcht wird verstärkt, weil sich …

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Mietenproteste gegen Verdrängung in ganz Berlin

Gegen die Stadt der Reichen

Am 6. April werden in vielen Städten Deutschlands Mieter/innen gegen Verdrängung und hohe Mieten auf die Straße zu gehen. Doch in Berlin gibt es bereits seit dem 27. März täglich in den unterschiedlichen Stadtteilen Proteste gegen die Akteure der Verdrängung. Der Auftakt dieser Mietenaktionstage war…

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Klassenkampf im Stadtteil

„Verdrängung hat viele Gesichter“

Aufwertung der Stadtteile bedeutet die Verdrängung von MieterInnen mit geringen Einkommen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch in liberalen Medien angekommen. Doch wie gehen die Betroffenen damit um? Was passiert in einem jahrelang wenig beachteten Stadtteil, wenn dort plötzlich in kurzer Zeit fast ein Dutzend Baustellen entstehen? Ist Aufwertung und Verdrängung ein Naturgesetz, oder gibt es Verantwortliche, die diesen Prozess vorantreiben? Das sind einige der Fragen, denen sich der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ widmet, den das Filmkollektiv Schwarzer Hahn produziert hat. Dort haben StadtteilaktivistInnen gemeinsam mit KünstlerInnen mehrere Jahre an dem Film gearbeitet. Sie wollten den Aufwertungsprozess am Beispiel des Berliner Stadtteils Treptow verdeutlichen. Noch Ende der 90er Jahre schien es, als wäre der Stadtteil das totale Gegenteil zum Prenzlauer Berg. Während dort schon Ende der 90er Jahre ein Großteil der Alt-MieterInnen wegziehen mussten, weil sie die teuren Mieten nicht mehr bezahlen konnten, waren in Treptow die Mietsteigerungen moderat und der Wegzug gering. Doch das änderte sich, als Baugruppen den Stadtteil für sich entdeckten. Es sind meist Angehörige der neuen gut verdienenden Mittelschichten, für die Treptow aus mehreren Gründen interessant wurde. Der Weg zum Szenebezirk Kreuzberg ist kurz. Dort siedelten sich im Rahmen des Media-Spree-Projekts zahlreiche Unternehmen an. Für die Angestellten wurde eine Wohnung in Treptow mit kurzen Anfahrtszeiten zur Arbeit attraktiv. Wie der plötzliche Run der Baugruppen auf die Bewohner eines Stadtteils wirkte, der bisher von großen Veränderungen verschont geblieben war, macht der Film sehr gut deutlich.

Nicht nur MieterInnen kämpfen in dem Stadtteil um das Überleben

Der Film begleitet Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes ums Überleben kämpfen müssen. Da ist der Altrocker, der auf seinen Balkon sitzt und sich bange fragt, ob er sich nach der nächsten Mieterhöhung die Wohnung noch leisten kann. Der Film zeigt, wie in Treptow in einer Stadtteilinitiative Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Milieus zusammenarbeiten. Sie eint die Angst vor der Verdrängung aus dem Stadtteil und der Wille, sich dagegen zu wehren.

Der Film macht auch deutlich, dass nicht nur MieterInnen davon betroffen sind. Da wird ein Treptower Buchhändler gezeigt, der fast rund um die Uhr im Laden steht und am Ende 5 Euro Gewinn erzielt hat. Die Menschen, die bisher seinen Buchladen aufsuchten, verschwinden aus dem Stadtteil. Die Konsumwünsche des neu zugezogenen Mittelstandes kann er nicht befriedigen. Er arbeitet unermüdlich und kommt kaum über die Runden. Der Film geht so auf Aspekte der Aufwertung eines Stadtteils ein, die oft ausgeblendet werden. Neben den MieterInnen mit wenig Geld sind auch Läden und Kneipen bedroht, die ein Angebot für eine Kundschaft mit geringem Einkommen anbieten.

Die „guten“ VerdrängerInnen

Doch auch die Menschen, die von der neuen Situation profitieren, kommen in dem Film zu Wort. Mitglieder der Baugruppen werden interviewt. Manchmal kommt es zum Dialog, oft zum Streitgespräch zwischen den Gewinnern und Verlierern der Aufwertung. Viele Baugruppen-Mitglieder äußern ihr Unverständnis darüber, warum sie plötzlich in der Kritik stehen. Einige haben in ein Interview mit den FilmemacherInnen eingewilligt, weil sie sich ungerechtfertigt kritisiert sahen. Sie seien doch keine GentrifiziererInnen, sondern umweltbewusste StadtbürgerInnen. In dem Film werden die Baugruppen-BewohnerInnen nicht denunziert. Doch es werden immer wieder die gesellschaftlichen Bedingungen infrage gestellt, die dafür sorgen, dass in einem Stadtteil AltmieterInnen ums Überleben kämpfen und gleichzeitig ein neuer Mittelstand seine Privilegien und seine Macht ausspielt.

Der Film zeigt, dass Verdrängung viele Gesichter hat, aber kein Naturgesetz ist. So wird auch der Alltagswiderstand der MieterInnen in Treptow gezeigt, der vom Besuch bei den vielen neuen Kreativbüros über Stadtteilspaziergänge über Beteiligung an Baugruppen-Partys ohne Einladung bis zur Besetzung reicht.

Film als kollektiver Organisator

Doch „Verdrängung hat viele Gesichter“ dokumentiert nicht nur Verdrängung und Widerstand in dem Stadtteil Treptow. Mittlerweile trägt er selber dazu bei, dass sich die StadtteilbewohnerInnen organisieren. Nach vielen Filmvorführungen gibt es oft sehr lebhafte Diskussionen. Dort melden sich auch MieterInnen zu Wort, die hier endlich mal Gelegenheit haben, über ihre Erfahrungen mit Luxusmodernisierung und Verdrängungsstrategien zu sprechen. Sie treffen dort auf ein aufmerksames Publikum, das oft ähnliche Erfahrungen gemacht hat und mit Ratschlägen dazu beitragen kann, dass die MieterInnen Mut und Selbstvertrauen schöpfen. Denn sie erkennen, dass die Schuld nicht bei ihnen liegt, wenn sie sich nach einer Modernisierung die Miete nicht mehr leisten können. Und sie machen die Erfahrung, dass Verdrängung kein Schicksal und Widerstand dagegen möglich ist.

VERDRÄNGUNG HAT VIELE GESICHTER

DE 2014, 94 min, Regie: Filmkollektiv schwarzer Hahn

Weitere Infos zum Film finden sich auf der Homepage:

berlingentrification.wordpress.com

https://www.direkteaktion.org/227/klassenkampf-im-stadtteil

Peter Nowak

Aufstand der Kleingärtner

Die A100 und die Beermannstraße in Berlin

«Ich wohne seit 1987 hier und der Garten ist mein Leben. Jetzt soll ich hier vertrieben werden», empört sich Erika Gutwirt. Die rüstige Rentnerin steht vor dem Eingang ihres grünen Domizils in der Kleingartenanlage in der Beermannstraße in Treptow, die der geplanten Verlängerung der Autobahn A100 weichen muss.Am 12.November hatten sich um 11 Uhr Mitarbeiter der Senatsverwaltung angemeldet, um die Übergabe der Gärten vorzubereiten. Wenige Tage später war die Gartenanlage eine Baustelle. Bagger hatten Beete plattgewalzt und die Gartenlauben eingerissen.

Doch es gab noch bis zum Schluss Widerstand. Die Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel organisierte gemeinsam mit der Umweltorganisation Robin Wood eine Besetzung der Gartenanlage – nach einem Tag wurde sie von der Polizei beendet. Auch die letzten Mieter in der Beermannstraße 22, deren Wohnhaus direkt an die Kleingartenanlage grenzt und ebenfalls dem Autobahnbau weichen muss, unterstützten die Besetzung. Als dann die Bagger kamen, versuchten sie, mit einer Blockade das Eindringen der Bauarbeiter in den Hof der Beermannstraße 22 zu verhindern. Als ein Baggerfahrer ohne zu stoppen auf die Protestierenden zufuhr, konnten die sich nur durch einen Sprung zur Seite vor Verletzungen schützen.

Enteignung des Mietrechts

Jonas Steinert (Name geändert) gehört zu den zehn Mietparteien in der Beermannstraße 22, die nicht bereit sind, sich nach den Bedingungen der Senatsverwaltung aus ihren Wohnungen vertreiben zu lassen. Er habe als Freiberufler kein hohes Einkommen. Daher seien für ihn Ersatzwohnungen, deren Miete zwischen 65 und 120% über der Miete seiner derzeitigen Wohnung liegen, ein großes Problem, schrieb er an die Senatsverwaltung. Statt einer Antwort erhielten Steinert und andere Mieter der Beermannstraße Schreiben, in denen ihnen die Enteignung angekündigt wurde. «Ich teile Ihnen mit, dass ich zur Wahrung unserer Interessen in Kürze bei der zuständigen Behörde die vorzeitige Besitzeinweisung und die Enteignung des Mietrechts beantragen werde», heißt es in den Briefen. Steinert musste sich von einem Rechtsanwalt erklären lassen, dass nach §116 des Baugesetzbuchs gegen ihn vorgegangen werden soll und er dadurch zahlreiche Rechte, die er als Mieter gegen eine Kündigung hat, verliert. Solche Enteignungen wurden bisher vor allem gegen Eigentümer von Grundstücken angewandt, selten gegen Mieter. Doch die Enteignung von Mietverträgen ist nach diesem Paragrafen möglich und heißt im juristischen Terminus Enteignung einer Mietsache.

Eine vorzeitige Besitzeinweisung darf es allerdings nur geben, wenn die «Maßnahme aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten» ist, heißt es im Gesetz. Dass die umstrittene Verlängerung der A100 dem Wohl der Allgemeinheit dient, bezweifeln nicht nur die Mieter in der Beermannstraße und die Stadtteilinitiative Karla Pappel. Selbst in der SPD gab es 2011 starke Opposition gegen einen Weiterbau der Autobahn. Damals verknüpfte Wowereit sein politisches Schicksal mit einem Ja zu dem Projekt und bekam nur dadurch auf dem SPD-Parteitag eine Mehrheit. Damals war Michael Müller neben Wowereit der vehementeste Autobahnbefürworter.

Funkstille linksaußen

Die außerparlamentarische Linke in Berlin hingegen scheint aus der Sommerpause gleich in den Winterschlafmodus gewechselt zu sein. Bei der eintägigen Besetzung der Gartenanlage in Treptow war sie nur gering vertreten. Aber auch von Solidaritätsaktionen außerhalb des Areals war wenig zu hören. Dabei hätte der Widerstand der Treptower Mieter und Gartenbesitzer verschiedene Teilbereichskämpfe verbinden können. Die Mieterbewegung hätten im Widerstand gegen dieses Projekt mit ökologischen Initiativen kooperieren können, die den Weiterbau der A100 für falsch halten. Zudem hätte ein Signal an den neuen Regierenden Bürgermeister Michael Müller gesandt werden können, dass mit der Zustimmung auf einem SPD-Parteitag die gesellschaftliche Debatte nicht beendet ist.

Zeitgleich zur Besetzung der Treptower Gartenanlage erklärten führende Berliner SPD-Politiker, dass die Autobahn über Treptow hinaus nach Friedrichshain weitergebaut werden soll.

Auch die Steilvorlage für die A100-Gegner trug nicht zur praktischen Unterstützung des Widerstandes in der Beermannstraße bei. Dabei hatten die Besetzer mehrmals um Unterstützung gebeten. Es zeigte sich einmal mehr, dass die außerparlamentarische Linke in Berlin außerhalb ihrer eng begrenzten Themenfelder nicht interventionsfähig ist. Die Stadtteilinitiative Karla Pappel, die in den letzten Monaten in Treptow eine wichtige Rolle bei der Organisierung des Widerstands spielte, bildet hier eine Ausnahme.

Filme organisieren Protest

In dem Film Verdrängung hat viele Gesichter, der im Oktober 2014 in Berlin angelaufen ist, wird am Beispiel des Stadtteils Treptow dokumentiert, wer bei einer Aufwertung des Stadtteils gewinnt und wer verliert. Einige Monate vorher war der Film «Mietrebellen» angelaufen, der den Mieterwiderstand der letzten beiden Jahre in Berlin zum Thema hat und mittlerweile nicht nur in vielen deutschen Städten, sondern auch im Ausland auf Interesse stößt. Beide Filme belassen es nicht bei der Dokumentation von Protesten, sondern tragen selber zur Organisierung von Menschen bei, die bisher keinen Kontakt zu politischen Initiativen hatten. Nach der Vorführung der Filme kommt es zu Diskussionen, bei denen Mieter aus verschiedenen Stadtteilen über ihre Erfahrungen mit den Verdrängungsstrategien berichten. Oft wurden sie auf die Filmvorführungen durch Plakate im öffentlichen Raum aufmerksam und haben dann erfahren, dass Verdrängung kein Schicksal und Widerstand möglich ist.

Hinweis zu den Filmen: Verdrängung hat viele Gesichter, Filmkollektiv Schwarzer Hahn, 94 Minuten; berlingentrification.wordpress.com; Mietrebellen, Matthias Cours, Gertrud Schulte Westernberg; http://mietrebellen.de, 78 Minuten.

Aufstand der Kleingärtner

von Peter Nowak

Kein ehrenwertes Haus

PROTEST Bewohner eines 60er-Jahre-Baus in Treptow müssen ausziehen. Ein neues Gebäude wird gebaut – mit hohen Mieten, die sich Alteingesessene kaum leisten können

„Wohnungsbau Neukölln – Wiederaufbau 1960“ steht in großen Lettern an einer Wand der Häuserblöcke Heidelberger Straße 15-18. Dort, wo Neukölln an Treptow grenzt, befinden sich seit über fünf Jahrzehnten die Häuser der Genossenschaft Wohnungsbau Verein Neukölln (WBV). Die Zeit ist nicht spurlos an den Gebäuden vorübergegangen: Ein dreckiges Graubraun hat die ursprüngliche Farbe längst überdeckt.

Mit den Häusern sind auch manche der MieterInnen in die Jahre gekommen. Nun sollen sie weg: Vor einigen Wochen haben die MieterInnen erfahren, dass sie die Wohnungen wegen umfassender Baumaßnahmen räumen müssen. Die Genossenschaft bietet Ersatzwohnungen an. Sie hat den MieterInnen zudem mitgeteilt, dass sie sich nicht an die Kündigungsfristen halten müssen, wenn sie selbst eine Ersatzwohnung finden sollten. Die ersten sind schon ausgezogen.

Vor einigen Tagen haben die MieterInnen Post von der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel bekommen, in der scharfe Kritik an der WBV geübt wird. Nach Einschätzung der Initiative sollen die Häuser nicht saniert werden, sondern einem schicken Neubau weichen.

Die AktivistInnen verweisen auf das Titelblatt der Mitteilungen der Genossenschaft vom September 2014, auf dem ein Architektenentwurf der neuen Heidelberger Straße 15-18 zu sehen ist: Statt 50-jähriger Häuserblöcke sind dort moderne Lofts abgebildet. In einen solchen Neubau könnten die alten MieterInnen nicht mehr zurückkehren, weil die Mieten zu teuer wären, monieren die Vertreter der Initiative. „Unterschreiben Sie keine Einverständniserklärung zur Kündigung. Tauschen Sie sich bei anderen NachbarInnen aus. Handeln sie gemeinsam und wohlüberlegt“, rät die Karla Pappel den MieterInnen.

Anfang November hatte die Stadtteilinitiative den Film „Die Verdrängung hat viele Gesichter“ gezeigt, der sich mit der Aufwertung Treptows befasst. „Da haben wir von der Entwicklung in der Heidelberger Straße 15-18 erfahren“, erklärte eine Aktivistin. Ziel des Briefes sei es, die oft schon älteren MieterInnen zu unterstützen.

Auch in der Nachbarschaft verfolgen manche die Entwicklung mit Argwohn. Gabriele Winkler wohnt in einem WBV-Haus ganz in der Nähe und fordert eine öffentliche Diskussion. „Durch die Planungen in der Heidelberger Straße 15-18 wird der Mietspiegel im Stadtteil steigen. Das betrifft auch uns“, erklärt die Rentnerin der taz.

Ein Mitglied des WBV-Vorstands, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, weist die Vorwürfe zurück. „Wir sind eine Genossenschaft und keine Heuschrecke. Bei uns entscheiden die Mitglieder und nicht ein Vorstand“, betont er gegenüber der taz. Die Mitgliederversammlung werde auch darüber befinden, ob die Häuser in der Heidelberger Straße modernisiert oder abgerissen werden. „Bisher ist noch keine Entscheidung gefallen“, sagt er. Die Häuser seien nach mehr als 50 Jahren in einen baulichen Zustand, der die geplanten Maßnahmen erfordere, so der Genossenschaftsvorstand.

Er teilt die Einschätzung, dass sich nach einer Modernisierung viele der derzeitigen BewohnerInnen die Miete nicht mehr werden leisten können. „Die Genossenschaft unterstützt die Mieter aber bei der Suche nach Ersatzwohnungen großzügig“, sagt er.

Auch in der Genossenschaft werde zudem verstärkt über Maßnahmen diskutiert, die einkommensschwachen Menschen ein Verbleiben in den Genossenschaftswohnungen ermöglichen.

http://www.taz.de/Mieterprotest/!149603/

Peter Nowak

Eingebaute Vorfahrt

Für den Bau einer Autobahntrasse sollen in Berlin Häuser abgerissen werden. Was aus den Mietern wird, die sich die Miete der Ersatzwohnungen nicht leisten können, scheint den Senat nicht zu interessieren.

Ein fast undurchdringliches Wurzelwerk, seltene Tierarten und alte Bäume. Nur das Rauschen der S-Bahn im Minutentakt erinnert daran, dass dieses grüne Idyll nicht irgendwo in der Provinz, sondern in Berlin-Treptow liegt. Nur wenige Meter entfernt von viel befahrenen Straßen, in denen sich rund um die Uhr Stoßstange an Stoßstange drängt, findet sich noch eine ausgedehnte Kleingartenanlage. Für Annika Badenhop und Andreas Germuth ist es ihr »grüner Himmel«. So nennen sie auch ihren Blog, auf dem sie seit Frühjahr 2010 ihre Beobachtungen, die sie als ständige Gartennutzer machen, protokollieren. Akribisch wird dort notiert, wann welcher Vogel in welchem Baum seinen Nistplatz aufgeschlagen hat, welche Pflanze gerade blüht und wo sich ein Waldkauz gezeigt hat. »Natur, Garten und Selbstversorgung« lautet der Untertitel des Blogs, der gut zur derzeitigen Konjunktur des Urban Gardening passt. Doch mit dem grünen Idyll in Treptow soll es in diesem Herbst vorbei sein. Wo derzeit noch hohe Bäume seltenen Tierarten ein Domizil bieten, soll bald eine Großbaustelle für den 16. Bauabschnitt einer Autobahn entstehen.

»Die Bundesautobahn A 100 ist für das Fern-, Regional- und Stadtstraßennetz der Hauptstadt Berlin von großer Bedeutung«, heißt es auf der Homepage der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. »Die Erreichbarkeit des zukünftigen Flughafens Berlin-Brandenburg und des Wissenschaftsstandorts Adlershof sowie die weiträumigen Verbindungen nach Dresden, Cottbus und Frankfurt/Oder werden damit wesentlich verbessert.«

Von den Gartennutzern ist hier ebenso wenig die Rede wie von den zwölf Mietparteien, die noch in der Beermannstraße 22 wohnen. Das Haus befindet sich im Besitz des Bundes und soll noch in diesem Herbst abgerissen werden, damit die Vorarbeiten für die A 100-Trasse beginnen können. Man habe den Mietern Angebote für Ersatzwohnungen gemacht, sagt Birgit Richter von der Senatsverwaltung. Jonas Steinert*, einer der letzten verbliebenen Mieter in der Beermannstraße, berichtet im Gespräch mit der Jungle World, dass er als Freiberufler kein großes Einkommen habe. Daher seien für ihn Ersatzwohnungen, deren Miete zwischen 65 und 120 Prozent über der Miete seiner derzeitigen Wohnung liegen, aus finanziellen Gründen nicht akzeptabel. »Für mich ist eine Erhöhung von maximal zehn Prozent der Nettokaltmiete tragbar«, schrieb Steinert an die Senatsverwaltung.

Statt einer Antwort erhielten Steinert und andere Mieter der Beermannstraße Schreiben, in denen die Senatsverwaltung die Enteignung der Mieter ankündigt. »Ich teile Ihnen mit, dass ich zur Wahrung unserer Interessen in Kürze bei der zuständigen Behörde die vorzeitige Besitzeinweisung und die Enteignung des Mietrechts beantragen werde«, heißt es in den der Jungle World vorliegenden Briefen. Steinert musste sich von einem Rechtsanwalt erklären lassen, dass ihm damit mitgeteilt werde, dass nach Paragraph 116 des Baugesetzbuchs gegen ihn vorgegangen werden soll und er dadurch zahlreiche Rechte, die er als Mieter gegen eine Kündigung hat, verliert.

»Durch die Besitzeinweisung wird dem Besitzer der Besitz entzogen und der Eingewiesene Besitzer. Der Eingewiesene darf auf dem Grundstück das von ihm im Enteignungsantrag bezeichnete Bauvorhaben ausführen und die dafür erforderlichen Maßnahmen treffen«, heißt es in dem Gesetz. Eine vorzeitige Besitzeinweisung dürfe allerdings nur getroffen werden, wenn die »Maßnahme aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten« ist, heißt es dort weiter. »Wir sollen für den Bau einer Autobahn, die in Berlin äußerst umstritten ist, aus unseren Wohnungen fliegen«, moniert Karl Pfeiffer. Der Endfünfziger wohnt im Vorderhaus der Beermannstraße. Er sei immer an Verhandlungen interessiert gewesen und lehne auch einen Auszug nicht generell ab.

»Wir sind doch für die Senatsverwaltung nur lästige Verwaltungsakte, die schnell verschwinden sollen. Wenn solche Töne aus der Senatsverwaltung kommen, sagen wir, das lassen wir mit uns nicht machen«, sagt Pfeiffer. Die letzten verbliebenen Mieter sind besonders empört, dass in den Schreiben der Senatsverwaltung eine Räumungsaufforderung der Wohnungen bis zum 31. Oktober enthalten ist. Als Drohung ohne jegliche Grundlage bezeichnet Steinert diesen Passus, den er daher auch nach juristischer Beratung ignoriert hat. Ihn empört, dass der Senat eine solche Drohkulisse aufbaut und damit Angst bei den Mietern erzeugt. Zumal die Senatsverwaltung in dem Schreiben auch betonte, dass sie zur Bereitstellung von Ersatzwohnungen nicht verpflichtet sei. Das klang am 16. Januar 2014 noch ganz anders. Damals erklärte der zuständige Berliner Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Müller (SPD), auf eine mündliche Anfrage des Abgeordneten Harald Moritz (Grüne) zu den sozialen Folgen der Verlängerung der A 100 im Berliner Abgeordnetenhaus: »Im Zusammenhang mit den zuständigen Verwaltungen der Grundstücke … werden insbesondere die Mieterinnen und Mieter unterstützt, bei denen sich die Wohnraumsuche aus privaten Gründen schwierig gestaltet.«

Die verbliebenen Mieter wollen Müller, der gerade kurz vor seinem nächsten Karriereschritt steht, nun an diese Versprechungen erinnern. Nach der parteiinternen Abstimmung hat die Mehrheit der Berliner SPD-Mitglieder Müller zum Nachfolger des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit bestimmt. »Das Thema A 100 spielte parteiintern bei der Abstimmung keine Rolle«, bedauert Mieter Steinert, der extra in die SPD eingetreten ist, um deutlich zu machen, dass das Thema A 100 noch nicht abgehakt sei. Doch er hatte nicht die Gelegenheit, einen dazu vorbereiteten Redebeitrag zu verlesen. Darin hätte er sicher auch daran erinnert, dass Müller neben Wowereit bereits zu einer Zeit, als das Bauvorhaben auch innerhalb der Berliner SPD noch umstritten war, zu einem der vehementesten Befürworter des Autobahnbaus gehörte. Eine Mehrheit für den Ausbau der A 100 kam damals nur zustande, weil Wowereit seine politische Zukunft daran knüpfte. Müller steht also für Kontinuität.

Berthold Kreutz*, ebenfalls ein Mieter der Beermannstraße, kann nur darüber lachen, dass Müller nach seiner parteiinternen Kür zum Nachfolger von Wowereit von der Berliner Boulevardpresse überschwänglich dafür gelobt wurde, dass er seinen Sieg ganz bescheiden mit einer Pizza feierte und sich, anders als sein Vorgänger, in den Imbissbuden der Hauptstadt auskenne. »Mich interessiert nicht, ob ein Regierender Bürgermeister Kaviar isst, sondern wie er mit Mietern mit wenig Geld umgeht«, kommentiert Kreutz diesen Populismus.

Die verbliebenen Mieter der Beermannstraße erhalten Unterstützung von der Treptower Stadtteilinitiative »Karla Pappel«, die in den vergangenen Jahren den Zuzug von Baugruppen in den Stadtteil und die Folgen für die einkommensschwache Bevölkerung thematisierte. Im Film »Die Verdrängung hat viele Gesichter«, der seit Oktober in zahlreichen Berliner Programmkinos läuft, wird diese Auseinandersetzung gut dokumentiert. Für die Mieter der Beermannstraße ist ihre drohende Verdrängung auch mit dem Gesicht des designierten Regierenden Bürgermeisters Michael Müller verbunden. Dessen Vorzimmer wurde bereits am 19. Oktober, einen Tag nach der Urabstimmung der Berliner SPD, bei der sich Müller gegen seine Konkurrenten um das Amt des Bürgermeisters, Jan Stöß und Raed Saleh, durchsetzte, von A 100-Gegnern für einige Stunden besetzt.

Namen von der Redaktion geändert

http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50858.html

Peter Nowak

»Mit Protesten und Militanz konfrontiert«

Die Künstlerin Esther Rosenbaum gehört zum Filmkollektiv »Schwarzer Hahn«. Die Gruppe hat in mehrjähriger Arbeit den 90minütigen Dokumentarfilm »Verdrängung hat viele Gesichter« produziert, der zurzeit in verschiedenen Programmkinos läuft.

In Ihrem Film wird die Verdrängung durch Baugruppen und der Widerstand dagegen im Berliner Stadtteil Treptow dokumentiert. Was sagen Sie zu dem Vorwurf des innenpolitischen Sprechers der Berliner SPD, Tom Schreiber, linke Gentrifizierungskritiker wollten Menschen mit Terror aus dem Stadtteil vertreiben?

Diese Debatte ist ideologisch aufgeladen und zeugt von dem Willen, den Mieterwiderstand zu spalten, zu neutralisieren und letztlich zu zerstören. Dass die SPD die Kampagne losgetreten hat, ist nicht verwunderlich. Schließlich versucht sie, sich als sozial darzustellen, und sorgt mit ihrer Politik dennoch für die Verdrängung von einkommensschwachen Menschen. Wenn sich SPD-Politiker jetzt beklagen, dass die Nutznießer dieser Verdrängung in den Stadtteilen mit Protesten und Militanz konfrontiert sind, zeugt das nicht nur von Verlogenheit, sondern auch von Hass auf einen Widerstand, der sich nicht kanalisieren lässt.

Hören Sie solche Vorwürfe denn zum ersten Mal?

Nein. Während wir unseren Film gedreht haben, gab es eine ähnliche Kampagne gegen Mieteraktivisten in Treptow. Auch da war die SPD die treibende Kraft, sogar in Personalunion des SPD-Politikers Tom Schreiber.

Welches inhaltliche Ziel hatte die Kampagne?

Die Kampagne richtete sich gegen die politische Positionierung der Aktivisten. Sie wurden angegriffen, weil sie Eigentumswohnungen als zentrales Moment der Verdrängung betrachteten. Damals wurde die erste große und außerparlamentarische Mietendemonstration vorbereitet und die SPD bekam es kurz vor den Abgeordnetenhauswahlen mit der Angst zu tun.

Wie haben die Treptower Aktivisten auf die Kampagne reagiert?

Die ärmeren Menschen im Stadtteil wurden von der Kampagne nicht beeinflusst. Sie schätzten im Gegenteil die Qualität einer Initiative, die die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt stellt und die Politik als verlogen gegenüber den Armen herausstellt. In unserem Film stehen das Leben und der Kampf dieser Menschen im Mittelpunkt.

http://berlingentrification.wordpress.com

Small Talk von Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2014/43/50783.html

Karla Pappel im Kino

Die Dokumentation »Verdrängung hat viele Gesichter« dreht sich um Gentrifizierung

Die Initiative »Karla Pappel« wehrte sich 2009 gegen Baumfällungen zugunsten von Neubauten. Ein Film beleuchtet nun die Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und Baugruppen.

Mehr Freiräume für die Bürger und weniger Platz für Reiche» wünscht sich Morton Finger für die Zukunft in Treptow. Der hagere Mann mit dem markanten Bart lehnt am Donnerstagabend zufrieden am Tresen im Berliner Kino Moviemento. Dort hatte der Dokumentarfilm «Die Verdrängung hat viele Gesichter» Premiere, der die Folgen der Gentrifizierung am Beispiel des Stadtteil Treptow darlegt.

Morton Finger ist einer der Menschen, die aus Treptow verdrängt wurden. Er hat mehrere Jahre auf dem Treptower Inselmarkt seinen Fahrradladen mit angeschlossenen Reparaturservice betrieben. Doch nachdem der Markt im Frühjahr 2011 schließen musste, fand Finger keinen neuen Platz für sein Gewerbe mehr. Auf dem Grundstück des Markts stehen mittlerweile die noblen Eigentumswohnungen einer Baugruppe. Innerhalb weniger Jahre haben sich im Stadtteil ein halbes Dutzend Baugruppen angesiedelt. Die Nähe zum Szenebezirk Kreuzberg und die ruhige Lage machte Treptow für eine gut verdienende Mittelschicht zur attraktiven Wohngegend. Doch nicht nur die Mieter, auch kleine Ladenbesitzer und Gewerbetreibende sind von der Aufwertung betroffen.

Mathias Mehner bereiten die Veränderungen in Treptow Probleme. Er betreibt einen kleinen Buchladen in der Plesser Straße, den er sechs Tage in der Woche offen halten muss. Für Urlaub und Erholung hat er keine Zeit. Nach Abzug von Miete und Steuern bleiben ihm trotzdem gerade mal 5 Euro am Tag. Viele ältere Menschen, die bei Mehner Bücher kauften, sterben oder ziehen weg.

Manfred Görg gehört zu seinen festen Kundenstamm. Der Rentner will in Alt-Treptow bleiben. Daran ließ er auch im Gespräch nach der Filmpremiere keinen Zweifel. Vom Fenster seiner Wohnung hatte Görg vor fünf Jahren beobachtet, wie sich regelmäßig eine kleine Gruppe auf einem Platz traf, um gegen das Abholzen von alten Pappeln zu protestieren, die einer Baugruppe im Wege standen. Die Gegner dieser Entwicklung nannten sich Karla Pappel. «Ich habe die Protestgruppe einige Wochen beobachtet, dann habe ich mich selber dazu gestellt, weil ich das Anliegen richtig finde, erklärt Görg. Das Abholzen der Pappeln konnte die Gruppe nicht verhindern. Doch nach einer längeren Pause hat sich die Gruppe entschlossen, wieder aktiv zu werden. Der persönliche Kontakt war nie abgerissen, sagt Yves, einer der Jüngeren in der Gruppe. Die Baugruppen-Bewohner rund um die Kungerstraße dürfte die Nachricht, dass Karla Pappel wieder aktiv wird, nicht freuen.

In der Dokumentation wird deutlich, dass mehrere Baugruppenmitglieder sich durch die Proteste gestört und belästigt fühlen. Manche erklärten, dass sie die allgemeinen Ziele der Gruppe durchaus teilen, die Kritik an den Baugruppen aber nicht nachvollziehen könnten.

Für Hanna Löwe ist eine solche Position ein Ausdruck von Doppelmoral. Sie ist Filmemacherin und arbeitete im Kollektiv Schwarzer Hahn mit, das den Film produzierte. Von den Baugruppen war bei der Premiere niemand anwesend. Am 5. November soll es eine Vorführung des Films im Circus Cabuwazi in Treptow geben, wozu sie ausdrücklich eingeladen sind.

Bis zum 21. Oktober läuft der Film täglich um 18.30 Uhr im Kino Moviemento. Im Anschluss sind Diskussionen mit Mieterinitiativen und stadtpolitischen Gruppen geplant. Die Termine finden sich unter:berlingentrification.wordpress.com/auffuehrungen/

Peter Nowak

„Kein Schubladendenken“

GENTRIFIZIERUNG Der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ nimmt vor allem Baugruppen in den Blick. Die wollte man aber nicht denunzieren, sagt Filmemacherin Hanna Löwe

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Frau Löwe, Thema des Films „Verdrängung hat viele Gesichter“ ist die Gentrifizierung. Warum beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Baugruppen?

Hanna Löwe: In Treptow begann der MieterInnenwiderstand, nachdem eine Stadtteilinitiative gegen die Bebauung eines Grundstücks durch Baugruppen Sturm lief und die Beteiligung ehemaliger Linker daran thematisierte. Danach begannen im Stadtteil Diskussionen, inwieweit der Bau von Eigentumswohnungen einen Kiez aufwertet und der Mieterhöhung preisgibt.

Gab es bereits die Kritik, dass im Film die Baugruppenmitglieder ihre Position ausführlich darlegen können?

Ja, aber darauf sind wir stolz. Wir wollten keinen Film machen, der das Schubladendenken bedient. Es wäre einfach gewesen, die Kämpfe der Bewegung als die Position der „Guten“ darzustellen und alles andere zu denunzieren. Wir müssen aber niemand herabwürdigen, um die Probleme beim Namen zu nennen.

Gleich zu Beginn des Film verweigert eine Baugruppe die Kommunikation. War das öfter der Fall?

Baugruppenmitglieder sehen sich vordergründig als Menschen, die niemand verdrängen wollen. Ein Teil weiß aber genau, dass ihr Verhalten andere verdrängt, und nimmt es billigend in Kauf. Sie verweigern Interviews, weil sie die Kritik trifft. Eine Baugruppe in Treptow hat sich selber ein Gentrifizierungsfrei-Zertifikat ausgestellt, obwohl ein Mitglied seine Wohnung jetzt für 1.900 Euro kalt vermietet und in München wohnt.

Wieso kommt es im Film bei Begegnungen mit Baugruppen oft zu Diskussionen über die persönliche Verantwortung?

Viele Mitglieder von Baugruppen wollen nur die Lösung für ihre Probleme und fallen aus allen Wolken, wenn sie mit Kritik konfrontiert wurden. Sie haben oft großen Rechtfertigungsbedarf.

Wieso sind Baugruppen sogar bei aktiven Linken zum Teil beliebt?

Wo Geld ist, weil eine Erbschaft auf den Nachfolger oder die Nachfolgerin wartet, da wird schnell mal die linke Idee dem eigenen Lebenskonzept angepasst. Das gilt ja nicht nur für den Bau von Eigentumswohnungen, sondern auch bei der Jobvergabe. Man geht in bestimmte Gruppen, weil dabei der Job bei einer NGO, einer Stiftung oder einer Partei abfällt.

Mehrmals werden im Film die Füße von sprechenden Personen gezeigt, die dann fast wie Hände gestikulieren. War das ein künstlerisches Stilmittel?

Das war nicht geplant, sondern hat sich so ergeben. Manchmal mussten wir die Kamera nach unten drehen, weil Gesichtsaufnahmen unerwünscht waren. Bei einem Politiker waren wir so fasziniert, wie der mit seinen Füßen redet. Das musste als humoristische Einlage drin bleiben. Im Abspann zeigen wir die vielen Füße einer Demonstration, das war gewollt. Die Füße symbolisieren Dynamik, Bewegung, alles ist im Fluss.

Sind zur Filmpremiere auch die BaugruppenbewohnerInnen eingeladen?

Am 5. November ist im Zirkus Cabuwazi eine spezielle Kiezpremiere in Treptow geplant, zu der wir auch die Baugruppenmitglieder einladen. Wir hoffen auf kontroverse Diskussionen.

Hanna Löwe

38, ist Künstlerin und in stadtpolitischen Gruppen aktiv. Als Teil des Filmkollektivs Schwarzer Hahn hat sie „Verdrängung hat viele Gesichter“ produziert.

Der Film

Der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ setzt sich mit der Gentrifizierung am Beispiel von Alt-Treptow auseinander. Premiere heute um 18.30 Uhr im Moviemento, Kottbusser Damm 22. Weitere Termine: berlingentrification.wordpress.com

http://www.taz.de/Film-ueber-Gentrifizierung-in-Berlin/!147327/

Peter Nowak

Verdrängung hat viele Gesichter

Aufwertung der Stadtteile bedeutet die Verdrängung von MieteInnen mit geringen Einkommen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch in liberalen Medien angekommen. Doch wie gehen die Betroffenen damit um?

Was passiert in einem Stadtteil, der jahrelang wenig beachtet wurde, wenn auf einmal in kurzer Zeit fast ein Dutzend Baustellen entstehen? Ist Aufwertung und Verdrängung ein Naturgesetz oder gib es Verantwortliche, die diesen Prozess vorantreiben? Dass sind einige der Fragen, denen sich der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ stellt, den das Filmkollektiv „Schwarzer Hahn“ produziert hat.  Dort haben StadtteilaktivInnen gemeinsam mit   KünstlerInnen  mehrere Jahre an dem Film  gearbeitet. Sie wollten den  Aufwertungsprozess am Beispiel des Stadtteils Treptow verdeutlichen.   Noch Ende der 90er Jahre schien es, als wäre der Stadtteil das totale Gegenteil zum Prenzlauer Berg. Während dort schon  Ende der 90er Jahre ein Großteil der Alt-MieterInnen  wegziehen mussten, weil sie die  teuren Mieten nicht mehr bezahlen konnten, waren  in Treptow  die Mietsteigerungen moderat und der Wegzug gering.  Doch das änderte sich, als Baugruppen den Stadtteil für sich entdeckten. Es sind meist Angehörige der neuen gut verdienenden Mittelschichten, für die   Treptow aus mehreren Gründen interessant wurde. Der Weg zu den vielen Clubs ist kurz. Zudem siedelten sich im Rahmen des Media-Spree-Projekts zahlreiche Unternehmen an.  Für die Angestellten wurde eine Wohnung in Treptow mit kurzen Anfahrtszeiten zur Arbeit attraktiv. Wie der  plötzliche Ran der  Baugruppen  auf die BewohnerInnen eines Stadtteils wirkte, der bisher von großen Veränderungen verschont geblieben war, macht der Film sehr  gut deutlich.

Nicht nur Mieter kämpfen in dem Stadtteil um das Überleben

Der Film begleitet  Menschen, die ums Überleben kämpfen müssen. Da ist der Altrocker, der auf seinen Balkon sitzt und sich bange fragt, ob er sich nach der nächsten Mieterhöhung die Wohnung noch leisten kann. Da ist die Frau mit den geringen Einkommen, die die neue Entwicklung nicht einfach hinnimmt sondern sich wehrt. Der Film zeigt, wie in Treptow plötzlich in einer  Stadtteilinitiative Menschen aus unseren kulturellen und gesellschaftlichen Milieus zusammenarbeiten. Sie eint die Angst vor der Verdrängung   aus dem Stadtteil und der Wille,  sich dagegen zu wehren.
Der Film zeigt auch, dass nicht nur MieterInnen  davon betroffen sind. Da wird ein  Treptower Buchhändler gezeigt, der trotz eines gerade überstandenen Herzinfarkts fast rund um die Uhr im Laden steht und am Ende 5 Euro Gewinn erzielt hat   Die Menschen,  die bisher seinen Buchladen aufsuchten,  verschwinden aus dem Stadtteil. Die Konsumwünsche des neu zugezogenen Mittelstandes kann er nicht befriedigen. Der Film  geht so auf Aspekte der Aufwertung eines Stadtteils ein, die oft ausgeblendet werden. Neben den MieterInnen mit wenig Geld sind auch Läden und Kneipen bedroht, die ein Angebot für eine Kundschaft mit geringen Einkommen bereithielten.

Die „guten“ VerdrängerInnen

Doch auch die Menschen, die von der neuen Situation profitieren, kommen in dem Film zu Wort. Mitglieder der Baugruppen werden interviewt. Manchmal kommt es zum Dialog, oft zum Streitgespräch zwischen den GewinnerInnen und VerlierInnen  der Aufwertung.  Viele Baugruppen-Mitglieder      äußern ihr Unverständnis darüber, dass sie plötzlich in der Kritik stehen. Einige waren deshalb zum Interview mit den FilmemacherInnen bereit, wo sie sich als umweltbewusste StadtbürgerInnen präsentieren.  In dem Film werden die Baugruppen-BewohnerInnen nicht denunziert, doch es wird die Frage nach ihrer Verantwortung gestellt. Es werden die gesellschaftlichen Bedingungen infrage gestellt, die dafür sorgen, dass in einem Stadtteil  AltmieterInnen ums Überleben kämpfen und   gleichzeitig ein neuer Mittelstand  ihre Privilegien und Macht ausspielt Der Film zeigt, dass Verdrängung   viele Gesichter hat, aber kein Naturges tz ist.  So wird auch der Alltagswiderstand der MieterInnen  in Treptow gezeigt, der  vom Besuch bei den vielen neuen Kreativbüros über Stadtteilspaziergängen  bis zur Beteiligung an Baugruppen-Partys ohne Einladung reicht. Dabei ist der Film immer locker und humorvoll.

Peter Nowak

Verdrängung hat viele Gesichter«  hat  am 9.10. um 18.30 Uhr in Anwesenheit des Filmteams und Protagonist_innen im  Moviemento Kino Berlin, Kottbusser Damm 22, Premiere.
Weitere Termine mit anschließenden Diskussionen im gleichen Kino:

12.10. Publikumsgespräch mit „Zwangsräumung verhindern“
15.10. Publikumsgespräch mit der Stadtteilinitiative „Wem gehört Kreuzberg?“
20.10. Publikumsgespräch mit der Stadtteilinitative „Karla Pappel“ – 6 Jahre Stadtteilarbeit – eine Bilanz
Weitere Termine finden sich  auf der Homeapge  berlingentrification.wordpress.com

aus: MieterEcho online 01.10.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/verdraengung-hat-viele-gesichter.html

Peter Nowak